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Ablaufschema der systemisch-lösungsorientierten Beratung

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Peter Herrmann, Blockaden lösen. Systemische Interventionen in <strong>der</strong> Schule<br />

Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2010<br />

ISBN 978-33-525-70124-9: 24,95 € / E-Book 978-3-647-70124-0: 19,95 €<br />

<strong>Ablaufschema</strong> <strong>der</strong> <strong>systemisch</strong>-<strong>lösungsorientierten</strong> <strong>Beratung</strong><br />

Das <strong>Ablaufschema</strong> <strong>der</strong> <strong>systemisch</strong>-<strong>lösungsorientierten</strong> <strong>Beratung</strong> wird hier in eine<br />

modellhafte, etwas künstliche Chronologie gebracht. Der tatsächliche Ablauf des<br />

<strong>Beratung</strong>sprozesses kann sich in <strong>der</strong> <strong>Beratung</strong>ssituation durchaus an<strong>der</strong>s gestalten.<br />

Da wir prozessorientiert arbeiten, werden Fragestellungen in Abhängigkeit vom<br />

„lebendigen Gesprächsgeschehen“ in <strong>der</strong> <strong>Beratung</strong>ssituation variiert.<br />

Dennoch empfiehlt es sich darauf zu achten, dass alle Punkte im nachfolgend<br />

geschil<strong>der</strong>ten Ablauf genügend Raum bekommen, da es sonst zu Störungen in <strong>der</strong><br />

Beziehungsgestaltung zwischen Berater und Klient kommen kann.<br />

1. Überweisungskontext<br />

In <strong>der</strong> Schule ist es sinnvoll, zu Beginn des Gespräches herauszufinden, wer den Schüler<br />

/ die Schülerin zum Gespräch an den Berater verwiesen hat. Folgende Möglichkeiten<br />

sind dabei zu betrachten:<br />

Schüler kommt mit eigenem Anliegen<br />

– Im Sinne von Steve de Shazer könnte es sich hierbei möglicherweise um einen<br />

„Kunden“ o<strong>der</strong> „Klagenden“ handeln. Entsprechend muss <strong>der</strong> Berater seinen Auftrag<br />

klären (siehe unten).<br />

Kollegen (Lehrer) haben den Schüler an den <strong>Beratung</strong>slehrer verwiesen<br />

– Klarer Auftrag<br />

„Der Schüler braucht etwas, was ich ihm in meiner Rolle (Verstrickung als<br />

Klassenlehrer in das Problemthema o.ä.) nicht geben kann.“<br />

Im Sinne eines Splittings: <strong>der</strong> Klassenlehrer nimmt seine Rolle ein, er setzt<br />

Grenzen und Regeln, <strong>der</strong> <strong>Beratung</strong>slehrer hat eine neutrale Position und kann<br />

den Konflikt klären.<br />

Selbst wenn <strong>der</strong> Schüler Besucher ist („Ich weiß nicht, was Lehrer X von mir<br />

will“), kann <strong>der</strong> Berater diese Frage zum Anlass nehmen, das Problem zu<br />

definieren.<br />

© ISIS – Institut für <strong>systemisch</strong>e Lösungen in <strong>der</strong> Schule<br />

Träger: Verein zur För<strong>der</strong>ung <strong>systemisch</strong>er Konzepte bei Schulen und sozialen Einrichtungen e.V.<br />

www.isis-institut-koeln.de p.h.@isis-institut-koeln.de


– Vergifteter Auftrag<br />

„Keiner wird mit diesem Schüler zurechtkommen – auch <strong>der</strong> <strong>Beratung</strong>slehrer<br />

soll hierbei versagen.“<br />

– Unlösbarer Auftrag<br />

„Der <strong>Beratung</strong>slehrer soll etwas mit diesem Schüler machen, damit es mir besser<br />

geht – ich habe mit dem Problem nichts zu tun.“<br />

2. Auftragsklärung<br />

Nachdem <strong>der</strong> Überweisungskontext klarer ist, kann sich <strong>der</strong> Berater auf das<br />

konzentrieren, was von ihm gefor<strong>der</strong>t wird.<br />

Klare Aufträge können angenommen werden (ganz gleich, ob es sich bei den Schülern<br />

um „Besucher, Klagende o<strong>der</strong> Kunden“ handelt).<br />

Unklare o<strong>der</strong> vergiftete bzw. unlösbare Aufträge werden nicht angenommen und<br />

dankend an den Absen<strong>der</strong> zurückgewiesen.<br />

Der Berater reflektiert für sich selbst das Anliegen des „Überwiesenen“ o<strong>der</strong><br />

„Ratsuchenden“ und achtet dabei vor allem auch auf sein Bauchgefühl (kinästhetisches<br />

Referenzsystem). Signalisiert dieses ihm ein ruhiges Gefühl, so kann in <strong>der</strong> Regel die<br />

<strong>Beratung</strong> begonnen werden.<br />

Gefährlich ist es hingegen, wenn das kinästhetische Referenzsystem Vorsicht<br />

signalisiert, <strong>der</strong> Kopf jedoch etwas an<strong>der</strong>es will und das Gefühl ignoriert wird. Häufig<br />

geraten diese <strong>Beratung</strong>sprozesse in eine Sackgasse, weil <strong>der</strong> Berater sich hat verführen<br />

lassen und im Sinne des Drama-Dreiecks in die Retterposition gegangen ist.<br />

Zum Abschluss <strong>der</strong> Auftragsklärung sollte sich <strong>der</strong> Berater mit <strong>der</strong> Frage beschäftigen, in<br />

welcher Motivationslage sich <strong>der</strong> „Ratsuchende“ befindet:<br />

– Besucher<br />

– Klagen<strong>der</strong><br />

– Kunde<br />

Die Antwort auf diese Frage ist wichtig, um in <strong>der</strong> Interaktion keine Wi<strong>der</strong>stände zu<br />

erzeugen, die dadurch entstehen könnten, dass es Missverständnisse zwischen Berater<br />

und Ratsuchenden über die Frage <strong>der</strong> Problemlösung und des Ablauf des<br />

<strong>Beratung</strong>sprozesses gibt.<br />

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3. Die Problemdefinition<br />

Die Problemdefinition hat in unserem Vorgehen eine zentrale Bedeutung. Sie dient<br />

mehreren Aspekten:<br />

– Sie verhin<strong>der</strong>t, dass <strong>der</strong> Berater sich als Wissen<strong>der</strong> definiert und nicht als Fragen<strong>der</strong>.<br />

– Sie hilft bei <strong>der</strong> Problemverflüssigung. Das Problem wird wie<strong>der</strong> prozessural<br />

erfahrbar.<br />

– Sie hilft dem Ratsuchenden aus seiner Problemtrance, indem er differenziert über das<br />

Problem berichten kann.<br />

– Sie verstärkt die Beziehungen zwischen Berater und Klienten, weil die Fragen und<br />

das damit verbundene Interesse an dem Problem vom Ratsuchenden als empathische<br />

Haltung des Beraters verstanden wird.<br />

– Der Ratsuchende sieht sich mehr und mehr verantwortlich für die Konstruktion<br />

seines Problems, das er vorher als „von außen“ auf sich zukommend bzw. „von innen“<br />

auftauchend und nicht verän<strong>der</strong>bar erlebt hat.<br />

Die Problemdefinition ist dabei ein sehr komplexes (auf mehreren Ebenen<br />

stattfindendes) interaktives Geschehen, das sich allerdings sehr einfacher Fragen<br />

bedient.<br />

Wir arbeiten in <strong>der</strong> Problemdefinition mit den W-Fragen (z.B.):<br />

„Was genau ist das Problem für dich?“<br />

Häufig schil<strong>der</strong>t <strong>der</strong> Ratsuchende die Problembedingungen, indem er beschreibt, was<br />

an<strong>der</strong>e machen und was sie besser machen sollten, damit das Problem nicht mehr da ist.<br />

Beispiel: „Lehrer X beachtet mich nicht genug, ich komme gar nicht dazu, meine<br />

Fähigkeiten zu zeigen – er lässt mich nicht.“<br />

Deutlich wird dabei sofort <strong>der</strong> Wunsch des Ratsuchenden, dass <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e sich<br />

verän<strong>der</strong>n möge, damit es ihm selbst besser gehe.<br />

Intervention des Beraters auf diese Haltung:<br />

„Du möchtest also, dass sich <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e än<strong>der</strong>t, damit es dir besser geht?“<br />

„Ja.“<br />

„Glaubst du, dass man dem an<strong>der</strong>en das klarmachen kann, dass er das für dich<br />

macht?“<br />

„Wahrscheinlich nicht.“<br />

„Angenommen, du würdest mal schauen, was du selbst an<strong>der</strong>s machen könntest – wäre das<br />

ein Weg?“<br />

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Der Berater holt sich somit einen an<strong>der</strong>en Auftrag:<br />

„Verän<strong>der</strong>e das Problem“ wird zu: „Hilf mir bei <strong>der</strong> Verän<strong>der</strong>ung meiner Wahrnehmung<br />

o<strong>der</strong> Haltung.“<br />

Ist dieser Punkt geklärt, kann man mit <strong>der</strong> weiteren Problemdefinition fortfahren.<br />

Hierzu dienen Fragen wie:<br />

– Wann war das Problem da, wann nicht?<br />

– In welchem Kontext war es da, wann nicht?<br />

– Wer war dabei?<br />

– Was genau hast du gemacht, als das Problem begann?<br />

– Wann hast du beschlossen, das Problem zu bekommen?<br />

– Was muss man tun, damit es stärker wird, und was, damit es schwächer wird?<br />

Das Ziel dieser Fragehaltung ist die „Verflüssigung“ des Problems. Während zu Beginn<br />

<strong>der</strong> <strong>Beratung</strong> <strong>der</strong> Klient sich eher als „Opfer des Problems“ definiert, wird er<br />

automatisch durch die Frage „Wie machst du das Problem?“ in die Verantwortung für die<br />

Problemkonstruktion genommen. Lässt er sich auf die W-Fragen ein, verflüssigt sich das<br />

Problem zu einer Problemstrategie, die er selbst konstruiert hat.<br />

Die beschriebene Fragestrategie hat einen interessanten Effekt: Allein die Fragehaltung<br />

erzeugt beim Klienten schon das Gefühl des Verstandenwerdens, unabhängig davon, ob<br />

<strong>der</strong> Berater wirklich etwas verstanden hat.<br />

4. Frage nach den Ausnahmen<br />

Steve de Shazer hat mit <strong>der</strong> Frage nach den „Ausnahmen vom Problem“ als<br />

lösungsorientierte <strong>Beratung</strong>sstrategie die <strong>systemisch</strong>e <strong>Beratung</strong> enorm bereichert.<br />

Nachdem <strong>der</strong> Klient sein Problem geschil<strong>der</strong>t hat, fragt <strong>der</strong> Berater:<br />

„Wann war es einmal besser?“<br />

Falls <strong>der</strong> Klient nicht sofort auf Ausnahmen kommt, macht <strong>der</strong> Berater Angebote, die<br />

den Klienten zur Differenzierung bewegen:<br />

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„War es Montag besser o<strong>der</strong> Freitag?“<br />

„War es bei Lehrer X besser o<strong>der</strong> bei Lehrer Y?“<br />

„War es in Mathematik besser o<strong>der</strong> in Deutsch?“<br />

„War es in <strong>der</strong> Freizeit besser o<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Schule?“<br />

Der Berater lädt somit den Klienten zur Differenzierung ein („Unterschiede, die einen<br />

Unterschied machen“).<br />

Ziel <strong>der</strong> Frage nach den Ausnahmen („lösungsorientierte Fragen“) ist es, schnell in die<br />

Lösungsressource zu kommen – weg von <strong>der</strong> Problemfocussierung (Problemtrance) hin<br />

zu einer Erinnerung an die eigenen bereits vorhandenen Ressourcen.<br />

Die Körperenergie wechselt an dieser Stelle von <strong>der</strong> Problem- zur<br />

Ressourcenphysiologie (semantische Reaktion). Indem man mit den eigenen Ressourcen<br />

in Kontakt kommt, kann die Problemphysiologie nicht weiter aufrechterhalten werden<br />

(vgl. hierzu die Erkenntnisse <strong>der</strong> Neurobiologie).<br />

Bei Kin<strong>der</strong>n, die über keine hinreichenden positiven „Ausnahmen“ verfügen, können an<br />

dieser Stelle auch an<strong>der</strong>e Modelle eingeführt werden:<br />

„Kennst du jemanden, bei dem du schon mal erlebt hast, wie er das Problem gelöst hat? Wie<br />

macht er/sie das?“<br />

„Kennst du eine Comic-(Märchen-)Figur, die das Problem lösen könnte? Wie macht die<br />

das?“<br />

Diese Fragen dienen gleichzeitig auch <strong>der</strong> Modellierung von Lösungsverhalten, wenn es<br />

in <strong>der</strong> Biografie des Schülers nicht verfügbar zu sein scheint.<br />

Der Berater sollte mit den Ausnahmefragen sehr sensibel umgehen. In einigen Fällen<br />

muss das Problem in <strong>der</strong> Problemdefinition als Lösungsversuch hinreichend gewürdigt<br />

werden. Ohne diese Würdigung kooperiert <strong>der</strong> Klient nicht in Bezug auf die Fragen nach<br />

den Ausnahmen.<br />

Merke: Je plastischer (VAKOG) die Ausnahmen geschil<strong>der</strong>t werden, umso mehr Ressourcen<br />

werden aktiviert.<br />

Eine weitere lösungsorientierte Fragestrategie ist die Wun<strong>der</strong>frage nach Steve de<br />

Shazer.<br />

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5. Frage nach den Zielen<br />

Sobald <strong>der</strong> Klient Ausnahmen vom Problem geschil<strong>der</strong>t hat, wird sehr schnell klar,<br />

welche wünschenswerten Verän<strong>der</strong>ungsziele angestrebt werden können. Das Ziel sollte<br />

dabei so definiert werden, dass:<br />

– es hinreichend attraktiv ist (Ziel als Attraktor) – im Sinne einer Hin-zu-Motivation,<br />

– es aus eigener Kraft erreichbar ist,<br />

– <strong>der</strong> Klient es sich als Zielzustand plastisch (VAKOG) vorstellen kann,<br />

– die Zielerreichung an konkreten Ereignissen messbar wird,<br />

– <strong>der</strong> erste Schritt in Richtung des Zieles definiert wird.<br />

6. Öko-Check<br />

Der Berater stellt hier die Frage:<br />

„Gibt es irgendwelche inneren o<strong>der</strong> äußeren Einsprüche gegen das Ziel?“<br />

„Darf das Ziel erreicht werden?“<br />

Gibt es Einwände, wird in diesen häufig deutlich, dass ein Loyalitätsmuster tangiert<br />

wird. Irgendetwas o<strong>der</strong> irgendwem soll die Treue gehalten werden.<br />

Dieser Einwand ist zu würdigen und es muss gefragt werden:<br />

„Unter welchen Umständen wäre <strong>der</strong>jenige bereit zu kooperieren?“<br />

Nachdem <strong>der</strong> Berater dies mit dem Klienten zusammen herausgearbeitet hat, werden<br />

dem Teil, <strong>der</strong> den Einspruch darstellt, Angebote zur Kooperation gemacht, in die dieser<br />

in <strong>der</strong> Regel einwilligt, weil er sich in seinem wichtigen Einspruch gewürdigt sieht.<br />

Merke: Je<strong>der</strong> Einspruch folgt einer positiven Absicht und muss gewürdigt werden.<br />

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