klangpunkte 22korr4 - Doblinger
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klang:focus<br />
Primus inter pares<br />
Seite 4<br />
VIOLINKONZERTE VON FRIEDRICH CERHA, GERALD RESCH UND HELMUT SCHMIDINGER<br />
VON WALTER WEIDRINGER<br />
Das Violinkonzert hat in seiner langen Geschichte viele Wandlungen durchgemacht, die unterschiedlichsten Facetten<br />
gezeigt. Wie lebendig die Gattung auch am Beginn des dritten Jahrtausends noch ist, bewiesen erst im letzten Herbst drei<br />
neue, aufregende Werke.<br />
Altmeister Friedrich Cerha etwa, zu seinem 80. Geburtstag<br />
am 17. Februar 2006 in zahlreichen Medien gefeiert, ist selbst<br />
ausgebildeter Geiger und hat für die Violine in den 50er-Jahren<br />
Sonaten mit Klavierbegleitung geschrieben – durchaus noch<br />
für den eigenen Konzertgebrauch. Doch dann ging seine kompositorische<br />
Entwicklung jahrzehntelang ganz andere, vom ursprünglichen<br />
Leib- und Mageninstrument emanzipierte Wege.<br />
Erst vor kurzem, als Cerha als Auftragswerk für den „Concours<br />
Marguerite Long – Jacques Thibaud“ eine Rhapsodie für Violine<br />
und Klavier (2001) komponierte, trat das Instrument wieder<br />
ins Zentrum seines Interesses. Und zwar so sehr, dass sich diese<br />
Rhapsodie zu großer Besetzung auswuchs und sich in den Stirnsatz<br />
eines Violinkonzerts wandelte. Cerha schöpfte dabei auch<br />
tief aus dem Brunnen musikalischer Erinnerung: Die Kindheitserfahrung<br />
Zigeunermusik, burleske und kapriziöse Elemente spielen<br />
eine große Rolle und führen zu einer gewissen „leggierezza“,<br />
wie er betont.<br />
AUSBLICK UND RÜCKSCHAU<br />
Doch Vergangenheit (wenn man so will: sogar Musikgeschichte!)<br />
und Gegenwart gehen noch weitere Verbindungen ein, indem<br />
sich Cerha an einigen Stellen Schönbergs Phantasie für Violine<br />
und Klavier (1949) annähert, einem Werk, das ihm eingestandenermaßen<br />
„sehr ans Herz gewachsen“ ist, hat er doch als<br />
Geiger einst dessen europäische Erstaufführung gespielt. „Ein<br />
kleines Zitat aus meiner eigenen 2. Violinsonate auf dem dynamischen<br />
Höhepunkt des Satzes (‚Grave’) werde hingegen nur ich<br />
selbst wiedererkennen“, erwähnt der Komponist mit Augenzwinkern<br />
eine weitere Anspielung auf sein musikalisches Vorleben<br />
in diesem Gipfelwerk seines reichen Oeuvres, das Ausblick und<br />
Rückschau zugleich ermöglicht. Rückschau – eine solche muss<br />
bei Friedrich Cerha auch die organische Verbindung von Anregungen<br />
aus außereuropäischen Kulturkreisen mit einschließen.<br />
Etwa im Klangfarbenspiel des zweiten Satzes.<br />
„Im abschließenden Finale rapsodico wechseln ‚stürmische’ Passagen<br />
im Vierertakt mit wiegenden 6/8-Bewegungen. Im weiteren<br />
Verlauf wird vor allem rhythmisch auf den ersten Satz Bezug<br />
genommen, am Ende einer Quasi-Kadenz der Sologeige, an der<br />
orchestrale Einwürfe Anteil haben, auch auf den Gestus des<br />
Anfangs der Rhapsodie. Danach erscheinen die vier Elemente<br />
aus dem Nachtstück noch einmal in neuem Licht, ehe der stark<br />
variierte, heftige Anfang die Schlussphase einleitet.“ Dem Soloinstrument<br />
wird bei all dem größte und schnellste Wandlungs-<br />
fähigkeit abverlangt.<br />
Die Uraufführung am 18. Dezember 2005 im Wiener Konzerthaus<br />
wurde, misst man den spontanen, einhelligen Publikumserfolg<br />
und die Begeisterung der Kritik, zu einer Feierstunde kompositorischer<br />
Eindringlichkeit.<br />
„RAFFINESSE UND TIEFE“<br />
„Cerha, dem Doyen der österreichischen Musik unserer Zeit“,<br />
jubelte etwa Heinz Rögl in den Salzburger Nachrichten, „ist mit<br />
seinem Violinkonzert ein großartiges, bei aller Raffinesse und<br />
Tiefe unmittelbar sich erschließendes, virtuoses Konzertstück gelungen,<br />
das einen über die Dauer von dreißig Minuten niemals<br />
‚auslässt’. Es birgt vielgestaltige Wechsel in Stimmung und Dynamik,<br />
grandiose Klangfarbenmischungen im Orchester, hat als<br />
Mittelteil ein ‚Nachtstück’, in dem ostinate Gestalten in betörender<br />
Weise immer neu miteinander kombiniert werden. Und vor<br />
allem ist das Stück voller Witz und Pointen – enthüllt somit einen<br />
Charakter, der einer virtuosen Geigenmusik seit jeher gut steht.<br />
Was der Ton dieses Instruments alles zwischen Lachen und Weinen<br />
(oder beidem gleichzeitig) auszudrücken vermag, weiß der<br />
Geiger Friedrich Cerha, bei dem die tief sitzende Liebe zur Mu-<br />
Friedrich Cerha, Foto: Renate Publig