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Flohmarkt - GEA

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Europa – Frau mit WeitblickUnser größeres Zuhause jenseits der EUWenn du vor mir stehst und mich ansiehst, was weißt du von den Schmer zen, die in mir sind und was weiß ich vonden deinen. Und wenn ich mich vor dir niederwerfen würde und weinen und erzählen, was wüsstest du von mirmehr als von der Hölle, wenn dir jemand erzählt, sie ist heiß und fürchterlich. Schon darum sollten wir Menschenvoreinander so ehrfürchtig, so nachdenklich, so liebend stehn wie vor dem Eingang zur Hölle. Franz KafkaAnother Place. Crosby Beach, England, 1997. Foto von Anthony GormleyEuropäisch denken, empfinden, handeln– das hieß seit jeher: über die eigenenGrenzen hinaus sein. Die Liebe zu Europaverträgt sich nicht mit engherzigem»Eurozentrismus«. Denn schließlichheißt Europe soviel wie: die Frau, dieüber den Horizont sieht!Heimat ist, was in dir wohnt. Jede Heimat isteine geistige. Kein Naturgesetz gibt vor, dass Deutsch -land »von der Maas bis an die Memel, von der Etschbis an den Belt« zu reichen habe. Oder dass dieSteiermark sich »hoch vom Dachstein an (wo der Aarnoch haust) bis zum Wendenland am Bett der Sav«erstreckt. Dieses geographisch präzise daheim seinkennt man vor allem im deutschsprachigen Raum.Dass Heimat etwas nicht Objektivierbares darstellt, dasunsere Herzen und Köpfe – oft in widersprüchlicherWeise – bewohnt, wird deutlicher, wenn wir die jüdischeSehnsucht nach dem Zuhause betrachten: seitJahrtausenden verzehrt sie sich nach dem verheißenenLand, wollen zurück aus Ägypten, aus Babylon,aus der Zerstreuung in alle Welt. So vergeistigt istdiese wesentlich künftige Rückkehr, dass viele frommeJuden immer noch vor der Klagemauer mitten inJerusalem vor Heimweh weinen.Schließlich kennen wir auch die urgriechische Heimat,die immer in der lockenden Ferne liegt. Nicht vonungefähr ist die Odyssee seit über 3000 Jahren das hellenische»Nationalepos« schlechthin: die Geschichteeines Mannes, an dessen Heimkehr nach Krieg undendlosen Irrfahrten nur noch zwei Wesen im ganzenKosmos glauben: er selbst und seine ihm zutiefst verbundeneSchutzgöttin. Pallas Athene, die unsterblicheGöttin, bewundert einen Sterblichen. Odysseus’ durchdringendeBrillianz im Denken, seine pfeilschnell vo -ran eilende Intuition, sein unfassbares Improvisa tions -talent und schließlich der unverbrüchliche Glaube dieses»herrlichen Dulders«, wie ihn Homer nennt, seinaussichtsloses Unterfangen doch noch zu vollenden –dieser unwiderstehlichen Melange charakterlicher Stär -ken zollt die Göttin der Weisheit mehr als Respekt:Hier wird ein einziges Mal Freundschaft auf gleicherAugenhöhe zwischen Himmlischem und Irdischemmöglich.Die griechische Heimat ist immer fern. Daher die un -stillbare Sehnsucht der hellenischen Pioniere über denHorizont hinaus, heiter wie die Bläue, in der Himmelund Meer ineinander übergehen.Unfassbar diesseitig. Das heißt nicht, dass Hei -mat in Wolkenkuckungsheim liegt. (Nephelokok kygiaaus der Komödie »Die Vögel« von Aristophanes. Wiesehr dieses Stück doch der tristen politischen Gegen -wart gerecht wird! Da wird politisch – trotz ständigerBeteuerung der Gleichheit – mit Blockaden gedroht,da singen professionelle Lobhudler jede Mi sere schönund Wahrsager verkaufen das beste »Rating« an denMeistbietenden.)Was wir mit Heimat übersetzen, bedeutet von Volk zuVolk etwas völlig verschiedenes. Ja sogar von Dorf zuDorf fanden sogenannte Ethnolinguisten, sprachorientierteVölkerkundler, charakteristische Unterschiede.Australische Ureinwohner, Aborigines, beispielsweiseknüpfen das Heimatliche nicht einfach an die Land -schaft. Sie singen das Land aus der Traumzeit ins Dies -seits herüber; nicht irgendwo, sondern indem sie entlangvon »Songlines« ziehen, ungezählte Jahrtausendealte zugleich spirituelle und geographische Routen.Wir kennen also keinen globalen Heimatbegriff, sonderneine Fülle einzigartiger Heimaten. Diese habensoviel oder sowenig gemeinsam wie alle möglichenSpiele in Wittgensteins Beispiel:Betrachte z. B. einmal die Vorgänge, die wir »Spiele«nennen. Ich meine Brettspiele, Kartenspiele, Ballspiel,Kampfspiele, usw. Was ist allen diesen gemeinsam? —Sag nicht: »Es muss ihnen etwas gemeinsam sein,sonst hießen sie nicht ›Spiele‹« — sondern schau, obihnen allen etwas gemeinsam ist. — Denn, wenn du sieanschaust, wirst du zwar nicht etwas sehen, was allengemeinsam wäre, aber du wirst Ähnlichkeiten, Ver -wandtschaften sehen, und zwar eine ganze Reihe. Wirsehen ein kompliziertes Netz von Ähnlichkeiten, dieeinander übergreifen und kreuzen. Ähnlichkeiten imGroßen und Kleinen. Ich kann diese Ähnlichkeitennicht besser charakterisieren als durch das Wort »Fa -milienähnlichkeiten«.Auch die Heimaten bilden so eine Begriffsfamilie.Wenn wir auch nicht ihren gemeinsamen Nenner findenkönnen, so gibt es doch sozusagen einige universelle»Achsen«, um welche sich der Heimatbegriff — seier noch so exotisch — dreht:vereint arbeiten, zusammen kochen und essen, miteinandersingen und tanzen, Erzählungen lauschen und —gemeinsam denken!Und die mehr oder weniger umgrenzte Landschaft gehtin die Arbeits- oder Lebensmittel ein, sie prägt, wasbesungen wird, sie schenkt die Metaphern des Den -HUHKI HENRI QUELCUNabsolvierte eine Laufbahnals Tierwärter (Schönbrunn),Liedermacher, Opernsänger( Wr. Kammeroper/operamobile Basel ), Gentechnik -referent (GLOBAL 2000) undWirtschaftsjournalist und istderzeit als Universal-Frei -schaffender in der Hinterbrühltätig.Die edelste Nationunter allen Nationenist die Resignation.Johann Nepomuk Nestroy12 Nº 29/12 Nº 29/1213

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