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Flohmarkt - GEA

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Heimat – die Sicherungder SicherheitEin Gespräch mit Ulrike Kammerhofer über romantische Sehnsüchte,biologistische Heimatbilder und die Universalität von KaffeehäferlnPROF. DR. ULRIKEKAMMERHOFER-AGGERMANNGeb. 1955, Studium Volks kun -de/Kunstgeschichte in Graz. Seit1987 Leiterin des SalzburgerLandesinstitutes für Volkskunde.Seit 2005 Mitglied im Fachbeiratfür das Immaterielle Kulturerbeder Österreichischen UNESCO-Kommission.Die Wünsche und dasMögliche gehören zurRealität. Und der Antirealismusdes Gefühls:Dass ich mich weigere,eine Realität, die nichtauf mich eingeht, zuakzeptieren, sondernsage, ich setze meineeigene Realität dagegen,dieser Eigensinn istetwas, was für Menschenzum Realismus gehört.Realismus ist nicht Ab -bildung von Tatsachen.Alexander KlugeWOLFGANG BAUERstudierte Religionspädagogik,Philosophie und Psychologie,arbeitet als Journalist bei ORFSalzburg und bei <strong>GEA</strong> in Schrems.Moderator von Veranstaltungenund Tagungen sowie Leiter vonLangsam-Lauf-Kursen.www.stoffderheimat.atMMit dem Begriff Heimat setzt sich die europäischeKulturgeschichte noch nicht sehr lange auseinander.Er hat jedoch trotz seiner jungen Geschichte eineüber aus bewegte Entwicklung durchgemacht, sodie Leiterin des Salzburger Landesinstitutes fürVolks kunde, Dr. Ulrike Kammerhofer im Gesprächmit Wolfgang BauerWOLFGANG BAUER Frau Kammerhofer, das ThemaHei mat bietet in einer Zeit der Internationalität undGlobalisierung viele Zugänge. Dem war nicht immerso.ULRIKE KAMMERHOFER Wenn man sich das 19. Jahr -hundert anschaut, dann meint Heimat im Wesent -lichen das Vaterhaus und das Vaterland. Das eine istder konkrete Geburtsort, wo man erfasst ist – waswichtig ist für die Amtsstuben. Das andere betrifft dieStaatszugehörigkeit, die wiederum für den Militär -dienst der Männer von Bedeutung ist. In diesem Hei -matbegriff gibt es nichts Sentimentales, es geht nurum die öffentliche Zugehörigkeit.Das ändert sich jedoch gegen Ende des 19. Jahr -hunderts. Da kommen romantische Sehnsüchte auf, esist die Zeit des Historismus, in der man nach einerVerwurzelung in der Vergangenheit sucht, in derKünst ler nach dem wahren Ursprung der Kunst su -chen, in der immer mehr naturmythologische Ideenaufkommen. Da entwickelt sich ein romantischer Hei -matbegriff, der eine persönliche Zugehörigkeit sucht,ein Angebundensein, ein Hineingeborensein. Das istauch die Zeit, in der die vielen Heimatlieder entstehen,die wiederum Vorbilder werden für Landes- undBundeshymnen.WOLFGANG BAUER Mit welchen Namen ist diese Epo -che verknüpft?ULRIKE KAMMERHOFER Zum Beispiel Brahms und dieslawische Romantik der »ungarischen Tänze«. Auch inSkandinavien ist dieses Phänomen zu beobachten, dortnehmen Künstler in der Volksmusik Anklänge undbauen sie in ihre Symphonien ein. Oder Schubert-Lieder wie am »Brunnen vor dem Tore«. Da werdenErinnerungen an Sehnsuchtsorte gesetzt, an Ver trau -tes. Die Landeshymnen nehmen das auf und zählendie Leistungen eines Landes auf, nominieren die Sehn -süchte und Wünsche der Verankerungen. Diese heimatlicheOrientierung wird jetzt sehr lokal. Davon ausgehendbeginnt gegen Ende des 19. Jahrhunderts unddann in den 1930er Jahren im Nationalsozialismus dieSuche nach einem biologistischen und rassistischen,auf das Territorium bezogenen Heimatbegriff, der vonGeburt an eine Zugehörigkeit und einen Auftrag verbindet,anderes nicht zulässt und anderes der Ver tei -digung willen ausgrenzt. Da entsteht dann ein Heimat -begriff, aus dem heraus Kriege entstehen und mit demwir dann in unserer Identität bis in die 1970er und1980er Jahre zu kämpfen haben.WOLFGANG BAUER Wie sieht es in dieser Zeit mit demHeimatbegriff aus?ULRIKE KAMMERHOFER Im Zuge der 68er-Bewegunggreift man auf sozialistische Zugehörigkeitsbegriffezurück, die die Internationalität beinhalten. Und eskommt noch die Frage dazu: was macht das Mensch -sein aus? — ist es nur der Geburtsort, oder eine staatlicheZugehörigkeit, oder blonde Haarfarbe und blaueAugen? Was bedeutet Heimat überhaupt? Da kommenviele soziologische Überlegungen dazu. Heimat entwickeltsich zu einem Konzept der Lebensgestaltungund der persönlichen Absicherung. Der Heimatbegriffist eigentlich eine Strategie, mit sich selbst und derUmwelt fertig zu werden, und sich irgendwo in derWelt zu verankern, ein Kulturkonzept ...WOLFGANG BAUER ... mit dem sich viele wissenschaftlicheDisziplinen befassen ...ULRIKE KAMMERHOFER Ja, die Soziologen etwa, oderdie Kulturwissenschaftler und sogar die Psycho ana -lyse. Der Europäische Ethnologe Konrad Köstlin hateinmal gesagt: alles was wir an Normen und Ritualenhaben und an Lebenskonzepten setzen, ist im Grundeeine Sicherung der Sicherheit. Man will also absichern,Stoff der Heimat. Szene aus dem Dokumentarfilm von Othmar Schmiderer | www.stoffderheimat.atdass man wichtig und am richtigen Platz ist und dasrichtige Konzept vor sich hat.In den 1970er und 1980er Jahren kommen auch immermehr Heimatvereinigungen und Volkskulturvereineda zu, man denke an die vielen Ortsjubiläen, also die600- oder 1000-Jahr-Feiern, die eine Verankerung amEigenen suchen. Es ist aber auch die Zeit, in der ge -gen wartsorientierte Kulturvereine in den Landge mein -den aufkommen, in denen die Debatte über den Hei -matbegriff beginnt. In der man wiederum nach einerVerankerung sucht, aber eben mit den Werten aus den1930er Jahren nicht mehr kann. Und in der man dieVerbindungen dieser Werte zum eigenen Leben vermisst.Es geht also nicht mehr um Wohnorte und Vaterländer,sondern um Lebensplätze, wo der Mensch in einemnachhaltigen Konzept seine Vorstellungen vom eigenenLeben oder seine Selbstverwirklichung leben undsich entfalten kann.WOLFGANG BAUER Und gegenwärtig – wie steht es umden Heimatbegriff in einer Zeit der Globalisierung?ULRIKE KAMMERHOFER Mit der Öffnung und Erwei -terung der EU sind viele Regionalkulturkonzepte entstanden.Sie stellen eine Suche nach Identität der Re -gion dar, die notwendig ist. Denn wenn es viele gibt,will man sich auch abgrenzen, will Besonderes vorzeigen,will aber auch zu einem Dialog kommen. Dagibt es meiner Ansicht zwei Gefahren: einerseits dieÜberschwemmung mit historisierenden Regionalkul -tur konzepten, zum anderen die Gefahr der gegenseitigennegativen Abgrenzung. Da ist es wichtig, dasssämtliche Gruppierungen in der Gesellschaft, die verschiedenenReligionsgemeinschaften, Kulturen usw.ein Selbstbewusstsein entwickeln, aber aus diesemSelbst bewusstsein heraus auch die Achtung und denRespekt vor den anderen, um sich gegenseitig in ihrenKulturkonzepten auszutauschen oder zu bereichern.Das ist, glaube ich, unsere heutige Aufgabe: den Hei -matbegriff mehrdimensional zu sehen und in einerGesellschaft der Diversität positive Dialoge zu suchen.WOLFGANG BAUER Es ist auffällig, dass Regionenimmer selbstbewusster werden. Hat das mit der Glo -balisierung zu tun?ULRIKE KAMMERHOFER Ich denke schon. Ich bin aberauch der Ansicht, dass es um Wirtschaftskonzeptegeht. Das sind Brandings, die notwendig sind, umBesonderheiten hervorzuheben, um unterschiedlicheWer te anzupreisen, die dann selbstverständlich irgendwanneinmal in das Bewusstsein der Menschen übergehenund tatsächlich zu Identifikatoren werden undden Stolz auf die Region fördern.WOLFGANG BAUER Wie es Heimatmuseen zuhauf ma -chen ...ULRIKE KAMMERHOFER Heimatmuseen sind so etwaswie ein Stolz der Region. Dort hat man, so weit ichdas beurteilen kann, den besten Erfolg bei den Ein -heimischen, weil man wiedererkennbare Details bringt,weil man den eigenen Großvater in irgendeiner Formdrinnen finden kann oder auf eigene Kindheits er -innerungen stößt. Was Touristen in Heimatmuseenbetrifft: 1983 hat der Ethnologe Nils Arvid Bringeus ineiner viel beachteten Arbeit gezeigt, dass die verschiedenstenVolkskulturen international zusammenhängenund daher die emaillierten Kaffeehäferl der 1920erJahre in Norddeutschland gleich ausschauen wie beiuns. Und dass solche Gegenstände kaum etwas übereine Region aussagen, sondern vielmehr in die eigeneKindheit zurückversetzen. So können sich Touristenüber solche Güter in ihre eigene Kindheit und in dieErzählungen der Großeltern zurückversetzen und einGefühl der Beheimatung oder der Traditionsanbindungerfahren.Die WeltreiseWir haben heuer maleine Weltreise gemacht.Aber ich sag’s Ihnengleich, wie es ist: Dafahren wir nimmer hin.Gerhard Polt16 Nº 29/12Nº 29/1217

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