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Der Suizid als Herausforderung an Theologie und ... - Spitalseelsorge

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4Eing<strong>an</strong>g in das Leben geschaffen, aber viele Ausgänge, <strong>und</strong> dies ist der Vorzug desvernünftigen Menschen vor dem Tier... Sie (die Philosophie) lehrt, den selbstgewählten Toddem natürlichen vorzuziehen, den nur Toren einen schönen Tod nennen mögen", so schreibtSeneca in seinen berühmten Briefen. Er bewertet den Freitod <strong>als</strong> die Tat der menschlichenFreiheit. Zwar plädiert der Stoiker Epikur für innere Unerschütterlichkeit <strong>und</strong> Gelassenheit,meint aber dennoch, die Eintrittskarte in das Leben zurückgeben zu können, wenn er,vergleichbar dem sich l<strong>an</strong>gweilenden Theaterbesucher, von den Freuden des Lebens nichtmehr gefesselt werde. Die Stoa des 2.u. 3. Jahrh<strong>und</strong>erts bietet bis heute eine dergeschlossensten <strong>und</strong> ausführlichsten Lehren zum Recht auf Selbsttötung. Dies ist im Übrigenauch einer der entscheidenden Gründe, warum sich in der kirchlichen <strong>Theologie</strong> um diese Zeiteine eben so geschlossene Gegenposition herausbildet – wie wir noch sehen werden.In der Neuzeit bestreiten erstaunlicherweise K<strong>an</strong>t <strong>und</strong> Hegel – die großen Exponenten derAufklärungsphilosophie -, dass der Mensch ein unmittelbares Recht habe, seine Existenz zuvernichten. K<strong>an</strong>t ist entschieden der Meinung, der Selbstmord sei nicht gestattet, weil Gott ihnverboten habe, sondern weil er in sich verwerflich sei, denn: "Das Subjekt der Sittlichkeit inseiner eigenen Person zernichten, ist ebensoviel <strong>als</strong> die Sittlichkeit selbst ihrer Existenz nach,soviel <strong>an</strong> ihm ist, aus der Welt zu schaffen." Die Selbsttötung ist die Zerstörung der Sittlichkeit,d.h. die Vernichtung der Freiheit, dem alle <strong>an</strong>dern Güter nachgeordnet sind. David Hume, einZeitgenosse K<strong>an</strong>ts, ist entschieden <strong>an</strong>derer Meinung: Die Selbsttötung ist weder ein Verstoßgegen Gott noch gegen die Gesellschaft, sondern ein der menschlichen Natur eingestiftetesRecht. Es gelte darum, den Christen wie den Nichtchristen wieder in seine <strong>an</strong>geborene Freiheiteinzusetzen.Die philosophische Ausein<strong>an</strong>dersetzung um Für <strong>und</strong> Wider ist bis heute nicht abgeschlossen;<strong>und</strong> immerzu scheinen die Argumente, die in der Geschichte vorgebracht wurden, erneut zurDebatte zu stehen. Als Ethiker macht m<strong>an</strong> die Beobachtung, dass jedes Argument einGegenargument erzeugt. Ich will dies <strong>an</strong> einzelnen Argumenten verdeutlichen:Es wird etwa gesagt: Die Würde des Menschen liegt in seiner Freiheit. Das radikale Freiheitsverständnisdes Hum<strong>an</strong>ismus von der Antike bis zur Gegenwart umschließt auch dieFreiheit der Selbstauslöschung. Was soll eine Freiheit, wenn m<strong>an</strong> sie nicht dazu verwendenk<strong>an</strong>n, um sich ihrer endgültig zu begeben? So haben es die <strong>an</strong>tiken Philosophen verst<strong>an</strong>den, sohat es David Hume neu in die Diskussion eingebracht, <strong>und</strong> so wird es neuerdings etwa von der"Exit"-Bewegung verst<strong>an</strong>den. Freiheit erscheint hier <strong>als</strong> essentieller Aspekt menschlichenDaseins, <strong>als</strong> ein Privileg des "Hum<strong>an</strong>en". M<strong>an</strong> k<strong>an</strong>n d<strong>an</strong>n in Fortführung dieses Ged<strong>an</strong>kensfragen, ob es nicht Bedingungen gibt, aus denen ein sittliches Recht zur Selbsttötung ableitbarist, ob nicht Selbsttötung "das letzte Stück der mir gestellten Identitätsaufgabe" sein k<strong>an</strong>n.Verfehle ich nicht meine Identität, wenn ich "die letzte <strong>und</strong> tapfere Identität des Selbstmördersverweigere <strong>und</strong> ein Leben vorziehe, das nur noch die unaufhörliche Wiederholung meinerEinsamkeit <strong>und</strong> Nutzlosigkeit, meiner Angst <strong>und</strong> Traurigkeit" ist, wie P. Härlin formuliert.

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