Deutscher Sportlehrerverband eV (DSLV) - Hofmann Verlag
Deutscher Sportlehrerverband eV (DSLV) - Hofmann Verlag
Deutscher Sportlehrerverband eV (DSLV) - Hofmann Verlag
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Von besonderem Interesse ist in<br />
diesem Kontext die Untersuchung<br />
von Regner (2005). In einer qualitativen<br />
Studie hat er den Prozess und<br />
die Bedingungen der Entwicklung<br />
schuleigener Lehrpläne durch die<br />
Fachkonferenz Sport an drei Schulen<br />
in Nordrhein-Westfalen thematisiert.<br />
Vereinfacht dargestellt kommt<br />
er dabei zu folgendem Ergebnis<br />
(vgl. Regner, 2005, S. 131–163): Auch<br />
wenn sich die Bedingungen an den<br />
untersuchten Schulen deutlich voneinander<br />
unterscheiden, kann doch<br />
allgemein davon ausgegangen werden,<br />
dass die Arbeit in den Fachkonferenzen<br />
nicht von einem einheitlichen<br />
pädagogischen Grundverständnis<br />
geprägt ist. Vielmehr<br />
lässt sich die kollegiale Kooperation<br />
als „spontan“ und „sporadisch“<br />
kennzeichnen, wobei die individuelle<br />
Berufssozialisation und das<br />
Engagement der einzelnen Lehrkraft<br />
entscheidenden Einfluss auf<br />
die Erstellung des schuleigenen<br />
Lehrplans haben. Die hohe Akzeptanz,<br />
die schuleigene Lehrpläne bei<br />
den befragten Sportlehrkräften finden,<br />
kann nicht darüber hinwegtäuschen,<br />
dass die auf Schulebene entwickelten<br />
Pläne deutlich von den<br />
Anforderungen des amtlichen Lehrplans<br />
abweichen.<br />
Die Ergebnisse legen aber auch<br />
nahe, dass die Kooperationskultur<br />
der Lehrkräfte durch die Erarbeitung<br />
des schuleigenen Lehrplans<br />
positiv verändert werden kann. Je<br />
intensiver die Mitglieder der Fachkonferenz<br />
die Ziele des schuleigenen<br />
Lehrplans diskutieren, desto<br />
stärker ist der Gewinn für die Unterrichtspraxis<br />
der Lehrkräfte (vgl.<br />
Dr. Günter Stibbe<br />
ist Professor für<br />
Sportpädagogik<br />
an der Pädagogischen<br />
Hochschule<br />
Karlsruhe.<br />
Anschrift:<br />
Prof. Dr. Günter Stibbe<br />
Pädagogische Hochschule Karlsruhe<br />
Institut für Bewegungserziehung und Sport<br />
Bismarckstraße 10, 76133 Karlsruhe<br />
Regner, 2005, S. 161). Allerdings erfordert<br />
eine intensive Beschäftigung<br />
mit dem schuleigenen Lehrplan<br />
erhebliches Engagement der<br />
Beteiligten (ebd.).<br />
Schlussbemerkung<br />
Auch wenn durchaus ein wieder<br />
aufkeimendes Interesse an einer<br />
fachspezifischen Lehrplanforschung<br />
festzustellen ist, liegen bislang nur<br />
wenige Untersuchungen zur Arbeit<br />
an und zum Umgang mit schuleigenen<br />
Lehrplänen vor. Konsens besteht<br />
darin, dass sich der schuleigene<br />
Lehrplan als ein wesentliches Instrument<br />
der Lehrplanimplementation<br />
und Unterrichtsentwicklung<br />
erweisen kann. Da Absprachen auf<br />
Schulebene für Lehrkräfte eine höhere<br />
Verbindlichkeit für die individuelle<br />
Unterrichtsplanung zu haben<br />
scheinen als Regelungen der<br />
offiziellen Lehrpläne, lassen sich<br />
mit der Erstellung von Schulcurricula<br />
durchaus nachhaltigere Effekte<br />
der curricularen Steuerung erzielen.<br />
Das Schulcurriculum stellt<br />
gewissermaßen die Gelenkstelle<br />
zwischen staatlichem Lehrplan<br />
und Unterrichtsplanung dar, d. h.<br />
die schulinternen „Übersetzungen“<br />
sind deutlich näher an der unterrichtlichen<br />
Alltagspraxis orientiert.<br />
Die Entwicklung des schuleigenen<br />
Lehrplans kann überdies dazu beitragen,<br />
sowohl das pädagogische<br />
Konzept des amtlichen Lehrplans<br />
als auch die eigene Unterrichtspraxis<br />
zu reflektieren. Eine „schreibende“<br />
Fachkonferenz ist jedoch<br />
ohne besondere Anreize, Beratung<br />
und Unterstützung schnell überfordert.<br />
Ohne zusätzliche Hilfen ist die<br />
Gefahr groß, dass schuleigene Lehrpläne<br />
erheblich „hinter den erreichten<br />
Erkenntnisstand zur Lehrplanarbeit<br />
zurückfallen“ (Hericks &<br />
Kunze, 2004, S. 737).<br />
Anmerkungen<br />
(1) Die Bezeichnung für diese amtlichen<br />
Dokumente ist uneinheitlich. Der Begriff<br />
„Lehrplan“ oder „Fachlehrplan“ wird in<br />
diesem Beitrag meist synonym zu anderen<br />
gebräuchlichen Termini wie „Richtlinien“,<br />
„Rahmenplan“, „Bildungsplan“ oder<br />
„Curriculum“ verwendet.<br />
Vom Umgang mit Lehrplänen<br />
(2) Größere Aufmerksamkeit erzielen nur<br />
wenige Lehrpläne, wie die Hessischen<br />
Bildungspläne (1957), die Richtlinien<br />
von Nordrhein-Westfalen (1960) oder die<br />
1966 von der Kultusministerkonferenz beschlossenen,<br />
aber nicht in Kraft getretenen<br />
„Rahmenrichtlinien für die Leibeserziehung<br />
an den Schulen der Bundesrepublik<br />
Deutschland“.<br />
(3) Eine Ausnahme bilden die kritischen<br />
Untersuchungen zu den nordrhein-westfälischen<br />
Richtlinien Sport von 1980/81.<br />
Vgl. Aschebrock & Hübner (1988).<br />
(4) Auszunehmen ist hier die Studie von<br />
Hummel und Adler (2005).<br />
(5) Auch Schmoll kommt in seiner Auswertung<br />
von Unterrichtsentwürfen, die<br />
Sportreferendare in Nordrhein-Westfalen<br />
angefertigt haben, zum Ergebnis, dass sich<br />
die Unterrichtsplanung überwiegend an<br />
der Sachstruktur von Sportarten orientiert<br />
(2004, S. 141).<br />
Literatur<br />
Altenberger, H. u. a. (2005). Augsburger Studie<br />
zum Schulsport in Bayern. Ein Beitrag<br />
zur Qualitätssicherung und Schulsportentwicklung.<br />
Donauwörth: Auer.<br />
Aschebrock, H. & Hübner, H. (Hrsg.) (1988).<br />
Die nordrhein-westfälischen „Richtlinien<br />
Sport“ auf dem Prüfstand. Teil I und II.<br />
Münster: Lit.<br />
Aschebrock, H. & Hübner, H. (1989). Die<br />
Curriculumforschung ist tot – es lebe<br />
die Curriculumforschung! In K. Scherler<br />
(Red.), Sportpädagogik – wohin? (S. 87–<br />
119). Clausthal-Zellerfeld: Oberharzer<br />
Druckerei H. Greinert OHG.<br />
Aschebrock, H. & Stibbe, G. (2004). Tendenzen<br />
der Lehrplanforschung und<br />
Lehrplanentwicklung. In E. Balz (Hrsg.),<br />
Schulsport verstehen und gestalten. Beiträge<br />
zur fachdidaktischen Standortbestimmung<br />
(S. 89–102). Aachen: Meyer &<br />
Meyer.<br />
Atzert, J. (2004). Die Niedersächsischen<br />
Rahmenrichtlinien Sport für die gymnasiale<br />
Oberstufe des Gymnasiums. Evaluierung<br />
eines Lehrplankonzeptes. Göttingen:<br />
Cuvillier <strong>Verlag</strong>.<br />
Balz, E., Benning, A., Neumann, A. & Trenner,<br />
B. (1993). Wie Lehrer/innen die<br />
Richtlinien Sport einschätzen. Bielefeld:<br />
Universität Bielefeld.<br />
Bräutigam, M. (1986). Unterrichtsplanung<br />
und Lehrplanrezeption von Sportlehrern.<br />
Ahrensburg: Czwalina.<br />
Drenkow, E. & Hummel, A. (1997). Schulsportforschung<br />
in der DDR. Grundsätze<br />
– Funktion – Struktur. In J. Hinsching &<br />
A. Hummel (Hrsg.), Schulsport und<br />
Schulsportforschung in Ostdeutschland<br />
1945–1990 (S. 151–175). Aachen: Meyer<br />
& Meyer.<br />
Engler, H.-J., Hecker, G. & Hölter, G. (1981).<br />
Evaluation eines Sportcurriculums für<br />
die Primarstufe. Sportwissenschaft, 11<br />
(4), 420–439.<br />
Fessler, N. (2006). Schulsport. In H. Haag<br />
& B. Strauß (Hrsg.), Themenfelder der<br />
Sportwissenschaft (S. 205–226). Schorndorf:<br />
<strong>Hofmann</strong>.<br />
sportunterricht, Schorndorf, 56 (2007), Heft 4 103