4. 2. Fachlichkeit im Kontext von „Fall“- KooperationenIn der Zusammenarbeit mit den Gerichten, die auf Kontaktangebote ohnehin zumeist ablehnendreagieren würden (vgl. IV 1, 19), sowie mit dem Wiener Jugendamt würden die eigenenfachlichen Prinzipen häufig zum Konfliktpunkt. Seit 2003/2004 gibt es jährliche schwerpunktmäßigeVernetzungstreffen zwischen Mitarbeiterinnen der einzelnen Frauenhäusernmit den Leitenden <strong>Sozialarbeit</strong>erInnen der jeweils umliegenden Ämter für Jugend und Familie,zumal eine funktionierende Zusammenarbeit eine Grundvoraussetzung darstellt, um denvon Gewalt (mit-) betroffenen Kindern optimale Unterstützung zuteil werden zu lassen.(Tätigkeitsbericht 2004, 56). Laut Jahresbericht 2004 fand diese neue Gesprächskonstellationbei den TeilnehmerInnen beider Institutionen Zustimmung (vgl. Tätigkeitsberichte 2003,2004). Im Gegensatz dazu gestalte sich die Zusammenarbeit der beiden Einrichtungen in derkonkreten Fallarbeit als schwierig. Aufgrund differenter Auffassungen des Gewaltbegriffs sowiefeministischer sozialarbeiterischer Grundprinzipien würden die „fallspezifischen Kooperationen“– so eine Interviewpartnerin - zu einem der „schwierigsten Beratungsbereiche“ zählen(IV 1, 4). 10Eine Mitarbeiterin betont jedoch selbstkritisch, dass sich auch innerhalb der Beratungsstelleüber eine Schwerpunktverlagerung der Problemfälle in Richtung Delikte körperlicher Gewaltanwendungder eigene Gewaltbegriff im Laufe der Zeit geändert habe. Habe man früher einenweit gefassten Begriff von Gewalt gehabt, welcher etwa auch Auseinandersetzungen inScheidungsverfahren, Benachteiligungen auf öffentlichen Ämtern oder am Arbeitsmarkt inkludierthätte, so habe sich die aktuelle Arbeit vor allem auf eine Auseinandersetzung mitFällen massiver Gewaltdelikte und Misshandlungen verlagert (vgl. IV 1, 11). Dies erklärt sichnicht zuletzt auch aus der Übernahme der juristischen Prozessbegleitung. (Vgl. Tätigkeitsbericht2004, 52)Zum Konfiktgegenstand in der Zusammenarbeit mit dem Jugendamt gestalten sich nebenFragen des Besuchsrechts und der Obsorge mitunter Aufforderungen des Jugendamtes anMütter zur Kontaktnahme mit der Beratungsstelle, um Prozesse der Entscheidunfsfindungenzu forcieren. Dies widerspricht jedoch den Haltungen und Grundprinzipien der Beratungsstelle,deren Beratungsangebot an die Freiwilligkeit der Klientin gebunden ist und eine Auskunftspflichtuntersagt. Zudem steht die eindeutige Parteilichkeit der Beratungsstelle für ihreKlientinnen häufig im Widerspruch zu einer seitens der Mitarbeiterinnen des Jugendamtesgeforderten Haltung der Neutralität, doch - so die Erfahrung einer Mitarbeiterin - „das ist beivon Gewalt betroffenen Frauen oft einmal zu wenig nur neutral zu sein.“ (IV1, 5) Wenngleichoberstes Ziel und Aufgabe des Jugendamtes im Schutz des Kindes liegt, ist, also eine Parteilichkeitdem Kind gegenüber, so würde es aufgrund eines primär am System Familie ausgerichtetenmethodischen Ansatzes der Jugendamtssozialarbeit mitunter geschehen,„dass das Jugendamt die Stellung des Mannes übernimmt, weil es irgendwiedas Gefühl hat, die Frau ist jetzt so gestärkt durch uns, jetzt muss doch derarme Mann in dieser Situation auch gestärkt werden, dann kann es passierenund das passiert ja auch manchmal, das dann das Jugendamt sich auf die10 Anzumerken ist, dass keine entsprechenden Stellungnahmen seitens einer/einem MitarbeiterIn desAmtes für Jugend und Familie vorliegen, weshalb die Einschätzungen der Zusammenarbeit ausschließlichauf die Sichtweise der Interviewpartnerinnen verweist.23
Seite des Mannes schlägt und (…) die Frau dann in ihrer Situation vielleichtnicht so ernst nimmt, wie das wie das angemessen wäre. (…)“ (IV 3, 10) 11Uneinigkeit herrscht auch in der Einschätzung über das Ausmaß der Gefährdung) der beteiligterKinder („Gefahr im Verzug“). So würden deren Traumatisierungen, welche mehrheitlicheinhergehen mit der Gewalttätigkeit gegenüber der Mutter, sei es durch eigene direkte Misshandlungoder indirekt, in Form einer Instrumentalisierung zur Durchsetzung bestimmter Interessen,seitens des Jugendamtes häufig unterschätzt (vgl. IV1, 5; zum Thema Post-Traumatic-Stress-Disorder vgl. Logar 2001, 179). Den Statistiken der Beratungsstelle nachgaben im Jahr 2003 52% und 2004 51% der Mütter minderjähriger Kinder an, dass ihre Kinderebenfalls von Gewalt mitbetroffen sind (vgl. Tätigkeitsberichte 2003, 36 und 2004, 54;vgl. dazu auch die Standard-Headline „Wieder Gewaltattacken auf Frauen. Neue Übergriffevor eigenen Kindern in Wien und der Steiermark“ sowie den Standard-Artikel: „Brutales Endezweier Beziehungen“, vom 02.08.06,1 und 6).Konstatiert Hagemann-White, dass einst die Frauenhausbewegung die Machtausübung desTäters betonte, die Kinderschutzbewegung hingegen dessen Ohnmacht (Hagemann-White2005, 15, zit. nach Heidrich/ Rohleder 2005, 212), so verweisen die Erzählungen über dieHaltung mancher JugendamtsmitarbeiterInnen darauf, dass nach wie vor weibliches undmännliches Gewalthandeln im Generationsverhältnis anders beurteilt wird als männliches imGeschlechterverhältnis. Dem zufolge wird Gewalt gegen Frauen in Ehe und heterosexuellenPaarbeziehungen als geringer zu verurteilendes Gewalthandeln angesehen als Gewalt gegenKinder seitens Erwachsener.4.3. Bedingungen für fachliches ArbeitenWenngleich finanziell abgesichert und räumlich gut ausgestattet - lediglich die comptertechnischeAusrüstung wird seitens der Mitarbeiterinnen als unzureichend beschrieben - siehtsich die Beratungsstelle – vor allem aufgrund permanent steigender Klientinnenzahlen sowieeiner Verschiebung der Beweggründe (multi-Problemlagen) deutlich mit zeitökonomischenProblemen konfrontiert. Die Tatsache, dass sich die Klientinnengruppen verändert haben,d.h. sich vermehrt Frauen an die Beratungsstelle wenden, die mit Armut konfrontiert sind,bedingt neue Anforderungen an die Praxis der Sozialen Arbeit: Die Konfrontation mit fehlendenökonomischen Ressourcen erschwert die Zielsetzungen, d.h. eine Förderung der Selbständigkeitder Klientinnen sowie eine Möglichkeit zur Befreiung aus Gewaltbeziehungen.Dazu eine Mitarbeiterin:11 D.h. die jeweilige Forderung nach Einhaltung des Prinzips der Parteilichkeit einzelner Sozialer Einrichtungenihrer spezifischen Zielgruppe gegenüber, kann sich zum Konfliktpunkt zwischen diesen undzum Nachteil für die ihre KlientInnen gestalten. Zu fragen ist jedoch, ob es tatsächlich in der alltäglichenPraxis tatsächlich so etwas wie ein Prinzip der Neutralität überhaupt gibt, geben kann und ob einsolches überhaupt wünschenswert ist. Anzumerken ist, dass gerade in Bereichen Sozialer Arbeit mitKlientinnen, die von einer Mißachtung und Verletzung ihrer Menschenrechte bedroht sind, wie z.B.von Gewalt betroffene und bedrohte Menschen, eine neutrale Haltung seitens der <strong>Sozialarbeit</strong>erinnenzum Zynismus würde, jegliche ethische Grundprinzipien sozialer Arbeit ad absurdum führen würde.(Anm. der AutorInnen)24
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