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Baugeschehen und Geschichte am Dresdner Neumarkt

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Seite 20 <strong>Neumarkt</strong>KURIER Heft 3/2010<br />

Foto: Tilo Bergmann, Heroldsberg<br />

„GeschIchte<br />

DeR RekoNstRuktIoN,<br />

koNstRuktIoN DeR GeschIchte“<br />

Viele Fotowände mit jeweils Dutzenden von Rekonstruktionen verdeutlichten die Fülle von Rekonstruktionen aller Epochen.<br />

Impressionen einer wegweisenden Architekturausstellung<br />

von Tilo Bergmann<br />

R ekonstruktion ist zu einem Schlagwort<br />

unserer Zeit geworden, an dem sich die<br />

Geister scheiden. Ende Oktober 2010 ist im<br />

Münchner Architekturmuseum in der Pinakothek<br />

der Moderne die Ausstellung „<strong>Geschichte</strong><br />

der Rekonstruktion – Konstruktion der<br />

<strong>Geschichte</strong>“ zu Ende gegangen. Das zentrale<br />

Anliegen war, das umstrittene Thema „Rekonstruktion“<br />

aus den oftmals fixierten Denkmustern<br />

einer zunehmend verhärteten Diskussion<br />

zu befreien, indem man sich der Thematik aus<br />

Die Ausstellung „<strong>Geschichte</strong> der Rekonstruktion<br />

– Konstruktion der <strong>Geschichte</strong>“ in der<br />

Müncher Pinakothek der Moderne (21. Juli<br />

– 31. Oktober 2010)<br />

Foto: Internet<br />

wissenschaftlicher Perspektive näherte. Die<br />

„historische Bandbreite des Phänomens der<br />

Rekonstruktion <strong>und</strong> ihrer <strong>Geschichte</strong>“ wurde<br />

minutiös an unzähligen Einzelbeispielen durch<br />

die Jahrh<strong>und</strong>erte von der Antike bis zur Gegenwart<br />

dargestellt.<br />

Die zentrale Frage, die wie ein roter Faden<br />

durch die Ausstellung führte, ist: Warum hat<br />

es im Laufe der <strong>Geschichte</strong> eine Kontinuität<br />

von Rekonstruktionsbemühungen gegeben?<br />

Die unterschiedlichen Motive zur Rekonstruktion<br />

<strong>und</strong> die Bemühungen zur Genauigkeit der<br />

Rekonstruktion basieren dabei auf sehr unterschiedlichen<br />

Konzepten <strong>und</strong> sind nach Epoche<br />

<strong>und</strong> Kultur durchaus verschieden, auch wenn<br />

die Übergänge fließend sind. Zehn übergeordnete<br />

Themenkomplexe führten dem Besucher<br />

vor Augen, wie breit gefächert die Motivstränge<br />

der Rekonstruktion über die Jahrh<strong>und</strong>erte <strong>und</strong><br />

Kulturen sind.<br />

Rekonstruktion des authentischen<br />

Geistes <strong>und</strong> rituelle Wiederholung<br />

Die aus europäischer Perspektive wohl ungewöhnlichste<br />

Motivlage der Rekonstruktion<br />

stellt die „Rekonstruktion des authentischen<br />

Geistes <strong>und</strong> rituelle Wiederholung“ dar. Sie<br />

ist weitestgehend ein Bestandteil von Kulturkreisen<br />

des fernen Ostens, die auf einer<br />

zyklischen Zeitvorstellung basieren <strong>und</strong> im<br />

Gegensatz zur westlichen Kultur keinen linearen<br />

Fortschrittsgedanken haben. Die Identität<br />

des Ortes <strong>und</strong> die kulturelle Tradition zu<br />

bewahren stehen dabei im Vordergr<strong>und</strong>. Eine<br />

immerwährende rituelle Wiederholung des<br />

Schaffensmoments eines Bauwerkes soll seine<br />

ewige Dauer garantieren. Eine Weitergabe<br />

des authentischen Geistes des Bauwerks ist<br />

das Ziel der Rekonstruktion. Mit der Fähigkeit<br />

zur Wiederholungsleistung wird der Mensch,<br />

der die Tradition weiterführt, eingebettet in<br />

den lebendigen Teil einer höheren Ordnung.<br />

Das Alter <strong>und</strong> die Originalität der Substanz,<br />

die in der westlichen, modernen Denkmalpflege<br />

von solch eminenter Bedeutung sind,<br />

werden in diesem kulturellen Zus<strong>am</strong>menhang<br />

als weitgehend bedeutungslos betrachtet.<br />

Ein imposantes Beispiel dieses Willens<br />

zur Kontinuität ist der Schrein der Ise in Japan,<br />

der seit nicht weniger als 1300 Jahren<br />

alle 20 Jahre unter hohem Aufwand präzise<br />

nach dem Abbild des Vorgängerbaus neu errichtet<br />

wird, der wiederum im Anschluss daran<br />

niedergelegt wird.<br />

Rekonstruktion <strong>am</strong> heiligen Ort<br />

– religiöse <strong>und</strong><br />

architektonische Kontinuität<br />

Die Thematik der „Rekonstruktion <strong>am</strong> heiligen<br />

Ort – religiöse <strong>und</strong> architektonische Kontinuität“<br />

zeigt das Bedürfnis des Menschen nach<br />

Kontinuität als Universalmotiv. Denn in allen<br />

Religionen <strong>und</strong> Kulturen sind sakrale Orte<br />

als Zeugnis für die Religion <strong>und</strong> den Glauben<br />

zu finden. Die Heiligkeit eines Ortes <strong>und</strong> der<br />

Glaube, der d<strong>am</strong>it verb<strong>und</strong>en ist, finden allerorts<br />

oftmals in aufwändigen Bauten ihren Ausdruck.<br />

Bei einer Beschädigung oder Verlust dieser<br />

Bauten k<strong>am</strong> es im Verlauf der Jahrh<strong>und</strong>erte<br />

immer wieder zur Wiederherstellung an exakt<br />

derselben Stelle, <strong>und</strong> diese Kontinuität bezog<br />

sich dann vielfach auch auf die Gestalt der Gebäude.<br />

Zerstörte griechische Tempel wurden<br />

seinerzeit ebenso wiederhergestellt wie Kuppeln<br />

<strong>und</strong> Minarette isl<strong>am</strong>ischer Moscheen oder<br />

die Gewölbe <strong>und</strong> Türme christlicher Kirchen.<br />

Sogar nach dem Zweiten Weltkrieg war diese<br />

Haltung im Bezug auf Sakralbauten vorrangig.<br />

Während es beim Wiederaufbau der Stadtbilder<br />

oftmals zu einem deutlichen Bruch mit<br />

der Vergangenheit k<strong>am</strong>, wurden viele zerstörte<br />

Kirchen, zumindest äußerlich, ohne Diskussion<br />

wieder in alter Form rekonstruiert.<br />

Rekonstruktion von Bildern<br />

<strong>und</strong> Symbolen einer Stadt<br />

Aus der Perspektive des Wiederaufbaus des<br />

<strong>Dresdner</strong> <strong>Neumarkt</strong>s ist die Thematik „der Rekonstruktion<br />

von Bildern <strong>und</strong> Symbolen einer<br />

Stadt wie“ auch „die Rekonstruktion zur Wiederherstellung<br />

der Einheit eines Ensembles<br />

oder zur Wiedergewinnung eines Raumes“<br />

Foto: Internet<br />

1/3 aNzeIGe queR<br />

elBtalDRuck<br />

<strong>Neumarkt</strong>KURIER Heft 3/2010 Seite 21<br />

Die Reste des C<strong>am</strong>panile <strong>am</strong> Markusplatz zu Venedig nach dessen Zus<strong>am</strong>mensturz <strong>am</strong><br />

14. Juli 1902.<br />

von besonderem Interesse. Architektur wird in<br />

diesem Zus<strong>am</strong>menhang als ein symbolisches<br />

Medium <strong>und</strong> somit ein kulturelles Gedächtnis<br />

wahrgenommen, das über das Gedächtnis<br />

des Individuums hinausgeht. Durch die historische<br />

Architektur können Inhalte über große<br />

Zeiträume vermittelt werden, die Personen <strong>und</strong><br />

Gruppen eine kulturelle Identität geben. Häufig<br />

verdichten sich Bild <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong> einer Stadt<br />

in wenigen Bauwerken, die stellvertretend für<br />

das Ganze stehen. Diese Stadtsymbole, ob einzelne<br />

Gebäude, Plätze oder Straßenzüge, sind<br />

für das kulturelle Gedächtnis, Selbstverständnis<br />

<strong>und</strong> die eigene Identität so bedeutend,<br />

dass im Falle eines Verlustes immer wieder<br />

Wiederherstellungsbemühungen erfolgen. Aus<br />

chronologischer Sicht unterscheiden sich die<br />

Bemühungen in Belgien <strong>und</strong> Nordfrankreich<br />

nach einem exaktem Wiederaufbau in der Zwischenkriegszeit<br />

(Arras in Nordfrankreich, Tuchhalle<br />

in Ypern <strong>und</strong> Rathaus von Diksmuide in<br />

Belgien) „spiegelbildlich“ von der Epoche nach<br />

dem Zweiten Weltkrieg, als vielerorts bewusst<br />

nicht rekonstruiert wurde, obwohl die Mehrheit<br />

der Bürger sich Rekonstruktionen <strong>und</strong> Wiederaufbau<br />

wünschten. Erst im Zuge des Generationswechsels<br />

intensivierte sich gegen Ende<br />

des letzten Jahrh<strong>und</strong>erts inmitten unwirtlicher<br />

Stadträume das Bedürfnis nach Rekonstruktion<br />

städtischer Symbole <strong>und</strong> Identifikationszei-<br />

wIRD DuRch DRuckeReI selBstÄNDIG BeleGt.<br />

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