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RICHARD L. CARY VORLESUNG „Sucht zuerst das ... - Quäker-Hilfe

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Der SchreiAus dem Warten steigt oft ein Schrei. „O Herr, mein Gott, ich rufe um <strong>Hilfe</strong> desTags, ich schreie zu dir aus der Nacht!“ – „Aus tiefer Not schrei ich zu dir, HerrGott, erhör mein Flehen!“. „Lass mich nicht zu Schanden werden!“ Die Psalmenhaben mich <strong>das</strong> Schreien gelehrt.Schreien, Wehklagen. Kurt Wolff, der die Psalmen auf persönliche Weiseschrieb aus unserer Zeit heraus, betet in einem von ihnen: „Ich jammere nicht,Herr, ich jammere nicht - ich klage!“Was tut die Klage, <strong>das</strong> berechtigte Klagen von Herzensgrund? Was tut deraufrichtige Schrei?In ihm anerkenne ich meine Lage, wie ich sie fühle, meine Hilflosigkeit, ganzund gar. In ihm öffne ich mein Herz meiner Realität, die ich nicht länger leugnenkann. Und: Der Schrei eröffnet einen Raum, der über mich und meine Nothinausgeht. Er sprengt <strong>das</strong> Gefängnis der Not, in dem ich stecke. In meinemSchrei strecke ich mich in diesen größeren Raum hinein. Ich wachse an meinemSchrei.Der Schrei drückt Glauben aus, von dem ich vielleicht nicht wusste, <strong>das</strong>s ichihn habe. Ich würde nicht schreien, wenn ich ins tiefe Wasser falle, wenn danicht tief in mir irgendwo ein Glaube wäre, <strong>das</strong>s da Rettung ist, ob nun in derForm, wie ich sie mir vorstelle, oder anders.Mutter Theresa sagte es so: „Bete, wie du kannst, nicht, wie du nicht kannst“.Einem, der ihr schrieb, er möchte ja gern beten, aber wie könne er, da er nichtan Gott glaube, antwortete sie: „Du brauchst nicht an Gott zu glauben, um zubeten. Bete einfach, und du wirst finden, <strong>das</strong>s du Antwort erfährst“.Wenn wir uns bangen um eine bedrohliche Weltlage, um unsere spezifischeAntwort darauf als Quäker, haben wir geschrien? Haben wir uns in den Segendieser zweifachen Wirkung des Schreis begeben? Wer sind wir Zwerge, <strong>das</strong>swir im engen Raum unserer Beklemmung Antwort finden wollen?Die AufgabeZwei weitere Dinge habe ich gelernt über die Voraussetzungen zum Empfangenmeiner persönlichen Aufgabe im Weinberg Gottes, nach der ich dürste: Ichmuss willig werden, <strong>das</strong> zu tun, was Gott von mir will. Die Aufgabe anzunehmen,die ich als die Gottgegebene erkenne, auch wenn sie meinen persönlichenVorstellungen und Wünschen vorerst zu widersprechen scheint. Ich habehier sehr große Überraschungen erlebt, die auch schmerzhaft waren. Aber dieFreude lag darunter, an der Wurzel.Ich kann nur geben, und darf nur geben, was mir gegeben ist.Die zweite Weisung habe ich aus dem Mund eines Kindes gehört, an einerJahresversammlung der sogenannten Conservative Friends in Ohio. EinesAbends erzählte uns dieses Kind, was es tagsüber gelernt habe in seinem Kinderprogramm.„Wenn wir etwas brauchen oder wünschen, dürfen wir es Gottsagen, und dann müssen wir warten. Und während wir warten, müssen wir<strong>das</strong> tun, von dem wir wissen, <strong>das</strong>s wir es tun müssen“. Ich zähle diesen Ratschlagzu den nützlichsten, die ich von den Freunden empfangen habe. Wirneigen dazu, in unserm Eifer, <strong>das</strong> zu übersehen oder als gering zu achten, wasuns unmittelbar zu tun gegeben ist, während wir uns nach einer „wichtigeren“Aufgabe strecken, durch die wir „Größeres“ zu bewirken hoffen. Das treulichund von ganzem Herzen zu tun, was meinem bis dahin empfangenen Maß vonLicht entspricht, bereitet mich dafür, mehr Licht zu empfangen, vielleicht aufdie Aufgabe hin, nach der ich mich sehne.GeschäftigkeitWas hindert unsere Aufgabe? Wenige Tage vor diesem Vortrag bin ichaufgewacht mit einem Wort des Dichters Rilke, <strong>das</strong> mich als junger Menschbeschäftigt hat: „...unsern Schatz an Unsichtbarkeit mehren...“. (9) Ich hattelange nicht daran gedacht.Eine Aufforderung, die an die Menschen unserer Zeit gerichtet scheint. Wiralle wissen von jener Geschäftigkeit, die uns kaum mehr Zeit lässt, auf <strong>das</strong>Wesentliche aufmerksam zu sein. Im pausenlosen Laufen nach dem Sichtbarenerblindet unser spirituelles Auge. Wir laufen an dem vorbei, was wir eigentlichtun sollten: Was wir tun, wird belanglos. Wir verpassen göttliche Hinweiseund offene Türen. Unser hochbewegtes, multidimensionales Leben wird imKern unkreativ. Der Sinn ist verloren. Die innere Erfrischung bleibt aus. Wirsprechen von Burn-out.Nur mit Zittern wage ich es, euch Auszüge aus einem Brief vorzulegen, derzu den radikalsten Schriftstücken gehört, die ich mit mir trage. Er stammtvon dem amerikanischen Trappistenmönch Thomas Merton, der durch seineBücher unzähligen Menschen unserer Zeit – einschließlich Quäkern – eineBrücke vermittelt hat zwischen unserer spirituellen Entfremdung und dem,wonach sich letztlich jeder Mensch zutiefst sehnt. Der Brief, mittlerweileöffentlich geworden und mir vor Jahren von einer Quäkerin meiner Jahresversammlungzugesandt, ist gerichtet an einen, der in leitender Stellung in einerFriedensorganisation tätig war und sich in Überarbeitung, Erschöpfung, undEntmutigung an Merton wandte. Nach einigen verständnisvollen praktischenHinweisen rät Merton: „Sei nicht abhängig von der Hoffnung auf Resultate. Inder Art von Arbeit, die du auf dich genommen hast, musst du akzeptieren, <strong>das</strong>sdeine Arbeit wertlos erscheinen kann und vielleicht keine Resultate erzielenwird... Indem du dich an diese Aussicht gewöhnst, wirst du dich mehr undmehr konzentrieren nicht auf Resultate, sondern auf den Wert, die Richtigkeit,die Wahrheit der Arbeit selbst... und du wirst immer weniger kämpfen für eineIdee und mehr und mehr für spezifische Menschen. Die Breite deines Engage-24 25

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