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Thesen zum 50. Jahrestag der Berliner Mauer

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<strong>Thesen</strong> <strong>zum</strong> <strong>50.</strong> <strong>Jahrestag</strong> <strong>der</strong> <strong>Berliner</strong> <strong>Mauer</strong><br />

Ein Positionspapier von:<br />

Arnold Schoenenburg, Wolfgang Dietrich, Torsten Koplin, Birgit Schwebs, Carsten<br />

Hanke, Birgit Krause, Waltraut Tegge, Ingrid Memmrich, Wolfhard Goldbach, Nico<br />

Burmeister, Ralf Malachowski, Gerd Walther, Barbara Borchardt, Christoph Küsters<br />

und Michael Knischka<br />

Der <strong>50.</strong> <strong>Jahrestag</strong> des Baus <strong>der</strong> <strong>Berliner</strong> <strong>Mauer</strong> ist für DIE LINKE Mecklenburg –<br />

Vorpommern Anlass, eine eigene Bewertung <strong>der</strong> Ereignisse vorzunehmen. Den<br />

verfügbaren Fakten folgend, solle versucht werden, <strong>der</strong> historischen Wahrheit nahe zu<br />

kommen. Daraus sind die notwendigen Schlussfolgerungen zu ziehen.<br />

Erstens<br />

Die politische Auseinan<strong>der</strong>setzung, die den Rahmen, den Grund für den Bau <strong>der</strong> <strong>Mauer</strong><br />

bildete, war weltumspannend, global. Mit dem Sieg im 2. Weltkrieg hatte die Sowjetunion<br />

international ungeheuer an Macht, Ansehen und Einfluss gewonnen Die Völker in Asien<br />

und Afrika waren in Bewegung gekommen Das Kolonialsystem begann zu zerbröckeln.<br />

Riesenreiche wie China und Indien befreiten sich. Der Einfluss <strong>der</strong> kapitalistischen<br />

Hauptmächte schrumpfte scheinbar unaufhaltsam.<br />

Vor diesem Hintergrund setzten die USA, England und Frankreich alles daran, den<br />

Einfluss des Sozialismus in Europa einzudämmen und wenn möglich zurück zu drängen.<br />

Mit <strong>der</strong> so genannten „Truman-Doktrin“ wurde die ideologische Begründung geliefert. Die<br />

Anti-Hitler-Koalition zerbrach, sie wurde von den Westmächten verlassen. Damit begann<br />

<strong>der</strong> Kalte Krieg.<br />

Schritt für Schritt entstand aus den drei westlichen Besatzungszonen die Bundesrepublik.<br />

Eine Zäsur bildete in diesem Zusammenhang die Einführung <strong>der</strong> DM in den westlichen<br />

Besatzungszonen und in Westberlin am 2l . Juni 1948. Die BRD wurde als Gegenentwurf<br />

und Bollwerk gegen die Län<strong>der</strong> Osteuropas aufgebaut. Einer <strong>der</strong> Spitzendiplomaten <strong>der</strong><br />

USA, George F. Kennan, schrieb 1945 in seinen Memoiren: .,Die Idee, Deutschland<br />

gemeinsam mit den Russen regieren zu wollen, ist ein Wahn... . Besser ein zerstückeltes<br />

Deutschland, von dem wenigstens <strong>der</strong> westliche Teil Deutschlands als Prellbock für die<br />

Kräfte des Totalitarismus wirkt, als ein geeintes Deutschland, das diese Kräfte wie<strong>der</strong> bis<br />

an die Nordsee vorlässt."<br />

Die sowjetisch besetzte Zone Deutschlands wie<strong>der</strong>um wurde nach dem Willen <strong>der</strong><br />

Sowjetunion gestaltet. Es verstand sich von selbst, dass auch sie nicht bereit war, auf<br />

dieses Territorium zu verzichten.<br />

In beiden auf deutschem Boden entstandenen Staaten waren die Souveränitätsrechte<br />

eingeschränkt.<br />

Die Grenzen zwischen den westlichen Besatzungszonen und <strong>der</strong> sowjetischen<br />

Besatzungszone, später zwischen BRD und DDR, aber auch zwischen West- und<br />

Ostberlin, zwischen Westberlin und <strong>der</strong> DDR waren nicht nur Grenzen in Deutschland,<br />

son<strong>der</strong>n vor allem Grenzen zwischen zwei konkurrierenden und sich feindlich gegenüber<br />

stehenden politischen, wirtschaftlichen und militärischen Blöcken.<br />

Über grundlegende Entwicklungen in Deutschland wurde bis 1989 nicht zuerst in Berlin<br />

o<strong>der</strong> Bonn entschieden, son<strong>der</strong>n in Moskau, Washington, London und Paris.


Zweitens<br />

Die sowjetische Besatzungszone und von Oktober 1949 an die DDR hatten als <strong>der</strong><br />

kleinere und wirtschaftlich schwächere Teil Deutschlands die ungünstigere Position in <strong>der</strong><br />

Systemauseinan<strong>der</strong>setzung. Dieser Nachteil ist bis 1989 nicht ausgeglichen worden.<br />

Die Bindung <strong>der</strong> BRD an die westlichen Industriestaaten, insbeson<strong>der</strong>e die USA, sorgte<br />

für eine rasche Belebung <strong>der</strong> Wirtschaft und des Konsums. Die USA setzten am 3.4.1948<br />

das Gesetz über ein europäisches Wie<strong>der</strong>aufbauprogramm (ERP) in Kraft, mit seinem<br />

Kern, dem Marshallplan.<br />

Insgesamt wurden so durch die USA 3,3Mrd.$ nach Westdeutschland und Westberlin<br />

gepumpt, ein wesentlicher Ausgangspunkt für das so genannte Wirtschaftswun<strong>der</strong>.<br />

Ostdeutschland musste bis 1954 Reparationsleistungen im Wert von l3 Mrd. $ erbringen,<br />

vor allem aus <strong>der</strong> Demontage von Industrieausrüstungen. Die Reparationsleistungen<br />

Westdeutschlands an die Westmächte betrugen 517 Mio. $. (Brockhaus)<br />

Von 1950 bis 1959 wurden in <strong>der</strong> BRD pro Kopf <strong>der</strong> Bevölkerung für 7400 DM<br />

Investitionen durchgeführt, Während es in <strong>der</strong> DDR 4650 DM waren. (Keßler/Streletz)<br />

Drittens<br />

Westberlin wurde als .,Pfahl im Fleische <strong>der</strong> DDR" aufgebaut. Die in <strong>der</strong> jüngeren<br />

Geschichte wohl einmalige Situation, dass inmitten eines Staates ein frei zugänglicher<br />

„Brückenkopf" des politischen Kontrahenten ganz legal existierte. wurde intensiv zur<br />

Destabilisierung <strong>der</strong> DDR genutzt. Das betrifft beson<strong>der</strong>s die Unterstützung <strong>der</strong> Flucht<br />

Hun<strong>der</strong>ttausen<strong>der</strong> aus <strong>der</strong> DDR, Währungsspekulationen und die Beschäftigung von<br />

Menschen aus <strong>der</strong> DDR in Westberlin. Berlin war jener Zeit <strong>der</strong> wohl größte internationale<br />

Spionagetummelplatz.<br />

Viertens<br />

Die Politik <strong>der</strong> Bundesrepublik war - in Abstimmung mit den Westmächten - von Anfang<br />

an auf die Beseitigung <strong>der</strong> DDR gerichtet. Von den herrschenden politischen Kräften <strong>der</strong><br />

Bundesrepublik wurde im Bündnis mit den Westalliierten die Herstellung eines<br />

einheitlichen Deutschlands auf <strong>der</strong> Grundlage eines Friedensvertrages verhin<strong>der</strong>t.<br />

Diesbezügliche Initiativen <strong>der</strong> Sowjetunion – auch in den Jahren 1958/59 wurden<br />

abgelehnt. Die DDR wurde vom Westen nicht als Staat anerkannt. Die Bundesrepublik<br />

erhob für sich allein den Anspruch, Deutschland zu vertreten. Daraus resultierte, dass die<br />

Flucht von DDR- Bürgerinnen und -bürgern in die Bundesrepublik lediglich als<br />

Wohnortswechsel deutscher Staatsbürgerinnen und -bürger behandelt wurde. Die<br />

Abwerbung von Arbeitskräften schadete <strong>der</strong> DDR enorm, <strong>der</strong> westdeutschen Wirtschaft<br />

brachte sie zusätzliche Dynamik und Profit. Jährlich verließen zwischen 1952 und l96l<br />

130.000 bis 290.000 Menschen die DDR.<br />

Fünftens<br />

Die DDR steckte 1961 in einer sich seit Ende <strong>der</strong> fünfziger Jahre sich vertiefenden<br />

Krise. Das 1958 auf dem V. Parteitag <strong>der</strong> SED verkündete Ziel, die BRD wirtschaftlich und<br />

in <strong>der</strong> Konsumtion zu überholen, wurde nicht annähernd erreicht. Die mit hohem Druck<br />

auf die Bauern verbundene Vergenossenschaftlichung <strong>der</strong> Landwirtschaft führte nicht nur<br />

zur Flucht ganzer Bauernfamilien, son<strong>der</strong>n auch zu Engpässen in <strong>der</strong> Versorgung mit<br />

Nahrungsgütern.


Sechstens<br />

Der <strong>Mauer</strong>bau war eine zwingende Konsequenz aus <strong>der</strong> wirtschaftlichen und<br />

politischen Krise, die die akute Gefahr eines kriegerischen Konflikts in sich barg.<br />

Aus den Memoiren von Franz Josef Strauß, aus Protokollen von Beratungen<br />

Chruschtschows mit Kennedy und aus Historikerberichten geht hervor, dass <strong>der</strong> Westen<br />

durchaus mit Krieg rechnete und entsprechende Planungen anstellte. Jedoch ist daraus<br />

auch sichtbar, dass <strong>der</strong> Präsident <strong>der</strong> USA zu Recht die Folgen eines solchen Krieges<br />

fürchtete. ln einem NDR- Interview von 12.8.1976 berichtete Kennedys ehemaliger<br />

Sicherheitsberater, Walt Rostow, Kennedy habe im Juli 1961 folgendes gesagt:<br />

„Chruschtschow sieht sich einer unerträglichen Lage gegenüber. Die DDR blutet<br />

sich zu Tode, und als Folge ist <strong>der</strong> ganze Ostblock in Gefahr. Er muss etwas<br />

unternehmen, um das aufzuhalten. Vielleicht eine <strong>Mauer</strong>?"<br />

Vom damaligen englischen Premier ist die Tagebucheintragung belegt." Über das Berlin-<br />

Problem könnten wir in ein Desaster schlittern in eine schreckliche diplomatische<br />

Nie<strong>der</strong>lage o<strong>der</strong> (aus kompletter Unfähigkeit ) in einen nuklearen Krieg."( Nordkurier vom<br />

21.6.I I )<br />

Die Errichtung <strong>der</strong> <strong>Mauer</strong> um Westberlin erfolgte in engem Zusammenwirken <strong>der</strong><br />

sowjetischen Streitkräfte und <strong>der</strong> Sicherheitsorgane <strong>der</strong> DDR. Entgegen an<strong>der</strong>en<br />

Darstellungen ist davon auszugehen, dass die Initiative dazu letztlich von Chruschtschow<br />

ausging, wenngleich sie auch den Eigeninteressen <strong>der</strong> DDR-Führung entsprach.<br />

Siebtens<br />

Die Entscheidung über den <strong>Mauer</strong>bau war l96l für die Führungen <strong>der</strong> Sowjetunion und<br />

<strong>der</strong> DDR ohne vernünftige Alternative. Angesichts drohen<strong>der</strong> Kriegsgefahr und <strong>der</strong><br />

Ablehnung sowjetischer Vorschläge über einen Friedensvertrag zu einem einheitlichen,<br />

neutralen Deutschland zu kommen, schien ihnen dies <strong>der</strong> einzig gangbare Weg.<br />

Der Bau <strong>der</strong> <strong>Mauer</strong> wurden von den Westmächten akzeptiert.<br />

Nach Errichtung <strong>der</strong> <strong>Mauer</strong> begann auch wegen des entstandenen Kräfteverhältnisses<br />

eine Periode friedlicher Koexistenz in Europa, die unter an<strong>der</strong>em durch die weltweite<br />

Anerkennung <strong>der</strong> DDR gekennzeichnet war. Der Frieden in Europa war sicherer<br />

geworden.<br />

Achtens<br />

Für viele Menschen war die Errichtung <strong>der</strong> <strong>Mauer</strong> mit persönlichen Konsequenzen<br />

verbunden, die sie nur schwer o<strong>der</strong> gar nicht ertragen wollten o<strong>der</strong> konnten. Es wurden<br />

Familien getrennt, Lebensplanungen durchkreuzt, Reisefreiheit blieb eine Utopie.<br />

Menschen verloren an <strong>der</strong> Grenze ihr Leben, darunter mindestens 136 Menschen, die an<br />

<strong>der</strong> Staatsgrenze zu Westberlin auf <strong>der</strong> Flucht umgekommen sind (Potsdamer Institut für<br />

Zeitgeschichte), aber auch 8 Grenzsoldaten, die von Westberliner Polizei, Fluchthelfern<br />

o<strong>der</strong> Deserteuren getötet wurden.


Neuntens<br />

Die Abriegelung <strong>der</strong> Grenze 1961 führte zunächst zu einer relativen Stabilität <strong>der</strong> DDR,<br />

war jedoch nur ein Aufschub ihres Zusammenbruchs.<br />

Der Bau <strong>der</strong> <strong>Mauer</strong> offenbarte zugleich grundlegende Probleme des Gesellschaftssystems<br />

in <strong>der</strong> DDR. Zu ihnen gehörte das Verständnis eines autoritären Staatssozialismus, die<br />

Konzentration <strong>der</strong> Macht in den Händen <strong>der</strong> SED, die Reglementierung und Steuerung<br />

<strong>der</strong> Wirtschaft fern <strong>der</strong> Bedürfnisse <strong>der</strong> produktiven und sozialen Bereiche <strong>der</strong><br />

Gesellschaft, die bürokratische Zentralisation von Kultur, Wissenschaft und Bildung sowie<br />

die politische Entmündigung <strong>der</strong> Bürger und die Gängelei bzw. Kriminalisierung<br />

An<strong>der</strong>sdenken<strong>der</strong>. Es war nicht gelungen, den Sozialismus in <strong>der</strong> DDR so zu gestalten,<br />

dass er für die Mehrheit <strong>der</strong> Bevölkerung tatsächlich als bessere Gesellschaftsordnung<br />

gegenüber dem westlichen System begriffen und erlebt werden konnte. Das hätte<br />

erfor<strong>der</strong>t, die Wirtschaft im globalen Maßstab konkurrenzfähig und attraktiv zu gestalten,<br />

<strong>der</strong> individuellen Selbstverwirklichung breiten Raum zu geben und die demokratischen<br />

Rechte entschieden zu stärken. Das aber ist in den 28 Jahren <strong>der</strong> Existenz <strong>der</strong> <strong>Mauer</strong><br />

nicht o<strong>der</strong> unzureichend geschehen.<br />

Zehntens:<br />

Nutznießer und Verteidiger des kapitalistischen Systems instrumentalisieren den<br />

13.August 1961 um jedwede Suche nach gesellschaftspolitischen Alternativen jenseits<br />

des Kapitalismus bereits im Keim zu ersticken.<br />

Eine seriöse Debatte um den <strong>Mauer</strong>bau und ihre Existenz verlangt auch nach kritischen<br />

Auseinan<strong>der</strong>setzungen mit den Ursachen von heute existierenden <strong>Mauer</strong>n und<br />

Festungsmentalitäten in <strong>der</strong> Bundesrepublik und in Europa.<br />

Die Lehre des <strong>Mauer</strong>baus besteht für die LINKEN darin, zu erkennen, dass <strong>der</strong><br />

Sozialismus nur auf Dauer erfolgreich sein kann, wenn ihn die Menschen wollen und dass<br />

kein Ideal die systematische Einschränkung von Demokratie, Freizügigkeit und<br />

Selbstbestimmung rechtfertigt.

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