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Treffen der Marientaler – Vortrag Geschichte Mariental als PDF

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DIE VOLKSGRUPPEDaher zurück in die Kolonie. Dort, obwohldie meisten bei dem Überfall entführtenMenschen so auch das Vieh durch dienachgeschickten Husaren gerettet werdenkonnten, sah es schrecklich aus. Die Überlebendenbefanden sich nun im völlig zerstörten,ausgebrannten und ausgeplün<strong>der</strong>tenPfannenstiel. Auf dem Kerchhof <strong>der</strong>Kolonie ruhten unter den Hügeln zweierMassengräber die" Alten Deutschen" -dieOpfer <strong>der</strong> Schreckenstage zu <strong>Mariental</strong>vom 15. August 1776...Sechs Wagen vQll sollten es insgesamt ge~wesen sein. Die Anzahl <strong>der</strong> Bevölkerungwar somit bis über die Hälfte dezimiert.Eltern verloren ihre Kin<strong>der</strong>. Kin<strong>der</strong> ihreEltern. Eheleute waren getrennt. GanzeFamilien ausgelöscht. Die zaghafte Ord~nung im Dorfe, die so schmerzhaft gesammelteErfahrung im wirtschaftlichenBereich -alles war zerstört und zerstreut.Und obendrauf die unüberwindliche Todesangst<strong>der</strong> Schutzlosigkeit. So soll unsnicht wundem, dass kurz darauf eine Scharaus Pfannenstielern und den benachbartenKolonien sich auf den Weg nach Deutschlandmachten. Sie kamen freilich nur bisnach Pokrowsk und wurden von den Kosakeneingefangen und in ihre Wohnortezurückgepeitscht.Es musste in einem nahezu neuen Anfanggekämpft, geblutet und gelebt werden.Zuerst galt es dem Gemeindeleben. Dadas bisherige Bethaus von den Kirgisenzerstört war und "die Lust hier weiter zubleiben schwankte", so bauten sie sichaus Eichen- und Tannenholz eine kleine,für ihre damalige Gemeinde räumlicheKirche unter dem Titel "Himmelfahrt <strong>der</strong>Allerheiligsten Jungfrau Maria". ZurgleichenZeit benamsten unsere Ahnen auchPfannenstiel zu <strong>Mariental</strong> um, wohl nichtzuletzt des schönen Karmant<strong>als</strong> wegen.Derweilen lebte die Generation <strong>der</strong>" AltenDeutschen", ihr schreckliches Los erfüllt1lDd dabei zum größten Teil ermordet, aufSklavenmärkte verschleppt o<strong>der</strong> vorzeitigdurch Hunger und Seuche gestorben, instiller Wehmut ab und ging...Und wenn heute, liebe Landsleute, dieLandsmannschaft <strong>der</strong> Wolgadeutschenam Rheinufer <strong>der</strong> Hessischen FJ.auptstadteinen Gedenkstein zu errichten bemühtist, so soll je<strong>der</strong> von uns und weit darüberhinaus doch wissen: Dieser Gedenksteinsoll diesen "Alten Deutschen" geweihtwerden; Sie haben das mehr <strong>als</strong> verdient.Und wir, ihre Nachkommen, schulden dasihnen schon lange.Ihren Kin<strong>der</strong>n, das heißt den ersten wolgadeutschen<strong><strong>Mariental</strong>er</strong>n, vererbten die"Alten" keine Reichtümer in unseremheutigem Sinne. Sie hinterließen ihnendie im Kampf ums Überleben abgehärteten"Pfannenstieler Charakterzüge" wieFleiß, Mut, Tapferkeit, Standhaftigkeitund Treue. Sie hinterließen ihnen dieersten guten und bösen Erfahrungen unddas aufkeimende Gefühl <strong>der</strong> Ehrfurchtund Ergebenheit dem mit ihrem Blut undSchweiß getränktem Boden und ihrer neuenHeimat gegenüber.Aber auch die Generation <strong>der</strong> Söhnekonnte sich kaum den wirtschaftlichen,.geschweige den kulturellen Aufbauarbeitenzuwenden. Auch ihre physischen undmoralischen Anstrengungen galten vor allemdem nackten Überleben. Allein schondie Entfiihrongen des Viehs; die von denKirgisen über das Jahr 1800 hinaus gar <strong>als</strong>offenes Gewerbe betrieben wurden, mussteeigentlich jede Entwicklung <strong>der</strong> Kolonistenundenkbar machen.Nimmt man aber den unerhörten Vandalismushinzu, unter dem unsere Väterverwaltet wurden, insbeson<strong>der</strong>e <strong>als</strong> ihnen1782 die Son<strong>der</strong>rechte genommen wurden,so ist es erstaunlich, wie die Ahnensich behaupten konnten und ihre Bevölkerungszahlbeträchtlich wuchs.Erst 1797, <strong>als</strong> Kaiser Paul I. die Verordnungenseiner Mutter von 1782 aufhobund den Kolonisten ihre Verwaltung durchdas saratowsche Vormundschaftskontorzurückgab, fand auch bei den <strong><strong>Mariental</strong>er</strong>Bauern ein allmählicher wirtschaftlicherAufstieg statt. Unsere Vorfahren gelangtenzu einem bestimmten Grad an Wohlstand,die Bevölkerungszahl wuchs, und im Jahre1800 baute die <strong><strong>Mariental</strong>er</strong> Gemeindeeine neue Kirche. Allerdings musste auchdiese schon 1816 vergrößert werden. Esbegann eine Periode von 1815 bis 1871,die allgemein <strong>als</strong> Blütezeit nicht nur in<strong>der</strong><strong>Geschichte</strong> <strong>Mariental</strong>s bezeichnet wird.Zu Beginn dieser, möchte man sagen,glückseligen Zeit unserer Vorväter,wurden, um es mit den Worten unseresDorfchronisten, des Schulmeisters AntonSchnei<strong>der</strong>, auszudrücken, die bisherGottvergessenen Geistlichen durch diePatres, die Jesuiten, ersetzt, die 1802 in<strong>Mariental</strong> eintrafen.A; Schnei<strong>der</strong> schreibt über diese ehrwürdigenGeistlichen: "Sie bewahrten dieReinigkeit des Herzens und des Gewissensweit sorgfältiger <strong>als</strong> ihre Gesundheitund eigenes Leben, und diese Reinigkeitwar das starke Band <strong>der</strong> Freundschaftund Gnade Gottes." Einer dieser beachtenswertenGeistlichen, Pater AloisiusMoritz, stand, nach A. Schnei<strong>der</strong>, schonzu seiner Lebzeit im Rufe des Heiligen.Er starb 1805 bei seinen Eingepfarrten <strong>als</strong>Heiliger und wurde auf dem alten Kirchhofzu <strong>Mariental</strong> begraben. Über seinemGrabe wurde später eine Kapelle, dieKerchhofskapelle, errichtet.Eine zweite Kapelle, 's Kapelje, stand amgegenüberliegenden Ufer des Kar'mans,hoch über die Obstgärten im Tal hinausragend,am sanften Hange des ~isenbergs.Etwas im Voraus sei hier bemerkt, dassauch diese Kapelle <strong>der</strong> "Großen sozialistischenKulturrevolution", welcher, wiebekannt, überall Raub und Zerstörung zuGrunde liegen, zum Opfer gefallen ist.Merkwürdig, man sang Anfang <strong>der</strong> 30erJahre im wettbewerb lichen Sinne n'Schnärchelche':D'r erschte Kolektivhat'n Volkshaus,Un' d'r zwete gibt'm nix 'raus.Un' d'r drite, liwe Lait,<strong>der</strong> find' ke' Haus,Ai jai, jai usw.Im Ergebnis wurde das Kapelje "am Kirgisenberg"vom "Kolchos Nummer 3" abgerissenund ein Klubhaus daraus gebaut.Einige Jahre später traf dasselbe Schicksaldie Herzoger Pfarrkirche, <strong>der</strong>en Ziegelsteineam Bau <strong>der</strong> <strong><strong>Mariental</strong>er</strong> Mittelschuleverwendet wurden. Das alles geschahaber einige Jahrzenten später, schon zuunserer Väter turbulenten Zeiten...Aber zurück zu den Vorvätern. Im Jahre1820 mussten die <strong><strong>Mariental</strong>er</strong> sich vonden Jesuiten-Patres, die Russland zu verlassengezwungen waren, schweren Herzensverabschieden.Unter dieser Patres Obhut sich geistig,aber auch materiell gut erholt, ist die Gemeinde<strong>Mariental</strong> zahlenmäßig<strong>der</strong>maßengewachsen, dass de~ Bau einer neuen,großen, steinernen K*che nicht mehr auszuweichenwar. 1834 war <strong>der</strong> Kirchenbauabgeschlossen und, wie uns <strong>der</strong>Dorfchronistberichtet, "stand die hochlöblicheKirche flot und fertig da, <strong>als</strong> eine BrautimHochzeitlichen Ehrenkleide angetan, undwurde mit größten Feierlichkeiten dem TitelMaria Himmelfahrt in demselben Jahreeingeweiht". Als die Kirche 1849 endgültigeingeweiht wurde, hatte sich <strong>Mariental</strong>zu einem stattlichen, mit knapp 3.000Einwohnern größtem Dorf am Kar'manentwickelt; es stieg allmählich zu einemadministrativen und geistig-kulturellenZentrum auf.1859 gab es in <strong>Mariental</strong> schon 3.663 Einwohner,und trotz mehrerer witterungsbedingterMissjahre werden die fiinf letztenJahrzehnte <strong>der</strong> <strong>Geschichte</strong> <strong>Mariental</strong>s <strong>als</strong>"Güldene Zeit" benannt. Zu dieser Zeitentstand auch <strong>Mariental</strong>s erste TochterkolonieNeu-<strong>Mariental</strong>, 30 km südostwärtsvon <strong>Mariental</strong> entfernt. Doch bald sollteauch diese Ruhepause zu Ende gehen.Fortsetzung in <strong>der</strong> nächsten Ausgabe.44 VOLK AUF DEM WEG Nr. 7/2010

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