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Die Erzähler im Werk von Danilo Kiš - Beate-jonscher.de

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Verhältnis dieser zu <strong>de</strong>m Ereignis wird <strong>von</strong> <strong>de</strong>m Erzähler, <strong>de</strong>r an verschie<strong>de</strong>nen Stellen alsSprecher in Erscheinung tritt, kommentarlos wie<strong>de</strong>rgegeben.<strong>Die</strong> konträre Einschätzung eines außergewöhnlichen Ereignisses wird in <strong>de</strong>m Text "Slavno je zaotadžbinu mreti" mit Begründungen versehen, wobei <strong>de</strong>r Erzähler sein Ansicht lediglichmetaphorisch zum Ausdruck bringt.<strong>Die</strong> Titelsentenz steht <strong>im</strong> Wi<strong>de</strong>rspruch zum erzählten Geschehen: ein junger Adliger wird wegenseiner Teilnahme an einem Bauernaufstand zum To<strong>de</strong> verurteilt. Der junge Mann schwanktzwischen Verzweiflung, Hoffnung und Bemühen, "stolz und wür<strong>de</strong>voll" zu sterben. Bei ihremletzten Besuch <strong>im</strong> Gefängnis erklärt die Mutter <strong>de</strong>s jungen Mannes, daß sie um Gna<strong>de</strong> ersuchenund - wenn sie Erfolg hatte - am Tag <strong>de</strong>r Hinrichtung <strong>im</strong> weißen Kleid auf <strong>de</strong>m Balkon stehenwill. Sie hat dann ein weißes Kleid an, und ihr Sohn zeigt keine Angst, <strong>de</strong>nn er hofft bis zumSchluß auf ein Wun<strong>de</strong>r. Aber die Hinrichtung fin<strong>de</strong>t statt. Anschließend heißt es <strong>im</strong> Text: "Dvasu mogućna zaklučka. Ili je mladi plemić umro hrabo i dostojanstveno ... ili je zaista sve to bilasamo dobro smišlena rečija čije je konca držala u rukama jedna poznana majka..." 41Der Erzähler ordnet die bei<strong>de</strong>n Möglichkeiten Vertretern unterschiedlicher Interessen zu. <strong>Die</strong>erste, <strong>von</strong> ihm als "heroisch" bezeichnete Version wird <strong>von</strong> Sanscoulotten und Jakobinern favorisiert,die zweite <strong>von</strong> <strong>de</strong>r offiziellen Geschichtsschreibung. Sein Kommentar fin<strong>de</strong>t sich in <strong>de</strong>nSätzen, die diesem Artikel als vorangestellt wur<strong>de</strong>n, wird: "<strong>Die</strong> Geschichte schreiben dieSieger..., die Schriftsteller phantasieren, sicher ist nur <strong>de</strong>r Tod." (S. 154)Das Urteil <strong>de</strong>s Erzählers kann aber auch durch best<strong>im</strong>mte Aussagen in diesen bei<strong>de</strong>n Textenfestgemacht wer<strong>de</strong>n. So sieht in "Ogledalo nepoznatog" das Mädchen <strong>im</strong> Traum die Ereignissetatsächlich. In "Slavno je za otadžbinu mreti" wer<strong>de</strong>n die wi<strong>de</strong>rsprüchlichen Gefühle <strong>de</strong>s jungenMannes beschrieben, erscheint die Aussage <strong>de</strong>r Mutter als tatsächlich vollzogen.Auch wenn <strong>de</strong>m Erzähler an <strong>de</strong>r Steuerung <strong>de</strong>r Rezeption gelegen ist, tut er dies mit an<strong>de</strong>ren, als<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r realistischen Literatur zur Verfügung stehen<strong>de</strong>n Mitteln.<strong>Die</strong>s wird an <strong>de</strong>m komplexesten Text <strong>de</strong>s Ban<strong>de</strong>s "Knjiga kraljeva i budala" <strong>de</strong>utlich. Erzähltechnischbil<strong>de</strong>t dieser Text eine Kombination essayistischer und - in geringerem Umfang - künstlerisch-literarischerMetho<strong>de</strong>n. Ursache dafür ist zunächst, daß Kiš <strong>de</strong>n Text als Essay über dieEntstehung und Wirkung <strong>de</strong>r "Protokolle <strong>de</strong>r Weisen <strong>von</strong> Zion" geplant hatte. Kiš konnte jedochkein Essay schreiben, was er <strong>im</strong> "Post scriptum" so begrün<strong>de</strong>t:"Esej je izgubila svoje žanrovsko značenje eseja onog časa kada sam shvatio da se u istruživajanjee te teme, na planu cinjenica, već ne može ići dalje, i kada sam počeo da zamišlam događajeonako kako se mogli dogoditi." (S. 237 - Hervorhebung <strong>von</strong> D.K. -B.J.)Postmo<strong>de</strong>rne Züge weist <strong>de</strong>r Text in Hinblick auf das Verhältnis Realität - Fiktion - Phantastikauf, da <strong>de</strong>ren Unterscheidung nicht mehr ein<strong>de</strong>utig möglich ist. Zugleich wer<strong>de</strong>n hier wie inan<strong>de</strong>ren Texten fiktive Dinge mit <strong>de</strong>r Manier authentischer gestaltet.Der erste Satz <strong>de</strong>s Textes enthält eine Vorausschau eines Verbrechens, das in vierzig Jahrengeschehen wird. Angekündigt wird nach <strong>de</strong>n Aussagen <strong>de</strong>s Erzählers dieses Verbrechen durcheinen Text unbekannter Herkunft, <strong>de</strong>r in einer Petersburger Zeitung erscheint, <strong>de</strong>ssen Chefredakteurvom Erzähler für ein Ju<strong>de</strong>n-Pogrom verantwortlich gemacht wird. Der veröffentlichte Textheißt "<strong>Die</strong> Verschwörung" und beweist die Existenz eines allgemeinen "Komplottes" gegen dasChristentum, <strong>de</strong>n Zaren und die bestehen<strong>de</strong> Ordnung. Er wird dann als Buch herausgegeben und<strong>von</strong> einem Vater Sergius in <strong>de</strong>ssen Schrift über <strong>de</strong>n "Antichristen" aufgenommen, wo er <strong>im</strong>merweitere Verbreitung fin<strong>de</strong>t.Erst am En<strong>de</strong> wird durch einen Bericht über die Gaskammern, <strong>de</strong>r als Zitat gegeben ist, ein<strong>de</strong>utigklar, daß mit <strong>de</strong>m Verbrechen <strong>de</strong>r Genozid an <strong>de</strong>n Ju<strong>de</strong>n gemeint ist. <strong>Die</strong>ses Verbrechen mußteKiš beson<strong>de</strong>rs berühren - sein Vater war in Auschwitz ums Leben gekommen.Es kann <strong>de</strong>shalb <strong>von</strong> einer "gelenkten Rezeption" 42 ausgegangen wer<strong>de</strong>n. Am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s ersten6

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