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Wandel der Patientenrolle - Hogrefe

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Hans-Wolfgang Hoefert<br />

Christoph Klotter (Hrsg.)<br />

<strong>Wandel</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Patientenrolle</strong><br />

Neue Interaktionsformen<br />

im Gesundheitswesen


<strong>Wandel</strong> <strong>der</strong> <strong>Patientenrolle</strong>


Organisation und Medizin<br />

<strong>Wandel</strong> <strong>der</strong> <strong>Patientenrolle</strong><br />

hrsg. von Prof. Dr. Hans-Wolfgang Hoefert und<br />

Prof. Dr. Christoph Klotter<br />

Herausgeber <strong>der</strong> Reihe:<br />

Prof. Dr. Hans-Wolfgang Hoefert, Prof. Dr. Uwe Flick,<br />

Prof. Dr. Dr. Martin Härter


<strong>Wandel</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Patientenrolle</strong><br />

Neue Interaktionsformen<br />

im Gesundheitswesen<br />

herausgegeben von<br />

Hans-Wolfgang Hoefert<br />

und Christoph Klotter<br />

GöttinGen · Bern · Wien · paris · OXFOrD · praG · tOrOntO<br />

CaMBriDGe, Ma · aMsterDaM · KOpenhaGen · stOCKhOlM


Prof. Dr. phil. Hans-Wolfgang Hoefert, geb. 1945. Studium <strong>der</strong> Psychologie und Betriebswirtschaft<br />

in Berlin. 1978 Promotion. 1972–1976 Tätigkeit als leiten<strong>der</strong> Angestellter in<br />

<strong>der</strong> Industrie. 1976–1982 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an <strong>der</strong> Freien Universität Berlin.<br />

1982–2006 Hochschullehrer für Sozial- und Organisationspsychologie, Schwerpunkt<br />

Gesundheitswesen, an <strong>der</strong> Alice Salomon Hochschule Berlin. Seit 1980 Fortbildungen<br />

für Fach- und Führungskräfte sowie Mitglied in europäischen Expertenkommissionen<br />

im Gesundheitswesen.<br />

Prof. Dr. Christoph Klotter, geb. 1956. Studium <strong>der</strong> Mathematik, Philosophie und<br />

Psychologie in Kiel und Berlin. 1984–1989 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut<br />

für Psychologie <strong>der</strong> Technischen Universität Berlin. 1989 Promotion. 1995–2001<br />

Hochschulassistent am Institut für Psychologie <strong>der</strong> Technischen Universität Berlin.<br />

1999 Approbation als Psychologischer Psychotherapeut. 1999 Habilitation. Seit 2001<br />

Professur für Ernährungspsychologie und Gesundheitsför<strong>der</strong>ung am Fachbereich Oecotrophologie<br />

<strong>der</strong> Hochschule Fulda, seit 2006 Dekan des Fachbereichs.<br />

Bibliografische Information <strong>der</strong> Deutschen Nationalbibliothek<br />

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in <strong>der</strong><br />

Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im<br />

Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.<br />

© 2011 <strong>Hogrefe</strong> Verlag GmbH & Co. KG<br />

Göttingen • Bern • Wien • Paris • Oxford • Prag • Toronto<br />

Cambridge, MA • Amsterdam • Kopenhagen • Stockholm<br />

Rohnsweg 25, 37085 Göttingen<br />

http://www.hogrefe.de<br />

Aktuelle Informationen • Weitere Titel zum Thema • Ergänzende Materialien<br />

Satz: ARThür Grafik-Design und Kunst, Weimar<br />

Druck: Druckerei Kaestner, Rosdorf<br />

Printed in Germany<br />

Auf säurefreiem Papier gedruckt<br />

ISBN 978-3-8017-2283-8<br />

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt.<br />

Jede Verwertung außerhalb <strong>der</strong> engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes<br />

ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbeson<strong>der</strong>e<br />

für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen<br />

und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.


Vorwort <strong>der</strong> Reihenherausgeber<br />

In <strong>der</strong> Buchreihe „Organisation und Medizin“ wurden bisher 15 Bände veröffentlicht,<br />

die eines gemeinsam haben, nämlich die Beziehung zwischen Gesundheit und Krankheit<br />

und den jeweils unterschiedlichen institutionellen Kontexten (Industriebetriebe<br />

ebenso wie Krankenhäuser und an<strong>der</strong>e Gesundheitseinrichtungen). Der vorliegende<br />

Band widmet sich einem Querschnittsthema, das nahezu alle Gesundheitseinrichtungen<br />

betrifft. Es geht dabei um die Rolle des Patienten, die sich in den letzten Jahrzehnten<br />

für manche Professionelle kaum merklich, für an<strong>der</strong>e dramatisch verän<strong>der</strong>t hat.<br />

Der gemeinsame Bezugspunkt für die Erklärung von Verän<strong>der</strong>ungen kann zunächst in<br />

dem Konzept <strong>der</strong> aufeinan<strong>der</strong> abgestimmten Rollen von Arzt und Patient gesucht werden,<br />

wie es Talcott Parsons in den 50er Jahren des letzten Jahrhun<strong>der</strong>ts entwickelt hat.<br />

Demnach ist die <strong>Patientenrolle</strong> normativ definiert durch Erwartungen, alles zu tun, was<br />

zu seiner Gesundung beiträgt und den Anweisungen des Arztes zu folgen; dafür darf<br />

<strong>der</strong> Patient für eine gewisse Zeit von seinen sozialen Verpflichtungen entlastet werden.<br />

Ärzte wie<strong>der</strong>um sind angehalten, sich affektiv neutral, gemeinschafts- und nicht selbstorientiert<br />

sowie funktionsspezifisch zu verhalten. Wenn sich beide Parteien auf solche<br />

Erwartungen einlassen, funktioniert nicht nur die Dyade Arzt-Patient, son<strong>der</strong>n wird<br />

auch ein gesellschaftlicher Auftrag erfüllt.<br />

Es sind vor allem zwei Entwicklungen, welche das Funktionieren dieser Dyade nicht<br />

mehr garantieren: Zum einen sind im Zuge <strong>der</strong> Demokratisierung unterschiedlicher<br />

gesellschaftlicher Institutionen – darunter auch Gesundheitseinrichtungen – Machtasymmetrien<br />

und Hierarchien in Frage gestellt worden. Die Dyade Arzt-Patient, welche<br />

symbolhaft für alle institutionell vorgesehenen Beziehungen zwischen Professionellen<br />

und Bedürftigen steht, hat sich durch die Orientierung an einem patientenzentrierten<br />

Entscheidungsmodell (Shared Decision Making) zu einem Aushandlungsobjekt für die<br />

wechselseitigen individuellen Ansprüche gewandelt. Zumindest ein Teil <strong>der</strong> Patienten<br />

erlebt den relativen Entscheidungs- und Informationszuwachs als Gewinn, ein an<strong>der</strong>er<br />

Teil <strong>der</strong> Patienten erlebt die Erweiterung ihrer Mitsprache- und Mitentscheidungsmöglichkeiten<br />

eher als verunsichernd. Ärzte müssen sich, um ein gutes Verhältnis zum<br />

Patienten zu erhalten, auf solche interindividuell unterschiedlichen Erwartungen einstellen.<br />

Darüber hinaus müssen sie neuen normativen Erwartungen des Gesundheitssystems<br />

entsprechen, indem sie wirtschaftlich und zweckmäßig agieren.<br />

Zum an<strong>der</strong>en hat die Verbraucherbewegung auch die Gesundheitseinrichtungen erreicht.<br />

Patienten übertragen Erwartungen und Handlungsmuster auf ihre therapeutischen<br />

Beziehungen, indem sie Konsumentenwünsche artikulieren und möglichst viele<br />

Leistungen des Gesundheitssystems in Anspruch nehmen wollen, wobei sie sich auf<br />

eine Reihe von Patientenrechten berufen können. Nicht wenige Patienten bewegen sich<br />

als Jongleure im Gesundheitssystem, in dem sie nach eigenem Ermessen zwischen<br />

konventioneller und alternativen Medizin, zwischen Psychotherapie und Medizin und<br />

zwischen Fremd- und Selbsttherapie wählen und abwägen. Eingeschränkt wird ihre<br />

Rolle als Verbraucher lediglich durch begrenzte Wahlmöglichkeiten und durch eine


6<br />

Vorwort <strong>der</strong> Reihenherausgeber<br />

– beson<strong>der</strong>s in Notfällen deutlich werdende – begrenzte Freiwilligkeit. Indem sie zu<br />

Nutzern, Kunden o<strong>der</strong> Experten in eigener Sache definiert und für „mündig“ gehalten<br />

werden, wird ihre Bereitschaft zur Übernahme von Selbstverantwortung für die eigene<br />

Krankheit und Gesundheit nicht selten überfor<strong>der</strong>t.<br />

Die Gesundheitseinrichtungen und mit ihnen die darin tätigen Professionellen werden<br />

angesichts dieser Entwicklungen, die zum Teil an die Hauptakteure herangetragen<br />

werden, zum Teil von diesen selbst ausgehen, mit unterschiedlichen Erwartungen<br />

konfrontiert, denen sie aufgrund eingeschränkter materieller Ressourcen und auch von<br />

ihrem traditionellen Selbstverständnis nur bedingt gerecht werden können. Insbeson<strong>der</strong>e<br />

Kranken häuser sind durch zahlreiche Zwänge und Regeln gekennzeichnet, welche<br />

die Handlungsfreiräume <strong>der</strong> Akteure weitgehend einengen und gegebenenfalls eine<br />

Reduzierung auf die klassische <strong>Patientenrolle</strong> erzwingen; in nie<strong>der</strong>gelassenen Praxen<br />

sind solche Zwänge weniger wirksam und erlauben eher eine Annäherung an partnerschaftliche<br />

Idealvorstellungen.<br />

Schließlich darf nicht übersehen werden, dass Patienten immer wie<strong>der</strong> zu solchen<br />

gemacht werden. Damit sind weniger die schon erwähnten institutionellen Zwänge<br />

o<strong>der</strong> die oft zwangsläufigen Entwicklungen in eine <strong>Patientenrolle</strong> bei Unfällen o<strong>der</strong><br />

auch bei chronischen Erkrankungen gemeint, son<strong>der</strong>n die – von den Medien aus Sensationsgründen<br />

gern mitbetriebene – Pathologisierung von alltäglichen Störungen <strong>der</strong><br />

körperlichen und psychischen Normalität. Hier entstehen neue angebliche Therapiebedürftigkeiten<br />

bzw. Therapiewünsche, die dem Gesundheits- und Versorgungssystem<br />

einerseits einen Zuwachs an Aufgaben und Gewinn bringen, an<strong>der</strong>erseits aber durch<br />

die vermehrte Inanspruchnahme auch erhebliche Kosten. Hier wäre oftmals die Erweiterung<br />

des Blickes über den engen Horizont <strong>der</strong> Hauptakteure als Leistungserbringer<br />

und Verbraucher in Richtung Gemeinwohl wünschenswert.<br />

Das vorliegende Buch zeigt einmal mehr, dass die psychologische Perspektive allein<br />

nicht ausreicht, um die Komplexität <strong>der</strong> Rollenbeziehungen im Gesundheitssystem bzw.<br />

in <strong>der</strong> Medizin zu beschreiben bzw. Problemlösungen zu entwickeln. Die Herausgeber<br />

dieser Buchreihe sind sich allerdings sicher, dass auch dieses Buch gerade wegen <strong>der</strong><br />

in diesem Buch versammelten Expertisen zur Weiterentwicklung und Verbesserung<br />

unseres Gesundheitssystems beitragen kann.<br />

Für die Reihenherausgeber<br />

Prof. Dr. Hans-Wolfgang Hoefert


Inhalt<br />

Vorwort<br />

Hans-Wolfgang Hoefert und Christoph Klotter. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9<br />

Teil I: Historische Hintergründe und neuere Entwicklungen<br />

Der arbeitende Patient<br />

Kerstin Rie<strong>der</strong> und Manfred Giesing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17<br />

Die Empowerment-Bewegung und ihre Auswirkungen<br />

auf das Gesundheitswesen<br />

Matthias H. J. Gouthier und Ralph Tun<strong>der</strong> . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33<br />

Der informierte Patient: Wunsch und Wirklichkeit<br />

Bernard Braun und Gerd Marstedt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47<br />

Internet und E-Patienten: Potenzielle Auswirkungen auf die Autonomie<br />

<strong>der</strong> Patienten und die Behandler-Patient-Beziehung<br />

Christiane Eichenberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67<br />

Evidenzbasierte Patienteninformation<br />

Sylvia Sänger und Britta Lang. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101<br />

Patientenrechte – Belastung <strong>der</strong> Arzt-Patient- Beziehung?<br />

Ein Plädoyer für gute Organisation und Gesetzesregelung<br />

Dieter Hart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117<br />

Teil II: Interaktionen zwischen Professionellen und Klienten<br />

Partizipative Entscheidungsfindung – Wunsch und Realität<br />

Angela Buchholz, Laura Seebauer und Daniela Simon . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135<br />

Gewünschte und wahrgenommene Teilhabe an medizinischen<br />

Entscheidungen – Empirische Befunde zu hämatoonkologischen Patienten<br />

Jochen Ernst, Christina Schrö<strong>der</strong> und Elmar Brähler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147<br />

Gesundheit als „Ware“? – Erfahrungen aus Sicht <strong>der</strong> „Kunden“<br />

Wolfgang Schuldzinski und Kai Helge Vogel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157<br />

Krankenstand als Verhandlungsergebnis zwischen Arzt und Patient<br />

Gerd Westermayer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175<br />

Das Ringen um Compliance und Adhärenz<br />

Hans-Wolfgang Hoefert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191


8<br />

Inhalt<br />

Teil III: Attraktivität des zweiten Gesundheitsmarktes<br />

Patienten zwischen konventioneller und komplementär-alternativer Medizin<br />

Hans-Wolfgang Hoefert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217<br />

Spiritualität in therapeutischen Beziehungen<br />

Michael Utsch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235<br />

Zulauf zu „Heilern“ – ein Versuch, Umfang und Gründe zu erfassen<br />

Eckart R. Straube . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255<br />

Teil IV: Verän<strong>der</strong>ungen in institutionellen Kontexten<br />

<strong>Wandel</strong> <strong>der</strong> <strong>Patientenrolle</strong> in <strong>der</strong> Psychiatrie<br />

Matthias Elzer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267<br />

<strong>Wandel</strong> <strong>der</strong> <strong>Patientenrolle</strong> in <strong>der</strong> Psychotherapie<br />

Christoph Klotter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283<br />

<strong>Wandel</strong> <strong>der</strong> <strong>Patientenrolle</strong> in <strong>der</strong> Rehabilitation<br />

Ernst von Kardorff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295<br />

Selbsthilfegruppen und ihre Auswirkung auf therapeutische Beziehungen<br />

Jürgen Matzat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315<br />

Die Autorinnen und Autoren des Bandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329<br />

Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332


Vorwort<br />

Hans-Wolfgang Hoefert und Christoph Klotter<br />

Patienten sind Menschen, <strong>der</strong>en Hauptmerkmale darin bestehen, dass sie an <strong>der</strong> Beeinträchtigung<br />

ihres Gesundheitszustandes leiden und geduldig alle Maßnahmen ertragen,<br />

die aus professioneller Sicht geeignet erscheinen, eine Besserung ihres Gesundheitszustandes<br />

herbeizuführen. Wenn sich Professionelle und Betroffene auf diese<br />

Definition einigen könnten, stünde einer „therapeutischen Allianz“ nichts mehr im<br />

Wege. Unglücklicherweise aber haben viele Patienten in den letzten Jahrzehnten damit<br />

begonnen, das Machtgefälle zwischen Arzt1 und Patient in Frage zu stellen, for<strong>der</strong>n<br />

eigene Rechte ein, die ihnen zunehmend von staatlicher Seite zugestanden werden,<br />

wollen – zumindest teilweise – bei <strong>der</strong> Festlegung des Therapieregimes mitbestimmen<br />

und verhalten sich oft mehr als Konsumenten denn als Patienten im klassischen Sinne.<br />

Dies stellt eine unüberhörbare Herausfor<strong>der</strong>ung für die Professionellen und an das<br />

Gesundheitssystem dar, die mehr o<strong>der</strong> weniger halbherzig aufgegriffen wird und oftmals<br />

in <strong>der</strong> trotzigen Replik endet, dann solle <strong>der</strong> Patient doch seine Verantwortung<br />

für sein Gesundheitsschicksal selbst übernehmen. Somit wird er für „mündig“ erklärt<br />

– oft, noch ehe er „aufgeklärt“ wurde. Umgekehrt wird <strong>der</strong> Arzt und Therapeut unversehens<br />

zum „Dienstleister“, <strong>der</strong> eigene Beruf, <strong>der</strong> womöglich aus Berufung gewählt<br />

wurde, scheint damit abgewertet zu einem Beruf wie je<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e.<br />

Es ist an <strong>der</strong> Zeit, über die Rolle des heutigen Patienten differenziert nachzudenken:<br />

Zweifellos sind viele Patienten in einem Maße informiert, das einen Dialog mit Professionellen<br />

„auf gleicher Augenhöhe“ ermöglicht, während an<strong>der</strong>e eher dazu neigen, sich<br />

in eine klassische Anhängigkeitsposition zu fügen. Und unser stets um ökonomische<br />

Pragmatik bemühtes Gesundheitssystem setzt dem Freiheitswillen sowohl <strong>der</strong> einen<br />

(z. B. ärztlichen) Seite ebenso Grenzen wie <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite, auch wenn diese Grenzen<br />

nicht unbedingt in <strong>der</strong> alltäglichen Arzt-Patient-Kommunikation reflektiert werden.<br />

Das Kernproblem aber ist nicht neu, wie die folgenden Leitgedanken zeigen.<br />

Einige Leitgedanken<br />

Der <strong>Wandel</strong> <strong>der</strong> <strong>Patientenrolle</strong> wird jenseits jeglicher Empirie vor allem konzipiert in<br />

den Koordinaten <strong>der</strong> bürgerlichen Aufklärung – in Deutschland vor allem mit dem<br />

Denken Kants, auch wenn dieses Denken vor mehr als 200 Jahren formuliert worden<br />

ist. Die Altehrwürdigkeit min<strong>der</strong>t offenkundig nicht die Aktualität. In seinem Aufsatz<br />

„Beantwortung <strong>der</strong> Frage: Was ist Aufklärung?“ (1784) beschreibt Kant, was Auf-<br />

1 Aus Gründen <strong>der</strong> Lesbarkeit wird in <strong>der</strong> Mehrzahl <strong>der</strong> Beiträge die männliche Form (z. B.<br />

Arzt, Patient) verwendet, dabei sind jedoch auch immer Frauen eingeschlossen. Sind ausschließlich<br />

weibliche Personen gemeint, so wird die entsprechende Form (z. B. Patientinnen)<br />

verwendet.


10<br />

Hans-Wolfgang Hoefert und Christoph Klotter<br />

klärung bedeutet: sich loszulösen von Tradition und Autorität, also einen „Ausgang<br />

aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit“ (zitiert nach Zehbe, 1975, S. 552 ) zu<br />

finden. Aufklärung bedeutet, eigenständig denken zu lernen: „Sapere aude! Habe Mut<br />

dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“.<br />

Auf den <strong>Wandel</strong> <strong>der</strong> <strong>Patientenrolle</strong> übertragen, bedeutet dies, nicht mehr <strong>der</strong> Autorität des<br />

Arztes o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>er Gesundheitsexperten zu folgen, nicht mehr blind das zu tun, was sie<br />

empfehlen o<strong>der</strong> vorschreiben, son<strong>der</strong>n sich zu informieren, z. B. im Internet, welche<br />

medizinischen Behandlungen in welchem Umfang evidenzbasiert sind, dem Arzt dieses<br />

Wissen vorzutragen, um dann mit ihm gemeinsam zu schauen, was zu machen ist. Das<br />

also wäre <strong>der</strong> mündige Patient, wie wir ihn alle wünschen, aber vielleicht nur soweit wir<br />

nicht selbst Arzt sind. Schließlich zweifelt <strong>der</strong> aufgeklärte Patient im Grunde die Kompetenz<br />

des Experten an. Der Patient weiß dann besser, welche Nebenwirkungen ein Medikament<br />

hat, welche Erfolgsaussichten mit welchen Behandlungsformen verbunden sind.<br />

„Es ist so bequem, unmündig zu sein. Habe ich ein Buch, das für mich Verstand hat,<br />

einen Seelsorger, <strong>der</strong> für mich Gewissen hat, einen Arzt, <strong>der</strong> für mich die Diät beurteilt,<br />

usw., so brauche ich mich ja nicht selbst bemühen. Ich habe nicht nötig zu denken,<br />

wenn ich nur bezahlen kann; an<strong>der</strong>e werden das verdrießliche Geschäft schon für mich<br />

übernehmen“ (Kant, 1784).<br />

Es ist diese Bequemlichkeit, die wir so fürchten, dass wir uns so intensiv einen <strong>Wandel</strong><br />

<strong>der</strong> <strong>Patientenrolle</strong> wünschen, gilt doch die traditionelle Arzt-Patient-Beziehung als das<br />

Wahrzeichen schlechthin aller Unmündigkeit: dem Arzt einfach nur glauben so wie<br />

früher dem Priester, seinen Anweisungen blind Folge leisten, auch wenn sie verheerende<br />

Konsequenzen zeitigen, sich auf ihn verlassen, auch wenn dazu nicht <strong>der</strong> geringste<br />

Grund besteht.<br />

Für diese Bequemlichkeit finden wir kritische Worte wie Reparaturmedizin, bei <strong>der</strong><br />

Menschen sich nicht um die eigene Gesundheit kümmern, son<strong>der</strong>n, wenn z. B. ein<br />

Organ Schaden genommen hat, den Arzt aufsuchen, um den Schaden beheben zu lassen,<br />

analog zur KFZ-Werkstatt, in <strong>der</strong> die Bremsbeläge ausgetauscht werden. Früher mit<br />

Hilfe <strong>der</strong> Psychosomatik (<strong>der</strong> „regressive Patient“), heute mit Verweis auf die Gesundheitsför<strong>der</strong>ung<br />

geißeln wir diese Art <strong>der</strong> Bequemlichkeit vehement.<br />

Ausgang aus <strong>der</strong> selbst verschuldeten Unmündigkeit könnte so auch tendenziell bedeuten,<br />

Abhängigkeiten zu kappen, sich zu emanzipieren, wenn es sein muss, in ein<br />

approximatives Nichts. Wahre Unabhängigkeit ist ein Ideal, das einsam macht, denn<br />

Menschen sind von <strong>der</strong> Geburt bis in den Tod auf an<strong>der</strong>e angewiesen, von an<strong>der</strong>en<br />

abhängig, auch wenn es dem Ideal des bürgerlichen Subjekts wi<strong>der</strong>spricht, das darin<br />

besteht, sich von Allem und Jedem zu lösen. Flexibilität ist hierfür <strong>der</strong> Euphemismus.<br />

So erscheint nichts als gefährlicher, als auf den (allmächtigen) Arzt angewiesen zu sein,<br />

<strong>der</strong> möglicherweise als Ersatz für den Stellvertreter Gottes auf Erden wahrgenommen<br />

wird. Eben dessen Botschaft, die Religion, versuchte Kant aus dem Reich <strong>der</strong> Wissenschaft<br />

und Philosophie zu verdrängen.<br />

2 Zehbe, J. (Hrsg.): Was ist Aufklärung? Aufsätze zur Geschichte und Philosophie. Göttingen<br />

(Vandenhoeck & Ruprecht) 1975


Vorwort 11<br />

Das Gegenteil von Abhängigkeit ist Selbständigkeit. Bei diesem Anliegen kann sich Kant<br />

auf Seneca beziehen: „Ich habe mir die Bahn schon vorgezeichnet, die ich halten will.<br />

Ich werde meinen Lauf antreten und nichts soll mich daran hin<strong>der</strong>n, ihn fortzusetzen“<br />

(Seneca, zitiert nach Zehbe, 1975, S. 8). Und: „Auf nichts müssen wir mehr achten als<br />

darauf, nicht nach Art des Herdenviehs <strong>der</strong> vorauslaufenden Schar zu folgen: wir würden<br />

dann nur den meist betretenen, nicht aber den richtigen Weg wählen“ (ebd., S. 8).<br />

Für den Menschen in <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne ist nichts kränken<strong>der</strong>, als sein Schicksal nicht in <strong>der</strong><br />

Hand zu haben, verspricht doch die Aufklärungsphilosophie, Glück und Wohlbefinden<br />

bereits im Diesseits sicherzustellen – qua Vernunft und Naturbeherrschung. Leiden und<br />

Tod sind damit eigentlich suspendiert. Lei<strong>der</strong> ist dieses Versprechen <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne<br />

anteilig trügerisch. Leiden wird zwar minimiert, nicht aber eliminiert. Auch <strong>der</strong> Tod<br />

ist immer noch existent. Der Arzt, <strong>der</strong> die schlechte Botschaft bringen kann, ist somit<br />

die Verkörperung <strong>der</strong> Unfähigkeit in <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne, Leiden total zu vermeiden. Er verkörpert<br />

die Schicksalsanfälligkeit auch noch des Menschen in <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne. Auch<br />

deshalb scheint es uns mehr als sinnvoll, sich von ihm zu emanzipieren, als könnte mit<br />

dem Arzt als Cassandra zugleich die Schicksalsgebundenheit <strong>der</strong> menschlichen Existenz<br />

suspendiert werden.<br />

Kant wollte das Denken befreien, nicht aber den Staatsbürger aus seiner Pflicht für die<br />

Gesellschaft, in <strong>der</strong> er lebt: „So würde es sehr ver<strong>der</strong>blich sein, wenn ein Offizier, dem<br />

von seinem Oberen etwas anbefohlen wird, im Dienste über die Zweckmäßigkeit o<strong>der</strong><br />

Nützlichkeit dieses Befehls laut vernünfteln wollte; er muss gehorchen. Es kann ihm<br />

aber billigermaßen nicht verwehrt werden, als Gelehrter, über die Fehler im Kriegsdienste<br />

Anmerkungen zu machen, und diese seinem Publikum zur Beurteilung vorzulegen. Der<br />

Bürger kann sich nicht weigern, die ihm auferlegten Abgaben zu leisten“ (1975, S. 57).<br />

Auch an diesem Punkt hat Kant an Aktualität nicht eingebüßt. Wir als Patienten sollen<br />

zwar mündig sein, wie dies Kant beschrieben hat. Zugleich sollen wir aber <strong>der</strong> Pflicht<br />

nicht entkommen: das Gewehr im Krieg anzulegen, zu arbeiten, Steuern zu zahlen und<br />

sich gesundheitsgerecht zu verhalten. Der <strong>Wandel</strong> <strong>der</strong> <strong>Patientenrolle</strong> findet hier seine<br />

gleichsam natürliche Grenze. Die von Kant im Anschluss an Seneca eingefor<strong>der</strong>te<br />

Selbständigkeit endet da, wo die Pflichten beginnen. Unser kulturelles Selbstverständnis<br />

verhin<strong>der</strong>t im Grunde eine freie Wahl zwischen einem potenziell gesundheitsabträglichen<br />

und einem potenziell gesundheitsför<strong>der</strong>lichen Verhalten. Der inhalierte Zigarettenrauch<br />

ist dann nicht Ergebnis einer legitimen individuellen Wahl, son<strong>der</strong>n firmiert<br />

als Sünde, als Vergehen und eigentlich als Verbrechen gegen die Solidargemein schaft.<br />

In dieser Hinsicht haben wir die Epoche des aufgeklärten Absolutismus in keiner Weise<br />

verlassen.<br />

Zu den Inhalten des Buches<br />

Wenn sich heute viele Patienten im Gesundheitssystem bewegen wie wählerische Konsumenten,<br />

dann ist dies auch eine Folge von Demokratisierungsprozessen, welche<br />

zuerst die Arbeitswelt und nun auch das Gesundheitssystem erreicht haben. Ein historischer<br />

Ausgangspunkt für einen entsprechenden Rollenwandel ist in <strong>der</strong> Empowerment-


12<br />

Hans-Wolfgang Hoefert und Christoph Klotter<br />

Bewegung zu suchen, über die Gouthier und Tun<strong>der</strong> berichten. Indem <strong>der</strong> „mündige“<br />

und „informierte“ Patient gefor<strong>der</strong>t wird, wird jener auch in seiner Mitverantwortung<br />

als „Co-Produzent von Gesundheit“ angesprochen und muss, um dieser Rolle gerecht<br />

zu werden, seine eigene Leistung beitragen (Rie<strong>der</strong> & Giesing). Die Frage ist nur, ob<br />

diese Rollenzuweisung nicht ein wenig zu idealistisch gesehen wird und ob <strong>der</strong> Patient<br />

hinreichend und seriös informiert ist, um wirklich „mündig“ sein zu können (Braun &<br />

Marstedt). Ähnlich stellt sich die Frage, inwieweit das Internet geeignet ist, so zu informieren,<br />

dass nicht eine neue Ratlosigkeit entsteht, die mitunter zum „doctor-hopping“<br />

beiträgt. Im besten Fall wird ein höherer Wissensstand erreicht, <strong>der</strong> die Kommunikation<br />

mit Professionellen erleichtert, aber nicht zwangsläufig ein gesundheitsbewusstes Verhalten<br />

herbeiführt (Eichenberg). Ein Grund für die erwähnte Ratlosigkeit liegt zweifellos<br />

in <strong>der</strong> Qualität von Gesundheitsinformationen, wie sie in den üblichen Medien<br />

sowie im Internet verfügbar sind. Mit <strong>der</strong> wachsenden Informationsmenge müssen auch<br />

Gütekriterien für eine sinnvolle Informationsauswahl formuliert werden (Sänger &<br />

Lang). Patienten können sich heute auf eine Reihe von Rechten berufen, wobei allerdings<br />

noch eine beträchtliche Lücke zwischen Normativität und Normalität zu beobachten<br />

ist (Hart).<br />

Ein Leitmodell für eine zeitgerechte Arzt-Patient-Beziehung ist das <strong>der</strong> Partizipativen<br />

Entscheidungsfindung. Die Umsetzung dieses Modells erfor<strong>der</strong>t im Alltag von<br />

Praxen und Kliniken eine Reihe von Kompetenzen und auch Zugeständnissen an die<br />

Patientenseite, welche keineswegs als selbstverständlich gelten dürfen (Buchholz,<br />

Seebauer & Simon). Dass dieses Modell aber auch wegen <strong>der</strong> Passivität von Patienten<br />

manchmal nicht zu realisieren ist, zeigt <strong>der</strong> Beitrag von Ernst, Schrö<strong>der</strong> und Brähler<br />

am Beispiel von hämatoonkologischen Patienten. An<strong>der</strong>erseits lädt dieses Leitmodell<br />

auch ein zu einer Interaktion, die einem Aushandeln von Gesundheitsleistungen gleicht<br />

und den Patienten als jemanden erscheinen lässt, <strong>der</strong> relativ frei agiert auf dem Gesundheitsmarkt<br />

– am deutlichsten bei <strong>der</strong> Selbstmedikation, aber auch bei <strong>der</strong> Inanspruchnahme<br />

von Zusatzleistungen (Schuldzinski & Vogel). Verhandlungsgegenstände<br />

sind nicht nur Gesundheitsleistungen, son<strong>der</strong>n auch die Krankschreibung. Jene kann<br />

mir gutem Gewissen nur vor dem Hintergrund von Kenntnissen über Bedingungen <strong>der</strong><br />

Arbeitswelt erfolgen, welche an <strong>der</strong> Genese von Krankheit beteiligt sein können (Westermayer).<br />

Bei allen Zugeständnissen an den Patienten wird diesem nach wie vor eine<br />

möglichst einsichtsvolle Befolgung ärztlicher Ratschläge und Medikationen abverlangt.<br />

Die For<strong>der</strong>ung von Compliance o<strong>der</strong> Adhärenz scheint allerdings bei einigen Patientengruppen<br />

zu verhallen. Oftmals liegt das an zu komplexen Medikamentenregimes,<br />

aber häufig auch daran, dass das nötige Vertrauen in Behandler und Medikamente<br />

fehlt und die Integration in alltägliche Routinen zu wenig bedacht wird. Nichtadhärenz<br />

stellt zugleich für manche Professionelle eine Infragestellung ihrer Autorität dar<br />

(Hoefert).<br />

Die meisten Patienten bewegen sich heute auf einem geteilten Gesundheitsmarkt. Sie<br />

nehmen primär und in Notfällen die Leistungen <strong>der</strong> konventionellen Medizin in Anspruch,<br />

haben aber keine Probleme, auch Angebote <strong>der</strong> alternativen und komplementären<br />

Medizin zu nutzen. Die typischen Nutzer dieses „zweiten“ Marktes sind überwiegend<br />

weiblich und haben eher einen gehobenen Bildungsstatus. Die parallelen


Vorwort<br />

Nutzungsgewohnheiten sind nicht immer kompatibel, zeigen aber, wie Patienten heute<br />

ihr eigenes Gesundheitsmanagement betreiben (Hoefert). Manche von ihnen suchen<br />

auch etwas, was sie im „ersten“ Gesundheitsmarkt nicht mehr vorfinden, nämlich<br />

Spiritualität, welche im Übrigen auch einen Gesundungsfaktor darstellen kann (Utsch).<br />

An<strong>der</strong>e suchen mehr als Heilung, sie suchen ihr „Heil“ bei Berufen, von denen sich<br />

die konventionelle – aber auch die alternativ-komplementäre – Medizin häufig kritisch<br />

distanziert. Damit symbolisieren sie aber einen Bedarf, <strong>der</strong> über die Medizin als „Reparaturbetrieb“<br />

weit hinausreicht (Straube).<br />

Im letzten Teil dieses Buches wird die Frage behandelt, wie sich verschiedene Institutionen<br />

und Fachrichtungen auf ein verän<strong>der</strong>tes Selbstverständnis von Patienten einstellen.<br />

Am deutlichsten und radikalsten lässt sich dieser <strong>Wandel</strong> in <strong>der</strong> Psychiatrie verfolgen<br />

(Elzer). Auch in <strong>der</strong> Psychotherapie, in <strong>der</strong> ähnlich wie in <strong>der</strong> Psychiatrie ein<br />

Machtgefälle besteht, wissen Patienten mit ihren bescheidenen Einflussmöglichkeiten<br />

umzugehen und bringen den Therapeuten nicht selten in Rechtfertigungszwänge (Klotter).<br />

An<strong>der</strong>s stellt sich die Lage im Bereich <strong>der</strong> Rehabilitation dar. Hier würden Therapeuten<br />

gern mehr „Teilhabe am gesellschaftlichen Leben“ bei chronisch Kranken<br />

und Behin<strong>der</strong>ten ermöglichen, wobei sich aber gerade wegen <strong>der</strong> Länge <strong>der</strong> Erkrankung<br />

und <strong>der</strong> Beeinträchtigung in fast allen Lebensbereichen eine neue herausfor<strong>der</strong>nde<br />

Rollenkonstellation zwischen Professionellen und Laien ergeben kann (von Kardoff).<br />

Wenn Patienten ihr eigenes Gesundheitsmanagement betreiben, dann nutzen sie auch<br />

häufig die Potenziale von Selbsthilfegruppen, was durchaus Auswirkungen auf den<br />

Umgang mit Therapeuten haben kann (Matzat).<br />

In <strong>der</strong> Gesamtschau gibt es nicht den neuen Patienten, son<strong>der</strong>n individuell unterschiedlich<br />

stark ausgeprägte Patientenbedürfnisse und durchaus neue, demokratischen o<strong>der</strong><br />

konsumorientierten Idealen verpflichtete Verhaltensweisen von Patienten, die eine<br />

Herausfor<strong>der</strong>ung für Professionelle ebenso wie für die Gesundheitsorganisationen<br />

darstellen und damit die Chance für eine persönliche o<strong>der</strong> institutionelle Weiterentwicklung<br />

bieten.<br />

13


Teil I<br />

Historische Hintergründe und<br />

neuere Entwicklungen


Der arbeitende Patient<br />

Kerstin Rie<strong>der</strong> und Manfred Giesing<br />

Einleitung<br />

Als in den 1950er Jahren die Gesundheitssoziologie entstand, beschrieb Talcott Parsons<br />

die Merkmale <strong>der</strong> Situation des Patienten wie folgt: „helplessness and need of help,<br />

technical incompetence and emotional involvement“ (Parsons, 1951, S. 440). Charakteristisch<br />

für den Patienten sind demnach seine mangelnde Kompetenz, sich selbst zu<br />

helfen, und seine Angewiesenheit auf den Arzt o<strong>der</strong> die Ärztin. Die Rolle des Patienten<br />

ist nach Parsons zudem dadurch gekennzeichnet, dass vom Patienten eine Kooperation<br />

mit dem Arzt erwartet wird, damit er so bald wie möglich wie<strong>der</strong> gesund und damit<br />

ein leistungsfähiges Mitglied <strong>der</strong> Gesellschaft wird. Dies gilt auch heute noch, wenngleich<br />

die Erwartungen an den Patienten in dieser Kooperation sich seither massiv<br />

verän<strong>der</strong>t haben. Es wird erwartet, dass Patientinnen und Patienten sehr viel stärker<br />

eigenverantwortlich die Sorge für ihre Gesundheit übernehmen und sich hierzu Kompetenzen<br />

aneignen, welche früher Fachpersonen vorbehalten waren. Diese Verän<strong>der</strong>ungen<br />

<strong>der</strong> Rolle <strong>der</strong> Patienten stehen im Zusammenhang mit gesellschaftlichen Verän<strong>der</strong>ungen<br />

und ihren Folgen für das Gesundheitswesen.<br />

Im Folgenden werden zunächst einige zentrale gesellschaftliche Makrotrends skizziert<br />

(Abschnitt 1) und im Anschluss daran Konsequenzen für das Gesundheitswesen (Abschnitt<br />

2). Dabei steht die Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Rolle <strong>der</strong> Patientinnen und Patienten hin<br />

zu einer stärker aktiven Rolle im Fokus. Hierauf wird in Abschnitt 3 anhand einer Reihe<br />

von Beispielen eingegangen. Ausgehend hiervon wird die These formuliert, dass sich<br />

<strong>der</strong>zeit ein neuer Typus des Patienten entwickelt, <strong>der</strong> arbeitende Patient. Abschließend<br />

wird diskutiert, inwieweit das Outsourcing zum Patienten längerfristig erfolgreich sein<br />

kann und wo sich Grenzen dieser Entwicklung zeigen (Abschnitt 4).<br />

1 Gesellschaftliche Makrotrends<br />

Ein erster zentraler Trend ist <strong>der</strong> demografische <strong>Wandel</strong>. Bedingt durch stabil niedrige<br />

Geburtenraten sowie eine steigende Lebenserwartung wächst <strong>der</strong> Anteil Älterer in <strong>der</strong><br />

Gesellschaft in den Industrienationen. Beispielsweise sind aktuell in Deutschland 19 %<br />

<strong>der</strong> Bevölkerung mindestens 65 Jahre alt. Nach einer Hochrechnung des Statistischen<br />

Bundesamtes (2006) werden im Jahr 2050 hingegen 30 % <strong>der</strong> Bevölkerung <strong>der</strong> Generation<br />

65+ angehören. Der Trend hin zu einer älteren Bevölkerung ist mit massiven<br />

Konsequenzen für Wirtschaft und Gesellschaft verbunden, welche <strong>der</strong>zeit noch längst<br />

nicht vollständig absehbar sind.<br />

Nicht neu, aber immer noch bestimmend ist <strong>der</strong> Trend zur Individualisierung. Gemeint<br />

ist das Recht, aber auch die Pflicht jedes einzelnen, sein Leben selbst zu entwerfen und<br />

sich in diesem Entwurf zu verwirklichen. Aspekte von Individualisierung finden sich


18<br />

Kerstin Rie<strong>der</strong> und Manfred Giesing<br />

in <strong>der</strong> abendländischen Geschichte zu unterschiedlichen Zeiten, beginnend bereits in<br />

<strong>der</strong> Antike (Beck, 1996). Jedoch waren diese jeweils unterschiedlich stark ausgeprägt.<br />

So war die feudale Ständegesellschaft des Mittelalters überwiegend gekennzeichnet<br />

durch die Tatsache, dass je<strong>der</strong> in seinen Stand hineingeboren war und kaum Möglichkeiten<br />

hatte, aus dem damit vorgezeichneten Lebensweg auszubrechen. Mit <strong>der</strong> Neuzeit<br />

und später <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne entstand zunehmend die Möglichkeit, das eigene Leben entsprechend<br />

individueller Vorlieben und Talente selbst zu gestalten. In den Städten entwickelte<br />

sich ein gebildetes Bürgertum, mit dem Aufkommen des Protestantismus<br />

verlor die Kirche als Institution an Bedeutung und das individuelle Verhältnis zu Gott<br />

wurde wichtiger. Die Philosophie <strong>der</strong> Aufklärung betonte schließlich die Mündigkeit<br />

des einzelnen Bürgers und die Demokratisierung in vielen Län<strong>der</strong>n Europas schaffte<br />

die politische Grundlage für ein stärker selbstbestimmtes Leben des einzelnen.<br />

Nach dem Zweiten Weltkrieg fand in den westlichen Industrienationen und speziell<br />

auch in Deutschland ein weiterer massiver Individualisierungsschub statt (Beck, 1996).<br />

Mit dem deutlich gestiegenen Wohlstand, den verbesserten Bildungschancen für die<br />

breite Bevölkerung sowie den Verän<strong>der</strong>ungen in den Geschlechterverhältnissen in Folge<br />

<strong>der</strong> zweiten Frauenbewegung boten sich den Individuen ganz neue Spielräume für die<br />

Gestaltung des eigenen Lebensentwurfs. Die Loslösung aus traditionellen Lebensformen<br />

brachte jedoch auch den Verlust von Sicherheiten und neue Risiken.<br />

Schaut man sich die Entwicklung in den letzten Jahrzehnten an, so wird deutlich, dass<br />

die Massenmedien und speziell auch das Internet für die Herausbildung eines je eigenen<br />

Lebensentwurfs eine zunehmend wichtige Rolle spielen. Identitätsbildung und<br />

Vergesellschaftung finden zunehmend über Medienkommunikation statt (Sutter, 2005;<br />

Jäckel & Mai, 2005). Das Internet bietet beispielsweise eine Grundlage für eine virtuelle<br />

Vergesellschaftung, etwa über soziale Netzwerke wie „Facebook“ o<strong>der</strong> „MySpace“.<br />

Hier kann sich <strong>der</strong> einzelne in soziale Systeme integrieren und zugleich seine Einzigartigkeit<br />

darstellen, etwa über die Veröffentlichung seines Profils und das „Mitreden“<br />

in Chats o<strong>der</strong> Foren.<br />

Bei aller Vielfalt <strong>der</strong> möglichen Lebensentwürfe heute ist allerdings zu berücksichtigen,<br />

dass tatsächlich getroffene Wahlentscheidungen (z. B. bezogen auf Berufswahl, Konsummuster,<br />

Lebensgemeinschaften) sich nicht selten auf ein recht enges Spektrum <strong>der</strong><br />

potenziell verfügbaren Optionen beschränken. An<strong>der</strong>s formuliert: Die Individualisierung<br />

„geht […] einher mit Tendenzen <strong>der</strong> Institutionalisierung und Standardisierung“<br />

(Beck, 1996, S. 119). Dies lässt sich beispielsweise anhand <strong>der</strong> Mode veranschaulichen,<br />

wo im Alltag einige wenige Kleidungsstücke gemäß den Gesetzen <strong>der</strong> Massenproduktion<br />

allgegenwärtig sind. Man stellt seine Individualität z. B. generationsübergreifend<br />

millionenfach dar mittels Tragen von Cargohosen, Jeans und T-Shirts.<br />

Ein dritter zentraler Trend, welcher unsere Gesellschaft massiv verän<strong>der</strong>t, ist die rasante<br />

technische Entwicklung. Dieser Trend besteht schon seit mindestens 200 Jahren, er hat<br />

sich in den letzten Jahrzehnten jedoch noch einmal erheblich beschleunigt. Veranschaulichen<br />

lässt sich dies am Beispiel <strong>der</strong> Audiotechnik. Wer heute Mitte 40 ist, hat bereits<br />

eine ganze Serie von umwälzenden Neuerungen auf diesem Gebiet miterlebt: vom<br />

Schallplattenspieler über das Tonbandgerät und den Kassettenrekor<strong>der</strong> bis hin zum


Der arbeitende Patient 19<br />

CD-Player und schließlich zum MP3-Player o<strong>der</strong> iPod (einige Zwischenstufen, welche<br />

auf dem Markt weniger erfolgreich waren, sind hier gar nicht erwähnt).<br />

Die rasante technische Entwicklung zeigt sich auch in einem tiefen Graben zwischen<br />

den Generationen, was die Nutzung etwa des Internets angeht. Während Ältere erst<br />

langsam den Zugang zum Internet suchen und finden, wachsen Jüngere mit dem World<br />

Wide Web auf. Beispielsweise nutzten im Jahr 2009 96 % <strong>der</strong> Jugendlichen zwischen<br />

14 und 19 Jahren das Internet, hingegen nur 27 % <strong>der</strong> Personen ab 60 Jahren (van Eimeren<br />

& Frees, 2009). Vergleicht man, welche Angebote jeweils verwendet werden,<br />

so zeigt sich, dass Ältere (ab 60) vor allem E-Mail, Suchmaschinen und Homebanking<br />

nutzen. Jüngere (zwischen 14 und 19) nutzen ebenfalls E-Mail und Suchmaschinen,<br />

sie verwenden darüber hinaus jedoch eine Reihe weiterer Anwendungen (ebd.). Hierzu<br />

gehören Instant-Messaging (80 %), Online-Communities (79 %), Gesprächsforen/<br />

Newsgroups/Chats (76 %) sowie Videos im Netz (65 %). Dies bedeutet auch, dass das<br />

das Web 2.0 (also die Möglichkeit, dass Nutzerinnen und Nutzer selbst Inhalte im<br />

Internet erstellen und bearbeiten) überwiegend von Jugendlichen und jungen Erwachsenen<br />

genutzt wird.<br />

Ein vierter Trend schließlich hängt eng zusammen mit <strong>der</strong> technischen Entwicklung,<br />

nämlich <strong>der</strong> <strong>Wandel</strong> <strong>der</strong> Unternehmen-Kunden-Beziehungen. Unternehmen verlagern<br />

systematisch Funktionen, die bislang von Mitarbeitenden wahrgenommen wurden, auf<br />

ihre Kunden, Klienten und Patienten (Voß & Rie<strong>der</strong>, 2005; Rie<strong>der</strong> & Voß, 2009). Auch<br />

dieser Prozess ist nicht ganz neu, hat jedoch in den letzten Jahren eine neue Qualität<br />

angenommen. Er begann in Deutschland mit <strong>der</strong> Ausbreitung von Selbstbedienungsgeschäften<br />

im Lebensmitteleinzelhandel in den 1950er Jahren. Selbstbedienung erfuhr<br />

dann in den 1970er Jahren eine starke Ausweitung beispielsweise in <strong>der</strong> Möbelbranche<br />

(IKEA), in Fast-Food-Ketten, Baumärkten, Drogeriemärkten und an Tankstellen.<br />

Seit Ende <strong>der</strong> 1990er Jahre spielt das Internet eine wichtige Rolle bei <strong>der</strong> weiteren Ausbreitung<br />

<strong>der</strong> Mitwirkung <strong>der</strong> Kundschaft an <strong>der</strong> Leistungserbringung. Insbeson<strong>der</strong>e<br />

entstanden durch die Entwicklung des Internets und speziell auch des Web 2.0 vielfältige<br />

neue Möglichkeiten für die Auslagerung von Arbeitsschritten an Kundinnen und<br />

Kunden (z. B. im Rahmen von E-Commerce und E-Banking). Ein frühes Beispiel ist<br />

<strong>der</strong> inzwischen als Handelskonzern mit breiter Angebotspalette agierende Internet-<br />

Buchhändler Amazon. Amazon praktizierte als eines <strong>der</strong> ersten Unternehmen erfolgreich<br />

die web basierte Selbstbedienung. Tätigkeiten, welche bei einem klassischen<br />

Buchhändler durch die Mitarbeitenden erledigt werden (Suche nach bestimmten Produkten,<br />

Beratung, Bezahlung) macht <strong>der</strong> Kunde hier selbst mit Hilfe <strong>der</strong> Internetplattform<br />

des Unternehmens, o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Kundinnen und Kunden erledigen dies für ihn.<br />

Beispielsweise schreiben Kunden Buchrezensionen, welche an<strong>der</strong>en die Auswahl eines<br />

Buches erleichtern.<br />

Insgesamt lässt sich die Entwicklung so zusammenfassen, dass die aktive Mitarbeit von<br />

Kundinnen und Kunden einerseits quantitativ zunimmt, an<strong>der</strong>erseits aber auch eine neue<br />

Qualität erhält: Kunden bedienen sich zunehmend nicht nur selbst, sie bedienen auch<br />

an<strong>der</strong>e Kundinnen und Kunden. Damit entsteht, so die an an<strong>der</strong>er Stelle ausgeführte<br />

These, ein neuer Typus des Kunden, <strong>der</strong> arbeitende Kunde (Voß & Rie<strong>der</strong>, 2005; Rie<strong>der</strong>


20<br />

Kerstin Rie<strong>der</strong> und Manfred Giesing<br />

& Voß, 2009). Wie Kundinnen und Kunden in verschiedenen Fel<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Dienstleistungsarbeit<br />

mitarbeiten, welche Erwartungen sie dabei an die Dienstleistungsorganisationen<br />

haben und wie eine Professionalisierung <strong>der</strong> Arbeit von Kundinnen und Kunden<br />

ermöglicht werden kann wird aktuell in einem vom Bundesministerium für Bildung und<br />

Forschung (BMBF) sowie dem Europäischen Sozialfonds für Deutschland (ESF) geför<strong>der</strong>ten<br />

Verbundprojekt untersucht (www.interaktive-arbeit.de; Rie<strong>der</strong> & Voß, in press).<br />

2 Trends im Gesundheitswesen<br />

2.1 Zunahme <strong>der</strong> Bedeutung chronischer Krankheiten<br />

Im Zusammenhang mit <strong>der</strong> verlängerten Lebenserwartung und dem in Abschnitt 1<br />

beschriebenen demografischen <strong>Wandel</strong> steht ein verän<strong>der</strong>tes Muster an Erkrankungen<br />

in <strong>der</strong> Bevölkerung. Das Spektrum <strong>der</strong> Krankheiten ist in den Industrienationen heute<br />

gekennzeichnet durch einen vergleichsweise geringen Anteil an Infektionskrankheiten<br />

und durch die starke Verbreitung chronischer (Nichtinfektions-)Erkrankungen. Dies<br />

zeigt <strong>der</strong> Vergleich zwischen den Ursachen für Krankheitslast (Burden of Disease) in<br />

den wohlhabenden Län<strong>der</strong>n und den wirtschaftlich wenig entwickelten Nationen (WHO,<br />

2008). In Län<strong>der</strong>n mit niedrigem Einkommen wird die größte Krankheitslast verursacht<br />

durch Infektionskrankheiten <strong>der</strong> unteren Atemwege, Durchfallerkrankungen, HIV/Aids<br />

und Malaria. Auch in den Industrienationen bestimmten Infektionskrankheiten noch<br />

vor 200 Jahren das Krankheitsgeschehen (Ackerknecht, 1992). Seitdem ist die Lebenserwartung<br />

stark gestiegen und Infektionskrankheiten haben erheblich an Bedeutung<br />

verloren. Vielmehr entsteht in den Län<strong>der</strong>n mit hohem Einkommen die größte Krankheitslast<br />

aufgrund von unipolaren depressiven Störungen, ischämischen Herzkrankheiten,<br />

zerebrovaskulären Krankheiten (Schlaganfall) sowie Morbus Alzheimer und an<strong>der</strong>en<br />

Demenzerkrankungen (WHO, 2008).<br />

Eine Studie des Fritz-Beske-Instituts geht zudem davon aus, dass aufgrund des demografischen<br />

<strong>Wandel</strong>s <strong>der</strong> Anteil <strong>der</strong> chronischen Erkrankungen in <strong>der</strong> Bevölkerung in<br />

Deutschland künftig weiter zunehmen wird (Beske et al., 2009). In <strong>der</strong> Folge werden<br />

erhebliche Mehrkosten für die gesundheitliche Versorgung erwartet. Damit würde sich<br />

die bereits aktuell bestehende Problematik <strong>der</strong> Finanzierung des Gesundheitswesens<br />

möglicherweise verschärfen. Gegen diese Annahmen wird allerdings die sogenannte<br />

Kompressionshypothese ins Feld geführt. Dementsprechend wird die Bevölkerung in<br />

Deutschland sowie in an<strong>der</strong>en Industrienationen durchschnittlich nicht nur älter, son<strong>der</strong>n<br />

die Phasen eingeschränkter Gesundheit werden auch zunehmend komprimiert<br />

(Kühn, 2004). Diese Annahme wird inzwischen durch verschiedene empirische Untersuchungen<br />

bestätigt (ebd.). Hochrechnungen, wie die des Fritz-Beske-Instituts, berücksichtigen<br />

eine solche Verringerung von Zeiten mit gesundheitlicher Beeinträchtigung<br />

allerdings noch nicht. Auch wenn es zutrifft, dass die Bevölkerung nicht nur<br />

durchschnittlich älter son<strong>der</strong>n auch insgesamt gesün<strong>der</strong> wird, wird jedoch auch in<br />

Zukunft damit zu rechnen sein, dass chronische Krankheiten eine wichtige Rolle im<br />

Krankheitsgeschehen <strong>der</strong> Industrienationen spielen.

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