Lebensart
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■2 <strong>Lebensart</strong><br />
Öfter mal kommt<br />
Jamie Oliver (r.)<br />
in Mälzers Show,<br />
die beiden<br />
sind Buddys<br />
100 stern 23/2012<br />
kommt es zu weiteren Nachahmungen.<br />
Oliver gibt eigene Simpel-Kochbücher<br />
raus? Mälzer gibt auch<br />
Simpel-Kochbücher raus. Oliver<br />
kocht mit arbeitslosen Jugendlichen?<br />
Mälzer kündigt Kochen mit<br />
Arbeitslosen an. Oliver wirbt für<br />
eine eigene Pfanne? Tim wirbt für<br />
eine „Mälzer-Zange“. Oliver (eine<br />
Frau, vier Kinder) geht in die<br />
Schulen und kocht für Kinder?<br />
Mälzer (eine Freundin, keine<br />
Kinder) kocht in der „Sesamstraße“.<br />
Oliver prangert Massentierhaltung<br />
an? Mälzer klärt auf: das<br />
traurige Leben der armen Tiere<br />
aus der Massentierhaltung.<br />
Mälzer ist der weinende und der<br />
lachende Klon. Er wird zum Plagiat<br />
und wird reich, fragt sich aber:<br />
„Liegt das an mir, dass ich das<br />
mache, oder hab ich nur Glück<br />
gehabt?“ Wer ist er eigentlich?<br />
Mälzer ist berühmt für Anfälle<br />
rüder Offenheit, pflegt die Aura<br />
des Vorstadtprolls. Bei Johannes<br />
B. Kerner sagt Mälzer, Kartoffelpüree<br />
aus der Packung sei in Ord-<br />
nung, was soll der Scheiß. Er<br />
steht für geringen Aufwand, mit<br />
Ehrlichkeit und Authentizität.<br />
Weswegen es ihn, der sonst so<br />
emotionsfrei ist, uncool auffahren<br />
lässt, wenn „so einer“ wie<br />
Gastrokritiker Jürgen Dollase<br />
über ihn urteilt, Mälzer kokettiere<br />
nur, er spiele den kulinarischen<br />
Tütenclown mit demselben<br />
Ziel, das alle Fernsehköche<br />
hätten: Geld zu machen. „Dafür<br />
hau ich ihm mal eine …“ Mälzer<br />
bremst sich.<br />
Doch wie steht es mit seiner<br />
Echtheit? „Born to Cook“<br />
heißen seine ersten Bücher<br />
– ein Leben für die Küche. Doch<br />
Mälzer ist alles andere als zum<br />
Koch geboren. Ziellos durchlebt<br />
er die Schule, der Vater nicht da,<br />
die Mutter in der Großküche, aus<br />
der sie Styroporboxen mit Kantinenessen<br />
nach Hause bringt.<br />
Eine kulinarische Prägung gibt<br />
es nicht.<br />
Mälzer schafft das Abi, weiß<br />
aber nicht, was er damit machen<br />
soll. Jemand schlägt ihm eine<br />
Hotellehre vor. Okay, Tim lernt<br />
im Hamburger Interconti, wo er<br />
und der Chef gleich eine Hassliebe<br />
pflegen. Mälzer ist Punk, gescheit,<br />
aber wenig geschmeidig.<br />
Als der Chef übel gelaunt scheint,<br />
sagt Mälzer: „Na, Chef, heute<br />
schlecht geschissen?“<br />
Mälzer darf fürs Erste das Kühlhaus<br />
putzen. Am Ende hat sich<br />
der Chef nicht so, er öffnet ihm<br />
noch ein paar Türen in London.<br />
Doch auch dort, schon im Ritz,<br />
denkt Mälzer noch, den Löffel abzugeben:<br />
„Die Arbeitszeiten, das<br />
Geld, der Ton, wie ich behandelt<br />
wurde, das Buckeln – ich wollte<br />
aufhören zu kochen.“ Born to<br />
cook – sieht anders aus.<br />
Nach dem Ritz trifft Mälzer auf<br />
Jamie Oliver, damals noch ein<br />
Niemand. Die beiden verstehen<br />
sich. Sie arbeiten zusammen im<br />
Restaurant „Neal Street“, einem<br />
Londoner Italiener. Erst dort endlich<br />
kann Chefkoch Gennaro<br />
Contaldo Mälzer infizieren mit<br />
dem Spaß am Produkt und am<br />
Kochen.<br />
W<br />
ährend Oliver ins „River<br />
Café“ wechselt und fürs<br />
Fernsehen entdeckt wird,<br />
geht Mälzer nach Hamburg und<br />
heuert bei Christian Rach an. In<br />
dessen Restaurant „Engel“ darf<br />
er wirken, zappeln und improvisieren.<br />
Dort speist Martin Lagoda, damals<br />
Chefredakteur bei „essen &<br />
trinken“, ein Herr mit Fliege und<br />
Hang zu Nadelstreifen. Die zwei<br />
kommen ins Gespräch. Mälzer<br />
sabbelt und quatscht, schnoddert<br />
und schnackt. Lagoda ist amüsiert.<br />
„Der Mälzer hat was, er<br />
erzeugt in seinem Lokal eine<br />
Stimmung schrankenloser Geselligkeit;<br />
Nadelstreifen und Gummistiefel<br />
sitzen nebeneinander.“<br />
In jenen Tagen gärt es im<br />
deutschen Kochfernsehen. Bei<br />
Vox haben die Jungs vom „Kochduell“<br />
so lange dieselben Zutaten<br />
gerührt, dass die Sendesauce<br />
gerinnt. Was Neues muss her,<br />
warum nicht so einer wie Jamie<br />
Oliver? Vox gehört zu Bertelsmann,<br />
„essen & trinken“ auch,<br />
man fragt Lagoda: „Wir brauchen<br />
schnell einen deutschen Jamie –<br />
wer kann das sein?“ Lagoda<br />
nennt Mälzer.<br />
Das Sendekonzept funktioniert<br />
auch bei uns. Mälzers Look, das<br />
Gelaber, das Herabzerren des<br />
Kochens vom Sockel der Kunst …<br />
„Schmeckt nicht, gibt’s nicht“ –<br />
so heißt die Sendung – wird ein<br />
Hit, dort geht alles schnell und<br />
mühelos. Hopp hopp, ramba zamba,<br />
Essen ist fertig! Die Leute<br />
lieben Märchen von schneller<br />
Mühelosigkeit. Folglich kaufen<br />
sie die Bücher, Mälzer wird reich.<br />
Dass Kochen so nicht läuft,<br />
weiß er in Wahrheit auch. 2010<br />
erscheint ein Kochbuch, dessen<br />
Rezepte er (Küchenbulle trifft<br />
Jahrhundertkoch) mit Eckart<br />
Witzigmann verantwortet. „Wenn<br />
man kocht, sollte man Zeit investieren<br />
und mit Muße arbeiten.<br />
Ich mache das Gegenteil“, gesteht<br />
Mälzer, „und tue immer so, als<br />
ginge alles ganz schnell. Juhu,<br />
schleudere Zutaten zusammen,<br />
voilà, fertig. Die Wirklichkeit<br />
funktioniert anders. Alles dauert<br />
einfach ein bisschen, und zumindest<br />
zu Hause sollte man sich<br />
die Zeit dafür nehmen.“<br />
Der JuhuAnsatz ist also eine<br />
Masche. Aber Mälzer ehrt, dass<br />
er sie auf die Dauer nicht ertra <br />
gen hat. Sein TütenpüreeAuftritt<br />
bei Kerner war 2004, „Schmeckt<br />
nicht, gibt’s nicht“ lief bis 2007.<br />
Nach seinem Kollaps setzte er die<br />
Show nicht mehr lange fort. Von<br />
der FolgeSerie „Born to Cook“<br />
liefen nur sechs Sendungen. Mit<br />
dem WitzigmannBuch war Mälzer<br />
in der Realität angelangt und<br />
ehrlich geworden.<br />
Nirgends fühlt er sich heute so<br />
wohl wie in seinem Lokal, der<br />
Bullerei. Im Grunde macht er<br />
dort, was er vor dem Fernsehen<br />
schon machte und immer wollte,<br />
nur auf eigene Kosten und mit<br />
Erfahrung im Rücken. Er schafft<br />
eine Stimmung gelassener Geselligkeit<br />
für Nadelstreifer wie<br />
Gummistiefler. Wenngleich … also<br />
bitte, Nina, nicht auch noch beim<br />
Abholen!<br />
„Was?“, fragt er voll Unverständnis,<br />
„du warst noch nie in der Bullerei?<br />
Schau dir das mal an. Die<br />
2<br />
Bullerei, das bin ja so ich!“ FOTOS: MaTThiaS haupT<br />
23/2012 stern 101