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Europas Juden im Mittelalter - Speyer, Historisches Museum der Pfalz

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Wandlungen durchmachte. So findet man Ende des 15. Jh. den Turm innerhalb eines<br />

Zierrahmens. Zwei Wächter flankieren den Turm, auf dem zwei Vögel sitzen. Im 1. Drittel<br />

des 16. Jh. wandelt sich <strong>der</strong> Turm zu einer Burg. Die Druckerzeichen gehören zu den<br />

kunstvollsten ihrer Art. Weitere Dependancen <strong>der</strong> Offizin wurden in an<strong>der</strong>en italienischen<br />

Städten gegründet. Italien, das zunächst ein sicherer Zufluchtsort für die <strong>Juden</strong> zu sein schien,<br />

än<strong>der</strong>te in <strong>der</strong> Folge <strong>der</strong> Reformation seine Haltung. Als die Kirche erkannte, dass sie Martin<br />

Luther nicht aufhalten konnte, ging man den Weg strikter Abschottung gegen alle<br />

Abweichler. Die <strong>Juden</strong> waren von dieser Welle <strong>der</strong> Restriktionen ebenfalls betroffen und so<br />

sah sich die Familie Soncino gezwungen, Italien zu verlassen und ihre Druckerei 1527 nach<br />

Saloniki und 1530 nach Istanbul zu verlegen. Da die musl<strong>im</strong>ischen Herrscher <strong>der</strong> Neuerung<br />

des Buchdrucks mit Vorbehalten begegneten, wollten sie den Buchdruck in ihrem Reich zwar<br />

nicht allgemein einführen, gestatteten aber den <strong>Juden</strong> den Buchdruck, allerdings mit <strong>der</strong><br />

Einschränkung, dass sie nur hebräische und lateinische Lettern, aber keine arabischen<br />

verwenden dürften. Zunächst war man nicht in <strong>der</strong> Lage, die reiche Buchillustration gedruckt<br />

wie<strong>der</strong>zugeben, das war erst ab dem 16. Jh. <strong>der</strong> Fall. Man legte Wert auf schöne Gestaltung<br />

<strong>der</strong> Buchstaben und ließ seine Lettern von berühmten Graveuren schneiden. So rühmte sich<br />

Gerschom Soncino in <strong>der</strong> Spätrenaissance, <strong>der</strong> sowohl griechische und lateinische als auch<br />

hebräische und italienische Werke druckte, für seine Buchstabentypen den damals<br />

berühmtesten Graveur Italiens Francesco Grypho aus Bologna gewonnen zu haben. Die<br />

Druckerei Soncino war für ihre ästhetisch ansprechenden Buchstaben berühmt, die beson<strong>der</strong>s<br />

vom Schwarz-Weiß-Gegensatz lebten. Es wurden zum ersten Mal <strong>im</strong> Buchdruck verzierte<br />

Initialen geschaffen entsprechend dem Brauch <strong>der</strong> Buchmalerei und für die Seiten wurden<br />

kostbar verzierte Rahmen hergestellt. Natürlich galten die verzierten Rahmen vor allem <strong>der</strong><br />

Titelseite. In <strong>der</strong> Ausstellung ist das berühmte Verlagshaus Soncino durch verschiedene<br />

Drucke vertreten, so z.B. mit den Büchern <strong>der</strong> früheren Propheten (1485), die mit einem<br />

Kommentar des David K<strong>im</strong>chi versehen sind, und <strong>der</strong> Druckausgabe <strong>der</strong> späteren<br />

Propheten (1486), ebenfalls mit einem Kommentar des David K<strong>im</strong>chi. Letztere Ausgabe<br />

ist noch mit handschriftlichen Glossaren des ehemaligen jüdischen Besitzers in hebräischer,<br />

lateinischer, italienischer und griechischer Sprache versehen, die damit von dessen<br />

umfassen<strong>der</strong> Sprachkenntnis und Gelehrsamkeit zeugen. Beide Werke erschienen zum ersten<br />

Mal <strong>im</strong> Druck bei Soncino.<br />

Von Isaak ben Salomo ibn Sahula ist das Meschal haKadmoni (1490) Exponat <strong>der</strong><br />

Ausstellung. Das Werk, dessen Titel übersetzt heißt: „Gleichnis <strong>der</strong> Vorzeit“ gehört zur<br />

unterhaltenden Literatur und ist ein Fabelbuch, das Isaak ibn Sahula <strong>im</strong> 13. Jh. verfasste und<br />

gleichzeitig mit Illustrationen ausstattete. Da viele frühe jüdische Handschriften in den Zeiten<br />

<strong>der</strong> Verfolgung verloren gegangen waren, war das Meschal haKadmoni das einzige jüdische<br />

Werk, auf das man in Text und Bild noch zurückgreifen konnte, da es noch erhalten war.<br />

Dieses Buch ist in <strong>der</strong> Geschichte des hebräischen Buchdrucks deshalb wichtig, weil es das<br />

erste gedruckte Buch mit figürlichen Darstellungen ist. Gerschom Soncino, <strong>der</strong> das Buch<br />

1490 in Brescia herausbrachte, fügte über 80 Holzschnitte hinzu, die auf den<br />

handschriftlichen Vorlagen beruhten.<br />

Dass die jüdische Buchkunst das Wesentliche ist, was von <strong>der</strong> jüdischen Kunst überhaupt<br />

erhalten blieb, hängt nicht zuletzt auch mit <strong>der</strong> ständigen Verfolgungssituation <strong>der</strong> jüdischen<br />

Gemeinden zusammen. Bücher waren etwas, das man auf <strong>der</strong> Flucht mitnehmen konnte.<br />

Den <strong>Juden</strong> wurde bei Vertreibungsaktionen nämlich nicht gestattet, wertvolle Dinge<br />

mitzunehmen. Die Mitnahme von Büchern erlaubten die Christen dagegen, weil sie nicht<br />

erkannten, welch wertvollen Besitz die Bücher mit ihren Malereien darstellten. Außerdem<br />

waren die <strong>Juden</strong> ein Volk des Buches, für sie waren die Bibel und die religiösen Bücher das<br />

Wichtigste ihres Glaubens und das Zentrum ihres Lebens. Da die <strong>Juden</strong> alle sehr gebildet<br />

waren, lesen und schreiben konnten, waren für sie Bücher ein unverzichtbares Gut.<br />

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