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Leseprobe (PDF) - Vandenhoeck & Ruprecht

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2. Jahrgang 4 | 2013 | ISSN 2192-1202Leid fadenFACHMAGAZIN FÜR KRISEN, LEID, TRAUERHumor – heilsamoder zerstörend?Klaus Aurnhammer und Martina Kern Humor in der Sterbebegleitung – istdas möglich? Eckart von Hirschhausen »Unsterblichkeit ist nicht jedermannsSache« Hans-Joachim Pieper Wenn der Tod kommt, ist Sense Alfred Gerhards»Das Lächeln am Fuße der Bahre« – Sterben, Trauer und Humor


Dorothee Bürgi, Humor – heilsam oder zerstörend?1EDITORIALHumor und Trauer – Heilsam oder zerstörerisch?Ein Heft, das sich ausschließlich mit Humor inTrauer, Leid und Krise befasst, weckt Neugierde,kann aber auch befremden. Heißt es doch in demin der Medizin bekannten Satz: »In Gegenwartdes Kranken haben Gespräche zu verstummen,entfliehe das Lachen. Während die Krankheitalles beherrscht.« 1 Ist diese Haltung antiquiert,überholt und steht heute anstelle ihrer die Forderung»Humor ist, wenn man trotzdem lacht« –auch wenn es innerlich weh tut?Vielleicht ist der Tod nur mit Humor zu ertragen,wenn man ihm schon nicht entkommenkann. Woody Allen drückte es anders aus: »Ichhabe nichts gegen den Tod, ich möchte nur nichtdabei sein, wenn es passiert.« Nach manchen Definitionenist Humor die Fähigkeit, auf bestimmteDinge heiter und gelassen zu reagieren – undwo wäre diese heitere Gelassenheit wichtiger alsbei Krankheit, Sterben und Tod? Wäre das nichtein guter Tod: mit einem entspannten Lächelnauf den Lippen und am besten mit einem Bonmotwie das von Oscar Wilde: »Entweder gehtdiese scheußliche Tapete – oder ich.«Die lateinische Herkunft des Wortes Humorverweist auf Feuchtigkeit, gemeint ist die Zusammensetzungder Körpersäfte, die Temperamentund Stimmungslage festlegen. Auch die Etymologiebietet schon die Nähe zur feuchten Erde desGrabes. Im Mittelalter wurde der Tod oft auch alsNarr dargestellt und umgekehrt.Zumindest für manche Menschen scheintauch ein tiefschwarzer Humor sehr hilfreich zusein beim Umgang mit Leid und Verlust. So wieder krebskranke Patient, der sich als Handy-Ton»Spiel mir das Lied vom Tod« eingestellt hatteund sich immer, wenn er angerufen wurde, mitklammheimlicher Freude umsah, wie die Anwesendenauf diesen makaberen Ton reagierten.Ist Humor heilsam oder zerstörerisch? Zu dieserFrage kommen in diesem Heft Fachleute ausunterschiedlichen Bereichen zu Wort. Sie berichtenaus ihrer Tätigkeit und zeigen, wie Humor inder Begleitung von Menschen in Krise, Leid oderTrauer als menschliches Phänomen wirkt, wo erin ihrer Arbeit seinen Platz hat und wie er als Ressourcefür Bewältigungs- und Heilungsprozessegenutzt werden kann. Sie erklären, welche tieferliegendeAuffassung hinter ihrem Humorverständnissteht, wie Humoristisches das Ziel verfehlenkann und wo sie die Grenzen setzen. Eineshaben sie jedoch gemeinsam: Humor ist bei ihnennicht nur erlaubt, sondern ist eine Notwendigkeit.So geht es in diesem Heft also nicht um dieFrage, ob Humor sinnvoll und sinnstiftend eingesetztwerden kann oder soll, sondern darum,wie wir mit den hellen und dunklen Seiten desHumors bei uns selbst wie auch bei den Betroffenenund ihren Angehörigen umgehen können.Humor ist eine wichtige Ressource in der Begleitung– zu wichtig, als dass wir darauf verzichtenkönnten!Dorothee BürgiLukas Radbruch1 Praesente aegroto taceant colloquia, effugiat risus. Dum omniadominat morbus.Leidfaden, Heft 4 / 2013, S. 1, © <strong>Vandenhoeck</strong> & <strong>Ruprecht</strong> GmbH & Co. KG, Göttingen, 2013, ISSN 2192–1202© 2013, <strong>Vandenhoeck</strong> & <strong>Ruprecht</strong> GmbH & Co. KG, GöttingenISBN Print: 9783525806043 — ISBN E-Book: 9783647806044


Dorothee Bürgi, Humor – heilsam oder zerstörend?Inhalt1 Editorial4 Klaus Aurnhammer und Martina KernHumor in der Sterbebegleitung – ist das möglich?12 Margit Schröer und Susanne Hirsmüller»Da sind uns vor Lachen die Tränen gekommen!«17 Wolfgang LalouschekBurnout und Humor22 Arnold LangenmayrHumor und seine unbewussten Wurzeln30 Eckart von Hirschhausen»Unsterblichkeit ist nicht jedermanns Sache«(Goethe)39 Dorothee BürgiHumor – die Einwilligung, sich Haltgebendem zuüberlassen44 Wolfgang Oelsner»So ein Tag, so wunderschön wie heute«49 Georg SchwikartJeder Tod hat sein Gelächter52 Hans-Joachim PieperWenn der Tod kommt, ist Sense26 Lukas RadbruchGlossar zu Humorund seinen Spielarten58 Alexander RadingerDer Mensch ist des Menschen Medizin(afrikanisches Sprichwort)35 Dr. JoHumor in Momentender Trauer© 2013, <strong>Vandenhoeck</strong> & <strong>Ruprecht</strong> GmbH & Co. KG, GöttingenISBN Print: 9783525806043 — ISBN E-Book: 9783647806044


Dorothee Bürgi, Humor – heilsam oder zerstörend?71Hans MaderEin Pfarrer sammelt Todesanzeigen75 Rainer PauseBloß keinen trockenen Streuselkuchen!80 Werner EbnerEs darf gelacht werden – Cybermobbing84 Reiner SörriesDer Lustige Friedhof von Kramsach in Tirol61 Wolfgang NeumannViel Freud im Leid88 Alfred Gerhards»Das Lächeln am Fuße der Bahre« –Sterben, Trauer und Humor91 Fortbildung94 Rezensionen96 Nachrichten99 Vorschau100 Impressum64 Beatrix WondraczekTrauer und Humor68 Ernst HellerHumor ist der Schlüssel zur Seele© 2013, <strong>Vandenhoeck</strong> & <strong>Ruprecht</strong> GmbH & Co. KG, GöttingenISBN Print: 9783525806043 — ISBN E-Book: 9783647806044


Dorothee Bürgi, Humor – heilsam oder zerstörend?4Humor in der Sterbebegleitung – ist das möglich?Klaus Aurnhammer und Martina KernHumor in der Sterbebegleitung – geht das? Einerster Impuls vieler Menschen ist: Nein, das gehtnicht. Man kann ja über vieles lachen im Leben,aber doch nicht über das Sterben. Und schongar nicht über den Sterbenden. Letzteres stimmt.Aber darum geht es ja auch nicht. Es geht um dieFrage, ob im Angesicht des Todes sterbende Menschenselber noch humorfähig sind.Bevor wir diese Frage beantworten, solltenwir überlegen, was wir überhaupt unter Humorverstehen. Wichtig ist eine Abgrenzung: Humorist mehr als Comedy und Witzemachen. Humorist, wie der Duden das einmal formulierte, »dieGabe eines Menschen, der Unzulänglichkeit derWelt und der Menschen, den Schwierigkeiten undMissgeschicken des Alltags mit heiterer Gelassenheitzu begegnen«. So verstanden ist Humor alsoetwas, das dem Menschen hilft, mit Widrigkeitenklarzukommen. Humor zeigt vielleicht erst geradedann seine wohltuende Wirkung, wenn esMenschen schlecht geht. Beim politischen Witzist das zum Beispiel erkennbar. Repressive Systemeerzeugen sehr subtile und meist doppelbödigeWitze. Man könnte hier fragen, in welchemTeil Deutschlands bis 1989 der bessere politischeWitz existierte. Ein weiteres Beispiel ist der jüdischeWitz. Als immer wieder unterdrücktes Volkin West- und Mitteleuropa kennen die Juden eineUnzahl wunderbarer, heiterer und selbstironischerGeschichten und Witze.Überlegenheitstheorie – vomUnten oder Oben im ErlebenHumortheoretiker nehmen diese Art des politischenund gesellschaftlichen Humors als Beispielfür die sogenannte Überlegenheitstheorie(Bischofberger 2008). In sozialen Systemen, so dieTheorie, gibt es ja immer ein mehr oder wenigerausgeprägtes Oben und Unten. Eine Geschichtewird dann zum Witz, wenn sie auf überraschendeArt »die da oben« aufs Korn nimmt oder wennsie eine Eigenschaft »derer da unten« selbstironischkommentiert. In beiden Fällen bietet derWitz eine entlastende Funktion für die Betroffenen.Der Witz funktioniert als entlastendes Elementaber nur, wenn er aus der Perspektive derBedrängten erzählt wird.Was für den politischen Witz plausibel erscheint,wird für den Sterbenden zur Frage. Giltauch für schwersterkrankte und sterbende Menschen,dass sie in der Bedrängnis des bald endendenLebens noch Humor entwickeln, oder hörtder Spaß dann auf?Herr Moritz, 84 Jahre alt, ist in letzter Zeitimmer hinfälliger geworden. Sein Herz istschwach, er kann immer weniger selbst verrichten.Seine Kinder versorgen ihn liebevoll. EinesTages sagt er lächelnd bei der Morgenpflege zuseinem Sohn: »Weißt du, ich glaube mein Mindesthaltbarkeitsdatumist abgelaufen.«»Kopf hoch, Schwanz geringelt«, sagt HerrLudwig. Er ist Sägewerksbesitzer und hat geradein einem Aufklärungsgespräch erfahren,dass sein Leben nur noch kurz sein kann.Die beiden Männer zeigen Humor. Statt sich vomdrohenden Sterben niederdrücken zu lassen, erhebensie sich mit einem »flotten Spruch« überihr Schicksal und trotzen ihm.Es stimmt: auch am Lebensende sind Menschenzum Humor fähig.Leidfaden, Heft 4 / 2013, S. 4–11, © <strong>Vandenhoeck</strong> & <strong>Ruprecht</strong> GmbH & Co. KG, Göttingen, 2013, ISSN 2192–1202© 2013, <strong>Vandenhoeck</strong> & <strong>Ruprecht</strong> GmbH & Co. KG, GöttingenISBN Print: 9783525806043 — ISBN E-Book: 9783647806044


Dorothee Bürgi, Humor – heilsam oder zerstörend?Paul Klee, Maske dreizahn, 1932 / The Bridgeman Art LibraryGilt auch für schwersterkrankte und sterbende Menschen, dass sie in derBedrängnis des bald endenden Lebens noch Humor entwickeln, oder hörtder Spaß dann auf?© 2013, <strong>Vandenhoeck</strong> & <strong>Ruprecht</strong> GmbH & Co. KG, GöttingenISBN Print: 9783525806043 — ISBN E-Book: 9783647806044


Dorothee Bürgi, Humor – heilsam oder zerstörend?6 Klaus Aurnhammer und Martina KernInkongruenztheorie –irgendwas passt hier nichtEine weitere Theorie beschreibt, wie der Witzauch zustande kommen kann: durch Inkongruenz.Der Grundgedanke der Inkongruenztheorielautet: Zwei verschiedene Situationen oder Gedanken,die eigentlich nicht zusammenpassen,werden auf überraschende Weise zusammengefügt.In einer Familie wird die Krebserkrankungder Oma besprochen. Auch die noch jüngerenEnkelkinder sind anwesend. Ruhig und offenwird erklärt, was die Oma hat, von Krebs istdie Rede, allen ist der Ernst der Lage anzumerken.Irgendwann bemerkt die Enkeltochter:»Ach Mist, Oma, dass du Krebs hast. Warumkannst du nicht eine Winkelkrabbe haben?«Die Kleine war eine Woche zuvor an der Nordseegewesen und hatte dort den Unterschiedzwischen Krebs und Winkelkrabbe anschaulichentdeckt. Die bedrückende Stimmung warsofort aufgehoben, alle lachten erleichtert.Die witzige Überraschung und der Grad des Kontrastsbestimmen den humorvollen Effekt. DiesesPrinzip entdecken wir häufig in der Situationskomik.Diese Form von Humor erfordert ein Augefür das Unerwartete und Unkonventionelle. DerEffekt des Humors ist nach dieser Theorie folgender:Menschen können stressige und schwierigeSituationen durch Perspektivenwechsel selbstbesser verarbeiten.Herr Meier starb als junger Familienvater vielzu früh. Seine Frau, seine Eltern und sein kleinerSohn sind tief betrübt. Eines Tages ist FrauMeier mit ihrem Sohn im Badezimmer. DerKleine sitzt in der Wanne. Er sagt: »Es ist dochso Mami: Wenn dir das Wasser bis zum Halssteht, darfst du den Kopf nicht hängen lassen,sonst gehst du unter.« Kaum gesagt, probierter das aus und taucht unter.Das Schmunzeln, das die Mutter zeigt, rührt daher,dass ihr Sohn überraschenderweise das Badenmit dem Trauern um den Vater verknüpft.Der tiefere Sinn aber liegt darin, dass der Jun-© 2013, <strong>Vandenhoeck</strong> & <strong>Ruprecht</strong> GmbH & Co. KG, GöttingenISBN Print: 9783525806043 — ISBN E-Book: 9783647806044© Lukas Radbruch


Dorothee Bürgi, Humor – heilsam oder zerstörend?Humor in der Sterbebegleitung – ist das möglich? 7ge mit dieser sehr einfachen Umschreibung dieUmgangsstrategie »Kopf hoch« der Familie beschreibt.Auch das wird Frau Meier in diesemMoment klar.und lustige Anekdoten berichtet, die Trauergästekönnen schmunzeln oder lachen. So ist Abstandgewonnen, der das eigentlich Schwere anderstragen lässt.Abstand von zu viel BetroffenheitbekommenHumor hat gerade da, wo das Sterben nahe ist,verschiedene Funktionen. All diese Funktioneneint, dass sie den Beteiligten gut tun, sie führenzueinander hin, schaffen und fördern Beziehungenund benennen scheinbar Unaussprechliches.Eine Grundfunktion, die den Humor auszeichnet,ist Abstand zu bekommen, Abstand zu dem,was eigentlich so drängend nahe ist.Frau Lang liegt auf der Palliativstation. Sieweiß, dass ihr Leben nur noch kurz währt, undhat begonnen die »letzten Dinge« zu regeln. Sielebt geschieden und hat mit ihren Kindern nurgelegentlich Kontakt. Eines Morgens kommtsie auf das Thema Bestattung zu sprechen.»Am liebsten würde ich mich verbrennen lassen«,sagt sie, »und die Asche soll auf demAldi-Parkplatz verstreut werden.« Die Krankenschwesterist erstaunt. »Wieso denn das?«,fragt sie. »Ganz einfach«, antwortet Frau Lang,»dann bin ich mir sicher, dass sie mich wenigstenseinmal die Woche besuchen kommen.«Am Ende des Lebens zu realisieren, dass die engstenBeziehungen gestört sind, ist bedrängend. Daschafft die Idee, die Asche auf einem Parkplatz zuverstreuen, für Frau Lang eine Distanz, die – zumindestfür den Augenblick – gut tut. Der Abstanderleichtert, lässt durchatmen, Kraft schöpfen.Ein ähnliches Phänomen finden wir beimsogenannten Leichenschmaus. Nach der so intensivenund dichten Bestattungsfeier am Grab,gefüllt mit Trauer und Bedrängnis, kann es sein,dass beim anschließenden Kaffeetrinken die Erinnerungenan den Verstorbenen auch humorvollenCharakter bekommen. Da werden heitereLeichtigkeit schaffenEine weitere Funktion des Humors besteht darin,ein wenig Leichtigkeit im sonst so schwer zuTragenden zu schaffen. Man könnte auch sagen:Humor entkrampft.Herr Bär leidet an einem Darmtumor. Er warvor einem Jahr operiert worden. Jetzt wurdenMetastasen in der Leber und am Bauchfellfestgestellt. Herrn Bär ist der Ernst der Lagebewusst, er hatte sich von Beginn seiner Erkrankungan für alle medizinischen Detailsund Hintergründe interessiert. Jetzt will ervom Arzt wissen, wie lange er noch zu lebenhat. Doch so ganz direkt will er nicht fragen,das fällt ihm dann doch zu schwer. Stattdessenwählt er eine andere Lösung. Er fragt grinsendden Arzt: »Sagen Sie ehrlich, lohnt es sichnoch, einen Jahreswagen zu kaufen?«Der Humor, den Herr Bär hat, erleichtert es ihm,seine Frage nach dem Sterben zu stellen, ohnedas Sterben direkt zu benennen. Das hilft. Aberes hilft nicht nur ihm. Ohne Zweifel ist die Fragenach dem Jahreswagen auch für den gefragtenArzt eine Brücke. Ein pfiffiger und humorbegabterArzt könnte zum Beispiel antworten: »Na ja,Herr Bär, vielleicht wäre ein günstiger gebrauchterpassender.« Ein solcher Wortwechsel würdeDinge klären, ohne sie zu verharmlosen und ohnesie zu dramatisieren. Je nach Situation könntedies der Einstieg in ein tieferes Gespräch darübersein, was Herr Bär noch erwartet. Genauso gutkönnte es aber sein, dass diese beiden Sätze fürHerrn Bär und den Arzt ausreichen. Auch ohneeine Fortsetzung des Gesprächs hätten die beideneinander und die Situation – das Leben istbegrenzt – verstanden.Humor und Trauer – Heilsam oder zerstörerisch?© 2013, <strong>Vandenhoeck</strong> & <strong>Ruprecht</strong> GmbH & Co. KG, GöttingenISBN Print: 9783525806043 — ISBN E-Book: 9783647806044


Dorothee Bürgi, Humor – heilsam oder zerstörend?8 Klaus Aurnhammer und Martina KernKontakt aufnehmen –wider die SprachlosigkeitHumor hat also nicht nur psychische Funktionenfür den einzelnen Menschen, sondern auchkommunikative. Niemand kann sich selbst Witzeerzählen. Das funktioniert einfach nicht. Humorlebt in und von Beziehung. Humor ist imWesentlichen eine Gabe und Fähigkeit zu interagierenund zu kommunizieren. Im Zwischenmenschlichenzeigt sich der ganze Reichtum desHumors.Patient zu sein bedeutet abhängig zu sein, abhängigvon der Erkrankung, abhängig von denen,die gesund sind und einfach mehr können, abhängigvon den Fachleuten, den Ärzten und denPflegenden. Patienten fühlen sich eben nicht»obenauf«, sondern eher »am Boden«. Der Humorerlaubt, genau dieses Gefälle auf den Kopfzu stellen.Herr Meiser liegt auf der Onkologie. Die Chemotherapie,der er erhält, nimmt ihn sehr mit,er ist geschwächt und benötigt im Momentviel pflegerische Unterstützung. Diese Abhängigkeitvon anderen stößt ihm bitter auf.Eines Tages fragt er die Krankenschwester verschmitzt:»Schwester, was ist der Unterschiedzwischen einem Tumor und einer Krankenschwester?«Die Schwester schüttelt den Kopf:»Keine Ahnung.« »Ganz einfach«, antwortetHerr Meiser, »ein Tumor kann gutartigsein.« »Eins zu null für Sie«, sagt die Krankenschwesterlachend.Die Abhängigkeit ist für einen Momentvergessen, Herr Meiser hat diese Runde gewonnen,seine Unterlegenheit ist aufgehoben.Durch das gemeinsame Humorverständnis istdie Beziehung zu Herrn Meiser ein wenig intensiverund vertrauter geworden. »Sie sindmeine Verbündete im Leid«, erklärt Herr Meiserspäter. »Diese ganze Betroffenheit ist nämlichnicht zum Aushalten hier.«Sprachfähig machenDie Abhängigkeit der Patienten von anderen erfährtimmer da eine Zuspitzung, wo es um Intimesgeht. Wo die Selbständigkeit und Mobilitätnachlassen und die Pflegebedürftigkeit zunimmt,erleben kranke Menschen, dass andere ihnenkörperlich nahekommen: Gewaschen werden, anoderausgezogen werden, zur Toilette gebrachtwerden, das sind Situationen, in denen der Krankeseine Intimsphäre verletzt sieht. Er muss diesenRaum, der sonst im Leben mit Scham geschütztwar, öffnen. Vielen fällt das schwer. Wiekann man mit diesen Tabubrüchen (»darüberspricht man nicht«) umgehen? Auch in diesenSituationen hat der Humor eine wichtige Funktion.Er macht intime Dinge benennbar und besprechbar.Herr Denzer leidet an Peniskrebs. Wegen anhaltenderSchmerzen und wegen starker Wassereinlagerungenvom Becken abwärts kam erauf die Palliativstation. Allein aufstehen kanner nicht, die schmerzenden und unförmigenBeine hindern ihn daran. Bei der Visite sagter dankbar zur Stationsärztin: »Frau Doktor,gucken Sie doch mal, wie er kleiner gewordenist.« Er zeigt auf seinen abgeschwollenen Penis.»Die Jüngeren wären darüber nicht froh.Aber es kommt immer darauf an, wie er gebrauchtwird.«Diese humorvolle Interpretation seiner Lageschafft Herrn Denzer einen ausreichend großenAbstand zu einer eigentlich kaum auszuhaltendenLage. Und zugleich ermöglicht er mit seinemSatz der Ärztin, mit ihm über etwas sehr Intimeszu sprechen. Sein Humor hat einen Sprachraumeröffnet, der ansonsten mit Scham geschützt istund verschlossen bleibt.Nicht ganz so tragisch erscheinend, aber dochauf derselben Linie ist folgende Begebenheit, diesich in einem Altenpflegheim zutrug.LEIDFADEN – FACHMAGAZIN FÜR KRISEN, LEID, TRAUER Heft 4 / 2013© 2013, <strong>Vandenhoeck</strong> & <strong>Ruprecht</strong> GmbH & Co. KG, GöttingenISBN Print: 9783525806043 — ISBN E-Book: 9783647806044


Dorothee Bürgi, Humor – heilsam oder zerstörend?Humor in der Sterbebegleitung – ist das möglich? 9Herr Bender ist 92 Jahre alt und lebt seit einemhalben Jahr im Altenheim. Er benötigt zwarpflegerische Unterstützung, versucht aber immernoch vieles allein zu regeln. Eines Tagesläuft er mit offener Hose über den Flur. Die Altenpflegerinspricht ihn darauf an. Herr Benderschaut gar nicht erschrocken nach unten.In ruhigem Ton antwortet er mit tragenderStimme: »Da, wo ein Toter ruht, da lass einFenster offen.«Humor statt Scham – Raum schaffen inherausfordernden SituationenDoch nicht nur körperliche Intimzonen oderSexualität sind schamgeschützte Bereich desmenschlichen Lebens. Es gibt auch andere Peinlichkeiten,die es dem Kranken erschweren, mitanderen in Kontakt zu gehen. Immer wieder führtdies zu sozialer Isolation. Daran leiden Menschengenauso wie an ihrer Grunderkrankung. Auchhier kann Humor eine hilfreiche Funktion haben:Frau Claus hatte vor fast zwanzig Jahren Brustkrebsentwickelt. Die Brust wurde entfernt, sieerhielt Bestrahlung und Chemotherapie, derKrebs schien besiegt. Nun hatten ihr die Chirurgenaufgrund eines neu gewachsenen Tumorsan der Innenseite des Oberarms den gesamtenArm amputieren müssen. Ihr war dieSituation peinlich. Die fehlende Brust hatteman ihr nie ansehen können, aber der fehlendeArm war so offensichtlich. Sich auf derStraße zu zeigen oder auf Leute zuzugehen,fiel ihr schwer. Eine ihrer Töchter lebte einigeHundert Kilometer entfernt und begannin der Zeit der Erkrankung ihrer Mutter Briefezu schreiben. Eines Tages kam ein solcherBrief. Knapp unterhalb der Briefmarke hattedie Tochter, mit feinem Filzstift gezeichnet,ein »Strichfrauchen« auf den Briefumschlaggesetzt.Eine Brust, ein Arm, damit konnte nur sieselbst gemeint sein. Peinlich berührt und erbostrief sie bei der Tochter an, um sich zubeschweren: »Was soll denn das?«, so FrauClaus, »das bin doch ich!« »Klar«, antwortetedie Tochter, »und, hat der Briefträger etwadumm geschaut?«. »Nein, hat er nicht. Er hatdas gar nicht kapiert, dass ich das bin.« »Eben«,sagte die Tochter, »jeder kann’s sehen, aber keiner,dem du’s nicht sagst, versteht den Zusammenhang.Den verstehen nur wir zwei.«Von diesem Brief an zierten alle folgendenBriefumschläge solche Bildchen, malmit Schirm, mal mit Hut, mal im einhändigenHandstand. Mutter und Tochter hattenstets ihre heimliche Freude daran, dass das,was eigentlich sichtbar war, nur ihnen beidenvorbehalten blieb.Humor und Trauer – Heilsam oder zerstörerisch?© 2013, <strong>Vandenhoeck</strong> & <strong>Ruprecht</strong> GmbH & Co. KG, GöttingenISBN Print: 9783525806043 — ISBN E-Book: 9783647806044


Dorothee Bürgi, Humor – heilsam oder zerstörend?10 Klaus Aurnhammer und Martina KernDer Tochter von Frau Claus gelang es mit diesergewagten Humorintervention, einen schamgeschütztenBereich besprechbar zu machen, ohnedie Scham zu durchbrechen. Für die beiden Frauenwar ein Sprachraum entstanden, der nur fürsie beide reserviert war. Die Scham konnte weiterbestehen, aber sie isolierte Frau Claus nichtmehr. Solches zu bewirken verleiht dem Humoreine gewisse Eleganz und Raffinesse.Verbindung schaffen durch HumorWenn Menschen Humor miteinander teilen können,sind sie inniger verbunden als vorher. Zugleichschafft es der Humor immer wieder, ganzunterschiedliche Themen miteinander zu verknüpfen.Humor verdichtet sozusagen.Ebenfalls mit Scham hat folgende Geschichtezu tun. Obwohl in den letzten Jahren die Urnenbeisetzungals Bestattungsform rasant zugenommenhat, ist sie für viele Menschen immer nochfragwürdig: Darf man das überhaupt? Ist daswirklich gut? Solche Fragen tauchen auf.Frau Herzog war gestorben. Sie hatte zuletztviele Hautmetastasen am ganzen Körper gehabt,die ihr Aussehen sehr verändert hatten.Sie und ihre Familie hatten sich für eineUrnenbeisetzung entschieden. In einer Trauergruppeerzählt die Tochter von Frau Herzogdem begleitenden Seelsorger davon.»Wir haben sie dann eben verbrannt. WissenSie, so entstellt, wie sie zuletzt aussah,konnten wir sie da oben doch nicht aufwachenlassen.«Der Humor dieses Satzes vereint und verschränktganz unterschiedliche Themen miteinander: dasLeid der Entstellung durch die Krankheit, dasRingen um die Würde der Bestattung und dieHoffnung auf ein Jenseits, das nicht einfach etwasfortsetzt, sondern etwas Neues, Schöneresumfasst. Zugleich ist die Äußerung der trauerndenFrau Herzog eine Einladung, mit ihr und denangedeuteten Themen in Verbindung zu gehen.Ein gutes Trauergespräch könnte so beginnen.Rollen klären und neu sortierenIn der Begleitung Sterbender steht die Kommunikationinsgesamt auf dem Prüfstand. Nicht alles,was im Alltag bisher zählte und kommunikativ»normal« war, trägt in dieser besonderen Situation.Immer wieder machen Ehepartner, Familienoder Freunde die Erfahrung, dass jetzt einbesonders Feingefühl gefragt ist. Das Gewohnte,das Eingeschliffene, das Routinierte kommtan seine Grenzen. Auch die gewohnten Rollensind davon betroffen. Der, der immer für allesgesorgt hat, der immer alles wusste und konnte,liegt jetzt als Kranker und Sterbender da undkann nicht mehr, die, die immer tat, was von ihrverlangt war, muss jetzt von sich aus tun und regeln.Das fällt allen schwer.Herr Gärtner ist so ein Regler und »Alles-Könner« gewesen. Jetzt hat ihn ein Lebertumorschwach und kraftlos gemacht. Er kommtnicht mehr aus dem Bett heraus, braucht füralles Handreichung und Hilfe. Seine Frau sitzttreu an seiner Seite, fühlt sich aber hilflos undder Situation nicht gewachsen. So tut sie, wassie auch früher tat. Sie sorgt sich um ihn. Siehilft beim Waschen und Ankleiden, bringtSelbstgekochtes mit ins Krankenhaus. HerrnGärtner aber hat der Appetit verlassen. Nurwiderwillig isst er die mitgebrachten Speisenseiner Frau zuliebe. Er möchte ihr nicht vorden Kopf stoßen, traut ihr nicht offen zu sagen,dass er nicht mehr essen mag. Frau Gärtnerkommt auf die Station und hat Himbeerenmitgebracht. »Schau«, sagt sie, »aus demGarten. Und so zubereitet, wie du sie magst.«Herr Gärtner seufzt und probiert zwei oderdrei Himbeeren. Dann lässt er den Löffel sinken.»Was ist?«, fragt seine Frau. Herr Gärtnerschaut seine Frau an und sagt: »Krebs mag keineHimbeeren!«LEIDFADEN – FACHMAGAZIN FÜR KRISEN, LEID, TRAUER Heft 4 / 2013© 2013, <strong>Vandenhoeck</strong> & <strong>Ruprecht</strong> GmbH & Co. KG, GöttingenISBN Print: 9783525806043 — ISBN E-Book: 9783647806044


Dorothee Bürgi, Humor – heilsam oder zerstörend?Humor in der Sterbebegleitung – ist das möglich? 11Herr Gärtners Humor hinterlässt den Zuhörernicht schenkelklopfend. Sein Humor ist eherstill und leise. Er macht nachdenklich. Nachdenklichmachen ist eine ganz besondere Gabedes Humors. Er bricht das Alte und Gewohnteauf und eröffnet neue Denk- und Sprachräume.Humor verändert, die Situation, das Altbekannte,letztlich alle die, die mit ihm in Kontakt gehen.Frau Gärtner jedenfalls hatte verstanden.Es lag nicht an ihrem Mann, dass er nicht mehraß, es lag auch nicht an ihr und ihrem Bemühen.Es war schlicht und einfach der Krebs, der hiereine Grenze gezogen hatte. Frau Gärtner verzichtetevon da an darauf, ihren Mann zum Essenzu drängen.Beziehungen intensivierenFrau Senzig geht es gar nicht gut. Sie ist Patientinauf der Palliativstation, klagt über Schmerzenund Übelkeit. In den letzten beiden Tagenhat sich ihr Zustand nochmals verschlechtert.Das Sterben rückt offensichtlich näher. Gegendie anflutende Angst hatte sie Medikamentezur Beruhigung erhalten. Daraufhin hattesie in der Nacht gut geschlafen. Bei der Visiteam Morgen fragt der Oberarzt wie es ihr gehe.Frau Senzig antwortet: »Noch ein bisschen besserund es wäre gar nicht zum Aushalten.«Die kommunikativen Funktionen des Humorsbewirken, dass Menschen intensiver miteinanderin Kontakt kommen. Beziehungen vertiefensich, werden klarer und deutlicher. All dies kanngeschehen, ohne dass die Beziehung selbst Themades Gesprächs wird. Menschen müssen nichtimmer »über« sich und den anderen reden, umeinander besser und tiefer zu verstehen. Im unddurch den Humor geschieht es »einfach«. Natürlichbraucht es für dieses »Einfache« Voraussetzungen.Alle Agierenden, der Kranke undSterbende, die Angehörigen, die professionellenHelfer und Begleiter müssen offen sein, für das,was da geschieht, sie benötigen ein Verständnisfür die vielschichtigen und immer miteinanderverwobenen Schichten des Humors.Wenn es stimmt, dass Humor Gabe und Fähigkeitzugleich ist, dann braucht es auch Übung.Sonst verkümmert die Fähigkeit. Am schönstenist es immer, wenn wir diese Fähigkeit bei Menschenbeobachten dürfen, die sich mit dem eigenenSterben auseinandersetzen müssen.Humor und WeisheitDie erzählten Beispiele zeigen noch etwas: HumorbegabteMenschen sind auf dem Weg derWeisheit unterwegs. Der Humor hilft ihnen, das,was ihnen im Leben widerfährt, mit einer gewissenGelassenheit zu betrachten. Zugleich leugnensie aber das kommende Sterben nicht. MonikaMüller (2004) hat dies so beschrieben, dass sichim Humor sterbender Menschen zugleich Ergebenheitwie Erhabenheit zeigt. Menschen ergebensich in die Situation des Sterbens, sie wehren esnicht (mehr) einfach ab, sie nehmen es hin. Zugleichaber erheben sie sich aus ihrem Leid, indemsie nicht mit ihm übereinstimmen. Dies gelingtmit dem Humor. In der Verknüpfung beiderDimensionen zeigt sich tatsächlich Weisheit.Klaus Aurnhammer, Diplom-Theologeund Krankenpfleger, arbeitet als Seelsorgerauf Palliativstationen; Mitarbeit inder Leitung eines ambulanten Hospizdienstes;Vorstandsmitglied der LandesarbeitsgemeinschaftHospiz Saarland e. V.E-Mail: klaus.aurnhammer@marienhaus.deMartina Kern, Gesundheits- und Krankenpflegerin,ist Leiterin des Zentrumsfür Palliativmedizin am Malteser KrankenhausBonn/Rhein-Sieg; Leiterin vonALPHA Rheinland, der Ansprechstelledes Landes NRW zur Palliativversorgung,Hospizarbeit und Angehörigenbegleitung.E-Mail: Martina.Kern@malteser.orgLiteraturhinweiseBischofberger, I.: Das kann ja heiter werden. 2. Auflage. Bern2008.Duden: Das Herkunftswörterbuch. Mannheim 2007.Müller, M.: Dem Sterben Leben geben. Gütersloh 2004.Humor und Trauer – Heilsam oder zerstörerisch?© 2013, <strong>Vandenhoeck</strong> & <strong>Ruprecht</strong> GmbH & Co. KG, GöttingenISBN Print: 9783525806043 — ISBN E-Book: 9783647806044


Dorothee Bürgi, Humor – heilsam oder zerstörend?Trauernde können in für sie besonders belastenden Situationen durchHumor Abstand gewinnen. Auf diese Weise können ein Durchatmen,auch ein Lächeln oder sogar Lachen möglich werden.sieunder / photocase.com»Da sind uns vor Lachen die Tränen gekommen!«Humor – Ein Schutzfaktor für Trauernde und ihre BegleiterinnenMargit Schröer und Susanne HirsmüllerWohl dem, der Humor hat – in guten wie inschweren Zeiten. Dabei ist Humor immer sehrindividuell. Als Charaktereigenschaft kann erMenschen auch in Zeiten größter Belastung wiezum Beispiel in der Trauer begleiten. Andererseitswerden Menschen, die in guten Zeiten keinenHumor haben, in Phasen der Belastung unddes Leidens wohl kaum einen Zugang zu diesemSchutzfaktor finden können.Der Verlust eines geliebten Menschen machtes für alle Betroffenen immer wieder notwendig,ihre je eigenen Möglichkeiten der Auseinandersetzungmit dieser Krisensituation zu suchen und zufinden. Hierbei gehört auch Humor zu den möglichenReaktionsweisen (Bonanno 2011), denn erist eine der Einstellungen zum und im Leben unddaher auch in der Trauer. Humor ist eine lebensbejahendeHaltung, die um die »Brüchigkeit dermenschlichen Existenz mit ihren unvermeidlichenAbschieden« weiß und diese akzeptiert.Leidfaden, Heft 4 / 2013, S. 12–15, © <strong>Vandenhoeck</strong> & <strong>Ruprecht</strong> GmbH & Co. KG, Göttingen, 2013, ISSN 2192–1202© 2013, <strong>Vandenhoeck</strong> & <strong>Ruprecht</strong> GmbH & Co. KG, GöttingenISBN Print: 9783525806043 — ISBN E-Book: 9783647806044


Dorothee Bürgi, Humor – heilsam oder zerstörend?»Da sind uns vor Lachen die Tränen gekommen!« 13Es sei denn, man traut sich den Bär zu fragen:Im Wald wird erzählt, der Bär habe ein Buch, in dem geschrieben steht, wer sterben wird. DerHase grübelt und grübelt darüber nach und geht schließlich nach einigem Zögern zum Bären. »Bär,hast du so ein Buch?«, fragt der Hase. Der Bär nickt. »Stehe ich auch darin?« Der Bär schaut imBuch nach und nickt: »Ja, hier stehst du.« Der Hase tut einen tiefen Seufzer, fällt um und ist tot.Der Dachs denkt über das Gerücht nach und geht auch zum Bären. »Stehe ich in deinemBuch?« Der Bär blättert und sagt: »Ja, Dachs, hier stehst du.« Der Dachs geht in seinen Bau undwurde nie mehr gesehen.Der Spatz flattert hin und her und fliegt schließlich auch zum Bären. »Stehe ich auch in deinemBuch, Bär?« Der Bär blättert erneut und sagt: »Ja, hier stehst du.« Der Spatz überlegt einenMoment und fragt dann: »Bär, kannst du mich da rausstreichen?« Darauf der Bär: »Ja, na klar,kein Problem!«Worin liegen die Schutzfunktionen vonHumor für Trauernde und Begleiterinnen?Im individuellen psychischen Bereich»Nichts ist mehr geeignet, Distanz zu schaffen,als der Humor« (Viktor Frankl). Trauernde könnenin für sie besonders belastenden Situationendurch Humor Abstand gewinnen. Auf dieseWeise können eine kurze Ablenkung und Ent-Spannung – sozusagen »Kurzferien vom Sich-betreffen-Lassen«(Müller 2004) – ein Durchatmen,auch ein Lächeln oder sogar Lachen möglich werden.Nicht selten sind die Trauernden danachüber sich selbst erschreckt: »Wie konnte ich nurso lachen? Ich darf doch nicht lachen, denn ichbin doch so traurig.«Trauerbegleiterinnen, die Humor, Heiterkeitund auch Lachen nicht vor der Tür lassen, sondernbewusst in ihre Tätigkeit mit hineinnehmen,eröffnen Betroffenen und sich selbst denRaum, diesen elementaren Aspekt des menschlichenLebens zu erfahren. Sie können dabei sensibeldas »schlechte Gewissen« der Trauernden,wenn diese sich selbst beim Lachen oder Fröhlichseinertappen, thematisieren. Sie kapitulierennicht sprachlos vor dem Tod, dem Ende jeglicherLebendigkeit, sondern setzen an geeigneten Stellen– ausgehend von Äußerungen der Trauernden– mit Humor behutsam ein Gegengewicht.In belastenden Situationen komische Elementewahrzunehmen und darauf adäquat reagierenzu können beziehungsweise zu dürfen, ermöglichteinen Perspektivenwechsel und kannso vielleicht auch neue Denk- und Handlungsoptioneneröffnen.Martin (2001) unterscheidet adaptive (verbindendeoder selbststärkende) und maladaptive (aggressiveoder selbstentwertende) Humortypen.Dabei beinhalten die adaptiven Humortypen alspositive Bewältigungsform ein erhebliches protektivesPotenzial. Humor zu haben schützt indiesem Sinne zwar nicht vor schmerzhaften Verlusten,aber er kann bei der Bewältigung hilfreichsein, indem eine humorvolle Perspektive selbstunter Stress und Belastungen eingenommen wird.Wild (2012) unterstreicht diese Funktion: »DieBeschäftigung mit humorvollen Inhalten kannvom Nachdenken über innere Konflikte oderSchwierigkeiten ablenken (im Sinne von therapeutischoftmals eher negativer Vermeidung).Andererseits kann dieser Mechanismus aberauch helfen, das oft erfolglose innere Wiederkäuenvon negativen Wahrnehmungen, Selbstvorwürfenoder Ängsten zu unterbrechen. WoDistanzierung gewünscht ist, ist Humor ein probatesMittel.«Auch Freud beschreibt in seiner Erleichterungs-und Entspannungstheorie des HumorsHumor und Trauer – Heilsam oder zerstörerisch?© 2013, <strong>Vandenhoeck</strong> & <strong>Ruprecht</strong> GmbH & Co. KG, GöttingenISBN Print: 9783525806043 — ISBN E-Book: 9783647806044


Dorothee Bürgi, Humor – heilsam oder zerstörend?Den SchutzfaktorHumor zu nutzen bedeutetfür Trauerndeund für Trauerbegleiterinnen,sich auchheitere Momente zuerlauben.14 Margit Schröer und Susanne HirsmüllerGustav Klimt, Rosen unter Bäumen, ca. 1905 / Giraudon / The Bridgeman Art Librarydie Möglichkeit, sich durch Heiterkeit vorübergehenddem Erleben von Leid zu entziehen. Indiesem Sinne dient Heiterkeit auch zur seelischenReinigung (Katharsis), in dem sie hilft, belastendeseelische Erregung abzubauen.Eine Mutter, die ich länger therapeutisch begleitete,erzählte mir (M. S.) schmunzelnd wenigeWochen nach dem Tod ihres schwer behinderten21-jährigen Sohnes: »Wissen Sie, ichvermisse ihn so sehr. Dann sage ich mir aber,andere Jungs ziehen in dem Alter doch auchvon zu Hause aus!«Im zwischenmenschlichenkommunikativen BereichHumor kann helfen, Sprachlosigkeit zu durchbrechenund damit dem zunächst UnaussprechlichenAusdruck zu verleihen. Adäquat eingesetzter Humorermöglicht und unterstützt eine angstfreiere,offenere Kommunikation in wohlwollender Gesprächsatmosphäre.Der Ausspruch »Ein Lächeln ist die kürzesteEntfernung zwischen zwei Menschen« (VictorBorge) macht die soziale Bedeutung von Humorund Heiterkeit deutlich. Zu den wichtigen Faktorenin der Gestaltung von Beziehungen gehörtzweifellos der Sinn für Humor.Hirsch (2001) hat fünf Stufen des PhänomensLachen beschrieben, die Begleiterinnen helfenkönnen, die individuellen Möglichkeiten derTrauernden, Humor zu verstehen und adäquatdarauf zu reagieren, zu erkennen und zu unterscheiden(zitiert nach Bischofberger 2008, S. 41):1. nicht lachen können (ein Mensch kann aufgrundseiner individuellen Vorerfahrungendas Erlebte in der aktuellen Situation nicht lustigfinden);LEIDFADEN – FACHMAGAZIN FÜR KRISEN, LEID, TRAUER Heft 4 / 2013© 2013, <strong>Vandenhoeck</strong> & <strong>Ruprecht</strong> GmbH & Co. KG, GöttingenISBN Print: 9783525806043 — ISBN E-Book: 9783647806044


Dorothee Bürgi, Humor – heilsam oder zerstörend?»Da sind uns vor Lachen die Tränen gekommen!« 152. über andere lachen können (ein Mensch lachtüber Missgeschicke anderer);3. über mich selber lachen können (wichtige Stufein der Persönlichkeitsentwicklung);4. andere dürfen über mich lachen (weiterer Reifungsschritt,Vorbild Clown);5. gemeinsam mit anderen über mich selbst lachen.Eine Trauernde hatte innerhalb weniger Wochenzuerst ihre leicht demente Mutter unddann den sechsjährigen Sohn verloren. Beidewaren nacheinander im gleichen Grab bestattetworden. Die Trauernde überwand ihreund die Sprachlosigkeit der Trauerbegleiterinangesichts ihres unermesslichen Leids, als siehoffend feststellte: »Es tröstet mich zu wissen,dass Benjamin nun auf meine Mutter aufpasst,denn er kannte sich im Dorf schon ganz gutaus und meine Mutter kann ihn jetzt – wo iches nicht mehr kann – oft knuddeln und liebhaben.Und dann stelle ich mir die beiden zusammenim Himmel vor.«Zusammenfassend kannfestgehalten werden:Die Situation eines trauernden Menschen mit Humorzu betrachten bedeutet nicht, ihren Ernstin Abrede zu stellen. Allerdings kommt es dabeiin der Begleitung immer auf die jeweils adäquate(situations- und trauerspezifische) »Dosisund Applikation« des Humors an. »Wer Humorhat, muss nicht notwendig optimistisch sein. Erkann einverstanden sein mit Fragilität, Verfallund Tod«, betont die Psychoanalytikerin BrigitteBoothe (2007). Das Komische und das Lachenkönnen dann ein mögliches Ventil für angestauteWut, Verzweiflung oder Angst in der Trauer sein.Den Schutzfaktor Humor zu nutzen bedeutetfür Trauernde und für Trauerbegleiterinnen, sichauch heitere Momente zu erlauben. Begleiterinnenkönnen aber darüber hinaus Humor bewusstzur Distanzierung einsetzen und so den Trauerndengelegentlich zu einer kurzen Auszeit verhelfen.Dipl.-Psych. Margit Schröer war 30Jahre leitende Psychologin einer großenKinderneurologie und hat in dieserFunktion die Familien mit lebensverkürzenderkrankten Kindern therapeutischbegleitet, sie ist Gründungsmitgliedeiner ambulanten Hospizgruppe undseit 20 Jahren in deren Vorstand, sie ist seit mehr als 10 Jahrenin klinischen Ethikkomitees mehrerer Krankenhäuser tätigund wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Ethikund Kommunikation im Gesundheitswesen an der UniversitätWitten/Herdecke.E-Mail: info@medizinethikteam.deDr. med. Susanne Hirsmüller ist Fachärztinfür Gynäkologie und Geburtshilfe,M. Sc. Palliative Care (Universität Freiburg),Psychonkologin, Medizinethikerinund leitet seit 2006 das Hospiz amEvangelischen Krankenhaus in Düsseldorf.Außerdem ist sie ehrenamtlich imVorstand einer Hospizgruppe tätig.E-Mail: susanne.hirsmueller@evk-duesseldorf.deLiteraturhinweiseAurnhammer, K., Kern, M., Hirsmüller, S., Schröer, M.:Humor in der Palliativmedizin – ein lebensnotwendigesTherapeutikum? Zeitschrift für Palliativmedizin, 2010, 11,276–282.Bischofberger, I. (Hrsg.): Das kann ja heiter werden. Humorund Lachen in der Pflege. 2. Auflage. Bern 2008.Bonanno, G. A.: Die andere Seite der Trauer. Verlustschmerzund Trauma aus eigener Kraft überwinden. Bielefeld 2012.Boothe, B.: Prächtige Selbstdarstellung und humoristischerScharfblick. In: Bachmaier, H. (Hrsg.): Humorstrategien.Lachen macht stark. Göttingen 2007, S. 46–56.Karpawitz, J., Berenbrinker, U.: Humorkompetenz. In: Bachmaier,H. (Hrsg.): Humorstrategien. Lachen macht stark.Göttingen 2007, S. 83–95.Klein, A.: The courage to laugh. Humor, hope and healing inthe face of death and dying. New York 1998.Martin, R. A.: Humor, laughter, and physical health: methodologicalissues and research findings. Psychological Bulletin,2004, 127 (4), S. 504–519.Müller, M.: Dem Sterben Leben geben. Gütersloh 2004.Titze, M., Eschenröder, C. T.: Therapeutischer Humor. Grundlagenund Anwendungen. 4. Auflage. Frankfurt a. M. 2003.Wicki, W.: Humor und Entwicklung. Eine kritische Übersicht.Zeitschrift für Entwicklungspsychologie und PädagogischePsychologie, 2000, 32 (4), S. 173–185.Wild, B.: Humor, Gesundheit und psychische Erkrankungen– ein Beipackzettel. In: Wild, B. (Hrsg.): Humor inPsychiatrie und Psychotherapie. Neurobiologie – Methoden– Praxis. Stuttgart 2012, S. 47–65.Humor und Trauer – Heilsam oder zerstörerisch?© 2013, <strong>Vandenhoeck</strong> & <strong>Ruprecht</strong> GmbH & Co. KG, GöttingenISBN Print: 9783525806043 — ISBN E-Book: 9783647806044


Dorothee Bürgi, Humor – heilsam oder zerstörend?16Fernand Léger, The Dancer to the Birds, 1953 © VG Bild-Kunst, Bonn 2013 / INTERFOTO / SuperStock / Peter WilliDer Einfluss von Humor auf das soziale Klima hilft somit auch, dieBereitschaft zur gegenseitigen Unterstützung von Arbeitnehmern undArbeitnehmerinnen zu erweitern, und ermöglicht eine Atmosphäregegenseitigen Vertrauens.© 2013, <strong>Vandenhoeck</strong> & <strong>Ruprecht</strong> GmbH & Co. KG, GöttingenISBN Print: 9783525806043 — ISBN E-Book: 9783647806044


Dorothee Bürgi, Humor – heilsam oder zerstörend?17Burnout und HumorWolfgang LalouschekEin bisschen glücklicher bitte …da schöpfen Sie Hoffnung!(Nikolaus Harnoncourt bei der Orchesterprobe)»Der Humor ist ein menschliches Organ, das irgendwozwischen der Leber und der Tränendrüsesitzt, ganz in der Nähe seines Nachbarorgans, derPhantasie. Kürzlich hatte ich Gelegenheit, mich mitGott über seine Schöpfung zu unterhalten, und dahat er mir gesagt, wie stolz er auf diese beiden Organesei, die er dem Menschen eingepflanzt habe,und wie enttäuscht er sei, dass wir nicht mehr Gebrauchdavon machen, denn er hätte sie dem Menschengegeben, wie den Katzen die Krallen, nämlichum sich in der feindlichen Welt zu behaupten«(Franz Hohler, Schweizer Kabarettist und Autor).Burnout und Humor –Geht das zusammen?Als mich vor einiger Zeit Dorothee Bürgi nacheinem Artikel zu »Humor und Burnout« fragte,habe ich gleich erfreut zugesagt. Wenngleich ichbislang in den Jahren der Begleitung von Burnout-Betroffenennicht explizit über dieses Themanachgedacht hatte, so schien es mir doch gutzu unserem Verständnis der Begleitung und derBeziehung zu unseren Klienten und Patienten zupassen. Eine ganz grundsätzliche Lebensfreudeund positive Einstellung – trotz aller Belastungen– sind doch auch die Ingredienzien, die wirvermitteln möchten – so dachte ich.Als ich jedoch begann Literatur zu dem Themazu suchen, folgte eine gewisse Ernüchterung.Je mehr ich mich mit dem Thema bewusst auseinanderzusetzenbegann, umso humorloser fühlteich mich. Wenig ansprechenden Buchumschlägenfolgten trockene Ausführungen, wie gesundLachen doch sei, und lahme Witze, deren Espritsich mir lesenderweise so gar nicht erschießenwollte. Warum war das so?Dieser Gedanke führte mich zu einigen grundsätzlichenKennzeichen, die mein persönlichesBild von Humor prägen. Das erste davon ist seinspontanes Auftreten. Humor als geplante Intervention,mit viel Hintergrundwissen über seineEntstehung und Auswirkungen, schien mirfremd. Das zweite ist der enge Kontext zu der Situation,in der Humor auftreten und passend seinkann. Mir theoretisch vorzustellen, wie ich Humor»einsetzen« könnte, fühlte sich so an, als wolleman eine lockere und spontane Improvisationbestimmten Regeln und Strategien unterwerfen.Und obwohl es für meine Klienten im Gesprächmit mir sicher immer wieder humorvolle Situationengibt, wollte mir kaum eine konkrete davoneinfallen. So flüchtig, wie man eben eine improvisierteMelodie nach drei Tagen auch nichtmehr wiedergeben kann. Das dritte Merkmal istdie sichere und – bei allem professionellen Kontext– liebevolle Beziehung zu meinen Patienten.Ohne dieses Fundament kann Humor – dem Titeldieses Themenhefts entsprechend – tatsächlichzerstörerisch und verletzend sein. Im Lesenüber Patienten, die ich nicht kannte, war diesesGefühl für mich auch nicht spürbar und der beschriebene»Humor« in den Dialogen ziemlichtheoretisch.Nun habe ich mittlerweile dazugelernt undmein persönliches Bild von Humor in der Begleitungvon Menschen etwas erweitern und änderndürfen. Zum einen merkte ich, dass unterdem Begriff »Humor« oft verschiedene Aspektevermischt werden. Zum anderen erlaubt die Dif-Leidfaden, Heft 4 / 2013, S. 16–21, © <strong>Vandenhoeck</strong> & <strong>Ruprecht</strong> GmbH & Co. KG, Göttingen, 2013, ISSN 2192–1202© 2013, <strong>Vandenhoeck</strong> & <strong>Ruprecht</strong> GmbH & Co. KG, GöttingenISBN Print: 9783525806043 — ISBN E-Book: 9783647806044


Dorothee Bürgi, Humor – heilsam oder zerstörend?20 Wolfgang Lalouschekterfragen, einmal »gegen den Strich zu bürsten«,und so ihre Absurdität und Paradoxie zutage tretenlassen. Immerhin haben wahrscheinlich zumindesteinzelne Menschen auch außerhalb deseigenen Unternehmens überlebt.Humor erlaubt es Personen auch, Fehler zumachen. Wenn Menschen zusammensitzen undsich über ihre größten Fehler oder schlimmstenPeinlichkeiten unterhalten und gemeinsam darüberlachen können, zeigt das neue Wege des Umgangsmit Fehlern.Durch oft überraschende Perspektivenwechselregt Humor auch sogenanntes divergentes undlaterales Denken an und fördert somit Vorstellungsvermögen,Kreativität und geistige Flexibilität.Hinreichend erforscht ist die starke Wirkunghumoriger Ereignisse, die von außen auf Personeneinwirken. Humor reduziert negative Emotionen,die als Reaktion auf einen Stressor ausgelöstwerden. Die Tatsache, dass der Einsatz vonHumor speziell vor einem unangenehmen Ereignissowohl starke angstreduzierende Wirkung erzieltwie auch eine Steigerung positiver Stimmunghervorruft, kann gerade in belastenden Situationenhilfreich sein.Im Kontext von Burnout sind auch die positivenEinflüsse von Humor auf das Arbeitsklimarelevant. Der Förderung sozialer Unterstützungsprozesseals präventive Maßnahme kommt nebendem Abbau arbeitsbezogener Stressoren und derErweiterung des Handlungs- und Entscheidungsspielraumsgroße Bedeutung zu. Der Einfluss vonHumor auf das soziale Klima hilft somit auch, dieBereitschaft zur gegenseitigen Unterstützung vonArbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen zu erweitern,und ermöglicht eine Atmosphäre gegenseitigenVertrauens, in der Einzelne keine Angstvor Fehler zu haben brauchen. Plato wird der Satzzugeschrieben: »In einer Stunde gemeinsamenSpielens kann man mehr über eine Person entdeckenals in einem Jahr Konversation.« DieserEffekt ist auch bei Betriebsausflügen gut zu beobachten.Der Einfluss von Humor auf die drei Dimensionendes Burnout (Erschöpfung, Depersonalisierung,reduziertes Leistungsgefühl) wurde ineiner Befragung von 284 Ausbildenden von Krankenschwesternerforscht. Das Ergebnis zeigt einensignifikanten Zusammenhang zwischen Humorund Depersonalisierung sowie persönlicher Leistungsfähigkeit.Personen mit hoch ausgeprägtemSinn für Humor zeigen geringere Anzeichen vonDepersonalisation und höhere Leistungsfähigkeit.Keine Verbindung ist zwischen dem Einsatz vonHumor als Coping-Strategie und emotionaler Erschöpfungzu erkennen. Darüber hinaus bestätigtdiese Studie, dass Personen in höheren hierarchischenPositionen mehr Humor benutzen.Humor erlaubt auch in schwierigen und aussichtsloserscheinenden Situationen, das Gefühlder Kontrolle über die eigene Kraft zu erleben.Am Beispiel von Vietnam-Soldaten lässt sich dieBedeutung von Humor als Mittel für sehr individuellesBewältigungsverhalten, als Methodeder zwischenmenschlichen Kommunikationzur Unterstützung anderer und als Möglichkeit,Vertrauen in einem klar umschriebenen Bereichherzustellen, beweisen. Auch Viktor Frankl beschreibtdie Funktion von Humor im Zusammenhangmit den enormen Belastungen des Holocaustals »Waffe der Seele im Kampf um dieSelbsterhaltung«. Vietnam-Soldaten waren vielerMachtquellen beraubt und daher bestrebt, Kontrolleüber so viele Situationen wie nur irgendwiemöglich zu erhalten. Indem sie die Wirkungvon Humor nutzten, bekamen sie das Gefühl, irgendetwas,nämlich ihre eigenen Ideen und Gedanken,kontrollieren zu können.Humor als HaltungDiese Beispiele führen uns zur allgemeinerenBetrachtungsweise der Fähigkeit, humorvoll zusein, als Teil einer positiven Lebenseinstellung.In diesem Sinn steht Humor für eine bestimmteHaltung, eine humorvolle Einstellung zum Leben,eine Tendenz zum humorvollen VerhaltenLEIDFADEN – FACHMAGAZIN FÜR KRISEN, LEID, TRAUER Heft 4 / 2013© 2013, <strong>Vandenhoeck</strong> & <strong>Ruprecht</strong> GmbH & Co. KG, GöttingenISBN Print: 9783525806043 — ISBN E-Book: 9783647806044


Dorothee Bürgi, Humor – heilsam oder zerstörend?22Humor und seineunbewussten WurzelnArnold LangenmayrWissenschaftler haben die Angewohnheit, Dinge,die aller Welt klar erscheinen, zu hinterfragenund zu komplizieren. Warum jemand bei einemWitz lacht, warum in irgendeiner Runde gute, humorvolleStimmung aufkommt, scheint zunächstsonnenklar. Man denkt nicht lange nach, sondernfühlt nur die Stimmung.Aber warum lacht der eine bei dem einen Witzund ein anderer kann dabei keine Miene verziehen?Warum erscheint mir der eine Witz als ungeheuerlustig, der andere als eher langweilig odergar geschmacklos? Warum kann man im einenLand über einen Witz lachen, in einem anderenwürde man gar nichts daran finden oder ihn garnicht verstehen? Was an einem Witz macht es genau,dass wir ihn als erheiternd empfinden? Wiemuss er konstruiert sein, wie seine Entwicklung,um solche Effekte hervorzurufen? Und was machteigentlich Lachen so ansteckend?Wir sehen schon, so einfach wird die Angelegenheitdoch nicht. Freud (1905) war wohl dererste, der sich die Dynamik beim Anhören einesWitzes psychologisch zu erklären versucht hat.Doch lassen Sie uns die Dinge vielleicht an zweiBeispielen entwickeln.In einem netten kleinen Kreis erzählt jemand:»Wisst ihr, dass man jetzt auch schon in FischstäbchenPferdefleisch gefunden hat?« Die Zuhörersind unangenehm erinnert an den jüngstenPferdefleischskandal. Gut, dass man in Nahrungsmittelnwie Lasagne statt Rindfleisch zumindestzum Teil Pferdefleisch zugesetzt fand, ist ja schonschlimm genug. Die Erwähnung des Themas löstGefühle von Ekel aus, auch von betrogen sein,ausgenutzt werden, finanziell über den Tisch gezogenwerden, sich auf andere nicht verlassenkönnen. Bei Pferdeliebhabern wird sich auch Mitleidmit ans Herz gewachsenen Tieren regen. Wirhaben als Zuhörer damit zu tun, all diese negativenGefühle niederzuhalten. Es sind Gefühle, dieunangenehm sind, die (zum Teil) verdrängt sind.Mit der Tatsache, dass wir, um zu überleben, anderelebende Wesen töten und verzehren, jedenfallsdie meisten von uns, haben wir uns in unsererKindheit einmal auseinandersetzen müssen.Diesen Konflikt haben wir gelöst, indem wir nichtmehr an ihn denken, wir ihn ins Unbewusste abgeschobenhaben, ihn nicht mehr zum Bewusstseinzulassen oder nur unter den oben beschriebenenhöchst unangenehmen Gefühlen.Leidfaden, Heft 4 / 2013, S. 22–25, © <strong>Vandenhoeck</strong> & <strong>Ruprecht</strong> GmbH & Co. KG, Göttingen, 2013, ISSN 2192–1202© 2013, <strong>Vandenhoeck</strong> & <strong>Ruprecht</strong> GmbH & Co. KG, GöttingenISBN Print: 9783525806043 — ISBN E-Book: 9783647806044


Dorothee Bürgi, Humor – heilsam oder zerstörend?Humor und seine unbewussten Wurzeln 23Die Spaßigkeit von Witzen ist nicht nurindividuell basiert, sondern hat auch sozialeWurzeln in größeren Gruppen, in nationalverdrängten Inhalten, im Zeitgeist.Bestattungsgroßhandel / Peter Frischmuth / argusGerade jetzt, nachdem der Pferdefleischskandalrichtig aktuell war, sind Zuhörer weit unangenehmerberührt, als dies vielleicht noch vor demSkandal gewesen wäre.»Ja, ganz genau«, fährt unser Erzähler fort, »inden Fischstäbchen hat man Fleisch von Seepferdchengefunden.« Alle Umstehenden lachen, sinderleichtert, dass die andrängenden unangenehmenGefühle sich erübrigt haben, entschärft wordensind, unsere Erwartung, mit Ekel und Wutkonfrontiert zu werden und damit umgehen zumüssen, in sich zusammengefallen ist. Die hierfürreservierte Energie wird nun plötzlich nicht mehrgebraucht. Sie kann im Lachen abreagiert werden.Nehmen wir ein anderes Beispiel. Der Lehrerfragt in der Schule den kleinen Peter: »Wieviel ist 6 x 6?« Der antwortet: »37«. Darauf derLehrer: »Das ist doch unglaublich mit dir. Stelldich vor die Tür und bleib da eine halbe Stundestehen.« (Das Beispiel stammt aus früherenZeiten, wo dies noch üblich war.) Während Peternun vor der Tür steht, kommt Fritz von derToilette zurück und will an Peter vorbei ins Klassenzimmer.Er fragt: »Wieso stehst du denn hierdraußen, Peter?« »Ach, der Lehrer hat mich gefragt,wie viel 6 x 6 ist.« »Na ganz einfach, das ist36.« Darauf Peter: »Geh bloß nicht rein, ich habschon 37 geboten.«Humor und Trauer – Heilsam oder zerstörerisch?© 2013, <strong>Vandenhoeck</strong> & <strong>Ruprecht</strong> GmbH & Co. KG, GöttingenISBN Print: 9783525806043 — ISBN E-Book: 9783647806044


Dorothee Bürgi, Humor – heilsam oder zerstörend?24 Arnold LangenmayrWas spielt sich hier beim Hörer ab? Die Erzählungbeginnt mit dem mathematischen Versagenvon Peter, so jedenfalls scheint es uns zunächst.Wir erinnern uns an Schulsituationen, indenen wir manches auch nicht konnten. Für manchevon uns war gerade Mathematik ein schwierigesFach. Wir erinnern uns an Situationen desAusgegrenztwerdens, weil wir eine von uns gewünschteLeistung nicht erbringen konnten. Wirsind damit beschäftigt, schmerzhafte Gefühle niederzuhaltenoder mit ihnen irgendwie umgehenzu müssen. Die völlige Uminterpretation der Situationdurch Peter, der aus der Leistungssituationeinen Bieterwettbewerb macht, entschärftdie Lage, macht unsere Ängste, die mit frühereneigenen Schwierigkeiten in der Schule verbundensind, überflüssig. Der vermeintlich Dumme, mitdem wir uns schmerzhaft identifiziert hatten, istmöglicherweise der Cleverere. Auch hier entstehtein Energieüberschuss.Lassen Sie uns das zweite Beispiel minimal abwandeln,um zu sehen, welchen Effekt dies hat:Wir machen aus Peter Petra und Fritz bleibt Fritz.Nun ist also Petra die Versagerin in Mathematik.Hier kommt nun zusätzlich die Mann-Frau-Dimensionins Spiel. Abwertung von Frauen als unmathematisch,technisch unbegabt und so weiterkönnte aktiviert werden und entsprechend in derPointe zusätzlich überflüssig werden.Machen wir noch einmal einen Namenswechsel:Der Junge mit der missglückten Lösung heißtnun Moische und der andere Levi. Wir merkensofort, dass hier nun alle Ängste in Bezug aufdie jüngere deutsche Vergangenheit durch die jüdischenNamen aktiviert werden. Auch hiermitwird mancher während des Aufbaus des Witzeszu kämpfen haben. Gefühle der Vorsicht, des Erschreckensmögen auftauchen. Umso erleichterndermag es empfunden werden, dass sich in derPointe die missglückte mathematische Lösung alsharmlose Geschäftstüchtigkeit herausstellt. Aufder Basis individueller Einstellungen könnte mansich aber auch gerade dadurch einen nicht so großenEntlastungseffekt vorstellen.Nun beantworten sich auch schon einige deroben gestellten Fragen: Dass der eine unserenzweiten Witz besonders lustig findet, der andereweit weniger, hat etwas damit zu tun, dass dereine bei der Erwähnung von Schule oder speziellvon Mathematik mehr Verdrängungsaufwand zuleisten hat als der andere.In manchen Situationen, in manchen Gesellschaftenoder zu manchen Zeiten mögen Witzehumorvoller aufgenommen werden als sonst,was damit zusammenhängt, dass es sich um Situationenhandelt, in denen der Inhalt des Witzes,sein Thema, mehr oder weniger Verdrängungsaufwanderfordert. Tobias Brocher, der ehemaligestellvertretende Leiter des Sigmund-Freud-Instituts in Frankfurt/Main, erzählte in einemInterview, dass nach 1945 die ersten Witze überPsychoanalyse in Deutschland keine Reaktionauslösten. Sie waren unverständlich, niemandhatte Erfahrungen mit den Belastungen und damitverbundenen Aggressionen, die eine Psychoanalysenaturgemäß auslöst. Entsprechend hatteauch niemand zu verdrängende negative Gefühle.In einer Serie des polnischen Fernsehens überSex in Europa wurden Liebespärchen der verschiedenstenNationen gezeigt. Das deutsche Pärchenzeichnete sich dadurch aus, dass der Mannbeim Sex das Kommando gab: »1–2, 1–2, 1–2.«Für Polen eine sehr belustigende Angelegenheit,zu sehen, wie die Nation, die militärisch als sostark erlebt wurde, in Polen handstreichartig einmarschiertist (Assoziationen, die das Thema zunächstauslöst), mit genau dieser militärischenHaltung sich jeden Spaß an dieser lustvollen Betätigungverdirbt, wie man selbst als kleine unterlegeneNation hier viel besser dran ist. Die Darbietungdieses Themas bei deutschen Zuhörernlöst, wie ich selbst merken konnte, nur höflichkeitsbedingtesLächeln aus. Die Entlastung durchdie Pointe ist bei ihnen gering, da sie als zusätzlicheAbwertung und nicht als Befreiung erlebtwerden kann.Die Psychoanalyse bietet also folgende Erklärungenfür Witze und ihre Wirkung an: ImLEIDFADEN – FACHMAGAZIN FÜR KRISEN, LEID, TRAUER Heft 4 / 2013© 2013, <strong>Vandenhoeck</strong> & <strong>Ruprecht</strong> GmbH & Co. KG, GöttingenISBN Print: 9783525806043 — ISBN E-Book: 9783647806044


Dorothee Bürgi, Humor – heilsam oder zerstörend?Humor und seine unbewussten Wurzeln 25Aufbau eines Witzes werden verdrängte Gefühle,Ängste, Motivationen angesprochen. Um dieseim Unbewussten zu halten, wird Energie benötigt.In der Pointe wird dieser Aufwand hinfälligund die Energie wird im Lachen abgeführt. ImWitz findet sich eine Kombination unbewussterFantasien, Abwehren, Wünsche und Über-Ich-Regungen (Silverman 1995).Die Spaßigkeit von Witzen ist nicht nur individuellbasiert, sondern hat auch soziale Wurzelnin größeren Gruppen, in national verdrängten Inhalten,im Zeitgeist (Wexler 2010).Überblickswerke kommen zu dem Schluss,dass die psychoanalytische Theorie des Witzeseine der empirisch best abgesicherten ist: So ließKelling (1971) 39 Cartoons auf einer 10-Punkte-Skala bezüglich ihrer Witzigkeit einstufen. Sexuelle,aggressive und auf den Tod bezogene Cartoonswurden am lustigsten erlebt. Hier war derzunächst zu leistende Verdrängungsaufwand dergrößte.Mit den genannten Überlegungen bietet sichauch eine Erklärung an für die vielfach behauptetegesundheitsfördernde Wirkung des Humorsund des Lachens (Titze 1988): Wenn das Lachender Befreiung von unterdrückten Affekten dient,so wird durch den Witz verdrängtes Material zunächstunter Ängsten bewusstseinsnäher, um anschließenddurch die Pointe entschärft zu werden.Genau dies ist nichts anderes als ein therapeutischerProzess.Nun können wir uns zuletzt noch fragen, wiees kommt, dass wir Lachen als ansteckend empfinden,dass manchmal kleine gesellschaftlicheGruppen sich soweit in Gefühle des Belustigtseinshineinsteigern, dass sie nahezu über jede Kleinigkeitlachen und sich gar nicht mehr bremsenkönnen. Die Psychologie führt den sogenanntenCarpenter-Effekt (auch ideomotorisches Phänomengenannt) an. Er besagt, dass wir bei der Betrachtungdes Gefühlsausdrucks unseres Gegenübersminimal auch selbst dieselben mimischen,gestischen und anderen körperlichen Reaktionenzeigen. Es ist sozusagen ein automatischer Ansteckungsprozess,dem wir unterliegen. Die neuerephysiologische Forschung hat dies eindrucksvollbestätigt: Die sogenannten Spiegelneuronen zeigenin der Magnetresonanztomografie genau dieminimale Aktivierung der Gehirnregionen, dieauch bei unserem Gegenüber für die gerade vonihm empfundenen Gefühle zuständig sind. Wirsind also schon auf der rein körperlichen Ebenesehr soziale Wesen.Prof. Dr. Arnold Langenmayr ist Psychologeund Psychotherapeut. Er lehrtan den Universitäten Duisburg-Essenund Trier, arbeitet als Therapeut in eigenerPraxis und ist Mitglied des BundesverbandsTrauerbegleitung e. V. SeineArbeits- und Forschungsschwerpunktesind Trauer, Trauerberatung, Familienkonstellation undPsychosomatik.E-Mail: arnold.langenmayr@vr-leidfaden.deLiteraturhinweiseFreud, S.: Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten.Frankfurt a. M. 1905/1986.Kelling, G.W.: An empirical investigation of Freud’s theoryof jokes. Psychoanalytic Review, 1971, 58 (3), S. 473–485.Silverman, H. L.: An introduction to jokes and jokers. Psych-Critiques, 1995, 40 (9).Titze, M.: Humor und Lachen: Spekulationen, Theorien undErgebnisse der Lachforschung. Praxis Spiel + Gruppe,1988, 1, S. 3–12.Wexler, J. P.: Jokes and their relation to the unconscious inheart of darkness. Psychoanalytic Review, 2010, 97 (3),S. 469–482.© Thorsten AdeltHumor und Trauer – Heilsam oder zerstörerisch?© 2013, <strong>Vandenhoeck</strong> & <strong>Ruprecht</strong> GmbH & Co. KG, GöttingenISBN Print: 9783525806043 — ISBN E-Book: 9783647806044

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