HIV/AIDS in Asien

40Praxis Geographie 9/1998Deutlich weniger als 1 % Prävalenz ist in denLändern Indonesien, Malaysia, den Philippinenund Singapur zu verzeichnen (UNAIDS1997).Geschätzte Zahl der HIV-Infektionen bei Erwachsenen und Kindernund Prävalenz Ende 1997Ländergruppe Zahl der HIV-Infizierten Prävalenz(in Mio.) (in %)Afrika südlich der Sahara 20,8 7,4Süd- und Südostasien 6,0 0,6Lateinamerika 1,3 0,5Entwickelte Länder* 1,4 0,3Karibik 0,31 1,9Osteuropa-Zentralasien 0,15 0,07Ostasien-Pazifik 0,44 0,05Nordafrika-Mittlerer Osten 0,21 0,1*Nordamerika, W-Europa, Australien, Neuseeland, JapanQuelle: UNAIDS 1997Projektion derAIDS-AusbreitungIst Thailand ein Sonderfall in Asien, oder werdenandere Länder des Kontinents eine ähnlichdramatische Entwicklung nehmen? DieseFrage kann nur ansatzweise beantwortet werden.Das Gesundheitsministerium in Thailandhat im Juni 1989 ein Überwachungssystemeingerichtet, das in kürzester Zeit auf alleProvinzen des Landes ausgedehnt werdenkonnte. Dabei werden bestimmte Bevölkerungsgruppenin großen Stichproben halbjährlichgetestet, und ein Bericht wird an dasGesundheitsministerium weitergeleitet. DieProbanden sind weibliche und männlicheProstituierte, Männer, die Fachärzte für Geschlechtskrankheitenaufsuchen, intravenösDrogenabhängige, Schwangere bei Vorsorgeuntersuchungenund Blutspender (bzw. dasgespendete Blut). Über ein solches, fastflächendeckendes und regelmäßiges Überwachungssystemverfügen andere asiatischeLänder nicht, weshalb Projektionen für dieseLänder schwierig sind. Lediglich die Philippinenund Myanmar haben ein ähnliches Testsystemeingeführt, das jedoch weder bezüglichder geographischen Ausbreitung nochder Zahl der getesteten Gruppen und Personendie Effektivität des thailändischen Systemserreicht. Trotz dieser Schwächen unterscheidenBrown und Xenos (1994) drei Gruppenvon Ländern für die Projektion der Ausbreitungvon HIV/AIDS in Asien:Thailand, Myanmar, Kambodscha und Indienbilden die erste Gruppe, das sogenannteEpizentrum der Epidemie. Alle vier Länderzeigen hohe Infektionsraten in mindestens einerRisikogruppe. In allen Ländern beganndie Ausbreitung Mitte der 1980er Jahre, wobeiintravenös Drogenabhängige jeweils einebedeutende Rolle spielten, und inzwischenauch hohe Infektionsraten bei Prostituiertenfestgestellt werden, was wiederum ein hohesRisiko durch heterosexuelle Kontakte beinhaltet.Die zweite Gruppe mit einem Potentialfür ein schnelles Ausbreiten der Epidemiebilden die Philippinen,Indonesien, Malaysia,Vietnam, Laos, Südchinaund Nepal. Trotz derbisher relativ wenigenregistrierten HIV-Positivenund AIDS-Krankenbildet auch in diesenLändern das Risikoverhaltenein bedeutendesPotential: In Malaysia,Vietnam undSüdchina sind es intravenösDrogenabhängige,bei denen bereitshohe Infektionsratenfestgestellt werden, inIndonesien und denPhilippinen die Prostituierten.In der dritten Gruppewerden China (außer den südlichen Provinzen),Hongkong, Japan, Südkorea undTaiwan zusammengefaßt, in denen überwiegendbei Blutempfängern, homosexuellenMännern und intravenös DrogenabhängigenAIDS-Erkrankungen beobachtet werden.Doch auch in diesen Ländern bestehtKlarheit darüber, daß sich ebenso die Übertragungdurch heterosexuelle Kontakte zueinem bedeutenden Problem entwickelnkann.Erst verbesserte Überwachungssystemewerden zeigen, ob die restlichen asiatischenLänder ebenso wie Thailand den Pattern-IV-Merkmalen zuzuordnen sind. Die bereits relativzuverlässigen Daten aus Thailand erlaubenneben der qualitativen auch einequantitative Prognose, die Chin (1995) indrei Szenarien darstellt: Nach dem niedrigenSzenario werden zwischen 2000 und2010 etwa 50 000 Menschen pro Jahr anAIDS sterben, nach dem mittleren Szenariowerden es 80 000 bis 90 000 sein und nachdem hohen Szenario 100 000 bis 150 000.Nach dem mittleren Szenario werden fürdas Jahr 2000 kumulativ etwa 400 000AIDS-Fälle und fast 1,5 Mio. HIV-Infektionenberechnet, wobei 3,5 % der Erwachseneninfiziert wären; bis 2010 würden kumulativ1,2 Mio. AIDS-Fälle aufgetreten und2,3 Mio. Menschen infiziert sein, was wegendes Bevölkerungswachstums eine Infektionsratevon 3,2 % der Erwachsenen bedeutenwürde. Nach dem niedrigen Szenariowären es jeweils etwa 50 % AIDS-Fälleund HIV-Infektionen weniger, nach dem hohenSzenario ca. 25 % mehr. Nach dem mittlerenSzenario würden ab dem Jahr 2000 etwa5 000 Säuglinge jährlich von ihrer infiziertenMutter angesteckt sein.Die AIDS-spezifische Mortalitätsratewird etwa im Jahr 2000 zwischen 4 und 5 je1 000 Erwachsene (zwischen 20 und 49 Jahren)liegen; die allgemeine Mortalitätsratedieser Altersgruppe wird für 1990 auf etwasweniger als 3 je 1 000 geschätzt. Das heißt,daß die AIDS-Sterberate die allgemeineSterberate dieser Altersgruppe überholenwird. Chin (1995) schätzt, daß im Jahr 200020 % aller Todesfälle in der Altersgruppe20–49 durch AIDS verursacht sein werden.Horrorszenarien sind für Thailand dennochnicht mehr angebracht. Die offene undkonsequente AIDS-Politik zeitigt bereits Erfolge:Häufigere Benutzung von Kondomen,steigender Respekt vor Frauen, verbesserteBildung von jungen Frauen und die Verringerungder Prostitution haben zu einemdeutlichen Absinken der HIV-Neuinfektionengeführt. Thailand ist innerhalb Asiensdas Musterbeispiel für eine erfolgreicheBekämpfung von HIV.AIDS-PanikDie Ausbreitung von AIDS hat in vielen LändernAsiens zu einer gesunden Panik geführt,die in einer vehementen Bekämpfungdes Problems resultierte. Eines sollte bei allerPanikmache – vor allem auch in den Industrieländern– nicht vergessen werden:Die Übertragung von HIV kann sehr leichtverhindert werden. Abgesehen von Neugeborenen,die bereits HIV-positiv zur Weltkommen, braucht kaum jemand Angst voreiner HIV-Infektion zu haben, wenn er die„Spielregeln“ beachtet. Die neue SeucheAIDS erregt die Gemüter, HIV wird als Killervirusgesehen, das ganze Landstricheauslöschen könnte; immerhin sind 1997weltweit etwa 2,3 Mio. Menschen anHIV/AIDS gestorben. Doch die eigentlichenGesundheitsprobleme sind andere: 1997starben weltweit etwa 2,5 Mio. Menschenan Malaria, 2,5 Mio. an Durchfallerkrankungen,2,9 Mio. an Tuberkulose und 3,7 Mio.an akuten Infektionen der unteren Atemwege(WHO 1998). Abgesehen von Malariahandelt es sich dabei größtenteils umKrankheiten der Armut, die auf Hygiene-,Ernährungs- und allgemeine Versorgungsdefizitezurückgeführt werden können undimmer noch die Haupt-Todesursachen inEntwicklungsländern sind. In den meistenSchwellenländern vollzieht sich bereits derepidemiologische Übergang hin zu denHaupt-Todesursachen der Industrieländer:Herz-Kreislauferkrankungen und Krebs mit15,3 Mio. respektive 6,2 Mio. weltweiten Todesfällen1997 (WHO 1998). Die Ablenkungvon diesen Gesundheitsproblemen durchAIDS könnte folgenreicher sein als dieAIDS-Ausbreitung selbst.■LiteraturBrown, T. und Xenos, P.: AIDS in Asia: The GatheringStorm. Honolulu 1994 (AsiaPacific. Analysis from theEast-West Center, 16)Chin, J.: Scenarios for the AIDS Epidemic in Asia. Honolulu1995 (Asia-Pacific Population Research Reports, 2)UNAIDS: Global HIV/AIDS and STD Surveillance, WHO.URL im Internet: http://www.unaids.-org/-highband/graphics/1997/report97/index.htmlWHO (Hrsg.): The World Health Report 1998 — Life in the21st century: A vision for all. Geneva 1998