Schäßburger Nachrichten SN32 - HOG Schäßburg eV
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18 <strong><strong>Schäßburg</strong>er</strong> <strong>Nachrichten</strong>, Dezember 2009<br />
Die Russen marschieren ein<br />
1944 – Ein Erlebnisbericht<br />
Wir schreiben den 10. September 1944. Es tobt der Zweite Weltkrieg.<br />
In den frühen Morgenstunden dieses ansonsten schönen Frühherbsttages<br />
haben, aus Richtung Schaaser Tal und Wolkendorfer<br />
Grund kommend, erste Einheiten der Sowjetarmee, beritten oder<br />
aufsitzend in Planwägen, kampflos <strong>Schäßburg</strong> besetzt. Die Stadt wird<br />
Aufmarschgebiet für die Kämpfe die in den Folgetagen sich um die<br />
Eroberung des Höhenzugs jenseits der Kleinen Kokel, im Bereich des<br />
Ortes Bladenmarkt/Bălăușeri, abspielen sollten. Dort hatte die nach<br />
dem Umsturz Rumäniens herbeigeholte deutsche Division „Florian<br />
Geyer“ Stellung bezogen, da eine Besetzung südsiebenbürgischer Gebiete,<br />
durch das rasche Vordringen der Sowjets nicht mehr möglich<br />
war.<br />
Nach den Ereignissen des 23. August 1944, als Rumänien sich von<br />
dem verbündeten Deutschen Reich trennte und es sogar so weit kam,<br />
dass es dem Deutschen Reich den Krieg erklärte, erahnte man, dass<br />
in Kürze Rumänien von der Sowjetarmee besetzt sein würde. Dies<br />
verunsicherte die siebenbürgisch-sächsische Bevölkerung die immer<br />
schon deutschfreundlich eingestellt war und weil der weitaus größte<br />
Teil der wehrtüchtigen Männer, gemäß eines deutsch-rumänischen<br />
Abkommen, sich seit dem Sommer 1943 in deutschen Kriegsdiensten<br />
befanden. So sahen sich, vor allem die arbeits- und wehrfähigen Jugendlichen<br />
die noch zu Hause weilten, gefährdet verschleppt zu werden,<br />
auch hätten die Sowjets diese für Sabotageakte an sowjetischen<br />
Kräften und Einrichtungen verdächtigen können. In Blitzes Eile<br />
wurde gehandelt. Den sich zurückziehenden kleineren Garnisonen<br />
aus den siebenbürgischen Städten, die zu dem Zeitpunkt zu Ungarn<br />
gehörten, schlossen sich zahlreiche Jugendliche im Alter von 17-18<br />
Jahren an. Sie stammten vornehmlich aus den Städten Kronstadt,<br />
Mediasch und <strong>Schäßburg</strong> an. Für die Hermannstädter war es, der<br />
wegen Entfernung zur ungarischen Grenze, etwas schwieriger, nur<br />
wenigen gelang die Flucht. Die Kronstädter Jugendlichen flohen über<br />
das Szeklergebiet, die Mediascher über die Berge in das Gebiet der<br />
Kleinen Kokel. Sie wurden im Raum Neumarkt/Tg. Mureș gesammelt<br />
und in deutsche Uniformen gesteckt. Es wurden ihnen elementare<br />
Fertigkeiten im Umgang mit einem Gewehr beigebracht. Sie wurden<br />
am Fluss Mieresch, danach in der Siebenbürgischen Heide, im Norden<br />
Siebenbürgens bis hin zu den Kämpfen in Budapest, eingesetzt.<br />
Es gab zahlreiche Opfer unter ihnen. So fiel auch der <strong><strong>Schäßburg</strong>er</strong><br />
Helmut Adleff, der zu diesem Zeitpunkt zur Ausbildung in Mediasch<br />
weilte. Er flüchtete und ließ in den Kämpfen in der Siebenbürgischen<br />
Heide, nördlich des Mieresch, sein junges Leben.<br />
Bei uns <strong><strong>Schäßburg</strong>er</strong>n sah es folgendermaßen aus: Die Jugendlichen<br />
ab 17 Jahren befanden sich größtenteils schon seit dem Sommer 1943<br />
in deutschen Kriegsdiensten. Ausnahme bildeten die Gymnasialschüler,<br />
welche die Auflage hatten, bis Herbst 1944 durch Intensivunterricht<br />
das Kriegsabitur abzulegen und anschließend gleich dem<br />
Kriegsdienst sich zu stellen. Dazu zählte auch meine Klasse. Das<br />
in <strong>Schäßburg</strong> in mehreren Schulen untergebrachte große deutsche<br />
Lazarett hatte von der lokalen rumänischen Garnison freien Abzug<br />
gewährt bekommen. Durch Vermittlung der sächsischen Verantwortlichen,<br />
wurde vereinbart, dass die Jugendlichen freiwillig aus<br />
vorhandenen Beständen in deutsche Uniformen eingekleidet werden<br />
konnten und so getarnt, mit dem Personal und den Kranken, Verwundeten<br />
in Richtung ungarische Grenze abmarschieren durften.<br />
Der größte Teil meiner Kollegen hatte mitgemacht.<br />
Ich selbst, wie auch drei andere Kollegen, die diese Blitzaktion nicht<br />
mitbekommen hatten, da wir auf dem Sommersitz außerhalb der<br />
Stadt wohnten, folgten unseren Kollegen über die grüne Grenze nach<br />
und stießen zufällig in Neumarkt/Tg. Mureș auf diese. Sie waren zwischenzeitlich<br />
von einer deutschen Frontaufklärungseinheit aufgegriffen<br />
worden und befanden sich auf der Fahrt Grenze im <strong><strong>Schäßburg</strong>er</strong><br />
Raum. Wir wurden mitgenommen, alsbald auch eingekleidet und in<br />
der Gemeinde Kleinkend stationiert, nahe der südsiebenbürgischen<br />
Grenzgemeinde Zuckmantel. Von hier aus wurden kleinere Trupps<br />
über die Grenze geschickt um die Lage zu erkunden, die Truppenbewegungen<br />
und speziell die in <strong>Schäßburg</strong> vorhandenen Kraftstoffreserven.<br />
Am 8. September traf mit Amphibienfahrzeugen die Vorhut der<br />
anrückenden deutschen Division „Florian Geyer“ in Kleinkend ein,<br />
das Gros sollte in den Folgetagen kommen. Am Morgen des 10. September<br />
war vorgesehen, dass ich und noch ein Kollege mit unserem<br />
kommandierenden Hauptmann nach <strong>Schäßburg</strong> fahren sollten, wo<br />
wir bei der Stadtverwaltung und der Garnison schon angekündigt<br />
waren. Wir hatten den Auftrag diesen mitzuteilen, dass sich eine<br />
deutsche Division im Anmarsch befände und, um die Stadt vor<br />
Zerstörungen zu bewahren, und gebeten werden sollten, keinen<br />
Widerstand zu leisten wenn diese in <strong>Schäßburg</strong> einrückt. Kurz vor<br />
unserer Abfahrt kam ein Funkspruch, dass in den frühen Morgenstunden<br />
dieses Tages die Sowjets bereits in <strong>Schäßburg</strong> einmarschiert<br />
seien. Wir stiegen ab, und da wir keine Kampftruppe waren, bloß der<br />
Hauptmann, ein Unteroffizier, ein Funker und zwei Fahrer, wir, etwa<br />
15 Kollegen, packten unsere Sachen und fuhren raschestens ab, Ziel<br />
Sächsisch-Regen. Hier bot sich uns in den Abendstunden ein erstes<br />
Mal die Fratze des Krieges; ein Lagerfeuer auf dem Marktplatz kauerten<br />
in großer Anzahl deutsche und ungarische Soldaten denen es<br />
gelungen war, nach den Kämpfen an der Moldau, sich über die Karpaten<br />
zurückzuziehen. Es war ein desolater Anblick einer geschlagenen<br />
Armee. Bei der Durchfahrt durch Neumarkt hatte uns der größte<br />
Teil meiner Kollegen schon verlassen, welche sich den hier gebildeten<br />
Flüchtlingszügen mit den Sachsen von Zuckmantel, Felldorf,<br />
Maniersch, Zendresch und Rode anschlossen um nach Wien zu gelangen<br />
und dort sich zu melden. Zu viert wurden wir bei dieser Einheit<br />
zurückbehalten, ich wegen meiner (bescheidenen) ungarischen<br />
Sprachkenntnisse, angesichts der folgenden voraussehbaren Rückzüge,<br />
um Dolmetscherdienste zu leisten. Schon nach wenigen Tagen befand<br />
ich mich in der ungarischen Puszta um Quartiere auszumachen<br />
für einen höheren Stab.<br />
Rückblickend, war es ein Glück, dass es nicht zum Einzug der deutschen<br />
Division in <strong>Schäßburg</strong> gekommen war, es hätte dazu kommen<br />
können, dass die Stadt starken Schaden nimmt und die Gehässigkeit<br />
gegen alles Deutsche gewachsen wäre.<br />
Aus heutiger Sicht gesehen, hätte sich die Besetzung des südsiebenbürgischen<br />
sächsischen Siedlungsgebietes doch nur um einige Monate<br />
verzögert, und wäre Schauplatz von Kämpfen und Zerstörungen<br />
geworden. Möglicherweise wäre es zu einer Massenevakuierung der<br />
hier lebenden Siebenbürger Sachsen gekommen, wie es die Nordsiebenbürger<br />
Sachsen des Nösner Gebietes und des Reener Ländchens<br />
erlebten. Unnütz aber, heute darüber nachzudenken, und so hatte jeder<br />
Einzelne sein Schicksal zu tragen wie es ihm gegeben war.<br />
Julius Henning, Pforzheim