Schäßburger Nachrichten SN32 - HOG Schäßburg eV
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4 <strong><strong>Schäßburg</strong>er</strong> <strong>Nachrichten</strong>, Dezember 2009<br />
Ein Bericht der Aufständischen aus <strong>Schäßburg</strong><br />
Die Ereignisse vom 16. - 25. Dezember 1989<br />
Zeitzeugen berichten 20 Jahre nach der Wende, einem historischen Meilenstein in der Geschichte <strong>Schäßburg</strong>s, Siebenbürgens<br />
und Rumäniens. 70 Jahre nach dem ersten Meilenstein des vergangenen Jahrhunderts, dem Anschluss Siebenbürgens<br />
an Rumänien 1919 und 45 Jahre nach 1944, dem zweiten Meilenstein, als die kommunistische Herrschaft nicht<br />
mehr abzuwenden war, markierte nun der blutige Dezember 1989 das Ende dieses Systems sowjetischer Prägung auch<br />
in Rumänien. Diese Wende, vollzogen in ganz Osteuropa, hatte nicht zuletzt für jeden von uns bleibende Folgen.<br />
Wie in anderen Ortschaften des Landes breitete sich auch in der<br />
Stadt <strong>Schäßburg</strong> eine Stimmung des Aufbegehrens, ein Aktionismus<br />
sowie ein Gefühl der Solidarität mit den Menschen in Temeschburg<br />
aus. Dies war eine Folge der Ereignisse, die dort stattgefunden hatten,<br />
ebenso der <strong>Nachrichten</strong> des Senders „Freies Europa“ sowie der Aussagen<br />
einiger Personen, die aus der Umgebung von Temeswar kamen<br />
und Genaues über das berichteten, was sich dort zugetragen hatte.<br />
Der Hass gegen das kommunistische Regime und vor allem gegen die<br />
Diktatoren wuchs von Tag zu Tag und bewog einige überaus mutige<br />
Personen, die Leute zu mobilisieren und Protestaktionen zu organisieren,<br />
um für die Abschaffung von Ceaușescus Terrorregime zu<br />
kämpfen.<br />
Am Abend des 17. Dezember 1989 begannen einige Initiatoren, die<br />
Bevölkerung in den Wohnungen wie auch am Arbeitsplatz zu mobilisieren.<br />
So wurde die Belegschaft der Konfektionsfabrik „Târnava“<br />
mobilisiert, im Industriegebiet, in der Fabrik „Vase Emailate” und anderer<br />
Betriebe.<br />
Der 21. Dezember 1989 vormittags schien der geeignete Moment für<br />
den Beginn der Demonstration in <strong>Schäßburg</strong> zu sein. Die Aktivisten<br />
des Parteikomitees waren in das Werk „Nicovala“ gekommen, um<br />
gemeinsam mit der Betriebsleitung die Belegschaft „aufzuklären“.<br />
Sie behaupteten, dass es in Temeswar Hooligans, Diebe und ausländische<br />
Agenten waren, die versucht hätten, das Land in Unruhe zu<br />
versetzen.<br />
Gegen diese Desinformation lehnten sich erstmals die Initiatoren der<br />
Protestbewegung auf und erklärten, dass das Geschehen in Temeschburg<br />
das Gegenteil des Gehörten sei und forderten gleichzeitig die<br />
Arbeiter auf, sich gegen die Diktatur zu erheben.<br />
Nach diesem ersten verbalen Konflikt begannen die Initiatoren der<br />
„Nicovala“ auch die Arbeiter aus den Unternehmen „Faianţa“ und<br />
„Vase Emailate“, den Stofffabriken und anderen Industrieunternehmen<br />
zu mobilisieren.<br />
Am nächsten Tag, dem 22. Dezember 1989, um 5.45 Uhr begann<br />
die Demonstration. Ioan Savan wurde zum Anführer der Revolte<br />
in <strong>Schäßburg</strong> gewählt. Er veranlasste, dass die Beschäftigten der<br />
Werke „Faianţa“, „Vase Emailate“ und der Stofffabrik auf das Gelände<br />
der „Nicovala“ kamen, um einen Demonstrationszug zu bilden. Die<br />
Fabriken aus den anderen Stadtteilen wurden telefonisch benachrichtigt.<br />
In der Konfektionsfabrik „Târnava“, in der Stadtmitte, in der<br />
Seidenweberei, am Busbahnhof, am Bahnhof und in der Stoffweberei<br />
22. Dezember 1989 – Massenprotest vor dem <strong><strong>Schäßburg</strong>er</strong> Rathaus, Archivbilder<br />
wurden die Menschen zum Widerstand aufgerufen.<br />
Um 6.30 Uhr begannen die Anführer der Initiative in der „Nicovala“<br />
mit der Anfertigung der Spruchbänder und der Aufstellung der Kolonnen.<br />
Gegen 7 Uhr wandte sich Ioan Savan an die Arbeiter und Kollegen,<br />
um ihnen das Vorhaben und Vorgehen zu erläutern. Zu dieser Zeit<br />
stand die Securitate schon vor dem Fabriktor.<br />
Um 7.30 Uhr „rief der Kommandant der örtlichen Securitate Ioan<br />
Savan zu sich, um ihn nach unseren Absichten zu befragen. Nach<br />
einem heftigen, aber kurzen Streitgespräch erklärte Savan, dass wir,<br />
was auch immer geschehen sollte, handeln werden, um der Welt zu<br />
zeigen, dass diejenigen, die für Freiheit und ein menschenwürdiges<br />
Dasein sterben, weder Verbrecher oder Randalierer noch ausländische<br />
Agenten sind“, so der Bericht.<br />
Um 8.00 Uhr setzte sich der Demonstrationszug in Bewegung.<br />
„Voran gingen die Mutigsten von uns, die eine große Landesfahne<br />
trugen“. Ein Teil dieser Gruppe erhielt den Auftrag, den Chefs der Läden<br />
entlang unseres Weges anzuordnen, die Bücher und Bilder von<br />
Ceaușescu aus den Schaufenstern zu nehmen und an die Bevölkerung<br />
keine alkoholischen Getränke auszugeben. All diese Maßnahmen<br />
wurden ergriffen, um zu verhindern, dass unsere Revolte von<br />
eingeschleusten Provokateuren vereitelt wurde oder dass sie in ein<br />
Gemetzel ausartete.<br />
Die Kolonne aus dem Industriegebiet überquerte die Betonbrücke<br />
und stieß auf die Demonstranten von der Stoff-, Baumwoll- und Seidenweberei<br />
sowie von der Bahn und „Lemeta“. Die Kolonne konnte<br />
zum Hinteren Tor gelangen, ohne am Standort der Militäreinheit<br />
vorbeimarschieren zu müssen. Dort stieß sie auf die erste Absperrung,<br />
eine Wachpostenkette erwartete sie. Savan hielt die Kolonne<br />
an, um mit dem Kommandanten zu verhandeln. In diesem Augenblick<br />
setzte das Führungsteam den ganzen Zug in Bewegung und<br />
dieser kreiste die Soldaten ein. Diese wurden gezwungen, sich bis<br />
zum Burgplatz zurückzuziehen, wo sie eine zweite Sperre bildeten,<br />
um das Vordringen des Demonstrationszuges zu verhindern. Doch<br />
unter dem Druck der Massen mussten die Soldaten in den Hof des<br />
Bürgermeisteramtes zurückweichen. Dort stellten sie sich, mit den<br />
Schusswaffen im Anschlag, wieder auf, um die örtlichen Machthaber<br />
zu verteidigen.<br />
Die Demonstranten versuchten, gegen die verschlossenen Tore des