Notfall Hebamme
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BERUF<br />
und ihre Zahl nimmt weiter ab. Aber sie werden heute häufiger vor Gericht gebracht.<br />
»Wenn bei der Operation der Großmutter etwas schiefläuft, fragt man nicht so häufig nach.<br />
Bei einem kranken Kind ist das anders«, sagt Peter Gausmann von der Gesellschaft für<br />
Risikoberatung, der Kliniken auf Sicherheitslücken untersucht.<br />
Obwohl das Kinderkriegen so sicher wie nie zuvor ist, gibt es kein Gespräch mit<br />
einem Geburtshelfer, ohne dass irgendwann das Wort »Klage« fällt. Wenn einer<br />
<strong>Hebamme</strong> oder einem Arzt eine Schuld nachgewiesen werden kann, wird es extrem<br />
teuer. In keinem Bereich der Heilkunde liegen die Kosten für Folgeoperationen,<br />
Rehabilitationsbehandlungen und Schadensersatz so hoch wie in der Geburtsmedizin.<br />
Neuerdings sprechen die Gerichte einem Kind, das zum Beispiel unter der Geburt zu wenig<br />
Sauerstoff erhalten und einen Hirnschaden erlitten hat, zudem einen Verdienstausfall zu,<br />
und zwar ein Leben lang.<br />
Auch die Regressabteilungen der Krankenkassen fahnden seit einigen Jahren aktiv<br />
nach Behandlungsfehlern. Die Kassen versuchen, sich die Behandlungsausgaben<br />
von den Verursachern zurückzuholen. Der höchste durch eine <strong>Hebamme</strong> verursachte<br />
Einzelfallschaden lag bei 4,5 Millionen Euro. Die wenigen Assekuranzen, die angesichts<br />
dieser horrenden Summen noch bereit sind, die finanziellen Risiken der Geburtshilfe zu<br />
versichern, müssen hohe Prämien nehmen.<br />
In gewisser Weise ist die technisierte Geburtsmedizin Opfer ihres eigenen Erfolgs<br />
geworden: Je mehr die Ärzte den Geburtsvorgang technisch erfassen und beeinflussen<br />
können, desto leichter können ihnen Fehler nachgewiesen werden, desto häufiger kommt<br />
es zu Prozessen, desto höher wird wiederum der Aufwand an Überwachung und ärztlichen<br />
Eingriffen.<br />
Die Zahl der Entbindungen mit Kaiserschnitt hat sich in Deutschland in knapp zwanzig<br />
Jahren verdoppelt, heute liegt sie bei mehr als 30 Prozent. Jede vierte Geburt wird<br />
medizinisch eingeleitet, rund jede zweite mit Wehenmedikamenten oder gegen<br />
Ende mit einem Dammschnitt beschleunigt. Die Rate der Periduralanästhesien<br />
(Rückenmarksbetäubungen) liegt bei 25 Prozent. »Einst zur Beherrschung von<br />
Komplikationen entwickelte Eingriffe sind zur klinischen Routine geworden«, kritisiert<br />
Gesundheitsforscherin Schücking. Auch die Geburtsmediziner sehen die Kaiserschnittraten<br />
mittlerweile kritisch. Krankenhäuser mit hohen Sectio-Raten müssten sich rechtfertigen,<br />
sagt Fachgesellschaftspräsident Stephan Schmidt.<br />
Wie jeder medizinische Trend fördert auch dieser einen Gegentrend. In der Geburtsmedizin<br />
heißt er <strong>Hebamme</strong>nkreißsaal, eine Art Geburtshaus in der Klinik. Hier bekommen Frauen<br />
ihr Kind ohne ärztliche Hilfe allein unter der Aufsicht von <strong>Hebamme</strong>n. Nur für den <strong>Notfall</strong><br />
warten Ärzte im gleichen Gebäude. Oft haben die Paare das <strong>Hebamme</strong>nteam bereits vor<br />
der Entbindung kennengelernt. Zehn <strong>Hebamme</strong>nkreißsäle gibt es mittlerweile in deutschen<br />
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