Displaced Persons-Lager in Babenhausen und Dieburg 1946-1950

Zweierlei Raum, zweierlei Wirkung –
Displaced Persons-Lager
in Babenhausen und Dieburg
1946-1950
Magisterarbeit
von
Holger Köhn
Ziegelhüttenstraße 37
64832 Babenhausen
Matrikel-Nr. 520836
vorgelegt bei
Prof. Dr. Christof Dipper
Technische Universität Darmstadt
Institut für Geschichte
August 2004

Inhaltsverzeichnis
Anhangsverzeichnis............................................................................... 2
Abkürzungsverzeichnis .......................................................................... 3
1. Einleitung ............................................................................................... 4
2. Theoretischer Rahmen .......................................................................... 9
2.1 Forschungsstand ................................................................................... 9
2.2 Quellenlage.......................................................................................... 13
2.3 Raumtheoretische Vorüberlegungen ................................................... 15
2.3.1 Human territoriality............................................................................... 20
2.3.2 Raumbezogene Identität...................................................................... 22
Exkurs.................................................................................................. 27
3. Territoriale Räume ............................................................................... 29
3.1 Die jüdischen DP-Lager ....................................................................... 29
3.1.1 Die Herkunft der jüdischen DPs - Die Brichah ..................................... 31
3.1.2 Das DP-Lager 789 Babenhausen - Ein Lager am Rande der Stadt..... 34
3.1.3 Das jüdische DP-Lager 560 Dieburg - Ein Lager in der Stadt.............. 43
3.1.4 Die Lagerterritorien im Vergleich.......................................................... 50
3.2 Die Territorien der Nationaltschechenlager.......................................... 53
3.2.1 Die Herkunft der Nationaltschechen - Gründe der Flucht .................... 53
3.2.2 Das Lager der Nationaltschechen in Dieburg....................................... 55
3.2.3 Nationaltschechen in der Kaserne Babenhausen ................................ 59
3.2.4 Einordnung der Untersuchungsergebnisse.......................................... 64
4. Identitätsräume .................................................................................... 65
4.1 DPs im Identitätsraum Babenhausen................................................... 67
4.1.1 Jüdische DPs....................................................................................... 67
4.1.2 Nationaltschechische Lagerbelegung .................................................. 72
4.2 DPs im Identitätsraum Dieburg ............................................................ 75
4.2.1 Jüdische DPs....................................................................................... 75
4.2.2 Nationaltschechische Lagerbelegung .................................................. 84
4.3 Einordnung der Untersuchungsergebnisse.......................................... 85
5. Auswirkung der territorialen Anordnung von DP-Lagern in anderen
Identitätsräumen .................................................................................. 88
1

6. Schlussbemerkungen .......................................................................... 91
7. Anhang ................................................................................................ 95
8. Quellen- und Literaturverzeichnis ...................................................... 108
8.1 Quellenverzeichnis............................................................................. 108
8.2 Literaturverzeichnis............................................................................ 111
Anhangsverzeichnis
Anhang 1: Babenhausen - Chronologie der Lagerbelegung......................... 95
Anhang 2: Dieburg - Chronologie der Lagerbelegung .................................. 96
Anhang 3: Stadtplan Dieburg 1949 .............................................................. 97
Anhang 4: Kartenausschnitt Babenhausen 1948 ......................................... 98
Anhang 5: Kaserne Babenhausen................................................................ 99
Anhang 6: DP-Plakat.................................................................................. 100
Anhang 7: DP-Plakat – Ausschnitt ............................................................. 101
Anhang 8: Liste beschlagnahmten Wohnraums in Dieburg........................ 102
Anhang 9: Beschlagnahmte Häuser in Dieburg.......................................... 104
Anhang 10: Schloss Fechenbach ................................................................. 105
Anhang 11: Synagoge und Gymnasium ....................................................... 106
Anhang 12: Bischöfliches Konvikt Dieburg ................................................... 107
2

Abkürzungsverzeichnis
AJDC American Joint Distribution Committee
BM Blackmarket (Schwarzmarkt)
CDRRC Czechoslovakian Democratic Refugees Relief Committee
IfZ Institut für Zeitgeschichte
HICOG High Commissioner for Germany (US)
HHStAW Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden
HStAD Hessisches Staatsarchiv Darmstadt
IRO International Refugee Organization
JOINT Vergleich AJDC
KPTsch Kommunistische Partei der Tschechoslowakei
L&SO Liaison and Security Office
MG Military Government
MP Military Police
NARA National Archives and Records Administration
OMGH Office of Military Government, Hesse
OMGUS Office of Military Government, U.S.
ORT Organization for Rehabilitation through Training
PCIRO Preparatory Commission International Refugee Organization
RG Record Group
SHAEF Supreme Headquarters of the Allied Expeditionary Forces
UNRRA United Nations Relief and Rehabilitation Administration
YIVO Yiddish Scientific Institute, New York
YIVO DPG YIVO-Bestand ‘Displaced Persons Camps in Germany,
1945-1952’
YIVO LWSP YIVO-Bestand ‘Leo W. Schwarz Papers’
3

1. Einleitung
Der Begriff ‘Lager’ ist - bei einem Blick in die jüngere deutsche Geschichte - mit
bestimmten Assoziationen verknüpft. Aus der Zeit des II. Weltkriegs sind es die
Konzentrationslager, die heute einen festen Bestandteil im ‘kulturellen Ge-
dächtnis’ 1 der Deutschen einnehmen. Das Lager ‘Auschwitz’ stellt einen deut-
schen Erinnerungsort dar. 2 Für die Zeit nach Kriegsende lässt sich keine derart
eindeutige Verknüpfung mit dem Begriff ‘Lager’ beobachten. Kriegsgefangenen-
lager sind mit der Erinnerung an die deutsche Nachkriegszeit ebenso verbun-
den wie Lager für deutsche Flüchtlinge und Heimatvertriebene. Weniger promi-
nent sind hingegen die Lager der so genannten ‘Displaced Persons’ (DPs) -
obwohl deren Existenz gleichsam zum Alltag im Nachkriegsdeutschland gehör-
te.
Als die Alliierten 1945 Deutschland besetzten, befanden sich auf dem Gebiet
der späteren westlichen Besatzungszonen etwa 6,5 bis 7 Millionen DPs. 3 Unter
‘Displaced Persons’ verstand man zu diesem Zeitpunkt „Zivilpersonen, die sich
aus Kriegsfolgegründen außerhalb ihres Staates befinden; die zwar zurückkeh-
ren oder eine neue Heimat finden wollen, dieses aber ohne Hilfestellung nicht
zu leisten vermögen.“ 4 Zur so umschriebenen Personengruppe zählten in der
1 Einen aktuellen Überblick über Geschichte, Konzeption und Dimension des Begriffs vermittelt
Weber, Wolfgang E.J.: Das ‘kulturelle Gedächtnis’. Bemerkungen zur Wahrnehmung und Aneignung
einer kulturhistorischen Konzeption. In: Hasberg, Wolfgang (Hg.): Erinnern - Gedenken
- Historisches Lernen. Symposium zum 65. Geburtstag von Karl Filser. München 2003, S. 15-
37. Vgl. auch die Anmerkungen zu ‘Geschichte und Gedächtnis’ bei Niethammer, Lutz: Ego-
Histoire? - und andere Erinnerungsversuche. Wien / Köln / Weimar 2002, S. 160-167.
2 Reichel, Peter: Auschwitz. In: François, Etienne / Schulze, Hagen (Hg.): Deutsche Erinnerungsorte.
München 2001, Bd. 1, S. 600-621. Auschwitz wird hier als ‚ortloser Ort’, als Metapher
für ein ‚Jahrhundert der Barbarei’ bezeichnet. Vgl. auch Wolfrum, Edgar: Die Suche nach
dem „Ende der Nachkriegszeit“. Krieg und NS-Diktatur in öffentlichen Geschichtsbildern der
„alten“ Bundesrepublik Deutschland. In: Cornelißen, Christoph / Klinkhammer, Lutz / Schwentker,
Wolfgang (Hg.): Erinnerungskulturen. Deutschland, Italien und Japan seit 1945. Frankfurt
am Main 2003, S. 183-197, S. 194f.
3 Nach Königseder, Angelika / Wetzel, Juliane: Lebensmut im Wartesaal: Die jüdischen DP’s
(Displaced Persons) im Nachkriegsdeutschland 1945-1949. Frankfurt am Main 1994, S. 7. Vgl.
auch Jacobmeyer, Wolfgang: Vom Zwangsarbeiter zum Heimatlosen Ausländer: Die Displaced
Persons in Westdeutschland 1945-1951. Göttingen 1985, S. 41f.
4 Jacobmeyer, Wolfgang: Vom Zwangsarbeiter zum Heimatlosen Ausländer, S. 16. Der Definition
liegt die erste Begriffsdefinition in SHAEFs Administrative Memorandum No. 39 vom 18.
November 1944 (redigierte Fassung vom 16. April 1945) zu Grunde. Danach sind als DPs
anzusehen: „Civilians outside the national boundaries of their country by reason of the war, who
are (1) desirous but unable to return home or find homes without assistance, (2) to be returned
to enemy or ex-enemy territory.“ Vgl. Jacobmeyer, Wolfgang: Polnische Juden in der amerikanischen
Besatzungszone Deutschlands 1946/47. In: VfZ 25 (1977), S. 120-135, S. 120.
4

Praxis vor allem Zwangsarbeiter 5 , die während des Krieges in deutschen Be-
trieben beschäftigt waren, und ehemalige Konzentrationslagerhäftlinge. Auch
Osteuropäer, die im Verlauf des Krieges freiwillig in der deutschen Wirtschaft
arbeiteten oder vor der sowjetischen Armee geflüchtet waren, gehörten dazu.
Als Reaktion auf die Flüchtlingsbewegungen der Nachkriegszeit, verschwand
aus späteren Definitionen der direkte Bezug zu den Kriegsgeschehnissen. 6 Ab
1947 verstand man unter DPs „alle Zivilpersonen außerhalb der Grenzen ihrer
Heimatstaaten, die durch Kriegseinwirkungen im weitesten Sinne in die Fremde
verschlagen waren und die ihren Wunsch, zurückzukehren oder anderswo an-
sässig zu werden, nur mit alliierter Hilfe würden verwirklichen können“ 7 . Nicht
unter die Bezeichnung ‘Displaced Persons’ fielen die Millionen deutscher
Flüchtlinge und Vertriebener, die aufgrund des Krieges ihre Heimat verlassen
mussten.
Trotz widriger Umstände - vor allem die zerstörten Verkehrswege und die ge-
ringen Transportkapazitäten stellten hohe Hürden dar - gelang es den alliierten
Behörden, bereits in den ersten Nachkriegsmonaten einen großen Teil der DPs
zu repatriieren, das heißt in ihre Heimatländer zu befördern. 8 Unterstützt wur-
den sie dabei von der United Nations Relief and Rehabilitation Administration
(UNRRA), die für die Betreuung der DPs mitverantwortlich war. Im Juli 1947
wurde die UNRRA von der International Refugee Organization (IRO) abgelöst.
Statt Repatriierung stand nun zunehmend Resettlement (Ansiedlung außerhalb
der Grenzen Deutschlands und des früheren Heimatlandes) auf dem Programm
von Militärverwaltung und Hilfsorganisationen. Neue Flüchtlingsströme, vor al-
lem jüdischer DPs aus Osteuropa, stellten die zuständigen Behörden ab 1946
vor enorme Probleme. Während sich die Zahl der DPs allgemein kontinuierlich
5 Hier und im Folgenden wird aus Gründen der Lesbarkeit auf die zusätzliche Nennung der
weiblichen Form (hier: Zwangsarbeiterinnen, später: Jüdinnen, Nationaltschechinnen usw.)
weitgehend verzichtet.
6 Im Statut der IRO heißt es zur Definition von DPs 1947: „The term ‘displaced person’ applies
to a person who [...] has been deported from, or has been obliged to leave his country of nationality
or former habitual residence, such as persons who were compelled to undertake forced
labour or who were deported for racial, religious or political reasons.“ Vgl. Jacobmeyer, Wolfgang:
Polnische Juden in der amerikanischen Besatzungszone Deutschlands 1946/47, S. 121.
7 Nach Jacobmeyer, Wolfgang: Jüdische Überlebende als ‘Displaced Persons’: Untersuchungen
zur Besatzungspolitik in den deutschen Westzonen und zur Zuwanderung osteuropäischer
Juden 1945-1947. In: GG 9 (1983), Heft 3, S. 421-452, S. 422.
8 Eine ausführliche Analyse der Repatriierung liefert Jacobmeyer, Wolfgang: Vom Zwangsarbeiter
zum Heimatlosen Ausländer, S. 59-152. In den ersten Monaten wurden täglich bis zu 33.000
DPs repatriiert. Bis Ende 1946 hatte sich die Anzahl der DPs auf weniger als eine Million verringert.
Ebenda, S. 122. Im August 1948 waren es noch etwa 300.000. Ebenda, S. 171.
5

verringerte, verdreifachte sich die Zahl der jüdischen DPs innerhalb weniger
Monate. Sie wurden zunächst in Auffanglagern untergebracht. Da das Resett-
lement im Falle der jüdischen DPs besonders problematisch war, wurde schnell
deutlich, dass neue, permanente Lager eingerichtet werden mussten. Die jüdi-
schen DPs wollten keineswegs auf deutschem Boden verweilen. Das eigentli-
che Ziel ihrer Flucht war meist Palästina, an zweiter Stelle gefolgt von den Ver-
einigten Staaten. 9 Aus diversen Gründen, die im Folgenden noch genauer auf-
zuzeigen sein werden, waren sie jedoch in Deutschland gestrandet und blieb
ihnen das Erreichen des Zielortes ihrer Flucht zunächst verwehrt.
Die Suche nach geeigneten Räumlichkeiten für die Unterbringung der DPs ges-
taltete sich schwierig. Raum war im Nachkriegsdeutschland ein begehrtes Gut.
Die Beherbergung der DPs in Sammelunterkünften, etwa in ehemaligen Kaser-
nenbauten, war die Regel. In selteneren Fällen erfolgte die Unterbringung in
privatem Wohnraum. Auffallend ist, dass sehr unterschiedliche Arten von Lager-
räumen existierten. Hinsichtlich dieses Aspektes sollen in der Folge DP-Lager in
den südhessischen Städten Babenhausen und Dieburg untersucht werden. In
der Zeit von 1946 bis 1950 waren in beiden Gemeinden DPs in unterschiedli-
chen Räumen untergebracht.
Die folgenden Darstellungen beschränken sich auf die Personengruppen der
jüdischen DPs und der so genannten Nationaltschechen. Sowohl in Dieburg als
auch in Babenhausen waren weitere Personen untergebracht, die unter die
oben angegebene DP-Definition fielen. Die Konzentration auf die genannten
Gruppen ist einerseits dem Umfang der Arbeit, insbesondere aber der Art des
zur Verfügung stehenden Quellenmaterials geschuldet. 10
Die Kategorie ‘Raum’ - thematischer Schwerpunkt des 45. Deutschen Histori-
kertags 2004 - kommt im Verlauf der Arbeit in zwei unterschiedlichen Dimensi-
onen zur Geltung. Im ersten Hauptteil (Kapitel 3) stehen die Lagerräume selbst
im Zentrum der Untersuchung. Fragen bezüglich deren Anordnung, Geschichte
und Art der Belegung werden behandelt. Im Einzelfall wird auf Probleme bei der
Auswahl und auf Schwierigkeiten beim Bezug der Territorien eingegangen. Ein-
9 Jacobmeyer, Wolfgang: Jüdische Überlebende als ‘Displaced Persons’, S. 424. Bei Befragungen
nichtjüdischer DPs nach ihren Auswanderungswünschen rangierte die USA unangefochten
auf Platz eins. Vgl. Stepien, Stanislaus: Der alteingesessene Fremde: Ehemalige Zwangsarbeiter
in Westdeutschland. Frankfurt am Main / New York 1989, S. 94f. sowie 169-174.
10 Vgl. auch Kapitel 2.2 dieser Arbeit.
6

leitend werden wichtige Hintergründe, wie die Herkunft der DPs, skizziert. Im
zweiten Hauptteil (Kapitel 4) wird die Wirkung der DPs in den jeweiligen Identi-
tätsräumen untersucht; es wird also mit einem anderen Raumbegriff operiert.
Die zu überprüfende Ausgangsthese dabei ist, dass die (im ersten Hauptteil
herausgearbeitete) verschiedene territoriale Anordnung der DPs den entschei-
denden Faktor für eine unterschiedliche Sicht durch die jeweilige einheimische
Bevölkerung darstellt. Die Arbeit analysiert also, in welcher Weise sich die terri-
toriale Anordnung der Lager auf die Wahrnehmung der ortsansässigen Bevöl-
kerung auswirkte. Dazu werden, neben archivarischem Quellenmaterial, eigens
geführte Zeitzeugengespräche ausgewertet und in die Ausführungen einbezo-
gen. In Kapitel 2.2 wird auf den Umgang mit dem Interviewmaterial und auf all-
gemeine Besonderheiten der so genannten ‘Oral History’ näher eingegangen.
Wie bereits angedeutet, basieren die beiden Hauptteile der Arbeit auf unter-
schiedlichen Raumvorstellungen. Auf der Suche nach entsprechenden raum-
theoretischen Konzepten wird deutlich, dass diese in der historischen For-
schung bisher keinen Schwerpunkt bilden. Es ist daher unumgänglich, sich mit
raumtheoretischen Arbeiten der wissenschaftlichen Nachbardisziplinen zu be-
schäftigen. Das - gemäß des zur Verfügung stehenden „Raums“ stark verkürzte
- Ergebnis dieser Auseinandersetzung spiegelt sich in den ‘Raumtheoretischen
Vorüberlegungen’ wider, die in Kapitel 2.3 zum Ausdruck gebracht werden. Dar-
in werden gleichsam die dieser Arbeit zu Grunde liegenden raumtheoretischen
Konzepte skizziert. Das Hinzuziehen fachfremder Forschungsergebnisse ändert
nichts an der historischen Ausrichtung der Arbeit. Es zeugt vielmehr von einer,
für wissenschaftliches Arbeiten allgemein wünschenswerten, gewissen Offen-
heit gegenüber Anregungen aus anderen wissenschaftlichen Disziplinen.
Die Arbeit verfügt in ihrer räumlichen Eingrenzung und der Darstellung von
Wahrnehmungs- und Deutungsweisen unter Einbezug von persönlicher Erinne-
rung über einen alltags- bzw. mikrogeschichtlichen Ansatz. 11 Dieser führt kei-
11 Zum Begriff Alltags- bzw. Mikrogeschichte vgl. Burghartz, Susanne: Historische Anthropologie
/ Mikrogeschichte. In: Eibach, Joachim / Lottes, Günther (Hg.): Kompass der Geschichtswissenschaft.
Ein Handbuch. Göttingen 2002, S. 206-218; Daniel, Ute: Kompendium Kulturgeschichte.
Theorien, Praxis, Schlüsselwörter. Frankfurt am Main 2001, S. 298-308; Lüdtke, Alf:
Was ist und wer treibt Alltagsgeschichte? In: Ders. (Hg.): Alltagsgeschichte. Zur Rekonstruktion
historischer Erfahrungen und Lebensweisen. Frankfurt am Main 1989, S. 9-47 sowie Niethammer,
Lutz: Anmerkungen zur Alltagsgeschichte. In: Ders.: Deutschland danach. Postfaschistische
Gesellschaft und nationales Gedächtnis. Bonn 1999, S. 450-464.
7

neswegs dazu, dass überregionale Zusammenhänge ausgeblendet werden. 12
Der verkleinerte Beobachtungsmaßstab und die Methode des Vergleichs er-
möglichen es vielmehr, auf durchaus vorhandene Handlungsspielräume bezüg-
lich der Errichtung von DP-Lagern aufmerksam zu machen und deren Wirkung
zu untersuchen. 13 Die so gewonnenen Ergebnisse werden stets eingebettet in
die allgemeinen Rahmenbedingungen betrachtet. In einem auf Wesentliches
beschränkten Abschnitt (Kapitel 5) werden die so gewonnen Erkenntnisse zu-
dem mit denen anderer Untersuchungen verglichen. Es wird dabei versucht,
Aussagen bezüglich ihrer allgemeinen Gültigkeit zu treffen - insofern dies an-
hand des bisherigen Forschungsstands möglich erscheint.
Ziel der Arbeit ist es nicht, um das noch einmal zu betonen, die Lebenssituation
und -wirklichkeit der Bewohner der Lager in all ihren Facetten zu rekonstruie-
ren. Es sind vielmehr die räumlichen Aspekte, die nachgezeichnet und auf ihre
Auswirkungen hin untersucht werden. Die Sicht aus dem Blickwinkel der Lager-
insassen wird dabei nur an einigen Stellen des ersten Hauptteils Berücksichti-
gung finden. Im zweiten Teil wird explizit die Perspektive der einheimischen Be-
völkerung im Zentrum stehen. Eine andere Gewichtung wäre schon aufgrund
der vorgefundenen Quellenlage nicht möglich. Eine Ausnahme bilden die Erin-
nerungen des Isaak Altkorn, die in Form eines Exkurses vor den beiden Haupt-
teilen eingefügt stehen. Sie dokumentieren das Beispiel einer jüdischen Displa-
ced Person, die im Lager Babenhausen untergebracht war. Zuvor wird jedoch
zunächst auf den Forschungsstand bezüglich der ‘Displaced Persons’, dann auf
den untersuchten Quellenbestand und anschließend auf die bereits angespro-
chenen raumtheoretischen Konzepte eingegangen.
12 Vgl. Daniel, Ute: Kompendium Kulturgeschichte, S. 304.
13 Vgl. dazu Burghartz, Susanne: Historische Anthropologie / Mikrogeschichte, S. 214.
8

2. Theoretischer Rahmen
2.1 Forschungsstand
Der historischen Forschung galt das Problem der ‘Displaced Persons’ lange Zeit
nicht als befragenswerter und der Aufhellung bedürftiger Gegenstand. Erste
Auseinandersetzungen mit der DP-Problematik aus den späten vierziger Jahren
und zu Beginn der fünfziger Jahre wurden von Mitarbeitern der Hilfsorganisatio-
nen und von Angehörigen der alliierten Militärverwaltungen verfasst. 14 Einzelne
amerikanische und israelische Historiker waren die ersten, die sich professionell
der Thematik (besonders der jüdischen DPs) annahmen. 15 Einige Arbeiten, wie
die des in einem DP-Lager geborenen Historikers Abraham Peck, weisen deut-
lich persönliche Bezüge auf. 16 Erst Mitte der achtziger Jahre erwachte in der
deutschen zeitgeschichtlichen Forschung, die sich in dieser Zeit vermehrt der
Geschichte des Kriegsendes und der unmittelbaren Nachkriegszeit sowie der
Flüchtlings- und Vertriebenenthematik zuwendete, ein Interesse an dem The-
ma. Die 1985 erschienene und bis heute grundlegende Studie „Vom Zwangsar-
beiter zum Heimatlosen Ausländer. Die Displaced Persons in Westdeutschland
1945-1951“ von Wolfgang Jacobmeyer stellt die erste auf Akten basierende
Untersuchung zum DP-Komplex dar. 17 Sie dokumentiert die verschiedenen ‘po-
licies’ gegenüber den DPs, von den alliierten Vorplanungen 1944, über die Pha-
14 Vgl. die vom US State Department herausgegebene Aufsatzsammlung: The Displaced Persons
Problem. A Collection of Recent Official Statements. Washington 1947; Grossmann, Kurt
R.: The Jewish DP-Problem. Its Origin, Scope, and Liquidation. New York 1951; Pinson, Koppel
S.: Jewish Life in Liberated Germany. In: Jewish Social Studies, Bd. 9, Nr. 2, April 1947, S. 101-
126. Die meines Wissens einzige Studie zu diesem Thema, die in dieser Zeit in Deutschland
angefertigt wurde, ist die des Tübinger Instituts für Besatzungsfragen: Das DP-Problem. Eine
Studie über die ausländischen Flüchtlinge in Deutschland. Tübingen 1950.
15 Vgl. exemplarisch Dinnerstein, Leonard: German Attitudes towards the Jewish Displaced
Persons (1945-50). In: Trefousse, Hans L. (Hg.): Germany and America. Essays on Problems
of International Relations and Immigration. New York 1980, S. 241-247 sowie Bauer, Yehuda:
Flight and Rescue: Brichah. New York 1970.
16 Vgl. u.a. Peck, Abraham J.: Befreit und erneut in Lagern: Jüdische DPs. In: Pehle, Walter H.
(Hg.): Der Judenpogrom 1938: Von der ‘Reichskristallnacht’ zum Völkermord. Frankfurt am
Main 1988, S. 201-212.
17 Jacobmeyer, Wolfgang: Vom Zwangsarbeiter zum Heimatlosen Ausländer: Die Displaced
Persons in Westdeutschland 1945-1951. Göttingen 1985. Zu übergreifenden Darstellungen vgl.
auch Wyman, Mark: DPs - Europe’s Displaced Persons, 1945-1951. London / Philadelphia
1989, Neuauflage New York 1998 sowie Stepien, Stanislaus: Der alteingesessene Fremde:
Ehemalige Zwangsarbeiter in Westdeutschland. Frankfurt am Main / New York 1989. Zu einer
knappen Zusammenfassung der Jacobmeyerschen Studie, die neuere Forschungsliteratur
nennt, aber kaum neue Erkenntnisse liefert, vgl. Pegel, Michael: Fremdarbeiter, Displaced Per-
9

sen der Repatriierung und des Resettlements, bis zur Zuständigkeit der deut-
schen Behörden und der damit einhergehenden Verwandlung der DPs in ‘Hei-
matlose Ausländer’. Jacobmeyer liefert zudem in früheren Aufsätzen grundle-
gende Forschungsergebnisse zur Geschichte der jüdischen DPs. 18 In den
neunziger Jahren, in denen sich die Zeitgeschichte vermehrt alltagsgeschichtli-
chen Ansätzen öffnete, erschienen Forschungsergebnisse vor allem zu zwei
speziellen DP-Gruppen. Zum einen richtete sich das Interesse, im Anschluss an
die vor allem durch Ulrich Herberts Studie 19 angestoßene Debatte zum Kom-
plex ‘Fremdarbeiter’, auf die sowjetischen DPs. 20 Zum anderen konzentrierte
sich die Forschung auf die Geschichte der jüdischen DPs. Nach einigen allge-
meinen bzw. regionalen Darstellungen zu jüdischem Leben im Nachkriegs-
deutschland, 21 legte die Untersuchung von Angelika Königseder und Juliane
Wetzel einen Grundstein für die Aufarbeitung einzelner jüdischer DP-Lager. 22
sons, Heimatlose Ausländer: Konstanten eines Randgruppenschicksals in Deutschland nach
1945. Münster 1997.
18 Jacobmeyer, Wolfgang: Polnische Juden in der amerikanischen Besatzungszone Deutschlands
1946/47. In: VfZ 25 (1977), S. 120-135; Ders.: Jüdische Überlebende als ‘Displaced Persons’:
Untersuchungen zur Besatzungspolitik in den deutschen Westzonen und zur Zuwanderung
osteuropäischer Juden 1945-1947. In: GG 9 (1983), Heft 3, S. 421-452.
19 Herbert, Ulrich: Fremdarbeiter. Politik und Praxis des "Ausländer-Einsatzes" in der Kriegswirtschaft
des Dritten Reiches. Berlin / Bonn 1985, Neuauflage Bonn 1999.
20 Vgl. exemplarisch Bronwetsch, Bernd: Sowjetische Zwangsarbeiter vor und nach 1945. Ein
doppelter Leidensweg. In: Jahrbücher für Geschichte Europas 41 (1993), Heft 4, S. 532-546
sowie Goeken-Haidl, Ulrike: Repatriierung in den Terror? Die Rückkehr der sowjetischen
Zwangsarbeiter und Kriegsgefangenen in ihre Heimat 1944-1956. In: Benz, Wolfgang / Distel,
Barbara (Hg.): Dachauer Hefte. Studien und Dokumente zur Geschichte der nationalsozialistischen
Konzentrationslager 16 (2000), S. 190-209.
21 Wetzel, Juliane: Jüdisches Leben in München 1945-1951. Durchgangsstation oder Wiederaufbau?
München 1987; Müller, Ulrich: Fremde in der Nachkriegszeit. Displaced Persons -
zwangsverschleppte Personen - in Stuttgart und Württemberg-Baden 1945-51. Stuttgart 1990;
Stern, Frank: The Historic Triangle: Occupiers, Germans and Jews in Post War Germany. In:
Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte, Bd. 14 (1990), S. 47-76; Ders.: Im Anfang war
Auschwitz. Antisemitismus und Philosemitismus im deutschen Nachkrieg. Gerlingen 1991; Giere,
Jacqueline Dewell: Wir sind unterwegs, aber nicht in die Wüste. Erziehung und Kultur in den
jüdischen Displaced Persons-Lagern der amerikanischen Zone im Nachkriegsdeutschland
1945-1949. Frankfurt am Main 1993; Eckert, Gisela: Hilfs- und Rehabilitierungsmaßnahmen der
West-Alliierten des 2. Weltkriegs für Displaced Persons (DPs) dargestellt am Beispiel Niedersachsens
1945-52. Braunschweig 1995. Eine Regionalstudie zu DPs allgemein liefert Schröder,
Stefan: ‘Displaced Persons’ im Rheinland - das Nachkriegsschicksal befreiter Zwangsarbeiter in
regionaler Perspektive. In: Geschichte im Westen 18 (2003), Heft 2, S. 180-204.
22 Königseder, Angelika / Wetzel, Juliane: Lebensmut im Wartesaal: Die jüdischen DP’s
(Displaced Persons) im Nachkriegsdeutschland 1945-1949. Frankfurt am Main 1994. Die Historikerinnen
arbeiten die Geschichte der Lager Föhrenwald und Belsen-Hohne auf. Im ersten Teil
des Buches wird zudem ein allgemein historischer Überblick geboten und insbesondere die
zentrale jüdische Hilfsorganisation des AJDC präzise dargestellt. Im Anhang befindet sich eine
Aufstellung aller jüdischen DP-Lager in Deutschland, die auf Quellenmaterial aus dem YIVO
Institut, New York basiert. Darin werden leider falsche Angaben tradiert und - schlimmer noch -
nie existierende Lager (re-)konstruiert. Vgl. dazu Kapitel 3.1.2 dieser Arbeit.
10

Es entstanden daraufhin wissenschaftliche Arbeiten, die sich der Geschichte
bestimmter Lager annahmen. Besonders die großen Lager standen dabei im
Zentrum des Forschungsinteresses, wobei vornehmlich deren innere Struktur
betreffende Aspekte (Verwaltung, Versorgung, Bildung, kulturelles und religiö-
ses Leben) nachgezeichnet wurden. 23 Manche Untersuchungen beziehen Inter-
viewmaterial aus Zeitzeugengesprächen in ihre Darstellungen ein. 24 Den Lager-
räumen selbst widmen sie sich nur am Rande; vergleichende Studien diesbe-
züglich existieren nicht. 25 Die Innensicht der jüdischen DPs ist aufgrund der
Quellenlage besonders schwierig zu rekonstruieren, weshalb die historische
Forschung dazu bisher wenig übergreifende Studien hervorgebracht hat. 26 Er-
staunlicher Weise wird dennoch selten der Versuch unternommen, die Perspek-
tive der einheimischen Bevölkerung zu untersuchen. 27
23 Dietrich, Susanne: „Auf dem Weg zur Freiheit“. Die jüdischen Lager in Stuttgart nach 1945.
In: Dietrich, Susanne / Schulze Wessel, Julia: Zwischen Selbstorganisation und Stigmatisierung:
die Lebenswirklichkeit jüdischer Displaced Persons und die neue Gestalt des Antisemitismus
in der deutschen Nachkriegsgesellschaft. Stuttgart 1998, S. 11-130; Eder, Angelika:
Flüchtige Heimat. Jüdische Displaced Persons in Landsberg am Lech 1945 bis 1950. München
1998. Zuvor bereits Ritter, Florian: Die Geschichte des „Displaced Persons“ - Lager in Frankfurt
/ Zeilsheim. Frankfurt am Main 1993.
24 So zum Beispiel Rasmus, Anna: Pocking. Ende und Anfang. Jüdische Zeitzeugen über Besiegte
und Befreite. Konstanz 1995. Die Autorin wertet Gesprächsprotokolle von Interviews mit
Zeitzeugen aus DP-Lagern in Niederbayern aus. Vgl. auch Wagner, Patrick: Displaced Persons
in Hamburg. Stationen einer halbherzigen Integration 1945-1958. Hamburg 1997. Im zweiten
Teil der Arbeit werden die Lebensgeschichten einiger DPs basierend auf Interviews nachgezeichnet.
25 Auch die sehr lesenswerten und ein weites Spektrum abdeckenden Beiträge in der vom Fritz-
Bauer-Institut herausgegebenen Aufsatzsammlung ‘Überlebt und unterwegs. Jüdische Displaced
Persons im Nachkriegsdeutschland’ (Jahrbuch 1997 zur Geschichte und Wirkung des Holocaust)
widmen sich nicht dezidiert den Lagerräumen.
26 Die zeitgenössische Quellenlage zur Innensicht der jüdischen DPs ist sehr begrenzt. Die Oral
History Sammlungen konzentrieren sich meist auf die Zeit der Konzentrationslager. Zu den
wenigen neueren Forschungsarbeiten bezüglich der Innensicht zählen Myers, Margarete L.:
Jewish Displaced Persons Reconstructing Individual and Community in the US Zone of Occupied
Germany. In: Leo Baeck Institute Year Book 42 (1997), S. 303-324 sowie Mankowitz, Zeev
W.: Life between Memory and Hope: The Survivors of the Holocaust in Occupied Germany.
Cambridge 2002. Ein aktuelles Beispiel für Darstellung des Lebens in DP-Lagern aus Perspektive
ehemaliger Lagerinsassen bietet die von jüdischen DPs in Zusammenarbeit mit dem Holocaust
Memorial and Education Center of Nassau County (USA) zusammengestellte Ausstellung
‘Displaced Persons Camps - DP-Lager in Süddeutschland. Das Wiedererstehen jüdischer Gemeinschaft
und kulturellen Lebens in der Nachkriegsgesellschaft’, gastierend vom 19. Mai bis
19. August 2004 im Jüdischen Museum München.
27 Eine Ausnahme stellt die Dissertation von Eder, Angelika: Flüchtige Heimat. Jüdische Displaced
Persons in Landsberg am Lech 1945 bis 1950. München 1998 dar. Eder führte mit achtzehn
damaligen Landsberger Bürgern Zeitzeugeninterviews. Vgl. auch Eder, Angelika: Jüdische
Displaced Persons im deutschen Alltag. Eine Regionalstudie 1945-1950. In: Fritz-Bauer-
Institut (Hg.): Überlebt und unterwegs: jüdische Displaced Persons im Nachkriegsdeutschland.
Frankfurt am Main / New York 1997, S. 163-187.
11

Die Geschichte der jüdischen DPs im Landkreis Darmstadt-Dieburg wird erst in
jüngster Zeit in zwei Veröffentlichungen, die in Zusammenarbeit mit dem Hessi-
schen Staatsarchiv Darmstadt entstanden, thematisiert. 28 Nur wenige Zeilen
finden sich darin zum jüdischen DP-Lager Babenhausen. Auf die besondere
territoriale Anordnung des jüdischen DP-Lagers Dieburg wird verwiesen, jedoch
nicht genauer eingegangen.
Anders präsentiert sich der Forschungsstand bezüglich der Nationaltschechen.
Diese vergleichbar kleine Gruppe, 29 die im Frühjahr 1948 in die amerikanische
Besatzungszone Deutschlands geflohen war und unter die erweiterte DP-
Definition fiel, aber erst im Sommer offiziell den DP-Status erhielt, 30 wird von
der zeitgeschichtlichen Forschung bisweilen ignoriert. Einzig in einer relativ frü-
hen und schwer zugänglichen Arbeit über das VALKA-Lager nahe Nürnberg
finden die Nationaltschechen Erwähnung. 31 Die umfangreiche Literatur, die sich
gerade in den letzten Jahren mit dem Thema der Vertreibung auseinandersetzt,
blendet die tschechischen DPs in Deutschland völlig aus. 32 Ihr Blick richtet sich
auf die deutschen Heimatvertriebenen oder auf die Vertreibungen innerhalb der
Tschechoslowakei. Die Ausführungen zu den untersuchten Lagern der Natio-
naltschechen stützen sich daher in großem Maße auf bisher unbearbeitetes
Quellenmaterial.
28 Lange, Thomas (Hg.): „L’chajim“. Die Geschichte der Juden im Landkreis Darmstadt-Dieburg.
Reinheim 1997; Kohlmannslehner, Dietrich / Lange, Thomas: „...wohnen auf der verfluchten
deutschen Erde“ - Jüdisches Leben in Südhessen nach 1945. Darmstadt 1998. Beiheft zu einer
Ausstellung im Hessischen Staatsarchiv Darmstadt vom 26.10.-18.12.1998.
29 Jacobmeyer gibt ihre Zahl in einer Statistik vom 31. August 1948 mit 3.488 an. Vgl. Jacobmeyer,
Wolfgang: Vom Zwangsarbeiter zum Heimatlosen Ausländer, S. 171. Im Text finden sie
keinerlei Erwähnung.
30 Vgl. dazu Kapitel 3.2.1 dieser Arbeit.
31 Schick, Christa: Das VALKA - Lager in Nürnberg. Zu Problemen der Integration der „heimatlosen
Ausländer“ in der frühen Bundesrepublik Deutschland 1950-1954. Erlangen / Nürnberg
1983.
32 Vgl. exemplarisch Heumos, Peter (Hg.): Heimat und Exil. Emigration und Rückwanderung,
Vertreibung und Integration in der Geschichte der Tschechoslowakei. Oldenburg 2001. Auch in
Publikationen, die das Verhältnis zwischen Deutschen und Tschechen thematisieren, finden
sich keine Hinweise auf die Existenz der Nationaltschechen im Nachkriegsdeutschland. Vgl.
Hoensch, Jörg K. / Lemberg, Hans (Hg.): Begegnung und Konflikt. Schlaglichter auf das Verhältnis
von Tschechen, Slowaken und Deutschen, 1815-1989. Bonn 2001 sowie Koschmal,
Walter / Nekula, Marek / Rogall, Joachim (Hg.): Deutsche und Tschechen. Geschichte, Kultur,
Politik. München 2001.
12

2.2 Quellenlage
Zur Bearbeitung des Themas werden als zeitgenössische Quellen insbesondere
Akten der amerikanischen Militärregierung, Akten deutscher Behörden aus den
Staatsarchiven in Darmstadt und Wiesbaden, innerjüdische Quellen des YIVO-
Instituts in New York sowie Material aus den Stadtarchiven in Dieburg und, in
sehr begrenztem Umfang, Babenhausen verwendet. In den im Quellenver-
zeichnis angegebenen Zeitungen sind hingegen kaum Hinweise auf die behan-
delten Lager auszumachen. 33 Die ausgewerteten Akten der amerikanischen
Militärregierung befinden sich in den Staatsarchiven in Darmstadt und Wiesba-
den (OMGH, OMGUS - auf Mikrofiche) sowie in Beständen des National Archi-
ves in Washington (OMGUS, HICOG). 34 Während in ihnen Material sowohl zu
den jüdischen Lagern als auch zu denen der Nationaltschechen zu finden ist,
erweisen sich die Akten der hessischen Behörden insbesondere als Fundstelle
bezüglich der Bearbeitung der Nationaltschechenlager. Die Bestände des
YIVO-Instituts, die - auf Mikrofilmrollen - im Zentrum für Antisemitismusfor-
schung in Berlin zugänglich sind, enthalten unter anderem Berichte des AJDC
sowie Lagerstatistiken der jüdischen DP-Lager. Aus den Beständen des Insti-
tuts für Zeitgeschichte (IfZ) in München werden nur Auszüge aus den ‘Pollock-
Papers’ verwendet. Auf eine systematische Durchsicht des Bestandes des IfZ
musste aus zeitlichen Gründen verzichtet werden - dies hätte den Umfang der
Arbeit bei weitem überschritten. Aus gleichem Grund konnten die UN-Archive in
Paris 35 und New York sowie die in Yad Vashem (Israel) aufbewahrten Quellen
nicht berücksichtigt werden.
Neben den Archivalien werden Zeitzeugeninterviews zur Bearbeitung des The-
mas einbezogen. 36 Dazu wurden im Verlauf der Arbeit insgesamt acht Erinne-
33 Ein Grund dafür ist, dass die Lokalzeitungen erst ab 1949 wieder erschienen (der Dieburger
Anzeiger ab Mai und die Babenhäuser Zeitung ab September).
34 Das aus dem National Archives Washington eingesehene Material wurde mir dankenswerter
Weise von Frau Anette Neff zur Verfügung gestellt. Es wird in der Folge mit NARA (National
Archives and Records Administration) abgekürzt. Die mit 260 bezeichneten Quellen entstammen
dem OMGUS Bestand; 466 kennzeichnet Quellen aus dem HICOG Bestand. Die nachfolgenden
Zahlen bezeichnen (in der Reihenfolge) Area / Row / Compartment / Shelf.
35 Im UN-Archiv in Paris könnte auch Material bezüglich baltischer DPs, die in Babenhausen
und Dieburg untergebracht waren, zu finden sein. In den untersuchten Beständen werden sie
nur am Rande erwähnt.
36 Zur Arbeit mit ‘Oral History’ in der Geschichtswissenschaft vgl. Briesen, Detlef / Gans, Rüdiger:
Über den Wert von Zeitzeugen in der deutschen Historik. In: BIOS, 6 (1993), Heft 1, S. 1-
32; Dejung, Christof: Eine Brücke zwischen Zeitzeugen und Historikern. Oral History - erfragte
13

ungsgespräche 37 , auch ‘halboffene’ Interviews 38 genannt, geführt. 39 Bei dieser
Art der Interviewtechnik wird auf ‘geschlossene’ Fragesysteme verzichtet. Die
Interviewpartner werden vielmehr - orientiert an Leitfragen - zum Erzählen an-
geregt. Dem Forscher wird die Möglichkeit eingeräumt, gemäß der Gesprächs-
situation durch (Nach)Fragen zu reagieren. 40 Die so quasi selbst produzierten
Quellen stellen neben den schriftlichen Quellen eine wichtige Voraussetzung für
die Bearbeitung des zweiten Hauptteils der Arbeit dar, da sie eine „Überliefe-
rungslücke“ 41 schließen helfen. Immer wieder wird der mit Quellen der ‘Oral
History’ arbeitenden Geschichtswissenschaft vorgeworfen, wissenschaftlich al-
lenfalls bedingt haltbare Ergebnisse hervorzubringen. Begründet wird dies meist
damit, dass lebensgeschichtliche Interviews Artefakte produzierten, die „mehr
mit dem Hier und Jetzt der Interviewsituation als mit dem Dort und Damals des
‘Erinnerten’ zu tun haben.“ 42 Dieser Einwand ist insofern berechtigt, als er dar-
auf verweist, dass Erinnerungen die individuellen Vergangenheiten zu einem
gewissen Teil erst erschaffen - inklusive aller Auslassungen und Umin-
Vergangenheit als Erweiterung der Quellenbasis. In: NZZ vom 3./4. Juni 2000; Geppert, Alexander
C.T.: Forschungstechnik oder historische Disziplin? Methodische Probleme der Oral
History. In: GWU 45 (1994), S. 303-323; Jarausch, Konrad H. / Sabrow, Martin (Hg.): Verletztes
Gedächtnis. Erinnerungskultur und Zeitgeschichte im Konflikt. Frankfurt 2002; Niethammer,
Lutz: Ego-Histoire? - und andere Erinnerungsversuche. Wien / Köln / Weimar 2002, S. 160-167,
besonders S. 166f.; Vorländer, Herwart (Hg.): Oral History: mündlich erfragte Geschichte. Göttingen
1990.
37 Vgl. Stöckle, Frieder: Zum praktischen Umgang mit Oral History. In: Vorländer, Herwart (Hg.):
Oral History: mündlich erfragte Geschichte. Göttingen 1990, S. 131-158; zum Begriff ‘Erinnerungsgespräch’
S. 146f.
38 Schmidt-Lauber, Brigitta: Das Interview - oder die Kunst des Reden-Lassens. In: Göttsch,
Silke / Lehmann, Albrecht (Hg.): Methoden der Volkskunde. Berlin / Hamburg 2001, S. 165-186.
Zur Technik des Interviewführens vgl. auch Friedrichs, Jürgen: Methoden empirischer Sozialforschung.
Opladen 14. Auflage 1990, besonders S. 224-236 sowie Henne, Helmut / Rehbock,
Helmut: Einführung in die Gesprächsanalyse. Berlin / New York 4. Auflage 2001, besonders S.
33-39.
39 Die im Quellenverzeichnis aufgelisteten Interviews wurden in der Regel auf Tonband aufgezeichnet.
Sechs Interviews wurden mit Zeitzeugen aus der einheimischen Bevölkerung geführt;
in einem Fall in Form eines Gruppeninterviews mit zwei Personen. Zwei Erinnerungsgespräche
konnten mit dem, heute in Darmstadt-Eberstadt wohnhaften, Bewohner des jüdischen DP-
Lagers Babenhausen, Isaak Altkorn, geführt werden, für dessen Bereitschaft ich besonders
dankbar bin. Weitere Versuche, mit einem in Israel lebenden ehemaligen Bewohner des DP-
Lagers Dieburg in Kontakt zu treten, waren leider erfolglos. Die Gespräche fanden jeweils bei
den Interviewpartnern zu Hause statt.
40 Vgl. Schmidt-Lauber, Brigitta: Das Interview - oder die Kunst des Reden-Lassens, S. 177.
41 Dejung, Christof: Eine Brücke zwischen Zeitzeugen und Historikern. Oral History - erfragte
Vergangenheit als Erweiterung der Quellenbasis. In: NZZ vom 3./4. Juni 2000. Dejung verweist
darauf, dass gerade in der Alltags- und Kulturgeschichte die Befragung von Zeitzeugen eine
Überlieferungslücke schließen helfe, die auf Grund fehlender schriftlicher Quellen im alltäglichen
und privaten Bereich entsteht.
42 Daniel, Ute: Kompendium Kulturgeschichte. Theorien, Praxis, Schlüsselwörter. Frankfurt am
Main 2001, S. 307.
14

terpretationen. Allerdings handelt es sich dabei um eine Problematik, die letzt-
lich alle der historischen Auswertung zur Verfügung stehenden Quellen kenn-
zeichnet:
„Ob es sich um Parlamentsprotokolle oder Gesetzestexte handelt, um Lohnstatistiken
oder Fotografien - immer sind die historischen Quellen selektiv und perspektivengebunden.
Sie können nie als Widerspiegelung von Wirklichkeiten genommen
werden, denn das, was sie überliefern, ist immer schon Deutung von
Wirklichkeit und bedarf der interpretierenden und argumentierenden Einordnung.“
43
Dessen bewusst, werden in der Folge sowohl die Archivalien als auch die Zeit-
zeugeninterviews mit der gebotenen quellenkritischen Haltung behandelt.
2.3 Raumtheoretische Vorüberlegungen
Der Begriff ‘Raum’ ist umgangssprachlich wohl bekannt. 44 Wissenschaftstheore-
tisch ist er jedoch weder klar noch konsensfähig - gleichsam dem Begriff ‘Ge-
schichte’. 45 Allgemein anerkannt ist nur, dass Geschichte immer mit Raum zu
tun hat - oder Geschichten immer mit Räumen. Ein Blick in die geschichtswis-
senschaftliche Literatur verdeutlicht, wie schwierig sich der Umgang mit diesen
zentralen Kategorien gestaltet. Bis in die Gegenwart ist besonders auffällig,
„dass es zwar sehr gute naturwissenschaftliche Darstellungen des Raum-
begriffs gibt, aber eine gründliche historische Begriffsgeschichte des Begriffs
‘Raum’ fehlt“ 46 . Bezeichnender Weise zählt der Begriff ‘Raum’ nicht zu den ‘Ge-
schichtlichen Grundbegriffen’ in Brunners, Conzes und Kosellecks großem Le-
xikon. 47
Untersucht man neuere historische Publikationen, die sich mit dem Raum in der
Geschichte auseinander setzen, bestätigt sich das Fehlen einer historischen
Begriffsgeschichte. In der Regel wird nicht einmal thematisiert, auf welcher De-
43
Daniel, Ute: Kompendium Kulturgeschichte. Theorien, Praxis, Schlüsselwörter. Frankfurt am
Main 2001, S. 307.
44
Vgl. zum alltäglichen Sprachgebrauch und zur Etymologie des Begriffs ‘Raum’ Bollnow, Otto
Friedrich: Mensch und Raum. Stuttgart 2000 (9. Auflage), S. 31-37.
45
Koselleck, Reinhart: Raum und Zeit. In: Ders.: Zeitschichten. Studien zur Historik. Frankfurt
am Main 2000, S. 78-96, S. 78.
46
Koselleck, Reinhart: Raum und Zeit, S. 79. Koselleck weist an dieser Stelle darauf hin, dass
seine wissenschaftstheoretischen Ausführungen sich daher auf „unsicherem Boden“ bewegten.
47
Geschichtliche Grundbegriffe: Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in
Deutschland, hg. von Otto Brunner, Werner Conze, Reinhardt Koselleck, Bd. 5 (Pro-Soz),
Stuttgart 1984.
15

finition von Raum die Ausführungen basieren. Im Zuge des ‘spacial turn’ in den
so genannten Kulturwissenschaften ist auch in der Geschichtswissenschaft eine
erstaunliche Hinwendung zu räumlichen Dimensionen von historischen Prozes-
sen zu verzeichnen. 48 Die „Raumabstinenz“ 49 deutscher Neuzeithistoriker in der
zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die etwa in der französischen Geschichts-
wissenschaft nicht festzustellen ist, 50 wird in der Forschung auf zwei Ursachen
zurückgeführt. Einerseits war im Geiste des klassischen Historismus „Geschich-
te als die Entfaltung menschlichen Wollens in der Zeit“ 51 aufgefasst worden. Die
Geschichtswissenschaft ‘jenseits des Historismus’ habe diese Herangehens-
weise, bei der eine Determinierung durch Natur und Umwelt abgelehnt wird,
stillschweigend übernommen. Die untersuchten Strukturen, Prozesse und Er-
fahrungen waren allenfalls dem formalen Raumschema des Nationalstaates
eingeschrieben; die geographische Konkretion überließ man der Landesge-
schichte. 52 Andererseits behielten die „Schreckgespenster einer chauvinistisch
maßlosen ‘Geopolitik’ und eines materialistischen ‘Geodeterminismus’“ 53 aus
der Zeit der Weimarer Republik, insbesondere aber aus der Zeit des National-
sozialismus ihre abstoßende Wirkung lange bei. 54 Die Geographie hatte zuvor
über Jahrzehnte wichtigen Einfluss auf die Geschichtswissenschaft ausgeübt.
Schon Friedrich Ratzel empfand seine zweibändige ‘Anthropogeographie’ als
einen Beitrag zur geschichtlichen Erkenntnis und widmete der Darstellung des
Raums darin ein eigenes Kapitel. 55 Erst in den 1990er Jahren wurden speziell
geopolitische Themen in einer Vielzahl historischer Arbeiten erneut aufgegrif-
48
Vgl. Conrad, Christoph: Vorbemerkung. In: Conrad, Christoph (Hg.): Mental Maps. GG 28
(2002), Heft 3, S. 339.
49
Osterhammel, Jürgen: Die Wiederkehr des Raumes: Geopolitik, Geohistorie und historische
Geographie. In: NPL 3/1998, S. 374-397, S. 374. Unter dem Begriff ‘Raumabstinenz’ verweist
Osterhammel auch auf das Fehlen von Karten etwa in den großen Werken zur Deutschen Geschichte
von Thomas Nipperdey, Wolfgang J. Mommsen und Hans-Ulrich Wehler.
50
Aus der französischen Geschichtswissenschaft verschwand die räumliche Dimension der
Geschichte nie derart wie aus der deutschen Neuzeithistorik. Renommierte Vertreter der Annales-Schule
(wie etwa Fernand Braudel und Georges Duby) verhinderten eine ‘enträumlichte’
Geschichtsschreibung. Unter neueren Theoretikern machte sich vor allem Henri Lefêbvre einflussreich
Gedanken über den Raum. Vgl. beispielsweise Lefêbvre, Henri: La Production de
l’espace. Paris 1974.
51
Osterhammel, Jürgen: Die Wiederkehr des Raumes, S. 374f.
52
Osterhammel, Jürgen: Die Wiederkehr des Raumes, S. 375.
53
Osterhammel, Jürgen: Raumerfassung und Universalgeschichte. In: Ders.: Geschichtswissenschaft
jenseits des Nationalstaats: Studien zu Beziehungsgeschichte und Zivilisationsvergleich.
Göttingen 2001, S. 151-169, S. 153.
54
Vgl. dazu auch Schlögel, Karl: Im Raume lesen wir die Zeit. Über Zivilisationsgeschichte und
Geopolitik. München 2003.
16

fen. ‘Grenzen’ sind seither zum viel beachteten Gegenstand historischer Anth-
ropologie geworden 56 und unter dem Leitthema ‘Mental Maps’ wird zudem der
Fokus auf neue Fragestellungen gelenkt. 57 Es wird etwa gefragt, wie sich Räu-
me in den Augen des Beobachters bilden, wie kollektive Raumvorstellungen,
wie ‘Karten im Kopf’ konstruiert, verbreitet und tradiert werden. Der Begriff
‘Mental Maps’ stellt eine Anleihe aus der Psychologie und Kognitionswissen-
schaft dar, weshalb einige Historiker lieber von ‘kognitiven Karten’ sprechen.
Auf eine Definition des verwandten Raumbegriffes hofft man allerdings auch in
diesen Arbeiten meist vergebens. Ein im Züricher Chronos Verlag erschienener
Sammelband mit dem Titel ‘Stadt - Raum - Geschlecht’ beweist allerdings, dass
dies keineswegs so sein muss. 58 Vorbildlich wird darin zunächst das Defizit ei-
ner historisch anerkannten Begriffsdefinition konstatiert. In einem einleitenden
Beitrag werden dann anwendungsorientierte Definitionen von Raum im Kontext
von Stadt und Geschlecht umrissen sowie raumtheoretische Überlegungen an-
gestellt, aus denen historische Fragestellungen hinsichtlich der folgenden Bei-
träge entwickelt werden. 59 Ein derartiger Umgang mit dem Begriff ‘Raum’ wäre
allgemein wünschenswert. Die theoretischen Auseinandersetzungen über den -
gerade für die Geschichtswissenschaft zentralen - Begriff werden noch zu sehr
den Nachbarwissenschaften Philosophie, Soziologie und - in jüngster Zeit wie-
der verstärkt - der Geographie überlassen.
In der Philosophie spielen Überlegungen bezüglich des Raums seit der Antike
eine wichtige Rolle, wobei schon die Vielfalt der Termini für ‘Raum’ in der grie-
chischen Sprache auf die Komplexität des Begriffs verweist. 60 Platon etwa ver-
suchte mit großer Anstrengung den Begriff zu definieren. Auch in Aristoteles’
Kategorienlehre befindet sich die ‘Wo-Frage’ unter den zehn Grundprädikamen-
55 Ratzel, Friedrich: Anthropogeographie. Erster Teil: Grundzüge der Anwendung der Erdkunde
auf die Geschichte. Stuttgart ²1899, hier S. 229-258.
56 Vgl. dazu etwa Schmale, Wolfgang / Stauber, Reinhard (Hg.): Menschen und Grenzen in der
Frühen Neuzeit. Berlin 1998. Weitere Literaturhinweise unter Osterhammel, Jürgen: Die Wiederkehr
des Raumes, S. 375-379.
57 Vgl. zum Begriff ‘Mental Maps’ und zu entsprechenden Beiträgen aus der Geschichtswissenschaft
den Literaturbericht von Schenk, Frithjof Benjamin: Mental Maps. Die Konstruktion von
geographischen Räumen in Europa seit der Aufklärung. In: Conrad, Christoph (Hg.): Mental
Maps. GG 28 (2002), Heft 3, S. 493-514.
58 Imboden, Monika / Meister, Franziska / Kurz, Daniel (Hg.): Stadt - Raum - Geschlecht. Beiträge
zur Erforschung urbaner Lebensräume im 19. und 20. Jahrhundert. Zürich 2000.
59 Fritzsche, Bruno: Stadt - Raum - Geschlecht. Entwurf einer Fragestellung. Ebenda, S. 19-27.
60 Vgl. zu den folgenden Ausführungen Kambartel, W.: Raum. In: Ritter, Joachim / Gründer,
Karlfried (Hg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie. Darmstadt 1992, Bd. 8, S. 67-111.
17

ten und die von ihm konstatierte Endlichkeit des Raumes sollte lange Bestand
haben. 61 Die Geometrie Euklids eröffnete neue Möglichkeiten der Raumbe-
schreibung. Die daraus resultierende Vorstellung des Raums als ‘Behälter’
prägt in weiten Zügen bis heute unsere Vorstellung von Raum, obschon seit der
ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts verschiedene andere Raumstrukturen denk-
bar sind. Immanuel Kants Überlegungen basieren hingegen weiterhin auf der
Tradition euklidischer Mathematik. Kant setzte sich im Laufe seiner Studien so-
wohl über absolute Raumvorstellungen (Raum und Körper existieren) als auch
über relativistische Theorien (Raum ergibt sich erst aus der relativen Lage der
Körper zueinander) hinweg. 62 Bei ihm wird Raum zu einem ordnenden Prinzip,
das jeder Erfahrung voraus geht. Raum wird erst durch die Vorstellung des
Menschen geschaffen, ist nicht unabhängig vom Menschen einfach existent. 63
Es bleibt - ohne an dieser Stelle weiter auf die Chronologie philosophischer
Raumvorstellungen eingehen zu können - festzuhalten, dass Raumdefinitionen
immer vom mathematisch/physikalischen Wissensstand beeinflusst werden. Die
nicht-euklidische Geometrie sowie die Einstein’sche Relativitätstheorie haben
beispielsweise neue Raumvorstellungen denkbar gemacht. Wichtig ist, dass in
der neuen Philosophie und Wissenschaftstheorie ideale Raum-Modelle der Ma-
thematik und Physik von einem ‘Real-Raum’ getrennt betrachtet werden. Metri-
sche Räume werden demnach begrifflich der Geometrie und Physik zugeord-
net, ins Zentrum der philosophischen Betrachtungen tritt der Raum der Le-
benswelt, auch ‘physiologischer Raum’ 64 genannt. Otto Friedrich Bollnow führt
in seiner phänomenologischen Abhandlung zu ‘Mensch und Raum’ diesbezüg-
lich den Begriff des ‘erlebten Raumes’ ein. Bollnows Überlegungen, die sich an
bestimmten räumlichen Aspekten orientieren, sind für die folgenden Ausführun-
gen vor allem durch die Darstellung der herausgehobenen Bedeutung des Hau-
ses von Interesse. Das Haus im Sinne des menschlichen Wohnraums wird bei
Bollnow zum Inbegriff der Geborgenheit, zur Mitte der Welt. 65 Die ständig be-
drohlich auf den Menschen eindringende Außenwelt wird durch die Mauern des
Hauses, die aus dem großen allgemeinen Raum einen besonderen, privaten
61
Vgl. zum Raumbegriff bei Aristoteles auch Bollnow, Otto Friedrich: Mensch und Raum, S.
26ff.
62
Vgl. dazu auch Löw, Martina: Raumsoziologie. Frankfurt am Main 2001, S. 17 und 28ff.
63
Vgl. dazu auch Löw, Martina: Raumsoziologie, S. 29 sowie Bollnow, Otto Friedrich: Mensch
und Raum, S. 23.
64
Kambartel, W.: Raum, S. 96.
65
Bollnow, Otto Friedrich: Mensch und Raum, S. 123f.
18

Raum herausschneiden, abgehalten. Haus und Wohnung können nach seiner
Anschauung gleich bedeutend gedacht werden: „Das Wesentliche ist die Verfü-
gung über einen dem Menschen zugehörigen Eigenraum, der einen verläßli-
chen Schutz gegen die Unbilden der Witterung wie gegen die unerwünschte
Annäherung fremder Menschen bietet.“ 66 Dabei ist sich Bollnow durchaus der
theoretischen Schwierigkeiten seiner Raumvorstellung bewusst. ‘Erlebter Raum’
ist für ihn dennoch „weder ein subjektunabhängiger ‘Behälter’, noch ein bloß
subjektiver Entwurf.“ 67 Raum stellt für ihn nicht einzig ein Relationssystem dar.
Vielmehr wird Raum als eine Art Medium angesehen, in dem sich der Mensch
befindet. „Der Mensch kann sich im Raum verloren oder geborgen, in der Ein-
heit mit ihm oder im Gefühl der Fremdheit zu ihm finden. So handelt es sich um
Formen der Befindlichkeit im Raum, um Abwandlungen des Verhältnisses zum
Raum. Der Mensch befindet sich zugleich immer ‘irgendwie’ im Raum.“ 68
Einen wesentlich abstrakteren Raumbegriff formuliert Martina Löw in ihrer Stu-
die zur ‘Raumsoziologie’. Ihr Anliegen ist es, einen Raumbegriff zu bilden, mit
dem alle „unterschiedlichen gesellschaftlichen Prozesse, die soziologisch erklärt
werden sollen, [...] erfaßt werden können.“ 69 Auch Raumaspekte, die aufgrund
wissenschaftlicher sowie gesellschaftlicher Veränderungen in jüngster Zeit Ge-
genstand soziologischen Interesses geworden sind, müssten von einem sozio-
logischen Grundbegriff ‘Raum’ erklärbar sein. 70 Um etwa virtuelle Räume erklä-
ren zu können, scheide eine auf absolutistischer Raumvorstellung basierende
Definition von vornherein aus. Löw entwickelt daher einen Raumbegriff, der
sich, von einer relativistischen Raumvorstellung ausgehend, vollständig von
einer territorial-räumlichen Vorstellung löst: „Raum existiert nur als wissen-
schaftliche Abstraktion, in der Wechselwirkung zwischen Struktur und Handeln
konstituieren sich Räume immer im Plural. Raum kann daher auch nicht über-
66 Bollnow, Otto Friedrich: Mensch und Raum, S. 130f.
67 Bollnow, Otto Friedrich: Mensch und Raum, S. 274.
68 Bollnow, Otto Friedrich: Mensch und Raum, S. 274.
69 Löw, Martina: Raumsoziologie, S. 269.
70 Vgl. Löw, Martina: Raumsoziologie, S. 265 und 270. Die soziologische Literatur zum Thema
Raum ist umfangreich. Es sei an dieser Stelle lediglich auf meines Erachtens nach drei zentrale
Texte zweier namhafter Vertreter verwiesen: Bourdieu, Pierre: Sozialer Raum und ‘Klassen’.
Frankfurt am Main ²1991; Ders.: Physischer, sozialer und angeeigneter physischer Raum. In:
Wentz, Martin (Hg.): Stadt-Räume. Frankfurt am Main 1991, S. 25-34 sowie Läpple, Dieter:
Essay über den Raum. Für ein gesellschaftswissenschaftliches Raumkonzept. In: Häußermann,
Hartmut (Hg.): Stadt und Raum. Soziologische Analysen. Pfaffenweiler ²1992, S. 157-207.
19

wunden werden, sondern der Entstehung von Räumen liegen im Prozeß immer
neue Synthesen und Spacings zugrunde.“ 71
Ein derart umfassender, von materiellen Grenzen abgehobener Raumbegriff ist
als Grundlage für die in den folgenden Ausführungen zu bearbeitenden Dimen-
sionen von Raum nicht handhabbar. Insbesondere bei der Darstellung der An-
ordnung der Lager im Sinne von ‘Real-Räumen’ sind absolut erfahrbare Gren-
zen von elementarer Bedeutung. Eine soziale Konstruktion dieser Grenzen wird
damit keineswegs in Abrede gestellt. Vielmehr muss sich ihre auch nach außen
hin sichtbare Bedeutung im Raumbegriff wieder finden lassen. Bezüglich der im
zweiten Teil der Arbeit untersuchten Identitätsräume rückt hingegen eine ande-
re Dimension von Raum ins Zentrum des Interesses. Hier wird die Möglichkeit
der Identifikation mit Raumausschnitten voraus gesetzt. Zwei sehr unterschied-
liche theoretische Ansätze aus der Geographie sollen im Folgenden vorgestellt
werden, die im Wesentlichen den raum-theoretischen Hintergrund der Arbeit
bilden.
2.3.1 Human territoriality
Einen Versuch, gesellschaftliche Einflüsse und Raum in einem Begriff zu erfas-
sen, stellt die Studie ‘Human territoriality’ des amerikanischen Geographen Ro-
bert David Sack dar. 72 Sack selbst verortet seine Ausführungen in der Tradition
anthropogeographischer Arbeiten, im Spannungsfeld zwischen sozialwissen-
schaftlichen und historischen Analysen. „Territoriality [...] is a historically sensi-
tive use of space, especially since it is socially constructed and depends on who
is controlling whom and why. It is the key geographical component in under-
standing how society and space are interconnected.“ 73 Ein Raum wird zu einem
Territorium durch drei wesentliche Eigenschaften, die miteinander in Beziehung
stehen. Zunächst muss eine räumliche Klassifikation im Sinne von ‘dies ist ihr
Raum’ bzw. ‘nicht dein Raum’ erfolgen. Nicht mehr jedes einzelne Objekt im
Raum muss klassifiziert werden, die Einteilung erfolgt vielmehr über die räumli-
che Zuordnung. Als zweites ist eine nach außen und innen kommunizierbare,
71 Löw, Martina: Raumsoziologie, S. 271. Zu den wesentlichen Aspekten der Konstitution von
Raum vgl. ihre acht Thesen zur Raumsoziologie, S. 271ff.
72 Sack, Robert David: Human territoriality. Its theory and history. Cambridge 1986.
73 Sack, Robert David: Human territoriality, S. 3. Sack weist auf die Problematik hin, dass der
Begriff ‘territoriality’ oft im biologischen Kontext Verwendung findet. Ihm hingegen geht es um
den geographischen Ausdruck sozialer Machtverhältnisse, vgl. S. 2 und 5.
20

klare Grenze zwingend: „A territorial boundary may be the only symbolic form
that combines a statement about direction in space and a statement about pos-
session or exclusion.“ 74 Drittens muss der Zutritt, das Überschreiten der territo-
rialen Grenze, kontrolliert werden und somit unerlaubte Übertritte geahndet
werden können. Sack formuliert aus diesen Überlegungen heraus Territorialität
„as the attempt by an individual or group to affect, influence, or control people,
phenomena, and relationships, by delimiting and asserting control over a geo-
graphic area. This area will be called the territory.“ 75 Ein Territorium kann dabei
auf unterschiedlichen Ebenen angesiedelt sein. Es kann eine Küche, ein Haus,
eine Stadt oder eine Nation räumlich definieren. Auch der Grad der Territoriali-
tät kann durchaus variieren. So ist eine Zelle in einem Hochsicherheitstrakt
„more territorial“ 76 als eine Doppelhaushälfte. Territorien können gleichermaßen
zum Ein- wie zum Ausgrenzen dienen und ihre Anordnung ist nicht unveränder-
lich. Ein bezüglich der im Folgenden zu untersuchenden Lagerräume wichtiger
Aspekt besteht in der Möglichkeit, die Zugehörigkeit zu einer Gruppe räumlich,
über das Territorium zu definieren. Beziehungen können dadurch entpersonali-
siert werden. Nicht mehr der einzelne Mensch steht so in Beziehung zur ameri-
kanischen Militärverwaltung, sondern der Lagerinsasse, welcher über das Terri-
torium ‘Lager’ 77 räumlich definiert wird. Hier wird nochmals anschaulich, dass
Territorien - im Gegensatz zu anderen physikalischen Räumen - immer sozial
konstruiert werden und in einem gesellschaftlichen Kontext stehen, worauf in
der Arbeit besonders durch die Darstellung der Geschichte der Territorien
Rücksicht genommen wird. Sobald Raum von Menschen kontrolliert wird, kann
er nicht mehr als neutrale Größe angesehen und behandelt werden: „Territory
[...] forms the backcloth to human spatial relations and conceptions of space.
Territoriality points to the fact that human spatial relationships are not neutral.
People do not just interact in space and move like billiard balls.“ 78
74 Sack, Robert David: Human territoriality, S. 21.
75 Sack, Robert David: Human territoriality, S. 19, kursive Hervorhebung im Original.
76 Sack, Robert David: Human territoriality, S. 20.
77 Die Bezeichnung ‘Lager’ im Sinne eines territorial definierten Raums, der als Unterkunft für
Personen dient, hat ihren sprachgeschichtlichen Ursprung in der Bezeichnung für behelfsmäßige
Truppenunterkünfte des Heeres. Vgl. dazu und zu weiteren Deutungsebenen des Begriffs
‘Lager’ Grimm, Jacob und Wilhelm: Deutsches Wörterbuch. Nachdruck der Erstauflage von
1885, München 1984, Bd. 12, S. 63-67.
78 Sack, Robert David: Human territoriality, S. 26. Vgl. dazu auch Werlen, Benno: Gesellschaft,
Handlung und Raum. Grundlagen handlungstheoretischer Sozialgeographie. Stuttgart 1987,
21

2.3.2 Raumbezogene Identität
Im zweiten Schritt der Arbeit wird die Wahrnehmung der zuvor dargestellten
territorialen Räume durch die einheimische Bevölkerung untersucht. In der
Stadtgeschichtswissenschaft wird - unter dem Einfluss neuerer kulturgeschicht-
licher Ansätze - die Wahrnehmung von Städten im Sinne von ‘Bildern’ von Stadt
thematisiert. Dieter Schott sieht diese Bilder als „Resultat sozialer Konstrukti-
onsprozesse“ an, die „im Zuge diskursiver Prozesse, durch Interaktion zwischen
den Bewohnern einer Stadt, durch Selbst- und Fremdwahrnehmung“ entste-
hen. 79 Diese Bilder, auch ‘Images’ oder - wie bereits dargestellt - ‘Mental Maps’
genannt, helfen die Welt verständlich zu machen, „repräsentieren diese jedoch
nicht im Sinne eines wahrheitsgetreuen Abbildes. Sie sind Produkte menschli-
cher Imagination, die mehr oder weniger mit der realen Welt in Einklang ste-
hen.“ 80 Das räumliche Bild ist nicht unabhängig von der zeitlichen Dimension zu
sehen, da jedes ‘Bild von Stadt’ gleichzeitig ein ‘Geschichtsbild’ transportiert.
Die mental konstruierten Bilder von Stadt bedingen bei Schott jedoch keinen
gemeinsamen Identitätsraum, werden sie doch „vor allem von den kulturellen
und politischen Eliten produziert, um bestimmte Bedürfnisse wirtschaftlicher
Vermarktung oder auch kulturelle Mode zu befriedigen.“ 81 Es kann demnach
nicht allgemein von einer raumbezogenen Identität ausgegangen werden. Die
Auffassung, eine gemeinsame räumliche Identität sei empirisch nicht nachweis-
bar, ist auch in der Geographie verbreitet - und gleichsam umstritten. 82 Einen
überzeugenden Gegenentwurf, der die Grundannahme eines räumlich definier-
ten Identitätsraums ermöglicht, stellt Peter Weichharts Konzept der ‘raumbezo-
genen Identität’ 83 dar, worauf daher in der Folge etwas ausführlicher einzuge-
hen sein wird.
S.205f. Hier wird auf die „Bedeutung der erdräumlichen Anordnung physisch-weltlicher Gegebenheiten
für die gesellschaftliche Wirklichkeit“ (S. 206) aufmerksam gemacht.
79
Schott, Dieter: Die mentale Konstruktion von Stadt. In: Die alte Stadt 4/99, S. 235-239, hier
S. 237.
80
Schott, Dieter: Die mentale Konstruktion von Stadt, S. 237.
81
Schott, Dieter: Die mentale Konstruktion von Stadt, S. 237.
82
Vgl. dazu Hard, Gerhard: „Bewußtseinsräume“. Interpretationen zu geographischen Versuchen,
regionales Bewußtsein zu erforschen. In: Geographische Zeitschrift 75 (1987), S. 126-
148 und Klüter, Helmut: Raum als Objekt menschlicher Wahrnehmung und Raum als Element
sozialer Kommunikation. Vergleich zweier humangeographischer Ansätze. In: Mitteilungen der
Österreichischen Geographischen Gesellschaft 136 (1994), S. 143-178.
83
Weichhart, Peter: Raumbezogene Identität. Bausteine zu einer Theorie räumlich-sozialer
Kognition und Identifikation. Stuttgart 1990.
22

Weichhart leitet aus der sozialwissenschaftlichen Identitätsforschung unter-
schiedliche Möglichkeiten der Identifikation mit Raumausschnitten her, die sich
von einander trennen lassen, sich aber an vielen Stellen gegenseitig beeinflus-
sen. 84 Die so entwickelten Formen ‘raumbezogener Identität’ werden in seiner
Studie in einem zweiten Schritt auf die Ebenen personaler Systeme einerseits
sowie sozialer Systeme andererseits bezogen. Dabei ergeben sich Überschnei-
dungen, die sich in vielfältigen Beziehungen und Abhängigkeiten äußern. Für
die in dieser Arbeit folgende Untersuchung ist die ‘raumbezogene Identität’ auf
der Ebene sozialer Systeme von größerer Bedeutung, weshalb auf die Darstel-
lung ihres Einflusses auf der Ebene personaler Systeme verzichtet werden
muss. 85 Es sei lediglich erwähnt, dass bei allen Varianten der individuellen
raumbezogenen Identifikation die Wohnung und das nahe Umfeld im Zentrum
jener Raumausschnitte stehen, die der Identitätsbildung zugänglich sind.
Eine Grundfunktion ‘raumbezogener Identität’ auf der Ebene sozialer Systeme
besteht in der Erstellung eines allgemeinen Bezugsrahmens für das ‘Erfassen
von Welt’ 86 . Die Bezugsobjekte ‘raumbezogener Identität’ formieren Rahmen-
bedingungen sozialer Kommunikation, über deren Eigenschaften sich die jewei-
ligen Interaktionspartner weitestgehend einig sind. Eine Leistung ‘raumbezoge-
ner Identität’ lässt sich also als Kontextualisierung sozialer Prozesse verstehen:
Alltägliche Kommunikation bezieht sich - neben unzähligen anderen Inhalten -
auch auf Gegenstände der physisch-räumlichen Umwelt. 87 Die Übereinstim-
mung bezüglich der verschiedenen Aspekte der räumlichen Identität bildet ei-
nen Kontext (ähnlich wie eine gemeinsame kulturelle oder weltanschauliche
Bezugsbasis), in dessen Rahmen Verhaltenssicherheit und die Erfüllung ge-
genseitiger Erwartungshaltungen wahrscheinlicher ist, als wenn diese gemein-
same Bezugsgröße fehlt. Der weitgehende soziale Konsens über bestimmte
Raumausschnitte, der sich mit anderen Worten als das - für alle in das sozial-
räumliche System Integrierte - zur Verfügung stehende Wissen um das ‘typi-
sche Leben hier’ beschreiben ließe, erleichtert selbst Interaktionen, die keinen
direkten Bezug zu physisch-räumlichen Gegebenheiten aufweisen. Es handelt
84 Weichhart, Peter: Raumbezogene Identität, S. 18ff.
85 Vgl. dazu Weichhart, Peter: Raumbezogene Identität, S. 30-45.
86 Weichhart, Peter: Raumbezogene Identität, S. 46.
87 Weichhart, Peter: Raumbezogene Identität, S. 47.
23

sich bei der Kontextualisierung um eine Art ‘praktisches Bewusstsein’ 88 , dass in
der Regel nicht reflektiert oder artikuliert wird.
Neben der Kontextualisierung von Kommunikation und Interaktion sind phy-
sisch-räumliche Gegebenheiten für die Herausbildung sozialer Identität von Be-
deutung. Diverse Ausdrucksmittel können zur Identifikation einer sozialen
Gruppe oder Schicht herangezogen werden. Allgemein bekannt als Träger sol-
cher Informationen sind etwa die sprachliche Artikulation (Verwendung von Dia-
lekten oder Hochsprache, lexikalische Besonderheiten der Aussprache etc.),
die Kleidung oder spezifische Verhaltensstereotypen. Die Verknüpfungen zwi-
schen Menschen und jenen Raumausschnitten, die sie bewohnen bzw. in de-
nen sie beheimatet sind, zählen ebenfalls zu derartigen Ausdrucksformen. 89
Umgekehrt können durch Fremdattribuierung einer Person oder Gruppe von
außen bestimmte Merkmale oder Eigenschaften zugeschrieben werden. In die-
sem Sinne kann es zu einem Transfer zwischen der Identität des Ortes und der
Identität der Person oder Gruppe kommen.
Die unmittelbarste und für die nachfolgenden Ausführungen wichtigste Funktion
‘raumbezogener Identität’ auf der Ebene sozialer Systeme besteht in dem Bei-
trag, den diese zur Kohäsion und Integration sozialer Gruppen leistet. Empiri-
sche Studien belegen, dass städtische Lebensräume von deren Bewohnern „als
Bezugseinheiten für die Abgrenzung von Gruppenstrukturen wahrgenommen
und interpretiert werden. Soziale Phänomene äußern sich für die Mitglieder so-
zialer Einheiten auf dem Weg über physisch-räumliche Projektionen, sie können
sich im Kontext der Lebenswelt als sozial-räumliche Gegebenheiten darstel-
len.“ 90 So betrachten sich Bewohner eines bestimmten Stadtviertels selbst als
Mitglieder eines sozialen Subsystems, welches durch die Beheimatung in einem
speziellen Raumausschnitt und der Identifikation mit demselben konstituiert
wird. 91 Es entstehen ‘Ortsloyalitäten’, die sich auf den engsten Lebensraum,
den Wohnort, beziehen. Bei diesem Modell zentrieren sich soziale Interaktion
und sprachlich-kommunikative Kontakte überwiegend auf einen bestimmten
88 Weichhart, Peter: Raumbezogene Identität, S. 49.
89 Vgl. dazu auch Krüger, Rainer: Wie räumlich ist die Heimat? - Oder: Findet sich in Raumstrukturen
Lebensqualität? Gedanken zum gesellschaftstheoretischen Diskussionsstand um die
‘Krise der Moderne’ und die Bedeutung der Regionalforschung. In: Geographische Zeitschrift 75
(1987), S. 160-177.
90 Weichhart, Peter: Raumbezogene Identität, S. 52, kursive Hervorhebung im Original.
24

Raumausschnitt. Bei empirischer Überprüfung dieses Phänomens ist darauf zu
achten, dass ‘soziale Interaktion’ nicht zu eng gefasst wird. 92 Neben Verwandt-
schaft, Beruf und engeren Freundschaften, die häufig als Grundlage bei der
Datenerhebung sozialer Interaktion zu Grunde gelegt werden, spielen auch
Teilsysteme wie Nachbarschaft, das Wohnviertel und die weitere Wohnumge-
bung eine wichtige Rolle. Insbesondere nachbarschaftliche Bindungen werden
in Untersuchungen jedoch oft nicht erfasst. Bei sozialen Interaktionen, die auf
der räumlich-sozialen Ebene der Nachbarschaften ablaufen, stehen nicht inten-
sive, enge und von emotionaler Tiefe gekennzeichnete Freundschaftsbezie-
hungen im Zentrum, sondern hauptsächlich unverbindliche und informelle Kon-
takte, die aber eine hohe Häufigkeit und räumliche Konzentration aufweisen.
Wie sich aus diesen eher losen, auf nachbarschaftlicher Interaktion gründenden
räumlichen Bindungen Gruppenidentität und Gruppenkohäsion herausbilden
kann, lässt sich unter den Begriffen ‘symbolische Gruppen’ und ‘symbolische
Gemeinschaften’ fassen. Phänomene wie ‘Viertelsbewusstsein’, ‘Ortsloyalität’,
‘stadtbezogene Identität’ oder ‘regionale Identität’ erwecken den Eindruck, als
ob dahinter physisch-räumlich abgrenzbare soziale Systeme stünden. 93 Diesen
so konstruierten, wahrgenommenen Räumen kommt eine evidente lebenswelt-
liche Realität zu. Sie stellen einen nicht zu vernachlässigenden Bestandteil der
„gesellschaftlichen Konstruktion von Wirklichkeit“ 94 dar.
Die skizzierten Theorieansätze weisen auf zwei wesentliche Aspekte des von
Menschen belebten Raums hin. Einerseits auf dessen soziale und gesellschaft-
liche Konstruktion, andererseits auf den Einfluss bestimmter räumlicher Struktu-
ren auf die Identität der diesen Raum bevölkernden Menschen. Im Folgenden
sollen nun zunächst die Territorien der DP-Lager in Babenhausen und Dieburg
analysiert, ihre räumlichen Besonderheiten und vor allem Unterschiede heraus-
gearbeitet werden. In Anlehnung an Sack ist dieser Teil der Arbeit mit ‘Territori-
91
Belege und Beispiele empirischer Forschung finden sich bei Weichhart, Peter: Raumbezogene
Identität, S. 52ff.
92
Weichhart weist darauf hin, dass hier ein entscheidender Aspekt bezüglich den Überlegungen
zur Funktion raumbezogener Identifikation angesprochen sei: „Denn ein räumlich eingrenzbares,
überwiegend durch Innenbeziehungen charakterisiertes Netzwerk sozialer Integrationen,
das die Mehrheit der im betreffenden Raumausschnitt lebenden Personen betrifft, ist in
gegenwärtigen Gesellschaftssystemen auch außerhalb der hochurbanisierten Bereiche eher
die Ausnahme als die Regel.“, Weichhart, Peter: Raumbezogene Identität, S. 56.
93
Weichhart, Peter: Raumbezogene Identität, S. 67.
25

ale Räume’ überschrieben. Andere denkbare Begrifflichkeiten, wie umbaute,
konkrete, physische oder objektive Räume, wären insofern missverständlich,
als sie stärker eine mögliche Neutralität des Raumes implizierten. Wie sich die
Anordnung der Lager auf die Wahrnehmung der einheimischen Bevölkerung
auswirkte, wird in einem zweiten Schritt zu untersuchen sein. Die von Peter
Weichhart angeführten und oben beschriebenen Merkmale ‘raumbezogener
Identität’ legen es nahe, dabei besonders auf die räumliche Nähe der Lagerter-
ritorien zur Bevölkerung zu achten. Der jeweilige zu untersuchende abstrakte
Raum, auf den sich die Wahrnehmung bezieht, wird als ‘Identitätsraum’ katego-
risiert.
94 Weichhart, Peter: Raumbezogene Identität, S. 71.
26

Exkurs
„In Babenhausen war mit Brettern alles abgezäunt, da konnte man nicht raus.
Da waren wir wie Gefangene. [...] Das Ghetto, also das Lager, war von der
Hauptstraße mit Brettern abgetrennt“, erinnert sich Isaak Altkorn, der sich 1947
etwa zwei bis drei Monate im jüdischen DP-Lager in der Babenhäuser Kaserne
aufhielt. 95
Isaak Altkorn, 1926 als eines von sieben Kindern in der Nähe von Lemberg in
der heutigen Ukraine geboren, wurde im Alter von fünfzehn Jahren mit seiner
Familie und mehreren Tausend anderen Juden zum Leben im Ghetto gezwungen.
Dort wurde er Augenzeuge von so genannten ‘Aktionen’, die in scheinbar
wahllosen Erschießungen gipfelten. Gemeinsam mit einem seiner Brüder gelang
ihm auf einem Transportmarsch die Flucht. „Eigentlich war abhauen unmöglich,
aber wir haben uns abgemacht. Ich weiß auch nicht, wie.“ Über zwei
Jahre, von 1942 bis 1944, überlebten beide unbemerkt in verschiedenen Verstecken
in Scheunen und auf Bauernhöfen, unter ständiger Angst, entdeckt zu
werden. Von der russischen Armee befreit, schlossen sie sich einer russischen
Polizeieinheit an, „um zu überleben.“ Ihre gesamte Familie - Eltern, Geschwister,
Tanten und Onkel - hatte die deutsche Vernichtungspolitik nicht überlebt. In
ihrer ehemaligen Heimat sahen die Brüder keine Zukunft mehr. „Und da wollten
wir nach Israel, aber die Engländer haben eine Sperre gemacht und haben uns
nicht raus- oder reingelassen, [...] und da mussten wir irgendwo bleiben. Obwohl:
Ich wollte den deutschen Boden nie betreten, um Gottes Willen nicht, hier
ist ja alles voll Blut. [...] Wir sind zuerst in die Tschechei, und von der Tschechei
nach Österreich, und von Österreich sind wir dann nach Landshut - und da waren
wir schon in Deutschland.“ Vor der Ankunft in Landshut war Altkorn für kurze
Zeit in Altötting untergebracht. Die Erinnerung an den Aufenthalt ist von den
besonderen räumlichen Gegebenheiten vor Ort geprägt. „In Altötting haben sie
uns schöne Wohnungen gegeben. Die SA, also die Nazis haben sie rausgeworfen
und uns reingefrachtet.“
Ganz anders hingegen stellte sich die territoriale Situation im Auffanglager
Landshut dar. „Da war ein großes Lager, was heißt Lager, die haben uns geworfen
wie Dreck und wir haben überhaupt keine Rechte gehabt.“ An einen Lager
umschließenden Zaun kann sich Herr Altkorn nicht erinnern, doch sei das
Verlassen des Territoriums wohl nicht erlaubt gewesen. „In Landshut haben sie
mich einmal geschnappt, da durfte man nicht auf die Straße, da musste man
drin bleiben, in diesem Ghetto. Da kam der Manager von diesem Ghetto, ein
95 Die folgenden Ausführungen basieren auf zwei Interviews mit Herrn Altkorn, geführt am 18.
Juni 2003 sowie am 21. Mai 2004. Seine Erinnerungen werden durch das ausgewertete Quellenmaterial
in großem Maße bestätigt. In den folgenden Kapiteln wird daher nur auf Widersprüche
hingewiesen, auf die zahlreichen Übereinstimmungen nicht mehr explizit verwiesen.
27

Jude natürlich, und der ist auf die amerikanische Behörde da und hat mich
rausgeholt.“
Seiner Erinnerung nach gelangte er über ein Lager in Eschenstruth (südöstlich
von Kassel) 1947 mit einem großen Eisenbahntransport („das werden so 500
Leute gewesen sein“) nach Babenhausen. Die vorgefundenen Verhältnisse in
der dortigen Kaserne waren mäßig, die sanitären Anlagen in seiner Erinnerung
keineswegs zufrieden stellend, doch gemessen an den Gegebenheiten in
Landshut eine Verbesserung. „Die Zustände waren nicht schlecht, also man
konnte schon überleben. Die Amerikaner haben sich gekümmert um uns, nicht
hundertprozentig - aber sie haben es möglich gemacht, dass wir leben können.
[...] Wir mussten arbeiten im Wald. Wir haben Holz gesägt, das weiß ich noch. 96
[...] Ich habe gewohnt in einem Zelt. Andere haben in Baracken gewohnt. Fünfzig
Personen in einem Raum. Privatsphäre hat es da nicht gegeben. Jeder hat
sich einen Platz gesucht, dass er da schlafen kann und sich umziehen. Manche
haben ein Stück Stoff gehabt und an einer Schnur aufgezogen, dass man nicht
durchsieht. Es war wie in einem Lager, es war keine Ordnung, alles unorganisiert,
keine Disziplin.“ Obwohl das Lagerterritorium baulich, wie eingangs beschrieben,
klar abgeschlossen war, gab es dennoch die Möglichkeit, sich außerhalb
des Lagergeländes zu bewegen. „Man ist so ein bisschen schwarz
raus, das war nicht so streng bewacht. Die haben, glaube ich, gar keine Bewachung
gehabt. Die Amerikaner haben das nicht gemacht, wer hätte das machen
können?“ Der Kontakt zur einheimischen Bevölkerung beschränkte sich aber
auf das Tätigkeitsfeld des Schwarzmarkts. „Ich hatte Kontakt zu Babenhausen,
[...] habe angefangen zu handeln mit Butter, versucht, ein paar Pfennige zu
verdienen. Habe in Babenhausen, bei den Bauern, Butter geholt und die dann
verkauft an unsere Leute. [...] Als Gegenwert hatten wir Dollar, Reichsmark haben
wir nicht genommen. Aber das war doch kein Handeln! Das war doch
nichts! Ein Stückchen Butter, zwei Dollar fünfzig - so haben wir versucht, herumzukommen.“
An mögliche Zwischenfälle zwischen Lagerinsassen und einheimischer Bevölkerung
kann sich Herr Altkorn nicht erinnern. Die Babenhäuser Bevölkerung sei
um Distanz bemüht gewesen. „Die Leute waren scheu wie Rehe.“ Auch sein
persönliches Verlangen nach Kontakt war begrenzt und zunächst von großer
Skepsis gegenüber ‘den’ Deutschen geprägt. Auf eigene Initiative hin, ohne Unterstützung
durch eine der Hilfsorganisationen, verließ er dann das Lager. „Wie
ich gemerkt habe, dass ich raus konnte, bin ich raus. Lager ist Lager. [...] Ich
wollte nicht im Lager bleiben. Jeder, der wollte, konnte abmarschieren.“ Er gelangte
nach Darmstadt, wohnte zunächst in den Ruinen des Krankenhauses
96 An anderer Stelle erwähnt Herr Altkorn als Lohn für die Holzfällarbeiten im Dienste der Ame-
rikaner ein Päckchen Zigaretten pro Tag.
28

und begann eine Lehre als Schlosser. Später lernte er dort seine Frau kennen
und gründete eine Familie. Seit nunmehr 57 Jahren lebt Herr Altkorn in Darmstadt,
in einem Land, in das er niemals einen Fuß setzen wollte.
3. Territoriale Räume
In den folgenden Kapiteln stehen die untersuchten Lagerräume im Zentrum des
Interesses. Besondere Aufmerksamkeit gilt dabei der territorialen Anordnung
der Lager. Es werden Konflikte bezüglich der Auswahl der Territorien und rund
um deren Belegung nachgezeichnet. Weiterhin wird - soweit die Quellenlage
dies ermöglicht - auf räumliche Besonderheiten eingegangen. Einleitend werden
jeweils die allgemeinen Rahmenbedingungen skizziert.
3.1 Die jüdischen DP-Lager
Bei Kriegsende befanden sich etwa 50.000 jüdische Überlebende auf dem Ge-
biet des so genannten ‘Altreichs’. 97 Sie lebten überwiegend in deutschen La-
gern, teilweise hinter Stacheldraht in ehemaligen Konzentrationslagern, wie aus
einem Bericht von Earl G. Harrison hervorgeht. Harrison war vom amerikani-
schen Präsidenten Truman im August 1945 beauftragt worden, einen Bericht
über die Lage der jüdischen Überlebenden zu erstellen. 98 Der Harrison-Bericht,
der katastrophale Zustände bei der Unterbringung der jüdischen DPs bemän-
gelte - und in den Vereinigten Staaten hohe Wellen schlug, führte in der ameri-
kanischen Besatzungszone zu einer Veränderung der DP-Politik. Die jüdischen
DPs wurden nunmehr in eigenen Lagern untergebracht und bevorzugt behan-
delt. 99 Großlager mit über 4.000 jüdischen DPs entstanden in Föhrenwald (wel-
ches als letztes DP-Lager erst im Februar 1957 geschlossen wurde), Landsberg
am Lech und Feldafing bei München. In Hessen wurden größere Lager unter
anderem in Zeilsheim bei Frankfurt, Fulda, Kassel, Eschwege, Marburg, Gießen
und Bad Nauheim eingerichtet. 100 Jüdische Hilfsorganisationen, wie der AJDC,
unterstützten Armee und UNRRA bei der Betreuung der Lager. Die Situation
hatte sich so schon im Herbst 1945 deutlich entspannt, wie einem Bericht der
97 Jacobmeyer, Wolfgang: Jüdische Überlebende als ‘Displaced Persons’, S. 421. Alle Zahlen
für das Jahr 1945 beruhen auf Schätzungen, da kein statistisches Material existiert.
98 Zum Harrison-Bericht und seinen Folgen vgl. Königseder, Angelika / Juliane Wetzel: Lebensmut
im Wartesaal: Die jüdischen DP’s (Displaced Persons) im Nachkriegsdeutschland
1945-1949. Frankfurt am Main 1994, S. 35-46.
99 Zuvor war die Nationalität der ausschlaggebende Faktor für die Unterbringung.
29

neu geschaffenen Dienststelle des ‘Sonderberaters in jüdischen Angelegenhei-
ten’ zu entnehmen ist. 101 In den Besatzungszonen wurde sehr unterschiedlich
mit dem Phänomen der jüdischen DPs umgegangen. Die Verantwortlichen der
britischen Besatzungszone lehnten einen genuin jüdischen Status und daraus
resultierende eigene Lager ab. Grund dafür war der befürchtete Einfluss einer
solchen Regelung auf die angespannte Situation in Palästina. 102 Die Verteilung
der jüdischen DPs unterschied sich signifikant von der in der amerikanischen
Zone. Im einzigen jüdischen Großlager Belsen-Hohne 103 befanden sich im Ja-
nuar 1946 allein über 9.000 der etwa 12.000 jüdischen DPs der britischen Be-
satzungszone. Eine wiederum andere Situation lag in der französischen Besat-
zungszone vor. 104 Hier befanden sich Ende 1945 nur etwa 1.000 Juden in DP-
Lagern und kleineren landwirtschaftlichen Ausbildungsstätten. 105 Die Zahl der
jüdischen DPs verringerte sich bis November 1946 gar auf etwa 700. In der
sowjetischen Besatzungszone wurde den jüdischen Überlebenden kein geson-
derter Status zugesprochen, was auf das gänzlich andere Verständnis der sow-
jetischen Behörden als Besatzungsmacht zurückzuführen ist. 106 Es wurden kei-
ne jüdischen DP-Lager eingerichtet, sondern die Überlebenden vor die Wahl
gestellt, sich entweder repatriieren zu lassen oder auf jegliche Unterstützung zu
verzichten.
In der zweiten Hälfte des Jahres 1946 kam es in der amerikanischen Besat-
zungszone zu einer Reihe von Neugründungen jüdischer DP-Lager. Grund da-
für war der dramatische Anstieg der Anzahl jüdischer DPs auf diesem Gebiet.
Im Verlaufe des Jahres 1946 erhöhte sich deren Zahl in der amerikanischen
100 Jacobmeyer, Wolfgang: Jüdische Überlebende als ‘Displaced Persons’, S. 430.
101 Jacobmeyer, Wolfgang: Jüdische Überlebende als ‘Displaced Persons’, S. 429f.
102 Jacobmeyer, Wolfgang: Jüdische Überlebende als ‘Displaced Persons’, S. 444ff. sowie Dinnerstein,
Leonhard: Britische und amerikanische DP-Politik. In: Fritz-Bauer-Institut (Hg.): Überlebt
und unterwegs. Jüdische Displaced Persons im Nachkriegsdeutschland. Frankfurt am Main
/ New York 1997 (Jahrbuch 1997 zur Geschichte und Wirkung des Holocaust), S. 109-117.
103 Das DP-Lager ‘Bergen-Belsen D.P. Hohne Camp’, befand sich auf dem Gelände des ehemaligen
Konzentrationslagers Bergen-Belsen. In keinem Lager lebten mehr jüdische DPs. Vgl.
zur Geschichte des Lagers Königseder, Angelika / Juliane Wetzel: Lebensmut im Wartesaal, S.
173-218.
104 Zum Umgang mit der DP-Problematik in der französischen Zone allgemein vgl. Rinke, Andreas:
Le grand retour. Die französische Displaced-Persons-Politik (1944-1951). Frankfurt am
Main 2002.
105 Die jüdischen DPs verteilten sich auf sechzehn Standorte, es gab keine Ballung. Die größte
Ansammlung befand sich in Konstanz, wo 180 jüdische DPs belegt sind. Viele der Standorte
beherbergten weniger als fünfzig jüdische DPs in Kibbuz-ähnlichen Lagern. Vgl. Jacobmeyer,
Wolfgang: Jüdische Überlebende als ‘Displaced Persons’, S. 448ff., besonders Tabelle 3:
Standorte jüdischer DPs: französische Zone, S. 449.
30

Zone von knapp 40.000 auf über 145.000. 107 Insbesondere in den Monaten von
August bis Oktober 1946 kam es zur massenhaften Zuwanderung einer neuen
Gruppe jüdischer DPs. Die Ursache dieses Zustroms lag hauptsächlich im E-
xodus polnischer Juden, welche aufgrund eines Pogroms in Kielce Anfang Juli
1946 über Österreich nach Deutschland gelangten.
3.1.1 Die Herkunft der jüdischen DPs - Die Brichah
Eine erste Fluchtwelle aus Osteuropa war bereits vom Herbst 1945 bis Früh-
sommer 1946 in Bayern gestrandet. Organisiert von der jüdischen Brichah - der
Name stand sowohl für ‘Fluchtbewegung’ als auch für die illegale Fluchthilfeor-
ganisation - wurden osteuropäische Juden und Jüdinnen auf ihrem Weg nach
Palästina zunächst nach Österreich geschleust. 108 Von dort aus versuchte man
sie nach Italien zu schmuggeln, was anfangs auch in größerem Maße gelang.
Doch mit den immer energischeren Gegenmaßnahmen der Briten, die im Win-
ter 1945 praktisch die gesamte österreichische Südgrenze kontrollierten, blieb
den in Österreich eintreffenden Juden der Weg zum Mittelmeer zunehmend
versperrt. 109 Die Aufnahmekapazität der österreichischen Lager war schnell er-
reicht, ein Weitertransport in die US-Besatzungszone nach Deutschland wurde
für die ‘Infiltrees’, wie die Behördenbezeichnung für die 1946 aus Osteuropa
einreisenden jüdischen Flüchtlinge lautete, unumgänglich. 110 Die Situation ver-
schärfte sich dramatisch im Sommer 1946. Von den einst etwa 3,5 Millionen
Juden in Polen hatten nur wenige Zehntausend den II. Weltkrieg auf dem Ge-
biet des heutigen Polens überlebt. Ihre Zahl blieb trotz der Rückwanderer aus
dem Osten und der Heimkehrer aus den befreiten Konzentrationslagern zu-
nächst relativ konstant, da sich gleichzeitig Tausende auf den Weg nach Wes-
ten machten. Die Lage änderte sich erst durch die massive Rücksiedlung polni-
scher Juden aus dem Innern der Sowjetunion. Rund 137.000 gelangten so zwi-
106 Vgl. Königseder, Angelika / Juliane Wetzel: Lebensmut im Wartesaal, S. 10f.
107 Vgl. Jacobmeyer, Wolfgang: Jüdische Überlebende als ‘Displaced Persons’, S. 436.
108 Vgl. zu Organisation und Arbeitsweise der Brichah Albrich, Thomas: Brichah: Fluchtwege
durch Österreich. In: Fritz-Bauer-Institut (Hg.): Überlebt und unterwegs: jüdische Displaced
Persons im Nachkriegsdeutschland. Frankfurt am Main / New York 1997, S. 207-227; Ders.:
Exodus durch Österreich: die jüdischen Flüchtlinge 1945-1948. Innsbruck 1987; Ders. (Hg.):
Flucht nach Eretz Israel: Brichah und der jüdische Exodus durch Österreich nach 1945. Innsbruck
1998 sowie Bauer, Yehuda: Flight and Rescue: Brichah. New York 1970 und Ders.: Out
of the Ashes: The Impact of American Jews on Post-Holocaust European Jewery. Oxford 1989.
109 Albrich, Thomas: Brichah: Fluchtwege durch Österreich, S. 212 und 221f.
110 Albrich, Thomas: Brichah: Fluchtwege durch Österreich, S. 213. Zur ersten Flüchtlingswelle
auch Ders.: Exodus durch Österreich, S. 37-97 sowie Bauer, Yehuda: Out of the ashes, S. 102.
31

schen Februar und Juli 1946 nach Polen. 111 Ihre Wohnungen und Häuser wa-
ren von Nichtjuden bewohnt und die Rückführung ihres rechtmäßigen Eigen-
tums führte zu erheblichen Konflikten, die einen latent vorhandenen Antisemi-
tismus zusätzlich entfachten. 112 Den Höhepunkt antijüdischer Ausschreitungen,
gegen die die neuen Herrschaftsorgane nicht energisch durchgriffen, markierte
das Pogrom von Kielce. In der zentralpolnischen Provinzhauptstadt, in welcher
in der Zwischenkriegszeit 25.000 Juden etwa ein Drittel der Bevölkerung stell-
ten, hatte sich nach dem Abzug der Deutschen wieder eine kleine jüdische
Gemeinde angesiedelt. Am 6. Juli 1946 verbreitete sich das Gerücht, ‘die Ju-
den’ hätten einen Jungen entführt. 113 Den antisemitischen Mythos des Ritual-
mords 114 beschwörend, verschaffte sich eine stetig anwachsende Menschen-
menge gewaltsam Zugang zum jüdischen Gemeindezentrum. Obwohl sich ent-
scheidende Passagen des Gerüchts schnell als unhaltbar herausstellten - es
gab etwa keinen Keller, in dem der Junge hätte gefangen gehalten werden
können -, war der aufgebrachte Mob nicht zu halten. Die Sicherheitskräfte sa-
hen tatenlos zu, wie Bewohner des Gemeindezentrums von der Menge ge-
lyncht wurden. Regelrechte Treibjagden wurden auf Passanten veranstaltet, die
ihrem Aussehen nach für Juden gehalten wurden. Über vierzig Tote waren die
schreckliche Bilanz dieser „judenfeindlichen Psychose“ 115 .
Die Auswirkungen der antisemitischen Übergriffe auf die nach Polen zurückkeh-
renden Juden waren enorm. Täglich flüchteten Tausende illegal durch die
Tschechoslowakei nach Österreich. Von Juli bis November gelangten über
90.000 Juden aus Polen, meist über Bratislava, in die provisorischen Auffangla-
ger. Die amerikanische Botschaft in Warschau rechnete gar mit der Flucht aller
Juden aus Polen in die US-Besatzungszone Österreichs. 116 Aufgrund der ange-
111 Friedrich, Klaus-Peter: Antijüdische Gewalt nach dem Holocaust. Zu einigen Aspekten des
Judenpogroms von Kielce. In: Jahrbuch für Antisemitismusforschung 6 (1997), S. 115-147, S.
115.
112 Vgl. Hofmann, Andreas R.: Die polnischen Holocaust-Überlebenden. Zwischen Assimilation
und Emigration. In: Fritz-Bauer-Institut (Hg.): Überlebt und unterwegs. Jüdische Displaced Persons
im Nachkriegsdeutschland. Frankfurt am Main / New York 1997 (Jahrbuch 1997 zur Geschichte
und Wirkung des Holocaust), S. 51-69, S. 52f.
113 Friedrich Klaus-Peter: Antijüdische Gewalt nach dem Holocaust, S. 117f.
114 Zu den Mustern traditioneller Judenfeindschaft vgl. etwa Berding, Helmut: Moderner Antisemitismus
in Deutschland. Frankfurt 1988, S.11ff.
115 Friedrich Klaus-Peter: Antijüdische Gewalt nach dem Holocaust, S. 120. Zu den Details der
Ursachen der judenfeindlichen Gewalt, ihrer Instrumentalisierung und der spät begonnenen
Aufarbeitung der Ereignisse von Kielce, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann, vgl.
S. 122ff.
116 Albrich, Thomas: Brichah: Fluchtwege durch Österreich, S. 215.
32

spannten Lage bemühten sich die Amerikaner im Sommer und Herbst 1946 die
jüdischen Flüchtlinge so schnell wie möglich außer Landes zu bringen. Italien
lehnte unter dem Druck Großbritanniens ein diesbezügliches Gesuch ab. Ledig-
lich die amerikanische Besatzungszone in Deutschland erklärte sich zur Auf-
nahme jüdischer Flüchtlinge bereit. 117 Da das bisher funktionierende und inoffi-
ziell geduldete Durchschleusungssystem der Brichah dem Ansturm nicht mehr
gewachsen war, musste die Armee den Transport der Flüchtlinge übernehmen.
Aus den Transitlagern in Salzburg und Linz wurden allein 33.000 Menschen in
geschlossenen Güterwaggons, unter der Aufsicht von Armeepersonal, nach
Bayern transportiert. 118 In Grenznähe, wie in Landshut und Cham, entstanden
große Auffanglager. Aber auch neue, permanente Lager mussten eingerichtet
werden, um die Masse der Flüchtlinge unterbringen zu können. 119 Während in
der britischen und französischen Besatzungszone den jüdischen Flüchtlingen
der Zuzug verweigert wurde, erhielten die Infiltrees in der US-Zone umgehend
den DP-Status, was als Hauptgrund für die hohe Konzentration der jüdischen
Flüchtlinge in der amerikanischen Besatzungszone anzusehen ist. 120 Die Tran-
sitlager bestanden aus großen Zeltstädten, die nicht auf dauerhafte Unterkunft
ausgerichtet waren. Ein Bericht des AJDC über das DP-Lager Landshut veran-
schaulicht die angespannte Situation vor Ort:
„The Landshut D.P. Camp was a tent city, set up as an emergency measure to
provide temporary quarters for Jewish infiltrees of Polish origin, who were coming
into the American Zone of Germany from Austria, via Salzburg. The site of the
camp was a level, grass-covered field, formerly a German airfield. There were no
permanent buildings on the site, except for one large shed, which was used as
an Army Warehouse, and one corner of which was reserved for AJDC supplies.
[...] The tents were pitched on the grass, with no flooring, no winterizing and no
heating. There were no drainage ditches around the tents, because the Army
117 Albrich, Thomas: Exodus durch Österreich, S. 113ff. Die Behörden der britischen Besatzungszone
verweigerten den neu ankommenden Juden den DP-Status und damit jeglichen
Anspruch auf Unterstützung, vgl. Königseder, Angelika / Juliane Wetzel: Lebensmut im Wartesaal,
S. 55.
118 Albrich, Thomas: Brichah: Fluchtwege durch Österreich, S. 218. Vgl. dazu auch YIVO LWSP
488.3 / 23 / 608, ‘Report on influx of Jews into the U.S. Zone of Germany during the month of
September, 1946’ vom 15. Oktober 1946.
119 YIVO DPG folder 1501, ‘AJDC Summary Report on Inflitree Movement of Jews to U.S. Zone
of Germany, June - November 1946’. Hier findet sich eine Aufstellung aller neu eingerichteten
Lager. In Bayern lebten so 1946 mehr Juden als je zuvor in der Geschichte, vgl. Grossmann,
Atina: Trauma, Memory, and Motherhood: Germans and Jewish Displaced Persons in Post-
Nazi Germany, 1945-1949. In: AfS 38 (1998), S. 215-239, S. 236.
120 Vgl. dazu Königseder, Angelika / Juliane Wetzel: Lebensmut im Wartesaal, S. 53.
33

thought the D.P.’s themselves should dig them, and the D.P.’s refused to do any
work that might be regarded as tending to perpetuate the situation.“ 121
Das Lager verfügte weder über Strom noch über warmes Wasser zur Körper-
pflege. Nur in einem der beiden Lagerteile wurde eine provisorische Wasserlei-
tung für fließend kaltes Wasser installiert. Die Versorgungs- und Gesundheits-
bedingungen werden als schwierig, aber zureichend beschrieben. Nur bei län-
ger anhaltendem Regen seien die Verhältnisse unzumutbar gewesen. Jedes
Zelt war mit acht Feldbetten bestückt, jeder Person standen drei Decken zu.
Nach außen war das Lager nicht ordentlich befestigt:
„There was no barbed wire or other barrier around the camp area. Thus, although
the D.P.’s were restricted to the compound, and Army MP’s patrolled the vicinity,
there was little attempt to enforce the restriction, and over one-fourth of the people
left the camp illegally.“ 122
Die das Lager auf eigenes Betreiben hin Verlassenden suchten Zuflucht in an-
deren, vermeintlich besseren Unterkünften. Zwischen Ende August und Anfang
Oktober 1946 durchliefen über 11.500 jüdische DPs das Transitlager Lands-
hut. 123 Ein großer Teil von ihnen wurde in die neu gegründeten Lager transpor-
tiert. Der größte Transport erfolgte nach Hessen, in das neue Kasernenlager in
Babenhausen.
3.1.2 Das DP-Lager 789 Babenhausen - Ein Lager am Rande der Stadt
Aus der Statistik des Lagers Landshut vom 20. Oktober 1946 geht hervor, dass
sich am 28. September ein erster Transport mit 1097 Juden in Richtung Baben-
hausen auf den Weg begab, dem mindestens zwei weitere größere Transporte
folgten. 124 Ihr Ziel war die Artillerie-Kaserne, die außerhalb der Stadt direkt an
der Bahnverbindung zwischen Aschaffenburg und Darmstadt gelegen war. 125
Den Bahngleisen, die schon in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts für die
lange angestrebte Errichtung einer Garnison in Babenhausen entscheidend wa-
121 YIVO LWSP 488.3 / 23 / 528, Monthly Report (Transient D.P. Camp LANDSHUT) an Leo W.
Schwarz, AJDC Zone Director, vom 20. Oktober 1946.
122 Ebenda.
123 YIVO LWSP 488.3 / 23 / 535, Monthly Report (Transient D.P. Camp LANDSHUT) an Leo W.
Schwarz, AJDC Zone Director, vom 20. Oktober 1946, Statistik.
124 YIVO LWSP 488.3 / 23 /535, Transient D.P. Statistic Camp Landshut. Die weiteren Transporte
erfolgten im Abstand von wenigen Tagen.
125 Vgl. Kartenausschnitt zu Babenhausen im Anhang 4.
34

en, 126 kam eine doppelte Funktion zu. Zum einen waren sie für den Transport
der Lagerinsassen von zentraler Bedeutung, zum anderen separierten sie das
Territorium der Kaserne von der eigentlichen Stadt. Diese zweite Eigenschaft
der Schienenstränge wurde von der amerikanischen Besatzungsmacht bereits
kurz nach Kriegsende genutzt. Bei der Einrichtung eines deutschen Kriegsge-
fangenenlagers auf dem Gelände der Kaserne im Sommer 1945 wurden die
Gleise als Demarkationslinie eingesetzt. Der Raum südlich der Bahnlinie wurde
zwangsevakuiert. Alle Privatwohnungen in diesem Bereich mussten demzufolge
im Juni 1945 geräumt werden - wobei zum damaligen Zeitpunkt weit weniger
Bewohner in der Nähe des Kasernengeländes lebten, als dies heute der Fall ist.
Um den Exerzierplatz wurde ein etwa zwei Meter hoher Drahtzaun installiert,
welcher der Kontrolle des bis zu 30.000 deutsche Soldaten beherbergenden,
schwer bewachten Kriegsgefangenenlagers dienen sollte. 127
Die Nutzung des Territoriums vor 1945
Das Kasernengelände diente vor und während des II. Weltkriegs verschiedenen
Belegungen als Unterkunft. Zunächst bezog unter reger Anteilnahme der orts-
ansässigen Bevölkerung ein Feldartillerie-Regiment die 1901 neu errichteten
Räumlichkeiten. Trotz der Lage der Kaserne am Rande der Stadt entwickelten
sich rege Beziehungen zwischen den Soldaten und der Zivilbevölkerung. Die
Gewerbe- und Handwerksbetriebe profitierten von der Garnison, Soldaten be-
teiligten sich am Vereinsleben der Stadt und ein außerhalb des Kasernengelän-
des errichtetes Soldatenbad konnte von der einheimischen Bevölkerung genutzt
werden. 128 Quellen im Stadtarchiv zeugen von privaten Kontakten und Verbin-
dungen bis hin zu Eheschließungen. 129 Junge Babenhäuser konnten zudem
ihren Militärdienst in der Kaserne leisten. Nach der Auflösung der Garnison im
Frühjahr 1920 belegten nach kurzer französischer Besatzung in den folgenden
Jahren diverse Institutionen das Kasernengelände. Die Kaserne blieb - gleich,
ob Reichswehr-Schützen-Regiment, Hessische Sicherheits-Polizei oder eine
SA-Sportschule stationiert waren - ein klar definiertes Territorium, durch eine
126
Fischer, Ria: Babenhausen als Garnisonsstadt. Babenhausen 1991, S. 9. Hier wird der positive
Bescheid bezüglich der Bemühungen der Stadtväter um eine Garnison 1869 (im Schloss)
mit dem Ausbau Babenhausens als Eisenbahnknotenpunkt in Verbindung gebracht.
127
Fischer, Ria: Babenhausen als Garnisonsstadt, S. 59.
128
Babenhäuser Zeitung vom 12. Juni 1903. Vgl. auch Fischer, Ria: Babenhausen als Garnisonsstadt,
S. 32f.
129
Stadtarchiv Babenhausen, Kasernenakten.
35

Mauer von der Umgebung getrennt und außerhalb der eigentlichen Stadt gele-
gen. 130 Auch als Babenhausen 1936 mit dem wiederholten Einzug eines Artille-
rie-Regiments erneut Garnisonsstadt wurde und in der Kaserne ab 1938 die
Wehrkreis- Reit- und Fahrschule ansässig ward, änderte sich nichts an ihrer
räumlichen Deutung: Die Kasernenmauern umgrenzten ein militärisches Territo-
rium. Auch die Bediensteten aus der einheimischen Bevölkerung - wie etwa
Handwerker, Pferdepfleger, Küchengehilfinnen oder Schreibkräfte in der Ver-
waltung - bewegten sich in einem von der zivilen Welt erkennbar getrennten
Raum.
Schwierigkeiten bei der Belegung des Territoriums mit jüdischen DPs
Nachdem das Kriegsgefangenenlager bis September 1946 sukzessive aufge-
löst worden war, 131 entschied die amerikanische Militärverwaltung die neue
Nutzung der Kaserne als jüdisches DP-Lager. Die neue Belegung des Territori-
ums gestaltete sich keineswegs konfliktfrei. Unterschiedliche Quellen berichten
von der Weigerung der jüdischen DPs, das für sie vorgesehene Lager zu be-
ziehen. Für den AJDC war Joseph Fink, später einer der drei AJDC Direktoren
in Deutschland, 132 vor Ort, als der erste Transport am 01. Oktober 1946 Baben-
hausen erreichte. In einem internen Schreiben berichtet er von erheblichen
Schwierigkeiten beim Bezug der Kaserne:
„A D.P. train, loaded with 1.000 persons had arrived on Sunday from the Army
Transient Center at Landshut. From the train siding, the people could only see
that part of the camp containing tents, similar to the ones they had been in at
Landshut. The people refused to leave the train and enter the camp.“ 133
Erst nach mehreren Stunden des Verhandelns mit eilig herbei gerufenen Offi-
ziellen der amerikanischen Militärverwaltung sowie der jüdischen Hilfsorganisa-
tionen, konnte die überwiegende Mehrzahl der DPs zum Verlassen des Zuges
animiert werden. Über Lautsprecheranlagen war den DPs, so Fink, ein Rück-
130 Vgl. Anhang 4 und 5.
131 Zu den Transporten entlassener Kriegsgefangener aus dem Kriegsgefangenenlager Babenhausen
existiert umfangreiches, wenngleich sehr lückenhaftes Material im Staatsarchiv Darmstadt,
u.a. H1 3615, H1 3622, H1 3626, H1 3629 und H1 3637. Die letzten Transporte datieren
von September 1946.
132 Vgl. Königseder, Angelika / Juliane Wetzel: Lebensmut im Wartesaal, S. 69. Fink war ab
Oktober 1947 Direktor des Distrikts Berlin und damit direkt dem AJDC Zonen-Direktor verantwortlich.
133 YIVO LWSP 488.17 / 170 / 800-802, Joseph Fink, AJDC Field Operations Officer, an Leo W.
Schwarz, AJDC Zone Director, ‘Report Babenhausen for October, 1946’.
36

transport nach Polen angedroht worden, so sie das ihnen angebotene Territori-
um weiterhin ablehnten. Ähnliche Komplikationen erfolgten bei Ankunft des
zweiten Transports:
„In the meantime the second transport from Landshut had arrived and had been
side-tracked at Aschaffenburg, 15 km away. The plea was to remove the group of
1.000 people to the camp via trucks. The same resistance was encountered.
Delegates from the train were taken to view the camp and their decision was to
remain on the train.“ 134
Wiederum bemühten sich die anwesenden Armeeangehörigen und die vermit-
telnden jüdischen Hilfsorganisationen - neben dem AJDC-Team war auch ein
Vertreter der ‘Vaad Hatzalah’ 135 zugegen - um eine rasche Lösung des Prob-
lems. Zunächst wurde der Zug nach Babenhausen geleitet. Nach langwierigen
Verhandlungen konnten die meisten DPs zum Aussteigen bewegt werden. Le-
diglich etwa drei Dutzend Personen verblieben Finks Bericht zur Folge in den
Waggons und wurden mit zunächst unbekanntem Ziel abtransportiert. 136 Ein
dritter Transport mit etwa achthundert jüdischen DPs erreichte Babenhausen
ohne weitere Komplikationen.
Die Belegung des Lagers verlief in teils chaotischen Bahnen. Die Räumlichkei-
ten waren in einem unbefriedigenden Zustand. Zudem konnten die eigentlichen
Kasernenbauten 137 die Masse der DPs nicht annähernd beherbergen. Fink be-
schreibt in seinem Bericht die Unzulänglichkeiten der Räumlichkeiten und äu-
ßert Verständnis für die Vorbehalte der jüdischen DPs bezüglich des Territori-
ums:
134 YIVO LWSP 488.17 / 170 / 800-802, Joseph Fink, AJDC Field Operations Officer, an Leo W.
Schwarz, AJDC Zone Director, ‘Report Babenhausen for October, 1946’.
135 Die ‘Vaad Hatzalah’ war als „religiöses Rettungskomitee“ 1939 als Unterorganisation der
ultra-orthodoxen ‘Agudath Israel’ gegründet worden und in den DP-Lagern insbesondere im
Bildungsbereich tätig - was dazu führte, dass in nahezu jedem Lager eine religiöse Schule eingerichtet
wurde. Das sowohl politisch wie religiös liberale AJDC musste trotz diverser Unstimmigkeiten
mit der ‘Vaad Hatzalah’ zusammenarbeiten. Vgl. Königseder, Angelika / Juliane Wetzel:
Lebensmut im Wartesaal, S. 77-79.
136 In einem späteren Schreiben des AJDC wird erwähnt, dass „38 persons being deported
back to Poland under Army orders because of their refusal to enter the Camp set up for them by
the Army at Babenhausen.“ Ihnen wurde - diesem Bericht zu Folge - über die Yom Kippur Feiertage
ein Aufenthalt im DP-Lager Funk Kaserne nahe München gestattet. Dort erachtete man
24 Personen für nicht weiter transportfähig. Von den verbleibenden 14 Personen erklärte sich
die Hälfte - „after reinterpretation of the situation“ - zum Rücktransport nach Babenhausen bereit,
welcher am 8. Oktober 1946 mit einem Armeefahrzeug bewerkstelligt wurde. Die übrigen
DPs wurden auf andere Lager verteilt, „the train scheduled for Poland had been canceled.“
YIVO LWSP 488.3 / 23 / 462, Harold Kaplan an Leo W. Schwarz, AJDC Zone Director, ‘Deportation
of Jews to disenbark [sic!] at Babenhausen for October 7, 1946’.
37

„There is a great measure of justification in the attitude of the people when taken
from their view point. The camp itself is composed of 49 iron quonset huts of one
room, housing 35 people each. There are 30 wooden tropical huts and 15 large
stone buildings formerly used as stables. None of these are partitioned. There is
a lack of water and all sanitary facilities. [...] I do not think it can be made tenable
for the type of population that is now in it. [...] Water mains are being laid, latrines
are being dug and additional kitchen facilities put into operation, but woman and
children cannot exist throughout the winter in this installation.“ 138
Die Statistik der bis einschließlich 07. Oktober 1946 registrierten über 2.300
Lagerinsassen wies allein 450 Kinder unter vierzehn Jahren auf, wovon 243
unter zwei Jahren alt waren. 139 Zudem befanden sich bis dato 237 schwangere
Frauen und 87 über sechzig Jahre alte Personen im Lager. Diese Altersstruktur
war für die aus Osteuropa stammenden Inflitrees durchaus typisch - ganz im
Gegensatz zu den demographischen Eigenschaften der sich direkt nach
Kriegsende auf deutschem Boden befindenden jüdischen DPs. 140 Die dargebo-
tenen Räumlichkeiten entsprachen keineswegs den Ansprüchen ihrer neuen
Bewohner. Dies bekräftigte Leo W. Schwarz, AJDC Direktor der U.S.-Zone und
Adressat des Fink’schen Berichts. In einem dreiseitigen Bericht erwähnt
Schwarz an zwei Stellen die Ereignisse von Babenhausen und nennt dabei
Gründe für die angesprochenen Schwierigkeiten bei der Belegung:
„The evacuation of Landshut was planned and the people were moved to Bobenhausen
141 [sic!] but due to the lack of provision for the reception of refugees in
137
Vgl. Abbildung im Anhang 5.
138
YIVO LWSP 488.17 / 170 / 801.
139
Ebenda.
140
Vgl. dazu die statistischen Anmerkungen unter Jacobmeyer, Wolfgang: Jüdische Überlebende
als ‘Displaced Persons’: Untersuchungen zur Besatzungspolitik in den deutschen Westzonen
und zur Zuwanderung osteuropäischer Juden 1945-1947. In: GG 9 (1983), Heft 3, S.
421-452, S. 437f. sowie Grossmann, Atina: Trauma, Memory, and Motherhood: Germans and
Jewish Displaced Persons in Post-Nazi Germany, 1945-1949, S. 232ff.
141
YIVO LWSP 488.3 / 23 / 608f., ‘Report on influx of Jews into the U.S. Zone of Germany during
the month of September, 1946’ vom 15. Oktober 1946. Schwarz bezieht sich eindeutig auf
die Ereignisse in Babenhausen und den eine Woche zuvor an ihn gerichteten Bericht von Joseph
Fink. Es handelt sich bei ‘Bobenhausen’ sicher um die falsche Übertragung des Ortsnamens,
was ebenfalls durch die zitierte Transportstatistik des Lagers Landshut zweifelsfrei zu
belegen ist. Der Fehler wurde in einer auf den Ausführungen Schwarz’ fußenden Liste zu ‘New
UNRRA Camps in U.S. Zone of Germany opened during the month of Sept. 1946’ tradiert. Im
zweiten Distrikt (Frankfurt) taucht darin neben dem neu gegründeten Lager Wetzlar das Lager
Bobenhausen auf, mit einer Kapazität von 4.000 und einer geschätzten Anzahl von 3.350 Lagerinsassen.
Diese beiden Quellen veranlassten offenbar Königseder / Wetzel in ihrer Zusammenstellung
jüdischer DP-Lager ein solches in Bobenhausen, mit dem zusätzlichen Vermerk
‘bei Grünberg’ zu konstruieren, das es in dieser Form nie gegeben hat, vgl. Königseder, Angelika
/ Juliane Wetzel: Lebensmut im Wartesaal, S. 250. Zwar existiert ein kleiner Ort diesen Namens
im ehemaligen Distrikt Frankfurt, doch verfügt dieser weder über eine Bahnanbindung
38

this camp, there was great difficulty in persuading the people to leave the trains
and to move into the camp. The movement from Landshut to Bobenhausen [sic!]
was stopped after 2.800 persons were moved. [...] The difficulties encountered in
the settling the people in Bobenhausen [sic!] were mainly the result of lack of coordination;
children, old and sick people and pregnant women were sent in before
workmen had put the camp in order. Closer coordination of all authorities and
agencies engaged in this program should be recommended in order that further
incidents of this nature may be avoided.“
An anderer Stelle weist Schwarz darauf hin, dass zahlreiche Lager nicht winter-
fest seien, sie entweder über keine Heizanlagen verfügten oder deren Betrieb
nicht gesichert sei. 142 Während die AJDC Angestellten versuchten, auf den Wi-
derspruch zwischen den Bedürfnissen der von ihnen betreuten jüdischen DPs
und den diesen zur Verfügung gestellten Territorien aufmerksam zu machen,
zeugen andere Quellen von weniger Verständnis. In einem (streng vertrauli-
chen) Bericht äußert ein Angehöriger der amerikanischen Streitkräfte sich deut-
lich kritischer gegenüber der Verweigerung der jüdischen DPs in Babenhausen:
„At Babenhausen, there were 3.000 newly arrived Jews who come from Poland.
The Babenhausen camp had been opened for only about two weeks prior to my
visit. It was at that camp where a trainload of Jews had refused to get off the train
because the camp was not good enough. When the Army authorities threatened
to turn the train around and send them back where they came from, they still did
not get off the train. [...] These people are, for the most part, penniless and do not
desire to work, but expect to be cared for, and complain when things are not as
well done as they think they should be.“ 143
Anders als in der Darstellung der jüdischen Hilfsorganisation sah der Berichter-
statter die Ablehnung des zugewiesenen Territoriums als anmaßend an. 144 Die
hier zwischen den Zeilen erkennbare, von antisemitischen Stereotypen gespeis-
te Auffassung, die jüdischen DPs seien undankbar, arbeitsscheu und fordernder
als es ihnen geziemte, war in Armeekreisen weit verbreitet. 145 Zudem war dem
noch taucht er an anderer Stelle in den entsprechenden Akten auf - schon in der Oktoberstatistik
wird an gleicher Stelle Babenhausen genannt, vgl. YIVO DPG 30 / 3 / 190.
142 YIVO LWSP 488.3 / 23 / 610, ‘Report on influx of Jews into the U.S. Zone of Germany during
the month of September, 1946’ vom 15. Oktober 1946.
143 IfZ ED 122 (Pollock papers), Bd. 34, George Meader, Confidential Report to the Special
Senate Committee Investigating the National Defense Program (22.11.1946), S. 42.
144 Zur unterschiedlichen Berichterstattung von jüdischen Organisationen und auswärtigen Beobachtern
einerseits sowie den amerikanischen Militärbehörden andererseits vgl. auch Jacobmeyer,
Wolfgang: Jüdische Überlebende als ‘Displaced Persons’, S. 425f.
145 Vgl. dazu Jacobmeyer, Wolfgang: Jüdische Überlebende als ‘Displaced Persons’, S. 430
sowie Königseder, Angelika / Juliane Wetzel: Lebensmut im Wartesaal, S. 24ff, insbesondere
S. 27-29.
39

Berichterstatter die Lage der amerikanischen Militärbehörden wohl bewusst.
Diese standen durch die massenhaft in ihre Zone drängenden jüdischen DPs
unter enormem Druck, geeigneter Raum war jedoch knapp. Eine bessere Un-
terbringung konnte daher aus seiner Sicht in der aktuellen Situation nicht gebo-
ten werden, was den Unmut der Betroffenen als unangebracht erscheinen ließ.
Die Darstellung der oben beschriebenen Belegung des Lagers Babenhausen in
einem Bulletin der amerikanischen Militärverwaltung aus dem Jahr 1948 ist aus
einem anderen Grund interessant. Darin werden für die Verweigerung der jüdi-
schen DPs bezüglich des ihnen offerierten Raums bisher nicht angesprochene
territoriale Aspekte verantwortlich gemacht:
„In October 1946 a trainload of Jewish DPs rolled to a stop beside the recently
evacuated Babenhausen PW camp, a few miles from Dieburg. The several hundred
DPs packed into the cars saw the barbedwire fences which still surrounded
the camp and the MP who was standing guard. They refused to get off the
train.“ 146
Dem Autor dieser Zeilen erschienen offenbar das Erblicken von Stacheldraht-
zaun und Wachmannschaften als am ehesten nachvollziehbare Gründe für die
Ablehnung des Territoriums. In einem ihm vermutlich vorliegenden Bericht des
AJDC Teams Babenhausen vom Oktober 1946 ist tatsächlich von Stacheldraht
die Rede. 147 Allerdings wird im weiteren Verlauf dieses Berichts die territoriale
Einfriedung nicht zum Grund für die dauerhafte Verweigerung der jüdischen
DPs erhoben. Die Ausführungen decken sich vielmehr mit denen Joseph Finks.
Die schlechten Lagerbedingungen im Sinne von ungeeigneten Unterkünften
werden angeprangert und diese für die Verweigerung der DPs verantwortlich
gemacht. Zudem wird darauf verwiesen, dass bereits vor der Belegung des Ka-
sernengeländes Zweifel an der Eignung des Territoriums für den vorgesehenen
Personenkreis gegenüber der Armeeleitung geltend gemacht wurden, doch
dass deren Entscheidung bereits gefallen war. Die Sichtweise des Bulletin-
Autoren, vor allem Stacheldraht und Militärpolizei hätten die DPs verschreckt,
kann dessen persönlicher Rekonstruktion der Ereignisse zugeschrieben wer-
den.
146 Troop I&E Bulletin, vol.3, no.19, Troop Information Program 9 May 1948, S. 13.
147 YIVO LWSP 488.3 / 25 / 787, AJDC Team Babenhausen an Leo W. Schwarz, Oktober 1946.
Darin heißt es: „[...] the first train of about 1.200 DPs arrived to Babenhausen station which was
right in front of the Camp. The people seeing the barbed wires and the tents (which are around
the barracks but were not to be used). They refused to get off the train.“
40

Die untersuchten Quellen legen nahe, dass sich der Widerstand bei der Bele-
gung des Kasernengeländes in erster Linie auf den unbefriedigenden Zustand
der Unterkünfte bezog - wenngleich von durch Lagererfahrungen geprägten
Assoziationen der jüdischen DPs ausgegangen werden muss. 148
Die Nutzung des Lagerterritoriums 149
Nachdem die Lagerinsassen registriert waren, begann unter der Leitung des
AJDC und der UNRRA die Instandsetzung der Anlage. 150 Kleine Arbeitstrupps
aus den Reihen der DPs kümmerten sich um Reparatur- und Renovierungsar-
beiten. Eine zentrale Kleiderverteilungsstelle wurde eingerichtet sowie Spiel-
zeug für Kinder ins Lager gebracht und verteilt. Vier Großküchen nahmen ihre
Tätigkeit auf, wovon eine koscher kochte. In einer der Baracken konnte mit Un-
terstützung des AJDC und des Armeegeistlichen eine Synagoge eingerichtet
werden; ein Kindergarten wurde in einem der steinernen Gebäude unterge-
bracht. Aus Mangel an geeignetem Raum und Unterrichtsutensilien konnte zu-
nächst kein Schulbetrieb aufgenommen werden. Spätere Quellen berichten von
einer religiösen Schule sowie von kulturellem Lagerleben mit selbst einstudier-
ten Theatervorführungen und Tanzveranstaltungen. 151 Spätestens ab Dezem-
ber 1946 nahm auch ein Krankenhaus seinen Dienst auf. 152
Die räumlichen Unzulänglichkeiten in Zusammenhang mit dem bevorstehenden
Winter führten schnell zu Überlegungen, insbesondere Familien in besser ge-
eigneten Unterkünften unterzubringen. Die noch im Oktober 1946 stark sinken-
de Belegungszahl resultierte aus Transporten in besser ausgestattete Lager. 153
148 Für jüdische DPs im Lager Dieburg, die - wie im Laufe der Arbeit noch zu zeigen sein wird -
zunächst in Babenhausen untergebracht waren, existieren einige Bescheinigungen der ‘Betreuungsstelle
für politisch, rassisch und religiös Verfolgte’, die den Aufenthalt einiger DPs in diversen
Ghettos und Konzentrationslagern nachweisen. Vgl. HStAD, H 2 Dieburg Nr. 2353.
149 Die das jüdische DP-Lager Babenhausen betreffende Quellenlage bezüglich der Zeit nach
Abschluss der Erstbelegung des Geländes ist sehr dürftig. Nach Dezember 1946 existieren
keine monatlichen Berichte des AJDC mehr. Auch in den Akten der amerikanischen Militärverwaltung
finden sich kaum Hinweise auf das Lager Babenhausen, was auf wenig Konflikte
schließen lässt.
150 Zu diesen und nachfolgenden Angaben vgl. YIVO LWSP 488.3 / 25 / 788, AJDC Team Babenhausen
an Leo W. Schwarz, Oktober 1946.
151 YIVO LWSP 488.3 / 27 / 1476, AJDC Monthly Statistical Report, Dezember 1946. Unter
benötigten Materialien werden neben religiösen Gegenständen, wie Gebetsbüchern, Bibeln und
Kerzen, u.a. auch Theaterkostüme, Sportgeräte, Zeitungen und Bücher genannt.
152 YIVO LWSP 488.3 / 27 / 1477, AJDC Monthly Statistical Report, Dezember 1946. Vgl. auch
YIVO LWSP 488.3 / 25 / 804, Medical installations.
153 YIVO LWSP 488.3 / 25 / 781 vom Oktober 1946 erwähnt etwa den Transport von 350 Fami-
lien in das Lager Hasenecke (bei Kassel).
41

Schon Ende Oktober wurde begonnen, hauptsächlich Familien in das neu etab-
lierte Lager Dieburg zu verbringen. Am 31. Oktober 1946 weist die Lagerstatis-
tik 1.882 jüdische Lagerinsassen in Babenhausen aus. 154 Nach Abschluss der
Einrichtung des Lagers Dieburg stabilisierte sich die Anzahl zwischen 1.000 und
1.200 Personen. 155 Im Frühjahr 1947 wurde das jüdische DP-Lager in Baben-
hausen geschlossen:
„Camp Babenhausen has been liquidated. Some of the population from this
camp went to Dieburg where an attempt was made to unite families, and the major
portion went to Camp Rochelle in Hess-Lichtenau.“ 156
Die Anfang März 1947 nach Nordhessen erfolgten Transporte verliefen ohne
aktenkundige Zwischenfälle. 157 Das nun geräumte Territorium wurde mit balti-
schen DPs belegt, die aus verschiedenen südhessischen Lagern nach Baben-
hausen verlegt wurden. Nach der Schließung des Lagers Allmenfeld wird das
Lager Babenhausen offiziell als baltisches DP-Lager geführt. Es wurde zu-
nächst für 1.500 Insassen geplant und war im Jahr 1948 beständig mit über
1.000 überwiegend lettischen DPs belegt. 158 Als sich im Sommer 1949 die An-
zahl der baltischen Lagerinsassen rapide verringert hatte, diente das Kaser-
nengelände nochmals anderen DP-Gruppen als Unterkunft. Für kurze Zeit wer-
den im Zuge dessen einige auf ihre Ausreise wartende Juden in den Statistiken
genannt. 159 Von einem eigenständigen jüdischen Lager kann hier jedoch nicht
die Rede sein. 160 Auf die umstrittene Belegung mit Nationaltschechen im Mai
1950 wird in der Folge noch ausführlich eingegangen.
154
YIVO LWSP 488.3 / 25 / 674.
155
Vgl. dazu die entsprechenden Daten im Anhang 1.
156
YIVO LWSP 488.5 / 31 / 088, AJDC Monthly Report April 1947, S. 2. Der komplette Name
des in der Nähe von Eschwege gelegenen Lagers lautet ‘Rochelle / Eschenstruth’ (vgl. YIVO
LWSP 488.5 / 33 / 337). Das Lager Rochelle taucht erst ab Februar 1947 in den entsprechenden
Statistiken auf. Es gibt weitere Indizien die vermuten lassen, dass die von Herrn Altkorn im
einleitenden Exkurs erinnerte Reihenfolge seiner Lageraufenthalte in diesem Punkt falsch ist:
Es gibt weder Hinweise auf Transporte von Landshut nach Eschenstruth, noch auf solche von
Eschenstruth nach Babenhausen. Hingegen sind, wie beschrieben, große Transporte von
Landshut nach Babenhausen sowie von Babenhausen nach Rochelle (Eschenstruth) belegt.
157
Vgl. NARA 466 250 / 84 / 27 / 6, box 8, OMGH Periodic Report vom 6. März 1947, S. 3 sowie
ANP, AJ 43/825.
158
Vgl. zur Kapazität NARA 466 250 / 84 / 27 / 6, box 8, OMGH Periodic Report vom 24. Mai
1947, S. 2. Später wurde eine Kapazität von 1.190 angegeben. Detailliertere Zahlen zur Belegung
im Anhang 1.
159
Vgl. Anhang 1.
160
In den bisherigen Veröffentlichungen wird dieser Aspekt missverständlich dargestellt. Vgl.
Königseder, Angelika / Juliane Wetzel: Lebensmut im Wartesaal, S. 248. Kohlmannslehner
übernimmt die dort verzeichneten Zahlen in seiner Belegungsstatistik, obwohl er im Textteil auf
42

3.1.3 Das jüdische DP-Lager 560 Dieburg - Ein Lager in der Stadt
Eine völlig andere räumliche Anordnung war für das jüdische DP-Lager in Die-
burg kennzeichnend. Es entstand hier kein leicht zu kontrollierendes, von der
Bevölkerung getrenntes Territorium, wie dies beim Kasernengelände in Baben-
hausen der Fall war. Vielmehr lebten die wie geschildert ab Ende Oktober 1946
von Babenhausen in die Stadt gelangenden jüdischen DPs auf mehrere Territo-
rien verteilt. Die amerikanische Militärverwaltung unternahm dabei den Versuch,
geschlossene Familienverbände in eigenen, ihnen zugewiesenen Räumen un-
terzubringen. Zu diesem Zweck wurden etwa fünfzig Wohnungen und Häuser in
Dieburg von den amerikanischen Militärbehörden beschlagnahmt bzw. bereits
unter der Leitung der UNRRA befindliche Räumlichkeiten zur Verfügung ge-
stellt. 161 Dieburgs Bürgermeister erhielt die Anweisung, umgehend für die Be-
reitstellung von vormals jüdischen Anwesen zu sorgen. 162 Gleichzeitig wurden
Wohnungen und Häuser in der so genannten SA-Siedlung (Grundstücke in der
Grenz- und Feldstraße, die in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre Angehörigen
der SA zum Bau von Eigenheimen zur Verfügung gestellt worden waren) im
Südwesten der Stadt belegt. Es entstand so ein über die Stadt verstreutes La-
ger, das hauptsächlich privaten Wohnraum in Anspruch nahm. Dazu zählten
ebenfalls vier beschlagnahmte Häuser im nahe gelegenen Münster. 163 Selbst
im Zentrum der Altstadt lebten jüdische DP-Familien, in ehemals jüdischen
Häusern in direkter Nachbarschaft zur ortsansässigen Bevölkerung. 164 Wider-
stand seitens der jüdischen DPs bezüglich der zu belegenden Territorien ist
nicht bekannt. Auf die Reaktion der einheimischen Bevölkerung wird im Laufe
die Schließung des jüdischen Lagers im März 1947 verweist und die spätere jüdische Belegung
nicht mehr erwähnt. Vgl. Kohlmannslehner, Dietrich / Lange, Thomas: „...wohnen auf der verfluchten
deutschen Erde“ - Jüdisches Leben in Südhessen nach 1945. Darmstadt 1998, S. 38f.
161 Art und Weise der Räumungen lassen sich anhand des analysierten Quellenmaterials nicht
rekonstruieren. Zur Anordnung des belegten Raums vgl. Stadtplan Dieburg sowie die Liste des
beschlagnahmten Wohnraums im Anhang 8.
162 NARA 466 250 / 84 / 27 / 6, box 8, Weekly Intelligence Report, 26. Oktober 1946.
163 NARA 260 390 / X / 1-2, box 503, Brief der CDU Münster vom 31. Juli 1947. Bereits im Oktober
/ November 1946 waren vier Wohnhäuser in Münster von der UNRRA beschlagnahmt
und jüdischen Familien zur Verfügung gestellt worden, die zum Lager Dieburg zählten. Vgl.
auch Stadtarchiv Dieburg, A 3139, Aufstellung beschlagnahmten Wohnraums durch die IRO
vom 10. Februar 1948.
164 Eindeutig belegt ist etwa die Unterbringung jüdischer DPs in dem Haus der 1936 nach New
York ausgewanderten jüdischen Familie Bachrach in der Schlossergasse 2 (früher 1), in direkter
Nähe des Marktplatzes. Vgl. dazu HStAD, OMGUS 8/3 - 3/4 (4 von 4); Stadtarchiv Dieburg
A 3139, Aufstellung der durch die Militärregierung beschlagnahmten Häuser zu Zwecken der
UNRRA (siehe Anhang 8); Keim, Günther: Beiträge zur Geschichte der Juden in Dieburg. Dieburg
1993, S. 102.
43

der Arbeit noch ausführlich eingegangen. Die belegten Häuser sollten ihr erst
im August 1949, deutlich nach der Schließung des Lagers im März 1949, wie-
der zur Verfügung stehen. 165 Indessen waren nicht alle jüdischen DPs in priva-
ten Räumen untergebracht. Einem Teil der über achthundert registrierten La-
gerinsassen 166 boten zwei Sammelunterkünfte im Bischöflichen Konvikt sowie
im Schloss Fechenbach Raum.
Jüdisches Leben in katholischem Raum: Das Bischöfliche Konvikt
Das 1869 errichtete Gebäude des Bischöflichen Konvikts 167 bildete das kulturel-
le Zentrum des Dieburger Lagerlebens. Die Räumlichkeiten waren Eigentum
der Diözese Mainz und ihre Geschichte damit katholisch geprägt. Bis in die spä-
ten 1930er Jahre befand sich auf dem Gelände ein von Bischof Ketteler ge-
gründetes Knabenkonvikt. In den Zeiten des Kulturkampfs wurde dieses für
dreizehn Jahre zwangsweise geschlossen (1876-1889). Während das Internat
für auswärtige Schüler anschließend wieder geöffnet werden durfte, blieben die
Schulsäle in Händen der Stadt Dieburg. Die ‘Höhere Bürgerschule’ belegte bis
zur Fertigstellung des Baus der Goetheschule (1908) einen Teil des Komple-
xes. 168 Während des II. Weltkriegs wurde das Konvikt zunächst als Lazarett für
deutsche Soldaten genutzt, später waren verwundete Kriegsgefangene darin
untergebracht. 169 Vor der Ankunft der neuen jüdischen Bewohner beherbergten
die Räumlichkeiten lettische DPs, die daraufhin in ein DP-Lager nach Darm-
stadt verlegt wurden. 170
165
Vgl. Dieburger Anzeiger vom 12. August 1949 sowie Dokumente im Stadtarchiv Dieburg, A
3139. Königseder / Wetzel nennen den 29. März 1949 als Datum der Schließung, ohne einen
Beleg dafür anzugeben, Königseder, Angelika / Juliane Wetzel: Lebensmut im Wartesaal, S.
251. Eine Anmerkung über den Zusammenbruch des Schwarzmarkts nach Abzug der Juden
lässt das Datum wahrscheinlich erscheinen, vgl. NARA 260 390 / 49 / 7 / 4, box 131, Information
Report # 30 from Landkreis Dieburg, ‘Illegal Food Operations’ vom 12. April 1949.
166
Detaillierte Angaben zum Umfang der Belegung sind im Anhang 2 angegeben.
167
Vgl. Abbildung im Anhang 12.
168
Schlageter, Elke: Dieburg und sein Konvikt. AVA Schriftenreihe ‘Zeugen der Vergangenheit’.
Dieburg 1996, S. 40 sowie Bischöfliches Ordinariat Mainz (Hg.): Lebensspuren - 125 Jahre
Konvikt und Exerzitienhaus Dieburg. Mainzer Perspektiven - Berichte und Texte aus dem Bistum
5. Mainz 1995, S. 10ff.
169
Schlageter, Elke: Dieburg und sein Konvikt, S. 42. Vgl. auch Renkel, Heinz-A.: Die Geschichte
des Reservelazarettes Dieburg. Dieburg 1992, S. 4ff.
170
NARA 466 250 / 84 / 27 / 6, box 8, Weekly Intelligence Report vom 26. Oktober 1946. Auch
im Schloss Fechenbach waren zuvor lettische DPs untergebracht, die nach Darmstadt verlegt
wurden. Der im Troop I&E Bulletin, vol.3, no.19, Troop Information Program 9 May 1948, S. 13
erwähnte Transfer von hunderten zuvor in Dieburg lebender Balten (hier fälschlicher Weise als
Litauer bezeichnet) im Austausch mit jüdischen DPs nach Babenhausen dürfte daher eine falsche
Rekonstruktion sein.
44

Das Bischöfliche Konvikt war für das Lager von besonderer Bedeutung. Zum
einen diente es zahlreichen Menschen als Unterkunft - die Zahlen schwanken
zwischen 120 und über 250 Bewohnern -, zum anderen bot es Raum für zentra-
le Einrichtungen des Lagerlebens:
„It was emphasized that the convent was by far the most important building in local
set-up, for the medical infirmary, dentist, library, club rooms, police quarters,
kindergarten, 2 food and clothing store rooms, and the bath showers (used by
100 to 120 persons per day) were all located in that building.“ 171
Zwei Ärzte und vier Krankenschwester kümmerten sich hier um die medizini-
sche Betreuung der in Dieburg untergebrachten jüdischen DPs. Die medizini-
sche Versorgung wurde als zufrieden stellend bewertet. Der seit Mai 1947 mit
der Selbstverwaltung beauftragte Lagerrat 172 nutzte die Räumlichkeiten ebenso
wie die örtlichen Vertreter des AJDC. Auch das Büro der Lagerpolizei befand
sich hier.
Die Belegung des Bischöflichen Konvikts wurde von Seiten der katholischen
Kirche keineswegs widerspruchslos hingenommen. Allgemein wurde seitens
der Kirche der Zweckentfremdung kircheneigener Territorien kritisch begegnet,
wie aus der ‘Stellungnahme der Kirchen zur Wohnraum- und Flüchtlingsfrage’
vom August 1946 hervorgeht. 173 Man sei zwar bereit zu helfen, wo nur möglich -
kirchliche Tätigkeiten dürften aber nicht über die Maßen eingeschränkt werden.
Neben Klöstern werden diesbezüglich explizit kirchliche Ausbildungsstätten wie
etwa Konvikte genannt. In Reaktion darauf wurde vom Hessischen Minister für
Arbeit und Wohlfahrt deren Nichtbelegung als unannehmbar zurückgewie-
sen. 174 Als Zugeständnis vereinbarte man, Beschlagnahmungen „nicht ohne
Besprechung mit der jeweiligen übergeordneten kirchlichen Stelle“ 175 durchzu-
führen. Das Bischöfliche Konvikt in Dieburg wurde ab dem Frühjahr 1947 zum
Streitobjekt. 176 Gemäß der Art der Belegung waren UNRRA und amerikani-
171 NARA 466 250 / 84 / 27 / 6, box 8, L&SO Landkreis Dieburg, Information Report # 73 vom
01. August 1947.
172 Zu den ersten Lagerwahlen vgl. NARA 466 250 / 84 / 27 / 6, box 8, Periodic Report vom 24.
Mai 1947.
173 HHStAW 508 Nr. 2150, Stellungnahme der Kirchen zur Wohnraum- und Flüchtlingsfrage
vom 24. August 1946.
174 HHStAW 508 Nr. 2150, Hessischer Minister für Arbeit und Wohlfahrt vom 06. September
1946.
175 Ebenda.
176 Laut einer Aufstellung der durch die Militärregierung beschlagnahmten Häuser im Stadtarchiv
Dieburg war das Konvikt bereits seit Sommer 1945 beschlagnahmt. Vgl. A 4354, Bürger-
45

sche Militärverwaltung Ansprechpartner des Eigentümers der Räumlichkeiten,
vertreten durch den Bischof von Mainz. 177 Die von ihm geforderte Rückgabe
des Territoriums wäre für das Lager Dieburg von einschneidender Bedeutung
gewesen. Für das Leben aller jüdischen DPs in Dieburg hätte die Räumung den
Verlust des zentralen gemeinschaftlichen Raums nach sich gezogen. Noch
schwerwiegender wurde sowohl aus Sicht der DPs als auch von Seiten der US-
Verwaltung die daraus resultierende Problematik angesehen, die im Konvikt
untergebrachten DPs auf andere Räume zu verteilen. Die bereits beschlag-
nahmten Anwesen waren voll belegt, die Wohnraumsituation ohnedies ange-
spannt. Ein weiteres Konfiszieren privater Räumlichkeiten wurde daher als be-
denklich eingestuft:
„Since 54 houses are now being used in Dieburg by the occupants of this camp,
it is believed that the requisitioning of the 25 to 30 additional homes to house the
people to be evicted from the Convent, will cause a serious security control problem.“
178
Es wurde mit erheblichem Widerstand der einheimischen Bevölkerung gerech-
net. Bereits das Gerücht der möglichen Rückgabe des Konvikts an die katholi-
sche Kirche und eine damit einhergehende Einquartierung der dort lebenden
jüdischen DPs in der Stadt verursachte in der Bevölkerung eine panikartige
Stimmung, wie es in einem Bericht heißt. 179 Über mehrere Monate beherrschte
die Raumfrage die interne Berichterstattung über das Lager Dieburg. Verhand-
lungen wurden zwischen allen Beteiligten geführt. In Vertretung der Stadt Die-
burg wurden deren Bürgermeister und der katholische Pfarrer beim Bischof von
Mainz vorstellig. 180 Der zunächst angesetzte Termin der Räumung (01. Sep-
tember 1947) wurde auf deren Drängen um zwei Monate auf den 01. November
des Jahres verschoben. Die amerikanischen Militärbehörden hingegen änder-
meister Steinmetz an Finanzamt Dieburg, ‘Beschlagnahme von kirchlichem Eigentum und Vermögen’
vom 18. Oktober 1945.
177 NARA 466 250 / 84 / 27 / 6, box 8, Periodic Report vom 21. März 1947, S. 3f. Hier heißt es:
„The UNRRA director states that the bishop of Mainz has demanded the return of the Dieburg
convent now housing over 200 Jewish DP’s and the clothing and food supplies for entire local
DP population.“
178 NARA 466 250 / 84 / 27 / 6, box 8, Periodic Report vom 21. März 1947, S. 3f. Vgl. dazu auch
YIVO LWSP 488.5 / 33 / 868, AJDC Monthly Report Juni 1947.
179 NARA 466 250 / 84 / 27 / 6, box 8, Periodic Report vom 02. Mai 1947, S. 2. Hier heißt es
wörtlich: „Local citizens are panic-stricken by the thought of the convent being turned back to
the Bishop of Mainz, and the 250 Jewish DPs located there, being billeted in town.“
46

ten ihre zunächst ablehnende Haltung und bestimmten gar ein früheres Datum:
Während noch im Mai 1946, aufgrund der zu erwartenden Probleme im Zuge
der Räumung des Konvikts, die katholische Kirche auf Ausweichmöglichkeiten
hingewiesen wurde, 181 scheint im Verlaufe des Sommers die Unvermeidbarkeit
der Rückgabe seitens der Militärverwaltung anerkannt worden zu sein. Man
favorisierte nun den 15. August 1947 als Räumungstermin, da zu dieser Zeit
noch mit warmer Witterung zu rechnen sei. 182 Zudem ging man nun davon aus,
die meisten der das Konvikt bewohnenden DPs in den bereits vorhandenen
Quartieren unterbringen zu können. Die Betroffenen selbst schätzten die Lage
hingegen anders ein. Abgeordnete der Lagerverwaltung machten bei einem
Treffen mit Vertretern der amerikanischen Militärbehörden deutlich, die aktuell
etwa 120 Bewohner des Konvikts könnten unmöglich auf die in Dieburg mo-
mentan belegten Räumlichkeiten verteilt werden. Eine Verlegung von Teilen der
Lagergemeinschaft in andere Lager wurde grundsätzlich abgelehnt. Dabei wur-
de immer wieder auf den Umstand hingewiesen, dass sich das Problem in we-
nigen Monaten von selbst gelöst haben würde, da man ja bestrebt sei, Deutsch-
land schnellstmöglich den Rücken zu kehren. 183 Bei einer am 07. August 1947
einberaumten Versammlung der jüdischen DPs unter der Leitung des Lagerrats
wurde der Protest gegen die bevorstehende Evakuierung formuliert. Während
die Veranstaltung allgemein sehr sachlich verlief, ließen die Verantwortlichen
doch keinen Zweifel daran, dass man sich einer Zwangsräumung mit allen Mit-
teln widersetzen werde. 184 Die Vertreter der amerikanischen Militärverwaltung
nahmen diese Äußerungen ernst. Noch frisch waren die Erinnerungen an die
Schwierigkeiten, die der gleiche Personenkreis rund um die Belegung des La-
gers Babenhausen verursacht hatte. 185 Erneut wurden Verhandlungen aufge-
nommen. Am 08. September 1947 schließlich gab der Bischof von Mainz nach
180
Vgl. dazu den Brief des Bischofs von Mainz vom 06. August 1947 an Captain Kenny, MG
Wiesbaden. Eine Kopie dessen wurde mir freundlicher Weise von Frau Anette Neff aus ihrem
privaten Archiv zur Verfügung gestellt.
181
NARA 466 250 / 84 / 27 / 6, box 8, Periodic Report vom 09. Mai 1947, S. 4. Drei Ausweichstätten
in Königstein, Hadamar und Fulda wurden genannt.
182
NARA 466 250 / 84 / 27 / 6, box 8, Periodic Report vom 25. Juli 1947. Der Termin wurde
nach einem Treffen zwischen PIRO, MG und S-5 Darmstadt Post bekannt gegeben.
183
NARA 466 250 / 84 / 27 / 6, box 8, L&SO Landkreis Dieburg, Information Report # 73 vom
01. August 1947.
184
RG 466 250 / 84 / 27 / 6, box 8, L&SO Landkreis Dieburg, Information Report # 81 vom 09.
August 1947 unter der Überschrift ‘Jewish DP Housing Problem’. Vgl. auch Periodic Report
vom 25. Juli 1947, S. 2.
185
Vgl. NARA 466 250 / 84 / 27 / 6, box 8, Telegramm vom L&SO Landkreis Dieburg an OMGH
Chief Intelligence, Eingangsstempel 16. März 1948.
47

einer Unterredung mit einer Vertreterin des PCIRO und einem Vertreter der
Landesregierung das Versprechen, den jüdischen DPs den Aufenthalt im Kon-
vikt Dieburg bis Ostern 1948 zu garantieren. 186 Von neuen Beschlagnahmun-
gen konnte so abgesehen werden.
Jüdische DPs im Schloss Fechenbach
Auch das unweit des Marktplatzes gelegene Schloss Fechenbach war mit jüdi-
schen DPs belegt. Es diente einerseits als Unterkunft, bot andererseits bis Juli
1947 der Lagersynagoge Raum 187 und war zugleich Ort für (religiöse) Feste 188 .
Von besonderer Brisanz war das Territorium, da es während der Zeit des Nati-
onalsozialismus von der örtlichen NSDAP genutzt wurde. Bei Umbauarbeiten
1942 wurde die eher schlichte Eingangstreppe durch eine monumentale Frei-
treppe ersetzt. 189 Wie Mitte 1947 festgestellt wurde, hatte man dazu mehrere
hundert Grabsteine aus Sandstein vom jüdischen Friedhof der Stadt entweiht
und verwendet. Diese wurden nach ihrer Entdeckung entfernt und am 08. Ja-
nuar 1948 schließlich in einer feierlichen Prozession, an der deutsche und
amerikanische Offizielle sowie die gesamte Lagerbelegung teilnahmen, an ihren
ursprünglichen Ort zurückgeführt. 190
Religiöser Raum im Herzen der Stadt
186
NARA 466 250 / 84 / 27 / 6, box 8, L&SO Landkreis Dieburg, Information Report # 118 vom
12. September 1947. Die Gesprächspartner waren Frau Peiser, PCIRO community director,
und Staatskommissar Dr. Kurt Eppstein. Noch im Juni 1948 war das Konvikt von jüdischen DPs
belegt, wie aus einem Schreiben von Bürgermeister Steinmetz an Landrat Ritzert vom 07. Juni
1948 hervorgeht, Stadtarchiv Dieburg A 4677. Darin heißt es wie folgt: „Ich bin grundsätzlich
der Auffassung, dass das Konvikt zurück- bzw. freigegeben werden soll; lehne es allerdings ab,
auch nur einen qm. Wohnraum seitens der Stadt für evtl. umzuquartierende jüdische Familien
zur Verfügung zu stellen. Es ist Sache der Militärregierung, diesen Knoten zu lösen bzw. die
Juden an einem anderen Ort unter zu bringen.“ Der genaue Termin der Räumung lässt sich
anhand des eingesehenen Quellenmaterials nicht rekonstruieren.
187
YIVO LWSP 488.5 / 33 / 868, AJDC Monthly Report Juni 1947. Hier wird nur allgemein eine
„synagoge in the Schloss“ genannt. Da im Zusammenhang mit der jüdischen Belegung in keiner
Quelle eines der beiden anderen Dieburger Schlösser Erwähnung findet, das Schloss Fechenbach
zudem häufiger nur als ‘Castle’ bezeichnet wird, kann man mit gutem Grund davon
aus gehen, dass es sich folglich um das Schloss Fechenbach handelte, zumal Schloss Stockau
in den Belegungslisten beschlagnahmten Raums nur mit dem Vermerk ‘Lagerräume’ genannt
wird (vgl. Anhang 8).
188
YIVO DPG 1042 / 73 / 189. Einladung zu einem „Chanuka“-Abend am 17. Dezember 1946.
189
Vgl. Abbildung im Anhang 10.
190
Ein ausführlicher Bericht über die Geschichte der Grabsteine findet sich unter HStAD,
OMGUS 8/3 - 3/4 (2 von 4), ‘Tombstones from the Jewish Cemetry of Dieburg’ vom 13. Januar
1948. Vgl. auch ebenda, ‘Consecreation of the tombstones of the Jewish cemetry’ vom 08. Januar
1948 sowie Stadtarchiv Dieburg A 4677, Schreiben des Landrats des Kreises Dieburg,
‘Grabsteine des jüdischen Friedhofs’ vom 19. Dezember 1947.
48

Einen Meilenstein in der Geschichte des jüdischen DP-Lagers Dieburg verkör-
perte die Wiedereinweihung der Dieburger Synagoge. In den Wochenberichten
der amerikanischen Militärbehörden wurde auf die Bedeutung dieses Ereignis-
ses bereits im Vorfeld hingewiesen. 191 Ende Juli 1947 fand die offizielle Wieder-
eröffnung der direkt am Marktplatz gelegenen Räumlichkeiten statt. Das Got-
teshaus, auch Neue Synagoge genannt, ersetzte seit 1929 das an gleicher Stel-
le errichtete, baufällige Gebäude der Alten Synagoge (1869 erbaut). 192 Die Is-
raelitische Religionsgemeinde Dieburg war bis 1938 Eigentümer sowohl des
Gebäudes als auch des Grundstücks (heute Marktplatz 17), konnte aber den im
Zuge des Neubaus entstandenen finanziellen Verpflichtungen seit Anfang der
1930er Jahre nicht nachkommen. Die Gemeinde Dieburg erwarb das Gelände
schließlich bei einer Zwangsversteigerung am 12. November 1938. Das bereits
schwebende Verfahren der Zwangsversteigerung und die Absicht des Kaufs
durch die Stadt kann als (ein) Grund für die geringe Zerstörung während der
Reichspogromnacht angesehen werden. Es wurde lediglich die Inneneinrich-
tung zerstört, von einer Brandschatzung aber abgesehen. Das äußere Erschei-
nungsbild der Synagoge blieb erhalten, nur der in die Fassade eingelassene
Thoraschrein wurde 1939 abgerissen und an seiner Stelle Fenster in die zum
Marktplatz gewandte Front gefügt. 193 Während des II. Weltkriegs vermietete die
Gemeinde Dieburg das Territorium an den Reichsarbeitsdienst, der die Räum-
lichkeiten als Lager und Werkstätten nutzte.
Im Frühjahr 1947 entschieden die US-Militärbehörden, die Synagoge wieder
gemäß ihrer ursprünglichen Funktion herzurichten und den in Dieburg lebenden
jüdischen DPs zu religiösen Zwecken zur Verfügung zu stellen. 194 Am 03. April
1947 begannen umfangreiche Renovierungs- und Rekonstruktionsarbeiten im
Werte von 50.000 Reichsmark, die erst kurz vor der Wiedereinweihung beendet
werden konnten. 195 Etwa zweitausend Gäste verfolgten am 29. Juli 1947 den
191
NARA 466 250 / 84 / 27 / 6, box 8, Periodic Report vom 25. Juli 1947. Mit 2.000-3.000 Gästen
wurde gerechnet, die Teilnahme von Dr. Newman, Direktor des OMGH wird angekündigt.
192
Zur Geschichte der Dieburger Synagogen vgl. ausführlich Keim, Günther: Beiträge zur Geschichte
der Juden in Dieburg. Dieburg 1993, Kapitel 4, S. 145-184, insbesondere S. 158ff.,
worauf die nachfolgenden Ausführungen beruhen.
193
Vgl. Abbildung im Anhang 11.
194
Vgl. Stadtarchiv Dieburg A 4679, verschiedene Dokumente, die Beschlagnahme und Wiederherrichtung
der Synagoge betreffend.
195
NARA 466 250 / 84 / 27 / 6, box 8, Information Report # 69 vom 31. Juli 1947.
49

feierlichen Transfer der Thorarollen vom Schloss in die Synagoge. Der Direktor
des OMGH, Dr. Newman, war zugegen und öffnete symbolisch die Tore. 196 Un-
ter den Besuchern der Feierlichkeiten befanden sich neben jüdischen DPs auch
Abordnungen jüdischer Organisationen sowie US-Soldaten und Offiziere. In
Vertretung des hessischen Ministerpräsidenten überbrachte Regierungspräsi-
dent Prof. Dr. Bergsträßer Glückwünsche der Landesregierung, wie einem der
seltenen Presseartikel bezüglich des jüdischen DP-Lagers zu entnehmen ist. 197
Über die Teilnahme der einheimischen Bevölkerung sind keine Angaben über-
liefert. Allerdings geht aus einem Sonderbericht anlässlich der Zeremonie her-
vor, dass die jüdische Lagerpolizei, die für die Sicherheit vor Ort verantwortlich
war, zunächst Schlagstöcke tragen wollte, um vermeintlichen Übergriffen auf
die wertvollen Thorarollen zuvorkommen zu können. 198 Erst mäßigendes Ein-
wirken durch Vertreter der amerikanischen Militärverwaltung mit dem Verweis
auf die anwesende Militärpräsenz und den friedvollen Charakter der Veranstal-
tung konnte dieses Vorhaben verhindern. In den Quellen werden keine Hinwei-
se auf Zwischenfälle erwähnt.
3.1.4 Die Lagerterritorien im Vergleich
Vergleicht man die unterschiedliche räumliche Anordnung der beiden jüdischen
DP-Lager in Babenhausen und Dieburg, so sind deutliche Unterschiede er-
kennbar. Das Territorium des jüdischen DP-Lagers Babenhausen war über das
Kasernengelände klar definiert. Wie geschildert war zudem eine räumliche
Trennung zwischen der Kaserne und der eigentlichen Stadt Babenhausen
schon vor der jüdischen Belegung gegeben. Trotz zeitweise regem Kontakt
zwischen den Bewohnern des Territoriums und der einheimischen Bevölkerung,
weist die Geschichte der Kaserne zu keiner Zeit eine längerfristige zivile oder
gar private Nutzung des Raumes auf. Die fremde (im Sinne von nicht einheimi-
sche) Bestimmung über Art und Weise der Belegung des Territoriums wurde
seitens der Stadt Babenhausen nicht in Frage gestellt. Die ausführlich darge-
stellten Konflikte bei der Belegung des Territoriums, in die die ortsansässige
Bevölkerung nicht involviert war, forcierten die Überlegungen seitens der ameri-
kanischen Militärverwaltung bezüglich der Errichtung eines anders angeordne-
196 Ebenda.
197 ‘Neue Synagoge in Dieburg’, Darmstädter Echo vom 02. August 1947. Bezüglich des DP-
Lagers ist hier von ‘Verschlepptenlager’ die Rede.
50

ten Lagers, wie es dann in Dieburg verwirklicht wurde. Für das Lager Baben-
hausen hatten die Konflikte Auswirkungen auf die Auslastung des Lagers und
bedingt auf dessen interne Gestaltung - änderten aber nichts an dessen ge-
schlossener Anordnung.
Ganz anders stellte sich die territoriale Situation in Dieburg dar. Die Lagerin-
sassen waren auf diverse Territorien verteilt, es existierte nicht ein geschlosse-
ner, von außen klar definierter Lagerraum. Die Anordnung der Territorien er-
streckte sich zudem verstreut über das Stadtgebiet. Zentrale Räumlichkeiten
des Lagers, wie Synagoge und Schloss Fechenbach, lagen im Zentrum der Alt-
stadt. Weiterhin unterschied sich die Art und Weise der Unterbringung der jüdi-
schen DPs deutlich von der in Babenhausen. Gerade die Unterbringung einzel-
ner Familien in ihnen zugewiesenen Wohnungen und Häusern in direkter Nach-
barschaft zur einheimischen Bevölkerung war auffallend. Während in Baben-
hausen die Belegung des Kasernengeländes kaum Konfliktpotential erkennen
lässt, war die Beschlagnahmung privater und kirchlicher Territorien weitaus um-
strittener. Die symbolische Bedeutung des Hauses, wie sie von Bollnow be-
schrieben wird, war sowohl für das Selbstverständnis der jüdischen Familien als
auch für die Wahrnehmung ihrer in der einheimischen Bevölkerung von Bedeu-
tung - worauf noch einzugehen sein wird. Einzelne DP-Familien verfügten über
‘eigenen’ Raum. Zwei sehr unterschiedliche Quellen belegen, dass dies schon
von den Zeitgenossen als keineswegs selbstverständlich angesehen wurde. In
der in München erscheinenden Zeitung ‘Zionistische Stimme’ erschien am 06.
März 1947 der Artikel ‘Dieburg einmal und heute’. Als Autor der Zeilen wird ein
Schlomo Winter, vermutlich Lagerinsasse des Lagers Dieburg, angeführt. Die-
ser verweist nicht nur auf die besondere Struktur der Belegung des Lagers,
sondern auch dezidiert auf die besonderen räumlichen Umstände der Unter-
bringung:
„Ein Drittel der Lagerbewohner sind kleine Kinder. Deshalb wird unser Lager
‘Kinderlager’ genannt. Alle wohnen in Privatwohnungen. Jede Familie wohnt für
sich außer in einem Konvikt, wo in drei Zimmern ein paar Familien zusammen
198 NARA 466 250 / 84 / 27 / 6, box 8, Information Report # 68 vom 31. Juli 1947.
51

wohnen; die Wohnungen sind entsprechend aufgeteilt, und zwar so, daß auch
dort jede Familie beisammen lebt.“ 199
Für die zuvor zumindest für kurze Zeit in Babenhausen untergebrachten Famili-
en waren die nun vorgefundenen Räumlichkeiten in Dieburg von anderer Quali-
tät. Von Privatsphäre hatte in den Sammelunterkünften des Kasernengeländes
kaum die Rede sein können. Auch die Erfahrungen aus anderen Lagern (wie
etwa in Landshut) führten sicher dazu, dass das Zusammenleben einzelner
Familien als besonders erwähnenswert empfunden wurde. Es soll hier keines-
wegs der Eindruck vermittelt werden, den jüdischen DPs sei in Dieburg durch
die territoriale Anordnung der (ihnen immer noch zugewiesenen) Räume ein
‘normales’ Leben ermöglicht worden. Doch war es gerade die räumliche Struk-
tur und die aus ihr resultierenden Wohnverhältnisse, die das Lager Dieburg
grundsätzlich von seinem Pendant in Babenhausen unterschied. Daher dürften
die „sehr günstigen Bedingungen“, die in der folgenden Passage aus dem be-
reits zitierten Bulletin der amerikanischen Militärverwaltung von 1948 Erwäh-
nung finden, auf die räumliche Situation im DP-Lager Dieburg anspielen:
„While conditions in the Dieburg ‘camp’ compare very favorably with other camps
in the Zone, DPs there are certainly not leading a normal existence.“ 200
Die verwendeten Anführungszeichen unterstreichen, dass die Verhältnisse des
Lagers Dieburg nur schwer mit der Vorstellung in Einklang zu bringen war, die
der Verfasser der Zeilen selbst mit dem Begriff ‘Lager’ assoziierte. Die räumli-
che Struktur des Lagers Dieburg wurde also schon von Zeitgenossen als be-
sonders aufgefasst. Inwieweit sie zu einer differierenden Wahrnehmung durch
die einheimische Bevölkerung im Gegensatz zu der in Babenhausen führte,
wird im zweiten Hauptteil dieser Arbeit untersucht werden.
199 Deutsche Übersetzung des im Original hebräischen Textes nach Kohlmannslehner, Dieter /
Lange, Thomas: Nach 1945 - ein neuer Anfang? In: Lange, Thomas (Hg.): „L’chajim“. Die Geschichte
der Juden im Landkreis Darmstadt-Dieburg. Reinheim 1997, S. 271-337, S. 300.
200 Troop I&E Bulletin, vol.3, no.19, Troop Information Program 9 May 1948, S. 14.
52

3.2 Die Territorien der Nationaltschechenlager
Sowohl in Babenhausen als auch in Dieburg gab es eine weitere, mehrere hun-
dert Personen umfassende Gruppe, die sich im Untersuchungszeitraum in La-
gern aufhielt. Es handelte sich um Nationaltschechen 201 , die auf Grund der poli-
tischen Verhältnisse in der Tschechoslowakischen Republik nach Westen ge-
flohen waren. Ihr rechtlicher Status war zunächst unklar. Obwohl die amerikani-
schen Militärbehörden ihnen Zuflucht in der US-Zone gewährten, erteilten sie
ihnen nicht automatisch den DP-Status. Dieser hätte das Übernehmen von Un-
terbringung und Versorgung durch die IRO nach sich gezogen, was man zu
verhindern suchte. Vielmehr sollte die deutsche Verwaltung, ähnlich wie für die
deutschen Flüchtlinge, für diese spezielle Gruppe politischer, ausländischer
Flüchtlinge, die sehr wohl unter die erweiterte Fassung des DP-Begriffes fielen,
die Verantwortung tragen. Zu dieser Verantwortung zählte die Bereitstellung
von geeigneten Räumen, die sich - ob der allgemeinen Raumnot einerseits so-
wie den zu erwartenden Konflikten insbesondere mit den zahlreichen Sudeten-
deutschen andererseits - als schwierig herausstellen sollte, wie anhand der fol-
genden Beispiele zu zeigen sein wird.
3.2.1 Die Herkunft der Nationaltschechen - Gründe der Flucht
Mitte Februar 1948 kam es in der Tschechoslowakischen Republik zu einer
Staatskrise, in deren Folge die Regierung der Nationalen Front abgelöst und
eine kommunistische ‘Volksdemokratie’ implementiert wurde. 202 Bis zum Som-
mer 1947 leistete die Regierungskoalition in Prag konstruktive Arbeit. Bürgerli-
che Parlamentarier bezogen offen gegen „kommunistische Willkürmethoden“ 203
Stellung. Im Juli 1947 entschied sich die Regierung - unter sowjetischem Druck
- durch die Unterzeichnung eines fünfjährigen Handelsvertrages mit der UdSSR
gegen eine zuvor denkbare Anlehnung an den Westen. Der Streit über die Kon-
trolle der Polizei und damit über die Sicherstellung freier Wahlen führte zur Es-
201 Im deutschsprachigen Aktenmaterial wird überwiegend die Bezeichnung ‘Nationaltschechen’
verwendet. In den Berichten der englischsprachigen Organisationen (amerikanische Militärbehörden,
IRO) ist von ‘Czech nationals’, aber auch von ‘Czechoslovakian Refugees’, ‘Czechs’
oder ‘Czech refugees’ die Rede. Letztere Bezeichnung findet sich auch in den Selbstzeugnissen
des Czechoslovakian Democratic Refugees Relief Committees (CDRRC) wieder.
202 Die folgenden Ausführungen beziehen sich, so nicht anders vermerkt, auf die Darstellung
von Hoensch, Jörg K.: Geschichte der Tschechoslowakei. Dritte, erweiterte Auflage Stuttgart /
Berlin / Köln 1992, S. 134-154.
203 Hoensch, Jörg K.: Geschichte der Tschechoslowakei, S. 134.
53

kalation. Die Kommunistische Partei (KPTsch) nutzte die Uneinigkeit der bür-
gerlichen Kräfte. Unter Einbeziehung der Polizei und der unter kommunistischer
Gewalt stehenden Staatssicherheit wurden Demonstrationen aufgelöst und ein
Warnstreik von über zwei Millionen Arbeitern organisiert. Staatspräsident Beneš
kapitulierte unter dem Druck möglicher blutiger Auseinandersetzungen am 25.
Februar 1948 und stimmte einer Umbesetzung des Kabinetts zu. Alle wichtigen
Ressorts wurden fortan von Ministern der KPTsch übernommen, die übrigen
Ministerposten wurden „gefügigen Statisten aus den anderen Parteien“ 204 zuge-
sprochen. Das neue kommunistische Regime, das am 11. März 1948 einstim-
mig von den anwesenden Abgeordneten sanktioniert wurde, verfügte über „die
Legitimation, jede Opposition im Keime zu ersticken und die Gleichschaltung
auf allen Gebieten zu vollziehen.“ 205 Die Anpassung des Grundgesetzes an die
sozialistische Staatsform stellte die Leitung des Landes durch die KPTsch und
deren Sekretariat sicher.
Nichtkommunistische Kräfte wurden aus führenden gesellschaftlichen Positio-
nen verdrängt. Vornehmlich das Besitzbürgertum büßte seinen Einfluss auf Po-
litik, Verwaltung, Militär, Wirtschaft und Kultur ein und bis zum 09. April 1948
wurden allein 4.800 Personen wegen vermeintlicher Unzuverlässigkeit aus dem
Staatsdienst entlassen. Auch Klerus und Wissenschaft blieben nicht verschont.
Wer offen Widerstand leistete, dem drohte die ‘Umerziehung’ in entsprechen-
den Lagern. 206 Zahlreiche Oppositionelle wurden in Schauprozessen abgeurteilt
oder zur Flucht ins Ausland gezwungen. 207 Mehrere tausend Personen über-
querten allein im März und April 1948 die Grenze zur amerikanischen Besat-
zungszone in Deutschland. Direkt nach der Machtübernahme der neuen kom-
munistischen Regierung kamen die meisten Flüchtlinge über die tschechisch-
bayrische Grenze. Erst als dort schärfere Kontrollen installiert wurden, zogen
einige die Flucht über Österreich vor. 208 In den meisten Fällen konnten sie ihre
Heimat nur zu Fuß und mit dem Notwendigsten bepackt verlassen. Sie wurden
204 Hoensch, Jörg K.: Geschichte der Tschechoslowakei, S. 138.
205 Hoensch, Jörg K.: Geschichte der Tschechoslowakei, S. 138.
206 Nach schwer nachzuprüfenden Schätzungen sollen noch 1955 in über 230 Lagern nahezu
240.000 Menschen, 80% davon aus politischen Gründen, einer ‘Umerziehung’ unterworfen
worden sein. Vgl. Hoensch, Jörg K.: Geschichte der Tschechoslowakei, S. 139f.
207 Zahlen bezüglich der politischen Emigration in Folge der Ereignisse im Februar sind überaus
schwer zu belegen. Von etwa 60.000 Emigranten ist bei Hajek, Jiri: Begegnungen und Zusammenstöße.
Erinnerungen des ehemaligen tschechoslowakischen Außenministers. Freiburg
1987, S. 87 die Rede.
208 HHStAW, 649, 8/69 - 1/6 (6 von 8), OMGH, ‘Czech refugees’ vom 29. April 1948, S. 2.
54

von den amerikanischen Grenztruppen nicht zurückgewiesen, sondern als „poli-
tical refugees who requested American protection“ 209 zunächst in bayrische Auf-
fanglager transportiert.
3.2.2 Das Lager der Nationaltschechen in Dieburg
Die Hessische Landesregierung wurde bereits Mitte März 1948 von der ameri-
kanischen Militärverwaltung zur Aufnahme von Nationaltschechinnen und Nati-
onaltschechen aus den überfüllten bayrischen Lagern angewiesen. In einer
Stellungnahme seitens der Landesregierung bezüglich dieser Verfügung wurde
es „als ausgleichende Gerechtigkeit“ anerkannt, „wenn Deutschland nach den
Jahren Hitlerscher Eroberungspolitik den politisch Verfolgten Europas Schutz
und Hilfe gewährt“. 210 Allerdings sei das Land Hessen dazu materiell nicht in
der Lage. Einerseits könne man die Versorgung mit notwendigsten Bedarfsgü-
tern nicht sicherstellen, andererseits könne der Bevölkerung eine neuerliche
Belegung von Raum nicht vermittelt bzw. zugemutet werden. Insbesondere die
in großer Zahl anwesenden Sudetendeutschen werden als Konfliktpotential an-
geführt. Gerade das räumliche Aufeinandertreffen dieser beiden Gruppen müs-
se unter allen Umständen vermieden werden. Eine mögliche „Einweisung der
Tschechen in Privatquartiere“ wird als „mehr als bedenklich“ 211 eingestuft. Man
sei gewillt, sich mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln gegen die Aufnahme
der Nationaltschechen zu wehren. Der hessische Ministerpräsident Stock wand-
te sich persönlich an den Direktor der Militärregierung für Hessen. 212 Er machte
deutlich, dass es seiner Ansicht nach keine gesetzliche Grundlage gäbe, die
Hessen laut seiner Verfassung zu einer Aufnahme „politischer Flüchtlinge
tschechischer Staatsangehörigkeit“ verpflichte, da diese nicht nach Hessen,
sondern nach Bayern geflohen wären. Als mögliche Alternative empfahl er, an-
dere europäische Länder einzubeziehen, da in Hessen „die Wohnraumdichte
[...] die Grenze des Erträglichen nicht nur erreicht, sondern in vielen Fällen
schon überschritten“ habe. Doch war die hessische Regierung nicht in der Posi-
209
HHStAW, 649, 8/69 - 1/6 (6 von 8), CDRRC, ‘Chronological Report of Organization for
Czech Relief’ vom 30. April 1948.
210
HHStAW, 503 Nr. 104a, Minister für Arbeit und Wohlfahrt, ‘Gewährung des Asylrechtes für
nationaltschechische Flüchtlinge in der amerikanischen Zone’ vom 24. März 1948.
211
HHStAW, 503 Nr. 104a, Minister für Arbeit und Wohlfahrt, ‘Gewährung des Asylrechtes für
nationaltschechische Flüchtlinge in der amerikanischen Zone’ vom 24. März 1948.
212
HHStAW, 649, 8/69 - 1/6 (7 von 8), ‘Asylrecht für Ausländer’, der hessische Ministerpräsident
Stock an den Direktor der Militärregierung für Hessen, Herrn Dr. James Newman, vom 10.
April 1948.
55

tion, dieser Haltung ausreichend Nachdruck zu verleihen. Schon Ende März
1948 trafen die ersten Transporte von Nationaltschechen in Hessen ein. Da
eine Trennung der Klientel von der einheimischen Bevölkerung als unumgäng-
lich angesehen wurde 213 und man zudem den Unmut der Bevölkerung bei zu-
sätzlicher Räumung von Privathäusern fürchtete, stellten die hessischen Be-
hörden mangels Alternativen Schulgebäude als Lager für die Ankömmlinge zur
Verfügung. 214 Als erste Aufnahmestätten wurden Burg (nahe Wiesbaden) und
Dieburg bestimmt. 215 Am 26. März 1948 erreichte ein erster Transport mit etwa
dreihundert Tschechen, aus Regensburg per Zug kommend, die Stadt Die-
burg. 216 Als Unterkunft wurde das am Stadtrand in der Nähe des Bischöflichen
Konviktes gelegene Gymnasium 217 nebst Turnhalle bereitgestellt. In den Räum-
lichkeiten des Komplexes warteten zuvor einige ausländische Flüchtlinge aus
Südosteuropa auf ihren Weitertransport. 218 Das Territorium erfüllte somit die
Bedingung, keinen privaten Wohnraum zwangsweise zu belegen. Die offizielle
Bezeichnung des Territoriums lautete ‘Regierungsdurchgangslager Dieburg’.
Nach einem zweiten Transport Mitte April drängten sich über 350 Menschen in
den Räumen des Gymnasiums, in großer Mehrzahl Männer. 219 Die Unterkunft
war für eine derartige Belegung kaum geeignet. In einem Raum schliefen über
neunzig Personen. Der einzige Waschraum des Hauptgebäudes verfügte über
lediglich zwei Kaltwasserhähne und auf den Fluren gab es keine Toiletten. 220
Die Lebensbedingungen waren äußerst provisorisch, bestanden im Wesentli-
chen aus deutschen sowie amerikanischen Feldbetten, Decken, in einigen Fäl-
len auch Matratzen. An Privatsphäre war nicht zu denken, wie aus einem inter-
nen amerikanischen Bericht über die Raumsituation im Lager hervorgeht:
213 Vgl. ebenda. Stock verweist in seinem Schreiben auf Erfahrungen in Marktredwitz/Bayern,
die gezeigt hätten, „dass es untunlich erscheint, z.B. tschechische Staatsangehörige neben
Sudetendeutsche anzusiedeln. Wie mir bekannt wurde, sind in diesem Ort ankommende Nationaltschechen
von dort angesiedelten Sudetendeutschen niedergeschlagen worden.“
214 Vgl. dazu auch HHStAW, 649, 8/69 - 1/6 (6 von 8), CDRRC, ‘Chronological Report of Organization
for Czech Relief’ vom 30. April 1948, S. 1.
215 Vgl. HHStAW, 649, 8/69 - 1/6 (6 von 8), OMGH, ‘Czech Refugees’ vom 29. April 1948.
216 Die in den Unterlagen nachzuvollziehenden Transportzahlen differieren zwischen 298 und
310, vgl. etwa HHStAW, 649, 8/69 - 1/6 (8 von 8), OMGH, ‘Report on inspection trip to Dieburg
Refugee Camp and meeting at Liaison & Security Office, Dieburg, on 30 March 1948’ vom 02.
April 1948 sowie diverse Berichte unter HHStAW, 649, 8/69 - 1/6 (6 von 8).
217 Vgl. Abbildung im Anhang 11.
218 Vgl. Unterlagen dazu in HHStAW, 503 Nr. 104b.
219 HHStAW, 649, 8/69 - 1/6, ‘IRO Field Visit Report, Installation: Dieburg, Czechoslovakian
Refugees’ vom 17. Mai 1948. Die 350 Insassen wurden folgendermaßen aufgeschlüsselt: 232
Männer, 58 Frauen; 60 Personen unter zwanzig Jahre alt, davon 4 jünger als ein Jahr.
220 Ebenda.
56

„They are, however, quite crowded. There is absolutely no privacy, or semblance
thereof, at the Camp. At long last, we do have them separated - families living in
a room, single men in a room, and single woman in a room.“ 221
Das Lagerterritorium war über das Schulgelände klar definiert. Es gab aller-
dings keine besondere Bewachung des Anwesens. Die Sicherheitslage wurde
allgemein als unproblematisch angesehen, da durch die ‘Kasernierung’ 222 der
tschechischen Flüchtlinge möglichen Konflikten weitest gehend aus dem Wege
gegangen werden konnte. Während die medizinische Versorgung - ein tsche-
chischer Arzt wurde von einem deutschen Kollegen und drei bis vier Kranken-
schwestern unterstützt 223 - im Lager stattfand und scheinbar keinen Grund zu
Beanstandungen darstellte, war die Versorgung mit Nahrungsmittel ständiger
Quell für Beschwerden. Neben Menge und Qualität der von den deutschen Be-
hörden zur Verfügung gestellten Nahrung wurde ein die räumliche Struktur des
Lagers betreffender Umstand immer wieder bemängelt: Das Fehlen von Koch-
möglichkeiten innerhalb des Territoriums. Sämtliches Essen wurde von der Ge-
fängnisküche der Dieburger Haftanstalt zubereitet und in fertigen Portionen ge-
liefert. 224 Während die Nationaltschechen diesen Sachverhalt als unannehmba-
re Gängelung ansahen, wurde seitens der deutschen Behörden wiederholt dar-
auf hingewiesen, dass zum einen keine finanziellen und materiellen Mittel zur
Installierung einer geforderten Lagerküche zur Verfügung stünden, zum ande-
ren das Territorium schnellst möglich seinem eigentlichen Zweck zurückzufüh-
ren sei und ein solches Unterfangen aus diesem Grund keinen Sinn ergebe. 225
Die Bewertung der Lagerbedingungen seitens der Lagerinsassen unterschied
sich elementar von der der zuständigen deutschen Behörden. Letztere machten
deutlich, dass es um die Lebensumstände der Lagerbewohner besser gestellt
221
NARA 466 250 / 84 / 27 / 6, box 8, OMGH ‘Information Report # 188’ vom 28. Mai 1948.
222
Im oben bereits erwähnten IRO-Bericht wird das Schulgebäude fälschlicher, wenngleich
bezeichnender Weise als Kaserne bezeichnet, vgl. HHStAW, 649, 8/69 - 1/6, ‘IRO Field Visit
Report, Installation: Dieburg, Czechoslovakian Refugees’ vom 17. Mai 1948.
223
HHStAW, 649, 8/69 - 1/6, ‘IRO Field Visit Report, Installation: Dieburg, Czechoslovakian
Refugees’ vom 17. Mai 1948.
224
Ebenda. Darin auch die genaue Aufstellung eines zehntägigen Speiseplanes mit Art und
Menge der den Lagerinsassen zur Verfügung stehenden Lebensmittel.
225
Vgl. dazu HHStAW, 649, 8/69 - 1/6 (6 von 8), OMGH, ‘Report on conference of Mrs. Mattingly,
Chief Refugee Section with Mr. Berier, Land Agency for Refugee Affairs’ vom 14. Mai
1948; diverse Beschwerdeschreiben des tschechischen Lagerkomitees und Reaktionen darauf
seitens der deutschen Behörden unter HHStAW, 503 Nr. 104, etwa ‘Beschwerde der Nationaltschechen
wegen Unterbringung in Lager Dieburg’ vom 08. Juli 1948 und ‘Das Landesamt für
Flüchtlinge an den Minister für Arbeit und Wohlfahrt, Betreff: Beschwerde der Tschechen in
Dieburg’ vom 12. Juli 1948.
57

sei, als um die vieler deutscher Bürger. Sie äußerten schließlich die Vermutung,
die Nationaltschechen verfolgten mit ihren ständigen Beschwerden lediglich
eine Aufnahme in die Betreuung durch die IRO, von der sie sich eine Verbesse-
rung der Lebensbedingungen erhofften. Tatsächlich kam es zu Verhandlungen
zwischen Vertretern der Nationaltschechen, der amerikanischen Militärbehör-
den, der entsprechenden deutschen Dienststellen und der IRO. Diese fanden
stellvertretend für alle in Hessen untergebrachten tschechischen Flüchtlinge im
Lager Dieburg statt. Hier hatte zuvor auch die konstituierende Versammlung
des Czechoslovakian Democratic Refugees Relief Committees (CDRRC) statt-
gefunden, dessen Mitglieder sich als die legitime Vertretung aller demokrati-
schen tschechischen Flüchtlinge in der US-Zone ansahen. 226 Die Verhandlun-
gen führten dazu, dass die IRO zusagte, zum 01. August 1948 die Betreuung
der Nationaltschechen zu übernehmen und mittelfristig eine Verlegung in be-
stehende und nicht ausgelastete IRO-Lager zu veranlassen. Für das Lager
Dieburg wurden ab dem 04. August 1948 alle Kosten der IRO in Rechnung ge-
stellt, die zunächst außer für den Sanitätsdienst kein eigenes Personal zur
Betreuung zur Verfügung stellen konnte. 227 Ende September wurde das Lager
Dieburg wie alle weiteren hessischen Lager schließlich aufgelöst. 228 Zukünftig
sollten alle Tschechen an das IRO-Lager Ludwigsburg (Württemberg) verwie-
sen werden. Der Staatsbeauftragte für das Flüchtlingswesen quittiert die Auflö-
sung der Lager an den Minister des Innern gewandt mit folgenden Worten:
„Wie ich Ihnen bereits mitteilte, sind alle Tschechen, nachdem ihnen der D.P.-
Status eingeräumt worden war, aus Hessen abtransportiert worden. Die gesamten
Vorgänge können also zu den Akten genommen werden.“ 229
226
Zum Gründungsakt des CDRRC, seiner personellen Zusammensetzung und seiner selbst
gesteckten Ziele vgl. zahlreiche Dokumente und Protokolle unter HHStAW, 649, 8/69 - 1/6 (6
von 8) und (7 von 8).
227
HHStAW 503 Nr. 104a, Staatsbeauftragter für das Flüchtlingswesen Dr. Nahm an den Chef
der Staatskanzlei vom 09. August 1948, Betr.: Nationaltschechenaufnahme.
228
NARA 466 250 / 84 / 27 / 6, box 8, OMGH ‘Information Report # 239’ vom 13. September
1948.
229
HHStAW 503 Nr. 104a, Staatsbeauftragter für das Flüchtlingswesen Dr. Nahm an den Minister
des Innern, 58/l 20.803/48 vom 08. Oktober 1948, Betr.: Asylrecht für Nationaltschechische
Flüchtlinge.
58

3.2.3 Nationaltschechen in der Kaserne Babenhausen
Nur ein Jahr nach der Verlegung der Nationaltschechen aus den hessischen
Lagern zeichnete sich eine neuerliche Zwangsaufnahme ab. Im September
1949 erreichte die Landesregierung eine Mitteilung, wonach die IRO im kom-
menden Jahr ihre Hilfsmaßnahmen in Deutschland einstellen würde und die
Verantwortung für die in ihrer Betreuung stehenden DPs, also auch für die Nati-
onaltschechen, auf die deutschen Behörden übertragen würde. 230 Bereits ab
Mitte Oktober würden alle neu auf deutschen Boden gelangenden DPs nicht
mehr von der IRO registriert, sondern direkt in die Zuständigkeit deutscher Be-
hörden übergehen. 231 Da sich Bund und Länder die Kosten zu teilen hatten, 232
waren die hessischen Behörden bestrebt, sich einer möglichen Umverteilung
der derzeit in Bayern konzentrierten Tschechen zu widersetzen. Einer Weisung
des Amtes der Amerikanischen Hohen Kommission, der Dienststelle des Lan-
deskommissars für Hessen, mussten sie dennoch Folge leisten. Zunächst
sechshundert Nationaltschechen sollten aus dem VALKA-Lager Nürnberg, einer
weit außerhalb der Stadt Nürnberg gelegenen Barackensiedlung, 233 von Hessen
aufgenommen werden. In einem Bericht des hessischen Innenministeriums wird
darauf verwiesen, dass kein geeignetes Territorium zur Verfügung gestellt wer-
den könne:
„Da die Besatzungsmacht fordert, dass die Tschechen, die [...] aus dem Lager
Valka bei Nürnberg herausgenommen werden, allein in einem Lager sind und -
unter einem Sonderstatut stehend - freie Selbstverwaltung genießen, hat die
Hessische Regierung [...] darauf hingewiesen, dass das an Lagern arme und die
Lagerunterbringung verabscheuende Land Hessen über kein Lager verfügt, das
600 und mehr Tschechen unter den vorgeschriebenen Bedingungen aufnehmen
könnte.“ 234
230 HHStAW 503 Nr. 104a, Staatsbeauftragter für das Flüchtlingswesen Dr. Nahm an den Minister
des Innern, 58/l 25.023/49 vom 29. September 1949. Vgl. dazu auch Jacobmeyer, Wolfgang:
Vom Zwangsarbeiter zum Heimatlosen Ausländer, S. 204ff.
231 HHStAW 503 Nr. 104a, Landeskommissar für Hessen, Newman, an den Hessischen Minis-
terpräsidenten vom 28. Oktober 1949.
232 Die Kosten für die Unterbringung waren zu 75% vom Bund und zu 25% von den Ländern zu
tragen.
233 Der Name VALKA stammt aus der Zeit der baltischen Belegung und rekurriert auf eine zwischen
Litauen und Lettland gelegene Grenzstadt. Zur Geschichte und besonderen Problemlage
dieses Lagers vgl. Schick, Christa: Das VALKA - Lager in Nürnberg. Zu Problemen der Integration
der „heimatlosen Ausländer“ in der frühen Bundesrepublik Deutschland 1950-1954. Erlangen
/ Nürnberg 1983.
234 HStAD H 1 Nr. 4001, Der hessische Minister des Inneren, Wochenberichte der Hauptabteilung
II vom 08.-14. Mai 1950, ‘Die Aufnahme von Nationaltschechen in Hessen’, S. 7f.
59

Ob tatsächlich moralische Gründe und nicht vielmehr die zu erwartende finan-
zielle Belastung (in Verbindung mit dem allgemeinen Unwillen der Unterbrin-
gung der Nationaltschechen) vorrangig anzuführen waren, darf sicherlich be-
zweifelt werden. Die Suche nach einem geeigneten Territorium führte bald nach
Babenhausen. Das dortige Kasernengelände erfülle die geforderten territorialen
Bedingungen, wurde bereits im April 1950 angemerkt. 235 Allerdings nutzte die
IRO die Räumlichkeiten noch, um die Auswanderung von DPs nach Osteuropa
abzuwickeln. 236 Da aber die Zahl der Repatriierungen stetig sank, sich daher
nur wenige Personen auf dem Gelände aufhielten 237 und mit einem markanten
Anstieg der Anzahl kaum zu rechnen war, baten die hessischen Behörden die
zuständige amerikanische Militärverwaltung, die Kaserne für die erwarteten Na-
tionaltschechen zur Verfügung zu stellen. Eine kurzfristig anberaumte Ortsbe-
gehung der Kasernenanlage führte zu gegensätzlichen Reaktionen. 238 Die
deutschen Vertreter waren der Auffassung, man müsse nach einem alternativen
Territorium Ausschau halten, da die IRO lediglich einen Teil des Geländes frei-
geben würde. Dieser sei in einem desolaten Zustand und böte aktuell nicht
mehr als einhundert Personen Raum, da nur eines der offerierten Gebäude
brauchbar wäre. Die Reparatur- und Einrichtungskosten wurden auf 250.000
DM beziffert; die Dauer der Instandsetzungsarbeiten wurde auf mindestens
zwei Monate veranschlagt. 239 Ganz anders bewertete die amerikanische Seite
die Situation. Die Kaserne würde in Teilen zur Verfügung gestellt, mit dem Bau
eines das zukünftige Tschechenlager einfriedenden Zauns sei unverzüglich zu
beginnen. Während sich die deutschen Behörden nach einer Ausweichmöglich-
keit umsahen, machte die amerikanische Militärverwaltung deutlich, dass sie
der deutschen Darstellung nicht folgen könne und keinen weiteren Aufschub
235 HHStAW 502 Nr. 1937, Hessisches Staatsministerium, ‘Übernahme von Nationaltschechen
aus dem VALKA-Lager nach Hessen’, vom 04. April 1950.
236 Nach der Schließung des DP-Lagers Hanau war das ‘Babenhausen Repatriation Camp’
neben dem ‘Butzbach Resettlement Center’ das letzte noch von der IRO unterhaltene DP-Lager
in Hessen. Vgl. dazu Information Bulletin vom September 1950, Reprint in: Office of the US
High Commissioner for Germany (Hg.): Displaced Populations. Welfare, Assistance and Problems
in Germany today. Frankfurt 1950, S. 2.
237 In einer Aktennotiz ist von lediglich 23 im Repatriierungslager Babenhausen sich befindlichen
Ausländern die Rede, vgl. HHStAW 503 Nr. 374, A2/581 - 3659/50, ‘Ausstellung von
Kennkarten für die Ausländer im Repatriierungslager Babenhausen’ vom 19. Juni 1950.
238 Vgl. HHStAW 502 Nr. 1937, ‘Aktenvermerk zur Besichtigung der Babenhäuser Kaserne am
01. Mai’ vom 02. Mai 1950 (wurde Newman zur Ansicht zugestellt) und ‘Brief von James R.
Newman, Land Commissioner for Hesse, an Ministerpräsident Christian Stock’, ebenfalls vom
02. Mai 1950.
239 Vgl. dazu auch ‘Babenhausen ungeeignet’, Allgemeine Zeitung vom 05. Mai 1950.
60

dulde. 240 Neben zwei großen Kasernengebäuden würden ein ehemaliges Offi-
ziershaus, eine Holzbaracke, ein Lagerhaus sowie diverse Stallgebäude ange-
boten, die mühelos sechshundert und mehr Personen Raum böten. 241 Derweil
hatte man sich im Hessischen Innenministerium dazu entschieden, das Durch-
gangslager Bensheim-Auerbach für die Nationaltschechen zu räumen, was in
der Bevölkerung Bensheims vehemente Proteste auslöste. 242 Der Bürgermeis-
ter von Bensheim äußert in einem Schreiben an das Innenministerium sein Un-
verständnis darüber, dass die Gemeindeverwaltung bei dieser wichtigen Frage
nicht konsultiert wurde. 243 Dezidiert verweist er auf die territoriale Unzulänglich-
keit des Lagers als herausragenden Grund gegen eine nationaltschechische
Belegung. Das Lager sei „völlig offen“, es sei keine Kontrolle über Ein- und
Ausgang der Lagerinsassen möglich. Konflikte seien vorprogrammiert, da sich
zahlreiche sudetendeutsche Flüchtlinge in der Gemeinde aufhielten. Die Stadt
habe zudem in der jüngsten Vergangenheit negative Erfahrungen mit „Auslän-
dern im Lager“ gemacht, Delikte wie „Diebstahl, Raub, Plünderungen, Mord“
seien der Bevölkerung in schlechter Erinnerung aus dieser Zeit. 244 Seine Aus-
führungen enden bezüglich der neuen Belegung mit der Bitte, „dieses Unglück
von Bensheim“ abzuwenden. Dem Schreiben beigefügt ist der Beschluss einer
Protestversammlung der Bürgerversammlung Bensheim. Darin wird die ange-
dachte Belegung gleichsam abgelehnt, mehrfach auf die ungeeignete Struktur
des „offenen Lagers“ Bezug genommen und auf die daraus resultierenden Fol-
gen verwiesen. 245 Widerstand regte sich auch aus den Reihen der aktuellen
Lagerinsassen. Die zum größten Teil aus dem Ausland zurückgekehrten DPs,
240
HHStAW 502 Nr. 1937, in einem Brief vom 05. Mai 1950 weist Newman den Ministerpräsidenten
Stock auf die Überschneidung der beiden, die Situation konträr beschreibenden Schreiben
hin.
241
Ebenda.
242
Vgl. ‘600 Tschechen nach Bensheim? Proteste der Bevölkerung’, Darmstädter Echo vom 12.
Mai 1950.
243
HHStAW, 502 Nr. 1937, Interessengemeinschaft der Besatzungsgeschädigten und Bürgermeister
von Bensheim an das Hessische Innenministerium vom 12. Mai 1950. Die folgenden
Zitate entstammen diesem Schreiben. Vgl. auch ‘Bensheims Stadträte gegen Aufnahme von
Tschechen’, Darmstädter Echo vom 13. Mai 1950.
244
Zu den verschiedenen Lagerbelegungen in Bensheim und zur unterschiedlichen Wahrnehmung
derer vgl. Kohlmannslehner, Dietrich / Lange, Thomas: „...wohnen auf der verfluchten
deutschen Erde“ - Jüdisches Leben in Südhessen nach 1945. Darmstadt 1998, S. 33ff., besonders
S. 33. Die angesprochenen Erfahrungen beziehen sich vermutlich auf die Zeit von Sommer
1945 bis Herbst 1946, als mehrere hundert hauptsächlich polnische DPs in Bensheim untergebracht
waren.
245
Dem Schreiben zusätzlich beigelegt ist eine ‘Denkschrift über wirtschaftlichen und sozialen
Notstand in Bensheim’, in der dargelegt wird, dass Bensheim mehr als andere Gemeinden der
Region unter den Kriegsfolgen zu leiden gehabt habe.
61

die seit mehreren Monaten in Bensheim-Auerbach einquartiert waren, 246 wollten
eine Verlegung nach Eschwege vermeiden. Sie boten an, die von ihnen durch-
zuführenden Reparaturarbeiten in Babenhausen zu bewerkstelligen, um mit
ihren Familien in Bensheim verbleiben zu können. Tatsächlich änderte die Lan-
desregierung ihre Absicht und beschloss, nun doch die angebotenen Räumlich-
keiten in Babenhausen herzurichten und die aufzunehmenden Nationaltsche-
chen dort unterzubringen. Ähnlich dem Bensheimer Bürgermeister reagierte
daraufhin der Dieburger Landrat, in dessen Zuständigkeitsbereich Babenhau-
sen lag. Er hatte - wie die Bevölkerung - die Entscheidung über die Belegung
der Kaserne der Presse entnehmen müssen: 247
„Infolge der Zeitungsmeldung hat sich in der Bevölkerung des Kreises Dieburg
und insbesondere in der Gemeinde Babenhausen und der umliegenden Gemeinden
eine begreifliche Aufregung bemerkbar gemacht, die sich in energischen
Protesten ausdrückt. Ich werde hier in meinem Amt bestürmt und man verlangt
von mir, daß ich, genauso wie das in Bensheim geschehen sei, die Einweisung
der Tschechen verhindern soll.“ 248
Im Verlaufe des Schreibens werden auch hier die „zahlreichen Sudetendeut-
schen Heimatvertriebenen“, die im Kreis Dieburg sich aufhielten, als Grund für
mögliche Konflikte angeführt. Allerdings fehlt den Ausführungen das entschei-
dende territoriale Argument: Wie oben beschrieben, bot das Kasernengelände
die Möglichkeit der räumlichen Trennung zwischen Lagerinsassen und einhei-
mischer Bevölkerung. Die Grenzen des Lagers waren zudem leicht kontrollier-
bar. Der Eingabe wurde demzufolge nicht stattgegeben. Ein erster Transport
von 238 Tschechen erreichte am 31. Mai 1950 Babenhausen. 249 Die Räumlich-
keiten waren tatsächlich von freiwilligen Arbeitstrupps aus dem Lager Bens-
heim-Auerbach unentgeltlich hergerichtet worden. 250 Anfang August 1950 war
246
Etwa einhundert aus Belgien, Luxemburg, Holland und Frankreich zurückgekehrte DPs lebten
im zu Anfang des Jahres wieder eröffneten Lager Bensheim-Auerbach. Vgl. dazu HStAD H
1 Nr. 4001, Der hessische Minister des Inneren, Wochenberichte der Hauptabteilung II für die
Zeit vom 08.-14. Mai 1950, ‘Die Aufnahme von Nationaltschechen in Hessen’, S. 7.
247
Vgl. ‘Keine Tschechen nach Bensheim’, Darmstädter Echo vom 16. Mai 1950. In dem Beitrag
auf der Titelseite wird erwähnt, dass sechshundert Tschechen nicht nach Bensheim, sondern
nach Babenhausen gebracht werden.
248
HHStAW, 502 Nr. 1937, Eingabe des Dieburger Landrats an Ministerpräsident Stock vom
16. Mai 1950.
249
HHStAW, 502 Nr. 1937, Brief von Ministerpräsident Stock an Newman vom 10. Juni 1950.
250
HHStAW, 502 Nr. 1937, Brief vom 26. Mai 1950 bestätigt eine, durch die Arbeiten der Bensheim-Auerbacher
Lagerinsassen ermöglichte, derzeitige Kapazität des Lagers von 400 Personen,
die bis zum 10. Juni auf 600 erhöht werden könnte.
62

das Lager nach weiteren Transporten mit sechshundert Insassen voll belegt. 251
Für die Kontrolle des abgegrenzten Territoriums innerhalb des Kasernengelän-
des waren deutsche Sicherheitsbehörden zuständig. Insbesondere als Reaktion
auf heftige Auseinandersetzungen innerhalb des Lagers, 252 wurde eine ständige
Lagerwache installiert. Diese kontrollierte nicht nur den Zugang zum Lager,
sondern war auch - mit Billigung der amerikanischen Behörden - für die innere
Sicherheit zuständig. Über die konkreten Befugnisse dieser Instanz lässt sich
anhand des zur Verfügung stehenden Quellenmaterials leider wenig sagen. Si-
cher ist, dass sie zum Jahresende anlässlich der Lagerräumung von zusätzli-
chen Gendarmeriebeamten unterstützt wurde. 253 Der ursprüngliche Termin für
die früheste Rückforderung des Territoriums durch die amerikanische Militär-
verwaltung (01. April 1951) war kurzfristig auf den 01. Dezember 1950 vorda-
tiert worden. 254 Nach den neuen Plänen sollte das Kasernengelände zum Janu-
ar wieder einer (diesmal amerikanischen) Garnison zur Verfügung stehen. Alle
Bemühungen der hessischen Behörden, die anstehende Räumung zu verhin-
dern, schlugen fehl. 255 Laut Pressebericht 256 wurden am 31. Dezember 1950
die letzten Lagerinsassen unter umfangreichen Sicherungsmaßnahmen mit
Lastkraftwagen und Omnibussen ins Lager Wegscheide (bei Bad Orb) ver-
251
HHStAW, 502 Nr. 1937, verschiedene Vermerke belegen das Anwachsen der Anzahl der
Lagerinsassen auf 349 (16. Juni), 518 (10. Juli), schließlich - mit dem vierten und letzten Transport
- auf 600 (09. August). Als Grund für die langsame Belegung wird die Weigerung der Nati-
onaltschechen angeführt, das VALKA-Lager zu verlassen (Vermerk vom 23. Juni).
252 Vgl. HHStAW, 503 Nr. 374, IX A/1 - 58b 12 - 3555/50 vom 27. November 1950, mehrseitiger
Bericht über ‘Zwischenfälle im Tschechenlager Babenhausen’, der Spannungen zwischen
Tschechen und den (wenigen) Slowaken einerseits, sowie zwischen Lagerinsassen und eigener
Lagerleitung andererseits dokumentiert. Vgl. dazu auch NARA 466 250 / 84 / 27 / 6, box 8,
Information Report # 53 und # 58 from Landkreis Dieburg, ‘Disturbance in Babenhausen Czech
Camp’ vom 28. November und 28. Dezember 1950.
253 HHStAW, 502 Nr. 1937, in Reaktion auf eine Anfrage des Leiters des Regierungsdurchgangslagers
Babenhausen an das Regierungspräsidium Darmstadt vom 27. November 1950 ist
von „zehn erfahrenen Gendarmeriebeamten“ die Rede, die entsandt würden, um den reibungslosen
Ablauf der Auflösung zu gewährleisten. In einem Presseartikel werden „fünfzig aus dem
gesamten Krisengebiet zusammengezogene Gendarmeriebeamte“ erwähnt, vgl. Frankfurter
Rundschau ‘Regierungsflüchtlingslager Babenhausen geräumt’ vom 05. Januar 1951.
254 HHStAW, 502 Nr. 1937, Brief von Newman (Land Commissioner for Hesse) an Hessischen
Ministerpräsident Stock vom 30. Oktober 1950.
255 Vgl. HHStAW, 503 Nr. 374, Hessisches Innenministerium, ‘Verlegung der nationaltschechischen
und slowakischen Emigranten aus der Kasernenanlage in Babenhausen’ vom 09. November
1950. Erneut wird im Zusammenhang mit der drohenden Räumung eine Verlegung
nach Bensheim-Auerbach aus territorialen Gründen abgelehnt, vgl. dazu Regierungspräsident
an Hessischen Innenminister, ‘Versetzung der Tschechen aus der Kaserne in Babenhausen’
vom 27. Oktober 1950. Vgl. auch ‘Hessen verhandelt mit Bonn über Tschechen in Lager Babenhausen’.
In: Wiesbadener Kurier vom 03. November 1950.
256 Frankfurter Rundschau ‘Regierungsflüchtlingslager Babenhausen geräumt’ vom 05. Januar
1951.
63

legt. 257 Das geräumte Territorium wurde den amerikanischen Streitkräften über-
lassen.
3.2.4 Einordnung der Untersuchungsergebnisse
Für die Unterbringung der Nationaltschechen waren territoriale Aspekte von
besonderer Bedeutung. Sowohl in Dieburg als auch in Babenhausen versuchte
man eine Trennung zwischen der einheimischen Bevölkerung und den Lagerin-
sassen über den zur Verfügung gestellten Raum zu gewährleisten. Nur ein ge-
schlossenes Territorium versprach diesbezüglich Erfolg. An eine Belegung von
Privatquartieren war aus den geschilderten Gründen nicht zu denken. Beson-
ders bei dem Verfahren rund um die zweite Unterbringung 1950 wurde deutlich,
dass von den Entscheidungsträgern territoriale Argumente für und wider eine
mögliche Lösung der Raumproblematik angeführt wurden. Desgleichen gilt dies
für die Rechtfertigung des Aufenthalts der Nationaltschechen in Hessen allge-
mein. Nicht nur die Sudetendeutschen Vereinigungen zeigten sich empört über
die Unterbringung der Nationaltschechen. 258 Auch im Hessischen Landtag wa-
ren einzelne Abgeordnete der Auffassung, die bloße Anwesenheit der National-
tschechen sei eine „Verhöhnung der Not der Heimatvertriebenen und ein
Schlag ins Gesicht eines jeden anständigen Menschen“ 259 und forderten die
unverzügliche Ausweisung dieser „lästigen Ausländer“ 260 . Der Hessische Minis-
terpräsident entgegnete, die Landesregierung sei sich der Problematik sehr
wohl bewusst. Er verwies aber zum einen auf den geringen Handlungsspiel-
raum hinsichtlich der amerikanischen Weisung, zum anderen ausdrücklich auf
den mit der Kasernenunterbringung in Babenhausen umgesetzten Anspruch,
257 Aus einem Briefwechsel geht hervor, dass auch in Wegscheide sich Widerstand gegen die
neue Belegung des zuvor von deutschen Flüchtlingen belegten Lagers formierte, HHStAW, 503
Nr. 374. In einem Beschwerdebrief vom 16. April 1951 wird moniert, dass die eigentlich nur
vorübergehend in Wegscheide einquartierten Tschechen das Lager noch nicht verlassen hätten,
sich Diebstähle und Belästigungen von Kurgästen häuften, HHStAW, 502 Nr. 1937.
258 Vgl. etwa HHStAW, 649, 8/69 - 1/6 (8 von 8), Information Report # 156, ‘Czeck Flüchtlinge
Protest’ vom 02. April 1948. Resolution des Verbandes der deutschen Flüchtlinge und Heimatvertriebenen
- Kreis Dieburg. Vgl. auch ‘Heimatvertriebene protestieren gegen Tschechenaufnahme’,
Darmstädter Echo vom 15. Mai 1950.
259 Die hier angeführten Zitate entstammen der Kleinen Anfrage des MdL Alois Marx (CDU)
bezüglich der Nationaltschechen in Bensheim-Auerbach respektive in Babenhausen vom
14./22. Mai 1950, HHStAW, 503 Nr. 374.
260 HHStAW, 503 Nr. 374, Kleine Anfrage des MdL Alois Marx (CDU) bezüglich der Nationaltschechen
in Bensheim-Auerbach und Babenhausen vom 14./22. Mai 1950 .
64

keinen deutschen Wohnraum zu belegen. 261 Das skizzierte Lager auf dem Ge-
lände des Dieburger Gymnasiums entsprach wie das Lager auf dem Kasernen-
gelände in Babenhausen dieser Anforderung. Inwieweit beide Territorien tat-
sächlich das angesprochene Ziel einer räumlichen Trennung zwischen Lagerin-
sassen und einheimischer Bevölkerung erreichten, wird Gegenstand der fol-
genden Ausführungen sein.
4. Identitätsräume
Während der Analyse der territorialen Anordnung der DP-Lager in Anlehnung
an Sack ein eher konkreter Raumbegriff zu Grunde liegt, wird in der Folge bei
der Untersuchung der Wahrnehmung der DPs in den Identitätsräumen Baben-
hausen und Dieburg mit einem eher abstrakten Raumbegriff operiert. Wie ein-
leitend unter Bezug auf Weichhart formuliert, wird dabei eine raumbezogene
Identifikation der einheimischen Bevölkerung - hier mit der Stadt, in der sie le-
ben - vorausgesetzt. Im Zentrum des Erkenntnisinteresses steht die Wirkung
der unterschiedlichen räumlichen Anordnung der behandelten Lager innerhalb
der jeweiligen Identitätsräume.
Auf die wechselhafte Geschichte der Städte Babenhausen und Dieburg - beide
verfügen seit dem 13. Jahrhundert über Stadtrechte - kann im Rahmen dieser
Arbeit nicht ausführlich eingegangen werden. Es seien an dieser Stelle nur eini-
ge, für das Verständnis der bearbeiteten Thematik zentrale Aspekte genannt.
Beide Städte verfügten im behandelten Zeitraum noch über ein geschlossenes
Stadtbild. 262 Babenhausen zählte im Jahr 1950 etwa 3.900 Einwohner - die mit
650 Personen angegebene Belegung der Kaserne wurde bei der durchgeführ-
ten Volkszählung extra angeführt. 263 Neben der allgemeinen Versorgung fehlte
es in der Stadt in den ersten Nachkriegsjahren besonders an Wohnraum. An-
nähernd dreißig Prozent der Wohngebäude der Innenstadt Babenhausens wa-
ren beschädigt oder zerstört. 264 Bombengeschädigte aus den nahen Großstäd-
ten mussten ebenso beherbergt werden wie ab 1946 eine große Anzahl deut-
261
HHStAW, 503 Nr. 374, Hessischer Ministerpräsident (Reaktion auf Marx’sche Anfrage) vom
21. Juni 1950.
262
Vgl. die Pläne von Babenhausen und Dieburg im Anhang 3 und 4.
263
Vgl. Stotz, Hermann: 1236-1986. 750 Jahre Stadt Babenhausen. Babenhausen 1986, S. 49.
264
Stotz, Hermann: 1236-1986. 750 Jahre Stadt Babenhausen, S. 47.
65

scher Flüchtlinge. 265 Für die Wahrnehmung der jüdischen DPs ist von Interesse,
dass jüdisches Leben über mehrere Jahrhunderte hinweg Bestandteil der Ge-
schichte der Stadt war. 266 Bis zu vier Prozent der Bevölkerung war jüdischen
Glaubens. Im Jahr 1933 lebten in neunzehn jüdischen Haushalten noch acht-
undvierzig Personen. 267 Die letzten ‘Babenhäuser Juden’ wurden im März 1942
deportiert. 268
Die Kreisstadt Dieburg, etwa zwölf Kilometer westlich von Babenhausen eben-
falls an der Bahnverbindung von Aschaffenburg nach Darmstadt gelegen, zähl-
te 1946 7.884 Einwohner. 269 Auch in Dieburg war Wohnraum ein begehrtes
Gut. Die Stadt war zwar weniger von Zerstörung gezeichnet als Babenhausen,
musste aus diesem Grund aber verhältnismäßig viele Evakuierte beherber-
gen. 270 Wie Babenhausen verfügt Dieburg über eine lange jüdische Tradition. 271
Noch 1933 lebten verteilt auf dreiundvierzig Häuser über zweihundert Juden in
der Stadt. 272 Die letzten verbliebenen Angehörigen der jüdischen Gemeinde
wurden 1942 deportiert. 273 Im Gegensatz zum protestantischen Babenhausen
war die Dieburger Bevölkerung in großer Mehrheit katholisch, was auch als
Grund für den relativ geringen Erfolg der NSDAP bei den Reichstagswahlen im
März 1933 angeführt werden kann. 274
265 Genaue Angaben sind insbesondere für die direkte Nachkriegszeit nicht verfügbar. In einer
amerikanischen Statistik des Kreises Dieburg, die vermutlich auf Datenmaterial aus dem Jahr
1947 rekurriert, werden für das Stadtgebiet Babenhausen 383 Evakuierte und 434 Flüchtlinge
genannt, vgl. NARA 466 250 / 72 / 16 / 3-7, box 4.
266 Vgl. zur Geschichte der Juden in Babenhausen Lötzsch, Klaus / Wittenberger, Georg (Hg.):
Die Juden von Babenhausen. Babenhausen einst und jetzt, Beiheft 1 (1988). Erstmals werden
Juden 1318 urkundlich erwähnt, ebenda, S. 56.
267 Lötzsch, Klaus / Wittenberger, Georg (Hg.): Die Juden von Babenhausen, S. 231.
268 Lötzsch, Klaus / Wittenberger, Georg (Hg.): Die Juden von Babenhausen, S. 77.
269 Magistrat der Stadt Dieburg (Hg.): Dieburg. Beiträge zur Geschichte einer Stadt. Dieburg
1977, S. 345. Für das Jahr 1948 werden 7.775 Einwohner genannt, ebenda, S. 247.
270 In der für Babenhausen zitierten Statistik werden für Dieburg 1.209 Evakuierte und 729
Flüchtlinge genannt, vgl. NARA 466 250 / 72 / 16 / 3-7, box 4.
271 Vgl. zur Geschichte der Juden in Dieburg Keim, Günther: Beiträge zur Geschichte der Juden
in Dieburg. Dieburg 1993. Die erste urkundliche Erwähnung datiert aus dem Jahr 1328, ebenda,
S. 8.
272 Eine umfangreiche Darstellung der Juden in Dieburg, die zum größten Teil in eigenen Häusern
lebten (Stand 1933), findet sich bei Keim, Günther: Beiträge zur Geschichte der Juden in
Dieburg, S. 24-144. In folgenden Fällen ist eine spätere Belegung der Anwesen mit jüdischen
DPs eindeutig belegt (in Klammern die Hausnummern im Untersuchungszeitraum - vor den
Änderungen durch die Brandversicherungskammer): Darmstädter Straße 15 (18), Schlossergasse
2 (1), Steinstraße 42 (39), Theobaldstraße 10 (5), Zuckerstraße 47 (36). Vgl. Abbildungen
im Anhang 9.
273 Keim, Günther: Beiträge zur Geschichte der Juden in Dieburg. Dieburg 1993, S. 281.
274 Während in den protestantischen Gemeinden des Kreises die NSDAP in der Regel die absolute
Mehrheit bei den Reichstagswahlen im März 1933 erlangte, konnte sie in keiner der weni-
66

Bei der folgenden Darstellung der DPs in den Identitätsräumen wird in jedem
Kapitel zunächst eine Auswertung der schriftlichen Quellen durchgeführt. In ei-
nem zweiten Schritt werden die Ergebnisse aus den geführten Zeitzeugeninter-
views hinzu gezogen, wobei die inhaltliche Auswertung der Gespräche bewusst
einer strikt methodischen vorgezogen wird. Die deutliche Trennung innerhalb
der einzelnen Abschnitte verhindert eine unerwünschte Vermischung der unter-
schiedlichen Quellengattungen. In der Darstellung der aus den Interviews ge-
wonnenen Ergebnisse werden auch die territoriale Anordnung der Lager betref-
fende Aussagen angeführt. 275 Bei der Auswertung der Interviews lassen sich
markante Unterschiede im Erinnerungsvermögen der Befragten erkennen, wor-
auf anhand ausgewählter Beispiele hingewiesen wird. Aussagen, die deutlich
auf nicht in der Zeitebene erworbene Kenntnisse zurückzuführen sind, finden in
der Darstellung keine Berücksichtigung oder werden besonders ausgewie-
sen. 276
4.1 DPs im Identitätsraum Babenhausen
4.1.1 Jüdische DPs
Das Verhältnis zwischen einheimischer Bevölkerung und den jüdischen DPs in
Babenhausen wird in dem untersuchten schriftlichen Quellenmaterial nur an
wenigen Stellen angedeutet. Lediglich in einem Bericht aus den ersten Wochen
der Belegung wird dabei explizit auf den Raumaspekt verwiesen. Die Anwesen-
heit der Juden in der Kaserne führte demnach zu Befürchtungen innerhalb der
Bevölkerung, die um ihren Wohnraum bangten:
„Rumors are flying thick and fast in both Babenhausen and Dieburg regarding the
Jewish persecutees. The people in Babenhausen fear that they will all be turned
out of their homes to house persecutees.“ 277
gen katholischen Gemeinden den höchsten Stimmenanteil erreichen. In Dieburg votierten etwa
23 Prozent der Wählenden für die NSDAP, in Babenhausen im Vergleich dazu über 64 Prozent.
Vgl. dazu Magistrat der Stadt Dieburg (Hg.): Dieburg. Beiträge zur Geschichte einer Stadt,
S. 170f. sowie Lötzsch, Klaus / Wittenberger, Georg (Hg.): Die Juden von Babenhausen, S. 56.
275 Um einerseits Wiederholungen zu vermeiden und andererseits eine erkennbare Trennung
der ausgewerteten Quellen zu gewährleisten, wurde auf das Hinzuziehen der mündlichen Quellen
im Teil der Arbeit, der die Territorien darstellt, verzichtet.
276 In manchen Fällen waren Aussagen als angelesen erkennbar. Andere berichtete Ereignisse
bezogen sich auf tradierte, nicht auf eigenem Erleben beruhender Erinnerung.
277 NARA 466 250 / 84 / 27 / 6, box 8, L&SO LK Dieburg, Weekly Intelligence Report vom 26.
Oktober 1946, S. 3.
67

Wie im territorialen Teil dieser Arbeit beschrieben, bestätigten sich die Gerüchte
über die Beschlagnahmung privaten Wohnraums in Babenhausen nicht. Die
jüdischen DPs waren ausschließlich in der Kaserne untergebracht. Die räumli-
che Anordnung des Lagers spielt daher in den Berichten der amerikanischen
Militärverwaltung in der Folge keine Rolle mehr. Vielmehr fokussiert sich die
Berichterstattung auf die Beteiligung der jüdischen DPs am örtlichen Schwarz-
markt 278 , dem in den schriftlichen Quellen kein konkreter Raum zugeordnet
werden kann:
„The Jewish persecutees at both the camp at Dieburg and the camp at Babenhausen
are to some extent engaging in Black Market activity. This does not appear
to be highly organized, but nevertheless reports and rumors of the activity
seem to be increasing.“ 279
Als Tauschwaren wurden von jüdischer Seite Schokolade, Schinken, Sardinen
und Fleisch in Dosen angeboten. Gefragt waren als Gegenwert besonders Kar-
toffeln und Schwarzbrot. 280 Immer wieder wird darauf hingewiesen, dass es sich
dabei um „small scale black market activities“ 281 handelte. Nach Bekanntwer-
den der bevorstehenden Verlegung der jüdischen DPs aus Babenhausen sei
seitens der einheimischen Bevölkerung ein Einbrechen des Schwarzmarkts be-
fürchtet worden. 282 Dies sollte sich als unbegründet herausstellen. Vielmehr
avancierte das nun baltische DP-Lager zum „center of BM for this Kreis“. 283 Ü-
ber Kontakte außerhalb des Schwarzmarkts finden sich in den Archivalien keine
Hinweise. Es werden weder Auseinandersetzungen noch Beziehungen auf an-
derer Ebene festgehalten.
278 Zum Begriff des Schwarzmarkts und seiner Dimension in der deutschen Nachkriegsgesellschaft
vgl. Kleßmann, Christoph: Die doppelte Staatsgründung. Deutsche Geschichte 1945-
1955. Bonn 1982, S. 46ff. sowie Glaser, Hermann: 1945. Ein Lesebuch. Frankfurt am Main
1995, S. 132ff. Zur Teilhabe jüdischer DPs am Schwarzmarkt allgemein vgl. Jacobmeyer, Wolfgang:
Jüdische Überlebende als ‘Displaced Persons’, S. 441f.
279 NARA 466 250 / 84 / 27 / 6, box 8, Periodic Report vom 02. Januar 1947. Vgl. auch Periodic
Report vom 19. Februar 1947.
280 NARA 466 250 / 84 / 27 / 6, box 8, L&SO LK Dieburg, Weekly Intelligence Report vom 26.
Oktober 1946, S. 3.
281 NARA 466 250 / 84 / 27 / 6, box 8, Periodic Report vom 02. Januar 1947. Vgl. auch Periodic
Report vom 27. Februar 1947.
282 NARA 466 250 / 84 / 27 / 6, box 8, Periodic Report vom 07. Februar 1947.
283 NARA 466 250 / 84 / 27 / 6, box 8, Periodic Report vom 25. Juni 1947.
68

Die mit Babenhäuser Zeitzeugen geführten Interviews bestätigen im Großen
und Ganzen den aus den Archivalien gewonnen Eindruck des begrenzten Kon-
takts zwischen jüdischen DPs und einheimischer Bevölkerung in Babenhausen,
wie ihn auch Herr Altkorn im eingangs angeführten Exkurs aus jüdischer Sicht
beschreibt. Alle Befragten bekräftigten die anhand des Archivmaterials darge-
stellte territoriale Anordnung des Lagers. Frau M. erinnerte sich sowohl an den
regen Kontakt zu den in der Kaserne stationierten Soldaten in der Zeit vor und
während des II. Weltkriegs („Das waren ja Deutsche, zu denen hatte man Kon-
takt.“) als auch an die Räumung der Wohnhäuser südlich der Bahnlinie. Ihre
Erinnerungen an das jüdische Lager in der Kaserne gibt sie wie folgt wieder:
„Die Leute waren nicht nur in der Kaserne selbst, sondern auch in Zelten untergebracht.
Und das war alles eingezäunt, da war ein großer Zaun um das Gelände.
[...] Wie die Juden da waren, war das eingezäunt. Aber die konnten sich frei
bewegen. [...] Es gab keine Juden in der Stadt, die waren alle in dem Lager drin
und sind von dort aus fortgekommen, wo die halt hin wollten. Wie lange die in
Babenhausen waren, weiß ich gar nicht. [...] Das haben die Amerikaner gemanagt,
wollen wir mal sagen. Babenhausen hat da nichts mit zu schicken gehabt,
das ging die Babenhäuser nichts an.“
Auch Herr G. erinnerte sich an die Trennung des Geländes vom Identitätsraum
Babenhausen:
„Gleich nach der Auflösung des Gefangenenlagers kamen Juden. [...] Die waren
nur in der Kaserne, das war so ein Ghetto für sich. [...] Das war streng [von Babenhausen]
getrennt.“
Wie die Juden nach Babenhausen gelangten, daran konnte sich keiner der In-
terviewten erinnern („Die waren auf einmal da, weiß der Teufel.“) 284 . Über deren
allgemeine Wahrnehmung im Identitätsraum Babenhausen aber liefern die In-
terviews wichtige Informationen. Herr G., kurz zuvor aus amerikanischer
Kriegsgefangenschaft heimgekehrt, erinnerte sich an die jüdischen DPs in sei-
ner Stadt:
„DP hat kein Mensch gesagt. ‘Da unne bei dene Judde’, das war so die Ausdrucksweise.
[...] Wir wollten auch gar kein Kontakt zu dene Leut. Das war ein
Fremdkörper. Und da die noch von den Ami versorgt und durchgefüttert wurden
usw., da war ein gewisses Konkurrenzdenken, ja die kriegen alles und wir haben
besten falls so Griespulver. Meine Frau, die kann sich überhaupt nicht daran erinnern,
dass da zuerst auch Juden da waren. Da war eine Frau damals, die hat
284 Interview mit Herrn G. vom 24. März 2004.
69

ein Kind gekriegt von einem Juden. Das war in der damaligen Zeit, das darf man
ja auch nicht vergessen, da war die Judenfrage nicht so behandelt worden wie
jetzt, da war noch ein Nachhall. Das waren auch nicht ‘die Juden’, sondern ‘die
Judde’ - damit wir uns richtig verstehen. [...] Von Holocaust, das war total unbekannt,
da hat niemand davon gewusst. Man hat zwar von KZ und so gehört, aber
dass man so wie jetzt unterrichtet wäre - Gor nix! Die Judde, die haben ja dar so
ein bisschen provozierend, also ein ganz klein bisschen, so nach dem Motto:
‘Uns kann niemand’. Und dann sind die auch immer, das weiß ich auch noch,
man hat selten einen alleine laufen gesehen. Die sind immer in Gruppen gekommen.
Warum? Wahrscheinlich haben sie sich selbst nicht so sicher gefühlt.
[...] Die sind da rum gelaufen, die waren nicht bewacht oder so was. Ich muss
sagen, ich hab nie da unten in der Kaserne gekuckt wie die wohnen, das hat
mich auch gar nicht interessiert - und hundert andere auch nicht. Noch dazu:
Man konnte nix von denen kriegen, man ist halt auf Distanz gegangen. [...] Der
einzige Berührungspunkt war im Kino. Das Kino war das einzige im ganzen Umkreis.
Das war immer gerammelte voll. Und da dachte man: ‘Ach, jetzt sitze auch
die Kerle noch da unten’. Also, es war immer ein bisschen - nicht ein bisschen,
ist nicht wahr, komplette, totale Distanz: ‘Wolle mer net, brauche mer net’. Und
auf einmal hat es geheißen: ‘Die Judde komme fort’. Wie sie weggekommen
sind, ob sie mit dem Zug abtransportiert worden sind oder wie, das weiß ich
nicht. Auf einmal waren sie nicht mehr da.“
Hier wird deutlich, dass zumindest Teile der Bevölkerung bewusst die räumlich
vorgegebene Distanz zu den jüdischen DPs aufrechterhielten. Diese Abwehr-
haltung gründete sich auf einer Wahrnehmung der jüdischen DPs als ‘Frem-
de’, 285 wie sie für die deutsche Nachkriegsgesellschaft nicht ungewöhnlich war.
Das stereotypisierende Denken über Juden, das in der Zeit des Nationalsozia-
lismus gestützt und gestärkt wurde, verlor nach Kriegsende seine offizielle Bes-
tätigung - entschwand aber nicht schlagartig aus den Köpfen der Bevölke-
rung. 286 Zudem spiegelte sich die Aufteilung in ‘gute, deutsche Juden’ und
‘fremde, osteuropäische Juden’, die sich in Deutschland nach dem Ersten Welt-
krieg (gewendet gegen jüdische Flüchtlinge aus Osteuropa) ausmachen ließ, in
der unterschiedlichen Wertung von deutschen Juden und jüdischen DPs wi-
285 Vgl. dazu Stern, Frank: Im Anfang war Auschwitz. Antisemitismus und Philosemitismus im
deutschen Nachkrieg. Gerlingen 1991, S. 345.
286 Vgl. zu den Kontinuitäten des Antisemitismus ausführlich Schulze Wessel, Julia: Zur Reformulierung
des Antisemitismus in der deutschen Nachkriegsgesellschaft. Eine Analyse deutscher
Polizeiakten aus der Zeit von 1945 bis 1948. In: Dietrich, Susanne / Schulze Wessel,
Julia: Zwischen Selbstorganisation und Stigmatisierung: die Lebenswirklichkeit jüdischer
Displaced Persons und die neue Gestalt des Antisemitismus in der deutschen Nachkriegsgesellschaft.
Stuttgart 1998, S. 131-232, S. 150ff.
70

der. 287 In den geführten Zeitzeugengesprächen äußerte sich dies in der (von
allen Befragten angeführten) Trennung zwischen ‘Babenhäuser Juden’ und
‘polnischen Juden’. Die vor dem Krieg in Babenhausen ansässigen Juden wur-
den als Teile des Identitätsraums Babenhausen bezeichnet („Vor dem Krieg
hatten wir viele Juden in Babenhausen, die haben zu Babenhausen gehört.“) 288 ,
die jüdischen DPs hingegen als ‘Fremdkörper’. Weiterhin lässt sich Herrn G.’s
Erinnerungen entnehmen, dass man in Babenhausen dem direkten Kontakt –
außer etwa im öffentlichen Raum des Kinos – aus dem Wege gehen konnte.
Wer sich mit ‘den Fremden’ einließ, die als Konkurrenz um die knappen Res-
sourcen wahrgenommen wurden, musste Unannehmlichkeiten befürchten. In-
wiefern die erwähnte Schwangerschaft mit einem der jüdischen DPs aus der
Kaserne in Zusammenhang gebracht werden darf, lässt sich nicht rekonstruie-
ren. Jedenfalls dürften Kontakte dieser Art als Ausnahmen angesehen werden
können. Über das Lager selbst wusste man wenig, wie auch die anderen Ge-
sprächspartner übereinstimmend berichteten. Die Ressource Raum spielte in
der Wahrnehmung der jüdischen DPs in Babenhausen keine herausragende
Rolle. Die anfängliche Unsicherheit (resultierend aus der Belegung der Kaserne
nach Auflösung des Kriegsgefangenenlagers), die der zitierte Bericht der ame-
rikanischen Militärverwaltung andeutet, fand allerdings Bestätigung. Da direkt
nach Kriegsende Wohnungen von amerikanischen Soldaten belegt waren,
fürchtete man neue Einquartierungen. Von einem Zeitzeugen wurde dies jedoch
eher einer allgemeinen Unsicherheit als der neuen Belegung der Kaserne zu-
geschrieben. 289
Auf Nachfrage erinnerten sich alle Zeitzeuginnen und Zeitzeugen an die Teilha-
be jüdischer DPs am Schwarzmarkt. An Details der Durchführung der illegalen
Geschäfte konnten sich die Befragten nicht erinnern, da sie selbst damit nichts
zu tun gehabt haben wollten. Als exemplarisch ist die Erinnerung von Frau M.
anzusehen:
„Das war mordsmäßig, was da gekungelt – so hat man damals gesagt – worden
ist. Das war schon schlimm. Wo die das her hatten, die Leut, das weiß man ja
287 Das so genannte ‘Ostjudentum’ galt als Inbegriff kultureller Rückständigkeit, als schmutzig,
roh, laut und unsittlich. Diese Stigmatisierung wurde auf die jüdischen DPs aus Osteuropa übertragen.
Vgl. Schulze Wessel, Julia: Zur Reformulierung des Antisemitismus in der deutschen
Nachkriegsgesellschaft, S. 151.
288 Interview mit Frau M. vom 22. März 2004.
289 Vgl. Interview mit Herrn G. vom 24. März 2004.
71

nicht. […] Wie das genau war, das weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass da
Schwarzmarkt gemacht worden ist. Die haben ja auch von den deutschen Leuten
was gekauft, weil sie nichts hatten. Aber wie das war, das kann ich nicht sagen.“
Darüber hinaus konnten die Interviewten sich an keine konkreten Berührungs-
punkte mit den jüdischen DPs erinnern. Eine Ausnahme bildete diesbezüglich
Frau M.’s Schilderung eines Überfalls auf ein Geschäft in der Innenstadt. In ih-
rer Erinnerung handelte es sich bei den Plünderern um Juden. Auch Frau R.
berichtete von diesem Übergriff. Sie beschuldigte aber ehemalige polnische
Zwangsarbeiter und datierte das Ereignis ins Jahr 1945. Da auch Herr G. von
Gewalttaten ehemaliger polnischer Zwangsarbeiter in der direkten Nachkriegs-
zeit berichtete, Frau M. zudem noch an anderer Stelle die Chronologie der Be-
legung der Kaserne falsch erinnerte 290 und mehrfach betonte, alles sei „schon
so lange her“, muss man die von ihr angesprochene Täterschaft jüdischer DPs
in Frage stellen.
4.1.2 Nationaltschechische Lagerbelegung
Auf das Auftreten der Nationaltschechen im Identitätsraum Babenhausen gibt
es kaum Hinweise in den schriftlichen Quellen. Es ist zumindest anzunehmen,
dass man seitens der amerikanischen Militärverwaltung sowie der deutschen
Behörden mit Widerstand innerhalb der Bevölkerung gegen die Belegung der
Kaserne rechnete. Darauf lässt die Anmerkung schließen, dass die Transporte
im Mai und Juni 1950 bewusst um sechs Uhr morgens angesetzt wurden, um
mögliche Demonstrationen zu vermeiden. 291 Die Transporte verliefen ohne
Komplikationen. Allerdings wird in zwei Berichten auf eine Protestversammlung
bezüglich des Tschechenlagers in der Kaserne verwiesen. 292 Laut dieser Be-
richte hatten sich annähernd 1.500 Personen zu einer vom ‘Verband der deut-
schen Flüchtlinge und Heimatvertriebenen - Kreis Dieburg’ und dem Bürger-
meister von Babenhausen organisierten Veranstaltung in Babenhausen ver-
sammelt. Zahlreiche Offizielle, wie Bürgermeister aus der Region und Flücht-
lingsbeauftragte, waren anwesend. Die Versammlung verlief ohne Zwischenfäl-
le. Eine Forderung bezüglich der Verlegung der Nationaltschechen an einen
290 In Frau M.s Erinnerung folgte die jüdische auf die baltische Belegung und nicht umgekehrt.
291 HHStAW, 502 Nr. 1937, Mitteilung vom 26. Mai 1950.
292 NARA 466 250 / 84 / 27 / 6, box 8, Information Report # 16 from Landkreis Dieburg - Political
- ‘Demonstration in Babenhausen’ vom 26. Mai 1950 und Information Report # 18 from Landkreis
Dieburg - Political - ‘Protest Meeting in Babenhausen’ vom 05. Juni 1950.
72

anderen Ort wurde - zur Überraschung des amerikanischen Protokollanten -
nicht erhoben. Genauere Angaben zu Ort und Inhalten der Veranstaltung sowie
zur Zusammensetzung der Teilnehmer werden leider nicht gemacht.
Des Weiteren sind in den Berichten der amerikanischen Militärbehörden keine
besonderen Vorkommnisse im Identitätsraum Babenhausen verzeichnet. In den
Akten des Hessischen Innenministeriums findet sich allerdings der Bericht eines
Vorfalls aus dem nahe gelegenen Groß-Umstadt. 293 Darin will eine Sudeten-
deutsche einen berüchtigten „Deutschenhasser“ aus ihrer Heimat wieder er-
kannt haben, der sich zu diesem Zeitpunkt im Tschechenlager Babenhausen
aufgehalten haben soll. Dies lässt vermuten, dass sich die Nationaltschechen
durchaus außerhalb der Kaserne bewegen konnten. Darauf lässt ebenso eine
Anmerkung schließen, die auf den ‘Mundraub’ der Nationaltschechen in der an
das Kasernengelände grenzenden Gemarkung Harreshausen 294 (als einzig
bemerkenswerter Begebenheit) verweist:
„To date, there have been no incidents connected with the camp, except for a
complaint from the Buergermeister of Harreshausen to the effect that the Czechs
have been helping themselves to fruit from trees in the surrounding area.“ 295
In den geführten Interviews wurde deutlich, dass bei den Befragten keine per-
sönliche Erinnerung an den Aufenthalt der Nationaltschechen im Identitätsraum
Babenhausen existierte. Frau M. etwa äußerte auf Nachfrage:
„Da habe ich keine Erinnerung daran, dass Tschechen da gewesen sein sollen.
Sudetendeutsche, ja. Die waren ja überall.“
Auch Herr G. hält es auf Nachfrage lediglich für möglich, dass unter den ande-
ren Gruppen, die in der Kaserne untergebracht waren, sich auch Tschechen
befunden haben könnten. Wenn dem so war, seien diese aber „nicht groß auf-
gefallen“. Konfrontiert mit der in den Berichten der amerikanischen Militärver-
waltung angesprochenen Demonstration in Babenhausen gegen das Tsche-
chenlager in der Kaserne äußerte Herr G. Unglauben: „Ach was! In Babenhau-
293 HHStAW, 503 Nr. 374.
294 Vgl. dazu Kartenausschnitt zu Babenhausen im Anhang 4. Harreshausen, seit der Verwaltungsreform
von 1971 Stadtteil von Babenhausen, war damals eine eigenständige Gemeinde
und nicht dem Identitätsraum Babenhausen zugehörig.
295 NARA 466 250 / 84 / 27 / 6, box 8, Information Report (ohne Nummer) from Landkreis Die-
burg vom 02. August 1950.
73

sen nicht einer. Demonstrationen in Babenhausen? Nichts.“ Auch Frau M. und
Frau R. konnten sich nicht an eine Protestversammlung dieser Größenordnung,
die ihnen ihrer Meinung nach doch hätte auffallen müssen, erinnern. Dies legt
meines Erachtens den Schluss nahe, dass sich der Widerstand gegen die Nati-
onaltschechen doch stark auf die Sudetendeutschen aus dem Kreis Dieburg
konzentrierte, die auch große Teile der Teilnehmer an der Protestveranstaltung
gestellt haben dürften. Das Nichterinnern der befragten Babenhäuser und Ba-
benhäuserinnen bezüglich der zweifelsohne in der Kaserne untergebrachten
Nationaltschechen untergräbt keineswegs die allgemeine Glaubwürdigkeit ihrer
Aussagen. Vielmehr verdeutlicht es die geringe Relevanz dieser Personengrup-
pe für die einheimische Bevölkerung des Identitätsraums Babenhausen. Die
Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass auch in der damaligen Zeit die Nationaltsche-
chen von großen Teilen der einheimischen Bevölkerung nicht als eigenständige
Gruppe registriert wurde. Zu heterogen war die Art der Belegung der Kaserne in
der Zeit von 1947 bis 1950 296 und zu gering deren Präsenz im Identitätsraum
Babenhausen.
296 Vgl. dazu die Belegungsstatistik im Anhang 1.
74

4.2 DPs im Identitätsraum Dieburg
4.2.1 Jüdische DPs
Im Gegensatz zu den sporadischen Anmerkungen zum Verhältnis zwischen
jüdischen DPs und einheimischer Bevölkerung in Babenhausen existiert um-
fangreicheres Material zur diesbezüglichen Situation im Identitätsraum Dieburg.
Die schriftlichen Quellen konzentrieren sich dabei auf die ersten Monate der
Belegung. Allgemein wird eine steigende Antipathie gegenüber den jüdischen
DPs konstatiert, die sich in einer wachsenden Anzahl von Zwischenfällen wider-
spiegelte. Im Dezember 1946 deutet sich erstmals eine Verschärfung der Situa-
tion an:
„The situation with the DPs in the town Dieburg was a bit ruffled at the beginning
of the period but has since quieted down. However, there is a definite dislike for
these people deep in the hearts of many of the inhabitants.“ 297
Zu Beginn des Jahres 1947 spitzte sich die Situation merklich zu. Der räumliche
Aspekt war dabei von besonderer Bedeutung. Die belegten Häuser in der Stadt
wurden buchstäblich zur Zielscheibe von Gewaltanwendungen. Allein in der
ersten Januarwoche wurden vom jüdischen Lagerkomitee in mindestens acht
Fällen zertrümmerte Fensterscheiben jüdisch belegter Wohnungen und Häuser
in der Innenstadt beklagt. 298 Einem Schreiben des Chefs der jüdischen Lager-
polizei ist zu entnehmen, dass als Täter Jugendliche und junge Männer aus der
Nachbarschaft verdächtigt wurden. 299 Die in Kenntnis gesetzte Lagerleitung der
UNRRA informierte die zuständigen Institutionen der Militärverwaltung und
empfahl, die aufgeführten Ereignisse ernst zu nehmen, wenngleich nicht über-
zubewerten. 300 Auf Anraten der Lagerleitung wurde der Dieburger Bürgermeis-
ter von der Dieburger Militärregierung zur Formulierung einer die Vorkommnis-
297 NARA 466 250 / 84 / 27 / 6, box 8, Periodic Report vom 02. Januar 1947.
298 HStAD, OMGUS 8/3 - 3/4 (4 von 4), Schreiben des Jüdischen Lagerkomitees an den Direktor
des DP Lagers 560, Herrn Trouchaud, vom 06. Januar 1947.
299 HStAD, OMGUS 8/3 - 3/4 (4 von 4), ‘Die letzten Fälle der deutschen Jugend gegen die Jüdische
Bevölkerung des D.P.C. 560 in Dieburg’, Polizeichef des D.P.C. 560 Dieburg an die deutsche
Polizei in Dieburg vom 04. Januar 1947.
300 HStAD, OMGUS 8/3 - 3/4 (4 von 4), ‘Relations between the Jewish population and the German
population of Dieburg’, Director of UNRRA-Team A/C 560 Dieburg, Mr. Trouchaud, an
Captain Chapin, Military Government of Dieburg, vom 06. Januar 1947; ‘Incidents between the
German population and the Jews of the DP Camp of Dieburg’, Director of UNRRA-Team A/C
560 Dieburg, Mr. Trouchaud, an Lt. Colonel Lawlor, DP Officer at Darmstadt, vom 07. Januar
1947.
75

se verurteilenden Bekanntmachung veranlasst, in der drastische Konsequenzen
bei wiederholten Übergriffen angedroht werden sollten. Im daraufhin von Bür-
germeister Steinmetz unterschriebenen Aushang wird der Forderung wie folgt
nachgekommen:
„Verschiedene Vorfälle geben der Stadtverwaltung Anlass, alle Dieburger Einwohner
und besonders die Jugend strengstens zu ermahnen, sich den in der
Stadt Dieburg untergebrachten Juden gegenüber korrekt und human zu benehmen.
Es ist nicht nur ein Beweis schlechter Erziehung und Gesinnung, sondern
auch politischen Unverstandes, wenn Deutsche und besonders Jugendliche Juden
ohne jeden Anlass beschimpfen, bedrohen und die Fenster der von Juden
bewohnten Häuser einwerfen.“ 301
Des Weiteren werden drakonische Strafen gegen die Betreffenden angedroht.
Auch kollektive Ausmaße, wie Ausgangssperren und Räumung von Häusern,
werden nicht ausgeschlossen. Interessant ist die explizite Aufforderung, den
Juden den Zugang zu öffentlichem Raum am Beispiel von Lokalen nicht zu
verweigern, was auf entsprechende Fälle in der nahen Vergangenheit schließen
lässt:
„Es darf ferner keinesfalls vorkommen, dass Juden beim Besuch von Gastwirtschaften
von dem Wirt und den Gästen unter Drohungen und Beschimpfungen
hinausgewiesen werden. Die Juden haben das Recht, jede Wirtschaft zu besuchen.“
302
Die Akzeptanz der in der Stadt untergebrachten jüdischen DPs wird in den Be-
richten der amerikanischen Militärverwaltung allgemein als gering bewertet. 303
Speziell die Einquartierung in privatem Wohnraum sei als ungerecht empfunden
worden, „because they feel that they were less of a Nazi town than other
towns.“ 304 Der bereits zitierte Brief des Bischofs von Mainz macht auf ein-
301 Nachlass Bürgermeister Steinmetz, Bekanntmachung unter dem Betreff ‘Die in Dieburg untergebrachten
Juden’ vom 16. Januar 1947, abgedruckt in Lange, Thomas (Hg.): „L’chajim“. Die
Geschichte der Juden im Landkreis Darmstadt-Dieburg. Reinheim 1997, S. 303.
302 Lange, Thomas (Hg.): „L’chajim“, S. 303.
303 Vgl. etwa NARA 466 250 / 84 / 27 / 6, box 8, Periodic Report vom 16. Januar 1947. Hier
heißt es: „There is a continuing undercurrent between the Jewish Persecutees and the Germans
at Dieburg. Remarks and catch phrases are passed around by the school children. This is
a very hard thing to put your finger on, but the hatred of these people is still barely concealed by
the Germans.“
304 NARA 466 250 / 84 / 27 / 6, box 8, Periodic Report vom 13. Februar 1947. Neben den eingangs
erwähnten, zunächst schwachen Ergebnissen der NSDAP rekurrierte dieses Selbstbild
der Dieburger insbesondere auf wiederholte Auseinandersetzungen der Pfarrei Dieburg mit
nationalsozialistischen Behörden im Zuge der Dieburger Wallfahrt, vgl. dazu Magistrat der Stadt
Dieburg (Hg.): Dieburg. Beiträge zur Geschichte einer Stadt, 294ff.
76

drucksvolle Weise deutlich, wie von Zeitgenossen die Belegung von Wohnraum
gar als Hauptursache für ein neuerliches Erwachen antisemitischer Stimmung
angesehen wurde. Da er sich ausdrücklich auf Aussagen einer Delegation aus
Dieburg beruft, können seine Angaben als Quelle für den Identitätsraum Die-
burg herangezogen werden:
„Bei dieser Gelegenheit darf ich die Einquartierung der Ostjuden überhaupt zur
Sprache bringen. [...] Die Zivilbevölkerung ist am Rande der Verzweiflung. Die
Juden sitzen in schönen und geräumigen Wohnungen (wie mir versichert wird
zum Teil einzelne Personen in 3 Zimmer-Wohnungen), während die ausgewiesenen
Deutschen zu 7-8 in e i n e m Zimmer wohnen müssen, und zwar Verheiratete
und Kinder zusammen. Was das für sittliche Notstände herbeiführt, kann
man sich denken. Daß auf diese Weise ein neuer Antisemitismus groß wird, der
vielleicht den nationalsozialistischen übersteigt, kann man auch leicht ermessen.“
305
Das zur Einquartierung der ‘Ostjuden’ 306 angeführte Beispiel dürfte kaum mit
der damaligen Realität der Belegung in Einklang zu bringen sein. Da sich etwa
siebenhundert Menschen auf gut fünfzig Wohneinheiten zu verteilen hatten, ist
die Einzelunterbringung kaum vorstellbar. Die untergebrachten Familien dräng-
ten sich nach Angaben der Militärverwaltung vielmehr auf zuvor von deutlich
weniger Personen genutztem Raum. 307 Ohne an dieser Stelle näher auf die an-
klingende Relativierung des nationalsozialistischen Antisemitismus’ eingehen zu
wollen, 308 ist die Herausstellung des okkupierten privaten Wohnraums als
Grund für eine wachsende antisemitische Einstellung der einheimischen Bevöl-
kerung auffällig. Prominente Dieburger Zeitgenossen äußerten sich diesbezüg-
lich ähnlich. Der Dieburger Landrat Ritzert vertrat etwa - einem amerikanischen
Bericht zur Folge - die Auffassung, dass vor der Unterbringung der jüdischen
DPs im Identitätsraum Dieburg kein „echtes Gefühl von Antisemitismus“ in sel-
bem auszumachen gewesen war. 309 Als Grund für den von ihm registrierten
305
Brief des Bischofs von Mainz vom 06. August 1947 an Captain Kenny, MG Wiesbaden (Hervorhebung
im Original). Eine Kopie dessen wurde mir freundlicher Weise von Frau Anette Neff
aus ihrem privaten Archiv zur Verfügung gestellt.
306
Zur Genese des Begriffs ‘Ostjuden’ und dessen Übertragung auf jüdische DPs vgl. Maurer,
Trude: Ostjuden in Deutschland 1918-1933. Hamburg 1986, S. 12f.
307
Vgl. etwa 466 250 / 84 / 27 / 6, box 8, Information Report # 86 vom 15. August 1947.
308
Vgl. Schulze Wessel, Julia: Zur Reformulierung des Antisemitismus in der deutschen Nachkriegsgesellschaft,
besonders S. 150ff.
309
Troop I&E Bulletin, vol.3, no.19, Troop Information Program 9 May 1948, S. 14. „Landrat
Ritzert goes so far as to claim there was never any real feeling of anti-Semitism on the part of
the German people [bezogen auf Dieburg] during the years in which the Jews were being exterminated
[...].“
77

steigenden Antisemitismus seit Ankunft der jüdischen DPs führt auch er (neben
der als ungerecht empfundenen bevorzugten Versorgung) die Unzufriedenheit
mit der räumlichen Situation an:
„The average Dieburger resents being forced to live in an overcrowded home
while the DP occupies some of his living space.“ 310
Durch die Unterbringung der jüdischen DPs in direkter Nachbarschaft konnten
sich große Teile der Dieburger Bevölkerung dem Kontakt nur schwer entziehen.
Eine in den Berichten der amerikanischen Militärverwaltung festgehaltene Be-
gebenheit stellt ein gutes Beispiel für einen aus der räumlichen Nähe resultie-
renden Konflikt und dessen Dynamik dar:
„Tension is increasing between Jewish DPs and German citizens of this town.
Recently a 1 ½ year old child pushed a bottle off a windowsill that smashed to the
ground near where several Jewish children, living in the same house, were playing.
The Jewish men in the house get excited and apparently called the mother of
the child bad names and threatened retaliation. In any event the woman became
frightened and the Jewish Police, German Police and MG were called. After
much waving of arms the matter was settled amiably. These sudden flare ups are
on an increase and lead to false rumors being circulated among the population.
In this case, the next day, most of the Germans in town had heard that the incident
started because the Jewish man had beaten the German child and although
the police and MG were called in, nothing was done to the Jew for his actions.“ 311
Anhand des beschriebenen Vorfalls lassen sich einige Aspekte erkennen, die
das Zusammenleben der jüdischen DPs mit der einheimischen Bevölkerung im
Identitätsraum Dieburg betreffen. Zum einen verweisen sowohl die Art der Re-
aktion der Konfliktteilnehmer als auch die anschließende Verbreitung des Ge-
rüchts auf tief sitzendes Misstrauen und Vorurteile gegenüber der jeweils ande-
ren Seite. Weiterhin wird die unklare Zuständigkeit der für die Sicherheit zu-
ständigen Institutionen angedeutet. In den Lagern war die jüdische Polizei als
Teil der Lagerverwaltung für die Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung zu-
ständig. 312 Bei der beschriebenen territorialen Anordnung des jüdischen DP-
Lagers in Dieburg blieben Kompetenzstreitigkeiten nicht aus. Dies verweist auf
die wichtigste aus der Quelle zu ziehende Erkenntnis, dass nämlich jüdische
DPs und einheimische Familien tatsächlich in direkter Nähe zu einander - im
310 Troop I&E Bulletin, vol.3, no.19, Troop Information Program 9 May 1948, S. 14.
311 NARA 466 250 / 84 / 27 / 6, box 8, Periodic Report vom 09. Mai 1947.
78

eschriebenen Fall sogar im gleichen Haus - lebten. Ohne diesen räumlichen
Bezug wäre ein Vorfall der oben beschriebenen Art nicht möglich gewesen.
Die aus der Belegung privaten Wohnraums in der Stadt resultierenden Kontakte
erschöpften sich aber keineswegs in Konflikten. So erlaubten die jüdischen DPs
der einheimischen Bevölkerung die Nutzung der zu den belegten Anwesen ge-
hörenden Gärten im Tausch gegen einen Teil der Ernte, wie einem Bericht a-
merikanischer Kontrolleure zu entnehmen ist. 313 Diese hatten bei einer Unter-
suchung in allen Küchen der von jüdischen DPs belegten Wohnungen und
Häuser verwundert frische Karotten und Zwiebeln vorgefunden, obwohl, wie es
heißt, nur einer von neunhundert DPs selbst einen Garten bestellte. Entspre-
chende Recherche hätte den genannten Grund für diesen Umstand ergeben.
Eine andere Beobachtung sorgte für noch größere Verwunderung seitens der
amerikanischen Militärbehörden. Es handelte sich um eine Art persönlichen
Kontakts zwischen jüdischen DPs und einheimischer Bevölkerung, die so nicht
zu erwarten war:
„Many of the Jewish DP’s families living in the city of Dieburg, (54 houses are
now occupied) are employing German servants to clean and help cook. A few
RM weekly and a daily meal or two is the usual payment. (L&S did not believe it
when they first heard the rumor that many Jewish DP’s families had their own
„Putz Frau“, but personal investigation proved the story to be true).“ 314
Einheimische Frauen arbeiteten also in den Haushalten jüdischer DP-Familien -
dies stellte eine qualitativ andere Art des Kontakts als in den bisher angespro-
chenen Fällen dar. Durch die Bereitstellung privaten Wohnraums und dem da-
mit einhergehenden Zusammenleben im Familienverbund waren Berührungs-
punkte ermöglicht worden, die über unpersönlichen Kontakt und daraus resul-
tierende Konfliktsituationen deutlich hinausgingen. Der in dem Bericht explizit
angesprochene Unglauben des amerikanischen Beobachters deutet darauf hin,
dass diese Art des Kontakts mit der allgemein konstatierten antisemitischen
Stimmung nicht vereinbar schien. Ein solcher Umgang zwischen ortansässiger
Bevölkerung und jüdischen DPs passte nicht in das allgemeine Bild der Bezie-
hungen. Es ist darauf hinzuweisen, dass die angeführte Quelle eine Ausnahme
in der Berichterstattung darstellt. Gerade der Zusatz der Überprüfung der Um-
312
Vgl. Dietrich, Susanne: „Auf dem Weg zur Freiheit“. Die jüdischen Lager in Stuttgart nach
1945, S. 92f.
313
NARA 466 250 / 84 / 27 / 6, box 8, Periodic Report vom 18. Juni 1947.
79

stände verleiht ihr aber eine hohe Glaubwürdigkeit - und lässt Zweifel an der
aus einigen schriftlichen Quellen heraus lesbaren genuin antisemitischen Ein-
stellung der gesamten Dieburger Bevölkerung gegenüber den jüdischen DPs
aufkommen.
Weniger verwunderlich war für die amerikanischen Militärbehörden das Aufein-
andertreffen im Sinne von „widespread minor blackmarket operation between
local civilians and Jewish DPs.“ 315 Bis zur Auflösung des jüdischen DP-Lagers
waren alle möglichen Lebensmittel auf dem Schwarzmarkt in Dieburg erhältlich,
wobei nie ganz geklärt werden konnte, woher diese stammten. 316 Ob belgische
Butter, Kaffee aus Südamerika, englische, tschechische, französische oder dä-
nische Schokolade, amerikanisches Mehl oder Dosenfleisch aus Argentinien -
der Dieburger Schwarzmarkt bot dank der jüdischen DPs ein breites Angebot
ausländischer Waren. 317 Die Beziehungen zwischen jüdischen DPs und einhei-
mischer Bevölkerung im Identitätsraum Dieburg verschlechterten sich nach Ein-
schätzung der amerikanischen Militärverwaltung parallel zur Entwicklung auf
dem Lebensmittelsektor. 318 Insbesondere die Sonderrationen frischer Milch für
die jüdischen Kinder wurden zunehmend beklagt. 319 Ein Dieburger Bürger wird
in einem Bericht bezüglich den Schwarzmarkt begleitender Spannungen wie
folgt zitiert:
„We have to work hard, but still can’t get enough food for ourselves and our children,
but these dirty Jews don’t have to work and still get more food than they
can eat. They sell their overage on the blackmarket for twice what we make for
hard labor.“ 320
In Bezug auf die Schwarzmarkttätigkeiten der jüdischen DPs wurden nicht nur
in Dieburg besonders häufig antisemitische Äußerungen laut. Auf das uralte
Stereotyp des ‘jüdischen Händlers’, welches verknüpft war mit Unterstellungen,
wie Betrügereien, Schacher, Preiswucher und der Unlust zu produktiver Arbeit,
314 NARA 466 250 / 84 / 27 / 6, box 8, Periodic Report vom 11. April 1947.
315 NARA 466 250 / 84 / 27 / 6, box 8, Periodic Report vom 27. Februar 1947.
316 NARA 260 390 / 49 / 7 / 4, box 131, Information Report # 30 from Landkreis Dieburg, Illegal
Food Operations.
317 Vgl. ebenda. Eine Liste von Schwarzmarktpreisen in Dieburg (in Zigaretten und Reichsmark)
findet sich unter NARA 260 390 / 49 / 15 / 1-2, box 500, Information Report # 50 vom 10. Juli
1947. Als Tauschwaren werden hier Weiß- und Schwarzbrot sowie Kartoffeln genannt.
318 Vgl. NARA 466 250 / 84 / 27 / 6, box 8, Periodic Report vom 04. April 1947 und 24. Mai
1947.
319 Vgl. dazu NARA 260 390 / 49 / 15 / 1-2, box 501, Information Report # 151 vom 10. Oktober
1947.
80

griff man in der Nachkriegszeit immer wieder zurück. 321 Ebenfalls typisch für die
deutsche Nachkriegsgesellschaft war das Rechtfertigen der eigenen Teilhabe
am Schwarzhandel bei gleichzeitigem Verdammen der jüdischen Aktivitäten,
wie es in einem anderen Bericht der Dieburger Bevölkerung zugeschrieben
wird. 322 Eine Besonderheit des Identitätsraums Dieburg stellte hingegen die
Thematisierung des Schwarzmarkts im wieder zugelassenen Karneval dar. 323
Über die räumliche Struktur des Schwarzmarkts lassen sich in den schriftlichen
Quellen keine Anhaltspunkte finden.
In den geführten Interviews ist das anders. Hier wird dem Schwarzmarkt ein
konkreter Raum zugeordnet. Eine Zeitzeugin erinnerte sich an ihre Besor-
gungsgänge im Auftrag des Vaters. In der Rheingaustraße und der Schlosser-
gasse waren demnach von jüdischen DPs belegte Häuser, in denen Schwarz-
handel getrieben wurde:
„Da haben die Schokolade, Butter, Fleisch, also die hatten alles. Und da sind wir
als hin und haben da gekauft. Da hatten die, das weiß ich noch, so schöne dicke
Tafeln Schokolade, Catbury, von London, von England. Da ist man dann da hin
und alles, was man gebraucht hat, hat man kaufen können. [...] Zu dene Judde
heim, in die Häuser. Die hatten da eine Waage und alles. Haben da geschnitten
und gemacht. Alles hat man kaufen können.“ 324
Außerhalb der belegten Häuser sei auf der offenen Straße gehandelt worden,
wie sich ein anderer Interviewpartner erinnerte. 325 Während alle Zeitzeugen und
Zeitzeuginnen den Schwarzmarkt als möglichen Ort des Kontakts zwischen der
Dieburger Bevölkerung und den jüdischen DPs nannten, war die allgemeine
Wahrnehmung der territorialen Anordnung des jüdischen DP-Lagers recht un-
320
NARA 466 250 / 84 / 27 / 6, box 8, Periodic Report vom 04. April 1947.
321
Vgl. Königseder / Wetzel: Lebensmut im Wartesaal, S. 136 sowie Schulze Wessel, Julia: Zur
Reformulierung des Antisemitismus in der deutschen Nachkriegsgesellschaft, S. 162ff. Zum
Unverständnis der Dieburger Bevölkerung darüber, dass jüdische DPs nicht arbeiten müssten,
vgl. NARA 466 250 / 84 / 27 / 6, box 8, Periodic Report vom 13. Februar 1947.
322
Troop I&E Bulletin, vol.3, no.19, Troop Information Program 9 May 1948, S. 14.
323
Der Karnevalshochburg Dieburg wurde 1948 unter Auflagen die Abhaltung des Karnevals
gestattet. Die jüdischen DPs wurden dabei, wie es in einem amerikanischen Bericht heißt, zwar
nicht sonderlich bösartig, aber in provozierender Häufigkeit thematisiert. Neben dem Schwarzmarkt
stand die auffallend hohe Geburtenrate im Zentrum des ‘Humors’. Vgl. NARA 466 250 /
84 / 27 / 6, box 8, Information Report # 45 vom 12. Februar 1948.
324
Interview mit Frau H. vom 21. April 2004. Die Grenzstraße (SA-Siedlung) wird ebenfalls als
Ort des Schwarzmarkts genannt.
325
Vgl. Interview mit Herrn A. vom 28. April 2004.
81

terschiedlich. An das Bischöfliche Konvikt als Aufenthaltsort konnten sich alle
Befragten - wenngleich in unterschiedlichem Umfang - erinnern. Frau E.’s An-
gaben zur Folge waren dort hauptsächlich Männer untergebracht. Auch an den
Sitz der Lagerpolizei in den Räumlichkeiten konnte sie sich erinnern. Für Herrn
A. lag das Konvikt (nach eigener Aussage) zu weit entfernt von seinem Wohn-
umfeld, als dass er genauere Angaben über die Art der Belegung leisten könne.
Frau H. äußerte ebenfalls, sie habe nur wenig von den Menschen im Konvikt
mitbekommen. 326 Es ist allgemein auffällig, dass alle Befragten sich nur an ei-
nen individuell wahrgenommen Teil des Lagers erinnerten - und das Lager
selbst gar nicht als solches ansahen: „Als Lager hat man das nicht gesehen.
Die haben doch mit den anderen Leuten in der Straße gewohnt.“ 327 Oder - wie
es ein anderer Zeitzeuge formulierte: „Ein Lager war das nicht. Das war eine
eigene Gemeinde mit Gemeindeleitung. [...] Die haben schon mit der Dieburger
Bevölkerung gelebt.“ 328
Der erinnerte Teil des Lagerterritoriums war dabei abhängig vom persönlichen
Kontakt zu jüdischen DPs, den alle Befragten in unterschiedlicher Form anga-
ben. Man erinnerte sich einerseits an belegte Gebäude in der Nachbarschaft, 329
andererseits an Räume, derer man etwa durch beruflichen Kontakt gewahr
wurde. Herr A., der in einer Druckerei arbeitete, konnte sich an Aufträge für die
jüdische Lagerverwaltung erinnern. 330 In diesem Zusammenhang fiel ihm das
„Gemeindebüro“ in der Frankfurter Straße ein.
An konkrete Konflikte, wie sie in den schriftlichen Quellen Erwähnung finden,
konnte sich keiner der Befragten erinnern. Bezüglich der allgemeinen Stimmung
innerhalb der Bevölkerung gegenüber den jüdischen DPs gab es unterschiedli-
che Auffassungen. Während sich einige Interviewte an keine besondere Hal-
tung bezüglich der jüdischen DPs erinnerten, 331 gab Herr A. eine deutlich ab-
326 Auf Nachfrage äußerte sich Frau H. wie folgt: „Im Konvikt war irgendwas. Aber wissen Sie,
das hat man nicht so richtig mitgekriegt.“ Juden könnten da wohl gewesen sein, ebenso gut
auch Letten.
327 Interview mit Frau H. vom 21. April 2004.
328 Interview mit Herrn A. vom 28. April 2004.
329 Vgl. etwa Interview mit Frau E. und Frau T. vom 29. Januar 2004: Erinnerung an Belegung
von Schloss Fechenbach und Privathäusern in der Marienstraße.
330 Vgl. Interview mit Herrn A. vom 28. April 2004, in der Druckerei arbeitete auch ein jüdischer
DP, der die Drucksachen des Lagers betreute.
331 Frau E. und Frau T. waren in der Rückschau der Auffassung, es hätte „ein gutes Einvernehmen
mit den polnischen Juden“ gegeben.
82

lehnende Stimmung innerhalb der einheimischen Bevölkerung wieder und
machte dafür die Belegung privaten Wohnraums verantwortlich:
„’Dort drüben, die ganze Straße ist voller Juden, das ist Raum der uns zur Verfügung
stünde’ – das ist doch eine normale Reaktion! […] Wenn der eigene Freiheitsraum
eingeschränkt wird, ist so eine Reaktion doch normal. Die haben uns
den Wohnraum weggenommen.“ 332
Die jüdischen DPs wurden demnach als Eindringlinge in den Identitätsraum
Dieburg aufgefasst. Die Begriffe ‘Raum’, ‘Freiheitsraum’ und ‘Wohnraum’ be-
ziehen sich nicht auf das Konvikt, sondern auf die beschlagnahmten und den
jüdischen DPs zur Verfügung gestellten privaten Unterkünfte in der Stadt. Die
jüdischen DPs wurden als ‘Fremde’ angesehen, die einheimischen Wohnraum
okkupierten. Eine klare Trennung zwischen den Dieburger Juden und den jüdi-
schen DPs („Das waren Fremde. Die kamen aus Russland und so.“ 333 ) wurde
von allen Zeitzeugen vollzogen. Die vor dem II. Weltkrieg in Dieburg lebenden
Juden betrachtete man als dem Identitätsraum Dieburg zugehörig.
Die Wahrnehmung als ‘Fremde’ schloss über den Schwarzmarkt hinaus rei-
chende Kontaktmöglichkeiten nicht aus. Frau T. berichtete von Handarbeiten,
die sie für eine jüdische DP-Familie ausführte. Die sechsköpfige Familie – die
jüngste Tochter war zwei Jahre alt – lebte in einem belegten Gebäude in der
Nachbarschaft. Der Vater sei Rechtsanwalt gewesen. Als Gegenleistung für
maßangefertigte Strickwaren, deren Rohstoffe sie von ihren Auftraggebern ge-
stellt bekam, erhielt sie gebrauchte Kleidungsstücke. Frau E. konnte sich an
einem besonderen Tanzabend in einem zentral gelegenen Gasthaus erinnern.
Organisiert über einen jüdischen Lagerpolizisten baten jüdische DPs einheimi-
sche Frauen zum Tanz. 334 Da sich dies in der Fastnachtszeit ereignete, kamen
die jungen Frauen als alte Frauen verkleidet und die jüdischen Männer seien
„enttäuscht gewesen, dass sie nicht mehr Fleisch zu sehen bekommen“ hätten.
Frau H. konnte sich an diese Art des Kontakts nicht erinnern, deutete gleich-
332 Herr A. selbst war nicht von der ‘Wegnahme’ von Wohnraum betroffen, wie das Zitat vermuten
ließe. Unter ‘uns’ versteht er die Dieburger Bevölkerung. Im Verlaufe des Gesprächs verwies
er immer wieder auf sein ausgezeichnetes Verhältnis zu nach dem Krieg nach Dieburg zu
Besuch zurückgekehrten ‘Dieburger Juden’.
333 Interview mit Frau E. vom 29. Januar 2004. Bei der ersten Kontaktaufnahme bezüglich eines
möglichen Interviews zu Juden in Dieburg nach dem II. Weltkrieg entgegnete Frau E., es habe
ihres Wissens nach keine Juden in dieser Zeit in Dieburg gegeben. Erst auf dezidiertes Nachfragen
hin brachte sie den Personenkreis der ‘Fremden’ mit Juden in Verbindung und betonte
zugleich, diese hätten mit ‘den Dieburger Juden’ allerdings nichts zu tun.
334 Die Tanzveranstaltung fand im ‘Weißen Roß’ statt. Frau T. bestätigte die Aussagen.
83

wohl an, dass es Beziehungen speziell zwischen gut situierten jüdischen DPs
und einheimischen jungen Frauen gegeben habe. 335 Und Herr A. antwortete auf
die Frage nach möglichem Kontakt zu den jüdischen DPs: „Wenn man in der
Nachbarschaft so Leute hat, gibt es immer Kontakt.“
Wie die jüdischen DPs nach Dieburg gelangt waren und wie sie die Stadt ver-
ließen, war keinem der Zeitzeugen bekannt. Interessanter Weise hat auch die
Wiedernutzung der Neuen Synagoge keinerlei Spuren hinterlassen. Befragte,
die in nächster Nähe zum Marktplatz lebten, waren sich sicher, dass die Syn-
agoge nach dem Krieg nicht mehr zu religiösen Zwecken genutzt wurde. 336
Ebenfalls keine Erinnerung gab es an den Umzug der jüdischen Grabsteine aus
dem Schloss Fechenbach. Wie individuell unterschiedlich sich Erinnerungen
einprägen können - und wie sorgsam daher mit dem Interviewmaterial umge-
gangen werden muss -, deutet das folgende Beispiel an: Während sich Frau E.
und Frau T. gut an die Unterbringung jüdischer Männer im Schloss Fechenbach
erinnerten, war Frau H., zur damaligen Zeit selbst in direkter Nachbarschaft
wohnhaft, absolut davon überzeugt, dass sich dort nie jüdische DPs aufhiel-
ten. 337
4.2.2 Nationaltschechische Lagerbelegung
Über das Eindringen der Nationaltschechen in den Identitätsraum Dieburg las-
sen sich anhand der schriftlichen Quellen wenige Aussagen treffen. In einer
Resolution des ‘Verbandes der deutschen Flüchtlinge und Heimatvertriebenen -
Kreis Dieburg’ wird vehement gegen die Aufnahme der Nationaltschechen in
Hessen allgemein protestiert und dafür insbesondere der räumliche Faktor ins
Feld geführt:
„We are protesting the fact that Czeck [sic!] refugees are being accepted in the
increasing numbers in the land and we primarily oppose their staying here permanently
and their being housed - according to rumour - in private quarters - the
housing-problem arising from the 700.000 German refugees in Hesse not having
335 Vgl. Interview mit Frau H. vom 21. April 2004. Sie teilte die jüdischen DPs in wohlhabende
und arme Juden, die in ihrer Erinnerung nichts miteinander zu tun hatten, die zwei von ihr völlig
getrennt wahrgenommene Gruppen darstellten.
336 Vgl. Interviews mit Frau H., Frau E. und Frau T.
337 Auf Nachfrage äußerte Frau H.: „Im Schloss Fechenbach waren keine Juden. Im Leben
nicht. Da waren nur die Amerikaner drin.“ Konfrontiert mit den Aussagen aus den schriftlichen
Quellen und denen anderer Zeitzeugen reagierte sie sichtlich verstört und wiederholte immer
wieder, dass sie das doch würde wissen müssen.
84

een solved yet, and many of the expellees having to live in quarters that are
miserable.“ 338
Im Identitätsraum Dieburg belegten die Tschechen allerdings, wie dargestellt,
keinen privaten Wohnraum. Ein angefügter Kommentar der amerikanischen
Militärverwaltung wertete die Resolution als bewusste Provokation. 339 Es sei
aus dem Kreise der einheimischen Bevölkerung kein nennenswerter Wider-
stand gegen die Nationaltschechen zu vermelden. In einem weiteren Bericht
wird zumindest auf eine allgemein anti-tschechische Stimmung in der einheimi-
schen Bevölkerung und in gesteigertem Maße bei den Sudetendeutschen ver-
wiesen. Bezüglich des Lagers Dieburg heißt es darin: „So far there have been
no open clashes between the CSR refugees and other individuals or groups of
individuals reported.“ 340
Auch in den Erinnerungen der Dieburger Zeitzeugen haben die Nationaltsche-
chen keine Spuren hinterlassen. Auf Nachfrage konnten sich einige Befragten
an eine Belegung des Gymnasiums erinnern, nicht aber daran, welche Gruppen
dort wann untergebracht waren. In einem Fall wurde eine mögliche Belegung
des Gymnasiums als nahezu ausgeschlossen angesehen. 341
4.3 Einordnung der Untersuchungsergebnisse
Vergleicht man, wie die DPs in den untersuchten Identitätsräumen von der ein-
heimischen Bevölkerung wahrgenommen werden, stellt man sowohl Gemein-
samkeiten als auch deutliche Unterschiede fest. Insbesondere bei der Wahr-
nehmung der jüdischen DPs sind markante Differenzen offensichtlich. Die
grundsätzliche Vergleichbarkeit der Wirkung der jüdischen DPs in Babenhausen
und Dieburg wird durch deren unterschiedlich langen Aufenthalt nicht in Frage
gestellt, da sich die überwiegende Zahl der schriftlichen Quellen bezüglich des
Identitätsraums Dieburg auf die ersten sechs Monate der Belegung beziehen
und sich in gerade diesen die grundlegenden Unterschiede manifestieren.
338
HHStAW, OMGH, 649 8/69 - 1/6, 8 von 8, Information Report # 156, ‘Czeck Flüchtlinge Protest
- Resolution by the ‘Verband der deutschen Flüchtlinge und Heimatvertriebenen - Kreis
Dieburg’’ vom 02. April 1948.
339
Ebenda.
340
HHStAW, OMGH, 649 8/69 - 1/6, 6 von 8, Office of Chief of Intelligence, ‘Czech refugees’
vom 29. April 1948.
341
Vgl. Interview mit Frau H. vom 21. April 2004.
85

In beiden Identitätsräumen wurden die jüdischen DPs als ‘Fremde’ angesehen
und als Konkurrenz um knappe Ressourcen. Die Trennung zwischen einheimi-
schen Juden (vor dem Krieg) und fremden Juden (in der Nachkriegszeit) galt
ebenso in beiden Räumen wie eine von antisemitischen Stereotypen geprägte
Grundhaltung. Die Unterschiede in der Wahrnehmung resultierten aus der un-
terschiedlichen territorialen Anordnung der Lager. In Babenhausen war durch
die Unterbringung der jüdischen DPs auf dem klar definierten und außerhalb
des Identitätsraums liegenden Territorium der Kaserne der Kontakt von vorn-
herein begrenzt. Das Lager wurde tatsächlich als solches aufgefasst. Ganz an-
ders in Dieburg. Während das am Rande der Stadt gelegene Bischöfliche Kon-
vikt noch am ehesten der Vorstellung eines Lagers entsprach, war die räumli-
che Präsenz der jüdischen DPs in den über die Stadt verteilten Privathäusern
von gänzlich anderer Qualität. Das Lager Dieburg wurde von der einheimischen
Bevölkerung nicht als solches interpretiert. Für die aus der Belegung privaten
Wohnraums resultierenden (negativen wie positiven) Reaktionen und Kontakte
hinsichtlich der einheimischen Bevölkerung lassen sich drei wesentliche, sich
gegenseitig beeinflussende Ursachen nennen. Erstens war Wohnraum eines
der zentralen Probleme der Nachkriegszeit - nicht nur in den untersuchten Iden-
titätsräumen. 342 Aufgrund von Zerstörung und den in großem Umfang zusätzlich
unterzubringenden Heimatvertriebenen lebten große Teile der Bevölkerung in
überaus beengten Verhältnissen. Zweitens waren private Häuser, wie einleitend
unter Bezug auf Bollnow skizziert, mehr als nur konkreter Raum. Die Belegung
von Eigenheimen (als Orten der Geborgenheit), die somit der einheimischen
Bevölkerung entzogen wurden, stellte daher ein besonders massives Eindrin-
gen in den Identitätsraum dar - ungeachtet dessen, dass die beschlagnahmten
Häuser zuvor in jüdischem Besitz waren oder ortsbekannten Nationalsozialisten
gehörten. 343 Drittens stellte die Präsenz der jüdischen DPs in unmittelbarer
Nachbarschaft eine konstante Anwesenheit im Identitätsraum Dieburg dar, der
sich die einheimische Bevölkerung kaum entziehen konnte. ‘Fremde’ - und dazu
342 Im untersuchten Quellenmaterial wird die Wohnraumproblematik an unzähligen Stellen als
gravierendes Problem bis weit in die Nachkriegszeit ausgemacht. Exemplarisch für den Kreis
Dieburg vgl. NARA 466 250 / 84 / 27 / 6, box 8, OMGUS, ‘Weekly Information Report’ vom 19.
November 1946. Vgl. zur Gesamtdeutschen Situation Kleßmann, Christoph: Die doppelte
Staatsgründung, S. 37ff. sowie Glaser, Hermann: 1945, S. 135ff.
343 Vgl. dazu auch das im folgenden Kapitel beschriebene Beispiel aus Münster.
86

noch Juden 344 - drangen in den Raum einer vor dem II. Weltkrieg noch sehr
statischen Gemeinschaft ein und bekamen eigenen Wohnraum (im Gegensatz
zu den deutschen Flüchtlingen, die in Sammelunterkünften untergebracht wa-
ren oder zusätzlich einquartiert wurden) zur Verfügung gestellt. Anders als in
Babenhausen boten den latent gegen alles Fremde, teilweise auch antisemi-
tisch eingestellten Teilen der Bevölkerung die räumlich präsenten jüdischen
DPs so eine ideale Projektionsfläche für ihre Gesinnung. Andererseits ermög-
lichte die territoriale Anordnung in der Nachbarschaft auch eine Art von Kontakt,
den man als eher pragmatisch bezeichnen kann. Seitens der jüdischen DPs zur
Verfügung stehende Waren wurden nicht nur gegen Sachwerte, sondern auch
gegen Dienstleistungen getauscht, wie die angeführten Beispiele der Haus-
haltshilfen und Auftragsarbeiten belegen. Vorraussetzung für die Beschäftigung
einer persönlichen Putzfrau war, dass den jüdischen DPs privat zu nutzender
Raum zur Verfügung gestellt wurde.
Wichtig erscheint, nochmals darauf hinzuweisen, dass zum einen die Beson-
derheit der Unterbringung in über die Stadt verteiltem, privatem Wohnraum und
zum anderen dessen herausragende Rolle als Ursache möglicher Spannungen
schon den Zeitgenossen durchaus bewusst war. Im Bewusstsein der Dieburger
Bevölkerung spielten die für das Lager selbst zentralen Territorien des Kon-
vikts 345 und der Synagoge eine deutlich geringere Rolle als eben die beschlag-
nahmten Häuser.
Die Nationaltschechen wurden sowohl in Dieburg als auch in Babenhausen nur
marginal wahrgenommen, wie schriftliche und mündliche Quellen übereinstim-
mend nahe legen. Lediglich für die ebenfalls neu in den Identitätsräumen ange-
siedelten Sudetendeutschen waren sie von Bedeutung, nicht aber für die orts-
ansässige Bevölkerung. Die angestrebte räumliche Trennung scheint hier funk-
tioniert zu haben. Dies lässt sich zumindest durch die schriftlichen Quellen be-
legen, da in ihnen sicherlich festzuhaltende Konfrontationen nicht aufzufinden
sind. Etwas vorsichtiger muss die Deutung des Nichterinnerns der Zeitzeugen
344 Die jüdischen DPs wurden in der Regel zuerst als Fremde, erst in einem zweiten Schritt als
Juden angesehen. Vgl. dazu auch Niethammer, Lutz: Juden und Russen im Gedächtnis der
Deutschen. In: Pehle, Walter H. (Hg.): Der historische Ort des Nationalsozialismus: Annäherungen.
Frankfurt am Main 1990, S. 114-134.
345 Wie beschrieben war das Konvikt für die katholische Kirche von Bedeutung, für die einheimische
Bevölkerung spielte es aber nur eine Rolle bezüglich der Angst vor neuen Beschlagnahmungen
im Zuge einer möglichen Räumung.
87

ausfallen. Anders als das Schicksal der Juden waren die Nationaltschechen
kein Bestandteil öffentlicher Diskussion. Auch in – für den Erinnerungsprozess
ebenso wichtigen – Familiengesprächen 346 dürften sie keine Rolle gespielt ha-
ben. Die Juden hingegen sind bekanntlich seit geraumer Zeit, spätestens seit
den 1980er Jahren, kein Tabuthema mehr. In den geführten Interviews wurde
dies nicht nur zwischen den Zeilen erkennbar: Ausnahmslos alle Zeitzeugen
erwähnten ungefragt, während des II. Weltkriegs nichts von Konzentrationsla-
gern gewusst zu haben. 347
5. Auswirkung der territorialen Anordnung von DP-Lagern in
anderen Identitätsräumen
Vergleicht man die gewonnen Ergebnisse mit den Erfahrungen aus anderen
Identitätsräumen, lassen sich auffallende Ähnlichkeiten feststellen. In bisher
untersuchten Fällen, in denen DPs in Kasernen untergebracht waren, wird eine
„Reproduktion einer Ghetto-Situation“ 348 konstatiert, die den Kontakt zur ein-
heimischen Bevölkerung weitgehend unterband. In den selteneren Fällen, in
denen privater Wohnraum belegt war, kam es wie in Dieburg zu verschiedenen
Formen des Kontakts. Deutliche Parallelen zum Identitätsraum Dieburg weisen
auch die Reaktionen in Münster bezüglich der (zum Lager Dieburg gehörenden)
okkupierten Häuser auf. In einem Schreiben der ortsansässigen CDU an die
amerikanische Militärverwaltung heißt es, die rechtmäßigen Besitzer der Häu-
ser müssten seit nahezu einem Jahr „entbehren, was ein menschenwürdiges
Dasein erfordert“ und an „fremden Wohnstätten“ auf „sehr beschränktem Wohn-
raum“ ihr Dasein fristen. 349 Der Tonfall des Schreibens lässt keinen Zweifel dar-
an aufkommen, dass die Belegung privaten Wohnraums im Identitätsraum
Münster als unerträgliche Zumutung aufgefasst wurde. 350 Die amerikanische
Militärverwaltung reagierte mit Unverständnis auf die Eingabe:
346
Zum Einfluss des Familiengesprächs auf die Erinnerung vgl. Welzer, Harald / Moller, Sabine
/ Tschuggnall, Karoline: „Opa war kein Nazi“. Nationalsozialismus und Holocaust im Familiengedächtnis.
Frankfurt am Main 2002, besonders S. 18ff.
347
Vgl. etwa die zitierten Aussagen von Herrn G. in Kapitel 4.1.1 dieser Arbeit.
348
Eder, Angelika: Jüdische Displaced Persons im deutschen Alltag, S. 168, hier bezüglich der
Saarburg-Kaserne in Landsberg am Lech.
349
NARA 260 390 / 49 / 15 / 1-2, box 503, Schreiben der CDU Münster, ‘Belegung der Wohnhäuser
in der Friedrich-Ebert-Strasse durch jüdische Familien’ vom 31. Juli 1947.
350
Vgl. ebenda. Die Unterbringung der Kinder der betroffenen Familien auf beengtem Wohnraum
wurde als „gesundheitsgefährdend“ eingestuft. Weiter heißt es: „Die Gemeinde Münster
ist mit Ihrem sehr beengten Gesamtwohnraum übervölkert, es wohnen zirka 450 Flüchtlinge
88

„In their petition, they have, with characteristic one-sidedness, ignored the fact
that there are now 40 Jewish DPs living in the 2 houses formerly occupied by 14
Germans, and that the houses were chosen because they belong to the town’s
leading Nazi families.“ 351
In den gleichen Zusammenhang gehört ein Drohbrief an den Vorsitzenden des
jüdischen Lagers Dieburg, der vermutlich von einem der betroffenen Hausbesit-
zer verfasst wurde. 352 Schon Jacobmeyer vertritt in seiner grundlegenden Stu-
die die Auffassung, dass es überall dort zu „schroffen Reaktionen“ kam, wo zu-
gunsten der DPs deutscher Wohnraum konfisziert wurde. 353 Die Beschlagnah-
mung deutscher Häuser und Wohnungen habe stets den Unwillen der vormali-
gen Eigentümer nach sich gezogen, wobei sich die Proteste wesentlich deutli-
cher artikulierten, wenn DPs anstelle von Angehörigen der Besatzungsmacht
die Räume belegten. 354 Reaktionen dieser Art sind zum Beispiel für das jüdi-
sche DP-Lager in Lampertheim belegt. 355 Neben Dieburg stellte es das zweite
jüdische Lager in Südhessen dar, für welches zahlreiche Privathäuser geräumt
wurden. Allerdings entstand hier in der Ortsmitte ein geschlossenes DP-
Territorium. 356 Auch andere, insbesondere jüdische DP-Lager analysierende
Arbeiten untermauern die in dieser Arbeit gewonnenen Erkenntnisse, wenn-
gleich sie den Raumaspekt selten näher thematisieren und in keinem Falle in
vergleichender Perspektive betrachten. Die Lager Frankfurt/Zeilsheim und
Stuttgart-West gehörten zu den wenigen großen jüdischen Lagern, für die in
und über 200 evakuierte Personen in dem über 4000 Seelen zählenden Orte.“ Es wurde daher
empfohlen, die jüdischen Familien im Dieburger Konvikt unterzubringen und „nach Überprüfung
dieser Wohnungs-Angelegenheit eine menschliche und zufriedenstellende Lösung für beide
Teile herbeizuführen“.
351
NARA 466 250 / 84 / 27 / 6, box 8, Information Report # 86 vom 15. August 1947.
352
NARA 466 250 / 84 / 27 / 6, box 8, Information Report # 167 vom 25. Oktober 1947. Nach
Einschätzung der amerikanischen Militärbehörden handelte es sich bei dem Verfasser des anonymen
Schreibens um einen der ehemaligen Hausbesitzer, der gerade aus der Kriegsgefangenschaft
heimgekehrt war und sein Anwesen von Juden besetzt vorfand. Dieser kündigte an,
mit Gesinnungsgenossen dafür zu sorgen, dass sowohl die in Münster Häuser belegenden
Juden, als auch die in der SA-Siedlung in Dieburg untergebrachten jüdischen DPs ihnen nicht
lebend entkommen könnten.
353
Jacobmeyer, Wolfgang: Vom Zwangsarbeiter zum Heimatlosen Ausländer, S. 209. Man
vertrat offenbar die Auffassung, die DPs hätten ein minderes Recht, von derartigen Maßnahmen
zu profitieren. Vgl. auch Stepien, Stanislaus: Der alteingesessene Fremde: Ehemalige
Zwangsarbeiter in Westdeutschland. Frankfurt am Main / New York 1989, S. 131-133.
354
Jacobmeyer, Wolfgang: Vom Zwangsarbeiter zum Heimatlosen Ausländer, S. 209.
355
Vgl. Kohlmannslehner, Dietrich / Lange, Thomas: „...wohnen auf der verfluchten deutschen
Erde“, S. 13.
356
Kohlmannslehner, Dietrich / Lange, Thomas: „...wohnen auf der verfluchten deutschen Er-
de“, S. 12.
89

großem Umfang privater Wohnraum beschlagnahmt wurde. 357 Für beide Lager
ist Widerstand seitens der einheimischen Bevölkerung belegt. 358 Im Falle des
von jüdischen DPs bewohnten Straßenzugs in Stuttgart sind deutsche Hausan-
gestellte und Kindermädchen in jüdischen Haushalten auffällig, werden in den
bisherigen Untersuchungen aber nicht mit der besonderen territorialen Situation
in Zusammenhang gebracht. 359 Während die Unterbringung in Kasernenbauten
weit verbreitet war, 360 verfügte keines der bisher untersuchten Lager über eine
territoriale Anordnung, die der des jüdischen DP-Lagers in Dieburg vergleichba-
re räumliche Strukturen aufweist. Eine besondere und daher schwer vergleich-
bare Situation war im Identitätsraum Landsberg am Lech gegeben. Das jüdi-
sche DP-Lager dort war in der ehemaligen Wehrmachtskaserne untergebracht.
In der Stadt selbst aber lebten jüdische DPs in privaten Wohnungen, die nicht
zum Territorium des DP-Lagers gehörten. 361
357
Myers, Margarete L.: Jewish Displaced Persons Reconstructing Individual and Community in
the US Zone of Occupied Germany. In: Leo Baeck Institute Year Book 42 (1997), S. 303-324,
S. 310.
358
Vgl. zu Frankfurt / Zeilsheim Kohlmannslehner, Dietrich / Lange, Thomas: „...wohnen auf der
verfluchten deutschen Erde“, S.11 sowie Ritter, Florian: Die Geschichte des „Displaced Persons“
- Lager in Frankfurt / Zeilsheim. Frankfurt am Main 1993. In der Arbeitersiedlung Zeilsheim
waren von der Beschlagnahmung von 217 Häusern rund 430 Familien betroffen. Zur Position
der Stadt Frankfurt diesbezüglich vgl. Schulze Wessel, Julia: Zur Reformulierung des Antisemitismus
in der deutschen Nachkriegsgesellschaft, S. 148 und 162ff. Zu Stuttgart-West (Lager
in der Reinsburgstraße) vgl. Dietrich, Susanne: „Auf dem Weg zur Freiheit“. Die jüdischen
Lager in Stuttgart nach 1945, S. 105ff. sowie Müller, Ullrich: Fremde in der Nachkriegszeit.
Displaced Persons - zwangsverschleppte Personen - in Stuttgart und Württemberg-Baden
1945-51. Stuttgart 1990.
359
Dietrich, Susanne: „Auf dem Weg zur Freiheit“. Die jüdischen Lager in Stuttgart nach 1945,
S. 104f.
360
Vgl. dazu auch Königseder, Angelika / Juliane Wetzel: Lebensmut im Wartesaal, S. 247ff.
361
Vgl. dazu Eder, Angelika: Flüchtige Heimat. Jüdische Displaced Persons in Landsberg am
Lech 1945 bis 1950. München 1998 sowie Dies.: Jüdische Displaced Persons im deutschen
Alltag. Eine Regionalstudie 1945-1950. In: Fritz-Bauer-Institut (Hg.): Überlebt und unterwegs:
jüdische Displaced Persons im Nachkriegsdeutschland. Frankfurt am Main / New York 1997,
S. 163-187.
90

6. Schlussbemerkungen
Die Bereitstellung von Raum stellt angesichts der allgemeinen Not und des ü-
bergroßen Drucks auf dem Wohnungssektor eines der brisantesten Themen
der Nachkriegszeit dar. Unterkünfte waren nicht, wie etwa Nahrungsmittel, kurz-
fristig vermehrbar. In dieser Situation requirierten die alliierten Militärverwaltun-
gen Räumlichkeiten für ihren eigenen Bedarf und für die Unterbringung der
DPs. Besonders die Letztgenannten traten bei der Belegung von Raum in Kon-
kurrenz zur einheimischen Bevölkerung sowie zu den deutschen Heimatvertrie-
benen und Flüchtlingen. Die untersuchten DP-Lager veranschaulichen, dass
dabei die Art der belegten Territorien und deren Anordnung von enormer Be-
deutung ist. Statistiken über Anzahl der DP-Lager und deren Belegung geben
darüber keine Auskunft. Es bedarf einer genauen Analyse der territorialen
Räume, will man die Wirkung der DP-Lager auf den Alltag im Nachkriegs-
deutschland differenziert beschreiben. In den untersuchten Beispielen bestätigt
sich dabei die eingangs geäußerte These, dass die unterschiedliche territoriale
Anordnung der DPs verantwortlich ist für die unterschiedliche Wirkung in den
jeweiligen Identitätsräumen. Dieser Aspekt findet in historischen Analysen der
DP-Lager bisher kaum Berücksichtigung. Die vorliegenden Studien deuten al-
lerdings darauf hin, dass eine deutlich über die lokalen Beispiele hinaus gehen-
de Gültigkeit der These wahrscheinlich ist. Um die gewonnenen Ergebnisse
relativieren, kontrastieren oder umfassend bestätigen zu können, wären Unter-
suchungen weiterer Lager unter raumspezifischen Fragestellungen notwendig.
Der Begriff ’Lager’ wird in seiner herkömmlichen Bedeutung eng mit einem ab-
gesperrten Areal in Verbindung gebracht. Nun waren die DP-Lager nicht mit
unüberwindlichen Grenzen versehen. Dennoch wurden DPs nicht nur über die
Lagerräume territorial definiert, 362 sondern auch von der ortsansässigen Bevöl-
kerung getrennt. Diese Trennung funktionierte besonders dann, wenn es sich
um geschlossene Territorien am Rande oder außerhalb der Identitätsräume der
einheimischen Bevölkerung handelte. Diese räumliche „Trennung des Lebens
362 In der britischen Besatzungszone konnten nur diejenigen die Vorzüge des DP-Status in Anspruch
nehmen, die in offiziellen Lagern untergebracht waren. Vgl. Königseder, Angelika / Wetzel,
Juliane: Lebensmut im Wartesaal, S. 55f.
91

von DPs und Deutschen“ 363 wurde bereits in den fünfziger Jahren als eine der
Hauptursachen für die Schwierigkeiten bei der Integration der in Deutschland
verbliebenen DPs angesehen. 364 Noch nahezu unbekannt ist die Wirkung der
außerhalb der Lager lebenden DPs, die in Nachbarschaft zur einheimischen
Bevölkerung lebten. Zur Erforschung dieser spezifischen DP-Gruppe und ihrer
besonderen territorialen Anordnung wären gezielte Interviews unumgänglich, da
kaum schriftliche Quellen existieren, abgesehen von sehr vagen und sich wi-
dersprechenden Schätzungen.
„Die Geschichte der Juden in Deutschland unmittelbar nach dem Krieg ist eine
öffentlich nicht beachtete“, äußerte Rachel Salamander 1995. 365 Ihre Aussage
hat, trotz einiger wissenschaftlicher Arbeiten zu diesem Thema in der letzten
Dekade, noch heute Bestand und lässt sich auf die öffentliche Nichtbeachtung
anderer DP-Gruppen ausdehnen. Die DP-Lager sind allgemein in einem „Ge-
dächtnisloch“ 366 verschwunden. In der Lokalgeschichtsschreibung finden sie,
ähnlich wie unliebsame Ereignisse aus der Zeit des Nationalsozialismus, 367 ge-
meinhin keine Erwähnung. Untersucht man etwa Stadtlexika, Fest- und Jubi-
läumsschriften der Gemeinden Babenhausen und Dieburg, findet man kaum
Hinweise, die auf die Existenz der DP-Lager in ihrer Nachkriegsgeschichte
schließen lassen. So enthält das Babenhäuser Stadtlexikon sehr wohl einen
Eintrag unter dem Stichwort ‘Kaserne’. Dass das Territorium der Kaserne vor
seiner aktuellen Nutzung hunderten von DPs Raum bot, lässt sich unter der
Formulierung „1945 bis 1950 verschiedene Verwendungen unter amerikani-
scher Verwaltung“ 368 kaum erahnen. Der begrenzte Umfang des Eintrags kann
nicht zur Erklärung heran gezogen werden: Allein 25 Zeilen sind den verschie-
denen Kommandeuren der US-Garnison seit 1951 gewidmet. In der anlässlich
363
Eder, Angelika: Displaced Persons/“Heimatlose Ausländer“ als Arbeitskräfte in Westdeutschland.
In: AfS 42 (2002), S. 1-18, S. 14.
364
Vgl. Pegel, Michael: Fremdarbeiter, Displaced Persons, Heimatlose Ausländer, S. 65ff.
365
Giere, Jaqueline / Salamander, Rachel (Hg.): Ein Leben aufs neu: Das Robinson-Album.
DP-Lager: Juden auf deutschem Boden 1945-1948. Wien 1995, S. 7. Rahel Salamander wurde
als Tochter von Überlebenden im DP-Lager Deggendorf geboren und lebte bis zu ihrem achten
Geburtstag im DP-Lager Föhrenwald.
366
Lange, Thomas: Überleben - Aufbruch - Gegenwärtige Vergangenheit. In: „Wähler, tut Eure
Pflicht!“. Der Neubeginn des politischen Lebens nach 1945 im Landkreis Darmstadt-Dieburg.
Herausgegeben vom Landkreis Darmstadt-Dieburg in Zusammenarbeit mit dem HStAD, Darmstadt
1996, S. 6-10, S. 8.
367
Vgl. dazu Schilling, Heinz: So möchten wir gerne gewesen sein. Festschriften zum Erinnern
und Vergessen. In: Rolshoven, Johanna / Scharfe, Martin (Hg.): Geschichtsbilder. Ortsjubiläen
in Hessen. Marburg 1996, S. 26-41.
368
Wittenberger, Georg (Hg.): Stadtlexikon Babenhausen. Babenhausen 1995, S. 70.
92

der 750-Jahr-Feier herausgegebenen Festschrift der Stadt ist im Kapitel ‘Die
Nachkriegszeit’ von einem „Durchgangslager mit Personen, meist aus den bal-
tischen Ländern und der Tschechei“ in den Räumlichkeiten der Kaserne die
Rede. 369 An oder in der Kaserne selbst gibt es keinerlei Hinweise auf die wech-
selhafte Belegung in der direkten Nachkriegszeit. Ein Grabstein aus dem Jahr
1946 auf dem - versteckt gelegenen und nur mit größerem Aufwand zu besich-
tigenden - jüdischen Friedhof ist der einzige Überrest, der zumindest auf jüdi-
sches Leben nach dem Krieg verweist. Die Publikationen, die das jüdische Le-
ben in beiden Städten nachzuzeichnen versuchen, scheinen die Trennung in
„einheimische“ und „fremde“ Juden aufrechtzuerhalten. In ‘Die Juden von Ba-
benhausen’ gibt es keinen Hinweis auf einen Aufenthalt jüdischer Personen in
Babenhausen nach dem II. Weltkrieg. 370 Die umfangreichen ‘Beiträge zur Ge-
schichte der Juden in Dieburg’ schildern die Geschichte der ‘Dieburger Juden’.
Auf die Anwesenheit der ‘polnischen Juden’ wird lediglich im Zusammenhang
mit der Geschichte der Neuen Synagoge verwiesen. 371 In einer Jubiläumsschrift
der Stadt aus dem Jahr 1977 wird die Belegung privater Wohnhäuser durch
‘polnische Juden’ genannt - und als große Belastung beschrieben. Bezüglich
der Räumung der Häuser und Wohnungen 1949 heißt es darin: „Dieser bis dato
der Dieburger Bürgerschaft entzogene Wohnraum fehlte sehr und erschwerte
die Unterbringung der vielen Flüchtlinge gewaltig.“ 372 Eine Festschrift anlässlich
der 100-Jahr-Feier des Bischöflichen Konvikts lässt ebenso keine Zweifel daran
aufkommen, dass die Belegung des Raums mit (jüdischen) DPs als besonders
unrühmliche Episode in der Geschichte des Hauses aufgefasst wird. 373 Der
Begriff ‘Lager’ taucht in keiner Publikation auf, was darauf hindeutet, dass die
belegten Räumlichkeiten in Dieburg auch rückblickend nicht als Lager aufge-
fasst werden. Die Räume der DPs werden, wie deren Anwesenheit allgemein,
369 Stotz, Hermann: 1236-1986. 750 Jahre Stadt Babenhausen. Babenhausen 1986, S. 49.
370 Lötzsch, Klaus / Wittenberger, Georg (Hg.): Die Juden von Babenhausen. Babenhausen
einst und jetzt, Beiheft 1 (1988).
371 Keim, Günther: Beiträge zur Geschichte der Juden in Dieburg. Dieburg 1993, S. 176.
372 Magistrat der Stadt Dieburg (Hg.): Dieburg. Beiträge zur Geschichte einer Stadt. Dieburg
1977, S. 193.
373 Bischöfliches Konvikt Dieburg (Hg.): 1869-1969 Bischöfliches Konvikt Dieburg. Festschrift
zur 100-Jahr-Feier. Dieburg 1969, S. 28f. Letten und Juden „bevölkerten nacheinander das
Konvikt, wobei sie schalteten und walteten, wie es ihnen beliebte.“ Im Duktus der Nachkriegsdekaden
heißt es: „Als schließlich im Jahre 1948 die letzten Ausländer das Haus verließen, bot
es einen traurigen Anblick. Es war so recht ein Bild unseres geschlagenen und gedemütigten
Vaterlandes selbst.“ Nachdem der gröbste Schmutz und Unrat beseitigt war, wurde „das ganze
Haus unter Gas gesetzt, damit Läuse, Wanzen und sonstiges Ungeziefer vernichtet werde.“
93

nicht als erinnerungswürdiger Bestandteil der lokalen Geschichte verstanden -
was keineswegs ungewöhnlich ist. 374 Nach der Entdeckung einer jüdischen In-
schrift im Schloss Fechenbach 375 gibt es allerdings seitens des Stadtarchivs
Dieburg in jüngster Zeit Überlegungen, zumindest an die Belegung des Schloss
Fechenbach in einer derzeit in Entstehung befindlichen Ausstellung zu erinnern.
Räumliche Aspekte werden in der Geschichtswissenschaft bisher selten in der
Art und Weise untersucht, wie es in der vorliegenden Arbeit getan wird. Die
aufgezeigte Wirkung räumlicher Dimensionen macht aber deutlich, dass eine
raumbezogene Perspektive in historischen Untersuchungen durchaus neue
Deutungsebenen erschließen kann. In diesem Sinne scheint es lohnenswert,
auch andere Entwicklungen und Phänomene, die Gegenstand historischer Be-
trachtungen sind, auf deren räumliche Aspekte hin zu untersuchen oder zumin-
dest den möglichen Einfluss räumlicher Faktoren bei der Analyse zu bedenken.
374 Vgl. dazu auch Assmann, Aleida: 1945 - der blinde Fleck der deutschen Erinnerungsgeschichte.
In: Dies. / Frevert, Ute: Geschichtsvergessenheit - Geschichtsversessenheit. Stuttgart
1999, S. 97-139 sowie Plato, Alexander von / Leh, Almut: „Ein unglaublicher Frühling“. Erfahrene
Geschichte im Nachkriegsdeutschland, 1945-1948. Bonn 1997.
375 Eine Abbildung der 2003 bei Sanierungsarbeiten entdeckten Inschrift befindet sich im An-
hang 10.
94

7. Anhang
Anhang 1: Babenhausen - Chronologie der Lagerbelegung
95

Anhang 2: Dieburg - Chronologie der Lagerbelegung
96

Anhang 3: Stadtplan Dieburg 1949
97

Anhang 4: Kartenausschnitt Babenhausen 1948
98

Anhang 5: Kaserne Babenhausen
99

Anhang 6: DP-Plakat
100

Anhang 7: DP-Plakat – Ausschnitt
101

Anhang 8: Liste beschlagnahmten Wohnraums in Dieburg
102

103

Anhang 9: Beschlagnahmte Häuser in Dieburg
104

Anhang 10: Schloss Fechenbach
105

Anhang 11: Synagoge und Gymnasium
106

Anhang 12: Bischöfliches Konvikt Dieburg
107

8. Quellen- und Literaturverzeichnis
8.1 Quellenverzeichnis
Archivalien:
Stadtarchiv Babenhausen
Kasernenakten (keine Registratur)
Stadtarchiv Dieburg
A 3139 Beschlagnahme von Wohnungen 1947-1949
A 4354 Beschlagnahme von kirchlichem Eigentum und Vermögen
A 4677 Räumung des Konvikts zur Unterbringung der DPs + Rücktransport
jüdischer Grabsteine
A 4679 Synagoge Dieburg
C 1/001 Plakat ‘The occupation of Dieburg’
D 255 Rechnung an UNRRA
P 2/180 Stadtplan Dieburg 1949
Hessisches Staatsarchiv Darmstadt (HStAD)
H 1 Nr. 4001 Regierungspräsident Darmstadt, Akten des Hessischen
Staatsministeriums
H 2 Dieburg Nr. 2353 Betreuungsstelle für politisch, rassisch, religiös Verfolgte
Kreis Dieburg
H 2 Dieburg Nr. 4345 Kennkarten Lager Babenhausen
H 2 Dieburg Nr. 4347 Akten zu ‘Auswanderung der DPs’
H 2 Dieburg Nr. 4711 Röntgenuntersuchungen Lager Dieburg
H 2 Dieburg Nr. 4716 Röntgenuntersuchungen Lager Babenhausen / Dieburg
H 2 Dieburg Nr. 4725 Röntgenuntersuchungen Lager Babenhausen
R 12 F Nr. 10/8 Plakat des Ministeriums für politische Befreiung
OMGUS 8/3 - 3/4 OMGUS-Bestand (Mikrofiche)
Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden (HHStAW)
502 Nr. 1140 Aufnahme und Unterbringung von Flüchtlingen,
Heimatvertriebenen und Zwangsverschleppten (Allgemeines)
502 Nr. 1822 Informationsberichte zur Deutschlandfrage (Dt. Büro für
Friedensfragen)
502 Nr. 1937 Aufnahme nationaltschechischer Flüchtlinge in Hessen
502 Nr. 5174 b Eingaben an den Ministerpräsidenten
503 Nr. 68 Aus der UNRRA-Betreuung entlassene Zwangsverschleppte
503 Nr. 104 Schriftwechsel des Landesamtes für Flüchtlinge betr. Juden,
Ausländer, Verschleppte, Internierte
503 Nr. 374 Übernahme der Betreuung von D(isplaced) P(ersons) durch
deutsche Behörden
108

503 Nr. 1275 Aufnahme von Displaced Persons in Hessen (Grundsätzliches)
508 Nr. 2150 Überprüfung von Beschwerden der Kirchen über die Beschlagnahme
kircheneigenen Wohnraums
508 Nr. 5053 Aufnahme und Versorgung von Heimatlosen (Displaced
Persons)
649 8/69 - 1/6 OMGH (Mikrofiche)
Institut für Zeitgeschichte München
ED 122/34 Pollock Papers
Zentrum für Antisemitismusforschung Berlin
(Aus dem Bestand des YIVO-Archivs New York auf Mikrofilm)
Displaced Persons Camps and Centers in Germany, Records 1945-1952
(DPG): Folder 37-47, 51-56, 72-73, 86, 91-93, 116, 154-164, 1210
Leo W. Schwarz Papers, 1945-149 (LWSP): Folder 23-27, 31, 33, 58-59, 165-
170, 275
National Archives Washington (NARA)
RG 260 OMGUS-Bestand
RG 466 HICOG-Bestand
Gedruckte Quellen:
Office of the US High Commissioner for Germany (Hg.): Displaced Populations.
Welfare, Assistance and Problems in Germany today. Frankfurt 1950.
Schlomo Winter: „Dieburg einmal und heute“. In: Zionistische Stimme 10,
06.03.1947. (Übersetzung in L’Chaim, S. 299f.)
Troop I&E Bulletin, vol.3, no.19, Troop Information Program 9 May 1948.
Zeitungen:
Babenhäuser Zeitung
Darmstädter Echo
Dieburger Anzeiger
Frankfurter Rundschau
109

Interviews:
Interview (I) mit Herrn Isaak Altkorn (*1926), 18. Juni 2003
Interview (II) mit Herrn Isaak Altkorn, 21. Mai 2004
Babenhausen:
Interview mit Frau M. (*1921), 22. März 2004
Interview mit Herrn G. (*1921), 24. März 2004
Interview mit Frau R. (*1924), 10. Mai 2004
Dieburg:
Interview mit Frau E. (*1927) und Frau T. (*1920), 29. Januar 2004
Interview mit Frau H. (*1932), 21. April 2004
Interview mit Herrn A. (*1933), 28. April 2004
(Die Namen der Interviewten sind dem Verfasser dieser Arbeit bekannt, wurden
aus Gründen des Datenschutzes aber anonymisiert.)
110

8.2 Literaturverzeichnis
Albrich, Thomas: Brichah: Fluchtwege durch Österreich. In: Fritz-Bauer-Institut
(Hg.): Überlebt und unterwegs: jüdische Displaced Persons im Nachkriegsdeutschland.
Frankfurt am Main / New York 1997, S. 207-227.
Albrich, Thomas: Exodus durch Österreich: die jüdischen Flüchtlinge 1945-
1948. Innsbruck 1987.
Albrich, Thomas (Hg.): Flucht nach Eretz Israel: Brichah und der jüdische Exodus
durch Österreich nach 1945. Innsbruck 1998.
Assmann, Aleida: 1945 - der blinde Fleck der deutschen Erinnerungsgeschichte.
In: Assmann, Aleida / Frevert, Ute: Geschichtsvergessenheit - Geschichtsversessenheit.
Stuttgart 1999, S. 97-139.
Bauer, Yehuda: Flight and Rescue: Brichah. New York 1970.
Bauer, Yehuda: Out of the Ashes: The Impact of American Jews on Post-
Holocaust European Jewery. Oxford 1989.
Bischöfliches Konvikt Dieburg (Hg.): 1869-1969 Bischöfliches Konvikt Dieburg.
Festschrift zur 100-Jahr-Feier. Dieburg 1969.
Bischöfliches Ordinariat Mainz (Hg.): Lebensspuren - 125 Jahre Konvikt und
Exerzitienhaus Dieburg. Mainzer Perspektiven - Berichte und Texte aus dem
Bistum 5. Mainz 1995.
Bollnow, Otto Friedrich: Mensch und Raum. Stuttgart 2000 (9. Auflage).
Bourdieu, Pierre: Physischer, sozialer und angeeigneter physischer Raum. In:
Wentz, Martin (Hg.): Stadt-Räume. Frankfurt am Main 1991, S. 25-34.
Bourdieu, Pierre: Sozialer Raum und ‘Klassen’. Frankfurt am Main ²1991.
Brenner, Michael: Nach dem Holocaust. Juden in Deutschland 1945-1950.
München 1995.
Burghartz, Susanne: Historische Anthropologie / Mikrogeschichte. In: Eibach,
Joachim / Lottes, Günther (Hg.): Kompass der Geschichtswissenschaft. Ein
Handbuch. Göttingen 2002, S. 206-218.
Conrad, Christoph (Hg.): Mental Maps. GG 28 (2002), Heft 3.
Daniel, Ute: Kompendium Kulturgeschichte. Theorien, Praxis, Schlüsselwörter.
Frankfurt am Main 2001.
111

Dejung, Christof: Eine Brücke zwischen Zeitzeugen und Historikern. Oral History
- erfragte Vergangenheit als Erweiterung der Quellenbasis. In: NZZ vom 3./4.
Juni 2000.
Dietrich, Susanne: „Auf dem Weg zur Freiheit“. Die jüdischen Lager in Stuttgart
nach 1945. In: Dietrich, Susanne / Schulze Wessel, Julia: Zwischen Selbstorganisation
und Stigmatisierung: die Lebenswirklichkeit jüdischer Displaced Persons
und die neue Gestalt des Antisemitismus in der deutschen Nachkriegsgesellschaft.
Stuttgart 1998, S. 11-130.
Dinnerstein, Leonhard: Britische und amerikanische DP-Politik. In: Fritz-Bauer-
Institut (Hg.): Überlebt und unterwegs. Jüdische Displaced Persons im Nachkriegsdeutschland.
Frankfurt am Main / New York 1997 (Jahrbuch 1997 zur Geschichte
und Wirkung des Holocaust), S. 109-117.
„Displaced Persons, jüdische“. In: Jäckel, Eberhard u.a. (Hg.): Enzyklopädie
des Holocaust. Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden. Berlin
1993, Bd.1, S. 345-354.
Eckert, Gisela: Hilfs- und Rehabilitierungsmaßnahmen der West-Alliierten des
2. Weltkriegs für Displaced Persons (DPs) dargestellt am Beispiel Niedersachsens
1945-52. Braunschweig 1995.
Eder, Angelika: Displaced Persons/“Heimatlose Ausländer“ als Arbeitskräfte in
Westdeutschland. In: AfS 42 (2002), S. 1-18.
Eder, Angelika: Flüchtige Heimat. Jüdische Displaced Persons in Landsberg am
Lech 1945 bis 1950. München 1998.
Eder, Angelika: Jüdische Displaced Persons im deutschen Alltag. Eine Regionalstudie
1945-1950. In: Fritz-Bauer-Institut (Hg.): Überlebt und unterwegs: jüdische
Displaced Persons im Nachkriegsdeutschland. Frankfurt am Main / New
York 1997, S. 163-187.
Fischer, Ria: Babenhausen als Garnisonsstadt. Babenhausen 1991.
Friedrich, Klaus-Peter: Antijüdische Gewalt nach dem Holocaust. Zu einigen
Aspekten des Judenpogroms von Kielce. In: Jahrbuch für Antisemitismusforschung
6 (1997), S. 115-147.
Fritz-Bauer-Institut (Hg.): Überlebt und unterwegs. Jüdische Displaced Persons
im Nachkriegsdeutschland. Frankfurt am Main / New York 1997 (Jahrbuch 1997
zur Geschichte und Wirkung des Holocaust).
Giere, Jaqueline: Ein Leben aufs Neu. Jüdische Displaced Persons 1945-1957.
In: Konfrontationen - Bausteine für die pädagogische Annäherung an Geschichte
und Wirkung des Holocaust (herausgegeben vom Fritz-Bauer-Institut), Heft 6
(2003), S. 33-49.
112

Giere, Jaqueline: Jüdische Displaced Persons in der Nachkriegszeit. In:
Schacht, Konrad (Hg.): Hessen 1945. Demokratischer Neubeginn zwischen
Utopie und Pragmatismus. Wiesbaden 1995, S. 106-123.
Giere, Jacqueline Dewell: Wir sind unterwegs, aber nicht in die Wüste. Erziehung
und Kultur in den jüdischen Displaced Persons-Lagern der amerikanischen
Zone im Nachkriegsdeutschland 1945-1949. Frankfurt am Main 1993.
Giere, Jaqueline / Salamander, Rachel (Hg.): Ein Leben aufs neu: Das Robinson-Album.
DP-Lager: Juden auf deutschem Boden 1945-1948. Wien 1995.
Glaser, Hermann: 1945. Ein Lesebuch. Frankfurt am Main 1995.
Grossmann, Atina: Trauma, Memory, and Motherhood: Germans and Jewish
Displaced Persons in Post-Nazi Germany, 1945-1949. In: AfS 38 (1998), S.
215-239.
Hajek, Jiri: Begegnungen und Zusammenstöße. Erinnerungen des ehemaligen
tschechoslowakischen Außenministers. Freiburg 1987.
Hard, Gerhard: „Bewußtseinsräume“. Interpretationen zu geographischen Versuchen,
regionales Bewußtsein zu erforschen. In: Geographische Zeitschrift 75
(1987), S. 126-148.
Herbert, Ulrich: Fremdarbeiter. Politik und Praxis des "Ausländer-Einsatzes" in
der Kriegswirtschaft des Dritten Reiches. Berlin / Bonn 1985, Neuauflage Bonn
1999.
Herzig, Arno: Jüdische Geschichte in Deutschland. Von den Anfängen bis zur
Gegenwart. Zweite, durchgesehene und aktualisierte Auflage München 2002.
Heumos, Peter (Hg.): Heimat und Exil. Emigration und Rückwanderung, Vertreibung
und Integration in der Geschichte der Tschechoslowakei. Oldenburg
2001.
Hoensch, Jörg K.: Geschichte der Tschechoslowakei. Dritte, erweiterte Auflage
Stuttgart / Berlin / Köln 1992.
Hoensch, Jörg K. / Lemberg, Hans (Hg.): Begegnung und Konflikt. Schlaglichter
auf das Verhältnis von Tschechen, Slowaken und Deutschen, 1815-1989. Bonn
2001.
Hofmann, Andreas R.: Die polnischen Holocaust-Überlebenden. Zwischen Assimilation
und Emigration. In: Fritz-Bauer-Institut (Hg.): Überlebt und unterwegs.
Jüdische Displaced Persons im Nachkriegsdeutschland. Frankfurt am Main /
New York 1997 (Jahrbuch 1997 zur Geschichte und Wirkung des Holocaust), S.
51-69.
113

Imboden, Monika / Meister, Franziska / Kurz, Daniel (Hg.): Stadt - Raum - Geschlecht.
Beiträge zur Erforschung urbaner Lebensräume im 19. und 20. Jahrhundert.
Zürich 2000.
Jacobmeyer, Wolfgang: Jüdische Überlebende als ‘Displaced Persons’: Untersuchungen
zur Besatzungspolitik in den deutschen Westzonen und zur Zuwanderung
osteuropäischer Juden 1945-1947. In: GG 9 (1983), Heft 3, S. 421-452.
Jacobmeyer, Wolfgang: Polnische Juden in der amerikanischen Besatzungszone
Deutschlands 1946/47. In: VfZ 25 (1977), S. 120-135.
Jacobmeyer, Wolfgang: Vom Zwangsarbeiter zum Heimatlosen Ausländer: Die
Displaced Persons in Westdeutschland 1945-1951. Göttingen 1985.
Jarausch, Konrad H. / Sabrow, Martin (Hg.): Verletztes Gedächtnis. Erinnerungskultur
und Zeitgeschichte im Konflikt. Frankfurt 2002.
Kambartel, W.: Raum. In: Ritter, Joachim / Gründer, Karlfried (Hg.): Historisches
Wörterbuch der Philosophie. Darmstadt 1992, Bd. 8, S. 67-111.
Keim, Günther: Beiträge zur Geschichte der Juden in Dieburg. Dieburg 1993.
Kleßmann, Christoph: Die doppelte Staatsgründung. Deutsche Geschichte
1945-1955. Bonn 1982, dritte erweiterte Auflage 1991.
Königseder, Angelika / Wetzel, Juliane: Lebensmut im Wartesaal: Die jüdischen
DP’s (Displaced Persons) im Nachkriegsdeutschland 1945-1949. Frankfurt am
Main 1994.
Kohlmannslehner, Dietrich / Lange, Thomas: „...wohnen auf der verfluchten
deutschen Erde“ - Jüdisches Leben in Südhessen nach 1945. Darmstadt 1998.
Koschmal, Walter/ Nekula, Marek / Rogall, Joachim (Hg.): Deutsche und
Tschechen. Geschichte, Kultur, Politik. München 2001.
Koselleck, Reinhart: Raum und Zeit. In: Koselleck, Reinhart: Zeitschichten. Studien
zur Historik. Frankfurt am Main 2000, S. 78-96.
Klüter, Helmut: Raum als Objekt menschlicher Wahrnehmung und Raum als
Element sozialer Kommunikation. Vergleich zweier humangeographischer Ansätze.
In: Mitteilungen der Österreichischen Geographischen Gesellschaft 136
(1994), S. 143-178.
Krüger, Rainer: Wie räumlich ist die Heimat? - Oder: Findet sich in Raumstrukturen
Lebensqualität? Gedanken zum gesellschaftstheoretischen Diskussionsstand
um die ‘Krise der Moderne’ und die Bedeutung der Regionalforschung. In:
Geographische Zeitschrift 75 (1987), S. 160-177.
114

Läpple, Dieter: Essay über den Raum. Für ein gesellschaftswissenschaftliches
Raumkonzept. In: Häußermann, Hartmut (Hg.): Stadt und Raum. Soziologische
Analysen. Pfaffenweiler ²1992, S. 157-207.
Lange, Thomas (Hg.): „L’chajim“. Die Geschichte der Juden im Landkreis
Darmstadt-Dieburg. Reinheim 1997.
Lange, Thomas: Überleben - Aufbruch - Gegenwärtige Vergangenheit. In:
„Wähler, tut Eure Pflicht!“. Der Neubeginn des politischen Lebens nach 1945 im
Landkreis Darmstadt-Dieburg. Herausgegeben vom Landkreis Darmstadt-
Dieburg in Zusammenarbeit mit dem HStAD, Darmstadt 1996, S. 6-10.
Lötzsch, Klaus / Wittenberger, Georg (Hg.): Die Juden von Babenhausen. Babenhausen
einst und jetzt, Beiheft 1 (1988).
Löw, Martina: Raumsoziologie. Frankfurt am Main 2001.
Lüdtke, Alf: Was ist und wer treibt Alltagsgeschichte? In: Ders. (Hg.): Alltagsgeschichte.
Zur Rekonstruktion historischer Erfahrungen und Lebensweisen.
Frankfurt am Main 1989, S. 9-47.
Magistrat der Stadt Dieburg (Hg.): Dieburg. Beiträge zur Geschichte einer Stadt.
Dieburg 1977.
Mankowitz, Zeev W.: Life between Memory and Hope: The Survivors of the
Holocaust in Occupied Germany. Cambridge 2002.
Maurer, Trude: Ostjuden in Deutschland 1918-1933. Hamburg 1986.
Meier, Christian: Vierzig Jahre nach Auschwitz: Deutsche Geschichtserinnerung
heute. München 2. erweiterte Auflage 1990.
Müller, Ulrich: Fremde in der Nachkriegszeit. Displaced Persons - zwangsverschleppte
Personen - in Stuttgart und Württemberg-Baden 1945-51. Stuttgart
1990.
Myers, Margarete L.: Jewish Displaced Persons Reconstructing Individual and
Community in the US Zone of Occupied Germany. In: Leo Baeck Institute Year
Book 42 (1997), S. 303-324.
Naumann, Klaus (Hg.): Nachkrieg in Deutschland. Hamburg 2001.
Niethammer, Lutz: Anmerkungen zur Alltagsgeschichte. In: Niethammer, Lutz:
Deutschland danach. Postfaschistische Gesellschaft und nationales Gedächtnis.
Bonn 1999, S. 450-464.
Niethammer, Lutz: Ego-Histoire? - und andere Erinnerungsversuche. Wien /
Köln / Weimar 2002.
115

Niethammer, Lutz: Juden und Russen im Gedächtnis der Deutschen. In: Pehle,
Walter H. (Hg.): Der historische Ort des Nationalsozialismus: Annäherungen.
Frankfurt am Main 1990, S. 114-134.
Osterhammel, Jürgen: Die Wiederkehr des Raumes: Geopolitik, Geohistorie
und historische Geographie. In: NPL 3/1998, S. 374-397.
Osterhammel, Jürgen: Raumerfassung und Universalgeschichte. In: Osterhammel,
Jürgen: Geschichtswissenschaft jenseits des Nationalstaats: Studien
zu Beziehungsgeschichte und Zivilisationsvergleich. Göttingen 2001, S. 151-
169.
Peck, Abraham J.: Befreit und erneut in Lagern: Jüdische DPs. In: Pehle, Walter
H. (Hg.): Der Judenpogrom 1938: Von der ‘Reichskristallnacht’ zum Völkermord.
Frankfurt am Main 1988, S. 201-212.
Pegel, Michael: Fremdarbeiter, Displaced Persons, Heimatlose Ausländer:
Konstanten eines Randgruppenschicksals in Deutschland nach 1945. Münster
1997.
Rasmus, Anna: Pocking. Ende und Anfang. Jüdische Zeitzeugen über Besiegte
und Befreite. Konstanz 1995.
Ratzel, Friedrich: Anthropogeographie. Erster Teil: Grundzüge der Anwendung
der Erdkunde auf die Geschichte. Stuttgart ²1899.
Plato, Alexander von / Leh, Almut: „Ein unglaublicher Frühling“. Erfahrene Geschichte
im Nachkriegsdeutschland, 1945-1948. Bonn 1997.
Reichel, Peter: Auschwitz. In: François, Etienne / Schulze, Hagen (Hg.): Deutsche
Erinnerungsorte. München 2001, Bd. 1, S. 600-621.
Renkel, Heinz-A.: Die Geschichte des Reservelazarettes Dieburg. Dieburg
1992.
Ritter, Florian: Die Geschichte des „Displaced Persons“ - Lager in Frankfurt /
Zeilsheim. Frankfurt am Main 1993.
Sack, Robert David: Human territoriality. Its theory and history. Cambridge
1986.
Schick, Christa: Das VALKA - Lager in Nürnberg. Zu Problemen der Integration
der „heimatlosen Ausländer“ in der frühen Bundesrepublik Deutschland 1950-
1954. Erlangen / Nürnberg 1983.
Schenk, Frithjof Benjamin: Mental Maps. Die Konstruktion von geographischen
Räumen in Europa seit der Aufklärung. In: Conrad, Christoph (Hg.): Mental
Maps. GG 28 (2002), Heft 3, S. 493-514.
116

Schilling, Heinz: So möchten wir gerne gewesen sein. Festschriften zum Erinnern
und Vergessen. In: Rolshoven, Johanna / Scharfe, Martin (Hg.): Geschichtsbilder.
Ortsjubiläen in Hessen. Marburg 1996, S. 26-41.
Schlageter, Elke: Dieburg und sein Konvikt. AVA Schriftenreihe ‘Zeugen der
Vergangenheit’. Dieburg 1996.
Schlögel, Karl: Im Raume lesen wir die Zeit. Über Zivilisationsgeschichte und
Geopolitik. München 2003.
Schott, Dieter: Die mentale Konstruktion von Stadt. In: Die alte Stadt 4/99, S.
235-239.
Schröder, Stefan: ‘Displaced Persons’ im Rheinland - das Nachkriegsschicksal
befreiter Zwangsarbeiter in regionaler Perspektive. In: Geschichte im Westen
18 (2003), Heft 2, S. 180-204.
Schulze Wessel, Julia: Zur Reformulierung des Antisemitismus in der deutschen
Nachkriegsgesellschaft. Eine Analyse deutscher Polizeiakten aus der
Zeit von 1945 bis 1948. In: Dietrich, Susanne / Schulze Wessel, Julia: Zwischen
Selbstorganisation und Stigmatisierung: die Lebenswirklichkeit jüdischer Displaced
Persons und die neue Gestalt des Antisemitismus in der deutschen Nachkriegsgesellschaft.
Stuttgart 1998, S. 131-232.
Stepien, Stanislaus: Der alteingesessene Fremde: Ehemalige Zwangsarbeiter in
Westdeutschland. Frankfurt am Main / New York 1989.
Stern, Frank: The Historic Triangle: Occupiers, Germans and Jews in Post War
Germany. In: Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte, Bd. 14 (1990), S.
47-76.
Stern, Frank: Im Anfang war Auschwitz. Antisemitismus und Philosemitismus im
deutschen Nachkrieg. Gerlingen 1991.
Stöckle, Frieder: Zum praktischen Umgang mit Oral History. In: Vorländer, Herwart
(Hg.): Oral History: mündlich erfragte Geschichte. Göttingen 1990, S. 131-
158.
Stotz, Hermann: 1236-1986. 750 Jahre Stadt Babenhausen. Babenhausen
1986.
Wagner, Patrick: Displaced Persons in Hamburg. Stationen einer halbherzigen
Integration 1945-1958. Hamburg 1997.
Weber, Wolfgang E.J.: Das ‘kulturelle Gedächtnis’. Bemerkungen zur Wahrnehmung
und Aneignung einer kulturhistorischen Konzeption. In: Hasberg,
Wolfgang (Hg.): Erinnern - Gedenken - Historisches Lernen. Symposium zum
65. Geburtstag von Karl Filser. München 2003, S. 15-37.
117

Weichhart, Peter: Raumbezogene Identität. Bausteine zu einer Theorie räumlich-sozialer
Kognition und Identifikation. Stuttgart 1990.
Welzer, Harald / Moller, Sabine / Tschuggnall, Karoline: „Opa war kein Nazi“.
Nationalsozialismus und Holocaust im Familiengedächtnis. Frankfurt am Main
2002.
Werlen, Benno: Gesellschaft, Handlung und Raum. Grundlagen handlungstheoretischer
Sozialgeographie. Stuttgart 1987.
Wetzel, Juliane: Jüdisches Leben in München 1945-1951. Durchgangsstation
oder Wiederaufbau? München 1987.
Wolfrum, Edgar: Die Suche nach dem „Ende der Nachkriegszeit“. Krieg und
NS-Diktatur in öffentlichen Geschichtsbildern der „alten“ Bundesrepublik
Deutschland. In: Cornelißen, Christoph / Klinkhammer, Lutz / Schwentker,
Wolfgang (Hg.): Erinnerungskulturen. Deutschland, Italien und Japan seit 1945.
Frankfurt am Main 2003, S. 183-197.
Wittenberger, Georg (Hg.): Stadtlexikon Babenhausen. Babenhausen 1995.
Wyman, Mark: DPs - Europe’s Displaced Persons, 1945-1951. London / Philadelphia
1989, Neuauflage New York 1998.
118