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Umbruch_1_2008:Sauerland Zeitschrift - Sauerländer Heimatbund ...

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72 SAUERLAND NR. 2/<strong>2008</strong><br />

Von Rochuskapelle und Revolution:<br />

Ursachen und Folgen der Revolution von 1848 in Sundern<br />

Vor fast genau 160 Jahren ging, ausgehend<br />

von Paris, eine Welle von revolutionären<br />

Ereignissen auch über die Einzelstaaten<br />

des Deutschen Bundes hinweg.<br />

Zwar lagen die Zentren dort zu -<br />

nächst in Haupt- und Großstädten wie<br />

Berlin, Wien und Frankfurt, aber die Revolution<br />

strahlte von dort auch in eine<br />

Reihe der rasch wachsenden Industrie -<br />

städte sowie auf das noch weitgehend<br />

vorindustrielle „platte Land“ aus. 1 Auch<br />

das <strong>Sauerland</strong> erlebte, wenn auch zu unterschiedlichen<br />

Zeiten und in unterschiedlicher<br />

Intensität, die Ausläufer dieser<br />

Bewegungen. Im Folgenden sollen<br />

vor dem Hintergrund regionaler und lokaler<br />

sozialer und wirtschaftlicher Ent -<br />

wicklungen die Ereignisse der Revo -<br />

lutionszeit in Sundern näher ins Auge gefasst<br />

werden.<br />

Wie in vielen anderen Regionen, so<br />

waren die 1840er Jahre auch in dem<br />

Gebiet um Sundern von einer Reihe von<br />

krisenhaften Entwicklungen geprägt. So<br />

war die Bevölkerung im Zeitraum von<br />

1818 bis 1843 zwar von 620 auf 855<br />

gestiegen, 2 aber diesem in erster Linie<br />

auf die hohe Gebürtigkeit der einheimischen<br />

Bevölkerung sowie die Zu wan -<br />

derung aus umliegenden Dörfern zu -<br />

rückzuführenden Bevölkerungswachs -<br />

tum entsprach nicht eine angemessene<br />

Erweiterung der Verdienstmöglich kei -<br />

ten. Die mit Wasserkraft und Holzkohle<br />

betriebenen Eisenhämmer und Hütten<br />

dieses Raumes kämpften einen aussichtslosen<br />

Kampf gegen die übermächtige<br />

Konkurrenz des nahen Ruhr ge -<br />

bietes, so dass einige von ihnen in den<br />

1840er Jahren schließen mussten. 3 Da -<br />

gegen nahmen die teilweise auf dem Gelände<br />

dieser protoindustriellen An lagen<br />

gegründeten Papierfabriken häufig erst<br />

in den 50er und 60er Jahren des 19.<br />

Jahrhunderts ihren Betrieb auf. 4 Deshalb<br />

ist es auch kein Zufall, dass Auswan -<br />

derungswillige in den 1840er Jahren in<br />

Sundern häufig aus der Gruppe der Köhler,<br />

Hammerschmiede und Tagelöh ner<br />

kamen, 5 denn offensichtlich fühlten die<br />

Angehörigen dieser unteren Gesell -<br />

schaftsschicht die Auswirkungen der Krise<br />

am schärfsten. Eine gut entwickelte<br />

Heimindustrie, etwa in den Bereichen<br />

Spinnerei und Leineweberei, existierte in<br />

Sundern nicht, auch wenn einige Tagelöhner<br />

sich durch diese hausindustriellen<br />

Beschäftigungen ein Zubrot verdienten<br />

und ihre häufig kinderreichen Familien<br />

ernährten. Eine nennenswerte Eisen verarbeitende<br />

Industrie gab es nicht und<br />

auch das häufig überbesetzte Handwerk<br />

bot kaum Möglichkeiten, die zahlreichen,<br />

aber häufig nicht entsprechend<br />

ausgebildeten Arbeitssuchenden angemessen<br />

zu beschäftigen.<br />

Zu diesen Problemen im sekundären<br />

Sektor gesellten sich seit langer Zeit bestehende<br />

und sich teilweise verschärfende<br />

Konflikte im landwirtschaftlichen Bereich.<br />

Wirtschaftlich, gesellschaftlich und<br />

politisch führend war die Schicht der 62<br />

„markberechtigten“ Bauern. Ihnen standen<br />

die Gruppen der mit weniger Grundbesitz<br />

ausgestatteten „Anbauern“ sowie<br />

die häufig völlig landlosen „Bei lieger“<br />

oder „Beisassen“ gegenüber. Zwi schen<br />

diesen Gruppen gab es Ausein -<br />

andersetzungen um Mast- und Hude -<br />

rechte im Gemeindewald, die Berech -<br />

tigung zum Holzsammeln oder den Beitrag<br />

zur Gemeinde- und Schul steuer, um<br />

nur einige Konfliktherde der ländlichen<br />

Gesellschaft zu nennen.<br />

Zu diesen strukturellen Krisenherden<br />

in Industrie und Landwirtschaft traten in<br />

den 1840er Jahren kurzfristig auftretende<br />

Probleme. So kam es in Westfalen zu<br />

einer witterungsbedingten Agrarkrise, so<br />

dass es auch hier zu weit verbreiteter Armut<br />

und Hungersnöten kam. 6 Auch der<br />

Sunderner Gemeindevorstand sah sich<br />

angesichts der Tatsache, „dass die Noth<br />

unter den hiesigen Armen zur Zeit außerordentlich<br />

groß sei“, mehrfach gezwungen,<br />

das von der Arnsberger Regie rung<br />

angebotene verbilligte Getreide anzukaufen,<br />

um die hungernde Bevölke rung<br />

halbwegs angemessen ernähren zu können.<br />

7 Vor diesem Hintergrund sollen<br />

nun die Ereignisse in Sundern in der Revo<br />

lutionszeit dargestellt werden.<br />

Zwar waren Westfalen und insbesondere<br />

das <strong>Sauerland</strong> keine Zentren revolutionärer<br />

Betätigungen und Ereignisse,<br />

aber auch hier gab es eine Reihe von Aktivitäten,<br />

die sich gegen politische, wirtschaftliche<br />

und soziale Missstände in den<br />

jeweils betroffenen Regionen, Städten<br />

und Gemeinden richteten. Aus den Ämtern<br />

Balve, Hüsten, Grevenstein, Meschede,<br />

Brilon und Freienohl häuften<br />

sich in den Märztagen des Jahres 1848<br />

die für die Obrigkeit beängstigenden<br />

Nachrichten von Zusammenrottungen<br />

von Werner Neuhaus<br />

und Aufruhr auch auf dem „platten Lande“,<br />

wo man teilweise einen neuen<br />

„Bauernkrieg“ fürchtete. 8 Besonders<br />

richtete sich der offensichtlich lang aufgestaute<br />

Zorn der Landbevölkerung gegen<br />

die Schlösser und Landsitze des<br />

Adels sowie die dort residierenden Guts -<br />

verwalter und Förster. 9 Auch in der unmittelbaren<br />

Nachbarschaft von Sun dern,<br />

in der kleinen Titularstadt Allen dorf,<br />

machten sich eine Reihe aufgebrachter<br />

Bürger auf den Weg zum nahe gelegenen<br />

Schloss des Freiherrn von Wrede in<br />

Amecke, um ihre Jagdgewehre zurückzufordern.<br />

Nach Erfüllung ihrer For -<br />

derungen ließen sie sich ihren revolutionären<br />

Elan allerdings schnell mit<br />

Schnaps und Schinkenbroten abkaufen,<br />

wie eine folkloristisch angehauchte Lo -<br />

kal geschichtsschreibung noch heute<br />

stolz berichtet. 10 Immerhin hatte man<br />

aber auch in Sundern gehörigen Respekt<br />

vor revolutionären Ereignissen, denn der<br />

Gemeindevorstand befand am 27. März<br />

1848, „dass es nach den jetzigen Zeit -<br />

ver hältnissen dringend erforderlich sei,<br />

dass zum Schutze hiesiger Gemeinde,<br />

zum Schutze des Eigenthums und zur<br />

Aufrechterhaltung der Ordnung gegen<br />

jedwede Störung (…) die geeigneten Vorkehrungen<br />

zu treffen“ seien. 11 Ob der<br />

deshalb eingestellte Nachtwächter ein<br />

geeignetes Mittel gegen eine politische<br />

und soziale Revolution war, soll hier nicht<br />

näher diskutiert werden, aber offensichtlich<br />

gab es auch in Sundern eine gehörige<br />

Portion Sorgen vor revolutionären<br />

Umtrieben. Deshalb sah man offensichtlich<br />

auch nach dem Abflauen der ersten<br />

Welle und dem Wieder erstarken der konservativ-monarchischen<br />

Kräfte in Berlin<br />

in Sundern die Notwendigkeit, eine Bürgerwehr<br />

einzurichten, um zukünftigen<br />

Unruhen tatkräftig vorzubeugen. Zwar<br />

hatte Amt mann Riedel sofort nach dem<br />

Allen dorfer „Sturm“ auf das Amecker<br />

Schloss nach Arnsberg gemeldet, dass<br />

nichts Ernsthaftes vorgefallen sei, und<br />

auch gegenüber Landrat von Lilien betonte<br />

er „die gänzliche Ruhe, die in den<br />

hiesigen Gemeinden geherrscht hat“. 12<br />

Dennoch bleibt festzuhalten, dass den<br />

oberen Schichten in und um Sundern die<br />

Revo lutionsfurcht gehörig in die Knochen<br />

gefahren war.<br />

Diese Fakten gilt es im Auge zu behalten,<br />

wenn wir uns nun den konkreten Ereignissen<br />

in Sundern während und nach

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