ERNÄHRUNG UND DIÄTETIKDer ernährungstherapeutische ProzessDer Bachelorstudiengang Ernährung und Diätetik hat in den letzten Jahren denernährungstherapeutischen Prozess entwickelt. Erste Erfahrungen und Evaluationenzeigen, dass das Modell die Studierenden beim Erlernen der klinischen Arbeit undder dafür wichtigen Kompetenzen unterstützt.Prof. Sandra JentDozentin BachelorstudiengangErnährung und Diätetiksandra.jent@bfh.chProf. Adrian MüllerDozent BachelorstudiengangErnährung und Diätetikadrian.mueller@bfh.chDie klinische Arbeit, eines der Hauptarbeitsgebietevon diplomierten Ernährungsberaterinnenund -beratern HF/FH, kann alsindividuelle patientenorientierte therapeutischeBetreuung der hospitalisierten Patientenund Patientinnen in Spitälern und Heimendefiniert werden. Bei diesen komplexenTätigkeiten müssen oft Entscheidungeninnerhalb kürzester Zeit gefällt werden, wasdas Anwenden von neu erlerntem Wissenerschwert. Aus diesem Grund wird bei derStrukturierung von Problemsituationen undder Erkennung möglicher Lösungsansätzehäufig auf biographisch erworbenes Wissenzurückgegriffen. Diese Art von Wissen,auch subjektive Theorien kurzer Reichweitegenannt, wird mehrheitlich unbewusst eingesetzt.Eine mögliche Lösung, um den Studierendenzu erleichtern, Wissen unter Druck anzuwenden,ist der Einsatz von Expertenstrukturen.Insbesondere zu Beginn desLernprozesses helfen Expertenstrukturen,Vernetzungen innerhalb eines Themas aufzuzeigen,was den Studierenden die Organisationvon komplexem Wissen erleichtert.Ein wesentliches Element des angestrebtenLernprozesses besteht darin, vor jedemHandlungsschritt das Handeln zu unterbrechenund das eigene Tun kritisch zu überprüfen.So können die Studierenden subjektiveTheorien kurzer Reichweite erkennenund ihre Handlungsmuster verändern.Die didaktischen Ansätzeund der ernährungstherapeutischeProzessAls mögliche Expertenstruktur ist im StudiengangErnährung und Diätetik der ernährungstherapeutischeProzess (ETP)erarbeitet worden. Der Prozess soll die Arbeitsrealitätvon Ernährungsberaterinnenund -beratern in der klinischen Arbeit darstellen.Es wird davon ausgegangen, dassdie Arbeit mit dem Prozessmodell die Studierendendabei unterstützt, erste Schritteim Handlungsfeld der klinischen Arbeit zumachen, das eigene Handeln zu unterbrechen,anhand des Prozessmodelles daseigene Tun zu hinterfragen und jeden Vorgehensschrittbewusst zu planen.International existieren verschiedene Prozessmodelle,welche sich deutlich voneinanderunterscheiden. Der AmerikanischeNutrition Care Process ist vor allem im englischsprachigenRaum weit verbreitet. EineEinführung in weiteren Ländern wird gegenwärtigdiskutiert. Der Nutrition Care Processfasst wesentliche Prozessschritte wie Zielsetzung,Planung und Durchführung in einemeinzigen Schritt zusammen. Dies wird vonAbbildung 1: Der ernährungstherapeutische Prozess ETPder Arbeitsgruppe ETP des BachelorstudiengangesErnährung und Diätetik als zuwenig unterstützend für die angestrebtendidaktischen Zielsetzungen erachtet. Insbesonderewird kritisiert, dass dadurch inwesentlichen Teilen des Prozesses dasInnehalten während der praktischen Handlungnicht gefördert werden kann, und dassdie Expertenstruktur damit zu stark vereinfachtdargestellt wird. Deshalb hat sich dieArbeitsgruppe entschieden, ausgehendvom Nutrition Care Process, ein detaillierteresProzessmodell zu entwickeln: den ETP.Die einzelnen ProzessschritteDer ETP (siehe Abbildung 1) zeigt auf, welcheSchritte notwendig sind, um ausgehendvon einem klinischen Auftrag, für die jeweiligeSituation zielführende Interventionen zuplanen und umzusetzen, deren Wirkung zuüberprüfen und bei Bedarf Anpassungenam Vorgehen vorzunehmen.In einem ersten Schritt wird mit dem ernährungstherapeutischenAssessment inumfassender Art die medizinische, psychosozialeund ernährungsphysiologische Situationder Patientin, des Patienten erfasst.18FREQUENZ Januar 2013
Dabei liefert die Erhebung des detailliertenErnährungsstatus Angaben zur tatsächlichenZufuhr von Energie und wichtigenNährstoffen und erlaubt den Vergleich mitden Bedarfszahlen – eine wichtige Voraussetzungeiner zielführenden Therapie.Die ernährungstherapeutische Diagnosestellungbeschreibt ein identifiziertes unddurch Ernährungsmassnahmen therapierbares<strong>Gesundheit</strong>sproblem. Damit wird definiert,welchen Beitrag die klinische Ernährungsberatungzur Verbesserung derpatientenspezifischen Situation leisten kann.Gemeinsam mit der Patientin, dem Patientenund allenfalls weiteren beteiligten Personenwerden als nächster Schritt ernährungstherapeutischeZiele festgelegt. DieserSchritt stellt auch ein Abgleich der Sicht derErnährungsberaterin oder des Ernährungsberatersmit den Prioritäten, Wünschen undAnliegen der Patientin oder des Patientendar und ist daher für ein personzentriertesVorgehen unentbehrlich.Im nächsten Prozessschritt wird gemeinsammit der Patientin, dem Patienten entschieden,welche Ernährungsmassnahmenfür die Zielerreichung notwendig sind und anwelchen Parametern der Erfolg der Interventionabgelesen werden kann. Erst danacherfolgt die Umsetzung.Die erzielten Ergebnisse werden regelmässigüberprüft (Monitoring). Sie sindmassgebend für den Entscheid über denAbschluss oder die Weiterführung des gesamtenProzesses. Im Sinne eines kybernetischenRegelkreises ist in der Darstellungdes ETP eine Verknüpfung zwischen Monitoringund Assessment ersichtlich. Die Situation,respektive deren Veränderung, wirdso oft erfasst und beurteilt, bis keine therapeutischenAnpassungen mehr notwendigsind. Der ETP soll dabei als Hilfsmittel fürein strukturiertes Vorgehen dienen. DasRe sultat muss jedoch eine individuell auf diejeweilige Situation angepasste Ernährungstherapiesein.Eine erste Evaluation des ETP als didaktischesHilfsmittel (siehe Infokasten) hat gezeigt,dass die Studierenden den ETPgrundsätzlich verstehen und ihn als hilfreichesInstrument beurteilen. Die Weiterentwicklunginhaltlicher und methodischerAspekte zu den einzelnen Prozessschrittenwird in naher Zukunft die Hauptarbeit derArbeitsgruppe ETP sein.Literatur:Academy of Nutrition and Dietetics (2012). InternationalDietetics & Nutrition Terminology Reference Manual.Retrieved from http://www.adancp.com/?home=1Bueche, J., Charney, P., Pavlinac, J., Skipper, A. T.,& Myers, E. e. (2008). Nutrition Care Process and ModelPart I: The 2008 Update. Journal of the American DieteticAssociation (108 (7)1113 – 1117).EFAD. «Definition of a dietitian». Abgerufen am 28. August2012 von European Federation of the Associations ofDietitians: www.efad.org/everyone/1273/7/0/32Müller, A. (2012). Evaluation des ernährungstherapeutischenProzesses als didaktischer Hilfsmittel für die klinischeArbeit. Unveröffentlichte Masterarbeit. Fakultät für<strong>Gesundheit</strong> und Medizin, Donau Universität Krems.SVDE. Tätigkeitsfelder und Einsatzgebiete. Abgerufenam 28. August 2012 von Schweizerischer Verband dipl.Ernährungsberater/innen HF/FH: www.svde-asdd.ch/de/index.cfm?treeID=93Wahl, D. (2006). Lernumgebungen erfolgreich gestalten.Vom trägen Wissen zum kompetenten Handeln. BadHeilbrunn: Verlag Julius Klinkhardt.Widulle, W. (2009). Handlungsorientiert Lernen im Studium.Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.Evaluation des ETPMit der Befragung von 106 Studierendenim Studiengang Ernährung und Diätetik ander <strong>Berner</strong> <strong>Fachhochschule</strong> (BFH) wurdedie Eignung des ernährungstherapeutischenProzesses (ETP) als didaktischesHilfsmittel evaluiert. Der ETP wurde imRahmen dieser Arbeit als Abbildung einesidealtypischen Arbeitsprozesses im Sinneeiner Expertenstruktur hergeleitet und alswichtige strukturelle Unterstützung für denErwerb von Handlungskompetenzen in derklinischen Arbeit von Ernährungsberaterinnenund -beratern (ERB) begründet. Sokonnten anwendungsbezogene Erkenntnissefür die Weiterentwicklung des ETPund dessen Einsatz in der Lehre der klinischenArbeit gewonnen werden.Der ETP wurde von einer Mehrheit von78,2 Prozent als unterstützend für denErwerb von Handlungskompetenzen beurteilt.Insbesondere Studierende mit wenigPraxiserfahrung (weniger als 14 Wochen)beurteilten den Nutzen des ETP signifikanthäufiger als hilfreich. Der ETP und desseneinzelne Prozessschritte wurden von denBefragten mehrheitlich als gut bis sehr gutverständlich eingeschätzt. Die Verständlichkeitder Prozessschritte «ernährungstherapeutischeDiagnose» und «AbschlussErnährungstherapie» bereitete dabei ammeisten Mühe. Nur eine Minderheit von49 Prozent beurteilte beispielsweise denProzessschritt «ernährungstherapeutischeDiagnose» als vollständig verständlich. DieBefragung zeigte, dass aus der Prozessdarstellungdie Interaktion zwischen ERBund Patientin, Patient sowie die kommunikativenHandlungen der ERB ungenügendsichtbar werden.FREQUENZ Januar 201319