3 <strong>Thomas</strong>-<strong>Fermi</strong>-<strong>Näherung</strong> für Weiße Zwerge Theoretische Happen: <strong>Ideales</strong> <strong><strong>Fermi</strong>gas</strong>Die Lösung der Poissongleichung mit Randbedingungen (58) ist eindeutig, gegeben durchGl. (56).In einem weißen Zwerg nimmt die Materie die Form eines Plasma an, bestehend aus freibeweglichen Elektronen <strong>und</strong> positiv geladenen Atomkernen, etwa zweifach geladenen Heliumkernen.Das ganze System ist im hohen Maß ladungsneutral. Auf jedes Elektron entfälltdann eine einfach positiv geladene Menge von Kernmaterie der Masse m K = µm N , worinm N ≈ 1, 67×10 −27 kg die Nukleonenmasse <strong>und</strong> µ = 〈A/Z〉 das mittlere Verhältnis von MassezahlA zu Kernladungszahl Z, typischerweise µ ≈ 2. Mit n die Teilchendichte der Elektronen,<strong>und</strong> unter Vernachlässigung der Elektronenmasse m ≈ 9, 109 × 10 −31 kg gegenüberder Nukleonenmasse – schließlich ist m/m N ≈ 1/1836 – ist die Massedichte gegeben<strong>und</strong> es verbleibt, die Elektronendichte näher zu bestimmen.ϱ(⃗x) = µm N n(⃗x) , (60)Die Elektronen bilden ein <strong><strong>Fermi</strong>gas</strong>. In der <strong>Thomas</strong>-<strong>Fermi</strong>-Theorie bestimmt der <strong>Fermi</strong>impulsder Elektronen p F gemäß (8) die Elektronendichte n, entsprechendϱ = µ (mc)33π 2 3 m N(p F /mc) 3 = (0.97 × 10 6 g/cm 3 )µ(p F /mc) 3 , (61)<strong>und</strong> da die Massedichte in weißen Zwergen typischerweise eine Tonne pro cm 3 , ist p F ∼mc, die Elektronen also relativistisch. Die entsprechende <strong>Fermi</strong>energie ∼ mc 2 entsprichteiner Temperatur von 0.5 × 10 10 K. Die Temperatur weißer Zwerge ist weit darunter, d.h.thermische Effekte dürfen getrost vernachlässigt werden. Kurz: die Elektronen bilden einT = 0 entartetes <strong><strong>Fermi</strong>gas</strong>.Greift man sich nun ein bei ⃗x zentriertes Volumenelement ∆V heraus, das einerseits so kleingewählt wurde, dass in ihm das Gravitationspotential überall nahezu den festen Wert Φ(⃗x)hat, andererseits groß genug, dass sich in ihm zu jedem Zeitunkt genügend viele Elektronenbefinden (<strong>und</strong> ebensoviele in den Kernen geb<strong>und</strong>ene Protonen), kann dieses Subsystem alsmehrkomponentiges Gas behandelt werden. Die Gesamtenergie im Volumen ∆V setzt sichdann zusammen aus der kinetischen Energie der in ihm befindlichen Elektronen <strong>und</strong> Kerne,ihrer Coulombenergie, <strong>und</strong> der potentiellen Energie der Gravitation. Unter der Annahme,dass das System jederzeit strikt Ladungsneutral ist die Coulombenergie gleich Null. Somitverbleiben die potentielle Energie der Gravitation, die kinetischen Energien der Elektronen<strong>und</strong> die kinetische Energie der Kerne. Unter Vernachlässigung der Elektronenmassegegenüber der Nukleonenmasse ist die gesamte potentielle Energie der Gravitation im betrachtetenVolumen ∆V∆E grav (⃗x) = ∆N e (⃗x)µm N Φ(⃗x) , (62)wobei ∆N e (⃗x) die Zahl der Elektronen in dem bei ⃗x zentrierten Volumen ∆V , also ∆N e =n(⃗x)∆V .Unter Berücksichtigung einer relativistischen Kinematik für die Elektronen, der Annahmestrikter Ladungsneutralität, <strong>und</strong> bei Vernachlässigung der kinetischen Energie der Kerne, 6lautet die Gleichgewichtsbedingung für das Sterneneninnere in der <strong>Thomas</strong>-<strong>Fermi</strong>-<strong>Näherung</strong>√p 2 F (⃗x)c2 + m 2 c 4 + µm N Φ(⃗x) = ε F ortsunabhängig für 0 ≤ r = |⃗x| ≤ R , (63)6 Selbst wenn die Kerne identische <strong>Fermi</strong>onen, wäre die <strong>Fermi</strong>energie des Kernsystems ∼ (m e c) 2 /m Kum den Faktor m e /m K 10 −3 kleiner als die <strong>Fermi</strong>energie der Elektronen.c○Martin Wilkens 10 2. November 2012
3 <strong>Thomas</strong>-<strong>Fermi</strong>-<strong>Näherung</strong> für Weiße Zwerge Theoretische Happen: <strong>Ideales</strong> <strong><strong>Fermi</strong>gas</strong>wobei ε F die <strong>Fermi</strong>energie des Gesamtsystems. Man beachte, dass die potentielle Energie dieNukleonenmasse involviert – vgl. (62). Ausserhalb des Sterns, also für r > R wo ϱ = 0 – <strong>und</strong>auch p F = 0 – ist Φ(⃗x) = − GM . Setigkeit am Sternenrand r = R fixiert die <strong>Fermi</strong>energie,rε F = mc 2 − µ GMm NR. (64)√Umstellen von Gl. (63) liefert Φ(⃗x) = − mc2µm N1 + (pF /mc) 2 + const.. Für die in Gl. (61)angegebene Massedichte nimmt die Poissongleichung (57) nun die Form an√( ) 2 ( ) 3Λ 2 pF (⃗x) pF (⃗x)∗∆ 1 + = −(65)mcmcworin Λ ∗ eine Konstante der Dimension “Länge”,√3π 1 m PlΛ ∗ =¯λ C = 7.8 × 10 8 1 cm . (66)4 µ m N µHier bezeichnet m Pl die Planckmasse, m Pl = √ c/G, <strong>und</strong> ¯λ C die Comptonwellenlänge desElektrons, λ C = /(mc). Abgesehen von der systemspezifischen Kompositionskonstanten µist die Längenskala eines weißen Zwerges ausschließlich durch Naturkonstanten bestimmt.Die Wurzel in (65) gibt die kinetische Energie in Einheiten der Ruheenergie mc 2 . DieseEnergie ist maximal im Zentrum des Sterns – schließlich ist die Gravitation anziehend,daher Φ in Richtung Zentrum monoton fallend, angesichts der Gleichgewichtsbedingung(63) die kinetische Energie in Richtung Zentrum monoton wachxend. Der Maximalwert, inEinheiten der Ruheenergie mc 2 η :=√1 +( ) 2 pF (0)(67)mcdient im Folgenden dazu, die weißen Zwerge zu klassifizieren. Im nichtrelativistischen Regimeη ≈ 1 (man beachte η ≥ 1), im ultrarelativistischen Regime η → ∞.Führt man an dieser Stelle eine Hilfsfunktion φ <strong>und</strong> eine dimensionslose Radialkoordinateζ ein,√φ(ζ) := 1 ( ) 2 pF (r)1 +wobei ζ := ηr/Λ ∗ , (68)η mcliest sich die Poissongleichung (65)(1 dζ 2 dφ ) { ( ) 3/2=− φ 2 − 1 für ζ mit φ > η −1ζ 2 η 2dζ dζ0 für ζ mit χ ≤ η −1 ., (69)sog. Chandrasekhar-Gleichung. Die Randbedingungen der bei ζ = 0 singulären Gleichunglassen sich aus der Defintion der Hilfsfunktion, Gl. (68), <strong>und</strong> (58) <strong>und</strong> ablesen,φ(0) = 1 ,dφ(0) = 0 . (70)dζc○Martin Wilkens 11 2. November 2012