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Die Verfassung als Rahmen der Politik [pdf, 220KB

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MEDIENPAKET<br />

Politische Bildung<br />

Anton Pelinka<br />

<strong>Die</strong> <strong>Verfassung</strong> <strong>als</strong> <strong>Rahmen</strong><br />

<strong>der</strong> <strong>Politik</strong><br />

1. <strong>Verfassung</strong> und <strong>Verfassung</strong>swirklichkeit<br />

2. Der parlamentarische Grundzug des politischen Systems<br />

3. <strong>Die</strong> präsidentielle Komponente <strong>als</strong> Korrektiv<br />

4. Österreich <strong>als</strong> Bundesstaat<br />

5. Direkte Demokratie<br />

<strong>Die</strong> <strong>Verfassung</strong> <strong>der</strong> Republik ist ein Bestimmungsfaktor<br />

österreichischer <strong>Politik</strong>. <strong>Die</strong> <strong>Verfassung</strong> allein kann die <strong>Politik</strong> in<br />

ihrer Gesamtheit we<strong>der</strong> bestimmen noch erklären. Aber ohne<br />

die <strong>Verfassung</strong> wäre Österreich kein Rechtsstaat und auch<br />

keine Demokratie.<br />

<strong>Die</strong> österreichische <strong>Verfassung</strong> hat – wie jede <strong>Verfassung</strong> –<br />

vor allem die Aufgabe, Herrschaft zu begrenzen, politische<br />

Macht zu verregeln. <strong>Die</strong> Bedeutung einer <strong>Verfassung</strong> kann am<br />

besten dadurch definiert werden, was das Fehlen einer <strong>Verfassung</strong><br />

bedeuten würde – schrankenlose, unbegrenzte Willkür.<br />

Der historische „Kampf um die <strong>Verfassung</strong>“ war daher vor<br />

allem auch <strong>der</strong> Kampf um die Ablöse politischer Unberechenbarkeit<br />

durch politische Berechenbarkeit; <strong>der</strong> Kampf um<br />

die Ersetzung autokratischer durch demokratische Herrschaft.<br />

Es wäre freilich Illusion annehmen zu wollen, eine <strong>Verfassung</strong><br />

könnte die <strong>Politik</strong> in ihrer Gesamtheit erfassen; <strong>Politik</strong><br />

könnte sich zur Gänze <strong>als</strong> <strong>Verfassung</strong>sordnung darstellen lassen.<br />

<strong>Die</strong> Lebendigkeit einer <strong>Verfassung</strong> äußert sich auch darin,<br />

dass sie sich entwickelt – parallel zur politischen Entwicklung.<br />

Mit <strong>der</strong> politischen Wirklichkeit verän<strong>der</strong>t sich auch die Interpretation<br />

<strong>der</strong> <strong>Verfassung</strong>. <strong>Die</strong> <strong>Verfassung</strong> <strong>als</strong> Katalog von<br />

6. Didaktische Anregungen (von Josef Wallner)<br />

1. <strong>Verfassung</strong> und <strong>Verfassung</strong>swirklichkeit<br />

1 Karl Loewenstein: Political Power and The Governmental Process. Chicago 1965. S. 123–163.<br />

Kapitel 2<br />

Rechten und Pflichten wird immer auch ergänzt durch die <strong>Verfassung</strong>swirklichkeit<br />

– durch die Form, mit <strong>der</strong> die <strong>Verfassung</strong><br />

angewendet, in <strong>der</strong> sie politisch verstanden wird.<br />

Karl Loewenstein hat anhand <strong>der</strong> Beziehung zwischen<br />

<strong>Verfassung</strong> und <strong>Verfassung</strong>swirklichkeit eine Typologie <strong>der</strong><br />

<strong>Verfassung</strong>en entwickelt: 1<br />

<strong>Die</strong> normative <strong>Verfassung</strong>: Sie zwingt die politische Wirklichkeit<br />

zur Gänze in ihren <strong>Rahmen</strong>. <strong>Verfassung</strong> und <strong>Verfassung</strong>swirklichkeit<br />

kommen zur vollständigen Deckung.<br />

<strong>Die</strong> nominelle <strong>Verfassung</strong>: Sie definiert die politische Wirklichkeit<br />

zum Teil. <strong>Verfassung</strong> und <strong>Verfassung</strong>swirklichkeit<br />

decken sich teilweise.<br />

<strong>Die</strong> semantische <strong>Verfassung</strong>: <strong>Die</strong> hat mit <strong>der</strong> politischen<br />

Wirklichkeit nichts zu tun. <strong>Verfassung</strong> und <strong>Verfassung</strong>swirklichkeit<br />

stehen einan<strong>der</strong> unverbunden gegenüber.<br />

<strong>Die</strong> letzte dieser drei Varianten bedeutet, dass die eigentliche<br />

Aufgabe einer <strong>Verfassung</strong> – die Verregelung von Macht<br />

und damit die Beschränkung von Herrschaft – überhaupt nicht<br />

erfüllt wird. <strong>Die</strong> Beispiele für eine solche <strong>Verfassung</strong> sind daher<br />

auch die aus <strong>der</strong> Geschichte <strong>der</strong> totalitären Systeme des<br />

1


2<br />

Kapitel 2<br />

20. Jahrhun<strong>der</strong>ts: Im nation<strong>als</strong>ozialistischen Deutschland war<br />

die <strong>Verfassung</strong> <strong>der</strong> Weimarer Republik nie abgeschafft, sie galt<br />

– formal – auch während <strong>der</strong> NS-Diktatur. <strong>Die</strong> ehemalige<br />

Sowjetunion war durch die <strong>Verfassung</strong> von 1936 <strong>als</strong> Rechtsstaat<br />

mit individuellen Grundrechten (etwa dem <strong>der</strong> Religionsfreiheit)<br />

ausgewiesen. In beiden Fällen bestand die absolute<br />

Herrschaft <strong>der</strong> jeweiligen Einheitspartei (<strong>der</strong> NSDAP bzw. <strong>der</strong><br />

KPdSU) und des jeweiligen Diktators ohne jeden Bezug zu<br />

den Grundsätzen <strong>der</strong> deutschen bzw. <strong>der</strong> sowjetischen <strong>Verfassung</strong>.<br />

Eine <strong>Verfassung</strong> ist dann semantisch, wenn sie<br />

bestenfalls Fassade für eine von ihr völlig unbeeinflusste<br />

politische Realität ist.<br />

<strong>Die</strong> erste dieser drei Varianten ermöglicht Rechtsstaat und<br />

Demokratie. Allerdings kann die Wirklichkeit sich einer normativen<br />

<strong>Verfassung</strong> nur annähern, sie niem<strong>als</strong> voll erreichen: <strong>Die</strong><br />

politische Wirklichkeit ist zu lebendig, <strong>als</strong> dass sie in einer<br />

<strong>Verfassung</strong> vollständig festgeschrieben werden könnte. Eine<br />

normative <strong>Verfassung</strong> ist ein Ideal, dem man nahe kommen<br />

kann – ohne es zu erreichen. Der reale <strong>Verfassung</strong>sstaat und<br />

die Demokratie werden daher von nominellen <strong>Verfassung</strong>en<br />

bestimmt, die ihre Funktionen besser erfüllen, je näher sie dem<br />

Ideal einer normativen <strong>Verfassung</strong> kommen.<br />

Das politische System Österreichs bietet eine Reihe von<br />

Beispielen für das Spannungsverhältnis zwischen <strong>Verfassung</strong><br />

und <strong>Verfassung</strong>swirklichkeit, <strong>als</strong>o für den Abstand zwischen<br />

einer real existierenden nominellen und einer ideal konzipierten<br />

normativen <strong>Verfassung</strong>:<br />

Das Bundes-<strong>Verfassung</strong>sgesetz schreibt vor, dass Abgeordnete<br />

in den Parlamenten des Bundes, <strong>der</strong> Län<strong>der</strong> und<br />

<strong>der</strong> Gemeinden an keinerlei Aufträge gebunden sind (Freies<br />

Mandat). In <strong>der</strong> Praxis bedeutet dies, dass im Konfliktfall<br />

niemand eine(n) Abgeordnete(n) zu einem bestimmten Abstimmungsverhalten<br />

zwingen o<strong>der</strong> auch zum Rücktritt vom<br />

Mandat bringen kann. Im politischen Alltag werden jedoch<br />

Abgeordnete von einer Fülle von Aufträgen beeinflusst,<br />

<strong>der</strong>en sichtbarster die Bindung an eine bestimmte Partei<br />

und die daraus abgeleitete Fraktionsdisziplin („Klubzwang“)<br />

ist. Solange sich Abgeordnete dieser Disziplin freiwillig<br />

unterwerfen, besteht kein Wi<strong>der</strong>spruch zu dem in <strong>der</strong> <strong>Verfassung</strong><br />

verankerten „Freien Mandat“. Dennoch reicht die<br />

Kenntnis dieser <strong>Verfassung</strong>sbestimmung bei weitem nicht<br />

aus, um das Verhältnis <strong>der</strong> Frauen und Männer im Parlament<br />

zu verstehen.<br />

Nach dem Bundes-<strong>Verfassung</strong>sgesetz bestellt <strong>der</strong> Bundespräsident<br />

den Bundeskanzler und auf dessen Vorschlag die<br />

übrigen Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Bundesregierung. <strong>Die</strong>se verfassungsrechtliche<br />

Freiheit des Bundespräsidenten ist jedoch dadurch<br />

wesentlich eingeschränkt, dass die von ihm bestellte<br />

Regierung nicht gegen den ausdrücklichen Willen des<br />

Nationalrates Bestand haben kann – denn dieser könnte<br />

durch einen einfachen Mehrheitsbeschluss die Regierung<br />

MEDIENPAKET<br />

Politische Bildung<br />

„stürzen“. Obwohl die <strong>Verfassung</strong> dies ausdrücklich nicht<br />

formuliert, ist so <strong>der</strong> Bundespräsident gezwungen, bei <strong>der</strong><br />

Bestellung <strong>der</strong> Bundesregierung auf die Mehrheitsverhältnisse<br />

im Nationalrat und damit auf die parteipolitischen<br />

Konstellationen Rücksicht zu nehmen. <strong>Die</strong> Wirklichkeit <strong>der</strong><br />

Parteien ergänzt so einer vom <strong>Verfassung</strong>srecht nicht festgeschriebenen<br />

Form das politische Leben innerhalb <strong>der</strong><br />

<strong>Verfassung</strong>.<br />

Das Bundes-<strong>Verfassung</strong>sgesetz kennt die Paritätische<br />

Kommission für Lohn- und Preisfragen nicht. Dennoch hat<br />

diese 1957 von den großen Wirtschaftsverbänden und <strong>der</strong><br />

Bundesregierung gegründete Einrichtung <strong>der</strong> Sozialpartnerschaft<br />

eine entscheidende Rolle in <strong>der</strong> Formulierung <strong>der</strong><br />

Wirtschafts- und Sozialpolitik bestimmt – insbeson<strong>der</strong>e in<br />

den 60er und 70er Jahren, die <strong>als</strong> Hochblüte <strong>der</strong> Sozialpartnerschaft<br />

gelten können. <strong>Die</strong>se Kommission ist ein<br />

Beispiel dafür, dass vieles in <strong>der</strong> politischen Wirklichkeit<br />

abläuft, ohne dass die <strong>Verfassung</strong> dies so ausdrücklich<br />

vorsehen würde; freilich auch, ohne dass die <strong>Verfassung</strong><br />

dies ausdrücklich untersagen würde.<br />

Das Bundesverfassungsgesetz vom 26. Oktober 1955 über<br />

die immer währende Neutralität Österreichs sagt nichts<br />

über den politischen Zusammenhang zwischen Staatsvertrag<br />

und Neutralität und damit nichts über die beson<strong>der</strong>e<br />

Beziehung Österreichs zu den Großmächten, den Signatarstaaten<br />

des Staatsvertrages. Dennoch war dieser Hintergrund<br />

entscheidend für die Gestaltung <strong>der</strong> österreichischen<br />

Neutralität. So wollte Österreich, wegen des Konflikts <strong>der</strong><br />

Großmächte (Ost-West-Konflikt), aus neutralitätspolitischen<br />

Gründen <strong>der</strong> Europäischen Gemeinschaft (EG; zunächst<br />

EWG und später EU) nicht beitreten. Erst das sich abzeichnende<br />

Ende des Ost-West-Konflikts machte es 1989 möglich,<br />

dass Österreich ein Ansuchen auf Beitritt zur EG stellte.<br />

<strong>Die</strong>se Beispiele zeigen, dass die realen politischen Abläufe<br />

nicht allein aus <strong>der</strong> <strong>Verfassung</strong> erklärt werden können. <strong>Die</strong> <strong>Verfassung</strong>swirklichkeit<br />

entwickelt immer eine Dynamik, die sich<br />

<strong>der</strong> vollen Kontrolle durch das <strong>Verfassung</strong>srecht entzieht.<br />

Dennoch braucht die politische Wirklichkeit die <strong>Verfassung</strong> <strong>als</strong><br />

Grundlage und <strong>Rahmen</strong>: <strong>Die</strong> <strong>Verfassung</strong>swirklichkeit darf nicht<br />

gegen die <strong>Verfassung</strong> (contra legem) stehen, sie kann aber<br />

innerhalb o<strong>der</strong> neben <strong>der</strong> <strong>Verfassung</strong> (praeter legem) existieren.<br />

<strong>Die</strong> <strong>Verfassung</strong> <strong>der</strong> Republik Österreich wurde 1920 beschlossen<br />

– <strong>als</strong> Bundes-<strong>Verfassung</strong>sgesetz (B-VG). <strong>Die</strong>ses<br />

wurde auch 1945 von <strong>der</strong> Zweiten Republik übernommen.<br />

1920 bildeten vor allem Sozialdemokraten und Christlichsoziale<br />

die politische Basis des Konsenses über die <strong>Verfassung</strong>.<br />

Und auch 1945 war es vor allem <strong>der</strong> Konsens<br />

zwischen ÖVP (<strong>als</strong> Nachfolgepartei <strong>der</strong> Christlichsozialen) und<br />

SPÖ (<strong>als</strong> Nachfolgepartei <strong>der</strong> Sozialdemokraten), <strong>der</strong><br />

sicherstellte, dass die Zweite Republik die <strong>Verfassung</strong> <strong>der</strong>


MEDIENPAKET<br />

Politische Bildung<br />

Ersten haben sollte – einschließlich <strong>der</strong> ursprünglich weniger<br />

vom Konsens erfassten Novelle aus dem Jahr 1929.<br />

Teil <strong>der</strong> <strong>Verfassung</strong> sind auch die zahlreichen, inzwischen<br />

mit verfassungsän<strong>der</strong>n<strong>der</strong> Mehrheit (zwei Drittel <strong>der</strong> Abgeordneten<br />

bei<strong>der</strong> Häuser des Parlaments) beschlossenen Än<strong>der</strong>ungen<br />

<strong>der</strong> <strong>Verfassung</strong> – entwe<strong>der</strong> in Form von Ergänzungen<br />

(Novellen) des Bundes-<strong>Verfassung</strong>sgesetzes (B-VG) selbst<br />

o<strong>der</strong> aber <strong>als</strong> spezielle Bundesverfassungsgesetze (BVG).<br />

<strong>Die</strong> österreichische <strong>Verfassung</strong> ist von zwei Merkmalen<br />

bestimmt:<br />

<strong>Die</strong> <strong>Verfassung</strong> ist elastisch. Es ist relativ einfach, sie zu<br />

än<strong>der</strong>n. Deshalb ist es auch zu so vielen <strong>Verfassung</strong>sän<strong>der</strong>ungen<br />

gekommen.<br />

<strong>Die</strong> <strong>Verfassung</strong> ist utilitaristisch, d.h. mehr an Nützlichkeitserwägungen<br />

und weniger an Prinzipien orientiert. Auch<br />

das erklärt die Häufigkeit von Än<strong>der</strong>ungen.<br />

Zu den Aufgaben einer <strong>Verfassung</strong> zählt es auch, bestimmte,<br />

grundsätzlich unveräußerliche Prinzipien (Grundrechte)<br />

ebenso festzuschreiben wie auch Regeln zu formulieren, wie<br />

die <strong>Verfassung</strong> verän<strong>der</strong>t werden kann. Denn eine <strong>Verfassung</strong><br />

ist ja nicht einfach ein zeitloses Regelwerk. Jede <strong>Verfassung</strong> ist<br />

aus ihrer Zeit heraus zu erklären – aus den zu dieser Zeit herrschenden<br />

Interessen, aus dem zu dieser Zeit herrschenden<br />

Verständnis von Gesellschaft und <strong>Politik</strong>. <strong>Die</strong>se Grundlagen<br />

verän<strong>der</strong>n sich mit <strong>der</strong> Zeit. Jede <strong>Verfassung</strong> muss daher, um<br />

nicht zu einer „semantischen <strong>Verfassung</strong>“ zu werden, die<br />

Möglichkeit zu ihrer Weiterentwicklung selbst vorsehen.<br />

Das Bundes-<strong>Verfassung</strong>sgesetz wurde 1920 auf <strong>der</strong><br />

Grundlage eines Kompromisses zwischen den Parteien <strong>der</strong><br />

1919 gewählten <strong>Verfassung</strong>sgebenden Nationalversammlung<br />

beschlossen. Keinen Kompromiss konnten die Parteien<br />

bezüglich eines eigenen Grundrechtskatalogs finden –<br />

deshalb wurde <strong>der</strong> 1867 beschlossene Katalog <strong>der</strong> Grundrechte<br />

(Staatsgrundgesetz) auch von <strong>der</strong> Republik übernommen.<br />

In diesem Grundrechtskatalog finden sich die wichtigsten<br />

(liberalen) Grundfreiheiten wie die Freiheit <strong>der</strong><br />

Meinungsäußerung, des religiösen Bekenntnisses, <strong>der</strong><br />

Presse und des Eigentums.<br />

Trotz jahrzehntelanger Diskussionen in <strong>der</strong> Zweiten Republik<br />

ist eine Neuformulierung dieses Grundrechtskatalogs aus<br />

dem Jahr 1867 (bisher jedenfalls) nicht möglich gewesen. Ein<br />

entsprechen<strong>der</strong> Konsens zwischen den Parteien und den<br />

verschiedenen Interessen scheiterte vor allem an <strong>der</strong> Frage <strong>der</strong><br />

sozialen Grundrechte: <strong>Die</strong>se sollten (könnten) die liberalen<br />

Grundrechte ergänzen. Es gilt folgende Unterscheidung:<br />

Liberale Grundrechte: Freiheit vom staatlichen Eingriff<br />

(Konsequenz ist beispielsweise keine Pressezensur)<br />

Soziale Grundrechte: Anspruch auf staatlichen Eingriff<br />

(Konsequenz wäre beispielsweise ein Anspruch auf<br />

Mindesteinkommen)<br />

Kapitel 2<br />

Obwohl gerade in <strong>der</strong> Zweiten Republik viele vor allem<br />

gesetzliche Maßnahmen auf eine Verbesserung <strong>der</strong> sozialen<br />

Rechte hinauslaufen (z.B. Allgemeines Sozialversicherungsgesetz<br />

– ASVG), fehlt – wie schon in <strong>der</strong> Ersten Republik<br />

– <strong>der</strong> Konsens, den Grundrechtskatalog <strong>der</strong> Monarchie<br />

systematisch neu zu gestalten. Allerdings hat die Problematik<br />

<strong>der</strong> Grundrechte durch die internationale Ebene an<br />

Gewicht gewonnen: Durch die von Österreich übernommene<br />

„Allgemeine Erklärung <strong>der</strong> Menschenrechte“ <strong>der</strong> UNO<br />

und die Europäische Menschenrechtskonvention des<br />

Europarates (EMRK) wurden die Grund- und Menschenrechte<br />

auch in Österreich weiterentwickelt. <strong>Die</strong> EMRK<br />

ermöglicht es Österreicher/inne/n, bestimmte Grundrechte<br />

beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte<br />

(Straßburg) einzuklagen. Auch die EU weist in eine solche<br />

Richtung, die eine Internationalisierung <strong>der</strong> Grundrechte<br />

bedeutet – etwa durch das Diskriminierungsverbot, das im<br />

Amsterdamer Vertrag <strong>der</strong> EU (unterzeichnet 1997)<br />

enthalten ist.<br />

Auch wenn das B-VG relativ wenig auf bestimmte Grundwerte<br />

Bezug nimmt, so geht doch die Interpretation <strong>der</strong><br />

österreichischen <strong>Verfassung</strong> davon aus, dass zumindest<br />

indirekt solche Grundwerte in <strong>der</strong> <strong>Verfassung</strong> enthalten sind.<br />

<strong>Die</strong>se Interpretation wirkt sich vor allem dann aus, wenn es<br />

um die Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> <strong>Verfassung</strong> geht. Denn das B-VG<br />

unterscheidet bei <strong>Verfassung</strong>sän<strong>der</strong>ungen zwischen einer<br />

„Gesamtän<strong>der</strong>ung“ und einer „Teilän<strong>der</strong>ung“ (gewöhnliche<br />

Än<strong>der</strong>ung). Bei Letzterer genügt die Zustimmung von zwei<br />

Drittel <strong>der</strong> Abgeordneten <strong>der</strong> beiden Häuser des Parlaments.<br />

Bei einer Gesamtän<strong>der</strong>ung muss hingegen eine<br />

Volksabstimmung durchgeführt werden. Da das B-VG nicht<br />

ausdrücklich sagt, was unter einer solchen Gesamtän<strong>der</strong>ung<br />

zu verstehen ist, geht man ganz allgemein davon<br />

aus, dass die Än<strong>der</strong>ung bestimmter Grundwerte – etwa des<br />

Fö<strong>der</strong>alismus- o<strong>der</strong> des Demokratieprinzips – eine solche<br />

Gesamtän<strong>der</strong>ung wäre und daher nur in Form einer Volksabstimmung<br />

erfolgen kann.<br />

Obwohl die österreichische <strong>Verfassung</strong> – auch im Zusammenhang<br />

mit ihrem elastischen und utilitaristischen Charakter<br />

– sehr oft einer gewöhnlichen Än<strong>der</strong>ung unterzogen<br />

wurde und wird, hat es in <strong>der</strong> Geschichte <strong>der</strong> Republik nur<br />

eine einzige Gesamtän<strong>der</strong>ung und daher auch nur eine<br />

einzige Volksabstimmung zur Gesamtän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> <strong>Verfassung</strong><br />

gegeben: <strong>Die</strong> Volksabstimmung vom Juni 1994, <strong>als</strong><br />

eine Mehrheit <strong>der</strong> Wähler/innen dem österreichischen Beitritt<br />

zur EU zustimmte. <strong>Die</strong>se Volksabstimmung war deshalb<br />

zwingend, weil die Mitgliedschaft in <strong>der</strong> EU teilweise auch<br />

den Verzicht auf die österreichische Souveränität bedeutet –<br />

und deshalb mit einer Gesamtän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> <strong>Verfassung</strong><br />

gleichzusetzen war.<br />

3


4<br />

Kapitel 2<br />

2. Der parlamentarische Grundzug des<br />

politischen Systems<br />

An<strong>der</strong>s <strong>als</strong> die <strong>Verfassung</strong> von 1867, die dem Parlament<br />

(dem Reichsrat) nur einen relativ eingeschränkten Kompetenzbereich<br />

überlassen hatte, war bei <strong>der</strong> Beschlussfassung<br />

über die <strong>Verfassung</strong> <strong>der</strong> Republik klar, dass diese <strong>Verfassung</strong><br />

dem Parlament eine Schlüsselrolle überlassen würde.<br />

<strong>Die</strong> <strong>Verfassung</strong> <strong>der</strong> Republik war und ist daher von dem<br />

Grundgedanken eines parlamentarischen Systems<br />

bestimmt. Zu diesem Grundgedanken zählen insbeson<strong>der</strong>e:<br />

Parlamentarische Regierung: <strong>Die</strong> wichtigste Grundlage<br />

<strong>der</strong> Regierung ist die Mehrheit im Parlament (d.h. im<br />

Nationalrat). Um dies sicherzustellen, ist die Bundesregierung<br />

dem Nationalrat politisch verantwortlich. <strong>Die</strong>s<br />

bedeutet, dass die Mehrheit des Nationalrates<br />

grundsätzlich je<strong>der</strong>zeit <strong>der</strong> gesamten Regierung bzw.<br />

einzelnen Mitglie<strong>der</strong>n <strong>der</strong>selben das Misstrauen<br />

aussprechen kann (Misstrauensvotum). <strong>Die</strong> Regierung<br />

(o<strong>der</strong> einzelne Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong>selben) sind dann „gestürzt“:<br />

Der Bundespräsident muss die so gestürzte Bundesregierung<br />

(bzw. die einzelnen Regierungsmitglie<strong>der</strong>)<br />

abberufen. Wegen dieser Möglichkeit eines Regierungssturzes<br />

kann keine Regierung auf Dauer gegen den<br />

ausdrücklichen Willen <strong>der</strong> Mehrheit des Nationalrates<br />

existieren. Deshalb wird auch – ohne dass dies ausdrücklich<br />

so vorgeschrieben wäre – im Regelfall eine<br />

Bundesregierung bestellt, die sich aus <strong>der</strong> Mehrheit des<br />

Nationalrates ableitet: Sei es im Fall einer Einparteienregierung<br />

(wie zwischen 1966 und 1983), sei es – zu allen<br />

an<strong>der</strong>en Phasen – in Form einer Koalitionsregierung.<br />

Relativierung (faktisch Aufhebung) <strong>der</strong> Rollentrennung<br />

zwischen Regierung und Parlament: <strong>Die</strong> Wahl des Parlaments<br />

wird – indirekt – auch zur Wahl <strong>der</strong> Regierung. <strong>Die</strong><br />

Parlamentsmehrheit stellt die Regierung. An die Stelle<br />

eines – möglichen – Gegenübers zwischen Regierung<br />

und Parlament tritt das Gegenüber zwischen einer mit<br />

<strong>der</strong> Parlamentsmehrheit politisch verbündeten Regierung<br />

und einer mit <strong>der</strong> Parlamentsmin<strong>der</strong>heit deckungsgleichen<br />

Opposition. <strong>Die</strong> für das Parlamentarische Regieren<br />

entscheidende Konfliktdynamik ist die zwischen<br />

Regierung und Opposition: Erstere will, vor allem mit<br />

Blickrichtung auf den nächsten Wahltermin, im Besitz <strong>der</strong><br />

Mehrheit bleiben; Letztere will in den Besitz einer solchen<br />

Mehrheit kommen.<br />

<strong>Die</strong> Regierung <strong>als</strong> zentrales Entscheidungsorgan: <strong>Die</strong><br />

Regierung, im Regelfall identisch mit <strong>der</strong> Führung <strong>der</strong><br />

Regierungspartei(en), erhält über das Parlament ein<br />

Entscheidungsübergewicht. Unter <strong>der</strong> Voraussetzung<br />

MEDIENPAKET<br />

Politische Bildung<br />

innerparteilicher Disziplin kann die Regierung auf diese<br />

Weise Entscheidungen treffen, die – etwa in Form von<br />

Gesetzesbeschlüssen – von <strong>der</strong> Parlamentsmehrheit<br />

nachvollzogen werden. <strong>Die</strong> Regierung wird so zum faktischen<br />

Gesetzgeber – auch wenn das Parlament die formale<br />

Gesetzgebungsfunktion beibehält. Das Parlament<br />

wird – gerade <strong>als</strong> Konsequenz des Grundsatzes Parlamentarischen<br />

Regierens – zu einem in <strong>der</strong> Gesetzgebung<br />

nachgeordneten Organ: <strong>Die</strong> Regierung bestimmt, das<br />

Parlament vollzieht.<br />

„Zeitliche“ statt „institutioneller“ Gewaltentrennung: <strong>Die</strong><br />

Vorstellung von einer (institutionellen) Trennung zwischen<br />

einer legislativen (gesetzgebenden) Gewalt (Parlament)<br />

und einer exekutiven (vollziehenden) Gewalt (Regierung)<br />

ist wegen dieses auch und gerade in <strong>der</strong> Gesetzgebung<br />

vorhandenen Übergewichts <strong>der</strong> Regierung hinfällig. Der<br />

Gleichklang zwischen Regierung und Parlamentsmehrheit<br />

lässt eine wirkungsvolle Kontrolle <strong>der</strong> Regierung durch<br />

das Parlament dann nicht zu, wenn die Kontrollinstrumente<br />

in den Händen <strong>der</strong> Mehrheit sind. An die<br />

Stelle des Parlaments (<strong>als</strong> Mehrheit) tritt aber die<br />

Parlamentsmin<strong>der</strong>heit – <strong>der</strong>en Kontrollrechte sind die<br />

einzig wirksamen. Und da die Parlamentsmin<strong>der</strong>heit (<strong>als</strong>o<br />

die Opposition) von <strong>der</strong> regierenden Mehrheit nur auf Zeit<br />

getrennt ist, da in vorhersehbarer Zukunft – vor allem im<br />

Gefolge einer Parlamentswahl – die Min<strong>der</strong>heit zur<br />

(regierenden) Mehrheit und die Mehrheit zur<br />

(opponierenden) Min<strong>der</strong>heit werden kann, spricht man<br />

von „zeitlicher“ Gewaltentrennung.<br />

Von dieser Umstülpung einer (gedachten und zwischen<br />

1867 und 1918 ja auch grundsätzlich gegebenen) Trennung<br />

zwischen Legislative und Exekutive sind zwei wichtige<br />

Elemente nicht betroffen:<br />

<strong>Die</strong> Trennung zwischen <strong>der</strong> judikativen (rechtsprechenden)<br />

Gewalt und den an<strong>der</strong>en Gewalten kann und muss<br />

aufrecht bleiben, solange die Grundsätze des <strong>Verfassung</strong>s-<br />

und des Rechtsstaates gelten sollen. <strong>Die</strong> dadurch<br />

garantierte Unabhängigkeit <strong>der</strong> Rechtsprechung verhin<strong>der</strong>t<br />

die Konzentration <strong>der</strong> gesamten politischen<br />

(staatlichen) Gewalt in den Händen einer einzigen Instanz<br />

– <strong>der</strong> Regierung. Richter/innen haben von Regierung und<br />

Parlament unabhängig zu agieren – und sie können dies<br />

auch.<br />

<strong>Die</strong> Trennung zwischen den von <strong>der</strong> <strong>Verfassung</strong> zunächst<br />

erfassten Organen des Bundes gegenüber den Organen


MEDIENPAKET<br />

Politische Bildung<br />

<strong>der</strong> Län<strong>der</strong> und <strong>der</strong> Gemeinden, aber auch <strong>der</strong> EU<br />

(fö<strong>der</strong>ative o<strong>der</strong> vertikale Gewaltentrennung). <strong>Die</strong>se<br />

unterhalb bzw. oberhalb <strong>der</strong> Bundesebene angesiedelten<br />

Organe (z.B. Landtage/Landeshauptleute und<br />

Gemein<strong>der</strong>äte/Bürgermeister, aber auch Europäische<br />

Kommission und Europäisches Parlament) sind von <strong>der</strong><br />

Verbindung zwischen Regierung und Parlament(smehrheit)<br />

auf Bundesebene grundsätzlich nicht betroffen.<br />

Kapitel 2<br />

Der Grundsatz des Parlamentarischen Regierens führt dazu,<br />

dass über die Zusammensetzung <strong>der</strong> Regierung im Regelfall<br />

im Gefolge <strong>der</strong> Wahl des Nationalrates entschieden wird.<br />

Obwohl eine Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Zusammensetzung <strong>der</strong> Regierung<br />

– z.B. Austausch eines Koalitionspartners durch einen an<strong>der</strong>en<br />

– grundsätzlich immer möglich wäre, sind fast alle wesentlichen<br />

Verän<strong>der</strong>ungen des Regierungssystems <strong>der</strong> Zweiten<br />

Republik immer <strong>als</strong> Ergebnis einer Nationalratswahl erfolgt:<br />

Än<strong>der</strong>ungen des Regierungssystems <strong>der</strong> Zweiten Republik <strong>als</strong> Folge von Parlamentswahlen<br />

1966<br />

1970<br />

1971<br />

1983<br />

1987<br />

2000<br />

Auf die „Große Koalition“ ÖVP/SPÖ folgt die Alleinregierung <strong>der</strong> ÖVP – <strong>als</strong> Konsequenz <strong>der</strong> Nationalratswahl<br />

1966, des Gewinns <strong>der</strong> absoluten Mandatsmehrheit durch die ÖVP.<br />

Auf die Alleinregierung <strong>der</strong> ÖVP folgt eine Alleinregierung (Min<strong>der</strong>heitsregierung) <strong>der</strong> SPÖ – <strong>als</strong> Konsequenz <strong>der</strong><br />

Nationalratswahl 1970, des Gewinns <strong>der</strong> relativen Mandatsmehrheit <strong>der</strong> SPÖ und eines Duldungsübereinkommens<br />

zwischen SPÖ und FPÖ*.<br />

Auf die Min<strong>der</strong>heitsregierung <strong>der</strong> SPÖ folgt eine auf die nunmehr absolute Mandatsmehrheit <strong>der</strong> SPÖ gestützte<br />

SPÖ-Alleinregierung – Folge <strong>der</strong> Nationalratswahl 1971.<br />

Auf die Alleinregierung <strong>der</strong> SPÖ folgt die „Kleine Koalition“ SPÖ/FPÖ – <strong>als</strong> Konsequenz <strong>der</strong> Nationalratswahl<br />

1983, des Verlusts <strong>der</strong> absoluten SPÖ-Mehrheit und eines Koalitionsübereinkommens zwischen SPÖ und FPÖ.<br />

Auf die Koalition zwischen SPÖ und FPÖ folgt eine zwischen SPÖ und ÖVP – <strong>als</strong> Konsequenz <strong>der</strong> Nationalratswahl<br />

1986 und <strong>als</strong> Resultat eines vorhergegangenen Konflikts zwischen SPÖ und FPÖ.<br />

Auf die Koalition SPÖ/ÖVP folgt eine zwischen ÖVP und FPÖ – <strong>als</strong> Konsequenz <strong>der</strong> Nationalratswahl 1999 und<br />

<strong>als</strong> Resultat des Scheiterns <strong>der</strong> Koalitionsverhandlungen zwischen SPÖ und ÖVP.<br />

Abb. 1<br />

* In diesem Duldungsübereinkommen sicherte die FPÖ <strong>der</strong> SPÖ zu, dass sie für einen bestimmten Zeitraum keinem<br />

Misstrauensantrag gegen die SPÖ-Min<strong>der</strong>heitsregierung und zumindest einem Budgetgesetz dieser Regierung zustimmen würde.<br />

Alle diese Weichenstellungen waren entwe<strong>der</strong> unmittelbar<br />

Ausfluss von Ergebnissen von Nationalratswahlen – etwa die<br />

Gewinne bzw. Verluste absoluter Mehrheiten im Nationalrat<br />

– o<strong>der</strong> aber sie waren das Resultat von Parteiverhandlungen,<br />

die sich an Nationalratswahlen anschlossen. Zwei<br />

Ausnahmen lassen sich freilich festhalten:<br />

1947 schied die KPÖ aus <strong>der</strong> seit 1945 gebildeten<br />

Koalition mit ÖVP und SPÖ (Konzentrationsregierung)<br />

aus, ohne dass irgendein Zusammenhang mit<br />

Nationalratswahlen gegeben gewesen wäre. <strong>Die</strong>ses<br />

Ausscheiden <strong>der</strong> KPÖ, des kleinsten Koalitionspartners,<br />

stand im Zusammenhang mit <strong>der</strong> Entwicklung des<br />

„Kalten Krieges“ und hatte auch keinen wesentlichen<br />

Einfluss auf das österreichische Regierungssystem, weil<br />

die Koalition nun <strong>als</strong> „Große Koalition“ zwischen ÖVP und<br />

SPÖ fortgesetzt wurde.<br />

<strong>Die</strong> „Kleine Koalition“ zwischen SPÖ und FPÖ wurde im<br />

September 1986 von <strong>der</strong> SPÖ <strong>als</strong> Reaktion auf einen<br />

Führungswechsel in <strong>der</strong> FPÖ aufgekündigt. <strong>Die</strong> damit<br />

verbundene vorgezogene Wahl des Nationalrates bildete<br />

die Grundlage <strong>der</strong> Neuauflage <strong>der</strong> Koalition zwischen<br />

SPÖ und ÖVP, war aber nicht die Ursache für das Ende<br />

<strong>der</strong> Koalition zwischen SPÖ und FPÖ.<br />

Der Grundsatz des Parlamentarischen Regierens ist dann<br />

am deutlichsten, wenn eine Partei – gestützt auf den Gewinn<br />

<strong>der</strong> absoluten Mehrheit im Nationalrat – allein regieren kann.<br />

Denn dann ist <strong>der</strong> Zusammenhang zwischen Parlamentswahl<br />

und Regierungsbildung eindeutig – die Wahl des Parlaments<br />

wird zur direkten Entscheidung über die Regierung. <strong>Die</strong>se<br />

5


6<br />

Kapitel 2<br />

<strong>Rahmen</strong>bedingungen waren nach den Nationalratswahlen<br />

1966 (absolute Mehrheit <strong>der</strong> ÖVP) sowie 1971, 1975 und<br />

1979 (absolute Mehrheiten <strong>der</strong> SPÖ) gegeben. <strong>Die</strong> absolute<br />

Mehrheit <strong>der</strong> ÖVP bei <strong>der</strong> Nationalratswahl 1945 war insofern<br />

eine Ausnahme, <strong>als</strong> aufgrund beson<strong>der</strong>er <strong>Rahmen</strong>bedingungen<br />

dieser Wahl – insbeson<strong>der</strong>e <strong>der</strong> Besatzungsstatus Österreichs<br />

– allen Beteiligten eine Koalitionsregierung notwendig<br />

erschien.<br />

Der Grundsatz des Parlamentarischen Regierens ist dann<br />

freilich weniger deutlich, wenn keine Partei – wie bei allen an<strong>der</strong>en<br />

Nationalratswahlen – in den Besitz einer absoluten<br />

Mehrheit <strong>der</strong> Nationalratsmandate kommt. Denn dann können<br />

ja mehrere Bündnis- und Koalitionsvarianten zur Diskussion<br />

stehen, die zur Herstellung <strong>der</strong> Grundbedingung<br />

Parlamentarischen Regierens – eine Mehrheit im Nationalrat –<br />

geeignet sind. Bei <strong>der</strong> Bildung <strong>der</strong> Koalitionsregierung zwi-<br />

MEDIENPAKET<br />

Politische Bildung<br />

schen ÖVP und FPÖ, im Gefolge <strong>der</strong> Nationalratswahl 1999,<br />

war dies beson<strong>der</strong>s deutlich: Letztlich entscheiden die Parteiverhandlungen<br />

auf <strong>der</strong> Grundlage eines Wahlergebnisses, wer<br />

regiert – und nicht das Wahlergebnis selbst.<br />

Deshalb kommt dem Wahlsystem eine wichtige Rolle bei<br />

<strong>der</strong> Festlegung zu, wie deutlich <strong>der</strong> Grundsatz des Parlamentarischen<br />

Regierens ist: Eine Mehrheitswahl nach britischem<br />

(o<strong>der</strong>, in etwas an<strong>der</strong>er Form, nach französischem) Muster<br />

begünstigt die jeweils stärkste Partei. Es wird so wahrscheinlich,<br />

dass diese auch über eine absolute Mandatsmehrheit im<br />

Parlament verfügt. Eine Verhältniswahl – in Österreich im B-VG<br />

verankert – macht eine solche, absolute Mehrheit zur Ausnahme.<br />

Im Regelfall kann keine Partei über eine solche Mehrheit<br />

verfügen. <strong>Die</strong> Konsequenz ist, dass Parteiverhandlungen<br />

geführt werden müssen, um eine Koalition zu bilden, die sich<br />

dann auf eine Mehrheit im Nationalrat stützen kann.<br />

3. <strong>Die</strong> präsidentielle Komponente <strong>als</strong><br />

Korrektiv<br />

Dass das Bundes-<strong>Verfassung</strong>sgesetz 1920 die Weichen<br />

so eindeutig in Richtung des Parlamentarischen Regierens<br />

und somit eines parlamentarischen Systems stellte, war vor<br />

allem die Folge <strong>der</strong> verfassungspolitischen Vorstellungen <strong>der</strong><br />

Sozialdemokratie gewesen. <strong>Die</strong> Christlichsozialen hatten<br />

schon 1920 durch ein starkes Staatsoberhaupt ein<br />

Gegengewicht zum starken Parlament herzustellen<br />

versucht. Der – notwendige – Kompromiss sah dann freilich<br />

nur ein schwaches Staatsoberhaupt vor – einen vom<br />

Parlament gewählten Bundespräsidenten, <strong>der</strong> keinen<br />

Einfluss auf die Bildung <strong>der</strong> Bundesregierung hatte.<br />

Das än<strong>der</strong>te sich durch die <strong>Verfassung</strong>snovelle 1929, die<br />

auch in <strong>der</strong> Zweiten Republik Bestandteil des B-VG blieb:<br />

Der Bundespräsident wurde gestärkt. <strong>Die</strong>se Aufwertung des<br />

Staatsoberhaupts umfasst vor allem zwei Aspekte:<br />

<strong>Die</strong> Direktwahl: Der Bundespräsident wird direkt vom<br />

Volk gewählt. Dadurch erhält er eine Grundlage, die <strong>der</strong><br />

des Nationalrates prinzipiell gleichwertig ist – beide<br />

können sich auf ein direktes Mandat <strong>der</strong> Wähler/innen<br />

berufen.<br />

<strong>Die</strong> Bestellung (und Entlassung) <strong>der</strong> Bundesregierung:<br />

Der Bundespräsident ernennt den Bundeskanzler und,<br />

auf dessen Vorschlag, die übrigen Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />

Bundesregierung. Der Bundespräsident kann auch die<br />

Bundsregierung entlassen.<br />

Durch diese Stärkung des ursprünglich nicht stark<br />

konzipierten Staatsoberhaupts ist das politische System<br />

Österreichs zwar nach wie vor ein parlamentarisches<br />

System. Der parlamentarische Grundzug desselben erhält<br />

aber ein Korrektiv – durch ein präsidentielles Element.<br />

Denn <strong>der</strong> direkt gewählte Präsident ist dem Nationalrat<br />

politisch nicht verantwortlich – er kann nicht vom<br />

Parlament, er kann nur vom Volk abgewählt werden. Der<br />

Präsident muss auch nicht, wie die Bundesregierung, dem<br />

Parlament Rede und Antwort stehen. Er ist vom Parlament<br />

grundsätzlich unabhängig.<br />

Dass dem Bundespräsidenten die Kompetenz <strong>der</strong><br />

Bestellung <strong>der</strong> Bundesregierung zukommt, än<strong>der</strong>t nichts<br />

an <strong>der</strong>en Abhängigkeit von <strong>der</strong> Mehrheit des Nationalrates<br />

und damit am Grundsatz Parlamentarischen Regierens.<br />

Allerdings muss eine Bundesregierung, die ja gegen den<br />

Willen <strong>der</strong> Nationalratsmehrheit nicht existieren kann, auch<br />

vom grundsätzlichen Vertrauen des Bundespräsidenten<br />

getragen werden. Der Bundespräsident ist – neben dem<br />

Nationalrat – die zweite Quelle <strong>der</strong> Legitimation <strong>der</strong><br />

Regierung.<br />

Deshalb kann das politische System Österreichs <strong>als</strong><br />

„gemischtes System“ bezeichnet werden – <strong>als</strong> grundsätzlich<br />

parlamentarisches System, in das sich aber Elemente eines<br />

präsidentiellen Systems mischen.


MEDIENPAKET<br />

Politische Bildung<br />

verflochten wegen politischer<br />

Verantwortlichkeit - Misstrauensvotum<br />

(Mehrheit kann Regierung stürzen)<br />

P a r l a m e n t<br />

Nationalrat Bundesrat Bundespräsident<br />

wählt direkt wählt direkt<br />

wählt indirekt<br />

Das präsidentielle Korrektiv ist auch <strong>als</strong> Konkurrenz zum<br />

parlamentarischen Grundzug des politischen Systems zu<br />

verstehen. In <strong>der</strong> <strong>Verfassung</strong>swirklichkeit ist freilich deutlich,<br />

dass die Rolle des Bundespräsidenten kein volles<br />

Gegengewicht zum Grundgedanken Parlamentarischen<br />

Regierens bedeutet. Denn die Bildung <strong>der</strong> Bundesregierung<br />

erfolgte immer <strong>als</strong> Konsequenz <strong>der</strong> Wahl des Nationalrates –<br />

und nie <strong>als</strong> Konsequenz <strong>der</strong> Wahl des Bundespräsidenten.<br />

Zwar kann <strong>der</strong> Bundespräsident – durchaus im Sinne<br />

eines Korrektivs – bei <strong>der</strong> Bildung <strong>der</strong> Bundesregierung<br />

eigenständig mitwirken, er kann aber gegen eine<br />

entschlossene Parlamentsmehrheit sich nicht durchsetzen.<br />

Beispiele für die eigenständige Mitwirkung und damit für das<br />

Funktionieren des präsidentiellen Korrektivs sind:<br />

1953 erklärte Bundespräsident Theodor Körner, dass er<br />

einer Einbeziehung des VDU <strong>als</strong> dritten Partner in die von<br />

ÖVP und SPÖ gebildete Bundesregierung nicht<br />

zustimmen würde. <strong>Die</strong> bis dahin (von <strong>der</strong> ÖVP) nur<br />

informell geäußerten Pläne einer solchen Einbeziehung<br />

wurden dann nicht weiterverfolgt.<br />

2000 akzeptierte Bundespräsident Thomas Klestil die<br />

Bestellung <strong>der</strong> ursprünglich für die Ämter des Finanz- und<br />

Bevölkerung<br />

ernennt<br />

Kapitel 2<br />

Struktur des politischen Systems Österreichs Abb. 2<br />

FOLIE 3<br />

des Landesverteidigungsministers vorgesehenen<br />

Personen nicht und zwang so die FPÖ an<strong>der</strong>e<br />

Kandidaten zu nominieren – die dann von Klestil<br />

akzeptiert wurden.<br />

Das wichtigste Beispiel dafür, dass das präsidentielle<br />

Element gegenüber dem parlamentarischen das<br />

Schwächere ist, liefert die Regierungsbildung 1999/2000.<br />

Bundespräsident Thomas Klestil hatte klargemacht, dass er<br />

eine Koalition zwischen SPÖ und ÖVP wünsche. Als diese<br />

scheiterte und ÖVP und FPÖ ein Koalitionsabkommen<br />

vereinbarten, sah Klestil keinen an<strong>der</strong>en Ausweg, <strong>als</strong> diese<br />

von ihm nicht gewollte Bundesregierung zu akzeptieren –<br />

d.h. sie zu bestellen.<br />

Der Grund für dieses Nachgeben liegt eben darin, dass <strong>der</strong><br />

Bundespräsident zwar grundsätzlich jede Regierung bestellen<br />

kann, dass aber diese nur handlungs- und überlebensfähig<br />

ist, wenn sie nicht gegen den Willen <strong>der</strong> Mehrheit des<br />

Nationalrates bestellt wird. Als klar wurde, dass die von ÖVP<br />

und FPÖ gebildete Mehrheit des Nationalrates jede an<strong>der</strong>e<br />

Regierung <strong>als</strong> eine ÖVP/FPÖ-Koalition sofort „stürzen“ würde,<br />

sah Klestil keine Alternative.<br />

7


8<br />

Kapitel 2<br />

4. Österreich <strong>als</strong> Bundesstaat<br />

Österreichs neun Bundeslän<strong>der</strong> können auf eine Geschichte<br />

zurückblicken, die – mit Ausnahme <strong>der</strong> des Burgenlands –<br />

älter ist <strong>als</strong> die Geschichte <strong>der</strong> Republik: Dass Österreich ein<br />

Bundesstaat ist, in dem sich <strong>der</strong> Bund (die Republik) die<br />

Kompetenzen staatlichen Handelns mit den Län<strong>der</strong>n teilt,<br />

entspricht daher auch dieser historischen Perspektive.<br />

Allerdings ist die bundesstaatliche Komponente vergleichsweise<br />

gering entwickelt: <strong>Die</strong> Verteilung zwischen den Zuständigkeiten,<br />

die den Län<strong>der</strong>n reserviert sind, und den Zuständigkeiten<br />

des Bundes ergibt ein klares Bild: Das Kompetenzgewicht<br />

des Bundes ist deutlich größer <strong>als</strong> das <strong>der</strong> Län<strong>der</strong>.<br />

<strong>Die</strong>s ergibt sich insbeson<strong>der</strong>e dann, wenn <strong>der</strong> Bundesstaat<br />

Österreich mit an<strong>der</strong>en Bundesstaaten verglichen wird –<br />

insbeson<strong>der</strong>e mit den beiden traditionsreichsten Fö<strong>der</strong>ationen<br />

<strong>der</strong> Welt: mit <strong>der</strong> Schweiz und mit den USA. In beiden Fällen<br />

ist <strong>der</strong> Kompetenzbereich, <strong>der</strong> den Kantonen (in <strong>der</strong> Schweiz)<br />

bzw. den Einzelstaaten (in den USA) vorbehalten ist, deutlich<br />

größer <strong>als</strong> <strong>der</strong>, <strong>der</strong> den österreichischen Län<strong>der</strong>n zugestanden<br />

wird. Das ist unabhängig von <strong>der</strong> „Größe“ <strong>der</strong> Län<strong>der</strong>: <strong>Die</strong><br />

Durchschnittsfläche und Bevölkerungszahl eines <strong>der</strong> 26 Kantone<br />

bzw. Halbkantone <strong>der</strong> Schweiz sind deutlich geringer <strong>als</strong><br />

die Durchschnittsgröße <strong>der</strong> österreichischen Län<strong>der</strong>; und unter<br />

den 50 Staaten <strong>der</strong> USA gibt es viele, die deutlich kleiner sind<br />

<strong>als</strong> die größeren unter den österreichischen Län<strong>der</strong>n.<br />

Beispiele für die geringen Kompetenzen <strong>der</strong> Län<strong>der</strong> sind:<br />

<strong>Die</strong> Justiz ist in Österreich – an<strong>der</strong>s <strong>als</strong> etwa in den USA –<br />

ausschließlich Sache des Bundes, nicht <strong>der</strong> Län<strong>der</strong> (bzw.<br />

Staaten).<br />

<strong>Die</strong> Universitäten sind in Österreich – an<strong>der</strong>s <strong>als</strong> etwa in <strong>der</strong><br />

Schweiz und in Deutschland – grundsätzlich in <strong>der</strong> Kompetenz<br />

des Bundes, nicht in <strong>der</strong> <strong>der</strong> Län<strong>der</strong> (bzw. Kantone).<br />

<strong>Die</strong> Ursache für den relativ gering entwickelten fö<strong>der</strong>alistischen<br />

Charakter Österreichs muss in <strong>der</strong> Interessenlage <strong>der</strong><br />

Parteien gesehen werden. In <strong>der</strong> Ersten Republik und auch in<br />

den ersten Jahrzehnten <strong>der</strong> Zweiten Republik wurde die <strong>Politik</strong><br />

ganz wesentlich <strong>als</strong> Konflikt zwischen dem „roten Wien“ und<br />

den „schwarzen Bundeslän<strong>der</strong>n“ gedeutet. Der Hintergrund<br />

dieser Sichtweise war, dass die Sozialdemokratie bzw. die<br />

SPÖ im Bundesland Wien (das gleichzeitig auch Bundeshauptstadt<br />

ist) mit großen Mehrheiten rechnen konnten – die<br />

Christlichsozialen bzw. die ÖVP hingegen in allen an<strong>der</strong>en Län<strong>der</strong>n<br />

mit Ausnahme Kärntens. Eine Stärkung <strong>der</strong> Län<strong>der</strong><br />

insgesamt hätte daher – aus <strong>der</strong> Sicht <strong>der</strong> SPÖ – <strong>der</strong> ÖVP<br />

überdurchschnittlich viele Vorteile, <strong>der</strong> SPÖ hingegen fast nur<br />

Nachteile gebracht.<br />

<strong>Die</strong>se Sichtweise hat sich zwar inzwischen verschoben –<br />

die Mehrheiten von SPÖ und ÖVP sind in allen <strong>der</strong> neun<br />

MEDIENPAKET<br />

Politische Bildung<br />

Län<strong>der</strong> viel weniger eindeutig geworden. In Kärnten konnte<br />

1999 mit <strong>der</strong> FPÖ erstm<strong>als</strong> eine dritte Partei die (relative)<br />

Mehrheit im Landesparlament (dem Landtag) erreichen.<br />

Dennoch wirkt sich die historisch erklärbare Interessenlage<br />

noch aus – trotz jahrzehntelanger Versuche, im Zuge einer<br />

Bundesstaatenreform das Verhältnis von Bund und Län<strong>der</strong>n<br />

von Grund auf neu zu definieren, hat sich am Übergewicht des<br />

Bundes über die Län<strong>der</strong> nichts geän<strong>der</strong>t.<br />

Allerdings genießen die Län<strong>der</strong> in <strong>der</strong> <strong>Verfassung</strong>swirklichkeit<br />

eine stärkere Position, <strong>als</strong> dies <strong>der</strong> Wortlaut <strong>der</strong><br />

<strong>Verfassung</strong> zu erkennen gibt. Ein Grund ist die hohe innerparteiliche<br />

Autonomie, die den einzelnen Landesparteien<br />

zukommt und die insbeson<strong>der</strong>e die Landeshauptleute stärkt:<br />

Insbeson<strong>der</strong>e die ÖVP, aber auch die SPÖ und die Grünen<br />

(ursprünglich auch die FPÖ), räumen den Landesorganisationen<br />

ein hohes Maß an Selbstständigkeit ein. <strong>Die</strong>s<br />

wirkt sich vor allem bei <strong>der</strong> personellen Rekrutierung aus –<br />

ein Gutteil <strong>der</strong> österreichischen <strong>Politik</strong>er/innen wird über die<br />

Landesorganisationen <strong>der</strong> Parteien in die <strong>Politik</strong> geholt. <strong>Die</strong><br />

primäre Loyalität dieser <strong>Politik</strong>er/innen gilt daher zumeist <strong>der</strong><br />

Landespartei.<br />

<strong>Die</strong> Landeshauptleute haben ein politisches Gewicht, das<br />

über ihre formale Kompetenz weit hinausgeht. So erteilte<br />

1984 <strong>der</strong> für Ladenschlusszeiten zuständige Bundesminister<br />

für Handel, Norbert Steger (FPÖ), dem Landeshauptmann<br />

von Salzburg, Wilfried Haslauer, eine Weisung, zu <strong>der</strong> er<br />

eindeutig berechtigt war. Haslauer ignorierte diese Weisung<br />

– und bekam zwar nicht rechtlich, aber politisch Recht, weil<br />

er in <strong>der</strong> nächsten Landtagswahl sich erfolgreich <strong>als</strong><br />

Kämpfer gegen den „Wiener Zentralismus“ darstellen<br />

konnte.<br />

Vor allem Parteien, die auf <strong>der</strong> Bundesebene in Opposition<br />

sind, nützen ihre gleichzeitige Regierungsbeteiligung auf <strong>der</strong><br />

Ebene <strong>der</strong> Län<strong>der</strong>. Das galt vor allem für die ÖVP in <strong>der</strong>en<br />

langen Oppositionsphase zwischen 1970 und 1986 – und<br />

das stärkte vor allem die von <strong>der</strong> ÖVP gestellten<br />

Landeshauptleute.<br />

<strong>Die</strong> großen Kammerorganisationen (Arbeiter-, Wirtschaftsund<br />

Landwirtschaftskammern) bestehen primär auf <strong>der</strong> Län<strong>der</strong>ebene<br />

– die jeweilige Bundesorganisation (Bundesarbeitskammer,<br />

Wirtschaftskammer Österreich, Präsidentenkonferenz<br />

<strong>der</strong> Landwirtschaftskammern) ist an sich nur ein<br />

Überbau. <strong>Die</strong>s stärkt ebenfalls die <strong>Politik</strong>ebene <strong>der</strong> Län<strong>der</strong>.<br />

<strong>Die</strong> Län<strong>der</strong> werden aber insbeson<strong>der</strong>e auch durch ein<br />

beson<strong>der</strong>s entwickeltes Län<strong>der</strong>bewusstsein gestärkt. In<br />

Ergänzung zu einem Österreich-Bewusstsein, das sich in <strong>der</strong><br />

Zweiten Republik stabil entwickelt hat, vermitteln die neun<br />

Län<strong>der</strong> eine zusätzliche Identität.


MEDIENPAKET<br />

Politische Bildung<br />

Primäre emotionale Verbundenheit nach territorialen Einheiten (1987) in den Bundeslän<strong>der</strong>n<br />

In einigen <strong>der</strong> Bundeslän<strong>der</strong> ist das Land <strong>der</strong> primäre<br />

territoriale Bezugspunkt <strong>der</strong> emotionalen Verbundenheit,<br />

<strong>als</strong>o <strong>der</strong> Identität – noch vor Österreich. Das unterstreicht<br />

die Wichtigkeit <strong>der</strong> Län<strong>der</strong>ebene – jenseits <strong>der</strong> konkreten<br />

Kompetenzverteilung zwischen Bund und Län<strong>der</strong>n.<br />

Der fö<strong>der</strong>alistische Charakter Österreichs hat durch die<br />

Mitgliedschaft in <strong>der</strong> EU eine neue, zusätzliche Qualität<br />

erfahren: Österreich selbst ist nun, <strong>als</strong> einer von (<strong>der</strong>zeit) 15<br />

Mitgliedstaaten, Gliedstaat in einem Gebilde, das Elemente<br />

eines Bundesstaates mit Elementen eines Staatenbundes<br />

verbindet. Überall dort, wo Österreich Souveränitätsrechte<br />

an die Union abgetreten hat (Beispiel: Währungsunion,<br />

Binnenmarkt), ist Österreich selbst in <strong>der</strong> Rolle eines<br />

autonomen Landes, das zwar bei <strong>der</strong> Entscheidungsfindung<br />

Kapitel 2<br />

Wien NÖ Bgld Tirol Ktn Vbg Stmk OÖ Sbg Österreich<br />

(gesamt)<br />

Heimatort 38 30 31 16 23 21 25 35 24 29<br />

Bundesland 8 16 24 58 53 44 39 23 33 27<br />

Österreicher 46 55 44 19 24 28 32 37 35 39<br />

Deutscher 1 0 0 1 0 0 2 1 2 1<br />

(Mittel-)Europäer 4 1 0 1 0 4 2 1 4 2<br />

Weltbürger 4 0 1 2 0 3 1 2 0 2<br />

An<strong>der</strong>s 2 0 0 1 1 0 0 0 3 1<br />

Repräsentativerhebung, Angaben in Prozent. Bei Wien ist zu berücksichtigen, dass die Kategorien „Heimatort“ und „Bundesland“ zusammenfallen.<br />

Quelle: Ernst Bruckmüller: Österreichbewußtsein im Wandel. Identität und Selbstverständnis in den 90er Jahren. Wien 1994. S 19.<br />

5. Direkte Demokratie<br />

Jede Demokratie besteht aus Elementen <strong>der</strong> direkten und<br />

aus solchen <strong>der</strong> indirekten Demokratie. Jede Demokratie,<br />

daher auch die österreichische, ist eine Mischform dieser<br />

Elemente.<br />

<strong>Die</strong> indirekt demokratischen (o<strong>der</strong> repräsentativen) Elemente<br />

bestehen vor allem in den <strong>Verfassung</strong>sorganen:<br />

auf <strong>der</strong> Ebene des Bundes sind dies das Parlament, die<br />

Bundesregierung, <strong>der</strong> Bundespräsident. Mit diesen<br />

<strong>Verfassung</strong>sorganen sind aber auch die Parteien und die<br />

Verbände verbunden – ohne <strong>der</strong>en Existenz könnte man<br />

etwa nicht verstehen, was im Nationalrat vor sich geht;<br />

warum diese und nicht eine an<strong>der</strong>e Bundesregierung<br />

Abb. 3<br />

<strong>der</strong> Union mitreden kann, das sich aber den<br />

Entscheidungen dieser Gemeinschaft auch dann nicht<br />

entziehen kann, wenn diese gegen den Willen Österreichs<br />

getroffen werden.<br />

<strong>Die</strong>se Entwicklung hat auch zu Stellungnahmen geführt,<br />

die davon ausgehen, dass angesichts dieser Vielfalt <strong>der</strong><br />

<strong>Politik</strong>ebenen (Gemeinden, Län<strong>der</strong>, Bund, Union) <strong>der</strong><br />

innerösterreichische Fö<strong>der</strong>alismus selbst und damit die<br />

Bundeslän<strong>der</strong> weitgehend überflüssig geworden wären.<br />

<strong>Die</strong>se Sichtweise lässt allerdings unberücksichtigt, dass die<br />

emotionalen Bindungen – unabhängig von konkreten<br />

Zuständigkeiten – die österreichischen Län<strong>der</strong> und damit<br />

den österreichischen Bundesstaat nach wie vor <strong>als</strong> stark<br />

ausweisen.<br />

gebildet wurde. Repräsentativ ist eine Demokratie auch<br />

deshalb, weil jede Gesellschaft auch in <strong>der</strong> <strong>Politik</strong> vom<br />

Gesetz <strong>der</strong> Arbeitsteilung erfasst ist – es ist nicht vorstellbar,<br />

dass sich alle um alles kümmern. In diesem Sinne<br />

kann das Volk nicht selbst regieren – es braucht<br />

Vertretungsorgane, die direkt o<strong>der</strong> indirekt durch Wahlen<br />

demokratisch legitimiert sind.<br />

<strong>Die</strong> direkt demokratischen (o<strong>der</strong> plebiszitären) Elemente<br />

ergänzen die repräsentative Demokratie. Das Mindestmaß<br />

an direkter Demokratie ist die freie Wahl – in Österreich<br />

durch die Wahl des Nationalrates und des Bundespräsidenten<br />

gegeben. In den meisten Demokratien gibt<br />

9


10<br />

Kapitel 2<br />

es jedoch zusätzliche Elemente, die vor allem verhin<strong>der</strong>n<br />

sollen, dass sich die <strong>Verfassung</strong>sorgane, die Parteien und<br />

die Verbände zu sehr gegenüber „dem Volk“ (den<br />

Wähler/inne/n) abschotten, sich von diesem isolieren.<br />

Deshalb gibt es auch in Österreich, auf <strong>der</strong> Ebene des<br />

Bundes wie auch auf <strong>der</strong> Län<strong>der</strong>- und <strong>der</strong> Gemeindeebene<br />

verschiedene Möglichkeiten <strong>der</strong> direkt demokratischen<br />

Mitsprache über die Wahlen hinaus.<br />

Auf <strong>der</strong> Bundesebene können drei plebiszitäre Instrumente<br />

unterschieden werden:<br />

<strong>Die</strong> Volksabstimmung (Plebiszit, Referendum) ist die<br />

perfekte Form direkter Demokratie: <strong>Die</strong> Mehrheit <strong>der</strong><br />

Wähler/innen entscheidet verbindlich eine bestimmte Frage<br />

selbst. Das Volk – in Form <strong>der</strong> Wähler/innen – setzt sich an<br />

die Stelle <strong>der</strong> Volksvertretung, des Parlaments.<br />

Das Volksbegehren ist eine weniger verbindliche Form<br />

direkter Demokratie: Eine qualifizierte Min<strong>der</strong>heit <strong>der</strong><br />

Wähler/innen ergreift die Initiative zu einem Gesetz. Über<br />

diese Initiative entscheidet das Parlament – <strong>als</strong>o ein Organ<br />

<strong>der</strong> repräsentativen Demokratie. Das Volk zwingt die<br />

Volksvertretung, eine bestimmte Entscheidung zu treffen –<br />

ohne den Inhalt <strong>der</strong> Entscheidung selbst vorgeben zu<br />

können.<br />

<strong>Die</strong> Volksbefragung ist eine unverbindliche Form direkter<br />

Demokratie: <strong>Die</strong> Wähler/innen werden um ihre Meinung<br />

gefragt, ohne dass diese bindend wäre. Allerdings kann<br />

davon ausgegangen werden, dass ein eindeutiges<br />

Ergebnis einer Volksbefragung die Parteien (und damit<br />

die Parlamente) nicht unwesentlich beeinflusst.<br />

Das Instrument <strong>der</strong> Volksabstimmung gibt es in Österreich<br />

zweifach, fakultativ o<strong>der</strong> obligatorisch:<br />

Fakultative Volksabstimmung: <strong>Die</strong>se ist nicht zwingend<br />

vorgesehen. Voraussetzung ist, dass eine Mehrheit des<br />

Nationalrats beschließt, eine Entscheidung über ein Gesetz<br />

nicht selbst zu treffen, son<strong>der</strong>n diese Entscheidung<br />

den Wähler/inne/n zu übertragen. <strong>Die</strong>se agieren dann –<br />

in diesem Einzelfall – <strong>als</strong> Gesetzgeber.<br />

Obligatorische Volksabstimmung: Bei einer Gesamtän<strong>der</strong>ung<br />

<strong>der</strong> <strong>Verfassung</strong> (und im Fall <strong>der</strong> Absetzung des<br />

Bundespräsidenten) muss eine Volksabstimmung durchgeführt<br />

werden. Wie bei einer fakultativen Volksabstimmung<br />

erfolgt auch bei einer obligatorischen die Entscheidung<br />

<strong>der</strong> Wähler/innen mit einfacher Mehrheit. <strong>Die</strong>se<br />

agieren in einem solchen Fall <strong>als</strong> <strong>Verfassung</strong>sgesetzgeber.<br />

Auffallend ist, dass es in <strong>der</strong> Geschichte <strong>der</strong> Republik<br />

nur zwei Volksabstimmungen gegeben hat: Im November<br />

1978, <strong>als</strong> <strong>der</strong> Nationalrat die Entscheidung über die<br />

Inbetriebnahme des Kernkraftwerks Zwentendorf den<br />

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Politische Bildung<br />

Wähler/inne/n übertrug (fakultative Volksabstimmung) – und<br />

diese mit knapper Mehrheit sich dagegen aussprachen. Im<br />

Juni 1994, <strong>als</strong> eine deutliche Mehrheit <strong>der</strong> Wähler/innen<br />

sich in einer obligatorischen Volksabstimmung für einen<br />

Beitritt Österreichs zur EU aussprach.<br />

Der Grund für diese geringe Nutzung des Instruments<br />

Volksabstimmung liegt darin, dass <strong>der</strong> Zugang zu einer<br />

Volksabstimmung erschwert ist: Sieht man von <strong>der</strong> klar<br />

definierten Variante <strong>der</strong> obligatorischen Volksabstimmung<br />

ab, so kommt es zu einem (fakultativen) Referendum nur<br />

dann, wenn die Mehrheit des Parlaments dies will. Gegen<br />

den Nationalrat gibt es <strong>als</strong>o keine Volksabstimmung. Damit<br />

ist aber das Organ, das die Gesetzgebung im <strong>Rahmen</strong> <strong>der</strong><br />

Repräsentativdemokratie auszuüben hat, selbst<br />

Schiedsrichter darüber, ob ihm diese Kompetenz nicht<br />

ausnahmsweise entzogen wird. Der Nationalrat muss sich<br />

<strong>als</strong>o im Einzelfall selbst entmachten, damit es zu einer<br />

Volksabstimmung kommt.<br />

Daher gibt es Überlegungen, den Zugang zur (fakultativen)<br />

Volksabstimmung zu erleichtern – etwa dadurch, dass über<br />

ein Volksbegehren, das von einer beson<strong>der</strong>s großen Zahl von<br />

Wähler/inne/n unterstützt wird, nicht vom Nationalrat,<br />

son<strong>der</strong>n vom Volk entschieden werden soll.<br />

Viel häufiger wird das Instrument des Volksbegehrens<br />

genützt. Bei diesem sind zwei Voraussetzungen zu erfüllen:<br />

Erste Stufe (Einleitung): Wahlberechtigte in <strong>der</strong> Größenordnung<br />

von einem Promille <strong>der</strong> Gesamtbevölkerung (ca.<br />

8.000 Wähler/innen) müssen mit ihrer Unterschrift einen<br />

Text unterstützen, <strong>der</strong> eine gesetzlich zu regelnde<br />

Materie betrifft. <strong>Die</strong>se Unterschriften können auch durch<br />

die von 8 Abgeordneten zum Nationalrat ersetzt werden.<br />

Zweite Stufe (Eintragung): Der nach erfolgreicher<br />

Einleitung öffentlich zur Unterschrift aufliegende Text<br />

muss von mindestens 100.000 Wahlberechtigten<br />

unterstützt werden – dann ist das Volksbegehren<br />

insofern erfolgreich, dass <strong>der</strong> Nationalrat sich damit<br />

befassen muss.<br />

In <strong>der</strong> Zweiten Republik waren – zwischen 1964 und<br />

1999 – insgesamt 24 Volksbegehren erfolgreich. <strong>Die</strong><br />

meisten dieser von einem Volksbegehren vorgebrachten<br />

Gesetzesinitiativen fanden jedoch im Nationalrat nicht die<br />

Unterstützung einer Mehrheit. Sie waren somit rechtlich,<br />

nicht aber politisch erfolgreich.<br />

Der Grund für dieses „Auseinan<strong>der</strong>klaffen“ kann anhand<br />

zweier Beispiele verdeutlicht werden:<br />

1982 wurde ein Volksbegehren zur Einsparung des<br />

Konferenzzentrums durchgeführt. <strong>Die</strong>ses Volksbegehren<br />

erhielt die Unterstützung von mehr <strong>als</strong> einem Viertel <strong>der</strong><br />

Wahlberechtigten – von 1,361.562 Wähler/inne/n. Damit<br />

war (und ist) dieses Volksbegehren das – formal –


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Politische Bildung<br />

erfolgreichste <strong>der</strong> österreichischen Geschichte. Dennoch<br />

wurde die Initiative im Nationalrat abgelehnt. Der<br />

Hintergrund dafür war, dass das Volksbegehren von <strong>der</strong><br />

(dam<strong>als</strong> in Opposition befindlichen) ÖVP gestartet und<br />

auch organisiert worden war. <strong>Die</strong> allein regierende SPÖ<br />

sah keine Veranlassung, von ihren bereits beschlossenen<br />

Plänen abzugehen. Sie beurteilte das Volksbegehren <strong>als</strong><br />

eine propagandistische Initiative, mit <strong>der</strong> die Opposition<br />

den Wahlkampf beginnen wollte. <strong>Die</strong> SPÖ-Mehrheit<br />

behandelte das Volksbegehren daher im Nationalrat so,<br />

<strong>als</strong> wäre es eine Initiative <strong>der</strong> ÖVP-Abgeordneten.<br />

1997 unterstützen mehr <strong>als</strong> 11% <strong>der</strong> Wahlberechtigten<br />

(644.665 Wähler/innen) das Frauen-Volksbegehren. <strong>Die</strong>ses<br />

stand (und steht) in <strong>der</strong> Rangordnung <strong>der</strong> erfolgreichen<br />

Volksbegehren damit an fünfter Stelle – nur vier<br />

Volksbegehren erhielten mehr Unterschriften. Im<br />

Nationalrat wurde das Frauen-Volksbegehren einem<br />

Ausschuss zugewiesen, einzelne Punkte wurden auch in<br />

Gesetzesbeschlüsse aufgenommen. Das Frauen-<br />

Volksbegehren in seiner Gesamtheit wurde jedoch nicht<br />

umgesetzt. Der Grund für diese zögerliche, nicht eindeutig<br />

ablehnende, aber auch nicht wirklich befürwortende<br />

Haltung lag darin, dass zwar einige Oppositionsparteien<br />

(Grüne, LIF) und ein Teil <strong>der</strong> regierenden SPÖ hinter dem<br />

Volksbegehren standen – die gesamte Regierung<br />

(SPÖ/ÖVP-Koalition) jedoch nicht.<br />

<strong>Die</strong>se Beispiele zeigen, dass das Instrument des<br />

Volksbegehrens vom Hintergrund des parteipolitischen<br />

Wettbewerbs nicht zu isolieren ist. Viele Volksbegehren<br />

werden dazu verwendet Initiativen zu setzen, die von den<br />

betreibenden Parteien auch im Nationalrat gesetzt werden<br />

könnten – etwa in Form eines Initiativantrags, unterzeichnet<br />

von 8 Abgeordneten. Ein Volksbegehren zieht jedoch mehr<br />

öffentliche Aufmerksamkeit auf sich. Deshalb wird es relativ<br />

oft genützt. Dadurch entfernt es sich aber von seiner<br />

Aufgabe, eine plebiszitäre Alternative zum Regelfall repräsentativen<br />

Entscheidens zu sein: Es wird von bestimmten<br />

Organen <strong>der</strong> Repräsentativdemokratie eingesetzt, die den<br />

Anschein direkter Demokratie in Anspruch nehmen wollen.<br />

Das Instrument <strong>der</strong> Volksbefragung ist bisher auf<br />

Bundesebene nicht eingesetzt worden – nur auf <strong>der</strong> Ebene<br />

<strong>der</strong> Län<strong>der</strong> bzw. <strong>der</strong> Gemeinden. Viel wichtiger ist aber das<br />

Instrument informeller Volksbefragung – die Demoskopie, <strong>als</strong>o<br />

die Wahlforschung. Bei dieser kommt es ebenso wenig wie<br />

bei <strong>der</strong> Volksbefragung zu verbindlichen Ergebnissen. <strong>Die</strong><br />

Demoskopie liefert den politischen Akteuren, insbeson<strong>der</strong>e<br />

den Parteien, wichtige Entscheidungsgrundlagen. <strong>Die</strong><br />

Parteien erfahren so, wie bestimmte politische Maßnahmen<br />

bei welchen Wähler/inne/n ankommen – und können so ihr<br />

Verhalten darauf abstellen.<br />

Literatur<br />

6. Didaktische Anregungen<br />

Fragestellungen für Übungsaufgaben<br />

1. Diskutieren Sie Beispiele für ein „Auseinan<strong>der</strong>klaffen“ von<br />

<strong>Verfassung</strong> und <strong>Verfassung</strong>swirklichkeit in Österreich!<br />

2. Wie kann man erklären, dass die Republik Österreich einen<br />

Grundrechtskatalog hat, <strong>der</strong> aus dem Jahr 1867 stammt?<br />

3. Anhand welcher Beispiele kann das Spannungsfeld<br />

zwischen dem parlamentarischen Grundzug des<br />

österreichischen politischen Systems (Parlamentarisches<br />

Regieren) und dem präsidentiellen Korrektiv verdeutlicht<br />

werden?<br />

4. Was stärkt die österreichischen Bundeslän<strong>der</strong> – unabhängig<br />

von ihrer Stellung in <strong>der</strong> <strong>Verfassung</strong>?<br />

Kapitel 2<br />

Funk, Bernd-Christian: Einführung in das österreichische<br />

<strong>Verfassung</strong>srecht. Graz 1996 9 .<br />

Lehner, Oskar: Österreichische <strong>Verfassung</strong>s- und<br />

Verwaltungsgeschichte. Linz 1992.<br />

Möckli, Silvano: Direkte Demokratie. Ein internationaler<br />

Vergleich. Bern 1994.<br />

Welan, Manfried: Demokratie auf österreichisch. <strong>Die</strong><br />

erstarrte Republik. Wien 1999.<br />

Josef Wallner<br />

5. Welche Gründe können Sie dafür anführen, dass das<br />

Instrument <strong>der</strong> Volksabstimmung so selten genützt wird?<br />

Diskussionsaufgaben<br />

Autoritäre und pluralistische Systeme<br />

Anhand <strong>der</strong> Abbildung „Systemvergleich: autoritäre –<br />

pluralistische Systeme“ (Kopiervorlage 2) können mit den<br />

Schüler/inne/n die wesentlichen Unterschiede zwischen den<br />

verschiedenen Systemen im Hinblick auf die politische<br />

Willensbildung und Durchsetzung von Interessen analysiert<br />

werden.<br />

11


12<br />

Kapitel 2<br />

Politische Systeme im Vergleich<br />

Österreich, Deutschland und die USA sind demokratische<br />

Staaten. Trotzdem weist das politische System in diesen<br />

drei Staaten zum Teil erhebliche Unterschiede auf.<br />

Anhand <strong>der</strong> Abbildungen (Kopiervorlagen 3 und 4)<br />

Staatsorgane <strong>der</strong> Bundesrepublik Deutschland und<br />

Staatsorgane <strong>der</strong> Vereinigten Staaten<br />

sollen die politischen Systeme dieser drei Staaten miteinan<strong>der</strong><br />

verglichen werden:<br />

Welche Gemeinsamkeiten weisen die Systeme auf?<br />

Wodurch unterscheiden sie sich?<br />

Auf welche historischen Ursachen können Unterschiede<br />

zurückgeführt werden?<br />

Direkte Demokratie<br />

In <strong>der</strong> Geschichte <strong>der</strong> Republik hat es nur zwei Volksabstimmungen<br />

gegeben (1978 „Zwentendorf“ und 1994 zum<br />

EU-Beitritt). Das Instrument des Volksbegehrens wurde<br />

hingegen zahlreicher genutzt (vgl. nachstehende Tabelle). Viele<br />

<strong>Politik</strong>er/innen sprechen sich für die Stärkung <strong>der</strong> direkten<br />

Demokratie aus, zum Beispiel durch die Erleichterung des Zugangs<br />

zu (fakultativen) Volksabstimmungen. Im <strong>Rahmen</strong> einer<br />

Diskussion könnten die Schüler/innen über Bedeutung und<br />

Sinn von Elementen direkter Demokratie diskutieren.<br />

Gibt es politische, wirtschaftliche o<strong>der</strong> gesellschaftliche<br />

Fragen, die nicht mit Mitteln <strong>der</strong> direkten Demokratie entschieden<br />

werden sollten?<br />

Volksbegehren in Österreich<br />

Wie können Elemente direkter Demokratie missbraucht<br />

werden?<br />

In welchen Län<strong>der</strong>n hat die direkte Demokratie einen höheren<br />

Stellenwert <strong>als</strong> in Österreich? Wie hoch ist dort die<br />

Beteiligung <strong>der</strong> Bevölkerung an Abstimmungen?<br />

Weiterführende Anregungen<br />

MEDIENPAKET<br />

Politische Bildung<br />

Projekt „Klassen-<strong>Verfassung</strong>“<br />

Auch innerhalb eines Klassenverbandes prallen oft<br />

verschiedene Interessengegensätze aufeinan<strong>der</strong> und es gibt<br />

Streitigkeiten, wer welche Aufgaben für die Gemeinschaft<br />

übernehmen soll. <strong>Die</strong> Schüler/innen könnten im <strong>Rahmen</strong> eines<br />

Projektes versuchen, einen Katalog von Grundrechten und<br />

-pflichten für das Zusammenleben in <strong>der</strong> Klasse auszuarbeiten.<br />

Wer übernimmt wann welche Arbeiten für die Gemeinschaft?<br />

Welche Sanktionen gibt es, wenn Einzelne nicht die ihnen<br />

übertragenen Aufgaben erfüllen?<br />

Wer entscheidet über die Sanktionen (z.B. mit welcher<br />

Mehrheit)?<br />

Wie soll mit Mitschüler/inne/n umgegangen werden, welche<br />

Grundregeln im Umgang miteinan<strong>der</strong> missachten?<br />

Jahr Begehren in % <strong>der</strong> Stimmberechtigten<br />

1964 Rundfunkreform 17,27<br />

1969 Arbeitszeitgesetz 17,74<br />

1975 Schutz des menschlichen Lebens 17,93<br />

1980 Aufhebung des Atomsperrgesetzes 8,04<br />

1982 Konferenzzentrum-Einsparung 25,74<br />

1985 Verlängerung des Zivildienstes 3,63<br />

1985 Anti-Draken-Volksbegehren 4,50<br />

1989 Senkung <strong>der</strong> Klassenschülerhöchstzahl 3,03<br />

1991 Volksbegehren für eine Volksabstimmung über einen Beitritt zum EWR 2,25<br />

1993 Volksbegehren „Österreich zuerst“ 7,35<br />

1995 Pro Motorrad 1,31<br />

1996 Tierschutz-Volksbegehren 7,96<br />

1996 Neutralität 6,21<br />

1997 Gentechnik-Volksbegehren 21,23<br />

1997 Frauen-Volksbegehren 11,17<br />

1998 Schilling-Volksbegehren 4,43<br />

1999 Atomfreies Österreich 4,34<br />

1999 Familien-Volksbegehren 3,17


MEDIENPAKET<br />

Politische Bildung<br />

Bundesverfassung<br />

ernennt<br />

entlässt<br />

Verwaltung<br />

Regierung<br />

NATIONAL-<br />

RAT<br />

183<br />

Volk<br />

Kopiervorlage 1<br />

Bundespräsident<br />

<strong>Verfassung</strong><br />

und<br />

Gesetzgebung<br />

PARLAMENT<br />

Bundesversammlung<br />

direkt<br />

gewählt<br />

BUNDES-<br />

RAT<br />

indirekt<br />

gewählt<br />

Wahl<br />

ernennt<br />

Gerichte<br />

Kapitel 2<br />

Rechtssprechung<br />

13


14<br />

Kapitel 2<br />

Systemvergleich: Autoritäre – pluralistische Systeme<br />

Autoritäre Systeme<br />

politischer Prozess<br />

Herrschende<br />

Beherrschte<br />

MEDIENPAKET<br />

Politische Bildung<br />

politischer Prozess<br />

Pluralistische Systeme (Demokratie)<br />

Entscheidungsträger<br />

Staatliche Gesellschaft<br />

Nichtstaatliche<br />

Kopiervorlage 2<br />

Meinungs/Willensbildung<br />

politischer Prozess<br />

Interessensgruppen<br />

Meinungs/Willensbildung


MEDIENPAKET<br />

Politische Bildung<br />

<strong>Die</strong> Staatsorgane <strong>der</strong> Bundesrepublik<br />

Deutschland<br />

Bundeskanzler<br />

Bundesregierung<br />

Wahl<br />

Bundestag<br />

656<br />

Abgeordnete<br />

Allgemeine,<br />

unmittelbare, freie<br />

gleiche und<br />

geheime Wahl<br />

Vorschlag<br />

Ernennung +<br />

Entlassung +<br />

Alle<br />

Bundes–<br />

tagsabgeordneten<br />

Kopiervorlage 3<br />

Bundespräsident<br />

Wahl auf 5 Jahre<br />

Bundesversammlung<br />

656 656<br />

Von den Län<strong>der</strong>parlamenten<br />

gewählte Abgeordnete<br />

Län<strong>der</strong>parlamente<br />

Wahl<br />

Wahlberechtigte Bevölkerung<br />

Wahl des<br />

Ministerpräs.<br />

Kapitel 2<br />

Bundesverfassungsgericht*<br />

1. Senat<br />

8 Richter<br />

2. Senat<br />

8 Richter<br />

Bundesrat**<br />

68 Mitglie<strong>der</strong><br />

Län<strong>der</strong>regierungen<br />

* Hüter des Grundgesetzes<br />

+ auf Vorschlag des Bundespräsidenten<br />

** Mitwirkung bei <strong>der</strong> Bundesgesetzgebung<br />

15


16<br />

Kapitel 2<br />

Kopiervorlage 4<br />

Staatsorgane <strong>der</strong> Vereinigten Staaten<br />

kein Auflösungsrecht<br />

Direkte Wahl für<br />

2 Jahre<br />

Präsident<br />

REGIERUNG REGIERUNG<br />

kein Sturz<br />

durch<br />

Misstrauensvotum<br />

1. Kammer<br />

Repräsentantenhaus<br />

435<br />

Abgeordnete<br />

Vetorecht<br />

gegen Gesetze<br />

2. Kammer<br />

Senat<br />

Kongress<br />

100 Senatoren<br />

Direkte Wahl für<br />

6 Jahre<br />

1/3 alle 2 Jahre<br />

Indirekte Wahl<br />

für 4 Jahre<br />

durch<br />

Volksvertretung<br />

(Wahlmänner<br />

o<strong>der</strong> Elektoren)<br />

Wahlberechtigte Bevölkerung<br />

MEDIENPAKET<br />

Politische Bildung<br />

Ernennung <strong>der</strong><br />

Richter<br />

Zustimmung durch<br />

den Senat<br />

Oberstes<br />

Bundesgericht<br />

Bundesberufungsgerichte<br />

Bundesbezirksgerichte

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