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Die Verfassung als Rahmen der Politik [pdf, 220KB

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8<br />

Kapitel 2<br />

4. Österreich <strong>als</strong> Bundesstaat<br />

Österreichs neun Bundeslän<strong>der</strong> können auf eine Geschichte<br />

zurückblicken, die – mit Ausnahme <strong>der</strong> des Burgenlands –<br />

älter ist <strong>als</strong> die Geschichte <strong>der</strong> Republik: Dass Österreich ein<br />

Bundesstaat ist, in dem sich <strong>der</strong> Bund (die Republik) die<br />

Kompetenzen staatlichen Handelns mit den Län<strong>der</strong>n teilt,<br />

entspricht daher auch dieser historischen Perspektive.<br />

Allerdings ist die bundesstaatliche Komponente vergleichsweise<br />

gering entwickelt: <strong>Die</strong> Verteilung zwischen den Zuständigkeiten,<br />

die den Län<strong>der</strong>n reserviert sind, und den Zuständigkeiten<br />

des Bundes ergibt ein klares Bild: Das Kompetenzgewicht<br />

des Bundes ist deutlich größer <strong>als</strong> das <strong>der</strong> Län<strong>der</strong>.<br />

<strong>Die</strong>s ergibt sich insbeson<strong>der</strong>e dann, wenn <strong>der</strong> Bundesstaat<br />

Österreich mit an<strong>der</strong>en Bundesstaaten verglichen wird –<br />

insbeson<strong>der</strong>e mit den beiden traditionsreichsten Fö<strong>der</strong>ationen<br />

<strong>der</strong> Welt: mit <strong>der</strong> Schweiz und mit den USA. In beiden Fällen<br />

ist <strong>der</strong> Kompetenzbereich, <strong>der</strong> den Kantonen (in <strong>der</strong> Schweiz)<br />

bzw. den Einzelstaaten (in den USA) vorbehalten ist, deutlich<br />

größer <strong>als</strong> <strong>der</strong>, <strong>der</strong> den österreichischen Län<strong>der</strong>n zugestanden<br />

wird. Das ist unabhängig von <strong>der</strong> „Größe“ <strong>der</strong> Län<strong>der</strong>: <strong>Die</strong><br />

Durchschnittsfläche und Bevölkerungszahl eines <strong>der</strong> 26 Kantone<br />

bzw. Halbkantone <strong>der</strong> Schweiz sind deutlich geringer <strong>als</strong><br />

die Durchschnittsgröße <strong>der</strong> österreichischen Län<strong>der</strong>; und unter<br />

den 50 Staaten <strong>der</strong> USA gibt es viele, die deutlich kleiner sind<br />

<strong>als</strong> die größeren unter den österreichischen Län<strong>der</strong>n.<br />

Beispiele für die geringen Kompetenzen <strong>der</strong> Län<strong>der</strong> sind:<br />

<strong>Die</strong> Justiz ist in Österreich – an<strong>der</strong>s <strong>als</strong> etwa in den USA –<br />

ausschließlich Sache des Bundes, nicht <strong>der</strong> Län<strong>der</strong> (bzw.<br />

Staaten).<br />

<strong>Die</strong> Universitäten sind in Österreich – an<strong>der</strong>s <strong>als</strong> etwa in <strong>der</strong><br />

Schweiz und in Deutschland – grundsätzlich in <strong>der</strong> Kompetenz<br />

des Bundes, nicht in <strong>der</strong> <strong>der</strong> Län<strong>der</strong> (bzw. Kantone).<br />

<strong>Die</strong> Ursache für den relativ gering entwickelten fö<strong>der</strong>alistischen<br />

Charakter Österreichs muss in <strong>der</strong> Interessenlage <strong>der</strong><br />

Parteien gesehen werden. In <strong>der</strong> Ersten Republik und auch in<br />

den ersten Jahrzehnten <strong>der</strong> Zweiten Republik wurde die <strong>Politik</strong><br />

ganz wesentlich <strong>als</strong> Konflikt zwischen dem „roten Wien“ und<br />

den „schwarzen Bundeslän<strong>der</strong>n“ gedeutet. Der Hintergrund<br />

dieser Sichtweise war, dass die Sozialdemokratie bzw. die<br />

SPÖ im Bundesland Wien (das gleichzeitig auch Bundeshauptstadt<br />

ist) mit großen Mehrheiten rechnen konnten – die<br />

Christlichsozialen bzw. die ÖVP hingegen in allen an<strong>der</strong>en Län<strong>der</strong>n<br />

mit Ausnahme Kärntens. Eine Stärkung <strong>der</strong> Län<strong>der</strong><br />

insgesamt hätte daher – aus <strong>der</strong> Sicht <strong>der</strong> SPÖ – <strong>der</strong> ÖVP<br />

überdurchschnittlich viele Vorteile, <strong>der</strong> SPÖ hingegen fast nur<br />

Nachteile gebracht.<br />

<strong>Die</strong>se Sichtweise hat sich zwar inzwischen verschoben –<br />

die Mehrheiten von SPÖ und ÖVP sind in allen <strong>der</strong> neun<br />

MEDIENPAKET<br />

Politische Bildung<br />

Län<strong>der</strong> viel weniger eindeutig geworden. In Kärnten konnte<br />

1999 mit <strong>der</strong> FPÖ erstm<strong>als</strong> eine dritte Partei die (relative)<br />

Mehrheit im Landesparlament (dem Landtag) erreichen.<br />

Dennoch wirkt sich die historisch erklärbare Interessenlage<br />

noch aus – trotz jahrzehntelanger Versuche, im Zuge einer<br />

Bundesstaatenreform das Verhältnis von Bund und Län<strong>der</strong>n<br />

von Grund auf neu zu definieren, hat sich am Übergewicht des<br />

Bundes über die Län<strong>der</strong> nichts geän<strong>der</strong>t.<br />

Allerdings genießen die Län<strong>der</strong> in <strong>der</strong> <strong>Verfassung</strong>swirklichkeit<br />

eine stärkere Position, <strong>als</strong> dies <strong>der</strong> Wortlaut <strong>der</strong><br />

<strong>Verfassung</strong> zu erkennen gibt. Ein Grund ist die hohe innerparteiliche<br />

Autonomie, die den einzelnen Landesparteien<br />

zukommt und die insbeson<strong>der</strong>e die Landeshauptleute stärkt:<br />

Insbeson<strong>der</strong>e die ÖVP, aber auch die SPÖ und die Grünen<br />

(ursprünglich auch die FPÖ), räumen den Landesorganisationen<br />

ein hohes Maß an Selbstständigkeit ein. <strong>Die</strong>s<br />

wirkt sich vor allem bei <strong>der</strong> personellen Rekrutierung aus –<br />

ein Gutteil <strong>der</strong> österreichischen <strong>Politik</strong>er/innen wird über die<br />

Landesorganisationen <strong>der</strong> Parteien in die <strong>Politik</strong> geholt. <strong>Die</strong><br />

primäre Loyalität dieser <strong>Politik</strong>er/innen gilt daher zumeist <strong>der</strong><br />

Landespartei.<br />

<strong>Die</strong> Landeshauptleute haben ein politisches Gewicht, das<br />

über ihre formale Kompetenz weit hinausgeht. So erteilte<br />

1984 <strong>der</strong> für Ladenschlusszeiten zuständige Bundesminister<br />

für Handel, Norbert Steger (FPÖ), dem Landeshauptmann<br />

von Salzburg, Wilfried Haslauer, eine Weisung, zu <strong>der</strong> er<br />

eindeutig berechtigt war. Haslauer ignorierte diese Weisung<br />

– und bekam zwar nicht rechtlich, aber politisch Recht, weil<br />

er in <strong>der</strong> nächsten Landtagswahl sich erfolgreich <strong>als</strong><br />

Kämpfer gegen den „Wiener Zentralismus“ darstellen<br />

konnte.<br />

Vor allem Parteien, die auf <strong>der</strong> Bundesebene in Opposition<br />

sind, nützen ihre gleichzeitige Regierungsbeteiligung auf <strong>der</strong><br />

Ebene <strong>der</strong> Län<strong>der</strong>. Das galt vor allem für die ÖVP in <strong>der</strong>en<br />

langen Oppositionsphase zwischen 1970 und 1986 – und<br />

das stärkte vor allem die von <strong>der</strong> ÖVP gestellten<br />

Landeshauptleute.<br />

<strong>Die</strong> großen Kammerorganisationen (Arbeiter-, Wirtschaftsund<br />

Landwirtschaftskammern) bestehen primär auf <strong>der</strong> Län<strong>der</strong>ebene<br />

– die jeweilige Bundesorganisation (Bundesarbeitskammer,<br />

Wirtschaftskammer Österreich, Präsidentenkonferenz<br />

<strong>der</strong> Landwirtschaftskammern) ist an sich nur ein<br />

Überbau. <strong>Die</strong>s stärkt ebenfalls die <strong>Politik</strong>ebene <strong>der</strong> Län<strong>der</strong>.<br />

<strong>Die</strong> Län<strong>der</strong> werden aber insbeson<strong>der</strong>e auch durch ein<br />

beson<strong>der</strong>s entwickeltes Län<strong>der</strong>bewusstsein gestärkt. In<br />

Ergänzung zu einem Österreich-Bewusstsein, das sich in <strong>der</strong><br />

Zweiten Republik stabil entwickelt hat, vermitteln die neun<br />

Län<strong>der</strong> eine zusätzliche Identität.

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