Die Verfassung als Rahmen der Politik [pdf, 220KB
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4<br />
Kapitel 2<br />
2. Der parlamentarische Grundzug des<br />
politischen Systems<br />
An<strong>der</strong>s <strong>als</strong> die <strong>Verfassung</strong> von 1867, die dem Parlament<br />
(dem Reichsrat) nur einen relativ eingeschränkten Kompetenzbereich<br />
überlassen hatte, war bei <strong>der</strong> Beschlussfassung<br />
über die <strong>Verfassung</strong> <strong>der</strong> Republik klar, dass diese <strong>Verfassung</strong><br />
dem Parlament eine Schlüsselrolle überlassen würde.<br />
<strong>Die</strong> <strong>Verfassung</strong> <strong>der</strong> Republik war und ist daher von dem<br />
Grundgedanken eines parlamentarischen Systems<br />
bestimmt. Zu diesem Grundgedanken zählen insbeson<strong>der</strong>e:<br />
Parlamentarische Regierung: <strong>Die</strong> wichtigste Grundlage<br />
<strong>der</strong> Regierung ist die Mehrheit im Parlament (d.h. im<br />
Nationalrat). Um dies sicherzustellen, ist die Bundesregierung<br />
dem Nationalrat politisch verantwortlich. <strong>Die</strong>s<br />
bedeutet, dass die Mehrheit des Nationalrates<br />
grundsätzlich je<strong>der</strong>zeit <strong>der</strong> gesamten Regierung bzw.<br />
einzelnen Mitglie<strong>der</strong>n <strong>der</strong>selben das Misstrauen<br />
aussprechen kann (Misstrauensvotum). <strong>Die</strong> Regierung<br />
(o<strong>der</strong> einzelne Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong>selben) sind dann „gestürzt“:<br />
Der Bundespräsident muss die so gestürzte Bundesregierung<br />
(bzw. die einzelnen Regierungsmitglie<strong>der</strong>)<br />
abberufen. Wegen dieser Möglichkeit eines Regierungssturzes<br />
kann keine Regierung auf Dauer gegen den<br />
ausdrücklichen Willen <strong>der</strong> Mehrheit des Nationalrates<br />
existieren. Deshalb wird auch – ohne dass dies ausdrücklich<br />
so vorgeschrieben wäre – im Regelfall eine<br />
Bundesregierung bestellt, die sich aus <strong>der</strong> Mehrheit des<br />
Nationalrates ableitet: Sei es im Fall einer Einparteienregierung<br />
(wie zwischen 1966 und 1983), sei es – zu allen<br />
an<strong>der</strong>en Phasen – in Form einer Koalitionsregierung.<br />
Relativierung (faktisch Aufhebung) <strong>der</strong> Rollentrennung<br />
zwischen Regierung und Parlament: <strong>Die</strong> Wahl des Parlaments<br />
wird – indirekt – auch zur Wahl <strong>der</strong> Regierung. <strong>Die</strong><br />
Parlamentsmehrheit stellt die Regierung. An die Stelle<br />
eines – möglichen – Gegenübers zwischen Regierung<br />
und Parlament tritt das Gegenüber zwischen einer mit<br />
<strong>der</strong> Parlamentsmehrheit politisch verbündeten Regierung<br />
und einer mit <strong>der</strong> Parlamentsmin<strong>der</strong>heit deckungsgleichen<br />
Opposition. <strong>Die</strong> für das Parlamentarische Regieren<br />
entscheidende Konfliktdynamik ist die zwischen<br />
Regierung und Opposition: Erstere will, vor allem mit<br />
Blickrichtung auf den nächsten Wahltermin, im Besitz <strong>der</strong><br />
Mehrheit bleiben; Letztere will in den Besitz einer solchen<br />
Mehrheit kommen.<br />
<strong>Die</strong> Regierung <strong>als</strong> zentrales Entscheidungsorgan: <strong>Die</strong><br />
Regierung, im Regelfall identisch mit <strong>der</strong> Führung <strong>der</strong><br />
Regierungspartei(en), erhält über das Parlament ein<br />
Entscheidungsübergewicht. Unter <strong>der</strong> Voraussetzung<br />
MEDIENPAKET<br />
Politische Bildung<br />
innerparteilicher Disziplin kann die Regierung auf diese<br />
Weise Entscheidungen treffen, die – etwa in Form von<br />
Gesetzesbeschlüssen – von <strong>der</strong> Parlamentsmehrheit<br />
nachvollzogen werden. <strong>Die</strong> Regierung wird so zum faktischen<br />
Gesetzgeber – auch wenn das Parlament die formale<br />
Gesetzgebungsfunktion beibehält. Das Parlament<br />
wird – gerade <strong>als</strong> Konsequenz des Grundsatzes Parlamentarischen<br />
Regierens – zu einem in <strong>der</strong> Gesetzgebung<br />
nachgeordneten Organ: <strong>Die</strong> Regierung bestimmt, das<br />
Parlament vollzieht.<br />
„Zeitliche“ statt „institutioneller“ Gewaltentrennung: <strong>Die</strong><br />
Vorstellung von einer (institutionellen) Trennung zwischen<br />
einer legislativen (gesetzgebenden) Gewalt (Parlament)<br />
und einer exekutiven (vollziehenden) Gewalt (Regierung)<br />
ist wegen dieses auch und gerade in <strong>der</strong> Gesetzgebung<br />
vorhandenen Übergewichts <strong>der</strong> Regierung hinfällig. Der<br />
Gleichklang zwischen Regierung und Parlamentsmehrheit<br />
lässt eine wirkungsvolle Kontrolle <strong>der</strong> Regierung durch<br />
das Parlament dann nicht zu, wenn die Kontrollinstrumente<br />
in den Händen <strong>der</strong> Mehrheit sind. An die<br />
Stelle des Parlaments (<strong>als</strong> Mehrheit) tritt aber die<br />
Parlamentsmin<strong>der</strong>heit – <strong>der</strong>en Kontrollrechte sind die<br />
einzig wirksamen. Und da die Parlamentsmin<strong>der</strong>heit (<strong>als</strong>o<br />
die Opposition) von <strong>der</strong> regierenden Mehrheit nur auf Zeit<br />
getrennt ist, da in vorhersehbarer Zukunft – vor allem im<br />
Gefolge einer Parlamentswahl – die Min<strong>der</strong>heit zur<br />
(regierenden) Mehrheit und die Mehrheit zur<br />
(opponierenden) Min<strong>der</strong>heit werden kann, spricht man<br />
von „zeitlicher“ Gewaltentrennung.<br />
Von dieser Umstülpung einer (gedachten und zwischen<br />
1867 und 1918 ja auch grundsätzlich gegebenen) Trennung<br />
zwischen Legislative und Exekutive sind zwei wichtige<br />
Elemente nicht betroffen:<br />
<strong>Die</strong> Trennung zwischen <strong>der</strong> judikativen (rechtsprechenden)<br />
Gewalt und den an<strong>der</strong>en Gewalten kann und muss<br />
aufrecht bleiben, solange die Grundsätze des <strong>Verfassung</strong>s-<br />
und des Rechtsstaates gelten sollen. <strong>Die</strong> dadurch<br />
garantierte Unabhängigkeit <strong>der</strong> Rechtsprechung verhin<strong>der</strong>t<br />
die Konzentration <strong>der</strong> gesamten politischen<br />
(staatlichen) Gewalt in den Händen einer einzigen Instanz<br />
– <strong>der</strong> Regierung. Richter/innen haben von Regierung und<br />
Parlament unabhängig zu agieren – und sie können dies<br />
auch.<br />
<strong>Die</strong> Trennung zwischen den von <strong>der</strong> <strong>Verfassung</strong> zunächst<br />
erfassten Organen des Bundes gegenüber den Organen