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Hilpold: Das Kosovo-Problem – ein Testfall für das Völkerrecht

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798 <strong>Hilpold</strong>Völker in kolonialer Abhängigkeit bedurfte k<strong>ein</strong>er weiteren Bestärkung. Die Eigenstaatlichkeitder sich emanzipierenden Kolonien war <strong>ein</strong> Faktum, <strong>das</strong> hinzunehmenwar und <strong>das</strong> auf jeden Fall k<strong>ein</strong>e weitere Unterstützung erforderte. Einaußerhalb des kolonialen Rahmens geltend gemachter Selbstbestimmungsanspruchist mit weit komplexeren Bedingungen konfrontiert. Wie gezeigt, ist die Sezession<strong>ein</strong> r<strong>ein</strong>es Faktum, <strong>das</strong> von jedem Staat eigenständig zu beurteilen ist. Eine vorzeitigeAnerkennung wäre an und <strong>für</strong> sich völkerrechtswidrig, doch besteht zweifelsohne<strong>ein</strong> Beurteilungsspielraum hinsichtlich der Frage, ob sich die sezedierendeGewalt bereits durchgesetzt hat. Im Bereich dieses Spielraums kann die Anerkennungserklärungdurchaus konstitutive Wirkung entfalten, und zwar in völlig völkerrechtskonformerArt. Nun sind die Umstände im Fall des <strong>Kosovo</strong> völlig partikulärerNatur. Hier hat sich <strong>ein</strong>e sezedierende Einheit nicht durch Waffengewaltdurchgesetzt, sondern sie sucht <strong>ein</strong>e eigene Gebietshoheit in <strong>ein</strong>em Raum zu etablieren,in welchem <strong>ein</strong>e internationale Friedensmission die Gebietshoheit der Zentraleaufgehoben hat. Ein territorialer Titel da<strong>für</strong> besteht noch nicht. Wenn sichMartti A h t i s a a r i <strong>für</strong> die Eigenstaatlichkeit ausgesprochen hat, so spricht er damitals Experte, der nicht über die Befugnis verfügt, diesen Sachverhalt abschließendzu regeln. A h t i s a a r i genießt als Person international hohe Anerkennungund Wertschätzung und s<strong>ein</strong>e ihm von den Ver<strong>ein</strong>ten Nationen verliehene Positiongibt s<strong>ein</strong>em technischen Urteil ungem<strong>ein</strong>es Gewicht. Die Zuerkennung des Friedensnobelpreisesim Herbst 2008 hat diese Position noch weiter bestärkt. Die endgültigeEntscheidung über den Status des <strong>Kosovo</strong> hat sich aber der Sicherheitsratvorbehalten und aufgrund der Nichtannahme des A h t i s a a r i -Entwurfs ist diesernicht mehr als <strong>ein</strong> Expertenpapier.Von zentraler Bedeutung sind also die Anerkennungserklärungen, insbesonderejene der EU-Mitgliedstaaten. Die EU selbst kann k<strong>ein</strong>e Anerkennungserklärungenabgeben. Dieser r<strong>ein</strong> politische Akt verbleibt weiterhin im Zuständigkeitsbereichder <strong>ein</strong>zelnen Mitgliedstaaten. Denkbar wäre, <strong>das</strong>s die EU zu den Entwicklungenim <strong>Kosovo</strong> im Rahmen der GASP <strong>ein</strong>en Gem<strong>ein</strong>samen Standpunkt gemäß Art. 15EUV annimmt. Zumindest sind aber <strong>ein</strong>e gegenseitige Unterrichtung und Abstimmunggemäß Art. 16 EUV zur Verwirklichung des Kohärenzgebots erforderlich.Die EU-Mitgliedstaaten haben in dieser Frage jedoch <strong>ein</strong>e z.T. grundlegend verschiedenePosition <strong>ein</strong>genommen, was sich auch aus ihrer spezifischen Situationerklärt. Dezidiert gegen <strong>ein</strong>e Anerkennung ausgesprochen haben sich bspw. Zypernund Spanien. Zypern <strong>für</strong>chtet <strong>ein</strong>en Präzedenzfall in Bezug auf Türkisch-Nordzypern. Spanien möchte verhindern, <strong>das</strong>s die Eigenstaatlichkeit des <strong>Kosovo</strong>den Losspaltungstendenzen in <strong>ein</strong>zelnen spanischen Regionen weiter Auftrieb gibt.Insgesamt muss man sich die Frage stellen, weshalb <strong>das</strong> lange Zeit propagierteModell der “substantiellen Autonomie” nicht aktiver gefördert worden ist. 65Es65Für die Anwendung des “Hong-Kong-Modells” auf den <strong>Kosovo</strong> vgl. jüngst M.G. K o h e n ,Pour le <strong>Kosovo</strong>: Une Solution “Made in Hong Kong”, in: 15 Revista Electrónica de Estudios Internacionales2008, 1-2.ZaöRV 68 (2008)http://www.zaoerv.de/© 2008, Max-Planck-Institut <strong>für</strong> ausländisches öffentliches Recht und <strong>Völkerrecht</strong>

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