10.09.2012 Aufrufe

Quadratur des Kreises oder Chance für die Industrie?

Quadratur des Kreises oder Chance für die Industrie?

Quadratur des Kreises oder Chance für die Industrie?

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

»pack’s!« Swiss Packaging Newsletter<br />

Themen-Dossier: Ein Gespräch mit Dr. Horst Antonischki Oktober 2008<br />

Von Claude Bürki<br />

Kindergesicherte und seniorengerechte Verpackungen:<br />

<strong>Quadratur</strong> <strong>des</strong> <strong>Kreises</strong> <strong>oder</strong> <strong>Chance</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>Industrie</strong>?<br />

Das Thema gilt in der Branche als Gratwanderung <strong>oder</strong> eben als <strong>Quadratur</strong> <strong>des</strong><br />

<strong>Kreises</strong>: Verpackungen, <strong>die</strong> von Senioren gut, von Kindern nicht zu öffnen sind.<br />

Ist das möglich?<br />

Dr. Horst Antonischki, Institut Verpakkungs-Marktforschung<br />

GmbH, Braunschweig,<br />

ging an der Herbsttagung <strong>des</strong><br />

Schweizerischen Verpackungsinstituts (SVI)<br />

<strong>die</strong>ser Frage nach.<br />

Dr. Antonischki<br />

Dr. Horst Antonischki, Institut Verpakkungs-Marktforschung<br />

GmbH: «Die<br />

kindersichere Verpackung stellt <strong>die</strong> letzte<br />

Barriere dar, bevor ein Kind an gefährliche<br />

Stoffe kommen kann.»<br />

«Was bedeutet Kindersicherung und warum<br />

gibt es das überhaupt? Das Problem sind<br />

<strong>die</strong> Vergiftungsunfälle. Wir haben in den<br />

entwickelten Staaten etwa 500'000 Kinderunfälle,<br />

<strong>die</strong> durch gefährliche Stoffe<br />

veranlasst sind. Zum Glück ist <strong>die</strong> Zahl der<br />

Unfälle, <strong>die</strong> kritisch sind, <strong>die</strong> mit Krankenhausaufenthalt<br />

<strong>oder</strong> gar fatal enden,<br />

deutlich gesunken durch <strong>die</strong> Einführung<br />

kindergesicherter Verschlüsse», so Dr. Horst<br />

Antonischki zu Beginn seiner Ausführungen.<br />

Pobleme mit Verpackungen<br />

In den ersten Lebensjahren, von 2 bis 5 Jahren,<br />

passieren <strong>die</strong> meisten Unfälle. Bei einer<br />

Umfrage (Thema: «Was halten Sie von<br />

kindergesicherten Verpackungen»), habe es<br />

eine breite Zustimmung <strong>für</strong> Sicherheit<br />

gegeben, vor allem bei denjenigen, <strong>die</strong> am<br />

meisten Schwierigkeiten haben mit Verpakkungen,<br />

nämlich bei den Älteren. Dies,<br />

obschon mehr als 70 Prozent der älteren Erwachsenen<br />

sagten, sie hätten Probleme mit<br />

dem Öffnen kindergesicherter Verpackungen.<br />

Wobei andere Altersgruppen ebenfalls<br />

Probleme bekundeten.<br />

Strenge Bestimmungen<br />

International und national gibt es Gesetze,<br />

<strong>die</strong> regeln, welche Produkte kindergesichert<br />

verpackt sein müssen. Die strengsten Bestimmungen<br />

bestehen in den USA, dort<br />

müssen sogar OTC-Produkte (nicht verschreibungspflichtige)<br />

kindersicher sein. Es<br />

bestehen international unterschiedliche<br />

Gesetze und Normen zur kindergesicherten<br />

Verpackung <strong>für</strong> pharmazeutische und chemisch-technische<br />

Produkte, von denen bei<br />

Missbrauch Gefahr <strong>für</strong> <strong>die</strong> Gesundheit von<br />

Kleinkindern ausgeht.<br />

Die wesentlichen Unterschiede<br />

...kindersicher<br />

Was man wissen muss: Kleine Kinder sind<br />

kognitiv noch nicht in der Lage, zwei<br />

koordinierte Bewegungen wie Drücken bei<br />

gleichzeitigem Drehen auszuführen. Die<br />

Kindersicherung besteht also aus einem<br />

«Trick», bei dem beide Funktionen – Drükken<br />

und Drehen gleichzeitig – erfolgen<br />

Die wichtigste Norm, ISO 8317<br />

(2003)<br />

Die ISO 8317 (2003) ist <strong>die</strong> internationale<br />

Norm <strong>für</strong> wiederverschliessbare<br />

kindergesicherte Verpackungen. Sie<br />

findet sowohl im Bereich der pharmazeutischen<br />

als auch <strong>für</strong> chemisch-technische<br />

Produkte Anwendung. Da in<br />

<strong>die</strong>se Gruppe auch <strong>die</strong> grösste Anzahl<br />

verfügbarer kindergesicherter Verpakkungen<br />

fällt, ist sie <strong>die</strong> wichtigste<br />

Norm. Die Norm beschreibt zwei<br />

Prüfverfahren, welche <strong>die</strong> zu testenden<br />

Verpackungen zu durchlaufen haben.<br />

In einem Test mit einer Gruppe von<br />

bis zu 200 Kleinkindern im Alter<br />

zwischen 42 und 51 Monaten dürfen<br />

<strong>die</strong>se nicht in der Lage sein, <strong>die</strong><br />

mit einem ungefährlichen Ersatzstoff<br />

gefüllte Verpackung zu öffnen. Gleichzeitig<br />

muss eine Testgruppe von<br />

Senioren im Alter zwischen 50 und 70<br />

Jahren in der Lage sein, <strong>die</strong> Verpackung<br />

problemlos zu öffnen. Nur Verpakkungen,<br />

<strong>die</strong> sich sowohl als kinder -<br />

sicher im Test mit Kleinkindern als<br />

auch als geeignet <strong>für</strong> Senioren im<br />

Sinne der Norm erweisen, erfüllen <strong>die</strong><br />

Anforderungen der ISO 8317 (2003).<br />

müssen, um an das Objekt der Begierde<br />

heranzukommen. Aber: Kleine Kinder<br />

verfügen – im Gegensatz zu älteren Personen<br />

– oft über erstaunlich viel Kraft, mehr<br />

als viele Ältere.<br />

...und seniorengerecht<br />

Senioren und körperliche Behinderte sind<br />

meistens kognitiv durchaus in der Lage,<br />

Öffnungsprinzipien zu erfassen. Es fällt<br />

ihnen jedoch schwer, <strong>die</strong> zum Öffnen nötigen<br />

Kräfte aufzubringen. Denn <strong>die</strong> Feinmotorik<br />

und Feinfühligkeit der Finger<br />

lassen im Alter nach. Lese- und Farberkennungsfähigkeiten<br />

werden geringer.<br />

1


Antonischki unterstreicht: «Kindergesicherten<br />

Massnahmen bedeuten jedoch nicht,<br />

dass <strong>die</strong> Eltern <strong>oder</strong> Erzieher nicht in der<br />

Verantwortung sind. Die Verpackung stellt<br />

nur <strong>die</strong> letzte Barriere dar, bevor ein Kind<br />

an gefährliche Stoffe kommen kann. Das<br />

geht wahnsinnig schnell: Man braucht sich<br />

nur vorzustellen, dass eine Hausfrau <strong>oder</strong><br />

ein Hausmann, der mit einem Reiniger<br />

arbeitet, schnell ans Telefon muss und<br />

das Kleinkind allein in der Nähe der<br />

gefährlichen Stoffs lässt und schon ist es<br />

geschehen.»<br />

«Hitliste» der Schwierigkeiten:<br />

Öffnen und Schliessen<br />

Der Kraftaufwand sollte beim Öffnen nicht<br />

höher als 0,6 Newtonmeter sein, doziert<br />

Antonischki. Es sei zumutbar, etwa ein<br />

Kilogramm mit den Fingern zu bewegen.<br />

Dann könne der Verschluss noch als leicht<br />

gängig gelten. Besonders problematisch<br />

werde es jedoch:<br />

– wenn Laschen zum Aufreissen zu klein<br />

und zu glatt sind;<br />

– wenn Laschen schlecht zu erkennen,<br />

schlecht zu trennen, schlecht zu halten<br />

sind;<br />

– wenn <strong>die</strong> Zuglasche zu schwer zu greifen<br />

ist, sodass Werkzeug erforderlich ist;<br />

– wenn der Twist-off-Deckel zu schwer zu<br />

öffnen ist, sodass Verletzungsgefahr besteht,<br />

weil ein Werkzeug zu Hilfe genommen<br />

werden muss.<br />

Alle <strong>die</strong>se Probleme manifestieren sich<br />

besonders dann, wenn der Konsument<br />

behindert ist, etwa durch Sehschwäche<br />

<strong>oder</strong> Rheuma. Und man glaube nicht, so<br />

Antonischki, dass nur alte Menschen<br />

Behinderungen haben; Rheuma sei sogar<br />

bei Kindern und jungen Erwachsenen<br />

möglich.<br />

Kleine Packungen<br />

Diese sind oft problematisch, weil <strong>die</strong> gesetzlich<br />

vorgeschriebenen Informationen<br />

oft nicht lesbar untergebracht werden können.<br />

Schriftgrösse um 4 bis 6 Punkt sind<br />

dann keine Seltenheit. Kann man das noch<br />

lesen ohne Brille, wenn man über 50 ist?<br />

Oft sind auch <strong>die</strong> Produktnamen kaum<br />

<strong>oder</strong> nur schlecht lesbar, weil <strong>die</strong> Druckqualität<br />

zu wünschen übrig lässt.<br />

Alle <strong>die</strong>se Probleme manifestieren sich<br />

besonders dann, wenn der Konsument<br />

behindert ist, etwa durch Sehschwäche <strong>oder</strong><br />

Rheuma. Und man glaube nicht, dass nur<br />

alte Menschen Behinderungen haben;<br />

Rheuma sei sogar bei Kindern und jungen<br />

Erwachsenen möglich. Und was – überhaupt<br />

– heisst «alt»? Mick Jagger würde man<br />

beispielsweise kaum seine 65 Jährchen<br />

geben..<br />

Packung mit Köpfchen<br />

Als «Packung mit Köpfchen» gelten allgemein<br />

<strong>die</strong> Wallet-Verpackungen (Wallet =<br />

Brieftasche). In der Pharmaindustrie kennt<br />

man <strong>die</strong>se bereits seit einigen Jahren; sie<br />

stehen definitiv vor dem Durchbruch. Neu<br />

bei den Waller-Verpackungen ist das System<br />

mit Schlüsselloch. Das Produkt – in <strong>die</strong>sem<br />

Falle eine Kapsel – ist eingeblistert. Das<br />

allein würde <strong>die</strong> Verpackung jedoch nicht<br />

kindersicher machen; denn Kinder sind<br />

durchaus in der Lage, einen Blister zu<br />

knacken! Das System Schlüsselloch verhindert<br />

<strong>die</strong>s wie folgt: Auf der Oberseite wird<br />

durch Abreissen einer Plastiklasche der<br />

Blister aus seiner Verankerung gelöst und ist<br />

nun frei drehbar. Die Kapsel (sie befindet<br />

sich auf einer Drehscheibe) muss nun um<br />

90 Grad gedreht werden, sodass sie mit den<br />

gelb markierten Pfeilen eine Linie bildet.<br />

Schlechtes Beispiel: Schriften zu klein und zum<br />

Teil randabfallend.<br />

Dadurch gelangt <strong>die</strong> Kapsel über eine<br />

gestanzte Öffnung und kann nun durch <strong>die</strong><br />

Unterseite herausgedrückt werden. Das<br />

System setzt also voraus, dass der «Pillenschlucker»<br />

lesen und zwei Funktionen<br />

koordinieren muss. Das kann ein Kleinkind<br />

nicht.<br />

Zuwachsrate von 10 bis 15 Prozent<br />

Der Blister hat im Gegensatz zu einem<br />

festen Behältnis mehr Vorteile, und so<br />

wundert es nicht, dass der Blister eine<br />

Zuwachrate hat von 10 bis 15 Prozent<br />

jährlich aufweist. «Die Blister-Wallets<br />

werden in den nächsten Jahren sehr deutlich<br />

zunehmen», ist sich Antonischki sicher.<br />

Das Konzept sei bestechend: Die Push-und-<br />

Peel-Folie, aussen verbunden durch ein<br />

querlagiges Etikett, das zugleich <strong>die</strong><br />

Anpreisung und Erstöffnungsgarantie<br />

darstellt, hat Zukunft. Denn erst wenn <strong>die</strong><br />

Folie entfernt ist, lässt sich <strong>die</strong> Tablette<br />

entnehmen. Zudem ist an einer<br />

bestimmten Stelle gekennzeichnet, an<br />

welcher Stelle gedrückt werden muss,<br />

um das Medikament zu entnehmen.<br />

2

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!