<strong>NStZ</strong> <strong>2006</strong>, 537 - beck-onlinehttp://beck-online.beck.de/default.aspx?printm<strong>an</strong>ager=print&VPATH=b...8 von 14 20.09.2013 13:50I.6 Kenntlichmachen der interpretierenden und kommentierenden Äußerungen und deren Trennung von derWiedergabe der Informationen und BefundeI.7 Trennung von gesichertem medizinischem (psychiatrischem, psychopathologischem) sowie psychologischemund kriminologischem Wissen und subjektiver Meinung oder Vermutungen des GutachtersI.8 Offenlegung von Unklarheiten und Schwierigkeiten und den daraus abzuleitenden Konsequenzen, ggf.rechtzeitige Mitteilung <strong>an</strong> den Auftraggeber über weiteren AufklärungsbedarfI.9 Kenntlichmachen der Aufgaben- und Ver<strong>an</strong>twortungsbereiche der beteiligten Gutachter und MitarbeiterI.10 Bei Verwendung wissenschaftlicher Literatur Beachtung der üblichen ZitierpraxisUnnötig ist das Auflisten von gängigen Lehrbüchern oder Diagnosem<strong>an</strong>ualen am Schluss eines Gutachtens. MitFundstelle belegt werden sollte spezielle Literatur, aus der im Gutachten zitiert wird, um bestimmtewissenschaftliche Sachverhalte zu verdeutlichen.I.11 Klare und übersichtliche GliederungII.1 <strong>Mindest<strong>an</strong>forderungen</strong> bei der InformationsgewinnungAbschnitt II beleuchtet die Notwendigkeiten bei der Durchführung der Begutachtung, der Erschließung derschriftlich dokumentierten Informationen und der Untersuchung des Prob<strong>an</strong>den selbst. Ziel dieserInformationserschließung ist es, ein möglichst exaktes, durch Fakten gut begründetes Bild der Person desProb<strong>an</strong>den, seiner Lebens- und Delinquenzgeschichte, der in seinen Taten zutage getretenen Gefährlichkeit undseiner seitherigen Entwicklung zu gewinnen. Ohne die Rekonstruktion der Persönlichkeitsproblematik, derLebens- und Delinquenzgeschichte fehlt einer in die Zukunft gerichteten Risikoeinschätzung das entscheidendeFundament.Es ist nicht ausreichend, sich allein auf die Angaben des Prob<strong>an</strong>den oder das Vollstreckungsheft zu stützen,zumal sich das Gutachten aus dem Erkenntnisverfahren nicht darin befindet; in der Regel ist also dieEinsichtnahme in die Verfahrensakten erforderlich, zudem sind Vorstrafakten, Kr<strong>an</strong>kenakten oder Gef<strong>an</strong>genen-Personalakten bedeutsam. Für eine problemorientierte Exploration des Prob<strong>an</strong>den ist es unerlässlich, dass derSachverständige über ein sicheres Faktenwissen über die Ereignisse in der Verg<strong>an</strong>genheit verfügt, aber auchüber Zeugenaussagen und frühere Einlassungen des Prob<strong>an</strong>den. Der Sachverständige hat ggf. eigenständig dierelev<strong>an</strong>ten Akten <strong>an</strong>zufordern.II.1.1 Umfassendes Aktenstudium (Sachakten, Vorstrafakten, Gef<strong>an</strong>genenpersonalakten,Maßregelvollzugsakten)Zur Rekonstruktion der Ausg<strong>an</strong>gsproblematik sind die Sachakten des zu Grunde liegenden Verfahrens und ggf.die Akten zu früheren relev<strong>an</strong>ten Strafverfahren wichtig. Für die Rekonstruktion des Verlaufs seit derVerurteilung sind die Stellungnahmen der Haft<strong>an</strong>stalten und Maßregeleinrichtungen (im Vollstreckungsheft)sowie die Anstaltsakten grundlegend. Zur Einsichtnahme in diese Akten vgl. B.II.4).Die wesentlichen, beurteilungsrelev<strong>an</strong>ten Ergebnisse der Aktenauswertung sind im Gutachten schriftlichdarzustellen, so dass das Gutachten aus sich heraus verständlichBoetticher, Kröber, Müller-Isberner, Böhm, Müller-Metz, Wolf: <strong>Mindest<strong>an</strong>forderungen</strong> für<strong>Prognosegutachten</strong> (<strong>NStZ</strong> <strong>2006</strong>, 537)542und auch in seinen Schlussfolgerungen nachvollziehbar wird.II.1.2 Adäquate UntersuchungsbedingungenDie Exploration sollte unter fachlich akzeptablen Bedingungen durchgeführt werden, bei denen ein diskretes,ungestörtes und konzentriertes Arbeiten möglich ist.II.1.3 Angemessene Untersuchungsdauer unter Berücksichtigung des Schwierigkeitsgrads, ggf. <strong>an</strong> mehrerenTagen
<strong>NStZ</strong> <strong>2006</strong>, 537 - beck-onlinehttp://beck-online.beck.de/default.aspx?printm<strong>an</strong>ager=print&VPATH=b...9 von 14 20.09.2013 13:50Die Exploration ist für den Prob<strong>an</strong>den möglicherweise für Jahre die letzte Ch<strong>an</strong>ce, seine Person und seine Sichtder Dinge darzustellen. Dafür sollte ihm <strong>an</strong>gemessen Raum gegeben werden. Bei begrenzten Fragestellungenoder bei ausführlichen vor<strong>an</strong>geg<strong>an</strong>genen Begutachtungen k<strong>an</strong>n ein einziger Untersuchungstermin ausreichendsein. Bei komplexen Fragestellungen und einem bisl<strong>an</strong>g unbek<strong>an</strong>nten Prob<strong>an</strong>den wird der Sachverständigeschon wegen der Fülle der zu besprechenden Themen (siehe II.1.5) meist mehrere Termine wahrnehmenmüssen.II.1.4 Mehrdimensionale Untersuchung- Entwicklung und gegenwärtiges Bild der Persönlichkeit- Kr<strong>an</strong>kheits- und Störungs<strong>an</strong>amnese- Analyse der Delinquenzgeschichte und des TatbildesUnter „mehrdimensionaler Untersuchung” ist zu verstehen, dass themenbezogene 3 elementare Bereicheexploriert werden: Person - Kr<strong>an</strong>kheit - Delinquenz. Eine Reduktion auf nur 2 oder eines dieser Themen machtdas Gutachten insuffizient. Die 3 Bereiche sind im individuellen Lebensverlauf zeitlich und sachlich verzahnt, wasim Gespräch oft ein chronologisches Vorgehen nahe legt. Wenn die Prognosebegutachtung die erste forensischeBegutachtung des Prob<strong>an</strong>den ist, sollte m<strong>an</strong> sich hinsichtlich der zu erhebenden Informationen <strong>an</strong> den„<strong>Mindest<strong>an</strong>forderungen</strong> für die Schuldfähigkeitsbegutachtung” orientieren. Dies betrifft insbesondere die deliktunddiagnosespezifische Exploration.II.1.5 Umfassende Erhebung der dafür relev<strong>an</strong>ten InformationenHierzu gehören insbesondere: Herkunftsfamilie, Ersatzfamilie, Kindheit (Kindergartenalter, Grundschulalter),Schule/Ausbildung/Beruf, fin<strong>an</strong>zielle Situation, Erkr<strong>an</strong>kungen (allgemein/psychiatrisch), Suchtmittel, Sexualität,Partnerschaften, Freizeitgestaltung, Lebenszeit-Delinquenz (evtl. Benennung spezifischer Tatphänomene sowieProgredienz, Gewaltbereitschaft, Tatmotive etc.), ggf. Vollzugs- und Therapieverlauf, soziale Bezüge,Lebenseinstellungen, Selbsteinschätzung, Umg<strong>an</strong>g mit Konflikten, Zukunftsperspektive. Ausführliche Explorationinsbesondere in Bezug auf die Lebenszeitdelinquenz (Delikteinsicht, Opferempathie, Veränderungsprozesse seitletztem Delikt, Einschätzung von zukünftigen Risiken und deren M<strong>an</strong>agement)- Erörterung von faktischen Diskrep<strong>an</strong>zen mit dem Prob<strong>an</strong>den- Überprüfung der Stimmigkeit der gesammelten Informationen- Ansprechen von Widersprüchen zwischen Exploration und AkteninhaltWenn der Prob<strong>an</strong>d rechtskräftig abgeurteilt ist, k<strong>an</strong>n und muss der Sachverständige von denUrteilsfeststellungen ausgehen (vgl. oben unter B. IV) und darf den Prob<strong>an</strong>den mit den zu Grunde liegendenSachverhalten konfrontieren, ohne dass er sich damit dem Vorwurf der Bef<strong>an</strong>genheit aussetzt. EinzelneSachverhalte, insbesondere zur Delinquenzgeschichte, müssen gezielt erfragt werden, was Aktenkenntnis desSachverständigen voraussetzt. Wenn der Prob<strong>an</strong>d Angaben macht, die deutlich von früheren Einlassungen odervon relev<strong>an</strong>ten Akteninformationen abweichen, so sind diese Diskrep<strong>an</strong>zen <strong>an</strong>zusprechen. Wie die Prob<strong>an</strong>dendarauf reagieren, ist ein weiterer wichtiger Teil der Informationsgewinnung.Informativ ist eine Wiedergabe der Äußerungen im Gutachten, aus der die Gesprächs- undArgumentationshaltung des Prob<strong>an</strong>den deutlich wird. Die möglichst getreue Dokumentation von Kernaussagenerleichtert es, sie einem späteren Vergleich zugänglich zu machen.II.1.6 Beobachtung des Verhaltens während der Exploration, psychischer Befund, ausführlichePersönlichkeitsbeschreibungUnverzichtbar im Gutachten ist eine ausführliche und <strong>an</strong>schauliche Beschreibung des psychischen Ist-Zust<strong>an</strong>desdes Prob<strong>an</strong>den. Der Sachverständige soll das Interaktionsverhalten, die Selbstdarstellungsweisen, dieemotionalen Reaktionsweisen, den Denkstil des Prob<strong>an</strong>den in der Untersuchungssituation wahrnehmen,beschreiben und (persönlichkeits-)diagnostisch zuordnen. Es ist also wichtig, sich bald nach den Gesprächennochmals alle Wahrnehmungen zu vergegenwärtigen und sie sprachlich zu fassen. Bei einem zweitenUntersuchungsgespräch können erste Eindrücke überprüft und eventuell korrigiert werden. Der „PsychischeBefund” ist durch die Wiedergabe testpsychologischer Ergebnisse nicht ersetzbar (s. II.1.8).