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hate radio - International Institute of Political Murder

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32 HATE RADIO. TheaterstückHATE RADIO. Theaterstück33Ermittler: In einer Sendung vom 14. Mai 1994 sprechenSie über eine Region, in der am Vortag Massakerstattfanden. Sie sagen: „Man kann die Leutenicht mehr finden. Wo sind sie denn hin?“ Und dannlachen sie.Bemeriki: „Man kann die Leute nicht mehr finden“?Ermittler: „Man kann die Leute nicht mehr finden.“Und dann lachen sie.Bemeriki: Nur dieser eine Satz?Ermittler: Ja.Bemeriki: Ich möchte Ihnen etwas erklären: Ein Satzgenügt, um jemanden anzuklagen. Nun können sieaber einen kurzen Abschnitt aus einer Seite herausnehmenund damit ein völlig falsches Bild vermitteln.Sie können hier etwas nehmen und da etwas nehmenund dann die beiden Ausschnitte kombinieren.Im Journalismus wird so etwas <strong>of</strong>t gemacht! ÜbleNachrede ist im Journalismus weit verbreitet! Ichhabe gelacht? Na gut! Aber warum habe ich gelacht?Ich werde Ihnen sagen, warum ich gelacht habe:Weil hier zwei Sendungen zusammen geschnittenwurden. Und deswegen sage ich Ihnen: Damit wiruns besser verstehen, müssen wir <strong>of</strong>fen und ehrlichmiteinander umgehen! Wenn ich mich einverstandenerklärt habe, die ganze Wahrheit zu erzählen – dannsoll man keine Dummheiten erfinden!*Ruggiu: Am 4. Juli 1994 wurde das RTLM aus Kigalievakuiert. Also verließ ich Ruanda und ging zusammenmit all den Menschen, die vor dem FPR flohen,in den Kongo. Ein Jahr später, 1995, reiste ich weiternach Kenia, wo ich mich unter dem Namen TrevorMcCusker niederließ.Ermittler: Wie sorgten sie damals für Ihren Unterhalt?Ruggiu: Ich schrieb ein Buch mit dem Titel Dans latourmente Rwandaise. So konnte ich mich über Wasserhalten.Ermittler: Sprechen wir über Ihr Buch. Ich zitiere ausdem dritten Abschnitt, Seite 20: „’Radio Vérité’ warauch ‚Radio Courage’, und ‚Radio Résistance’. Überallhaben wir versucht, die Bevölkerung gegen unserengemeinsamen Feind, die FPR, zu mobilisieren.“Haben Sie das geschrieben?Ruggiu: Ja.Ermittler: Kommen wir zur Seite 110. Im letztenAbschnitt schreiben Sie dort – ich zitiere: „Ich binstolz, dass ich einer der wenigen war, der die Ruandernicht alleine ihrem düsteren Schicksal überließ.Ich bin mir bewusst, dass man mir vorwirft, dass ichda geblieben bin, als alle Europäer und Amerikanerabzogen. Aber ich war der Ansicht, dass trotz derschwierigen Bedingungen die Arbeit beendet werdenmusste.“ Herr Ruggiu, können Sie bestätigen,diese Worte geschrieben zu haben?Ruggiu: Ja.Ermittler: Entspricht es den Tatsachen, wenn SieRTLM in diesem Buch als ‚Radio Vérité’ und ‚RadioCourage’ bezeichnen?Ruggiu: Es spiegelt meine damalige Überzeugungwieder, ja. Ich habe es geschrieben, um mich zuschützen. Aber jetzt weiß ich, dass es eine Lügewar.*Bemeriki: Als mich die ruandischen Soldaten imKongo gefangen nahmen, flehte ich sie an, mich zuerschießen. Ich versuchte, sie zu zwingen, mich zutöten. Schließlich verweigerte ich eine Woche langdie Nahrung. Ich war überezugt, dass sie mir nun einenFinger nach dem anderen abschneiden würden.Und dann die Hand, dann den Arm. Und dass siemir schliesslich die Augen ausstechen würden – oderwas weiß ich.Ermittler: Aber nichts dergleichen ist passiert?Bemeriki: Nein. Aber ich habe viele Dinge verloren,viele Dokumente... Sie sehen ja selber, ich bin eineGefangene und ich weiß nicht, ob ich irgendwannhier rauskommen werde. Ich kann nur noch zu Gottbeten.Ermittler: Also akzeptieren Sie ihr Urteil?Bemeriki: Wenn ich Verantwortung dafür trage, waspassiert ist, bitte ich um Vergebung. Wenn Menschenwegen meiner Sendungen umgebracht wurden,dann akzeptiere ich das. Ich weiß selber, was ichgetan habe, aber ich kann nichts zugeben, was sichso nicht abgespielt hat. Ich habe niemanden getötet,ich war Journalistin. Für mich zählte nur, dass meineStimme gehört wurde. Das ist alles. Man sollte endlichaufhören, nach Vorwänden zu suchen und zusagen: „Valérie hat die Ruander nicht um Vergebunggebeten!“ Ich habe mit den Patres gesprochen, ichhabe meine Beichte abgelegt. Ich habe um Vergebunggebeten. Also soll man mir vergeben.Sequenz 5Ich verstehe nichtJournalist, Exilierter, Überlebende, Überlebender.Journalistin: Ich wurde erst ziemlich spät evakuiert,am 12. April, zusammen mit den letzten Journalisten.Am 13. April war ich bereits in Paris. Aus derletzten Woche, die ich in Kigali verbrachte, erinnereich mich vor allem an eines: An einen kleinen Jungen,der beim RTLM anrief und fragte: „Ich binacht Jahre alt. Bin ich groß genug, um eine Kakerlakezu töten?“Und der Moderator – ich glaube es war Kantano– antwortete ihm:„Ach wie niedlich! Jeder kann das, weißt Du!“Und ich erinnere mich noch an eine weitere Sache,es war in einer Abendsendung, kurz bevor sie Le dernierSlow spielten. Bemeriki war am Mikro, sie sagte:„Diese Leute mussten getötet werden, und Ihthabt sie getötet. Aber man hätte den Vater nichterschießen sollen, man hätte ihn in kleine Stückeschneiden müssen.“Das ist es, was ich nicht verstehe. Nehmen wir an,die Leute sind überzeugt, dass es richtig ist, Menschenzu töten – oder sie werden dazu gezwungen–, dann könnte man doch vermuten, sie würden dasmöglichst effizient erledigen. ‚Auslöschen’ bedeutetdoch, dass man so viele Menschen wie möglich inmöglichst kurzer Zeit eliminiert.Nehmen wir... nehmen wir zum Beispiel die Vergewaltigungen.Wenn man in Betracht zieht, wienachdrücklich die sexuellen Fantasmen gegenüberder Tutsi-Frau propagiert wurden, so kann mannachvollziehen, dass sehr viele von ihnen vergewaltigtwurden: die Tutsi-Frau, die mit den Weißenschläft, all diese Dinge... Aber wie soll man verstehen,dass man sich nach einer Vergewaltigung dieZeit nimmt, Glasscherben zu zerdrücken, um sie indie Scheide der Frau einzuführen? Wie kommt mandazu, eine Frau mit einer Eisenstange aufzuspießen,wie es damals fast schon üblich war? Wie kann manzwei- oder dreijährige Kinder vergewaltigen, bis siesterben?*Exilierter: Wie bereits erwähnt, habe ich den Genozidaus der Ferne miterlebt, über das Fernsehen undüber Telefonanrufe. Man teilte mir mit, welche Leuteman umgebracht hatte, wer nicht mehr unter unswar. So hat sich alles aufgelöst, weit weg. Auf einefast nicht mehr physische Weise.1998 ging ich dann endlich zurück nach Ruanda.Es war April, ich kann mich an das genaue Datumnicht mehr erinnern, aber ich könnte es leichtnachprüfen, weil in jenen Tagen Froduald Karamirahingerichtet werden sollte. Damals nahmen dieMenschen in Ruanda ihr Leben wieder auf, aberdie Angst saß immer noch tief. Viele Interahamwehielten sich immer noch in den Flüchtlingslagern imKongo auf, und die alte ruandische Armee griff immernoch von Zeit zu Zeit an.Aber für die Hinrichtung von Karamira wollteich unbedingt in Ruanda sein. Es erschien mir völligselbstverständlich, dass man mit diesen Leuten, diezum Mord aufgerufen hatten, nicht anders verfahrenkonnte, als sie zu töten. Menschen, die so etwashatten tun können, verdienten es nicht, weiter zu leben.Ja, es wäre mir unanständig vorgekommen, sieam Leben zu lassen.Ich erinnere mich, dass ich an jenem Tag etwas zuspät dran war. In Nyamirambo, wo sich das Fussballstadionvon Kigali befindet, hatte sich eine gewaltigeMenge versammelt. Bereits hinter der erstenMoschee war alles voller Autos, schlimmer als beieinem Fußballspiel. Irgendwie schaffte ich es aber,mir einen Weg bis zur ersten Reihe zu bahnen. Ichwollte unbedingt alles sehen.Aber als ich die Verurteilten da stehen sah – siewaren zu sechst – fühlte ich mich plötzlich unwohl.Man hatte sie an Pfähle gebunden. Ja, ich hatte fastMitleid mit ihnen, obwohl das das letzte Gefühl war,das ich für sie empfinden wollte. Maskierte Polizistentauchten auf. Karamira und die anderen trugeneinen Anzug mit einer Zielscheibe, hier, über demHerzen. Ich fand das alles sehr hässlich. Und schonfielen die Schüsse – es gab einen gewaltigen Knall– das alles ging sehr schnell. Ein Polizist ging voneinem zum andern, um ihnen den Fangschuss zugeben. Ein Verrückter begann vor Freude zu schreien.Mich aber ekelte das alles an, es bedeutete mirnichts, nicht mal irgendeine Art von Rache. Da habeich verstanden, dass dies alles nicht wieder gut zumachen war.*Überlebende: Ich gehe sehr selten in meine Gemeindezurück – einmal im Jahr, zur Gedenkfeier. Natürlichwurden wir für die Gacacas gerufen, um als Zeugenauszusagen. Zwei Jahre nach dem Genozid begegnetemeine Schwester dem Mann, der uns in die Toilettengeworfen hatte. Ganz entspannt kam er mitseinem Bündel aus dem Kongo zurück. Als er meineSchwester sah, bot er ihr eine Fanta an und sagte:„Lass uns keine Dummheiten machen. Vergessenwir diese ganze Geschichte.“Bei den Gacaca-Gerichten sagte er:„Aber sie leben noch. Sie sollen herkommen undaussagen, dass ich sie nicht getötet habe.“Er war ein Junge aus unserem Dorf, der Sohn desPfarrers. Heute ist er tot. Er ist im Gefängnis krankgeworden.*Überlebender: Es macht mich verrückt, nach einerAntwort auf die Frage zu suchen, warum man unsin Stücke schneiden wollte. Nie werde ich die Beweggründeunserer Hutu-Nachbarn begreifen. Niewerde ich verstehen, warum wir ausgelöscht werdensollten.Nein, ich glaube nicht an das Ende der Genozide.Ich glaube nicht, dass wir zum letzten Mal dieseschlimmste aller Grausamkeiten erlebt haben. Wennes einen Genozid gegeben hat, dann wird es nochviele geben.

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