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Eröffnungsrede von Prof. Dr. Harald Floss - pm-weber.de

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Blick zurück – <strong>Dr</strong>ei Künstler auf <strong>de</strong>m Brandberg<strong>Harald</strong> Fuchs, Dieter Luz, Peter‐Michael WeberAusstellung Künstlerbund Tübingen 11.9.‐9.10.2010Einführung zur Eröffnung, Tübingen 11.9.2010<strong>von</strong> <strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Harald</strong> <strong>Floss</strong><strong>Harald</strong>.floss@uni‐tuebingen.<strong>de</strong>Sehr geehrte Damen und Herren,es ist mir eine große Freu<strong>de</strong> und auch Ehre, die Ausstellung „Blickzurück – <strong>Dr</strong>ei Künstler auf <strong>de</strong>m Brandberg“ <strong>von</strong> <strong>Harald</strong> Fuchs, DieterLuz und Peter‐Michael Weber eröffnen zu dürfen. Es ist wohlzweifellos eher selten, dass ein Archäologe und Prähistoriker einesolche Aufgabe übernimmt, doch ergibt sich dieser Umstand aus <strong>de</strong>mspezifischen Thema <strong>de</strong>r Ausstellung sowie <strong>de</strong>m Interesse <strong>de</strong>sReferenten an Zeitgenössischer Kunst.Im Mittelpunkt steht <strong>de</strong>r Brandberg in Namibia, wohin die dreianwesen<strong>de</strong>n Künstler und Freun<strong>de</strong> im zurückliegen<strong>de</strong>n Sommer eineExpedition unternahmen, die <strong>de</strong>n inhaltlichen Kern <strong>de</strong>r heute zueröffnen<strong>de</strong>n Ausstellung bil<strong>de</strong>t.Es bietet sich <strong>de</strong>shalb hier zunächst an, <strong>de</strong>n Brandberg und seineRolle für die Archäologie und die Geschichte Afrikas zu erörtern.Wichtige Hintergrundinformationen dieser Einführung entstammendabei Beiträgen <strong>von</strong> Rudolph Kuper und Tilmann Lenssen‐Erz sowieMartin Meister. Der Brandberg, wegen seines Felsbildreichtumszuweilen auch <strong>de</strong>r Bil<strong>de</strong>rberg genannt, befin<strong>de</strong>t sich in Namibia, etwa80 km <strong>von</strong> <strong>de</strong>r Atlantikküste und 350 km nordwestlich <strong>von</strong> Windhoek.An klaren Tagen erkennt man <strong>von</strong> <strong>de</strong>r Westseite <strong>de</strong>s Berges in <strong>de</strong>r


Ferne am Horizont das Blau <strong>de</strong>s Ozeans. Er ist ein ca. 750Quadratkilometer großes Gebirge vulkanischen Ursprungs – esbesteht aus Granit ‐ , das wie ein großer run<strong>de</strong>r Inselberg zwar „nur“knapp 2600 m hoch ist, aber ca. 2 km über die umgeben<strong>de</strong> Wüsteund Savanne aufragt. Trotz Spitzentemperaturen um 30° in unserenhiesigen Wintermonaten sind die Temperaturkontraste auf <strong>de</strong>mBrandberg weniger krass, als in <strong>de</strong>r umgeben<strong>de</strong>n Namib. Auch dasabwechslungsreiche Relief unterschei<strong>de</strong>t sich <strong>de</strong>utlich <strong>von</strong> <strong>de</strong>r ehereintönigen Wüste. Es hat sich auf <strong>de</strong>m Brandberg <strong>de</strong>shalb auch einrelativ lebendiges Faunen‐ und Florenspektrum entwickelt. DieseUmstän<strong>de</strong> haben mit <strong>de</strong>r damit verbun<strong>de</strong>nen Nahrungsgrundlagedazu beigetragen, dass <strong>de</strong>r Brandberg für die frühe Besiedlung <strong>de</strong>rMenschheit durch Sammler und Jäger und später mit seinenWei<strong>de</strong>flächen auch für frühe Viehzüchter <strong>von</strong> beson<strong>de</strong>rer Be<strong>de</strong>utungwar. Ein entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>r Vorteil ist auch, dass das Regenwasser auf<strong>de</strong>m Brandberg nicht wie in <strong>de</strong>r Wüste unmittelbar versickert,son<strong>de</strong>rn in Spalten und Mul<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Granits aufgefangen wer<strong>de</strong>nkann. Da Klima und Umwelt auf <strong>de</strong>m Brandberg während <strong>de</strong>r letztenJahrtausen<strong>de</strong> so gut wie keine Verän<strong>de</strong>rungen erfahren haben, liegtdort, wenn man so will, eine regelrechte intakte Urlandschaft vor.Der Brandberg stellt wie eine Art Gebirgsoase <strong>von</strong> je her einenAnziehungspunkt für Mensch und Tier dar. Das Vorhan<strong>de</strong>nsein <strong>von</strong>zahlreichen Felsüberhängen, die tags Schutz vor <strong>de</strong>r Hitze bieten,aber nachts die gespeicherte Wärme abgeben, und zu<strong>de</strong>m durch <strong>de</strong>nFarbenreichtum <strong>de</strong>s Gesteins attraktive Anziehungspunkte sind, tatdas seine. Der Brandberg ist damit eine an prähistorischenFundstellen und vor allem an Felsbil<strong>de</strong>rn sehr reiche Region, die seit<strong>de</strong>r Frühphase <strong>de</strong>r archäologischen Forschung im Mittelpunkt <strong>de</strong>sInteresses steht. Nicht zuletzt in <strong>de</strong>r Folge <strong>de</strong>r bis 1918 währen<strong>de</strong>nKolonialzeit waren es vornehmlich auch <strong>de</strong>utsche Archäologen wie<strong>de</strong>r berühmte Hugo Obermaier und <strong>de</strong>r nicht weniger bekannte


Herbert Kühn, die seit <strong>de</strong>n 1920er Jahren die Region intensiverforschten. In seinem Spätwerk widmete sich <strong>de</strong>r berühmtefranzösische Geistliche und Prähistoriker Abbé Henri Breuil in <strong>de</strong>n1950er Jahren <strong>de</strong>n Felsbil<strong>de</strong>rn im Randbereich <strong>de</strong>s Brandberges,wobei ihn die Studie eines beson<strong>de</strong>ren bereits 1918 am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>rKolonialherrschaft vom <strong>de</strong>utschen Landvermesser Reinhard Maackent<strong>de</strong>ckten Felsbil<strong>de</strong>s, <strong>de</strong>r so genannten „Weißen Dame“ freilich zueher waghalsigen Rekonstruktionen angeblicher Beziehungenzwischen Afrika und weißen ostmediterranen Seefahrervölkernveranlasste. Weiße Farbe war <strong>de</strong>m Gelehrten aus <strong>de</strong>r europäischenHöhlenkunst unbekannt und er konnte sich nicht vorstellen, dass ihrEinsatz <strong>von</strong> stilistischer und symbolischer Be<strong>de</strong>utung war, ohne direktauf die Hautfarbe <strong>de</strong>r dargestellten Person schließen zu können. Dassdie angebliche Dame in Wirklichkeit ein Mann ist, kommt als<strong>de</strong>likater Forschungsirrtum noch hinzu.Mehr und mehr wur<strong>de</strong> auch das eher unzugängliche Zentrum <strong>de</strong>sBrandberges Inhalt intensiver Erforschung. Hier muss natürlichinsbeson<strong>de</strong>re <strong>de</strong>r gebürtige Österreicher <strong>Harald</strong> Pager genanntwer<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r <strong>von</strong> 1977 bis zu seinem Tod 1985 allein über 40.000Einzeldarstellungen und damit annähernd 90% <strong>de</strong>r Felskunst <strong>de</strong>sBrandberges dokumentierte. Damit wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>utlich, dass <strong>de</strong>rBrandberg selbst in <strong>de</strong>m für Felskunst bekannten afrikanischenKontinent eine unvergleichliche Dichte prähistorischer Kunstwerkeaufzuweisen hat. In <strong>de</strong>n 1970er Jahren begann das Staatsmuseum inWindhoek und ab <strong>de</strong>n 1980er Jahren sodann die ForschungsstelleAfrika <strong>de</strong>r Universität Köln mit Ausgrabungen in <strong>de</strong>r Region, auch umdie schwer datierbaren Felskunstwerke besser in einenchronokulturellen Kontext integrieren zu können. Die KölnerForschungsstelle ist übrigens nach Heinrich Barth benannt, <strong>de</strong>r einberühmter, aus Hamburg stammen<strong>de</strong>r Afrikaforscher <strong>de</strong>s 19. Jhs.war. Als beson<strong>de</strong>re Forscherpersönlichkeit <strong>de</strong>r letzten Zeit möchte


ich vor allem Tilmann Lenssen‐Erz herausstellen, <strong>de</strong>r heute als besterKenner <strong>de</strong>r Felsbil<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Brandberges gilt und seit Jahrzehnten eineminutiöse wissenschaftliche Dokumentation betreibt. Weitereebenfalls vornehmlich <strong>von</strong> <strong>de</strong>r Kölner Forschungsstelle initiierteStudien gingen und gehen etwa <strong>von</strong> Rudolf Kuper, Jürgen Richter undRalf Vogelsang aus.Erwähnen sollte man hier vielleicht, dass viele <strong>de</strong>r bekannten amBrandberg aktiven Forscherpersönlichkeiten nicht <strong>von</strong> Hause ausausgebil<strong>de</strong>te Archäologen waren und sind. Lenssen‐Erz ist z.B.Afrikanist und Spezialist <strong>de</strong>r Phonologie <strong>von</strong> Tschad‐Sprachen und<strong>de</strong>r berühmte <strong>Harald</strong> Pager war man höre und staune Grafiker! Ichmöchte darauf hinaus, dass es eine klare Abgrenzung in amBrandberg aktive Wissenschaftler einerseits und Künstleran<strong>de</strong>rerseits so nicht gibt, und dass neben <strong>de</strong>r hier zu sehen<strong>de</strong>nkünstlerischen Umsetzung die fotografische, zeichnerische undliterarische Dokumentation unserer drei ausstellen<strong>de</strong>n Künstler auchein<strong>de</strong>utig Beiträge zur wissenschaftlichen Inwertsetzung <strong>de</strong>rFelskunst <strong>de</strong>s Brandberges leistet.Die Besiedlungsgeschichte <strong>de</strong>s Brandberges beginnt nach heutigerKenntnis mit <strong>de</strong>r so genannten Middle Stone Age, die in einen relativweiten chronologischen Rahmen zwischen ca. 200.000 bis ca. 30.000Jahren vor heute fällt. Es folgt in <strong>de</strong>r Besiedlungsgeschichte die sogenannte later stone age, in die nach allem auch die ältesten Belege<strong>de</strong>r Felskunst fallen, wenn auch eher in die letzten Jahrtausen<strong>de</strong> vorChristus. Belege für eine Besiedlung älter als 6000 Jahre vor heutebleiben in <strong>de</strong>r Region bis heute selten. Mittels <strong>von</strong> Felsfragmentenmit Malerei, die in datierte archäologische Fundschichten gefallensind, kann man die Felsbil<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Brandberges heute vor allem in diebei<strong>de</strong>n letzten Jahrtausen<strong>de</strong> vor Christus stellen. Die Spuren <strong>de</strong>rletzten „Künstler“ verlieren sich sodann vor knapp 2000 Jahren.


Wenn sich einige nun fragen mögen, wie diese Ereignisse zeitlich mit<strong>de</strong>r europäischen Höhlenkunst im Genre Lascaux und Altamirakorrelieren, so sei als kurzer Exkurs hier kurz angemerkt, dass dieHöhlen‐ und auch die weniger bekannte altsteinzeitliche FelskunstEuropas mit maximalen Altern <strong>von</strong> knapp 40.000 Jahren (Lascaux istetwa 15.000 Jahre alt) nach <strong>de</strong>rzeitiger Kenntnis <strong>de</strong>utlich älter ist, alsdiejenige Afrikas, <strong>de</strong>ren älteste Beispiele mit einer Datierung <strong>von</strong>knapp 27.000 Jahren aus <strong>de</strong>r ebenfalls in Namibia gelegenen, <strong>von</strong>Wolfgang Erich Wendt 1969 erforschten, so genannten Apollo 11 –Höhle stammen. Dies sei nur <strong>de</strong>shalb eingefügt, weil in <strong>de</strong>r breitenÖffentlichkeit Afrika im allgemeinen als so genannte Wiege <strong>de</strong>rMenschheit angesehen wird, aber nicht in allen Gesichtspunktentatsächlich älteste Belege menschlicher Kulturerscheinungen gelieferthat. Dies schmälert natürlich die kulturgeschichtliche Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>rFelsbil<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Brandberges nicht im Geringsten, es ist lediglich eineBerufskrankheit <strong>von</strong> Archäologen, das hohe Alter <strong>von</strong>Hinterlassenschaften als Maß für ihre Be<strong>de</strong>utung anzunehmen.Ab ca. <strong>de</strong>r Zeitenwen<strong>de</strong> sind sodann in <strong>de</strong>r Region <strong>de</strong>s Brandbergesmehrere <strong>de</strong>utliche Verän<strong>de</strong>rungen fassbar, die zum Beispiel diefrühesten Nachweise <strong>von</strong> Tierhaltung und die Einführung <strong>de</strong>r Keramikbetreffen. Verglichen mit an<strong>de</strong>ren Regionen <strong>de</strong>r Welt ist auch diesdafür ein eher später Zeitpunkt.Nun einige Anmerkungen zu <strong>de</strong>n Felsbil<strong>de</strong>rnDie mittlerweile bekannten knapp 50.000 Felsbil<strong>de</strong>r fin<strong>de</strong>n sich aninsgesamt ca. 1000 Lokalitäten, dies sind oft magische Orte <strong>von</strong>beson<strong>de</strong>rer Anziehungskraft, die <strong>von</strong> Malern und Künstlern immerwie<strong>de</strong>r aufgesucht wur<strong>de</strong>n. Wie wir sehen können, gilt diese Aussageoffensichtlich bis heute. Aufgrund <strong>de</strong>s mehrfachen Frequentierensdieser Orte durch die prähistorischen Gruppen und Einzelpersonenkam es zur Überlagerung verschie<strong>de</strong>ner Bildserien bis hin zu 6


verschie<strong>de</strong>nen Phasen. Diese Überlagerung unterschiedlicherMalphasen stellt für Archäologen ein wichtiges Mittel zurRekonstruktion <strong>de</strong>r zeitlichen Abfolge <strong>de</strong>r Bil<strong>de</strong>r dar und war auch einbe<strong>de</strong>uten<strong>de</strong>s Element für die künstlerische Auseinan<strong>de</strong>rsetzungdieser Ausstellung. Was die angewen<strong>de</strong>ten Farben anbetrifft,bediente man sich für Rottöne verschie<strong>de</strong>ner Eisenoxi<strong>de</strong>, für Schwarznahm man Mangan und Holzkohle, für Weiß Kaolin und Kalk. AlsBin<strong>de</strong>mittel dienten Wasser, daneben vielleicht auch Fette, Blut,Pflanzensäfte o<strong>de</strong>r Eiklar. In Bezug auf die dargestellten Inhalte liefertdie Felskunst <strong>de</strong>s Brandberges oft aberwitzige Szenen undKompositionen <strong>von</strong> atemberauben<strong>de</strong>r Schönheit und Komplexität.Menschen spielen in <strong>de</strong>r Brandbergkunst eine beson<strong>de</strong>re Rolle.Während sie in <strong>de</strong>r europäischen Eiszeitkunst zwar zahlreich sind,neben <strong>de</strong>n Tierdarstellungen aber quantitativ zurücktreten, sind sieam Brandberg mit knapp 60% <strong>de</strong>r Darstellungen das dominieren<strong>de</strong>Element. Meist sind sie in Bewegung, treten in Gruppen auf, sietanzen, laufen, gestikulieren, vollführen Spreizsprünge wie im Ballett,sind mit Körperschmuck und verschie<strong>de</strong>nen Utensilien wie Bögendargestellt und oft mit geometrischen Symbolen kombiniert. DasGeschlecht dieser Personen ist in 4/5 <strong>de</strong>r Fälle nicht zu erkennen, wieLenssen‐Erz dies formuliert, sind sie geschlechtlich „Null‐markiert“.Auch Tiere – sie nehmen ca. 1/5 <strong>de</strong>r Darstellungen ein ‐ sind <strong>von</strong>großer Be<strong>de</strong>utung. Es fin<strong>de</strong>n sich zum Beispiel sehr häufig Giraffen.Ihr langer Hals scheint die Fantasie <strong>de</strong>r prähistorischen Bergbesucherangeregt zu haben. So kommt es nicht <strong>von</strong> ungefähr, dass dieseBeobachtung zur Darstellung eines mythischen Wesens, einesFantasietiers, <strong>de</strong>r so genannten Ohrenschlange erweitert wur<strong>de</strong>, einWesen, das bis heute in <strong>de</strong>n Volksmythen Namibias eine große Rollespielt. Neben Giraffen wur<strong>de</strong>n häufig Bergzebras, Oryxantilopen,Springböcke, Gazellen und Strauße verewigt.


Verschie<strong>de</strong>ne Forscher, wie <strong>de</strong>r südafrikanische Prähistoriker DavidLewis‐Williams, haben in <strong>de</strong>n Menschendarstellungen <strong>de</strong>sBrandberges Hinweise auf Trancezustän<strong>de</strong> und letztlich <strong>de</strong>nSchamanismus sehen wollen, jedoch sollte man hier wie TilmannLenssen‐Erz eine gewisse Vorsicht walten lassen, dieses anhand <strong>de</strong>rFelskunst Südafrikas berechtigt herausgestellte Phänomen unbedingtauf diejenige <strong>de</strong>s Brandberges und übrigens auch auf die europäischeEiszeitkunst zu übertragen. Nichts<strong>de</strong>stotrotz weisen die tanzen<strong>de</strong>nund in Bewegung befindlichen Menschen auf gemeinsam ausgeführtegeplante rituelle Handlungen hin, wobei auch die traditionellherangezogene Theorie <strong>de</strong>r so genannten Jagdmagie für <strong>de</strong>nBrandberg nur zum Teil zuzutreffen scheint: Die dort bejagtenKleinsäuger – mit Pflanzen die reelle Lebensgrundlage <strong>de</strong>r dortigenprähistorischen Gruppen – treten in <strong>de</strong>r Kunst überhaupt nicht auf –eindrucksvolle Großsäuger aus <strong>de</strong>r Umgebung aber schon.Prähistorische Höhlen‐ und Felskunst ist eine menschliche Ursprache.Sie ist über Jahrzehntausen<strong>de</strong> hinweg eine basieren<strong>de</strong>, wenn nichtdie entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> menschliche Ausdrucks‐ undKommunikationsform. Es existieren Universalien dieses Ausdrucks.Überall, wo Menschen unbeeinflusst <strong>von</strong> äußeren Einflüssen, <strong>von</strong> <strong>de</strong>rErziehung bis hin zum Kunstbetrieb in sich gehen, fin<strong>de</strong>n sie zuureigenen Ausdrucksformen, die formal oft gewisse Ähnlichkeitenaufweisen. Diese Ursprache fin<strong>de</strong>t sich genauso in <strong>de</strong>r Kunst <strong>de</strong>rAltsteinzeit, wie in <strong>de</strong>n geometrischen und rhythmischen Bildfolgen<strong>de</strong>r Aborigines bis hin zur Kunst <strong>von</strong> Autodidakten, <strong>de</strong>n so genanntenself‐taught artists, die seit Dubuffet unter <strong>de</strong>m Begriff <strong>de</strong>r art brutzusammengefasst wer<strong>de</strong>n, in <strong>de</strong>n letzten Jahren aber aufgrundzunehmen<strong>de</strong>r Kommerzialisierung viel <strong>von</strong> ihrer Ursprünglichkeitverloren haben.


Darüber hinaus kommt es nicht <strong>von</strong> ungefähr, dass sich seit <strong>de</strong>rklassischen Mo<strong>de</strong>rne zahlreiche renommierte Künstler proklamatischo<strong>de</strong>r auch nur in Form eines ureigenen intuitiven Schaffensaktesmehr o<strong>de</strong>r weniger bewusst mit <strong>de</strong>m Thema <strong>de</strong>r archaischen Kunst,<strong>de</strong>r Steinzeitkunst beschäftigt haben. Das Heraufkommen seelischlatenter unbewusster Urbil<strong>de</strong>r reflektiert sich zuweilen im visuellenBereich zeitgenössischer Formgebung. Ich möchte zurKontextualisierung <strong>de</strong>r heutigen Ausstellung also, wie dies L. Schauerformulierte, nicht einmal mehr die griechische Argonautenfahrt einesMax Beckmann o<strong>de</strong>r die Suche nach <strong>de</strong>m Primitiven <strong>de</strong>r Desmoisellesd’Avignon o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r afrikanischen Plastik <strong>de</strong>r Brücke‐Künstlerbemühen. Dennoch ist es mir als Prähistoriker und einem gleichsamkunstinteressierten Menschen an dieser Stelle be<strong>de</strong>utsam, einmalaus Sicht <strong>de</strong>r Steinzeitkunst kurz aufzuzeigen, dass es durchausmannigfache, wenngleich oft eher verkannte Bezüge aus <strong>de</strong>m Bereich<strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>rnen und zeitgenössischen Kunst zu <strong>de</strong>n Ur‐Inhalten <strong>de</strong>rPrähistorie und indigener Völker gibt:Wie wären zum Beispiel die Kopffüßer eines Horst Antes ohne dieKatchina‐Puppen <strong>de</strong>r Hopi‐Indianer <strong>de</strong>nkbar? Wie die Urformen einesWilli Baumeister durch <strong>de</strong>n unmittelbar belegten Kontakt mit <strong>de</strong>raltsteinzeitlichen Höhlenmalerei. Wie hätte ein Joseph Beuys sonst zuseinen Schamanen‐Bil<strong>de</strong>rn fin<strong>de</strong>n können, wie ein Jean‐MichelBasquiat zu seiner atemberaubend wil<strong>de</strong>n Ursprache. Wie hätte eineNiki <strong>de</strong> Saint‐Phalle ihre Nanas schaffen können ohne die Kenntnispaläolithischer Venusfiguren, wie eine Rune Mields zu ihrenElementarzeichen, ein Antoni Tàpies zu seinen Labyrinthzeichnungeno<strong>de</strong>r ein Ralf Winkler, alias A. R. Penck, zu seinen Urfiguren, <strong>de</strong>r sichgar nach einem Quartärgeologen benannte. O<strong>de</strong>r sollte ich gar dieMammutjäger eines HAP Grieshaber erwähnen? Auch im Rahmen<strong>de</strong>s Künstlerbun<strong>de</strong>s Tübingen hat beispielsweise Jürgen Mack mitseiner Ausstellung 2003 im Schlossmuseum Hohentübingen


„Spurensuche‐eine bildhafte Annäherung an archaische Kulturen“Beiträge zu <strong>de</strong>n geschil<strong>de</strong>rten Zusammenhängen geliefert.Ich verweise in diesem Zusammenhang auf das UrgeschichtlicheMuseum in Blaubeuren, das mit seiner Galerie 40.000 Jahre Kunst<strong>de</strong>n Bogen zwischen prähistorischer und zeitgenössischer Kunstspannt.Ich wollte mit diesem kurzen Abriss unserer hiesigen Ausstellungkeinesfalls die <strong>de</strong>utliche Originalität, die sie auszeichnet, absprechen,son<strong>de</strong>rn ganz im Gegenteil einmal mehr, wie bereits anlässlichmeines Vortrages vor einer Weile hier im Künstlerbund im Rahmen<strong>de</strong>r Reihe Kunst und Wissenschaft die innigen Verbindungenbetonen, die unsere jeweiligen Gebiete auszeichnen – dieSteinzeitarchäologie und die bil<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Kunst. Kurz – gemeinsameProjekte sind stets willkommen!Nun aber zur Ausstellung. Da die drei ausstellen<strong>de</strong>n Künstler indiesem Kreise exzellent bekannt sind und insofern gewissermaßenein Heimspiel haben, wer<strong>de</strong> ich mich mit biografischen Datenzurückhalten, aber <strong>de</strong>nnoch einige Worte sagen:Der in meiner Heimatstadt Köln leben<strong>de</strong> <strong>Harald</strong> Fuchs hat bei <strong>Prof</strong>.Rudolf Schoofs in Stuttgart Freie Grafik studiert. Seit 1995 ist er<strong>Prof</strong>essor an <strong>de</strong>r Universität für Applied sciences and art inDüsseldorf. Er war 1990 Villa Massimo‐Stipendiat und hat für seineArbeiten in Medienkunst und Fotografie mehrere renommiertePreise erhalten. Durch zahlreiche Ausstellungen erreichte Fuchs in<strong>de</strong>n zurückliegen<strong>de</strong>n Jahrzehnten einen internationalenBekanntheitsgrad, insbeson<strong>de</strong>re auch in <strong>de</strong>n USA. Seine Licht‐ FotoundVi<strong>de</strong>oinstallationen fin<strong>de</strong>n sich in zahlreichen renommiertenMuseen, wie im öffentlichen Raum. In inhaltlicher Hinsicht bewegensich Fuchs‘ Arbeiten im Spannungsfeld zwischen Wissenschaft,Religion und Kunst. Er ist großer Afrikakenner und bekannt für seine


Dokumentationen so genannter Medizinmänner indigener Völker.Wie Sigfried Zielinski formulierte, verbin<strong>de</strong>n sich in seinem WerkAspekte <strong>von</strong> Natur‐ und Wissenschaftsästhetik, wie alten und neuenVorstellungen <strong>von</strong> Kultur und Natur.<strong>Harald</strong> Fuchs hat in dieser Ausstellung neben einigen Fotocollageneinen in einen Rucksack integrierten Bildschirm frei im Rauminstalliert. Es geht in seiner Arbeit vornehmlich um die Überlagerung<strong>von</strong> Schichten verschie<strong>de</strong>ner Kulturepochen <strong>de</strong>s Brandberges und alsletzter Schicht diejenige unserer heutigen Zeit. Der Blick <strong>de</strong>sBetrachters dringt wie in einer Zeitreise in <strong>de</strong>n Rucksack ein,gleichermaßen als Nachzeichnen <strong>de</strong>r Forschungsreise <strong>de</strong>r dreiKünstler und als Reise in die vergangene, in vielem mysteriöse Welt<strong>de</strong>r Paläo‐Künstler <strong>de</strong>s Brandberges. Durch die Überlagerung <strong>von</strong>Bil<strong>de</strong>rn, das Einblen<strong>de</strong>n <strong>von</strong> Szenen <strong>de</strong>r Ursprache <strong>de</strong>r indigenenBevölkerung mit ihren so typischen Klicklauten und <strong>de</strong>m Originalton<strong>de</strong>s Funkkontaktes <strong>de</strong>r Astronauten bei <strong>de</strong>r ersten Mondlandungverdichtet sich die Gesamtimpression dieser Arbeit zu einemtraumhaften Vordringen in die mysteriöse Welt ferner Zeiten undSphären.In seinen Fotoarbeiten stehen so genannte Orakelbeutel <strong>de</strong>rBuschmänner im Vor<strong>de</strong>rgrund. In ihnen können sich Knochen,Muscheln, Zähne, Kristalle und an<strong>de</strong>re Objekte befin<strong>de</strong>n, die beimAuswerfen durch ihre spezifische Konstellation ureigeneErklärungsmo<strong>de</strong>lle <strong>de</strong>r Welt, <strong>de</strong>s Familiengeschehens und an<strong>de</strong>rerZusammenhänge liefern können. Durch das Einblen<strong>de</strong>nmathematischer Formeln setzt Fuchs <strong>de</strong>r archaischen Welterklärungunsere heutige naturwissenschaftlich geprägte Sicht entgegen. Durchspezifische digitale Verfremdungs‐ und Inversionstechniken wer<strong>de</strong>nSchatten unvermittelt räumlich, es verwischen sich Innen und Außen,unversehens fragt man sich, in welcher Wahrnehmungsebene mansich überhaupt befin<strong>de</strong>t.


Auch <strong>de</strong>r in Tübingen leben<strong>de</strong> und arbeiten<strong>de</strong> Peter‐Michael Weber,seines Zeichens ausgebil<strong>de</strong>ter Fotograph, schlägt die Brücke zwischenWissenschaft und Kunst, worauf bereits seine langjährige Tätigkeit alsWissenschaftsfotograph am anatomischen Institut <strong>de</strong>r UniversitätTübingen sowie an <strong>de</strong>r hiesigen Universitätsklinik hinweist. Seit 1980bestreitet er zahlreiche Ausstellungen vornehmlich im<strong>de</strong>utschsprachigen Raum, wobei ich als Mitglied <strong>de</strong>r so genanntenSchlossfächer auch auf die Ausstellung „Idole“ 2004 im MuseumSchloss Hohentübingen hinweisen möchte, in <strong>de</strong>r Weber mit UrsulaKling‐Rau gemeinsam und je<strong>de</strong>r auf seine Weise eineAuseinan<strong>de</strong>rsetzung mit <strong>de</strong>n <strong>von</strong> Archäologen „Idole“ genanntenmenschlichen Figuren suchte. In technischer Hinsicht hat Weber in<strong>de</strong>n letzten Jahrzehnten in sehr kreativer Weise zurWeiterentwicklung <strong>de</strong>r fotographischen Umsetzung, <strong>de</strong>rverwen<strong>de</strong>ten Materialien und Techniken wie <strong>de</strong>r Bil<strong>de</strong>ntwicklungbeigetragen.Peter‐Michael Weber ist mit mehreren großformatigen Fotoarbeitenvertreten. Seine Arbeitsweise ist durch die Aussage alter und neuerSymbole geprägt. Die Bil<strong>de</strong>r Weber’s setzen sich mitkomplementären Farben und Formen auseinan<strong>de</strong>r. Wie bei DieterLuz wer<strong>de</strong>n Schattenelemente genutzt, um verschie<strong>de</strong>neEpochenschichten miteinan<strong>de</strong>r zu verbin<strong>de</strong>n. Während sich ein Teil<strong>de</strong>r Arbeiten noch <strong>de</strong>utlich am Original <strong>de</strong>r Felskunst orientiert,verbin<strong>de</strong>n sich in einer weiteren Fotoarbeit das Naturerlebnis mitgeografischen Spezifika und <strong>de</strong>n konkreten Reiserouten <strong>de</strong>r dreiKünstler. In <strong>de</strong>r zentralen Arbeit <strong>de</strong>r Ausstellung entbin<strong>de</strong>t WeberEinzelmotive aus ihrem originären Kontext und reiht sie in eine neueHieroglyphen‐ähnliche Folge und entwickelt dadurch eineverblüffend einfache Ursprache, <strong>de</strong>ren erzählte Inhalte <strong>de</strong>rBetrachter nur erahnen kann.


Dieter Luz hier vorstellen zu wollen, ‐ er ist seit 1973 Mitglied <strong>de</strong>sTübinger Künstlerbun<strong>de</strong>s ‐ be<strong>de</strong>utete Eulen nach Athen zu tragen.Selbstverständlich ist die heute zu eröffnen<strong>de</strong> Ausstellung auchAusdruck und Ergebnis seiner Jahrzehnte währen<strong>de</strong>n engen Kontaktenach Afrika mit seiner frühen Tätigkeit als Kameramann fürethnologische Filme in <strong>de</strong>n 1960er Jahren und in <strong>de</strong>r Folge bislang 35Afrika‐Expeditionen und einem stets innigen Verhältnis zuarchäologischen Inhalten und Objekten.Dieter Luz arbeitet bei seiner Installation mit <strong>de</strong>m Begriff Zeitfenster.Dabei wer<strong>de</strong>n reale Fenster mit verfrem<strong>de</strong>ten Brandbergbil<strong>de</strong>rnbestückt. Das Ausleuchten <strong>de</strong>r Bil<strong>de</strong>r mit bereitgestelltenTaschenlampen zeigt die Distanz und die Schwierigkeit, diese Bil<strong>de</strong>rzu <strong>de</strong>uten. Die aus <strong>de</strong>n Bil<strong>de</strong>rn heraustreten<strong>de</strong>n Schattenelemente(musizieren<strong>de</strong>r Schattenmann trifft auf aufgelöste Stabfrau) sindwie<strong>de</strong>rum Stellvertreter <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>n Bil<strong>de</strong>rn dargestellten Inhalte.Durch die spezifische Inversionstechnik erinnern die in <strong>de</strong>nZeitfenstern wi<strong>de</strong>rgegebenen Bil<strong>de</strong>r in gewisser Weise an <strong>de</strong>n sogenannten Röntgenstil, wie er etwa in <strong>de</strong>n Malereien <strong>de</strong>raustralischen Aborigines vorkommt und <strong>de</strong>r auch die frühen Arbeiten<strong>von</strong> Dieter Luz auszeichnet. Schattenmann und Stabfrau sind mitihren marionettenartigen Gliedmaßen typische Beispiele <strong>de</strong>rMenschendarstellungen <strong>de</strong>r Brandbergkunst. Die Schatten <strong>de</strong>rErinnerung treten übergroß in unsere Zeit und rufen uns zurAuseinan<strong>de</strong>rsetzung mit <strong>de</strong>n Bildwelten <strong>de</strong>r Urzeit auf.Ich empfin<strong>de</strong> die Ausstellung als sehr gelungen. Ich wünsche Ihreinen großen Erfolg!Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!

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