TitelWer ist schuld an mieserDer müde Tod oder die zwei Seelen der StudentenschaftSelig sind die Neunzehnjährigen. Ebengerade ihren Schulabschluss in derTasche, spinnen sie sich ihre Luftschlösserzusammen. Sie ahnen noch nicht,was sie in ihrem ersten Semester erwartetund schlafen deshalb ungestört, träumenTräume von ihrem zukünftigen Studium,von inspirierenden Seminaren, geistreichenKommilitonen und all den Sachen,an deren Existenz man mit neunzehnnoch glaubt. Es ist schön, neunzehn zusein. Die Ernüchterung kommt aber vielzu bald.Spätestens nach der zweiten Seminarsitzunglöst sich die Vorfreude der naivenErstsemester auf, die rosige Fassade fälltund enthüllt den tiefgrauen drögen Alltagdahinter: Seminare nach dem Copy-Paste-Prinzip.Das bedeutet wiedergekäuteMeinungen, endlos aneinandergereihtelustlose Referate, keine Diskussion, keineKritik – gähnend gehen wir zugrunde.Ein jeder Student erlebt ihn in hübscherRegelmäßigkeit, mindestens einmalpro Semester: den müden Tod im Anderthalbstundentaktcum tempore. DerVersuch, eine kreative oder zumindestproduktive Arbeitsatmosphäre zu schaffen,erscheint schon von vornhereinals närrischer Idealismus angesichts dermassiven Wand aus Lethargie.Schuld am Niedergang der <strong>Lehre</strong> ist nebenvielem anderen vor allem der Studiosusselbst. Auch wenn es sich nichtschickt, das in einer Hochschulzeitungzu schreiben, die seit Jahrzehnten fürdieses fragwürdige Klientel Partei ergreift– einer muss hier endlich einmal aussprechen,was alle denken: Studentensind das Letzte, wirklich das Allerletzte.Da könnten junge hochmotivierte, sprichvom Moloch der Hochschule noch nichterschlagene Dozenten kilometerweitSchlange stehen, um die geistigen Felderder Studentenschaft mit den erlesenstenMethoden der Didaktik zu beackern; eswürde doch nichts nützen. Grundsätzlichsitzen in Seminare nämlich nur zweigroße Gruppen: die Desinteressiertenund die Selbstdarsteller. Appelle an einausdifferenzierteres Bild der Studentenschaftsind völlig zweckfrei und würdenlediglich der Papierverschwendung dienen,also spart sie euch und macht dieAugen auf: Es ist so!Der Desinteressierte zeichnet sich vornehmlichdadurch aus, die erste undwichtigste Lektion des modernen Studierensverinnerlicht zu haben: Augen zuund durch! Was zählt, ist der Schein, respektivedas virtuelle Häkchen bei Friedolin.Auf die Frage, wer denn den vorbereitendenText gelesen habe, reagierter mit gleichgültigem Schulterzucken.Kritische Einwände kommentiert er mitentnervtem Schnauben. Den Großteilder Seminarzeit über beschäftigt er sichjedoch entweder damit, zurückgelehntin die Leere zu starren oder aber aufseinem Laptop die neuesten Bildverlinkungenauf Social-Media-Plattformen zuchecken. Anzutreffen ist diese Gattungstets in den hinteren Reihen. Den Höhepunktseiner Beteiligung erlebt mangewöhnlich in den letzten Sitzungen vorder Prüfung, wenn er aus seinem Halbschlaferwacht und eine genaue prüfungsrelevanteZusammenfassung desStoffes innerhalb von zwanzig Minutenwünscht.Völlig entgegengesetzt, aber nicht mindernervtötend präsentiert sich der Selbstdarsteller.Er hat das alte Prinzip “Sehenund gesehen werden” an die spezifischeSeminarsituation angepasst: “Hören undgehört werden” mit besonderer Betonungauf dem zweiten Teil. Eine Sitzunggilt nur dann als sinnvoll investierteLebenszeit, wenn er in mehreren ausschweifendenMonologen die versammelteHörerschaft auf seine Eloquenzund Belesenheit hinweisen konnte.Ein Satz, der nicht mindestens dreiNebensätze und fünf Fremdwörterenthält, ist definitiv unter seinerWürde. Da nimmt er es auch gernein Kauf, dieses Konstrukt mit zehn„Ähs” und drei unfreiwilligenKunstpausen zu einerQual für den Zuhörer zumachen. Nichts beitragenzu könnenoder die Autoren,durch subtiles“Namedrop-ping” in den eigenen Beitrag eingeflochten,nicht einmal im Ansatz verstandenzu haben, hindert ihn in keinster Weisedaran, nicht die Klappe zu halten.Ganz im Gegenteil: Er schiebt seinenerhobenen Finger so aufdringlich in dasBlickfeld des Dozenten, dass man nurnoch das grundschultypische Schnipsenund Stöhnen zum Zwecke des Aufmerksamkeit-Erhaschensvermisst. Kurzum:Auch er ist einer angenehmen Seminaratmosphärein höchstem Maße abträglich.Zwischen diesen beiden Fronten eingekeilt,bleibt dem interessierten kritischenStudenten (irgendwo soll es ihn tatsächlichgeben) nur noch die Wahl zwischenExmatrikulation und Anpassung an einstudentisches Milieu, das Forderungendes Arbeitsmarktes schon längst zu seinemkategorischen Imperativ gemachthat: Was zählt, sind die Note auf demPapier und das nach außen vermittelteBild – nichts anderes.Philipp Böhm6
Titel<strong>Lehre</strong>? Zweimal PolemikWie ein Schluck Wasser in derKurve hing die Dozentin morgensum halb neun auf ihrem Stuhl.Vor ihr die übliche Latte macchiato imlila Becher amerikanischen Ausmaßesfür irgendwas um die drei Euro ausder Kaffeebude ihrer Wahl. Im Grundewar der Kaffee jedoch teurer gewesen,bedenkt man die versteckten Kosten.Sie hatte zusätzlich mit einer anderenWährung gelöhnt, deren Wert ein Dozentgerne einmal unterschätzt: mitstudentischer Zeit, kam sie mit dem Becherin der Hand doch regelmäßig zuspät. Wir warteten und sie ließ auf sichwarten. Das gute Beispiel – mit dem sieeigentlich vorangehen sollte – tapsteschlaftrunken hinterher und verkündeteWoche für Woche weit nach viertel, dasheutige Thema sei nicht unbedingt ihrSteckenpferd. Kaffeeschlürfend fröntesie der Selbstdemontage und Vertreibungunserer Motivation.Eines Morgens kam es dannnoch dicker.Selbstdemontage und PsychoterrorSie, die noch zu kürende Doktorin,unterbrach eine durchschnittlich referierendeGruppe und machte auf inhaltlicheUnstimmigkeiten aufmerksam,die im Grunde, so sagt es zumindest dasLehrbuch, ordentlich stimmig waren.Getuschel schwappte durch den Raum,das Wort Steckenpferd fiel mehrmals,und die betroffene Gruppe rechtfertigteihre Inhalte. Das gebellte Widerwortder Dozentin: „Ich habe kein Problemdamit, Sie hier sofort rundzumachen!“Einige Momente der Stille folgten, danneskalierte die Situation: Das Referat wurdeabgebrochen, Stimmen erhoben sichund am Ende schallte das Verbalduelldurch alle Flure. Sieger gab es nicht.Die beschriebene Situation ist ein Sonderfall,klar. Es ist nicht an der Tagesordnung,dass Dozenten so aus der Rollefallen, das Schreien beginnen und ihrenStudenten ganz unverhohlen mit psychischerGewalt drohen. Denn nichtsanderes ist es, wenn Dozenten ihrenStudenten so einheizen. Vielleicht umdie eigene Unwissenheit zu kaschieren,vielleicht, weil der eine Kaffee an diesemMorgen nicht ausreichte. Darüber,welche Auswirkungen solch ein Verhaltenauf schwächere studentische Gemüterhaben kann, lässt sich nur spekulieren.Die Folgen für ein Seminarsind hingegen einfach zu umreißen:Sie sind tödlich. Konformitätmacht sich breit, dasBildungsideal verkümmert.Das wirklichSchlimme daran: Als Dozent kann mansich selbstredend ein Benehmen wieeine offene Hose leisten – passiert janichts, trotz verbalen und anderen Aussetzernsitzt man letztlich am längerenHebel. Ganz egal, ob der Student dieMotivation fürs Seminar oder gleich fürsganze Fach verliert.Aber auch schon weniger harsche Fällekönnen die Seminarsituation einesganzen Semesters prägen. Was ist mitdem Dozenten, der schon lustlos aufschlägt,der jedes Referat für eigeneMonologe unterbricht? Oder mit derLehrkraft, die schon in der ersten Sitzungfestlegt, dass man sich nur allezwei Wochen treffen müsse, da ja nichtgenügend Referenten für alle Sitzungenvorhanden seien? Die in jeder Sitzungmit ihren Latein- und Griechischkenntnissenprahlt? Oder mit jener, die keinekonkreten Forderungen aufstellt, aberalles verlangt? Und mit den Fremdwortlawinen,die sie lostreten, um alleSeminarteilnehmer darunter zu begraben?Mit offenem und unterschwelligemMobbing durch die Lehrkraft, die Schleimerpreist und ausschließlich referierenlässt? Was ist mit der längst überfälligenFrage: Habt ihr sie noch alle?Es gibt tausend Wege, ein Seminar lahmzulegen– und die meisten Dozentenfinden sie mit schlafwandlerischer Sicherheit.Dass es auch anders geht,stellen leider zu wenige unter Beweis.Denen, die es schaffen, gebührt Dank.Sie lassen mühselige Dinge einfachererscheinen: das Aufstehen kurz nachsieben, das Durcharbeiten von 100 SeitenLektüre im Wochenrhythmus oderdas Verfassen von Essays zusätzlich zurSeminararbeit. Keine Verbalduelle, keinRundmachen. Nur eine ganz entspannteArbeitsatmosphäre.Christian FleigeFOTO: MAXIMILIAN GERTLER7