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<strong>Pfarrerin</strong> <strong>Martina</strong> S. Gnadt„Die Eltern haben saure Trauben gegessen, und <strong>de</strong>n Kin<strong>de</strong>rn wer<strong>de</strong>n die Zähne stumpf?“Über <strong>de</strong>n schwierigen, aber möglichen Umgang mit <strong>de</strong>n Schattenseiten unserer (Familien)GeschichteBibelarbeit zu Ezechiel 18,2-32Stille PostVielleicht erinnern Sie sich an dieses beliebte Spiel bei Kin<strong>de</strong>rgeburtstagen: Die ersteflüstert ein Wort ins Ohr ihres Nachbarn, <strong>de</strong>r gibt das Gehörte weiter an seine Nachbarinund so fort, bis das, was am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Flüsterreihe angekommen ist, laut verkün<strong>de</strong>t wirdund meist zu viel Gelächter führt, <strong>de</strong>nn schon unterwegs wur<strong>de</strong> das ursprüngliche Wortumgehört und abgewan<strong>de</strong>lt. Manchmal hat man versucht, <strong>de</strong>m, was einer da zugerauntwur<strong>de</strong>, noch einen Sinn abzugewinnen o<strong>de</strong>r man hat mit Genuss das vernommeneKau<strong>de</strong>rwelsch noch verschlimmert. Kaum ein Wort hat die Run<strong>de</strong> ganz unbescha<strong>de</strong>tüberstan<strong>de</strong>n.Stille Post <strong>–</strong> mit diesem Stichwort lässt sich auch bezeichnen, was als Teil <strong>de</strong>rFamiliengeschichte von einer Generation an die an<strong>de</strong>re weiter gegeben wird. Mancheswird ausgesprochen, an<strong>de</strong>res durch Schweigen o<strong>de</strong>r nur in An<strong>de</strong>utungen undunverständlich weiter gegeben. Ich erinnere mich an Geschichten, die mir meine Mutterimmer wie<strong>de</strong>r erzählt hat, von ihrer Jugend und Ausbildung, von Freundinnen, vom Kriegin Berlin; lauter Anekdoten, die sie mir gern und oft erzählt hat. Mit an<strong>de</strong>ren Geschichtenverbin<strong>de</strong> ich Traurigkeit, die mir nur an<strong>de</strong>utungsweise vermittelt wur<strong>de</strong>. Später wun<strong>de</strong>rteich mich, wie viel nicht erzählt o<strong>de</strong>r nur ange<strong>de</strong>utet wur<strong>de</strong>; die Anekdoten fügten sich nurschwer zu einem größeren Ganzen, zur Geschichte meiner Familie, zu meinerGeschichte. So wird in je<strong>de</strong>r Familie nicht nur Materielles vererbt, son<strong>de</strong>rn auchImmaterielles: Erinnerungen, Gedanken, Gefühle, Vorstellungen. Eltern und Großeltern,manchmal sogar unbekannt gebliebene Verwandte, hinterlassen ihre Spuren im Leben<strong>de</strong>r nachfolgen<strong>de</strong>n Generationen, <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r, Enkel, Nichten und Neffen.Christina von Braun (Jahrgang 1944), Autorin, Filmemacherin, Kulturwissenschaftlerin,geht diesem oft nicht so recht greifbaren, aber sehr wirksamen Teil <strong>de</strong>s Familienerbesnach. In ihrem Buch mit <strong>de</strong>m bezeichnen<strong>de</strong>n Titel „Stille Post“ möchte sie „etwas von <strong>de</strong>maufspüren, was nicht in die offizielle Geschichtsschreibung eingeflossen ist. Es gab immerschon eine spezifisch ‚weibliche’ Nachrichtenkette, die aus Familiengeheimnissen o<strong>de</strong>r<strong>de</strong>m Unsagbaren bestand“ (S. 14) und sich eher in Tagebüchern, Geschichten undAn<strong>de</strong>utungen als in offiziellen Dokumenten äußert. Neben diesen verschwiegenenBotschaften, die oft nicht entschlüsselt und sehr verän<strong>de</strong>rt in die nächste Generationgelangen, gibt es dazu noch eine an<strong>de</strong>re Form <strong>de</strong>r familiären Hinterlassenschaft, die vonBraun ebenfalls zur „Stillen Post“ zählt: unerledigte Aufträge und unabgeschlosseneDossiers. Da ist etwas abgebrochen in <strong>de</strong>r Vorgeneration, nicht erledigt wor<strong>de</strong>n, nicht zurRuhe gekommen, und es bahnt sich <strong>–</strong> unausgesprochen o<strong>de</strong>r ange<strong>de</strong>utet <strong>–</strong> seinen Wegzu <strong>de</strong>n Kin<strong>de</strong>rn und Enkeln. Die wissen vielleicht gar nichts davon, die merken nur, dawar etwas.So ist es Christina von Braun mit <strong>de</strong>r Mutter ihrer Mutter ergangen: „Diese Großmutter,Hil<strong>de</strong>gard Margis, war Anlass für dieses Buch. Es war nicht einfach, Genaues über sie zu_____________________________________________________________________________© Kath. Bibelwerk e.V., Postfach 150365, 70076 Stuttgart <strong>–</strong> Tel. 0711/61920-50, Fax 0711/61920-77<strong>www</strong>.<strong>bibelwerk</strong>.<strong>de</strong> <strong>–</strong> bibelinfo@<strong>bibelwerk</strong>.<strong>de</strong>1


erfahren ... Meine Mutter, die wie ihre Mutter Hil<strong>de</strong>gard hieß, besaß so gut wie nichts vonihr. Es kann aber auch sein, dass sie nichts aufbewahrt hat. Sie wollte ihre Mutter, glaubeich, gerne vergessen. Dennoch hat sie sie ihr Leben lang nicht losgelassen. Das muss ichschon als Kind gespürt haben.“ (S. 10) Als erwachsene Frau geht sie schließlich diesemGefühl nach, dass da etwas für sie Wichtiges war. Was sie mühsam, aber erfolgreichüber das Leben und <strong>de</strong>n frühen Tod ihrer Großmutter zusammenträgt, hilft ihr, die „stillePost“ dieser Frau nachträglich zu verstehen, die Erbschaften, die ihre Mutter nichtannehmen wollte o<strong>de</strong>r konnte. Von Braun sieht auf <strong>de</strong>m Hintergrund <strong>de</strong>ssen, was sieüber ihre Großmutter ausgegraben hat, „die Depressionen meiner Mutter als einen Teil<strong>de</strong>r ‚stillen Post’..., als Botschaften, die keine ‚klare Sprache’ gefun<strong>de</strong>n haben.“ (S. 15).„So sind auch die Wun<strong>de</strong>n <strong>de</strong>ines Lebens bei mir angekommen“Es ist spannend zu lesen, wie Christina von Braun in Briefen, Tagebüchern undErzählungen <strong>de</strong>n Botschaften und Aufträgen ihrer Vorfahren auf die Spur kommt. Sie trittin einen Dialog mit <strong>de</strong>r Großmutter und schreibt ihr während ihrer Recherchen immerwie<strong>de</strong>r Briefe. Am En<strong>de</strong> schreibt sie: „Erst bei <strong>de</strong>r Lektüre dieser Briefe, Tagebücher undMemoiren wur<strong>de</strong> mir klar, wie viel von <strong>de</strong>m, was ihr durchlebt habt, in meinem Leben undin meiner Arbeit <strong>–</strong> meinen Filmen, meinen Büchern <strong>–</strong> wie<strong>de</strong>r aufgetaucht ist. Ohne dassich es ahnte, habe ich Eure Erfahrungen zu verarbeiten versucht <strong>–</strong> so als müsse je<strong>de</strong>Generation die unabgeschlossenen Dossiers <strong>de</strong>r vorigen zu En<strong>de</strong> führen. Auch unsereKin<strong>de</strong>r wer<strong>de</strong>n unsere Erfahrungen als ‚Wie<strong>de</strong>rvorlage’ vorfin<strong>de</strong>n. Nur EureHinterlassenschaft war beson<strong>de</strong>rs groß. Meine Generation hat Jahrzehnte gebraucht, umdas aufzuarbeiten, was <strong>de</strong>ine Generation angerichtet o<strong>de</strong>r erlitten hat.“ (S. 405)Angerichtetes o<strong>de</strong>r Erlittenes, bei<strong>de</strong>s.Am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Buchs hat man das Gefühl, da ist etwas zur Ruhe gekommen <strong>–</strong> auch imVerhältnis zwischen Christina von Braun und ihrer Mutter, auch im Selbstverständnisdieser kreativen Frau, die ihre eigenen Ambitionen und Sensibilitäten besser verstehenkann, weil sie „ihre“ Geschichte nun kennt, weil sie das Versteckte ent<strong>de</strong>ckt, dasVerschwiegene gehört hat und vor allem, weil sie <strong>–</strong> an<strong>de</strong>rs als ihre Mutter <strong>–</strong> dieSchattenseiten, die Geheimnisse, ihrer Familie annehmen kann. Hier wird <strong>de</strong>utlich, was<strong>de</strong>r recht technische Ausdruck „Aufarbeitung“ von Familiengeschichte für einenMenschen be<strong>de</strong>uten kann: Arbeit, Konzentration, Gespräch mit längst Verstorbenen un<strong>de</strong>rinnerungswilligen Leben<strong>de</strong>n, verstehen wollen und, was man nicht versteht o<strong>de</strong>r wasschwer fällt, anzunehmen, stehen lassen. In diesem Sinne kann von Braun nochnachträglich und mit großer Ruhe und Klarheit zu ihrer Großmutter ‚sagen’: „So sind auchdie Wun<strong>de</strong>n <strong>de</strong>ines Lebens bei mir angekommen.“ (S. 22).Problematische ErbschaftenDass die unausgesprochenen, unbewussten Erbschaften in <strong>de</strong>r Familie oftmalszerstörerisch wirken, zumal, wenn sie unbewusst bleiben, wird auch von <strong>de</strong>rFamilientherapie und <strong>de</strong>r Seelsorge bestätigt. Auch hier trifft man auf das Muster <strong>de</strong>r„stillen Post“: Es sind nicht nur die biografischen Erfahrungen, „die sich im Leben vonMenschen als störend und lebenshemmend auswirken. Es sind auch die Erfahrungen <strong>de</strong>rEltern, manchmal auch die <strong>de</strong>r Großeltern, Tanten und Onkel …, die eine zunächstunerklärliche Dynamik im Leben einzelner entfalten.“ (Burbach, Väter, 80)_____________________________________________________________________________© Kath. Bibelwerk e.V., Postfach 150365, 70076 Stuttgart <strong>–</strong> Tel. 0711/61920-50, Fax 0711/61920-77<strong>www</strong>.<strong>bibelwerk</strong>.<strong>de</strong> <strong>–</strong> bibelinfo@<strong>bibelwerk</strong>.<strong>de</strong>2


Es gibt offenbar so etwas wie ein „Familiennetz“ (Krüll), unsichtbare Ban<strong>de</strong> und Kanäle,die uns bei aller Individualität in einen größeren biografischen Zusammenhang einbin<strong>de</strong>nund uns nicht nur beson<strong>de</strong>re Stärken und Talente zukommen lassen, son<strong>de</strong>rn auchbeson<strong>de</strong>re Belastungen und Herausfor<strong>de</strong>rungen. Und das in Form <strong>de</strong>r „stillen Post.Solche Erbschaften von unabgeschlossenen Dingen können problematischeAuswirkungen in <strong>de</strong>r nächsten und übernächsten Generation haben:I<strong>de</strong>ntitätsunsicherheit, Herabsetzung <strong>de</strong>s Selbstwertgefühls, psychische undpsychosomatische Erkrankungen, problematische Lebensskripte, Selbstschädigung.„Die Eltern haben saure Trauben gegessen, und <strong>de</strong>n Kin<strong>de</strong>rn wer<strong>de</strong>n die Zähne stumpf“Was mich erstaunt, ist, wie alt diese Erfahrung mit <strong>de</strong>n Erbschaften von unbewältigtenDingen ist. So lautet ein in Israel schon im 6. Jh. v. Chr. verbreitetes Sprichwort: „DieVäter haben saure Trauben gegessen, aber <strong>de</strong>n Kin<strong>de</strong>rn sind die Zähne davon stumpfgewor<strong>de</strong>n.“ (Ez 18,2, Rev. Lutherübersetzung). Das geflügelte Wort kommt aus <strong>de</strong>rPerspektive <strong>de</strong>r Generation <strong>de</strong>r erwachsenen Kin<strong>de</strong>r. Leid, Resignation undHoffnungslosigkeit spricht aus ihrer wie<strong>de</strong>rholten Klage: „Verfehlt haben sich unsere Väterund Mütter; sie sind nicht mehr da. Aber wir: Ihre Verschuldungen müssen wir tragen.“(Klgl 5,2, BigS) Hier spricht eine Nachkriegsgeneration, die schwer trägt an <strong>de</strong>r Last einesgesellschaftlichen, politischen und sozialen Zusammenbruchs mit ungewissem Ausgang,<strong>de</strong>r das Leben <strong>de</strong>r Familien und <strong>de</strong>r Einzelnen beschädigt. GemeinsameLebensgeschichten, Familien- und Freundschaftsban<strong>de</strong> zerreißen, Zukunftsplänezerbrechen, Heimat und Geborgenheit entgleiten. Der Prophet Ezechiel und seineZeitgenossinnen und Zeitgenossen erleben <strong>de</strong>n Krieg gegen Babylon, die Zerstörungihres Lan<strong>de</strong>s. Sowohl die nach Babylon Deportierten als auch die im Land Verbliebenensehen nicht, wie es weitergehen kann und erleben sich als machtlos. „Wie sind wir dahineingeraten?“, fragen sie und erleben die Übermacht <strong>de</strong>r Vergangenheit, die sich ihrerGegenwart bemächtigt und keinen Spielraum für eigene Entscheidungen undHandlungen, für eigenes Leben lässt.„Wo aber die Gegenwart von ihrer Vergangenheit eingeholt wird, dort ist immer einWohnort <strong>de</strong>s To<strong>de</strong>s“, sagt <strong>de</strong>r Dichter und Schriftsteller Erich Fried, <strong>de</strong>r 1933 mitsiebzehn Jahren von <strong>de</strong>n Nazis ins Exil nach London getrieben wur<strong>de</strong> und bis zu seinemTod dort blieb. Die Übermacht <strong>de</strong>r Vergangenheit, die nicht vergeht. Fried hat dabei einebestimmte Vergangenheit vor Augen: begangene und erlittene Vergehen in <strong>de</strong>r Nazizeit.Und er sieht, wie sie sich über <strong>de</strong>n Tod <strong>de</strong>r unmittelbar Betroffenen hinaus auswirkt:Geschichten, in <strong>de</strong>nen Unrecht verübt und erlitten wur<strong>de</strong> wie das von Hil<strong>de</strong>gard Margis;Geschichten, die nur schwer zur Ruhe kommen, weil die Schuld, die begangen un<strong>de</strong>rlitten wur<strong>de</strong>, we<strong>de</strong>r mit <strong>de</strong>r Zeit noch mit <strong>de</strong>m Vergessen(wollen) verschwin<strong>de</strong>t. Inseinem Roman „Ein Soldat und ein Mädchen“ bietet Fried dafür einen eindrücklichenGedanken: „Stell dir vor: da ist die Schuld, und da war auch <strong>de</strong>r Mensch, <strong>de</strong>r sie trägt.Aber was tut diese Schuld weiter, wenn <strong>de</strong>r Mensch, <strong>de</strong>r sie tragen will, tot ist? Stell direinmal vor, du bist selber diese Schuld! Nicht wahr, das ist, wie wenn man dir <strong>de</strong>in Pferdunter dir erschießt? Also, was tut die Schuld? Ganz einfach: sie sucht sich ein neuesPferd zum Reiten.“ (Grotjahn, Und vergib, 76)So fühlen sich viele Menschen als Lasttiere für die Schuld ihrer Väter und Mütter: Belastetmit einem schwierigen Erbe, das meist unausgesprochen und uneingestan<strong>de</strong>n von einerGeneration an die nächste weiter gegeben wird. Wie von Brauns Geschichte zeigt, sind_____________________________________________________________________________© Kath. Bibelwerk e.V., Postfach 150365, 70076 Stuttgart <strong>–</strong> Tel. 0711/61920-50, Fax 0711/61920-77<strong>www</strong>.<strong>bibelwerk</strong>.<strong>de</strong> <strong>–</strong> bibelinfo@<strong>bibelwerk</strong>.<strong>de</strong>3


dabei das Politische und das Private miteinan<strong>de</strong>r verbun<strong>de</strong>n; das Persönliche und dasGesellschaftliche durchdringen sich. Und die „Kin<strong>de</strong>r“ müssen sehen, wie sie klarkommenmit <strong>de</strong>m Nachgeschmack <strong>de</strong>r sauren Trauben, die nicht sie gegessen haben, mit <strong>de</strong>nunverdaulichen Brocken, die nicht sie eingebrockt haben. Ezechiels und über mehr alszwei Jahrtausen<strong>de</strong> hinweg auch Frieds Generation zeigen einmal mehr, wie sehr solchesErbe das Leben <strong>de</strong>r Nachfolgen<strong>de</strong>n lähmen und beschädigen kann <strong>–</strong> damals wie heute.Ein Gott <strong>de</strong>r Vergeltung über Generationen hinweg?Der Ernst <strong>de</strong>r Gefährdung und Beschädigung <strong>de</strong>s Lebens durch verübte und erlitteneSchuld drückt sich auch in <strong>de</strong>m schwierigen Wort von Gott als Rächer überGenerationengrenzen hinaus aus: „Denn ich, <strong>de</strong>r Herr, <strong>de</strong>in Gott, bin ein eifern<strong>de</strong>r Gott(hänge lei<strong>de</strong>nschaftlich an dir, übersetzt die Bibel in gerechter Sprache), <strong>de</strong>r dieMissetaten <strong>de</strong>r Väter heimsucht bis ins dritte und vierte Glied an <strong>de</strong>n Kin<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>rer, diemich hassen.“ (Ex 20,5) Hier liegt <strong>de</strong>r Kern <strong>de</strong>r Vorstellung von vererbter Schuld. Schuldsucht sich ein Lasttier, Gott sucht sich eine/n, die/<strong>de</strong>r bezahlt <strong>–</strong> auch überGenerationsgrenzen hinweg. Das ist eine Furcht erregen<strong>de</strong> Vorstellung, die einenzwangsläufig in die Dauergrübelschleife schickt: „Was habe ich getan, dass es mir soschlecht geht? Muss ich die Probleme meiner Eltern ausba<strong>de</strong>n? Bin ich das schwarzeSchaf in meiner Familie? Muss ich mich vor Gottes Vergeltung fürchten?“ o<strong>de</strong>r auch„Legen uns die Entscheidungen <strong>de</strong>r Generation vor uns fest? Müssen wir die Last ihresTuns und Lassens abtragen?“ Hier treffen theologische und seelsorgerliche Fragenaufeinan<strong>de</strong>r. Fragen nach <strong>de</strong>m eigenen Gottesbild und Gottvertrauen und Fragen nach<strong>de</strong>r eigenen Familiengeschichte, <strong>de</strong>r „stillen Post“ und <strong>de</strong>m sauren Erbe. Was mache ichmit <strong>de</strong>n Schattenseiten meiner Familiengeschichte, und was machen sie mit mir? Letztlichbetrifft solches Fragen das Thema Festlegung <strong>de</strong>r Person bzw. Freiheit undVerantwortung: Legt mich meine Herkunft fest? Wer<strong>de</strong> ich für meine Mutter, meinen Vatergestraft? Bin ich Sün<strong>de</strong>nbock für an<strong>de</strong>re? Und: Wer trägt die Verantwortung für das, wasich bin und was ich kann, was ich nicht wer<strong>de</strong>n konnte und nicht im Stan<strong>de</strong> war zu tun?Solange wir uns selbst im engen Rahmen <strong>de</strong>r Vorstellung von Vererbung und Vergeltung,Schuld und Strafe bewegen, wer<strong>de</strong>n wir kaum eigenen Entscheidungs- undHandlungsspielraum für uns als Individuen und als Generation wahrnehmen. Was aberwäre <strong>de</strong>m Sprichwort <strong>de</strong>r sauren Trauben entgegenzusetzen? Und was <strong>de</strong>r schrecklichenVorstellung vom Rachegott?Je<strong>de</strong>r ist seines Glückes Schmied?Schon in <strong>de</strong>r Bibel hat die Vorstellung <strong>de</strong>r Festlegung durch Schuld massivenWi<strong>de</strong>rspruch provoziert. Mit ihrem Aufkommen ist die Vorstellung vom Rachegott sofortrelativiert wor<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>nn das Wort von Gott, „<strong>de</strong>r die Missetat <strong>de</strong>r Väter heimsucht bis insdritte und vierte Glied“ sagt weiter: „[<strong>de</strong>r] aber Barmherzigkeit erweist an vielentausen<strong>de</strong>n, die mich lieben und meine Gebote halten.“ (Ex 20,6) Gott, <strong>de</strong>r lei<strong>de</strong>nschaftlichan mir hängt, will mir barmherzig begegnen; das aber macht ihn nicht blind; er kann nichtvon Recht und Unrecht absehen, aber steht auch nicht neutral zwischen bei<strong>de</strong>m, ist nichtin gleichem Maße Rächer und barmherzig Lieben<strong>de</strong>r. Schon hier wird <strong>de</strong>mVergeltungsgedanken die Barmherzigkeit Gottes gegenübergestellt und fällt schwerer insGewicht. Ezechiel geht da noch einen großen Schritt weiter. Im Namen Gottes bestreiteter rundum die Gültigkeit <strong>de</strong>s Wortes von <strong>de</strong>n sauren Trauben: „dies Sprichwort soll nichtmehr umgehen in Israel.“(Ez 18,3) Was folgt, ist ein ausführlicher Einspruch gegen das(Ver)Erben von Schuld, ein argumentreiches Zerreißen <strong>de</strong>r unheilvollen_____________________________________________________________________________© Kath. Bibelwerk e.V., Postfach 150365, 70076 Stuttgart <strong>–</strong> Tel. 0711/61920-50, Fax 0711/61920-77<strong>www</strong>.<strong>bibelwerk</strong>.<strong>de</strong> <strong>–</strong> bibelinfo@<strong>bibelwerk</strong>.<strong>de</strong>4


Generationenkette, ein Quantensprung von <strong>de</strong>r Sippenhaftung zur Selbstverantwortung,<strong>de</strong>r nachvollzogen, verinnerlicht und gelebt wer<strong>de</strong>n will.Die bei<strong>de</strong>n Alternativen <strong>–</strong> Sippenhaftung o<strong>de</strong>r Selbstverantwortung <strong>–</strong> prallen auch in einer<strong>de</strong>r Re<strong>de</strong>n Hiobs hart aufeinan<strong>de</strong>r; auch hier in <strong>de</strong>r Form von Sprichwort und Gegenre<strong>de</strong>:„Gott spart das Unglück <strong>de</strong>s Gottlosen auf für <strong>de</strong>ssen Kin<strong>de</strong>r.“ (21,19) Die Gegenre<strong>de</strong>darauf im selben Vers: „Er vergelte es ihm [<strong>de</strong>m Gottlosen] selbst, dass er’s spüre!“ Gottsorgt für ausgleichen<strong>de</strong> Gerechtigkeit, hier allerdings noch im Modus <strong>de</strong>r Strafe, abernicht mehr über das eigene Leben, über die Generationsgrenze hinaus.Ezechiel geht auch hier einen großen Schritt weiter. Gott selbst bestreitet nicht einfachnur die Gültigkeit <strong>de</strong>s Sprichworts <strong>de</strong>r sauren Trauben und damit die Gesetzmäßigkeit <strong>de</strong>rlähmen<strong>de</strong>n Schuldvererbung und Festlegung durch die Eltern, er liefert selbst mehrfachArgumente, damit die Menschen sich nicht länger als Lasttiere für frem<strong>de</strong> Schuld fühlenmüssen; damit sie Freiheit und Verantwortung für ihr eigenes Leben ent<strong>de</strong>cken undübernehmen können. Zentral für diese Argumentation ist das Bild, das die langeGottesre<strong>de</strong> (Ez 18,3-32) von Gott selbst zeichnet. Und zum an<strong>de</strong>ren ist es wichtig, wieGott die Eltern und die Kin<strong>de</strong>r sieht. Darin steckt <strong>de</strong>r Keim für ein neues, befreien<strong>de</strong>sSelbstverständnis und für einen neuen, befreien<strong>de</strong>n Blick auf die eigeneFamiliengeschichte.Gott hat Gefallen am Leben, nicht am TodGott erscheint hier als lei<strong>de</strong>nschaftlicher Anwalt, <strong>de</strong>r sich für die persönliche Freiheit unddie Verantwortung je<strong>de</strong>s einzelnen einsetzt und dies auch vehement gegen Einsprücheverteidigt. Was Gott sagt, soll überzeugen, nicht überwältigen. Darum greift Gottmehrfach die möglichen Gegenargumente auf und sucht <strong>de</strong>n Dialog. Darin ist Gott ein„Du“, wie es <strong>de</strong>r jüdische Religionsphilosoph Martin Buber immer wie<strong>de</strong>r betont hat. Das„Du“, das mich anspricht, mich meint, mich, in je<strong>de</strong>m Augenblick meines Lebens. Dem ichnicht egal bin. Und so gipfelt die Gottesre<strong>de</strong> auch in <strong>de</strong>r engagierten Frage: „Meinst du,dass ich Gefallen habe am Tod <strong>de</strong>s Gottlosen ... und nicht vielmehr daran, dass er sichbekehrt von seinen Wegen und am Leben bleibt?“ (Ez 18,23) Gott will, dass wir lebenkönnen <strong>–</strong> in Freiheit und Verantwortung für unser Leben. Davon will er uns überzeugen.Gott ist <strong>–</strong> und das ist die Kehrseite <strong>–</strong> nicht Garant eines Vererbungsmechanismus voneiner Generation zur an<strong>de</strong>ren. Wer von „Erbsün<strong>de</strong>“ im Sinne einer unheilvollenGenerationenverkettung spricht, hat Gott nicht auf seiner Seite. Wer sich selbst o<strong>de</strong>reinen an<strong>de</strong>ren als Sün<strong>de</strong>nbock sieht, ein Lasttier frem<strong>de</strong>r Schuld, hat Gott nicht aufseiner Seite. Vielmehr sucht Gott die Beziehung zu je<strong>de</strong>m einzelnen Menschen: „Dennsiehe, alle Menschen gehören mir, die Väter gehören mir so gut wie die Söhne“ (V.4). Ichempfin<strong>de</strong> das wie eine Grundlegung für alles an<strong>de</strong>re: Ich gehöre zu Gott, meinemhimmlischen Vater. Wir „Kin<strong>de</strong>r“ sind nicht an unsere Eltern gekettet. In<strong>de</strong>m Gott quasidazwischentritt, löst er die Familienban<strong>de</strong>, relativiert sie. Unwillkürlich atme ich durch.Diese Freiheit hängt aber auch an <strong>de</strong>m, was ich mit <strong>de</strong>r Beziehung zu Gott verbin<strong>de</strong>.Dass mich auch diese nicht erdrückt und überwältigt und mich mir selbst entfrem<strong>de</strong>t, dasist wichtig.Gott gewährt Freiraum und schenkt Freiheit und Leben, in<strong>de</strong>m Gott die Eltern <strong>–</strong> Väter undMütter <strong>–</strong> und die Kin<strong>de</strong>r <strong>–</strong> Söhne und Töchter <strong>–</strong> als einzelne Menschen je für sich sieht,nicht als Vorfahren o<strong>de</strong>r Abkömmlinge, nicht als Rädchen im Generationengetriebe. Um_____________________________________________________________________________© Kath. Bibelwerk e.V., Postfach 150365, 70076 Stuttgart <strong>–</strong> Tel. 0711/61920-50, Fax 0711/61920-77<strong>www</strong>.<strong>bibelwerk</strong>.<strong>de</strong> <strong>–</strong> bibelinfo@<strong>bibelwerk</strong>.<strong>de</strong>5


die Menschen davon zu überzeugen, dass Schuld sich nicht vererbt und die Untaten <strong>de</strong>rVorfahren uns nicht festlegen, bringt Gott ein Beispiel, das mir für unsere Überlegungenbeson<strong>de</strong>rs hilfreich erscheint: Ein gewalttätiger Mensch, <strong>de</strong>r über die Gewalt hinaus auchnoch an<strong>de</strong>res Unrecht verübt, hat einen erwachsenen Sohn (V. 14ff). Der sieht alles, wassein Vater tut, aber distanziert sich davon und tut das alles nicht. Vielmehr richtet er seinTun und Lassen an Gottes Weisungen aus. Über diesen Sohn sagt Gott: „Der soll nichtsterben um <strong>de</strong>r Schuld seines Vaters willen, son<strong>de</strong>rn soll am Leben bleiben.“Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm?Zwei Dinge fallen am Beispiel dieses Sohns auf: Einmal, <strong>de</strong>r Sohn hat die Freiheit, sichfür einen an<strong>de</strong>ren Weg als <strong>de</strong>n seines Vaters zu entschei<strong>de</strong>n. Das setzt das Beispielvoraus, und zugleich spricht Gott damit auch je<strong>de</strong>m Menschen diese Freiheit zu: Dukannst an<strong>de</strong>rs. Das Beispiel zeigt: Das gibt es, das ist möglich. Das belasten<strong>de</strong> Verhalteneines gewalttätigen Vaters wirkt sich im Leben eines Sohnes, einer Tochter aus; aber esmuss ihn, muss sie nicht zwangsläufig gewalttätig machen. Und auch nicht zurLastenträgerin <strong>de</strong>r Schuld, nicht zum Sün<strong>de</strong>nbock. Und das an<strong>de</strong>re: Dieser Sohn siehthin, wird ausdrücklich gesagt. Er verdrängt die Geschichte seines Vaters nicht, wür<strong>de</strong>nwir heute sagen. Darin vermute ich einen Teil seiner Freiheit und Eigenständigkeit, weil er<strong>de</strong>m, was er sieht, begegnen und sich bewusst an<strong>de</strong>rs entschei<strong>de</strong>n kann. Die Gottesre<strong>de</strong>betont <strong>de</strong>utlich, wie sehr sich <strong>de</strong>r Sohn vom Vater unterschei<strong>de</strong>t (V. 14-18). Wiehartnäckig das Denken in Festlegungen ist („Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm“), zeigtsich darin, dass auf dieses Beispiel sofort die vom Gegenteil überzeugte Nachfrage folgt:„Warum soll <strong>de</strong>nn ein Sohn nicht die Schuld seines Vaters tragen?“ (V. 19) Wohlgemerkt,das fragen die, die selbst schwer an <strong>de</strong>r Vergangenheit tragen. Scheinbar ist es unendlichschwer zu glauben, dass einer neu anfangen kann, auch wenn er auf eine belasten<strong>de</strong>Vergangenheit blicken muss <strong>–</strong> o<strong>de</strong>r besser, dass er neu anfangen kann, weil er auf seinebelasten<strong>de</strong> Vergangenheit blicken kann. Er sieht das Fehlverhalten und blen<strong>de</strong>t auchnicht die Wun<strong>de</strong>n aus, die das bei sich und an<strong>de</strong>ren geschlagen hat. Traurigkeit, Wut undvielleicht auch Verzweiflung wer<strong>de</strong>n ihm nicht erspart bleiben. So eine Familiengeschichtebelastet. Wür<strong>de</strong> er sich alle<strong>de</strong>m aber verschließen, wür<strong>de</strong> eine neue „stille Post“weitergegeben an die Kin<strong>de</strong>r, die nur ahnen können: Da war etwas. So aber gilt: „Der sollnicht sterben um <strong>de</strong>r Schuld seines Vaters willen, <strong>de</strong>r soll am Leben bleiben.“ Das hatGewicht: <strong>de</strong>r soll am Leen bleiben.Leben gestalten, för<strong>de</strong>rn, vermehrenWahrscheinlich befrem<strong>de</strong>t uns das sehr, dass das Leben, das Gott zuspricht, an etwasgebun<strong>de</strong>n ist. Dass Gott es verweigert, wenn das, was gefor<strong>de</strong>rt ist, nicht erbracht wird.Ich möchte bewusst nicht von „Bedingungen“ sprechen, die „garantieren“ wür<strong>de</strong>n, dasseine/r am Leben bleibt und es nicht verliert, sich nicht verliert. Die Gottesre<strong>de</strong> verrät beiallem Leben-geben-wollen Gottes, dass Leben im Vollsinn <strong>de</strong>s Wortes <strong>–</strong> Wohl sein undWohl schaffen, Gesundheit an Leib und Seele, Frie<strong>de</strong>n, inneren und äußeren, Glück undGemeinschaft <strong>–</strong>, dass all das daran gebun<strong>de</strong>n ist, dass wir Verantwortung übernehmenund verantwortlich leben für uns selbst und an<strong>de</strong>re. Keiner ist nur seines GlückesSchmied. Das wollen die vielen Aufzählungen in <strong>de</strong>r Gottesre<strong>de</strong> <strong>de</strong>utlich machen, die klarbenennen, wer wann gerecht bzw. ungerecht o<strong>de</strong>r gottlos ist. Einen weiterführen<strong>de</strong>nGedanken dazu habe ich in einem Ezechiel-Kommentar gefun<strong>de</strong>n: „Gerechtigkeit undGottlosigkeit ... sind nicht nur Ursachen, son<strong>de</strong>rn Mächtigkeiten, die Leben und Tod insich selber tragen.“ (Zimmerli, Ezechiel, 412) Die Gottesre<strong>de</strong> bietet keine Belehrung über_____________________________________________________________________________© Kath. Bibelwerk e.V., Postfach 150365, 70076 Stuttgart <strong>–</strong> Tel. 0711/61920-50, Fax 0711/61920-77<strong>www</strong>.<strong>bibelwerk</strong>.<strong>de</strong> <strong>–</strong> bibelinfo@<strong>bibelwerk</strong>.<strong>de</strong>6


„Risiken und Nebenwirkungen“ in punkto Leben, son<strong>de</strong>rn eine Schau auf das Leben. Esgibt menschliches Verhalten, das trägt Leben in sich, bejaht und beför<strong>de</strong>rt Leben; undVerhalten, das trägt Tod in sich, verneint und verhin<strong>de</strong>rt Leben. Diese Lebenserfahrungsoll und kann je<strong>de</strong> Generation und je<strong>de</strong>r Mensch für sich neu machen. Im Exil, imzerstörten Land, bei <strong>de</strong>r Rückkehr nach Jahren Leben in <strong>de</strong>r Frem<strong>de</strong> stehen Ezechiel undseine Zeitgenossen vor dieser Aufgabe: Leben gestalten, för<strong>de</strong>rn, vermehren. Mit <strong>de</strong>mWissen um unsere schwierige <strong>de</strong>utsche Vergangenheit, mit <strong>de</strong>m Einblick in familiäreTäter- und Mittäterschaften und <strong>de</strong>m Wissen um Leid und Wun<strong>de</strong>n in unseren undan<strong>de</strong>ren Familien stehen wir heute vor <strong>de</strong>rselben Aufgabe: Leben gestalten, för<strong>de</strong>rn,vermehren <strong>–</strong> und vielleicht auch vor <strong>de</strong>r Aufgabe, noch so manches in unserempersönlichen Leben ins Reine zu bringen, um an<strong>de</strong>re, Nachkommen<strong>de</strong> nicht zu belasten.Vielleicht müssen wir unseren Kin<strong>de</strong>rn und Enkeln noch einiges erzählen, auch wenn esschwer fällt, damit es nicht unausgesprochen weiterwirkt. Vielleicht muss sich manchenoch einmal mit ihrer Familie beschäftigen, Verständnis aufbringen für die Lebensleistung<strong>de</strong>r Mutter, <strong>de</strong>s Vaters, <strong>de</strong>r Großeltern und sich abgrenzen von ihren unausgesprochenenAnsprüchen und unerledigten Aufgaben o<strong>de</strong>r sie aufnehmen und in Eigenes verwan<strong>de</strong>ln.Noch einmal hören wir Christina von Braun im Brief an ihre Großmutter: „Draußen wird esallmählich dunkel ... Drüben, auf <strong>de</strong>m Berg gegenüber, wo unser Elektriker wohnt, wer<strong>de</strong>njetzt die Lichter angemacht. Er war übrigens neulich hier und meinte, bei uns sei einBlitzableiter unsinnig ... Deshalb bleiben die großen Stromentladungen bei uns weiterhinohne Kanalisierung <strong>–</strong> sie suchen sich einfach ihren Weg. Ich dachte noch, mit <strong>de</strong>r „StillenPost“ ist es ähnlich: Irgendwann treffen dich ihre Botschaften <strong>–</strong> und du weißt vorher nicht,in welcher Form sie dich wie<strong>de</strong>r verlassen wer<strong>de</strong>n ... Adieu, liebe Großmutter, DeineBotschaften sind bei mir angekommen, und ich habe sie weitergegeben, so gut ichkonnte.“ (von Braun, 406)LITERATUR- von Braun, Christina, Stille Post. Eine an<strong>de</strong>re Familiengeschichte, Berlin 3 2007.- „Köstliche Küche. Anleitungen zum elektrischen Kochen“, herausgegeben von <strong>de</strong>rHaushaltschule <strong>de</strong>r Arbeitsgemeinschaft zur För<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Elektrowirtschaft e.V.,Berlin 5 1935.- Burbach, Christiane, „Die Väter haben saure Trauben gegessen und <strong>de</strong>n Kin<strong>de</strong>rn...? (Jer 31,29) Wie ungelöste Probleme in <strong>de</strong>r Familie weiter gegeben wer<strong>de</strong>n, in:Christiane Burbach/Friedrich Heckmann (Hg.), Generationenfragen. TheologischePerspektiven zur Gesellschaft <strong>de</strong>s 21. Jahrhun<strong>de</strong>rts, Göttingen 2007.- Grotjahn, Friedrich, „Und vergib uns unsere Schuld“, in: Petra Bahr/Joachim vonSoosten (Hg.), Vater unser. Einübung im Christentum, Frankfurt am Main 2008.- Krüll, Marianne, Die Familie Mann. Im Netz <strong>de</strong>r Zauberer. Eine Familiengeschichte<strong>de</strong>r Familie Mann, Weinsberg 4 1992.- Zimmerli, Walter, Ezechiel 1-24, Biblischer Kommentar Altes Testament BandXIII/1, Neukirchen-Vluyn 1969._____________________________________________________________________________© Kath. Bibelwerk e.V., Postfach 150365, 70076 Stuttgart <strong>–</strong> Tel. 0711/61920-50, Fax 0711/61920-77<strong>www</strong>.<strong>bibelwerk</strong>.<strong>de</strong> <strong>–</strong> bibelinfo@<strong>bibelwerk</strong>.<strong>de</strong>7


Bibelarbeit1. Eröffnung <strong>de</strong>r ThematikDie Leitung (L) führt in das Thema ein.► „Stille Post“: Die Frauen sitzen im Kreis und spielen „Stille Post“, in<strong>de</strong>m sie jeweils einWort, das sie auf ein Kärtchen geschrieben bekommen haben, auf die Reise schicken.Die Worte sollten mit <strong>de</strong>m Thema zu tun haben, z. B. „Generationenkette“,„Vergangenheitsbewältigung“, „Familiengeheimnisse“ etc. o<strong>de</strong>r Sprichwörter wie z. B.„Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm“, „Wie <strong>de</strong>r Vater so <strong>de</strong>r Sohn“, „Die Eltern habensaure Trauben gegessen und <strong>de</strong>n Kin<strong>de</strong>rn wer<strong>de</strong>n die Zähne stumpf.“► Danach kann kurz über das Buch „Stille Post“ von Christina von Braun referiert wer<strong>de</strong>n(siehe oben) und/o<strong>de</strong>r aufgrund <strong>de</strong>r eigenen Lektüre. Deutlich wer<strong>de</strong>n sollte dabei, wieChristina von Braun daran arbeitet, die „Stille Post“ in <strong>de</strong>r Geschichte ihrer Großmutterund <strong>de</strong>r ihrer Mutter zu hören.► Die kurze Einführung mün<strong>de</strong>t in <strong>de</strong>r gemeinsamen Lektüre <strong>de</strong>s 1. Briefes an dieGroßmutter (Stille Post, 21-22, siehe unten), <strong>de</strong>n alle als Kopie erhalten. DieEingangsfrage zum folgen<strong>de</strong>n Gespräch könnte <strong>de</strong>n letzten Satz aufnehmen: „So sindauch die Wun<strong>de</strong>n Deines Lebens bei mir angekommen.“ <strong>–</strong> Was heißt das für Christinavon Braun? Was hieße so etwas für uns: sich für die Wun<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Mütter und Großmütterzu öffnen? Kann man und möchte man das nach so vielen Jahren? Belastet das? Kanndas entlasten? Inwiefern kann so eine Beschäftigung mit <strong>de</strong>r Familiengeschichteentlasten?Alternative Zugänge zu „Stille Post“ von Christina von Braun► Übung mit <strong>de</strong>m (Familien-) Netz in <strong>de</strong>r Mitte <strong>de</strong>s Sitzkreises. Ein Netz wird ausgelegt,Kärtchen und Stifte ausgeteilt. Eine kurze Information über das „Familiennetz“ folgt; ambesten durch ein Beispiel erläutert: Irgen<strong>de</strong>twas, das mich in meine Herkunftsfamilieeinflicht und für mich ein Stück Familienerbe darstellt, z. B. meine blauen Augen vonTante Soundso. Auf die Kärtchen können die TeilnehmerInnen schreiben, was ihnen anBeispielen einfällt <strong>–</strong> durch was sie in ihre Familie eingebun<strong>de</strong>n, eingeflochten sind:materielle und immaterielle Erinnerungs- und Erbstücke. Wichtig ist dabei, dass diese„Dinge“ positiv und negativ besetzt sein können, stärken, belasten o<strong>de</strong>r herausfor<strong>de</strong>rnkönnen.► „Die Eltern haben saure Trauben gegessen, und <strong>de</strong>n Kin<strong>de</strong>rn wer<strong>de</strong>n die Zähnestumpf.“Schön wäre es, das Sprichwort buchstäblich zu kosten <strong>–</strong> mit unreifen Trauben. Möglich istdie Übung aber auch mit <strong>de</strong>r „Suppe, die ich auslöffeln muss“ o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n „Brocken, die siemir eingebrockt haben“. Man kann eine Sprichwortsammlung machen und sich über dieBe<strong>de</strong>utung und Auswirkung austauschen. Welche Lebenserfahrungen stehen dahinter?_____________________________________________________________________________© Kath. Bibelwerk e.V., Postfach 150365, 70076 Stuttgart <strong>–</strong> Tel. 0711/61920-50, Fax 0711/61920-77<strong>www</strong>.<strong>bibelwerk</strong>.<strong>de</strong> <strong>–</strong> bibelinfo@<strong>bibelwerk</strong>.<strong>de</strong>8


2. Texterschließung Ez 18► Es wird von <strong>de</strong>r Leitung die Zeit Ezechiels geschil<strong>de</strong>rt <strong>–</strong> die Kriegs- undNachkriegszeit, die Deportation und Zerstörung Jerusalems und <strong>de</strong>s Tempels gegenEn<strong>de</strong> <strong>de</strong>s 6. Jhs. v. Chr. Wichtig wäre hierbei, sich in die damalige Generation hinein zuversetzen, sich eventuell an die eigene Nachkriegszeit zu erinnern. Hat damals die Fragenach <strong>de</strong>r „Schuld“ <strong>–</strong> Wer hat uns das eingebrockt? <strong>–</strong> eine Rolle gespielt? Wie ist mitSchuld und Verantwortung umgegangen wor<strong>de</strong>n? Was durfte gesagt, was nicht gesagtwer<strong>de</strong>n? Was be<strong>de</strong>utet es, sich durch die Elterngeneration festgelegt zu fühlen? Dafürkönnte als Symbol ein verknotetes Seil in <strong>de</strong>r Mitte liegen. Die Knoten sind dieschwierigen Erbschaften, die ganze Generationen, aber auch Individuen lahm legenkönnen. Was gibt Kraft, sich ans Aufknoten zu machen? Die Gruppe überlegtgemeinsam.► Rachegott o<strong>de</strong>r barmherziger Vater? Das GottesbildEs wird ein „Stilles Gespräch“ über verschie<strong>de</strong>ne Gottesbil<strong>de</strong>r gestaltet: Auf Din-A3-Bögen steht jeweils ein Bibelzitat für eine Gottesvorstellung:- „Denn ich <strong>de</strong>r Herr, <strong>de</strong>in Gott, bin ein eifern<strong>de</strong>r Gott, <strong>de</strong>r die Missetat <strong>de</strong>r Väterheimsucht bis ins dritte und vierte Glied an <strong>de</strong>n Kin<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>rer, die mich hassen“(Ex 20,5).- „So sollst du nun wissen, dass <strong>de</strong>r Herr, <strong>de</strong>in Gott, allein Gott ist, <strong>de</strong>r treue Gott,<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Bund und die Barmherzigkeit bis ins tausendste Glied hält <strong>de</strong>nen, die ihnlieben und seine Gebote halten.“ (Dtn 7,9)- „Meinst du, dass ich Gefallen habe am To<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Gottlosen, spricht Gott <strong>de</strong>r Herr,und nicht vielmehr daran, dass er sich bekehrt von seinen Wegen und am Lebenbleibt?“ (Ez 18,23)Die Teilnehmen<strong>de</strong>n gehen von Zitat zu Zitat, lesen und schreiben Gedanken,Kommentare, Fragen unter das jeweilige Zitat; in einer weiteren Run<strong>de</strong> kann man in ein„Stummes Gespräch“ eintreten und auf die geschriebenen Beiträge <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren eingehen<strong>–</strong> mit weiteren Fragen Ausrufezeichen, Bemerkungen. Danach lesen alle alles nocheinmal.Interessant ist, ob sich ein Thema, eine Fragestellung herauskristallisiert, ob sich aneinem Punkt etwas entzün<strong>de</strong>t. Darüber sollte weiter gesprochen wer<strong>de</strong>n.► Über die Freiheit, Leben zu gestalten, för<strong>de</strong>rn, vermehrenDer Text <strong>de</strong>r Gottesre<strong>de</strong> in Ez 18 sollte auszugsweise allen zugänglich sein, am bestendie Verse: 14-19 und 20-23.- Zuerst wird <strong>de</strong>r „Fall“ <strong>de</strong>s Sohnes <strong>de</strong>s gewalttätigen, ungerechten, gottlosen Vatersvorgestellt, wobei die Freiheit, die er zum eigenständigen Han<strong>de</strong>ln hat und auchwahrnimmt, wichtig ist. Gerecht ist zu verstehen als Gerechtes tun.- Sodann kann die Aufzählung <strong>de</strong>ssen, was er tut und lässt, in <strong>de</strong>n Blick genommenwer<strong>de</strong>n, wobei wichtig ist, dass man das alles machen kann, was da aufgezählt wird. Dasist möglich.- Schließlich geht es darum nachzuvollziehen, dass manches Tun Leben in sich trägt undmanches Tun Tod. Dazu kann das Zitat (siehe oben) vorgetragen o<strong>de</strong>r aufgeschriebenpräsentiert wer<strong>de</strong>n. Wichtig ist: Hier geht es nicht um einen Mechanismus von Tun undErgehen, son<strong>de</strong>rn um einen Einblick in das Leben. Was ist lebensför<strong>de</strong>rlich?_____________________________________________________________________________© Kath. Bibelwerk e.V., Postfach 150365, 70076 Stuttgart <strong>–</strong> Tel. 0711/61920-50, Fax 0711/61920-77<strong>www</strong>.<strong>bibelwerk</strong>.<strong>de</strong> <strong>–</strong> bibelinfo@<strong>bibelwerk</strong>.<strong>de</strong>9


3. Aktualisierung im Blick auf unser eigenes Leben► Es wer<strong>de</strong>n eigene Beispiele für lebensvolles und -för<strong>de</strong>rliches Tun gesammelt undzusammengetragen. Symbolisch könnten sie auf eine Karte geschrieben und neben einTeelicht gelegt wer<strong>de</strong>n, das dann jeweils angezün<strong>de</strong>t wird.Abschluss: SegenGott segnet lebensvolles Tun und segnet die, die Leben gestalten, för<strong>de</strong>rn und vermehrenwollen. Der Segen wird zugesprochen: Gott segne dich und behüte dich. Gott lasseleuchten sein Angesicht über dir und sei dir gnädig. Gott erhebe sein Angesicht auf dichund schenke dir Frie<strong>de</strong>n.Liebe Großmutter,ich weiß gar nicht, ob ich Dich so angesprochen hätte o<strong>de</strong>r wie wir Dich sonst genannthätten. Deine Kin<strong>de</strong>r nannten Dich „Mutti“. Vielleicht hätten wir Dich Omi o<strong>de</strong>r Omamagenannt. Ich will es bei Großmutter belassen; das kommt mir am leichtesten über dieLippen. Es ist schwer, etwas über die Zeit zu erzählen, die Du erlebt hast und in <strong>de</strong>r esmich überhaupt noch nicht gab. Sieh es mir also nach, wenn ich einiges falsch berichte.So ist das mit <strong>de</strong>n Geschichten, die man nicht selbst erlebt hat. Ich bewun<strong>de</strong>re sehr dieArbeit von Historikern: Sie können ganze Biographien, Gefühle und Lebenswelten aus<strong>de</strong>n Bil<strong>de</strong>rn, Akten und Schriftstücken rekonstruieren, die sie fin<strong>de</strong>n. Aber dieseDokumente erzählen uns nur einen Teil <strong>de</strong>r Geschichte. Daneben gibt es noch so vielean<strong>de</strong>re Erzählungen, die aus all <strong>de</strong>m bestehen, was verschwiegen wur<strong>de</strong>: Geheimnisse,Liebesgeschichten. Wer erzählt sie uns? Vielleicht die Romanschriftsteller. Sie macheneine Zeit durch die Schil<strong>de</strong>rung von Menschen lebendig, und man lebt mit ihnen, <strong>de</strong>nglücklichen und traurigen Protagonisten, <strong>de</strong>nen immer nur eines gemeinsam ist: Siewissen nicht, wie ihre Geschichte weitergeht. Die Historiker wissen es, weil sie aus <strong>de</strong>mRückblick berichten, die Romanschriftsteller wissen es, weil sie eine Erzählung erfin<strong>de</strong>n.Nur die, <strong>de</strong>nen die Geschichte am eigenen Leibe wi<strong>de</strong>rfährt, wissen nicht, wie esweitergeht. Das ging mir oft durch <strong>de</strong>n Kopf, während ich die Dokumente von Euch o<strong>de</strong>rüber Euch gelesen habe. Die „Stille Post“ liegt irgendwo zwischen <strong>de</strong>m historischen Berichtund <strong>de</strong>m Roman: An<strong>de</strong>rs als die Historiker habe ich nur wenige Dokumente. Aber an<strong>de</strong>rsals die Romanautoren muss ich die Dinge auch nicht erfin<strong>de</strong>n. Mein Archiv besteht ausdiesen „unsagbaren“ Botschaften, die fast nur in Familien weitergegeben wer<strong>de</strong>n. Es bedarfeiner großen Nähe, eines fast körperlichen Verwachsenseins, damit diese „Berichte“weitergegeben wer<strong>de</strong>n können. Die Tatsachen, von <strong>de</strong>nen die „Stille Post“ erzählt, lassensich nicht an Jahreszahlen o<strong>de</strong>r Namen festmachen. Sie haben etwas mit <strong>de</strong>n Wun<strong>de</strong>n zutun, die das Leben <strong>de</strong>n Einzelnen zugefügt hat. So sind auch die Wun<strong>de</strong>n Deines Lebensbei mir angekommen.Aus: Christina von Braun, Stille Post, 21f<strong>Pfarrerin</strong> <strong>Martina</strong> S. Gnadt, leitet das Referat Erwachsenenbildung und Frauenarbeit im Lan<strong>de</strong>skirchenamtKurhessen-Wal<strong>de</strong>ck. Sie hat viel über das Matthäusevangelium gearbeitet. Sie ist oft als Referentin in <strong>de</strong>rErwachsenenbildung tätig; außer<strong>de</strong>m predigt sie in Kassel regelmäßig. E-Mail: gnadt.lka@ekkw.<strong>de</strong>ausAnneliese Hecht (Hrsg.), Familienban<strong>de</strong>Mütter - Väter - Söhne <strong>–</strong> Töchter; FrauenBibelArbeit Band 23; ISBN 978-3-460-25303-2 Format 14,8 x 21cm; 112 Seiten; kartoniert; € [D] 10,90 / € [A] 11,30 / sFr 19,90_____________________________________________________________________________© Kath. Bibelwerk e.V., Postfach 150365, 70076 Stuttgart <strong>–</strong> Tel. 0711/61920-50, Fax 0711/61920-77<strong>www</strong>.<strong>bibelwerk</strong>.<strong>de</strong> <strong>–</strong> bibelinfo@<strong>bibelwerk</strong>.<strong>de</strong>10

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