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1/2013 - Psychotherapeutenjournal

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journalISSN 1611-0773D 60843Psychotherapeuten-12. Jahrgangwww.psychotherapeutenjournal.de1/<strong>2013</strong>20. März <strong>2013</strong> (S. 1-114)Personalisierungsansatz in der Medizin:Nützlich auch für die Psychotherapie?Die Pflicht zur standardisierten Diagnostik:Droht die Diskussion zum Selbstgespräch zu werden?Internetsucht – Symptom, Impulskontrollstörungoder Suchterkrankung?Der Bericht an den Gutachterals Qualitäts sicherungsinstrumentPsychotherapie in der beruflichen Rehabilitation


EditorialLiebe Kolleginnen und Kollegen,die ersten Wochen im neuen Jahr <strong>2013</strong> habenSie hoffentlich bereits mit herausforderndenIdeen, Elan und ersten stimulierendenErfolgen in einer erfreulichenWeise gestalten können. Wir wünschenIhnen weiterhin alles Gute, Gesundheitund die nötigen kleinen täglichen Lichtblicke,die Ihr Herz erfreuen.Diese erste Ausgabe des <strong>Psychotherapeutenjournal</strong>s<strong>2013</strong> beginnt mit einemBeitrag zur Psychotherapieforschung ausder Feder eines Praktikers. Michael Kluckenüberträgt das Konzept der personalisiertenMedizin auf die Psychotherapie. Erskizziert die Idee und Methodik einer stratifizierendenPsychotherapieforschung alsErgänzung zur konventionellen Wirksamkeitsforschungmittels RCT-Studien.Durch Subgruppenbildung werden hierbehandlungsrelevante Kontextfaktoren mitberücksichtigt,sodass künftig passgenauereEmpfehlungen gegeben werdenkönnen. Differenzielle Psychotherapieforschungist ein Anliegen, wie es von KlausGrawe und seinen Mitarbeitern schon vormehr als zwanzig Jahren aufgegriffen wurde.Dazu gehört auch die patientenorientierteVersorgungsforschung mit Studienzum Qualitätsmanagement und dem Zieleiner gezielten differenziellen und adaptivenIndikation. Da Psychotherapieforschungimmer wieder lebhafte Debattenzum Wissenschafts-Praxis-Verhältnis entfacht,freuen wir uns auf Ihre Kommentierungdieses Beitrages.Anlass für den folgenden Beitrag vonThorsten Padberg ist die von verschiedenenSeiten angeregte Diskussion, künftigeine standardisierte Testdiagnostik für dieBeantragung einer Psychotherapie zu fordern.Padberg setzt sich damit auseinanderund legt Wissenschaftsansprüche ausder Sicht eines Praktikers dar, bei denener den Blick auf die Nützlichkeit von Diagnosenfür die therapeutische Veränderungsarbeitrichtet. Auch hier sind wirneugierig, wie dieser Beitrag aufgenommenwird.Der Beitrag von Annette Teske, PhilippTheis und Kai W. Müller befasst sich mitdem Medium Internet. Sensibilisiert wirddafür, dass dieser Medienkonsum zu psychischenStörungen mit hohem Leidensdruckführen kann. Teske und Kollegensprechen von einer Suchterkrankung, verweisenallerdings auch auf die hohen Komorbiditätenzu anderen psychischen Störungen.Sind wir auf „Internetsucht“ausreichend vorbereitet? Die Autoren informierenüber die Möglichkeiten einerstörungsspezifischen Behandlung von Internetsuchtund die bei den bestehendenVersorgungsstrukturen gegebenen Finanzierungsprobleme.Hier sind Lösungen gefragt.Im Beitrag von Bernd Ubben geht es umetwas, das Sie alle, liebe niedergelasseneLeserinnen und Leser, angeht. Immer wiederstehen Sie vor der Aufgabe, zur BeantragungIhrer Psychotherapien einenBericht an den Gutachter abfassen zumüssen. Eine Arbeit, der sie unmotiviertoder ablehnend begegnen? Ubben wirbtdafür, eine akzeptierende Haltung einzunehmen,und votiert dafür, das Schreibenvon Berichten als sinnvolle Qualitätssicherungzu verstehen, die den Anfangsprozesseiner Behandlung strukturiert und die Behandlungsplanungoptimal unterstützt. Vorallem junge Kolleginnen und Kollegenwerden sich gern von dem dargestelltenVorgehen leiten lassen. Ob dieser Zugangzum Berichteschreiben aber auch Kolleginnenund Kollegen mit Schreibschwierigkeitenhilft? Wenn Sie mögen, berichten Sieuns, ob und in welcher Weise Sie von diesemBeitrag profitiert haben.Der anschließende Artikel von Volker Brattigbefasst sich mit der beruflichen Rehabilitationund der dabei notwendigen psychotherapeutischenFachkompetenz. Wieim Sozialgesetzbuch IX geregelt, verlangtdie berufliche Rehabilitation eine individuelleFörderung mit dem Ziel, die Erwerbstätigkeitzu erhalten, zu verbessern und wiederherzustellenund gerade auch Menschenmit Behinderungen eine Integrationins Arbeitsleben zu ermöglichen. Dies wirddurch die Berufsförderungswerke und diePsychologischen Dienste der Berufsbildungswerkegeleistet. Brattig verdeutlicht,dass dabei die psychotherapeutische Bearbeitungpsychischer Erkrankungen unterbesonderer Berücksichtigung der Anforderungender Arbeitswelt und die Präventionein Potenzial bieten, das noch intensivergenutzt werden könnte, wenn diese Fachkompetenzin der Sozialgesetzgebung soklar gefasst wäre wie in der medizinischenRehabilitation.In der Rubrik „Kommentare zu erschienenenPTJ-Artikeln“ veröffentlichen wir wiederzahlreiche Zuschriften von Leserinnenund Lesern zu den in vergangenen Ausgabenangestoßenen Diskussionen. Für dierege Beteiligung möchten wir uns herzlichbedanken!In der Rubrik „Aktuelles aus der Forschung“hat schließlich Gesine Wieder interessanteStudien zur partnerschaftlichen Interaktionvon Patientinnen und Patienten mit Angststörungenzusammengestellt.Wir hoffen, dass bei der Vielfalt der Beiträgeetwas dabei ist, das Sie anspricht, undfreuen uns auf Ihre Rückmeldungen.Renate Frank (Hessen),Mitglied des Redaktionsbeirates<strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>1


InhaltEditorial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1OriginaliaMichael KluckenPersonalisierungsansatz in der Medizin: Nützlich auch für die Psychotherapie? 4Das Konzept der personalisierten Medizin wird vorgestellt und auf die Psychotherapie übertragen. Der Autor schildert Idee undMethodik einer stratifizierenden Psychotherapieforschung und skizziert einen Forschungsansatz zur Auffindung behandlungsrelevanterKontextfaktoren, der – in Ergänzung zur konventionellen Wirksamkeitsforschung mittels RCT-Studien – zu passgenauerenTherapieangeboten führen kann.Thorsten PadbergDenn sie wissen nicht, was wir tun – Die Diskussion über die Pflicht zur standardisierten Diagnostik droht zumSelbstgespräch zu werden 12Aktuelle Veröffentlichungen zur standardisierten Diagnostik in der Psychotherapie geben Anlass dazu, Fragen nach der Wissenschaftlichkeit,Ethik und Nützlichkeit von Psychotherapie zu stellen. Um diese Fragen zu beantworten, kommen u. a. zu Wort:prominente Psychotherapieforscher, der Begründer der Kognitiven Therapie Aaron T. Beck und der Anwalt eines Massenmörders.Annette Teske, Philipp Theis & Kai W. MüllerInternetsucht – Symptom, Impulskontrollstörung oder Suchterkrankung? Eine Übersicht zum Forschungsstandund zu den Implikationen für die therapeutische Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19Der Beitrag widmet sich dem neuartigen klinischen Phänomen der suchtartigen Internetnutzung (Internetsucht). Es werdenaktuelle wissenschaftliche Forschungsbeiträge dargestellt und deren Ergebnisse im Zusammenhang mit Befunden zu allgemeinenAbhängigkeitserkrankungen diskutiert. Daneben werden aus diesen Darstellungen klinische Implikationen und Ableitungenfür die praktische Arbeit im psychotherapeutischen Kontext getroffen.Bernd UbbenDer Bericht an den Gutachter als sinnvolles Qualitätssicherungsinstrument 27Die Berichtspflicht wird oft als unsinniger Zeitfresser kritisiert. Der Bericht an den Gutachter lässt sich jedoch durchaus als Qualitätssicherungsinstrumenteiner Verhaltenstherapie nutzen. Entlang der acht Berichtspunkte wird ein Pfad hin zu einer diagnostischunterlegten evidenzbasierten Behandlungskonzeption aufgezeigt, und durch die Beantwortung eines umgrenzten Fragenkatalogslässt sich zeitökonomisch ein Berichtstext generieren.Volker BrattigPsychotherapie in der beruflichen Rehabilitation – eine verkannte Anforderung 34Die wichtigsten gesetzlichen Vorgaben und der institutionelle Rahmen für die berufliche Rehabilitation werden aufgezeigt. Eswird beschrieben, wie innerhalb diese Rahmens psychotherapeutische Praxis in Hinblick auf das Ziel beruflicher Rehabilitationausgeübt werden kann. Es werden die besonderen Inhalte dieser psychotherapeutischen Praxis benannt.Kommentare zu erschienenen PTJ-ArtikelnZuschriften von Gisela A. Cöppicus Lichtsteiner, Heidemarie Eickmann und Meike PudlatzZu „Psychotherapie und Religion/Spiritualität – Eröffnung einer Diskussion“. Mit Beiträgen von B. Grom,M. Richard & H. Freund, J. Hardt & A. Springer, <strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 3/2012 43Zuschriften von Martin Herbers und Thorsten PadbergZu „Psychotherapieausbildung im Geiste der Wissenschaft“ von Eva Jaeggi, <strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 4/2012 46Zuschrift von Anja Funk-KlebeZu „Coaching: Beratung oder Psychotherapie? Eröffnung einer Diskussion“. Mit Beiträgen von Jürgen Hargensund Tilman Moser, <strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 2/2012 482 <strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>


InhaltAktuelles aus der ForschungGesine WiederAktuelle Studien zur Paarkommunikation von Patienten mit Angststörungen 49BuchrezensionenWiebke HankeOchs, M. & Schweitzer, J. (Hrsg.) (2012). Handbuch Forschung für Systemiker. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 54Klaus SchubertHartmann-Kottek, L. (2012). Gestalttherapie. Lehrbuch. Mit aktualisiertem Beitrag zur Forschung vonDr. Uwe Strümpfel. 3., vollst. überarb. Auflage. Berlin/Heidelberg: Springer 55Mitteilungen der PsychotherapeutenkammernBundespsychotherapeutenkammer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56Baden-Württemberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62Bayern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71Bremen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74Hamburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78Hessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82Niedersachsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86Nordrhein-Westfalen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90Ostdeutsche Psychotherapeutenkammer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96Rheinland-Pfalz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102Saarland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106Schleswig-Holstein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110Impressum <strong>Psychotherapeutenjournal</strong>. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114Stellen- und Praxismarkt des medhochzwei Verlages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .Impressum Stellen- und Praxismarkt des medhochzwei Verlages. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .A1A17Hinweise:Alle Beiträge können Sie auch als PDF-Dokument von der Internetseite www.psychotherapeutenjournal.deherunterladen.<strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>3


Personalisierungsansatz in der Medizin:Nützlich auch für die Psychotherapie?Michael KluckenZusammenfassung: Das Prinzip der „personalisierten Medizin“, eine seit etwa zehnJahren existierende Richtung der Medizin, wird in diesem Artikel vorgestellt und auf diePsychotherapie übertragen. Dies erfordert eine Ergänzung konventioneller Wirksamkeitsstudien,insbesondere randomisiert kontrollierter Studien, in denen solche Kontextfaktorenals Störvariablen eliminiert werden. Es wird ein neuer Forschungsansatz zurAuffindung behandlungsrelevanter Kontextfaktoren vorgestellt, der den konventionellenWirksamkeitsstudien vorgeschaltet ist und diesen individuelle behandlungsrelevanteKontextfaktoren liefert. Insbesondere Erfahrungen psychotherapeutischer Praktikerinnenund Praktiker, 1 Einzelfallstudien und vergleichende Gruppenuntersuchungen mit „enrichmentdesign“ sind geeignet, Hinweise für solche Kontextfaktoren zu liefern.Was ist „personalisierte“Medizin?Mit dem Begriff „personalisierte“ (auch „individualisierte“)Medizin, vor knapp zehnJahren von dem amerikanischen Biochemikerund Mediziner Leroy Hood geprägt,wird eine Richtung der Medizin bezeichnet,die in einem weitaus stärkerem Maßals bisher neben der Krankheitsdiagnoseauch behandlungsrelevante individuelleMerkmale eines Menschen berücksichtigt.Triebkraft war die 2001 gelungene kompletteGenomsequenzierung des Menschenmit der Möglichkeit, genetische Ursachenfür zahlreiche Erkrankungen, Krankheitsbereitschaftenund individuelle, eineKrankheit beeinflussende Kontextfaktorenzu entdecken. Es ist heute möglich, sehrrasch und mit überschaubaren Kosten vonein paar Hundert Euro sein persönlichesGenom sequenzieren zu lassen, um damitindividuelle Krankheitsbereitschaften zuüberprüfen. Auf dieser Grundlage hat sichauch ein neuer Zweig der Pharmakologie,die Pharmakogenomik, entwickelt, dieMedikamente passgenau auf genetischeMerkmale von Patientensubgruppen herzustellenversucht. So hat man herausgefunden,dass etwa ein Viertel aller Brustkrebspatientinneneinen bestimmtenWachstumsrezeptor (HER2Neu) im Übermaßproduziert. Die Konzentration diesesRezeptors dient als messbare Größe (Biomarker),die es ermöglicht, Brustkrebspatientinnenin zwei Untergruppen zu teilen(HER2Neu-positive bzw. HER2Neu-negative).Gegen diesen Wachstumsfaktor wurdeein dazu passender blockierender Antikörper(Trastuzumab) entwickelt, der dieRezidivhäufigkeit bei der HER2Neu-positivenUntergruppe um etwa 50% reduziert.Für Brustkrebspatientinnen, die HER2Neunegativsind, ist dieses Medikament ohneWirkung.Inzwischen sind 18 solcher Medikamentefür eine „personalisierte“ Medizin (p. M.)in Deutschland zugelassen. 2 Die Möglichkeitender p. M. zur Personalisierung, Vorhersageund Vorbeugung von Krankheitenund zur aktiven Teilnahme von Patientenan der Vorbeugung, z. B. durch Anpassungihrer Lebensführung an die genetischeKrankheitsdisposition kennzeichnete Hoodmit dem Begriff P4 Medicine (Personalized,Prediction, Preventive, Participatory)und beschreibt sie als Medizin der Zukunftin den nächsten zehn bis zwanzig Jahren(Hood & Galas, 2008).Obwohl es sich bei den Merkmalen, die einep. M. erlauben, gegenwärtig meist ummolekularbiologische Gegebenheiten (genetischeMerkmale, Biomarker) handelt,erlauben auch andere makroskopische (klinischzu beobachtende) Merkmale eine„Personalisierung“. Dies zeigt eine Studieder American Society of Clinical Oncology(ASCO). Bei dieser Studie (Stupp et al.,2010) handelte es sich um eine offene randomisierteStudie, an der 237 Patienten mitrezidiviertem Glioblastoma multiforme (einextrem bösartiger Hirntumor) teilnahmen.120 Patienten wurden mit einem neuenVerfahren (Elektrostimulation des Gehirnszusätzlich zur Chemotherapie) behandelt,die übrigen mit der üblichen Chemotherapie.Ergebnis: Das Gesamtüberleben warmit der Elektrostimulation mit 7,8 vs. 6,1Monaten bei Chemotherapie signifikantbesser (der geringe klinische Nutzen beistatistischer Signifikanz sei hier einmal nichtbeachtet). Nach den Kriterien der evidenzbasiertenMedizin wäre damit mit einemhohen Evidenzgrad 2a die Wirksamkeit derzusätzlichen Elektrostimulation nachgewiesenworden. Eine nachträgliche Subgruppenanalysedieses Durchschnittsergebnisseszeigte aber interessanterweise, dass nurbei 12% der Patienten ein objektives Ansprechendes Tumors auf Elektrostimulationnachweisbar war, während 88% aller Patientenkeinen Einfluss der Elektrostimulationzeigten! Diese auf Elektrostimulation ansprechendenPatienten waren unter 60Jahre alt, in guter körperlicher Verfassung(Karnofsky-Performance-Status), hattennicht mehr als drei Rezidive und sprachennicht auf eine Bevacizumab-Therapie an.Diese klinisch zu ermittelnden Merkmaleerlaubten eine „Personalisierung“ der The-1 Aus Gründen der besseren Lesbarkeit werdenim Folgenden nicht durchgängig beideFormen genannt. Selbstverständlich sind jedochimmer Männer und Frauen gleichermaßengemeint.2 Plattform Personalisierte Medizin: www.pmstiftung.eu/personalisierte-medizin.html,letzte Änderung 13.11.2012 [25.01.<strong>2013</strong>].4 <strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>


M. Kluckenrapie auf Träger dieser Merkmalskombination.Nun wird in weiteren randomisiert kontrolliertenStudien (randomized controlledtrial, RCT) gezielt die Patientenpopulationmit diesem Merkmalsmuster untersucht,wobei hier eine Kombination von Elektrostimulationmit einem neuen Zytostatikum alsBehandlung gewählt wird. Das Ergebnissteht bisher noch aus (Graetzel, 2011). Diep. M. berücksichtigt also behandlungsrelevantesubgruppenspezifische Kontextfaktoren(im Sinne interner persönlicher Merkmale– neben dem Hauptkrankheitsmerkmal–, die die Wirksamkeit der Behandlungdes Hauptmerkmals wesentlich beeinflussen),um eine individuellere Behandlung zuermöglichen. An dieser Stelle soll noch eineterminologische Anmerkung gemacht werden.Die Adjektive „personalisierte“ und „individualisierte“Medizin sind in mehrfacherHinsicht irreführend. „Personale Eigenschaftenmanifestierten sich nicht auf molekularer(z. B. als Biomarker), sondern auf personalerEbene“, so der Vorsitzende der Ethikkommissionder Bundesärztekammer UrbanWiesing (zitiert nach Pytlik, 2011). AuchAssoziationen mit einer persönlicheren,menschlicheren Medizin sind bei dieserHightechmedizin nicht angebracht. Außerdemsuggeriert der Begriff „Personalisierung“eine auf eine einzelne Person oderein einzelnes Individuum bezogene Medizin,in Wirklichkeit ist die p. M. aber in derRegel, und dies sicherlich noch für langeZeit, auf eine behandlungsrelevante Subpopulationeiner Krankheitsdiagnose gerichtet(Hüsing, Hartig, Bührlen, Reiß & Gaisser,2008). Die Unterteilung einer Gesamtstichprobein unterschiedliche Subpopulationenwird als Stratifizierung bezeichnet. Bei derÜbertragung dieses Ansatzes auf die Psychotherapiesollte man daher von „stratifizierenderPsychotherapieforschung“ sprechen.Der Begriff Stratifizierung setzt sichauch international zunehmend durch.Was könnte am Stratifizierungsansatzin derMedizin nützlich für diePsychotherapieforschungsein?Psychotherapie hat es im Allgemeinennicht mit molekularbiologischen Gegebenheiten,sondern mit Faktoren auf einerganz anderen Systemebene wie z. B. Persönlichkeitsmerkmalen,kognitiven Einstellungen,emotionalen Reaktionsbereitschaftenoder Verhaltensgewohnheiten zu tun.Man darf aber in naher Zukunft mit verstärkterErforschung stratifizierender genetischerForschung in der Psychopharmakologierechnen. Dies ist wegen derÜberschneidung in der Behandlung einigerStörungsgebiete auch für die Psychotherapievon Interesse. So existieren seit etwazehn Jahren Studien, die pharmakogenetischeZusammenhänge in der Behandlungvon Major Depressionen erforschen. Beispielsweisehat man stratifizierende Kandidatengenegefunden, die in den Stoffwechselvon Antidepressiva einbezogensind und Verbindungen zum 5-HTT-Serotonin-Transporter-Gen,zum Serotonin-Rezeptor-Gensowie zur HPA-Achse („Stress-Achse“) aufweisen. Der klinische Nutzenist gegenwärtig wegen widersprechenderErgebnisse noch gering (Gvodzic, 2012).Es ist aber in Zukunft zu erwarten, dassbiomarkerbezogene subgruppenspezifische(und sehr teure) Antidepressiva aufden Markt kommen. Neuerdings werdenauch Studien berichtet, in denen Zusammenhängebestimmter genetischer Biomarkermit der Ansprechbarkeit auf Psychotherapieverfahrenerforscht werden(„Psychotherapygenetics“). So wurden ineiner prospektiven Studie 110 Probandenmit Borderline-Störungen bezüglich ihrerAnsprechbarkeit auf die Dialektisch-BehavioraleTherapie (DBT) in Abhängigkeit vonbestimmten Genvarianten untersucht. DieGruppe mit einer bestimmten Genvariantewies eine höhere Ansprechbarkeit auf dieBehandlung auf, während andere Genvariantenkeinen Zusammenhang mit der Behandlungsansprechbarkeitaufwiesen (Perezet al., 2010). Auf der Ebene genetischerund molekularbiologischer Faktoren sindjedoch für die Psychotherapie auch auflange Sicht nicht mehr als Wahrscheinlichkeitserhöhungengewisser Störungsdispositionenzu erwarten. Solche Faktoren dürftenals eher untergeordnete Bausteineeines umfassenderen psychosozialen Wirkungsgefügesanzusehen sein. Unter anderemist dies dadurch begründet, dassdie klinischen Effekte nicht einfach durchbestimmte Gene, sondern durch komplexeGen-Gen- und vor allem Gen-Umwelt-Interaktionen bestimmt werden. Die jeweiligenBedingungen der Umwelt bestimmendarüber, welche Gene gerade abgelesenwerden und welche nicht. Ein plastischesBeispiel liefern die Raupe und ein aus ihrentstehender Schmetterling: Beide besitzendas gleiche Genom, aber ein völligverschiedenes Proteom (Gesamtheit allerProteine in einem Lebewesen oder einerZelle unter definierten Bedingungen zu einembestimmten Zeitpunkt).Im gegenwärtigen Verständnis der stratifizierendenMedizin stehen molekular-biologischeParameter im Vordergrund. Dieswird in kritischen Diskursen als ein eingeengtesVerständnis von Stratifizierung angesehenund es wird die Berücksichtigungvon Sozio- und Psychomarkern zur Stratifizierunggefordert, so der SozialmedizinerHeinz Raspe auf der Jahrestagung desDeutschen Ethikrates 2012 (zitiert nachMüller-Lissner, 2012). Es ist auch nicht einsehbar,wieso es angebracht sein sollte,sich, wie der Onkologe Jürgen Wolf vomZentrum für Integrierte Onkologie derUniklinik Köln, für ein strikt biologischesVerständnis des Begriffs „personalisierteMedizin“ einzusetzen (zitiert nach Kuhlmann-Richter,2012). Grundsätzlich sindalle Faktoren, die behandlungsrelevanteUnterscheidungen zwischen Individuenmit gleicher Erkrankung ermöglichen, zurStratifizierung geeignet, gleichgültig, obdiese Faktoren einfache biologische Basisstrukturenoder komplexe psychosozialeGegebenheiten darstellen.Auch in der Psychotherapieforschung gibtes Hinweise auf die Existenz solcher behandlungsrelevanterUnterschiede zwischenMenschen mit der gleichen Erkrankung.Dafür sprechen die zum Teil großenStreuungen in der Wirksamkeit störungsbezogenerpsychotherapeutischer Behandlungen.Ein wichtiger Grund dafürkönnten individuell unterschiedliche Kontextfaktorensein, die neben der Krankheitexistieren und einen entscheidenden Einflussauf die Wirksamkeit der Behandlungausüben. So geht aus einer großen Metaanalysekontrollierter Depressionsstudienzwischen 1980 und 2001 aus der Gruppeum Klaus Grawe (Gallati, 2003) Folgendeshervor: „Von 100 behandlungsbedürftigenDepressiven wird 13 bis 14 mit den heute<strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>5


Personalisierungsansatz in der Medizin: Nützlich auch für die Psychotherapie?als besonders wirksam geltenden psychologischenDepressionstherapien dauerhaftgeholfen.“ (Grawe, 2004, S. 229). Dieausschließlich pharmakologisch behandeltenPatienten schneiden bezüglich deslangfristigen Erfolges noch etwas schlechterab. Der Grund für diese überraschendniedrigen Erfolgsraten liegt darin, dass indieser Metaanalyse verzerrende Faktorenwie Placeboeffekte, Spontanremissionenund Beschränkung auf kurzfristige Besserungensowie Abbrüche im Sinne einesIntention-to-Treat-Auswertungsansatzes einberechnetwurden, was in den Publikationenleider nicht immer geschieht. DiesesErgebnis weist nachdrücklich auf die unterschiedlicheWirkung psychotherapeutischerBehandlungen bei unterschiedlichenMenschen mit gleicher Krankheitsdiagnosehin sowie auf einen erheblichen Bedarf,die Wirksamkeit psychotherapeutischerBehandlungen zu verbessern. Diese zumTeil deutlichen Streuungen finden sichnicht nur in Depressionsstudien, sondernauch bei anderen Störungsgruppen, einweites Feld also für stratifizierende Psychotherapieforschung.Der Stratifizierungsansatz in der Medizinergänzt die Frage der klassischen Wirksamkeitsforschung(„Welche Wirksamkeit hateine bestimmte Behandlung bei welcherStörung?“) um folgende differenzierendeFragen „Warum reagieren Menschen mitder gleichen Störung auf die gleiche Behandlungunterschiedlich? Inwieweit sindbehandlungsrelevante Kontextfaktoren dafürverantwortlich? Wie lassen sich unterBerücksichtigung solcher behandlungsrelevanterKontextfaktoren passgenauere Behandlungenfür diese unterschiedlichenSubgruppen entwickeln?“ Genau dieseFragen wären aber auch nützlich für einestratifizierende Psychotherapieforschung.Konventionelle undstratifizierte WirksamkeitsforschungKonventionelle WirksamkeitsforschungAls „konventionelle“ Wirksamkeitsforschungwird hier die gegenwärtig vorherrschende,den Vorgaben der evidenzbasierten Medizinfolgende Forschungsrichtung der Psychotherapiebezeichnet, so wie sie z. B. imMethodenpapier des WissenschaftlichenBeirates Psychotherapie (WBP) beschriebenwurde (Version 2.8, WBP, 2010). Dabeigeht es um die Frage: „Welche Wirkunghat eine spezifische Behandlung auf einspezifisches Krankheitsbild?“ Die entscheidendeAnforderung für einen Wirksamkeitsnachweisist dabei der Nachweis internerValidität eines Verfahrens, das heißt,die Veränderung der zu untersuchendenpsychischen Erkrankung (abhängige Variable)muss eindeutig auf die jeweilige Behandlung(unabhängige Variable) zurückzuführensein. Der höchste Gradempirischer Evidenz für diese Kausalitätwird RCTs zugeschrieben. Sie gelten als„Goldstandard“ bei Studien, die kausaleZusammenhänge zwischen einer Therapieund ihrer Wirksamkeit überprüfen (z. B.Kabisch, 2011; Windeler, 2007).RCTs ermöglichen eine eindeutige Messungdes Effektes einer ganz bestimmtenEinflussgröße auf einen Untersuchungsgegenstandunter der erschwerenden Bedingung,dass der Untersuchungsgegenstandzugleich einer Vielfalt nicht interessierender,nicht bekannter oder unkontrollierbarerEinflussgrößen ausgesetzt ist. Das Designermöglicht die Eliminierung dieser als„Störvariablen“ bezeichneten Einflussgrößen.Der große Vorteil dieses Studientypsbesteht also darin, dass Unterschiede inder abhängigen Variablen (z. B. Patientenmit einer Krankheit) zwischen beidenGruppen eindeutig auf die zu untersuchendeEinflussgröße und nicht auf Störvariablenzurück geführt werden können (interneValidität). Die Operationalisierungder unabhängigen und abhängigen Variablenerlaubt darüber hinaus Reproduzierbarkeitund empirische Falsifizierbarkeit einerUrsache-Wirkungs-Beziehung.Probleme von RCTs aus derSicht einer stratifizierendenWirksamkeitsforschungRCTs als Goldstandard wurden von medizinischer(z. B. Willich, 2006; von Wichert,2005) und psychotherapeutischer Seitevielfach kritisiert. Ein Kernpunkt ist der Vorwurfmangelnder externer Validität, dasheißt mangelnder Gültigkeit der Ergebnisseunter den Bedingungen der Alltagsversorgung,üblicher RCTs. Gegenüber RCTswurde insbesondere von psychotherapeutischerSeite darüber hinaus die Unangemessenheitdes naturwissenschaftlichen,medizinischen Modells für die Psychotherapiekritisiert (Revenstorf, 2005; Tschuschke,2012; Zurhorst, 2003).Die Kritik mangelnder externer Validitätfand auch Aufnahme in das Methodenpapierdes WBP (Version 2.8, WBP, 2010) insofern,als auch der Nachweis externerValidität als Kriterium zur wissenschaftlichenAnerkennung gefordert wurde. Ungelöstbleibt dort allerdings die teilweiseGegensätzlichkeit in den Anforderungenfür interne und externe Validität. Dies wirdbesonders deutlich in der Gruppenzuweisung,bei der für die interne Validität eineRandomisierung, für die externe Validitätdagegen die eigene Wahl der Patienten füreine Versuchs- bzw. Kontrollgruppe gefordertwird.Zur Verbesserung der externen Validitätwird zunehmend ein neuer Typ von Wirksamkeitsstudiendiskutiert und vor allem inden USA mit hohem finanziellen Aufwandgefördert, der als comparative effektivenessresearch (CER) bezeichnet wird(Browman, 2012; Witt, Treszl & Wegscheider,2011; Ginsberg & Kuderer, 2012). Ersoll klassische RCTs nicht ersetzen, sondernergänzen. Dieser Forschungstyp vergleichtTherapiealternativen direkt, verwendetpatientenrelevante Parameter undlässt die Studien unter meist weniger standardisiertenAlltagsbedingungen ablaufen.Dagegen werden zum Wirksamkeits- undSicherheitsnachweis für die Erlangung derZulassung eines Medikamentes oft optimierteklassische RCTs verwendet, dasheißt, „man versucht den Effekt einer Therapiedurch Endpunktwahl und Standardisierungunter Beachtung behördlicher Vorgabenzu maximieren. MultimorbidePatienten, Minoritäten und ältere Patientenwerden aus diesen Studien oft ausgeschlossen.Zudem werden in der Regelhochgradig standardisierte Behandlungsprotokollemit kurzen Nachbeobachtungszeitenverwendet, die im Praxisalltag oftnur mit fraglichen Compliance umgesetztwerden.“ (Witt, Treszl & Wegscheider,2011). Klassische RCTs lassen sich vonCER (auch als „pragmatische Studien“ be-6 <strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>


M. Kluckenzeichnet) durch folgende Gegensatzpaareunterscheiden:• Ein- und Ausschlusskriterien: eng – weit• Behandlungsprotokolle:standardisiert– flexibel• Ergebnisparameter: optimiert – patientenrelevant• Kontext der Studie: experimentell –Routineversorgung (Witt, Treszl & Wegscheider,2011).CER werden auch zur Bewertung des klinischenNutzens der personalisierten Medizinunter den Bedingungen der Alltagsversorgunggefordert (Browman, 2012). Wennetwa ein neues genombasiertes Medikamentunter standardisierten experimentellenBedingungen eine starke Blockade derKrebszellenteilung bei bestimmten genetischenPatientenuntergruppen zeigt, mussdiese Wirkung unter vielen Kontextbedingungender Alltagsversorgung bewertetwerden. Dazu gehören die Nebenwirkungen,die relative Bedeutung der experimentellermittelten Medikamentenwirkung mitalternativen Behandlungsmethoden, dieWirkung in verschiedenen Altersgruppenund auch die gesellschaftlich zu erbringendenKosten, die vielleicht in sinnvollere Gesundheitsprojekteinvestiert werden sollten.Im Folgenden geht es um einen anderenproblematischen Aspekt von RCT, nämlichdie Homogenisierung der abhängigenVariablen (Versuchspersonen) als Folgedieses Studiendesigns. Es besteht eine gewisseÜberschneidung mit der Zielsetzungder oben genannten Kritik mangelnder externerValidität, da diese Homogenisierungder Versuchspersonen ebenfalls wenig derRealität von Patienten in der Routineversorgungentspricht.Es werden jedoch, wie später im Einzelnengezeigt werden wird, andere Konsequenzengezogen als die Ergänzung von RCTsdurch CER. Dies gilt insbesondere für dieEin- und Ausschlusskriterien, die bei CERentsprechend den Routinebedingungenweit gefasst sind und deren Wirksamkeitsergebnissein Durchschnittswerten angegebenwerden. In der stratifizierenden Psychotherapieforschungerfolgt die Wirksamkeitsstudiedagegen mit differenzierterenUntergruppen, die aufgrund unterschiedlicherbehandlungsrelevanter Kontextfaktorenuntergliedert werden.Bei einem RCT besteht die Gruppe derVersuchspersonen (Gesamtstichprobe) ursprünglichaus heterogenen Individuen,die ein Zielmerkmal – die zu untersuchendeKrankheit – gemeinsam haben, währendsie sich in zahlreichen anderen Merkmalenunterscheiden. RCTs verwandelndiese heterogene Gruppe durch zufälligeZuteilung auf Versuchs- und Kontrollgruppeund anschließende Mittelwertbildungsozusagen zu zwei strukturgleichen Versuchspersonen.Dadurch erfolgt eine Homogenisierungder ursprünglichen Heterogenitätder Probanden.RCTs bilden also nicht einfach Patientengruppenab, sondern konstruieren durchihr Design ein bestimmtes, homogenisiertesModell von ihnen. Dieses homogenisierteModell kann dabei wesentliche Differenzierungenso stark eliminieren, dasses nicht mehr valide ist im Sinne einer angemessenenAbbildung dessen, was dasModell zu messen vorgibt.Dieser Grundgedanke soll an zwei starkvereinfachten Beispielen gezeigt werden:Beispiel 1: Die Wirkung eines neuen psychotherapeutischenVerfahrens A auf Depressionensoll im RCT-Design geprüftwerden. Die männlichen und weiblichenVersuchspersonen mit einem Mindestpunktwertin einem standardisierten Depressionsfragebogenund evtl. weiterenIndikatoren werden zufällig Versuchs- undKontrollgruppen zugeteilt, um Strukturgleichheitzu erreichen. Die individuellenKennwerte werden zu Gruppendurchschnittswertenzusammengefasst. Die Versuchsgruppeerhält das Verfahren A, dieKontrollgruppe ein Standardverfahren, dieKontrolle erfolgt nach drei Monaten. DasErgebnis: signifikante Verringerung desdurchschnittlichen Depressionspunktwertesin der Versuchs- gegenüber der Kontrollgruppe.Schlussfolgerung aus der RCT:Das neue Verfahren A ist mit Evidenzgrad2 antidepressiv wirksam.Die stratifizierende Analyse (das heißt dieUntersuchung der einzelnen Probandenergebnissesowie eine darauf beruhende Untergruppenbildungstatt der Durchschnittswerte)zeigt allerdings: Nur die Hälfte derProbanden in der Versuchsgruppe, nämlichdie weiblichen, profitieren von dem neuenVerfahren A, die männlichen nicht. Dasdurch das RCT-Design konstruierte strukturgleichemännlich-weiblich-homogenisierteMischwesen ist – bezogen auf diese bestimmteBehandlung – kein valides Patientenmodell.Die aus dem RCT-Ergebnis gewonneneAussage ist zu allgemein undverzerrend. Behandlungsrelevanter Kontextfaktorist hier das Geschlecht, das fälschlicherweisedurch das RCT-Design als Störvariableeliminiert wurde.Um diese undifferenzierte Vermischung zuverhindern, müsste die Gesamtstichprobein zwei Subgruppen – eine mit männlichen,eine mit weiblichen depressiven Versuchspersonen– stratifiziert werden. Das Geschlechtvertritt hier sozusagen die Rolledes Biomarkers in der stratifizierenden Medizin.Beide Gruppen werden dann bezüglichihrer Ansprechbarkeit auf die Behandlungverglichen. Dieses Design wird in derpersonalisierten Medizinforschung als „enrichmentdesign“ (Mandreka & Sargent,2011) bezeichnet. In diesem „angereichertenDesign“ befinden sich die Probandenmit den „personalisierten Merkmalen“ inder einen, die Probanden ohne diese „Marker“in der anderen Vergleichsgruppe.Beispiel 2: Gleiche RCT-Studie, ebenfallssignifikantes positives Ergebnis für das BehandlungsverfahrenA. Wieder zeigen sichin einer stratifizierenden Analyse zwei Subgruppenin der Versuchsgruppe. Subgruppe1 mit starker antidepressiver Wirkung,Subgruppe 2 ohne Effekt. Diesmal befindensich in beiden Subgruppen etwagleich viele Männer und Frauen. Damit gestaltetsich die weitere stratifizierende Analyseschwieriger. Schließlich wird deutlich:In Subgruppe 1 zeigen alle Probanden einestark verselbstständigte Depression,das heißt eine Depression, die keinen Bezugauf aufrechterhaltende aktuelle depressogeneEreignisse oder Einstellungsmusteraufweist, sondern ohne erkennbarenäußeren Anlass auftritt. Eine solcheVerselbstständigung könnte eventuelldurch mehrfach wiederholte, längere depressiveEpisoden (Bahnungseffekte) oder<strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>7


Personalisierungsansatz in der Medizin: Nützlich auch für die Psychotherapie?auch genetische Dispositionen des Hirnstoffwechselsbedingt sein. Auf Depressionenmit diesem Kontextfaktor (Subgruppe1) wirkt das Verfahren A positiv, währendes bei Depressionen wirkungslos ist,bei denen aktuelle Ereignisse oder depressogenekognitiv-emotionale Einstellungsmustereine kausale und aufrechterhaltendeRolle spielen (Subgruppe 2). BehandlungsrelevanterKontextfaktor hier: Verselbstständigungsgradder Depression.Diese grobschematischen Beispiele zeigendie mögliche Undifferenziertheit oder unzulässigenVerallgemeinerungen, die die Eliminierungbehandlungsrelevanter Kontextfaktorendurch klassische RCTs nach sichziehen kann. Praktisch kann dies bedeuten,dass eine ganze Reihe von Patienten mehroder weniger unpassenden Therapieverfahrenausgesetzt ist, was sich in den Streuungsmaßender Wirksamkeit ausdrückt.Umgekehrt besteht bei stratifizierendenStudien aber auch eine Gefahr: Es dürftenur in den seltensten Fällen – wie in diesenschematischen Beispielen – vorkommen,dass ein stratifizierendes Merkmalsämtliche Mitglieder trennscharf in eineder Subgruppen einordnen lässt. Viel häufigerdürften lediglich bestimmte Wahrscheinlichkeitsunterschiedein der Ansprechbarkeitauf eine bestimmte Behandlungsein. Dies bedeutet, dass bestimmteeinzelne Patienten in eine Subgruppe fallenkönnen, deren Probanden die behandlungsrelevantenstratifizierenden Faktorennicht aufweisen, sie aber dennoch von derBehandlung profitieren. Sie könnten dann,da sie die stratifizierenden Merkmale nichtaufweisen, von einer solchen Behandlungausgeschlossen werden. Auf diese Gefahrdes enrichment designs hat Jürgen Windelervom Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeitim Gesundheitswesen auf der Tagungdes Deutschen Ethikrates im Mai2012 hingewiesen. Man sollte daher Ergebnissestratifizierender Analysen nichtals absolute Festlegungen, sondern alsHinweise für Behandlungen erster bzw.zweiter Wahl auffassen.Behandlungsrelevante Kontextfaktoren könneneinfache „Oberflächenmerkmale“ wieGeschlecht und Alter sein, die behandlungsrelevanteSubgruppen definieren. Eskönnen aber auch tiefere, durch theoretischeAnalyse ermittelbare Kontextfaktorenwie der Verselbstständigungsgrad der Störungsein. Diese Unterscheidung vonOberflächen- und Tiefenmerkmalen entsprichtformal dem Konzept der horizontalenund vertikalen Verhaltensanalyse (Caspar& Grawe, 1982). Die vertikale Verhaltensanalyseerschließt aus beobachtbaremVerhalten „tiefere“, zugrundeliegende Stereotypien,Pläne und Grundannahmen. InAnalogie dazu könnte man die Stratifizierunganhand von Oberflächenmerkmalenals horizontale, die anhand von zugrundeliegendenTiefenmerkmalen als vertikaleStratifizierung bezeichnen.In psychotherapeutischen Wirksamkeitsstudiensind noch zahlreiche und subtilereandere, potenziell behandlungsrelevanteKontextmerkmale denkbar. Eine Angststörungeines Patienten mit einer Borderline-Störung ist etwas anderes als eine Angststörungohne diesen Kontextfaktor. Siebenötigt andere therapeutische Vorgehensweisen(z. B. eine sehr viel vorsichtigereKonfrontation). Allgemein dürfte dieEinbettung einer spezifischen Störung inden Kontext der jeweiligen Persönlichkeitsfaktorenals ein potenzieller stratifizierenderFaktor zu betrachten sein. Zu solchenpotenziell stratifizierenden Kontextfaktorenkönnte gehören, ob Patienten – neben ihrerspezifischen Störungsdiagnose – einensicheren oder unsicheren Bindungsstil haben(Grawe, 2004, S. 216-220), welcheStärke der Behandlungsmotivation oderwelche Behandlungspräferenz vorliegt(z. B. für klärungs- oder bewältigungsorientierteVorgehensweisen, für einen eher rationalenoder emotionalen therapeutischenStil oder für einen eher aktiv-übendenoder eher passiv-erlebenden Therapiemodus).Beispiele möglicher behandlungsrelevanterKontextfaktoren dürften auch unterschiedlichverteilte Resilienzfaktorenoder soziale Bedingungen sein (wirtschaftlichungesichertes oder gesichertes Umfeld,in Partnerschaft oder allein lebendu. a.). Diese Kontextfaktoren und ihre Wirkungenwürden jedoch durch eine RCTohne stratifizierende Untersuchung, in derauf die Eindeutigkeit der kausalen Beziehungzwischen definierter Störung und Behandlungder entscheidende Wert gelegtwird, unsichtbar gemacht.Diese Aufzählung weist allerdings schon aufein Problem stratifizierender Psychotherapieforschunghin, nämlich die Ausuferungtheoretisch möglicher Untergruppen. Es istnotwendig, diese sinnvoll zu begrenzen.Dazu sollten nur solche Kontextmerkmaleberücksichtigt werden, die aufgrund empirischerUntersuchungen einen starken, wesentlichenEinfluss auf die Wirksamkeit einerBehandlung ausüben. Schwachwirksame Kontextmerkmale sollten dahernicht berücksichtigt werden. Auch übergreifendeMerkmale, wie sie durch vertikaleStratifizierung ermittelt werden können,dürften eine sinnvolle Begrenzung behandlungsrelevanterSubgruppen erleichtern. EineMöglichkeit einer vertikalen Stratifizierungvon spezifischen Störungsdiagnosenwäre die Frage, inwieweit „psychischeGrundbedürfnisse“, etwa im Sinne Grawes(Bedürfnis nach Bindung, Kontrolle, Selbstwerterhöhung,Lust), neben der spezifischenStörung erfüllt sind.Methoden stratifizierenderForschungKombination von Relevanzstudienund RCTsGrundsätzlich erfordert stratifizierendeWirksamkeitsforschung die Verbindung unterschiedlicherForschungsziele:Erstens: Studien, die der qualitativen Hypothesenbildungdienen, welche Merkmale– neben der Krankheitsdiagnose – innerhalbder abhängigen Variablen für dieWirksamkeit einer Behandlung relevantsind und welche nicht.Zweitens: Studien, die die quantitativenAuswirkungen dieser Kontextfaktoren aufden Behandlungserfolg durch den Vergleichzwischen Gruppen mit und ohnediese Kontextfaktoren messen. Die Behandlungzwischen den Gruppen bleibtgleich. Dieser Studientyp könnte als (qualitativebzw. quantitative) stratifizierendeRelevanzstudie bezeichnet werden.Drittens: Studien, in denen die Wirksamkeitzweier Behandlungen bei strukturgleichenVersuchs- und Kontrollgruppen mit dem jeweiligenKontextfaktor untersucht wird. Die8 <strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>


M. KluckenVersuchsgruppe erhält Behandlung A, dieKontrollgruppe eine Kontrollbehandlung.Dieser Studientyp könnte als stratifizierendeWirksamkeitsstudie bezeichnet werden.Entwicklung und Absicherungvon Hypothesen über relevanteKontextfaktorenZum Auffinden unbekannter behandlungsrelevanterKontextfaktoren sind in der erstenStufe Studien geeignet, in denen möglicheKontextfaktoren nicht – wie bei RCTs– eliminiert werden, sondern ganz im Gegenteileine möglichst große Offenheit fürpotenzielle Faktoren vorliegt.Für diesen Zweck eignen sich – neben theoriegeleitetenAbleitungen – insbesondereErfahrungen und Beobachtungen, die vonklinischen Praktikern in Einzeltherapien gemachtwerden, etwa dann, wenn eine Sitzungoder eine Therapie besonders erfolgreichdurchgeführt wurde und dieseErfahrungen mit der Frage analysiert werden,welche patientenrelevanten Faktorenfür die Wirksamkeit der Behandlung wichtiggewesen sein könnten und welchenicht. Auf diese Weise reflektierte Einzeltherapiensind de facto kleine Relevanzstudienund liefern erste Hypothesen überrelevante Kontextfaktoren.Ihre Stärke gegenüber kontrollierten Studienliegt, wie oben genannt, in der Offenheit fürpotenzielle Kontextfaktoren (keine Selektiondurch strukturgleich konstruierte Durchschnittspatienten,keine Einengung der Flexibilitätdurch Manuale oder Operationalisierungsvorgaben)und in der beständigenAnpassung der Behandlung an die Erfordernissedes individuellen Falls. In diesem Sinnrealisieren Einzelfallanalysen personalisierteoder individualisierte Psychotherapieforschung.Dabei können durch tiefere Interpretationauch Hypothesen über umfassendereTiefenmerkmale gewonnen werden, dieauch für andere Patienten von Bedeutungsein könnten. Prototyp solcher Einzelfallstudiensind die Fallanalysen Sigmund Freuds,der auf der Grundlage sehr weniger Fälle einumfassendes theoretisches Psychotherapiegebäudeentwickelte.Es würde die Aussagekraft solcher Hypothesen,wie sie in klinischen Einzelfallbehandlungenaufgestellt werden können,natürlich sehr erhöhen, wenn sie unterFragestellung behandlungsrelevanter Kontextfaktorenvon den jeweiligen Therapeutensystematisch analysiert würden undein Medium (z. B. eine entsprechendeZeitschrift) oder eine Einrichtung existierenwürde, die diese Informationen veröffentlichtund zusammenfasst. Man könnte diesals Nutzung der Schwarmintelligenz zahlreicherklinischer Praktiker bezeichnen.Eine andere Möglichkeit, behandlungsrelevanteKontextfaktoren zu ermitteln, sindnachträgliche Einzelfalluntersuchungen ausRCTs wie in dem auf Seite 4/5 beschriebenenVersuch der ASCO-Studie und denkonstruierten Studien auf Seite 7, Beispiele1 und 2.Die großen wissenschaftlichen Schwächenvon Einzelfallanalysen bestehen allerdingsin der geringen Übertragbarkeit der Ergebnissesowie der mangelnden Eindeutigkeit,Reproduzierbarkeit und Überprüfbarkeit.Die Hypothesen könnte Ergebnis einerFehlinterpretation sein, Spontanremissionen,Placeboeffekte und andere unbekannteEinflüsse könnten für das Ergebnisverantwortlich sein.Zur Absicherung der in Einzelfallanalysengewonnenen Hypothesen ist daher einweiterer Zwischenschritt erforderlich. DieseStufe überschreitet allerdings die Möglichkeiteiner Einzelpraxis und muss vonStudienzentren durchgeführt werden, dieaber mit den forschenden Einzelpraxenverbunden sein müssen, da diese ihnendie Hypothesen der ersten Stufe liefern.Bei diesem nächsten Schritt würde gezielteine Gruppe A solcher Probanden zusammengestellt,die aufgrund der in Einzelfallanalysengewonnenen Hypothesen Merkmaleoder Merkmalkombinationen aufweisen,welche sie wahrscheinlich besondersgut auf die Behandlung ansprechen lassen.Diese Gruppe würde dann mit einerGruppe B verglichen, die diese potenziellwesentlichen Merkmale nicht enthält. BeideGruppen erhielten dann die zu prüfendeBehandlung (enrichment design). Zeigtdieser Gruppenvergleich eine statistischsignifikante bessere Wirksamkeit der Behandlungin Gruppe A, kann dies als weitereBestätigung der Hypothese gewertetwerden, welche der Probandenmerkmalerelevant sind und welche nicht. Zeigt derGruppenvergleich keine Unterschiede, hättedies folgende Konsequenz: Die anfängliche,aus Einzelfallanalysen gewonneneHypothese über bestimmte wesentlicheKontextfaktoren muss verworfen werden.Die in den früheren Einzelfallstudien gefundenenWirksamkeitsunterschiede sindwahrscheinlich auf andere Faktoren zurückzuführen.In diesem Fall beginnt eineneue Analyse, um solche anderen Faktorenherauszufinden.Durch solche schrittweise aufeinander bezogenenStudien könnten zunehmend sichererdie Kontextfaktoren von Probandenmit gleicher Störungsdiagnose differenziertwerden, die sie besonders gut oderschlecht auf die zu untersuchende Behandlungansprechen lassen.Als Ergebnis solcher Studienketten liegtschließlich ein durch systematische empirischeUntersuchungen gefundenes Modellder für die Fragestellung wesentlichenKontextmerkmale der Versuchsperson (dieabhängige Variable) vor.Mit diesem Ergebnis können Wirksamkeitsunterschiedeein und derselben Behandlungzwischen verschiedenen Subgruppenfestgestellt werden, jedoch nochkeine Wirksamkeitsunterschiede zwischenverschiedenen Behandlungsverfahren innerhalbeiner stratifizierten Subgruppe.Wirksamkeitsstudien:Stratifizierte RCTsDie Beantwortung dieser Frage geschiehtnun durch eine Wirksamkeitsstudie, ambesten durch ein RCT. Ein solcher RCT,dessen Gesamtstichprobe auf der Grundlageder genannten Relevanzstudien stratifiziertwurde, in der also alle Probandendie für die Fragestellung wesentlichenMerkmale aufwiesen, liefe nicht mehr Gefahr,diese Faktoren als „Störvariablen“ auszumerzen.Dies ermöglicht eine passgenauereBehandlung für die untersuchteSubgruppe von Patienten, das entsprechendeVerfahren würde zur Behandlungerster Wahl für diese Subgruppe. Für dieandere Subgruppe, bei der das untersuchteVerfahren wenig wirksam ist, begänne<strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>9


Personalisierungsansatz in der Medizin: Nützlich auch für die Psychotherapie?die Suche nach einem für diese Subgruppegeeigneteren Behandlungsverfahren.Neues Klassifikationssystem fürdie Evidenz von StudienAus Sicht einer stratifizierten Psychotherapieforschungmüssten die bisherigen Klassifikationssystemezur Beurteilung des Evidenzgradesvon Studien verändert werden.Eine aktuelle Einteilung des Evidenzgradesvon Studien lautet:• Level 1a: Es gibt ausreichende Nachweisefür die Wirksamkeit aus systematischenÜberblicksarbeiten (Meta-Analysen)über zahlreiche randomisiertkontrollierte Studien.• Level 1b: Es gibt Nachweise für dieWirksamkeit aus mindestens zwei randomisiertkontrollierten Studien.• Level 2a: Es gibt Nachweise für dieWirksamkeit aus zumindest einer randomisiertkontrollierten Studie.• Level 2b: Serie von gut angelegtenquasi-experimentellen Studien (Effectivness-Studien,prospektive Kohortenstudien,Fallkontrollstudien, experimentelleEinzelfallstudien).• Level 3: Es gibt Nachweise für die Wirksamkeitaus methodisch gut konzipiertenStudien ohne randomisierte Gruppenzuweisung.• Level 4a: Es gibt Nachweise für dieWirksamkeit aus klinischen Berichten.• Level 4b: Stellt die Meinung respektierterExperten dar, basierend auf klinischenErfahrungswerten bzw. Berichtenvon Experten-Komitees.(Leitlinien: Psychotherapie affektiver Störungen,2004, zitiert in Anlehnung anChambless & Hollon, 1998; Segal, Whitney& Lam, 2001)Aus Sicht einer stratifizierten Psychotherapieforschungkann jedoch der höchsteGrad empirische Begründetheit (Evidenzgrad)nicht aus der Verwendung von RTCsals solcher geschlossen werden, sondernaus der Validität der RCTs. Diese hängt inerster Linie davon ab, ob die zu untersuchendeStichprobe neben der Krankheitsdiagnosetatsächlich die für die Fragestellungwesentlichen Kontextfaktoren aufweistoder nicht. Diese Validität würde sichals Ergebnis eines breiter verteilten undmehrstufigen Prozesses, in dem Einzelfallstudienund vergleichende Gruppenuntersuchungenmit stratifizierten RCTs kombiniertwerden, ergeben.Nicht eine hierarchische Einordnung verschiedenerStudientypen mit qualitativ unterschiedlichenErkenntniszielen (Wichtigkeitvs. Wirksamkeit) in ein Klassifikationssystem,sondern deren spezifische Kombinationist der sinnvolle Weg guter empirischerBegründetheit. Ein hoher Evidenzgradkönnte aus der Sicht stratifizierender Psychotherapieforschungso definiert werden:Das in der Studie gewählte Modell der abhängigenVariablen enthält die für die Fragestellungwesentlichen Kontextfaktoren.Diese wurden mit hoher Plausibilität ausder vorhandenen Theorie abgeleitet, durcheinen mehrstufigen Prozess verschiedenerStudien hypothetisch ermittelt und mitsukzessiv-selektierenden Gruppenuntersuchungenempirisch erhärtet. Die Kausalitätsbeziehungzwischen unabhängiger Variablenund der so ermittelten abhängigenVariablen wurde schließlich durch ein RCTüberprüft, dessen Ausgangsstichprobe dieoben ermittelten wesentlichen Kontextfaktorenenthält.Offene Fragen derPsychotherapieforschungMit diesem Vorschlag einer stratifizierendenPsychotherapieforschung ist, dasmuss relativierend gesagt werden, lediglichein Schritt hin zu einer der Komplexitätpsychotherapeutischer Phänomene angemessenerenForschungsstrategie getan.Einige wichtige Probleme der Psychotherapieforschungsind in diesem Artikel nichtangesprochen worden. Dazu gehört, dassdie einwirkende Größe, die unabhängigeVariable (Psychotherapieverfahren, -methode,-technik) in der Psychotherapieforschungkeine homogene, eindeutig bestimmbareGröße darstellt wie etwa chemischeZusammensetzung und Dosis einesMedikamentes, sondern eine komplexeEinheit verschiedener Merkmale. Dieseunterschiedlichen Merkmale könnten beiverschiedenen Probanden unterschiedlichwirken. Ein Psychotherapieverfahren ist etwain der Praxis kaum trennbar von denjeweiligen Merkmalen des Menschen, derdieses Verfahrens durchführt, also demTherapeuten und dessen Eigenarten. DieseEigenarten (z. B. Alter, Geschlecht, Erfahrung,Glaubwürdigkeit, Humor, Feinfühligkeit)bestimmen in Abhängigkeit derunterschiedlichen Empfänglichkeiten derPatienten ohne Zweifel wesentlich den Effektdes Verfahrens mit. Es ist daher ohnevorhergehende Studien kaum zu kontrollieren,welche Aspekte der unabhängigenVariablen „Psychotherapieverfahren“ inwelchem Maß verantwortlich sind für denTherapieeffekt.Ähnlich wie bei dem hier vorgeschlagenenWeg bezüglich der abhängigen Variablenmüssten daher Methoden entwickelt werden,auch bei der unabhängigen Variablenvor der Durchführung von RCTs jene Merkmalezu ermitteln, die für die Wirkung aufdie relevanten Merkmale der abhängigenVariablen wichtig bzw. nicht wichtig sind.Weiterhin ist zu bedenken, dass die Beziehungzwischen unabhängiger und abhängigerVariablen, also zwischen Therapeutund dessen Vorgehensweise auf der einen,dem Patienten auf der anderen Seite,nicht unidirektional – wie in üblichen Interventionsstudienunterstellt –, sonderndynamisch-bidirektional ist. Beide Seitensind nicht nur Objekte, sondern auch Subjekteund beeinflussen sich gegenseitig.Das Einwirkungs-Effekt-Modell müsste alsodurch ein sich entwickelndes Wechselwirkungsgeschehenzwischen unabhängigerund abhängiger Variablen ersetztwerden, in dem die abhängigen und unabhängigenVariablen ihre Positionen ständigtauschen. Da diese Rückkopplungsprozessesich verstärken (positive Rückkopplung),abschwächen (negative Rückkopplung)oder zu qualitativ neuen Ergebnissenführen können, müsste ein angemessenesModell sie in ihrer zeitlichen Dynamik alseine Art zirkuläre Kettenreaktion abbilden.Ein solches Modell wurde als „Generic Modelof Psychotherapy“ (Orlinsky & Howard,1986) skizziert. Es fehlen bisher allerdingsMethoden, ein solches dynamischesWechselwirkungsverhältnis in Interventionsstudienreproduzierbar abzubilden.10 <strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>


M. KluckenEs ist Aufgabe zukünftiger Forschung, vomallzu vereinfachenden, konventionellen naturwissenschaftlichenKausalitätsparadigmazu einer Methodik zu kommen, die denkomplexen systemischen und subjektivenEigenarten des psychotherapeutischen Geschehensbesser gerecht wird.Dr. med. Michael Klucken, Facharzt fürpsychosomatische Medizin und Psychotherapie,Diplom-Psychologe, ist in eigenerKassenarztpraxis niedergelassen undvon der Ärztekammer Niedersachsen weiterbildungsermächtigtfür Verhaltenstherapie,Autogenes Training und Hypnose.Sein Interessensschwerpunkt ist schulenübergreifendePsychotherapie.LiteraturDie Literaturangaben zu diesem Artikel findenSie auf der Internetseite der Zeitschriftunter www.psychotherapeutenjournal.de.Dr. med. Michael KluckenAm Bloher Forst 1826160 Bad Zwischenahndr-klucken@t-online.de<strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>11


Denn sie wissen nicht, was wir tun –Die Dis kussion über die Pflicht zur standardisiertenDiagnostik droht zum Selbstgesprächzu werdenThorsten PadbergZusammenfassung: Im Namen der Wissenschaft wird zurzeit die Notwendigkeit standardisierterDiagnostik betont. Der Artikel weist eine einseitige Inanspruchnahme „derWissenschaft“ durch die Befürworterinnen und Befürworter 1 standardisierter Diagnostikzurück. Psychotherapiepraktiker, die dieser Form der Diagnostik skeptisch gegenüberstehen,haben gleichwertige Wissenschaftsansprüche, die nicht notwendig zur Forschungim Widerspruch stehen. Bei Psychotherapeuten festzustellende Abweichungen vonstandardisiert gestellten Diagnosen rechtfertigen zudem keine Schlüsse auf die Persönlichkeitdieser Psychotherapeuten. Es wird die Frage gestellt, ob standardisierte Diagnostikden Interessen der Klienten dient, und erläutert, welche Rolle Diagnosen im Therapieprozessspielen. Der Zwang zur standardisierten Diagnostik übergeht ethische undpraktische Überlegungen sowie kommunikative Prozesse, die der Psychotherapie alsWissenschaft wesentlich sind.Für Antrag und Bewilligung einer Psychotherapiesollen standardisierte Testverfahrenin Zukunft Voraussetzung sein, so wirdes im Gemeinsamen Bundesausschussder Ärzte und Psychotherapeuten inDeutschland (G-BA) diskutiert. Dass eingroßer Teil der Praktiker seine Diagnosennach sogenannten „unstrukturierten Interviews“stellt, das heißt ohne einen Leitfaden,in dem die Fragen zum Leiden derKlienten vorgegeben wären, soll damit Vergangenheitsein. Auch Veränderungen derSymptomatik müssten dann durch Fragebögenerfasst werden.Jetzt hat die am Modell einer schulenübergreifendenAllgemeinen Psychotherapieorientierte Psychotherapieforschung schonbei der Verbreitung der von ihr als überlegenangesehenen therapeutischen Methodikmassive Schwierigkeiten erfahren (vgl.Padberg, 2011; 2012): Viele Praktiker lösensich nicht von den in ihrer Ausbildung gelerntenHerangehensweisen. Sie bleibenwährend ihrer Berufstätigkeit einer odermehreren psychotherapeutischen Schulenverbunden, statt ihre Praxis an den neuestenwissenschaftlichen Erkenntnissen auszurichten.Wenn jetzt die Pflicht zur standardisiertenDiagnostik kommen soll,fürchten die Initiatoren mit gutem Grund:Widerstand.Fragen, die niemandgestellt hatEs gibt deshalb schon im Vorfeld Bemühungen,eine Diskussion zu initiieren, diedie Sorgen der Praktiker eindämmen soll.„Die Seele ist doch nicht messbar, oder?“,fragte etwa der Titel einer Informationsveranstaltungam 3. Juli 2012 zur standardisiertenDiagnostik des Ausschusses fürWissenschaft, Forschung und Qualitätssicherungder PsychotherapeutenkammerBerlin. Die Fragen der Praktiker sollten damitaufgegriffen werden. Nein, die Seelesei natürlich nicht messbar, erklärte dortProf. Thomas Fydrich von der Humboldt-Universität Berlin, ihre Manifestationen,wie Symptome und Persönlichkeitseigenschaftenetc., aber doch. Die ebenfalls vor-tragende Psychologische PsychotherapeutinSabine Schäfer wollte beruhigen.Testdiagnostik sei eine gute Sache, erklärtesie den Zuhörern. Nach der Anwendungvon Tests könnten sie sicher sein, nichtsübersehen zu haben. Und eine schöne Erfolgskontrollesei es auch, das kleine Testpaket,das sie anschließend vorstellte –und daher den Aufwand wert. Auch einThemenheft der Zeitschrift Psychotherapieim Dialog widmet sich der standardisiertenDiagnostik. Im Editorial „Zähneknirschendoder neugierig?“ erheben die Herausgebermit vereinnahmendem „Wir“ füreinen Moment die Stimme der Praktiker:„Wir als Therapeuten wissen doch, wie esunseren Patienten und Klienten geht undwie erfolgreich oder auch begrenzt die gemeinsamentherapeutischen Bemühungenggf. sind.“ (Schauenburg & Köllner,2012, S. 1) Nachdem die Praktiker-Perspektivescheinbar eingenommen wurde,sehen die Autoren Grund zum Zweifeln:Übersehen „wir“ nicht eventuell „unterschwelligetherapeutische Prozesse odersogar auch gelegentlich gravierende Dinge“,sind „wir“ nicht wie die „85% aller Autofahrer,die fest der Überzeugung sind,besser als der Durchschnitt zu fahren“(a. a. O.)? Durch standardisierte Diagnostikwürden „therapeutische Fehlentscheidungen(...) minimiert“ (Köllner & Schauenburg,2012, S. 89). Eine große Zahl therapeutischerMisserfolge gehe „letztlich auf1 Aus Gründen der besseren Lesbarkeit werdenim Folgenden nicht durchgängig beideFormen genannt. Selbstverständlich sind jedochimmer Männer und Frauen gleichermaßengemeint.12 <strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>


T. Padbergdiagnostische Fehler“ zurück, ergänzenHoyer und Knappe (2012, S. 5), ein Verzichtauf die notwendige standardisierteDiagnostik sei „inakzeptabel und fahrlässig“(ebd., S. 4), der Nutzen diagnostischerInterviews stehe „ohnehin außer Frage“(ebd., S. 3).Auf diese Weise vorbereitet ist das Ergebnisder Diskussion schon durch die Schilderungder Ausgangslage vorgezeichnet.Folgt man den genannten Beiträgen, stehenhier gegeneinander: der Glaube andie Seele gegen das Wissen um Symptomeund ihre Behandlung, die Bequemlichkeitgegen die Genauigkeit, die Bedürfnisseder Praktiker gegen die Erkenntnisseder Wissenschaft. Im schlimmsten Fallsteht die Selbstbezogenheit des Praktikersdem Wohlergehen des Patienten im Weg(vgl. Hoyer & Knappe, 2012, S. 3).Es sei eben „nicht einfach“, gegen den„evidenzbasierten Zeitgeist“ zu argumentieren,stellen Köllner und Schauenburg(2012, S. 89) abschließend fest, weshalbeine Gegenrede „Mut“ erfordere. DieserEinschätzung sekundiert dann auch die zurmutigen Kritik geladene Praktikerin: Ihr Artikelstelle „keinen wissenschaftlichen Anspruch“,sondern orientiere sich an der klinischenErfahrung (Meiser-Storck, 2012,S. 6). Offenbar sind auch manche Praktikerinzwischen der Meinung, gegen standardisierteDiagnostik ließe sich nur auf nichtwissenschaftlicherBasis argumentieren.Jetzt ist es so: In einer Diskussion stehtman besonders gut da, wenn man ihr einzigerTeilnehmer ist, und am einfachstenargumentieren lässt sich gegen eine völligüberzeichnete Position. Am effektivstenstellt man das sicher, indem man beideSeiten gleich selbst übernimmt: Praxis versusForschung, das bedeutet Seele gegenMessung, Willkür gegen Genauigkeit. Abersind wirklich das die Bedenken, die Praktikervon einer standardisierten Diagnostikabhalten?Ich will im Folgenden die auf diese Weisegezogenen Konfliktlinien korrigieren. DieFront verläuft nicht zwischen Wissenschaftund Praxis oder gar zwischen Therapeutund Klient. Um dies zu verdeutlichen, werdeich im Folgenden zeigen:1. Gegen den sogenannten evidenzbasiertenZeitgeist zu argumentieren, ist – andersals Köllner und Schauenburg (2012)meinen – nicht schwer, wenn man sichaus der scheinbaren Opposition von Praxisund Forschung löst. Es ist überdiesaktuell besonders leicht, weil die gegenwärtigeEvidenz die Praxis, Diagnostiknicht notwendig standardisiert durchzuführen,stützt. Leitfrage: Was ist wissenschaftlichePsychotherapie?2. Gegen den sogenannten evidenzbasiertenZeitgeist zu argumentieren, istzudem nicht mutig. Mut ist kein Merkmalder wissenschaftlichen Auseinandersetzung.Hier zeigt sich lediglich eineVerschiebung der Debatte von einerwissenschaftlichen Auseinandersetzungzu einer Debatte über den Charaktervon Praktikern. Leitfragen: Was ist Diagnostik,was Ethik in der Psychotherapie?Und wie hängt beides zusammen?3. Standardisierte Diagnostik ist darüberhinaus nicht notwendig für gelingendePsychotherapie. Notwendig ist hingegenzunächst die wissenschaftlicheAuseinandersetzung über Vor- undNachteile standardisierter Diagnostik.Leitfrage: Was ist für die psychotherapeutischeVeränderung nützliche Information?Zu 1): Gegen den evidenzbasiertenZeitgeist zuargumentieren ist leicht„Glücklicherweise (…) haben sich dieTherapeuten und Klienten bisher weitgehendunabhängig von den Ergebnissender Psychotherapieforschung verhalten.Hätten sie sich wissenschaftsgläubig (…)am angeblichen Stand der Psychotherapieforschungorientiert, so wäre vielenMenschen die Hilfe versagt geblieben, diesie inzwischen tatsächlich gefunden haben.“Nach Köllner und Schauenburg(2012) können solche Statements nurschwer gegen den „evidenzbasierten Zeitgeist“abgegeben werden. Wer als Autordieser Zeilen einen Praktiker vermutet, dersich gegen den „Stand der Wissenschaft“stemmt, liegt jedoch falsch. Beim Urheberhandelt es sich um Klaus Grawe (1986,S. 517), Deutschlands wohl prominentestenPsychotherapieforscher. Es lässt sichalso recht leicht gegen den „evidenzbasiertenZeitgeist“ argumentieren, weil dies allenthalbengemacht wird – nicht zuletztvon Psychotherapieforschern selbst. WasKöllner und Schauenburg (2012) hier somodisch „Zeitgeist“ taufen, hat sich immerwieder geändert: So galt namhaften PsychotherapieforschernPsychotherapie zunächstals gänzlich unwirksam (Eysenck,1966), dann grundsätzlich wirksam ohnegroßen Unterschied zwischen den einzelnenTherapieverfahren (Smith & Glass,1977) sowie wieder etwas später nur ineinigen wenigen ihrer Verfahren als nachweislichwirksam (Grawe, 1992). Selbstverständlichhat Grawe sein Statement alsFortschritt gegenüber den früheren Erkenntnissenaufgefasst, als Ausdruck seinerdifferenzierteren Sicht auf die Ergebnislage.Inzwischen geht in der Psychotherapieforschungder Trend jedoch zum „Retro-Chic“,und das Zwischenergebnis vonSmith und Glass (1977) soll wieder gelten.Bruce Wampold (2001), der den Ergebnisstandder Psychotherapieforschung unteranderen Gesichtspunkten neu analysierthat, ist wieder zu dem Schluss gekommen,alle untersuchten Verfahren seien etwagleich wirksam.Diese jüngsten Ergebnisse sind bei vielenPraktikern populär, weil sie darin ihr täglichesVorgehen bestätigt sehen. Nach WampoldsInterpretation klärt die therapeutischeBeziehung „dramatisch mehr“ Outcome-Varianz auf, als alle spezifischen Treatmentszusammen (2001, S. 158). Vergleichsweiseunwichtig sei dagegen, ob die für spezifischeDiagnosen geschneiderten Manualebefolgt werden (ebd. S. 159ff.). Wampold(pers. Mitteilung) sieht deshalb in der neuestenEntwicklung der Psychotherapieforschunghin zur Untersuchung sogenannter„transdiagnostischer Ansätze“ (z. B. Harvey,Watkins, Mansell & Shafran, 2004), die eherdie Gemeinsamkeiten als die Unterschiedeverschiedener psychischer Störungen hervorheben,eine langsame Rückbesinnungauf therapeutische Ansätze, die nicht fürspezifische Diagnosen gedacht sind. Es istin der Debatte daher sogar möglich, mitdem „evidenzbasierten Zeitgeist“ für eineuntergeordnete Rolle standardisierter Diagnostikzu argumentieren.<strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>13


Die Diskussion über die Pflicht zur standardisierten Diagnostik droht zum Selbstgespräch zu werdenals schwer geltenden psychischen Störungenkeine Einigkeit der Experten gibt, wiesieht es dann erst bei vielen anderen Diagnosenaus, bei denen die Differenzierungoft noch viel feinere Unterscheidungenerfordert?Im Fall von Anders Breivik weichen die Expertenhinsichtlich der genannten Diagnosenvoneinander ab. Aber selbst im Falleder Einigkeit über das Diagnoselabel könnendie Beteiligten sich bzgl. der dazugehörigenPhänomene uneinig sein. Die inden Klassifikationswerken der Psychiatriezu findenden Symptome und Syndromesind Ergebnis eines Diskussionsprozesses,der erst nach vielfältigen Abwägungen ineinem Kategorisierungssystem mündet(siehe Kasten 2, S. 15).Der fundamentale Attributionsfehlerder bisher geführtenDebatte ist, die vereinbartenNamen für die benannte Sachezu haltenTochter: Was bedeutet „objektiv“?Vater: Also, es bedeutet, daß man Dinge,die man beobachten will,sehr genau beobachtet.Tochter: Das klingt vernünftig.Aber wie suchen die Leute die Dinge aus,bei denen sie objektiv sein wollen?Vater: Na ja, sie wählen die Dinge aus,bei denen es leicht ist, objektiv zu sein.Tochter: Aber woher wissen sie, daß essich dabei um leichte Dinge handelt?Vater: Ich nehme an, sie probierenverschiedene Dinge aus und stellen esdann aufgrund ihrer Erfahrung fest.Tochter: Du meinst, leicht für sie?Vater: Ja.Tochter: Dann ist es also einesubjektive Auswahl?Vater: Oh ja. Alle Erfahrung ist subjektiv.(aus: Gregory Bateson, Ökologie des Geistes,1992)Nach ICD und DSM gestellte Diagnosen bestehennicht an sich, sie sind keine Übersetzungenaus dem Geistigen ins Deutsche. Sieberuhen auf Übereinkunft. Sogar Hans Westmeyer(2009, S. 49), der ehemalige Herausgeberder Diagnostica, laut Selbstbeschreibung„die unverzichtbare Zeitschrift für jedendiagnostisch arbeitenden Psychologen“,nennt Diagnosen „raumzeitlich zu relativierendeKonstruktionen“. Psychische Störungenhaben demnach keine eigenständigeRealität. Sie werden nicht entdeckt, sie werden„deklariert“ (Szasz, 2010, S. 12). Der BerlinerProfessor für Psychologie Klaus-JürgenBruder (1993, S. 7) geht noch einen Schrittweiter und stellt fest: „Das Psychische wirddurch unsere Rede darüber nicht nur geformt,sondern konstituiert.“ Konkret: GeneralisierteAngststörungen vor und nach Veröffentlichungdes bald erscheinenden DSM-Vsind unterschiedliche Phänomene (sieheauch Kasten 2).Weil die zur Diagnostik benutzten Worte beiden verschiedenen Diagnostikern gleichsind, denkt man, sie behandelten den gleichenGegenstand. Das ist der fundamentaleAttributionsfehler der aktuellen Debatte:Hinter jedem diagnostischen Label wird eineabgegrenzte psychische Störung vermutet.Dabei hängt das Ergebnis eines diagnostischenInterviews – ob standardisiertoder nicht – auch von den gestellten Fragenab und von den Kriterien, nach denenman die Antworten, die man darauf erhält,bewertet. Und – wie der Hinweis des Obergutachtersim Fall Breivik zeigt – auch vonden Interessen des Fragestellers: Das Gerichtkonnte entscheiden, worauf es bei derBewertung von Breiviks Pathologie Wertlegt. Diagnosen sind also weniger objektiveBeschreibungen als vielmehr Werkzeugefür bestimmte Zwecke. Mit gutem Grundweichen die Experten voneinander ab.Der Umgang mit Diagnosen istkeine Frage des Mutes, sonderneine der psychotherapeutischenPraxis in einem komplexen gesellschaftlichenRahmenDiagnostik ist kein Selbstzweck. Man bestimmtggf. durch die Stellung einer Diagnosedas Strafmaß eines Angeklagten, entscheidetüber die Kostenübernahmepsychotherapeutischer Gespräche durchdie Krankenkasse und bahnt einen Weg ausvon Klienten geschilderten Problemen. Mitden Bedürfnissen der Gesellschaft ändernsich im Laufe der Zeit auch die Diagnosen:Melancholie, Homosexualität und der Minderwertigkeitskomplexsind außer Gebrauchgeraten. Dagegen sind z. B. Burnout,Onlinesucht (siehe hierzu auch denBeitrag von Teske, Theis & Müller in dieserAusgabe, S. 19-26) oder pathologischeSchulangst mögliche Kandidaten für zukünftigeKlassifikationskataloge. Die ersteDebatte über Diagnosen sollte deswegennicht vorwiegend über deren Genauigkeitund Reliabilität geführt werden, sondernüber ihre Nützlichkeit. Ein alleiniger Verweisauf die Richtigkeit der Diagnosestellung istdafür unzureichend, die entscheidende Fragemuss heißen: richtig wofür?Wenn diese Frage dann von Praktikern andersals von Forschern beantwortet wird,liegt das u. a. daran, dass sie Diagnosennicht nur im Dienste der Wissenschaft, sondernauch im Sinne der Veränderungswünscheihrer Klienten vergeben. Diagnosensind in der Psychotherapie nur dann hilfreicheWerkzeuge, wenn sie therapeutischenZwecken dienen, Zielen, die Gesellschaft,Therapeut und Klient für wichtig halten. Eskann sinnvoll sein, dem gerade geltendenKonsens der DSM- und ICD-Autoren nichtzu folgen. Ein Verzicht auf standardisierteDiagnosestellung ist deshalb nicht mutig,sondern u. U. eine Notwendigkeit der psychotherapeutischenPraxis.Entscheidend für den Psychotherapeutenist, welche Vorannahmen in den zu stellendenDiagnosen transportiert werden. Erweiternsie die Handlungsmöglichkeiten oderuntergraben sie, möglicherweise durch ihrestandardisierte Erfassung, die psychotherapeutischeVeränderungsarbeit?Zu 3): Nicht die standardisierteDiagnostik ist notwendig,sondern zunächstdie Debatte über ihre VorundNachteileErinnern wir uns an die Kritik von Terber, Untersingerund Köllner (2012), Psychothera-2 Terber, Untersinger und Köllner (2012) treffenhier eine gewichtete Auswahl. Wennman die Depressionsdiagnose nicht schonvoraussetzt, könnte ja auch die Schwere derSymptomatik (Auswahl aus dem Bericht desKlienten) durch kognitive Verzerrungen (bestimmteGewichtung entsprechend der kognitivenTheorie) im Therapiegespräch vomKlienten überschätzt werden, sodass nachden ICD-Kriterien möglicherweise überhauptkeine Diagnose zu stellen wäre.16 <strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>


Die Diskussion über die Pflicht zur standardisierten Diagnostik droht zum Selbstgespräch zu werdenEin pragmatischer Hinweis„Folgendes wird passieren [wenn Sie sichauf die Behandlung einlassen]: Dieseselbstabwertenden Gedanken werdenständig auftreten oder weniger werden– oder auch nicht. Das garantiere ichIhnen. Falls es anders kommt, zahle ichIhnen alle Sitzungshonorare zurück!“(Steven Hayes erläutert einer Klientin mitSelbstwertproblemen das Behandlungsrationaldes ACT-Ansatzes. Aus: StevenHayes, ACT in Action. Cognitive Defusion,2007)Wie wir miteinander und mit unseren Klientenüber psychische Probleme kommunizieren,sollte stark davon beeinflusstsein, wie wir psychische Probleme lösenkönnen. Die Psychotherapieschulen habendafür viele Vorschläge gemacht, dieunterschiedlichen gesellschaftlichen Werten– und damit voneinander abweichendenVorstellungen von „wir“ – verpflichtetsind. Der auf diese Werte gerichtete Blickermöglicht die Abschätzung der Relevanzvon Symptomen und Psychotherapieergebnissen– und legt Mittel zur Erreichungdieser Ergebnisse nahe. Die Bewertungder Wissenschaftlichkeit und Effektivitätvon Psychotherapie durch die isolierteZählung und Benennung von Symptomenund Syndromen und die anschließendeMessung ihrer Verminderung ist dagegeneine Verlegenheitslösung, zu der mangreift, wenn man über die Exaktheit derPsychotherapiewissenschaft ihre Ziele vergessenhat:„Wo eine fundierte inhaltlich-substantielleTherapietheorie fehlt, lässt sich einebestimmte Vorgehensweise natürlich nuranhand von Outcomes begründen.“(aus: Kriz, 2007, S. 164)Dass dies nun mittels standardisierter Diagnostikund Evaluation in der Psychotherapieinstitutionalisiert werden soll, müssenwir mit allen Beteiligten diskutieren. ZurBeurteilung der Güte psychotherapeutischerArbeit sind die durch Standardisierungerhöhte Objektivität, Reliabilität undValidität von Diagnosen und Ergebnissenwichtige Kriterien zweiten Ranges. Siekommen erst dann zur Geltung, wenn Einigkeitüber die Werte, Ziele und Problemeder Beteiligten schon hergestellt ist. DieseEinigkeit findet sich aber nur dann, wennaus Selbstgesprächen Dialoge werden, indenen ein „Wir“ erst seinen Sinn erhält.LiteraturDie Literaturangaben zu diesem Artikel findenSie auf der Internetseite der Zeitschriftunter www.psychotherapeutenjournal.de.Thorsten Padberg, Dipl.-Psych., arbeitetals Psychologischer Psychotherapeut ineigener Praxis. Er beschäftigt sich mit denBedingungen der Möglichkeit wissenschaftlicherPsychotherapie.Dipl.-Psych. Thorsten Padberg, M.A.Psychologischer PsychotherapeutBaumschulenstr. 7312437 Berlintorsten.padberg@freenet.de18 <strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>


Internetsucht – Symptom, Impulskontrollstörungoder Suchterkrankung?Eine Übersicht zum Forschungsstand und zu den Implikationen für dietherapeutische PraxisAnnette Teske, Philipp Theis & Kai W. MüllerZusammenfassung: Im Suchthilfesystem ebenso wie im Bereich der Erziehungsberatungund ambulanten Psychotherapie werden seit einigen Jahren immer mehr Klientinnenund Klienten 1 vorstellig, die von Symptomen als Folge einer übersteigerten Internetnutzungberichten. Diese ähneln den Kardinalsymptomen klassischer Abhängigkeitserkrankungenund führen zu teilweise erheblichen Funktionseinschränkungen und Leidensdruck.Es erscheint absehbar, dass die Anzahl von Betroffenen auch in den kommendenJahren nicht weniger werden wird. Aus diesem Grunde erscheint es sinnvoll,Fachleute aus dem Bereich Beratung und Psychotherapie mit Informationen zum aktuellenKenntnisstand über Internetsucht zu versorgen, bisher ausgearbeitete therapeutischeVorgehensweisen vorzustellen und Implikationen für die weitere therapeutischeTätigkeit im Umgang mit Betroffenen abzuleiten. Dieser Beitrag soll eben diese Sachverhalteaufgreifen und das Thema Internetsucht praxisnah aufbereiten.EinleitungMan könnte es als einen kleinen Aufschreibezeichnen, der durch die Reihen medizinischerund psychologischer Expertenging, nachdem die American PsychiatricAssociation (APA) im Jahre 2012 auf ihrerWebseite ankündigte, dass ein Expertengremiumsich für die Aufnahme eines Störungsbildesnamens „Internet Use Disorder“ausgesprochen hatte. Dieses einstvon einem Psychiater namens Goldberg(1995) im Scherz erwähnte Phänomen erfuhrseine erste klinische Beschreibungdurch Young (1996) und entwickelte daraufhinsehr schnell das Potenzial, zahlreichewissenschaftliche Studien und Kontroversenzu nähren. Die wissenschaftlicheForschung hat sich dieser Problematikmittlerweile unter dem Begriff „InternetAddiction“ (Internetsucht) angenommenund zahlreiche Veröffentlichungen legendie Nähe dieses neuartigen Störungsbildeszu anderen Abhängigkeitserkrankungennahe. Derzeit existiert jedoch wohl kaum<strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>ein anderes klinisch-psychologisches Konstrukt,das derartig polarisiert. Und dennoch,eines kristallisiert sich mehr undmehr heraus: Internetsucht kann zu einemerheblichen Leidensdruck bei Betroffenenführen, was sie zum Diskussionsgegenstandfür die psychotherapeutische Arbeitwerden lässt.Der erste Abschnitt dieses Beitrags widmetsich dem aktuellen Kenntnisstand zur Internetsucht.Es soll darin eine Auswahl bisherigerForschungsbefunde und deren Interpretationaufbereitet und somit ein Beitragzur nosologischen Verortung diesesbislang nicht näher klassifizierten Störungsbildesgeleistet werden. Eine solche Verortungist dringend notwendig, da sich nurauf der Grundlage einer nachvollziehbarenKlassifikation eines Störungsbildes Kriterienfür dessen Diagnostik, Implikationen füreine störungsspezifische Behandlung undletztlich die Versorgungszuständigkeitenklären lassen. Im zweiten Abschnitt werdendie daraus resultierenden Konsequenzenfür die Behandlungspraxis sowie bereitsbestehende Versorgungsstrukturendargestellt.Nosologische Einordnungvon VerhaltenssüchtenDer Suchtbegriff als klinisches Konstruktbezog sich bislang ausschließlich auf dieEinnahme psychotroper Substanzen. Seiteiniger Zeit zeichnen sich jedoch tiefgreifendeVeränderungen ab, die durch dieAPA, dem für die Revision des Diagnosticand Statistical Manual of Mental Disorders(derzeit DSM-IV-TR) verantwortlichen Organ,angestoßen wurden (Holden, 2010).Im Zuge der Veröffentlichung des DSM-Vim Jahre <strong>2013</strong> wird die bisherige Definitionvon Abhängigkeitserkrankungen zugunsteneiner konzeptuell weiter gefassten Begriffsbestimmungaufgegeben. Das bisherigeKapitel „Substance Use and RelatedDisorders“ erfährt eine Umbenennung undwird fortan als „Addiction and Related Disorders“geführt. Infolgedessen wird dasPathologische Glücksspiel – bislang denImpulskontrollstörungen zugeordnet – alserste substanzungebundene Abhängigkeitserkrankungin diesem Kapitel auftauchen(Rumpf & Kiefer, 2011). Dieser Umstandist zahlreichen klinischen, psychologischenund neurowissenschaftlichen Forschungsarbeitenzum Pathologischen1 Aus Gründen der besseren Lesbarkeit werdenim Folgenden nicht durchgängig beideFormen genannt. Selbstverständlich sind jedochimmer Männer und Frauen gleichermaßengemeint.19


Internetsucht – Symptom, Impulskontrollstörung oder Suchterkrankung?Glücksspiel geschuldet, welche die phänomenologischeNähe zu substanzgebundenenAbhängigkeitserkrankungen aufzeigten(vgl. Frascella, Potenza, Brown & Childress,2010).Die Erweiterung des Suchtbegriffs um substanzungebundeneAbhängigkeitserkrankungenbzw. Verhaltenssüchte (Grüsser &Thalemann, 2006) ist zwar umstritten –Anlass für die Kritik ist aufgrund des fehlendenNachweises physiologischer Veränderungenu. a. die Anwendung der diagnostischenKriterien Toleranzentwicklung undEntzugserscheinungen (Petry, 2010) –,aber mit der Revision des DSM wird nunzunehmend den Erkenntnissen der modernenForschung Rechnung getragen undvermutlich werden weitere Verhaltensweisenin die umbenannte Kategorie folgen.Als vielversprechender Kandidat wird derzeitdie suchtartige Nutzung des Internetsgehandelt. Im Zuge der Revision des DSMwird Internetsucht zunächst nicht als eigenständigesStörungsbild, aber als vorläufigeDiagnose im Anhang des DSM-V unterder Bezeichnung „Internet Use Disorder“bzw. „Internet Gaming Disorder“ auftauchen(APA, 21. November 2012). Durchzukünftige Forschung muss dann bewiesenwerden, ob diese Zuordnung als Abhängigkeitserkrankungnachhaltig ist. Unabhängigdavon steht die Revision des inEuropa für die Behandlung maßgeblichenKlassifikationssystems International Classificationof Diseases (ICD; Dilling, Mombour& Schmidt) durch die World HealthOrganisation (WHO) noch aus.Komorbidität undInternetsuchtDiverse klinische Studien zeigen, dass Internetsuchtmit hohen Raten komorbiderpsychischer Erkrankungen einhergeht. Sodeuten viele internationale Studien daraufhin, dass insbesondere depressive Symptomatikenbei Internetsucht häufig auftreten(z. B. Morrison & Gore, 2010; Akin &Iskender, 2011). In einer italienischen Studie(Bernardi & Pallanti, 2009) wurde bei34% der internetsüchtigen Personen zusätzlicheine affektive Störung festgestellt.Eine aktuelle Übersicht zum Zusammenhangvon Internetsucht mit anderen psychischenErkrankungen wurde von Ko,Yen, Yen, Chen & Chen (2012) veröffentlicht.Aus den Befunden zur Komorbidität wirdmanchmal gefolgert, dass Internetsuchtnicht als eigenständiges Störungsbild, sonderneher als sekundäres Symptom einerprimären psychischen Störung anzusehenist (Miller, 2007). Fest steht, dass die meistenbisher publizierten Studien hohe Komorbiditätsratennachweisen konnten, insbesondereaus dem Bereich der Angststörungenund der affektiven Störungen.Auch aus der Forschung zu anderen Abhängigkeitserkrankungenist allerdings einehohe Komorbiditätsrate bekannt. Einejüngst veröffentlichte bevölkerungsrepräsentativeStudie zum Pathologischen Glücksspielwies zum Beispiel nach, dass 95,5%der als Pathologische Glücksspieler identifiziertenUntersuchten ebenfalls eine weiterepsychische Störung aufwiesen (Meyeret al., 2011). Übersichtsarbeiten zur Komorbiditätbei Alkoholabhängigkeit zeigenein ähnliches Bild (vgl. z. B. Maier, Linz &Freyberger, 1997). Trotz der hohen Komorbiditätsratenwerden diese Abhängigkeitserkrankungenals eigenständige Störungsbilderanerkannt.Aufgrund der hohen Komorbidität vorschnellzu folgern, dass Internetsucht nurAusdruck anderer psychischer Erkrankungensein soll, ist daher möglicherweise verfrüht.Dagegen sprechen zum einen ersteForschungsbefunde, denen zufolge sichandere psychische Störungen erst aufGrundlage der Internetsucht entwickelten(Lam & Peng, 2010). Zum anderen legenempirische Befunde zur psychischen Belastungnahe, dass es sich bei Internetsuchtum mehr als nur den Begleitumstandeiner anderen Störung handelt. Sowirkte in einer Analyse von Fu, Chan, Wong& Yip (2010) auch unter statistischer Kontrolleanderer psychischer Auffälligkeiten(z. B. depressive Verstimmung) das Vorliegeneiner Internetsucht als unabhängigerPrädiktor für die psychische Gesamtsymptombelastung.In einer anderen Erhebungverglichen Wölfling, Beutel, Koch, Dickenhorst& Müller (in Druck) Patienten aus derstationären Suchtrehabilitation, die nebender substanzbezogenen Störung komorbidan Internetsucht litten, mit Patienten, dielediglich eine Alkoholabhängigkeit aufwiesen.In der Gruppe der Internetsüchtigenkonnten höhere Belastungswerte gefundenwerden als bei den Vergleichspatienten.Die Untersuchungen zum Zusammenhangvon Internetsucht mit anderen Erkrankungenweisen auch auf einen weiteren relevantenAspekt hin: Internetsucht scheintauch mit anderen Abhängigkeitserkrankungendeutlich gehäuft aufzutreten (Ko et al.,2006; Korkeila, Kaarlas, Jääskeläinen, Vahlberg& Taiminen, 2010). Young (1999)schätzt auf Grundlage klinischer Beobachtungen,dass circa die Hälfte der internetsüchtigenPatienten in ihrer Behandlungzuvor schon wegen einer substanzgebundenenStörung therapeutische Hilfe aufgesuchthatte. In einer Studie an 1.826 Patienten,die in verschiedenen Rehabilitationseinrichtungendes Bundesverbandesfür Stationäre Suchtkrankenhilfe wegen einerAbhängigkeitserkrankung behandeltwurden, wiesen 4,2% eine komorbid vorliegendeInternetsucht auf – ein deutlichgrößerer Anteil als in der Allgemeinbevölkerung(Müller et al., 2012). VergleichbareDaten sind auch hinsichtlich der Komorbiditätanderer Abhängigkeitserkrankungenbekannt (vgl. z. B. Pennings, Leccese &Wolff, 2002). Einer Untersuchung vonMeyer et al. (2011) zufolge weisen 89,8%der Pathologischen Glücksspieler eine Lifetime-Diagnosefür eine andere Missbrauchs-oder Abhängigkeitserkrankungauf. Diese Ergebnisse können als ersterHinweis auf die phänomenologische Näheder Internetsucht zu anderen Abhängigkeitserkrankungenbzw. auf gemeinsameVulnerabilitätsfaktoren gedeutet werden.Darüber hinaus weisen Befunde zu denEntwicklungsbedingungen der Internetsuchtdarauf hin, dass von ähnlichen Risikofaktorenwie bei anderen Abhängigkeitserkrankungenausgegangen werden kann.So konnten beispielsweise genetische Risikomarkeridentifiziert werden, die sowohlfür Internetsucht als auch andere Abhängigkeitserkrankungeneine Rolle spielen(z. B. Lee et al., 2008). Daneben scheintauch eine erhöhte Impulsivität einen psy-20 <strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>


A. Teske, P. Theis & K. W. Müllerchischen Risikofaktor bei der Entwicklungeiner Abhängigkeitserkrankung darzustellen(z. B. McGue, Slutske & Iacono, 1999;Cao, Su, Liu & Gao, 2007). In einer kürzlichveröffentlichten Studie wurden internetsüchtigePatienten mit alkoholabhängigenPatienten und gesunden Kontrollprobandenu. a. hinsichtlich ihrer Ausprägung imTrait Impulsivität verglichen (te Wildt et al.,2012). Die Ergebnisse zeigten, dass sowohlalkoholabhängige als auch internetsüchtigePatienten signifikant höhere Impulsivitätswerteals die Kontrollgruppenaufwiesen, sich untereinander jedochnicht unterschieden. Auch Neurotizismusscheint sich als ein ähnlicher Risikofaktorzu erweisen (z. B. Sher, Bartholow & Wood,2000; Goodwin & Friedman, 2006). Bislangpublizierte Befunde zur Persönlichkeitund Internetsucht deuten auf erhöhteWerte in diesem Trait hin (z. B. Cao & Su,2007; Montag, Jurkiewicz & Reuter, 2010;Müller, 2010), wobei bislang keine prospektivenStudiendesigns realisiert wurdenund somit Rückschlüsse auf die Kausalitätdieser Beziehungen nicht möglich sind.Prävalenz undLeidensdruckWeitere Streitpunkte betreffen Fragennach der Häufigkeit des Phänomens, derStabilität und des daraus resultierendenLeidensdrucks. Teilweise steht die Behauptungim Raum, dass Internetsucht ein ähnliches,in seiner Bedeutung übertriebenesPhänomen darstellt wie seinerzeit dieFernsehsucht (für eine Diskussion vgl.Hayer & Rosenkranz, 2011). Eine Grundlagefür diese Haltung ist wohl darin zu sehen,dass frühe Prävalenzschätzungen aufgrunddes lange Zeit bestehenden Mangelsan einheitlichen Kriterien zur Operationalisierungzu teilweise sehr unrealistischenWerten gelangten (z. B. fast 20% ineiner Studie von Griffiths & Hunt, 1998).Erst mit der Formulierung konkreter diagnostischerKriterien (Tao et al., 2010) wurdedie Grundlage für belastbare Prävalenzschätzungengeliefert.Aktuelle Schätzungen zur Prävalenz stellensich deutlich nachvollziehbarer dar. Anhandder aktuellsten epidemiologischenErhebung zur Internetsucht in Deutschlandvon Rumpf, Meyer, Kreuzer & John (2011)mussten 1% der Allgemeinbevölkerungund 2,5% der jungen Erwachsenen als internetsüchtigklassifiziert werden. Somit istvon einer ähnlich hohen Prävalenz wiebeim Pathologischen Glücksspiel auszugehen.Die Betroffenenzahlen im Jugendaltersind vergleichbar mit der Prävalenz der GeneralisiertenAngststörung und verschiedenenFormen von Essstörungen in dieserAltersgruppe (z. B. Bühren, 2011; Niethammer& Frank, 2007). Somit scheint essich bei Internetsucht keineswegs um einsehr seltenes Phänomen zu handeln.Des Weiteren zweifeln Kritiker an der Stabilitätdes Störungsbildes Internetsuchtund vermuten, es handle sich hierbei umein passageres Phänomen im Jugendalter,das lediglich Ausdruck einer vorübergehendenEntwicklungskrise ist. In Anbetrachtder bisherigen Erfahrungswerte erscheintjedoch fragwürdig, ob man dasStörungsbild tatsächlich als rein vorübergehendeBegleiterscheinung der psychosozialenReifung betrachten darf, ohne denLeidensdruck der Betroffenen und möglicherweiseweitreichende und nachhaltigeEntwicklungsbeeinträchtigungen in unangemessenerWeise zu verharmlosen (vgl.z. B. Wölfling & Müller, 2008). Zwar gibt esbisher nur wenige Längsschnittstudien zurStabilität des Störungsbildes, dennoch lassenerste empirische Hinweise auf einehöhere Stabilität eines internetsüchtigenVerhaltens im Jugendalter schließen alsvielfach angenommen. In einer Längsschnittuntersuchungzur Computerspielsuchtvon Gentile et al. (2011) war dascomputerspielsüchtige Verhalten lediglichbei 16,4% der 2.998 asiatischen Kinderund Jugendlichen nach zwei Jahren remittiert.In einer ähnlichen Untersuchung an1.500 Jugendlichen aus den Niederlanden(van Rooij, Schoenmakers, Vermulst, vanden Eijnden & van den Mheen, 2011) wardie Remissionsrate nach einem Jahr zwarim Vergleich höher, dennoch erfülltenauch hier 50% nach wie vor die Kriterieneiner Computerspielsucht.Auch die zahlreichen Studien zur Symptombelastungbei Internetsucht geben Anlasszur Sorge. Beispielsweise fanden Wölfling,Müller, Giralt & Beutel (2011) bei Klientenmit Internetsucht im Vergleich mitPersonen, die das Internet zwar regelmäßig,jedoch nicht suchtartig nutzten, deutlicherhöhte Belastungswerte. Auch in internationalenStudien wiesen internetsüchtigeJugendliche höhere Belastungswerteauf als gesunde Jugendliche (Jang,Hwang & Choi, 2008). Dabei scheineninsbesondere Belastungen durch kognitiveProbleme (z. B. Konzentrationsprobleme)und depressive bzw. amotivationale Syndromeeine Rolle zu spielen (vgl. Müller &Wölfling, 2011). Bei Klienten mit Internetsucht,die aus eigenem Antrieb den Weg indas therapeutische Versorgungssystem suchen,erweist sich auch der subjektiv wahrgenommeneLeidensdruck als erheblich.Beutel, Hoch, Wölfling & Müller (2011)analysierten die Präsentiersymptomatikvon 131 Klienten einer ambulanten Versorgungseinrichtungfür Internetsucht undwiesen nach, dass die Betroffenen untereiner Beeinträchtigung der allgemeinenLeistungsfähigkeit sowie sozialer Isolationund depressiver Verstimmung litten. DieBefragten äußerten explizit den Wunsch,wieder am sozialen Leben teilzunehmenund neue Interessensgebiete zu erschließen.NeurowissenschaftlicheEvidenzBei einem genaueren Blick auf die neurowissenschaftlicheBefundlage zur Internetsuchtstellt man eine Zunahme der publiziertenArbeiten fest. Unter Verwendungunterschiedlicher Messmethoden – etwaElektroenzephalografie (EEG), funktionelleMagnetresonanztomographie (fMRT) –konnte in der überwiegenden Anzahl derArbeiten nachgewiesen werden, dass sichauf der Ebene kortikaler ReizverarbeitungsundAktivierungsprozesse zahlreiche Parallelenzwischen Internetsucht und anderenAbhängigkeitserkrankungen finden. In einervergleichsweise frühen Studie vonThalemann, Wölfling & Grüsser (2007)wurden Personen mit Computerspielsuchtund Kontrollprobanden mittels EEG untersucht.Als Reizmaterial dienten Screenshotsaus Computerspielen. Diese wurdenanderen, standardisierten Bildreizen gegenübergestellt.Die Datenauswertung ergabUnterschiede in den kortikalen Verarbeitungscharakteristikenin Bezug auf die<strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>21


A. Teske, P. Theis & K. W. MüllerChronifizierung oder sogar Verschlechterungdes psychischen und physischen Gesundheitszustandesin sich birgt und darüberhinaus zu erheblichen sozialen Folgeschädenführen kann. So ist der Anteil anPatienten ohne Hochschulabschluss oderBerufsausbildung und der Anteil der Nichterwerbstätigenbei Betroffenen mit Internetsuchtgrößer als bei anderen Suchtpatienten(Müller et al., 2012). Diese Tendenzzeigt sich bereits durch einen negativenZusammenhang zwischen Schulleistungund Medienkonsum im Kindes- und Jugendalter(Mößle, Kleimann & Rehbein,2007). Eine Auseinandersetzung mit derThematik der Internetsucht ist in der kinder-und jugendpsychotherapeutischenPraxis also ebenso notwendig, selbst unterder Berücksichtigung, dass es sich bei demdurchschnittlich Betroffenen eher um einenjungen Erwachsenen handelt (Mülleret al., 2012). Zusätzlich ist anzunehmen,dass ein exzessiver Mediengebrauch imKindes- und Jugendalter die Auftretenswahrscheinlichkeiteiner Internetsucht imErwachsenenalter befördern kann.Eine stationäre Aufnahme junger Betroffenermit einem problematischen Medienkonsumerfolgt bisher vor allem in Krisensituationen.Und obwohl das Behandlungsspektrumder meisten Kinder- undJugendpsychiatrien in der Regel alle psychischenStörungsbilder des Kindes- undJugendalters umfasst, liegen kaum spezifischeBehandlungskonzepte vor. Der Medienkonsumwird zwar für die Dauer derBehandlung kontrolliert, aber nachhaltigeBehandlungserfolge lassen sich mangelsgezielter Interventionen kaum erreichen.Um die Sensibilisierung für das StörungsbildInternetsucht zu fördern, benötigenwir eine langfristige und flächendeckendeAufklärung zum Thema in der Bevölkerung,die gezielte Schulung von Multiplikatorenund Behandelnden und eine standardisierteErhebung des Medienkonsumverhaltensim Rahmen von ambulantenund stationären Therapien.Strukturelle Schwierigkeitenin der Behandlung InternetsüchtigerMit der nächsten Schwierigkeit sehen sichdiejenigen Einrichtungen, Kliniken und<strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>ambulanten Praxen konfrontiert, die einHilfsangebot für internetsüchtige Patientenbereithalten: Die Finanzierung ihres Hilfsangebotesist nicht gesichert. Da Internetsuchtbislang nicht als Störungsbild in dieKlassifikationssysteme aufgenommen ist,wird die Diagnose nicht grundsätzlich vonden Kostenträgern anerkannt. Die Kostenübernahmefür die Behandlung ist dahereine Einzelfallentscheidung und kann ohneweitere Begründung abgelehnt werden.In der Konsequenz zögern viele Klinikenmit der Ausrichtung oder Erweiterung ihresHilfsangebotes auf das Störungsbild Internetsucht.Andere Einrichtungen wiederumbieten Betroffenen zwar eine Behandlungsoptionan, allerdings ist die Aufnahmedann meist mit der Unterbringung ineiner bezüglich der individuellen Störungsbildergemischten Therapiegruppe verbunden,wodurch die Möglichkeiten einer störungsspezifischenBehandlung eingeschränktsind. Die dritte Möglichkeit, derzeitigdie Refinanzierung einer therapeutischenBehandlung sicherzustellen, sehenviele Behandelnde in der Aufnahme aufgrundder Diagnose einer komorbiden psychischenErkrankung. Erst durch die Anerkennungvon Internetsucht als eigenständigemStörungsbild und die Aufnahme derDiagnose in die gängigen KlassifikationssystemeICD und DSM kann ein flächendeckendes,einheitliches und effektivesBehandlungsangebot mit einer gesichertenRefinanzierung etabliert werden.Über eine Refinanzierung hinaus müssenaber auch klar definierte Strukturen für dieVersorgung Betroffener geschaffen werden.Die Momentaufnahme zur Versorgungskulturund deren Möglichkeiten inder Bundesrepublik zeigt, dass die BehandlungBetroffener mangels einer eigenständigenDiagnose derzeit teilweiseim Suchthilfesystem, vorrangig aber imBereich der Psychosomatik verortet ist unddie Behandlungsdauer abhängig vom jeweiligenKostenträger stark variiert (Teske,Gohlke, Dickenhorst, Theis & Müller, 2012).Eine ähnliche Versorgungssituation erlebenwir zurzeit im Hinblick auf die BehandlungPathologischer Glücksspieler. Durchdie bisherige Zuordnung des PathologischenGlücksspiels zu den abnormen Gewohnheitenund Störungen der Impulskontrolle(ICD-10 F63) ist die Verortungder Behandlung im Rahmen der bestehendenVersorgungsstrukturen nicht eindeutiggeklärt und die bewilligte Behandlungsdauerund -form basiert auf der Diagnosestellungkomorbider psychischer Erkrankungen(siehe „Empfehlungsvereinbarungder Spitzenverbände der Krankenkassenund Rentenversicherungsträger für diemedizinische Rehabilitation“, DeutscheHauptstelle für Suchtfragen, 2001).Eine unklare Zuordnung des StörungsbildesInternetsucht mit ähnlichen Folgen fürdie Integration der Behandlung Betroffenerin die bestehenden Versorgungsstrukturengilt es aus Sicht des Fachverbandes Medienabhängigkeite. V. zu vermeiden. Aufgrundder eingangs detailliert dargestelltenwissenschaftlichen Erkenntnisse plädiert erfür die Einordnung des Störungsbildes Internetsuchtzu den Abhängigkeitserkrankungen.Mit der geplanten Erweiterungdes Abhängigkeitsbegriffs im DSM-V wirdein wichtiger Schritt in diese Richtung vorgenommen(Rumpf & Kiefer, 2011).Internetsucht in der Praxis vonPsychotherapeutenDas Gemeinsame Rahmenkonzept derDeutschen Rentenversicherung und derGesetzlichen Krankenversicherung zur ambulantenmedizinischen Rehabilitation Abhängigkeitskrankervon 2008 sieht vor,dass in Einrichtungen mit einem therapeutischenAngebot für Abhängigkeitserkrankte„mindestens ein Diplom-Psychologe mitmindestens 2 Jahren Berufserfahrung inder Suchtkrankenarbeit/medizinischen Rehabilitationabhängigkeitskranker Menschenund spezifischer therapeutischerWeiterbildung vorhanden sein soll.“ (Bundesverbandfür stationäre Suchtkrankenhilfe,2008) Darüber hinaus ist Abhängigkeitserkranktendurch die im Juli 2011 inKraft getretene revidierte Richtlinie desGemeinsamen Bundesausschusses überdie Durchführung der Psychotherapie(G-BA, 2011) die Option eröffnet worden,eine ambulante Psychotherapie bei einemniedergelassenen psychologischen oderärztlichen Psychotherapeuten auch ohneexplizite vorherige suchttherapeutischeBehandlung und den Nachweis einer stabilenAbstinenz aufnehmen zu können.Aufgrund von Neuerungen in den Richtlini-23


Internetsucht – Symptom, Impulskontrollstörung oder Suchterkrankung?en fällt die Arbeit mit Suchterkrankten zunehmendin den Tätigkeitsbereich von approbiertenPsychotherapeuten. Wenn Internetsuchtals eigenständiges Störungsbildanerkannt und den Abhängigkeitserkrankungenzugeordnet wird, ist dementsprechenddavon auszugehen, dasssowohl die im Suchthilfesystem arbeitendenals auch die niedergelassenen Psychotherapeutenzukünftig häufiger mit diesemStörungsbild konfrontiert werden.Modifikationen der bestehendenVersorgungsstrukturenTrotz der Vergleichbarkeit des Störungsbildesmit den stoffgebundenen Abhängigkeitserkrankungenhaben die bisherigenErfahrungen im Kontakt mit Betroffenengezeigt, dass für eine erfolgreiche Behandlungstörungsspezifische Aspekte Berücksichtigungfinden sollten (vgl. Wölfling, Jo,Bengesser, Beutel & Müller, <strong>2013</strong>). DieseAspekte implizieren sowohl Modifikationender bestehenden Versorgungsstrukturenals auch die Integration störungsspezifischerInhalte in die therapeutische Behandlung.Die nachfolgenden Anregungenund Konzepte zur störungsspezifischenBehandlung Internetsüchtiger basieren inAnlehnung an die Behandlungskonzepteim Suchthilfesystem vorrangig auf verhaltenstherapeutischorientierten Elementen.Besondere Berücksichtigung bei der Optimierungder Versorgungsstrukturen solltezunächst die Behandlungsmotivation derBetroffenen finden. Bisherige Erfahrungenim Kontakt mit Betroffenen weisen auf wenigerselbst empfundenen Leidensdruckund eine noch geringere Behandlungsmotivationhin, als bereits aus der Behandlungstoffgebundener Abhängigkeitserkrankterbekannt ist. Im Rahmen einer Befragungvon Petersen et al. (2010) gaben die professionellenAnsprechpartner an, dass dieKontaktaufnahme in 87% der Fälle nur aufAnraten der Angehörigen erfolgt. Auch inder Ambulanz für Spielsucht an der UniversitätsmedizinMainz nahmen in 85,8% derFälle die Eltern den Kontakt auf, 67% derBetroffenen weisen laut Einschätzung derAngehörigen keine eigene Therapiemotivationauf (Beutel et al., 2011). Der geringenBehandlungsmotivation Betroffener kannmit den gegenwärtig vorhandenen Beratungs-und Behandlungsangeboten nureingeschränkt Rechnung getragen werdenund es besteht kein Anspruch auf einequalifizierte Entzugsbehandlung. Zur Vorbeugungfrühzeitiger Beratungs- bzw. Behandlungsabbrücheist aber eine langfristigeund behutsame Vorgehensweise beider Kontaktaufnahme mit den Betroffenengefragt. Neben der Option einer längerfristigenBegleitung durch die beratenden Einrichtungenempfehlen wir, in Anlehnung andie Konzepte zur Motivationsförderung vonProchaska & DiClemente (1992), die Etablierungvon spezifischen Motivationsgruppenin den beratenden Einrichtungen (siehez. B. das Motivationsprogramm „TheQuest“ von A. Gohlke, 2011). Im Hinblickauf gravierende Unterschiede im Entwicklungsstanderscheinen separate Motivationsförderungsangebotefür Erwachseneund Adoleszente angezeigt.Darüber hinaus empfehlen wir die Etablierungspezieller Kompetenzzentren, dasheißt die Ausrichtung ausgewählter Suchthilfeeinrichtungen(Beratungsstellen, Klinikenund Rehabilitationseinrichtungen) aufdie Beratung und Behandlung Internetsüchtiger(vgl. Teske et al., 2012). DieKompetenzzentren sollten sich dadurchauszeichnen, dass sie neben ihrem Angebotfür andere Abhängigkeitserkrankte einspezifisches Angebot für Internetsucht bereithalten.Hierdurch soll vermieden werden,dass störungsspezifische Themen,wie etwa der Aufbau von Medienkompetenzund die Erarbeitung einer partiellenAbstinenz, im Rahmen der Behandlung zuwenig Beachtung finden. Zudem kann Internetsüchtigenin einem unspezifischenBehandlungssetting oft kein geschützterRahmen geboten werden, da den anderenPatienten die Nutzung von Medien erlaubtist.Diese Forderung nach Kompetenzzentrengilt insbesondere für die ambulante undstationäre Rehabilitation Jugendlicher bis18 Jahre. Einige Rehabilitationsfachklinikennehmen zwar Jugendliche oder junge Erwachseneab dem vollendeten sechzehntenLebensjahr auf, scheinen aber kaumentsprechende altersspezifische Angebotevorzuhalten. Daher sollte in spezialisiertenKinder- und Jugendeinrichtungen eineAufnahme im Sinne der Sekundärpräventionbereits bei Vorliegen eines missbräuchlichenMedienkonsums ermöglicht werden.Exemplarisch ist hier der missbräuchlicheMedienkonsum in Kombination mitschulspezifischen Störungen (Schulvermeidung)zu nennen, der aufgrund hoherVerstärkerqualität die Entwicklung einer Internetsuchtbegünstigt. Zudem kommtdem teilstationären Setting als Bindegliedzwischen ambulanten und stationären Behandlungsformeneine besondere Bedeutungzu. Nach Beendigung einer Behandlungzeigt sich oftmals, dass ein direkterWechsel in ein ambulantes Setting überforderndist. Tagesklinische Behandlungsangebotekönnen diese Versorgungslückeschließen und bieten die Möglichkeit weiterenTrainings für Betroffene und Angehörige.Zusätzlich bedarf es erweiterter Angeboteim poststationären Bereich, insbesonderein der stationären und ambulantenJugendhilfe.Bausteine einer störungsspezifischenBehandlungDie Behandlung Internetsüchtiger erfordertzudem die Integration zusätzlicherModule in die ambulanten und stationärenHilfsangebote des Suchthilfesystems. Inder therapeutischen Behandlung Suchterkrankterist in der Regel die völlige Abstinenzvom abhängig konsumierten Suchtmitteldas vorausgesetzte Ziel. Abstinenzstabilisierungund Rückfallprophylaxe sinddaher ein integraler Bestandteil der Gruppen-und Einzeltherapie. Im Gegensatz dazuist eine völlige Medienabstinenz in derheutigen Gesellschaft nicht realisierbar (Eidenbenz,2010). Die Hilfe für Betroffenemuss diesen Aspekt berücksichtigen undentsprechend neue Konzepte entwickeln.Anstelle einer völligen Abstinenz wird derAufbau einer stabilen partiellen Abstinenzals Behandlungsziel favorisiert. Zu diesemZweck muss mithilfe eines spezifischenMedienkompetenztrainings im individuellenFall erarbeitet werden, welche Medieninhalteweiterhin problemlos genutzt werdenkönnen, welche Nutzungsmuster risikobehaftetsind und auf welche Nutzungsmuster,z. B. ein bestimmtes Computerspielbzw. -genre, sich eine partielle Abstinenzbeziehen sollte (Teske, 2010).Aufgrund bisheriger Erfahrungen plädierenFachleute inzwischen jedoch für die völligeMedienabstinenz zu Behandlungsbeginn.Vorgeschlagen wird ein Phasenmodell, bei24 <strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>


A. Teske, P. Theis & K. W. Müllerdem der Betroffene im Verlauf der Behandlungnach anfänglicher völliger Medienabstinenzgraduell durch das spezifischeTraining an einen kompetenten Medienkonsumherangeführt wird.Um eine effektive, speziell auf die Erlebnisweltder Betroffenen ausgerichtete Hilfegewährleisten zu können, sollten auch gemeinsamesportliche, gestalterische odererlebnispädagogische Aktivitäten in die Behandlungintegriert werden. Der Einsatzaktiver Methoden basiert auf Studienresultatender Medienwirkungsforschung, ausdenen hervorgeht, dass die Integration ineine soziale Gemeinschaft sowie die Übernahmeeiner klar definierten sozialenFunktion, das abwechslungsreiche Angebotvirtueller Welten und das Erleben vonHerausforderung, Abenteuer und Erfolg alshäufigste Motive für den exzessiven Medienkonsumangegeben werden. Zudemzeichnen sich Internetsüchtige durch erheblicheDefizite in der Selbstorganisations-und Planungsfähigkeit, geringe sozialeKompetenzen und niedrige Selbstwirksamkeitserwartungenaus (Wölfling & Beutel,2009; Gentile et al., 2011; Rehbein,Kleimann & Mößle, 2009; Jäger & Moormann,2008). Die Abhängigkeitsentwicklunggeht mit massivem sozialem Rückzugund Vernachlässigung anderer Aktivitäteneinher (Beutel et al., 2011). Durch den Einsatzbeispielsweise sportlicher oder erlebnispädagogischerElemente sollen die Klientenlernen, dass man auch in der realenWelt Abenteuer und Herausforderungen ineiner Gemeinschaft erleben kann. Darüberhinaus ist die Erlebnispädagogik aufgrundder unmittelbaren Rückmeldesystemeüber die Fähigkeiten und Grenzen ein zentralerBaustein zur Wahrnehmung vonSelbstwirksamkeit und bietet gleichzeitigdie Erfahrung intensiver Sinnes- und Körperwahrnehmungenin der realen Welt(Teske, 2010). Nach einer Phase mit vielenorganisierten Aktivitäten zu Beginn der Behandlungwerden diese allmählich reduziertund selbst initiierte Aktivitäten gefördert.Zuletzt raten wir dazu, Angehörige Internetsüchtiger,insbesondere bei der Behandlungbetroffener Kinder und Jugendlicher,intensiver in die Behandlung zu integrieren,damit im Anschluss an eine professionelleBehandlung eine verständnisvolleBegleitung und Rahmensetzung bezüglichder Mediennutzung erfolgen kann.Auf der Seite der Angehörigen fallen in derPraxis rezidivierend mangelnde Kenntnisseder genutzten Medieninhalte des Betroffenenauf. Die Hilflosigkeit gegenüber demVerhalten des Kindes mit der Tendenz, Verantwortungzu delegieren, geht häufig mitkoabhängigen Verhaltensweisen einher. Sowerden zwar lang anhaltende Konflikte umdie Mediennutzung geführt, gleichzeitigaber die Grundlagen für das abhängigeNutzungsverhalten, z. B. durch Anschaffungder Hardware, weiter gewährleistet.Insbesondere die familiendynamischenAspekte sind für den Erfolg einer Behandlungzu beachten: In vielen Fällen lernt derBetroffene, seinen Medienkonsum in demFamiliensystem durch expansive und mitunteraggressive Verhaltensweisen zu sichern.Die Bezugspersonen reagieren daraufambivalent. Konsequenzen erfolgenunregelmäßig und oftmals in umgekehrterAbhängigkeit von der Heftigkeit und Aggressivitätdes Auftretens des Betroffenen.Phänomenologisch erleben wir somit häufigFamiliensysteme, in denen ein Betroffenerden Rahmen bezüglich der Mediennutzungund der grundsätzlichen Versorgungsleistungensetzt und mit den übrigenMitgliedern in Negativ-Interaktionsschleifenfesthängt.Die dargestellten Verstrickungen im Familiensystemsind meist ausgeprägter als beistoffgebundenen Abhängigkeiten, die eheraußerhalb des häuslichen Umfelds praktiziertwerden. Zu empfehlen wären nebenpsychoedukativen Angehörigenangebotendaher spezielle Kommunikationstrainings,gezielte Angebote zur Stärkung der Erziehungskompetenzund familientherapeutischeAngebote.Störungsspezifische Therapiethemenund InhalteAuch auf der inhaltlichen Ebene verdienenstörungsspezifische Themen wie der Inhaltdes Medienkonsums, die Diskrepanz zwischender virtuellen und der realen Persönlichkeit,der Abschied von der virtuellenDarstellung, die Rollenwahrnehmung desBetroffenen und die beruflichen Zukunftsvorstellungeneine besondere Beachtung.Aufgrund der eigenen Unkenntnis über dieneuen Medien und ihre Nutzungsmöglichkeitenscheuen sich Angehörige wie professionelleAnsprechpartner häufig, Informationenüber den Inhalt des problematischenMedienkonsums zu erfragen. Einedetaillierte Exploration des Medienkonsumsund Interesse an den virtuellen Aktivitätendes Betroffenen, gegebenenfallsdurch die direkte Beobachtung des Medienkonsumverhaltens,ist jedoch eine wichtigeVoraussetzung für den erfolgreichenVerlauf einer Beratung bzw. Behandlung.Sie trägt wesentlich zum Aufbau einer therapeutischenBeziehung bei, liefert wichtigeInformationen über die individuellenMotive für den Medienkonsum, fördert dieVeränderungsmotivation, hilft bei der Entwicklungvon Ideen für mögliche Handlungsalternativenund gibt Aufschluss überdiagnostische Fragestellungen.Zwischen dem Verhalten des Betroffenenin der realen Welt und dem Verhalten invirtuellen Welten besteht in der Regel einehohe Diskrepanz. Im Gegensatz zur Wahrnehmungvon Misserfolg und mangelnderSelbstwirksamkeit in der realen Welt zeichnetsich das Auftreten der Betroffenen inder virtuellen Welt durch Ehrgeiz, Erfolg,Organisationsfähigkeit etc. aus. Eine Übertragungder Fähigkeiten und Ressourcenaus der virtuellen Welt in das reale Lebenkönnen Betroffene zumeist nicht leistenund sie wirken dadurch im Alltag häufigdepressiv. Der Fokus der therapeutischenArbeit liegt dann auf der Behandlung derdepressiven Symptomatik, während beinahenarzisstisch wirkende Persönlichkeitsanteilesowie Ressourcen und Fähigkeiten,die ausschließlich im Rahmen des Medienkonsumszum Ausdruck kommen, keineoder wenig Beachtung finden. Zur Steigerungder Behandlungseffektivität solltenauch diese auf das Medienkonsumverhaltenbezogenen Persönlichkeitsanteile berücksichtigtwerden.Darüber hinaus geht die Abhängigkeitsentwicklungin der Regel mit einer hohen zeitlichen,psychischen und eventuell auch finanziellenInvestition in die eigene virtuelleIdentität einher. Dadurch entsteht nichtselten eine Art symbiotischer Verbindungzwischen dem Betroffenen und seiner Medienpräsenz,der sogenannte Avatar wird<strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>25


Internetsucht – Symptom, Impulskontrollstörung oder Suchterkrankung?subjektiv als Teil von sich wahrgenommen.Die Löschung dieser Medienpräsenz bzw.die Abstinenz vom individuellen Nutzungsmusterals einem Behandlungsziel stelltsomit für die meisten einen enormen Verlustdar und ist mit einer intensiven Trauerreaktionverbunden. Manchen erscheintein Leben ohne den Medienkonsum sinnundwertlos (Teske, 2010).Eine weitere Realitätsverzerrung zeigt sichinsbesondere bei jüngeren Medienabhängigenin der Vorstellung von ihrer zukünftigenBerufswahl. Aufgrund ihrer hohen Affinitätzu Medien malen sich viele eine Karriereals professioneller Computerspielerbzw. Spieleentwickler oder eine andereTätigkeit mit zwingender Mediennutzungaus (IT-Branche, Mediengestaltung, Programmierungund Softwareentwicklungetc.). Häufig erfüllen sie dafür weder dienotwendigen Qualifikationen noch ist einederartige Tätigkeit in Anbetracht des bisherigenMedienkonsumverhaltens angezeigt.Insgesamt zeigt sich anhand der Forschungsbefundeund Erkenntnisse aus derPraxis, dass für eine adäquate Beratungund Behandlung von Betroffenen und derenAngehörigen neben einer diagnostischenEinordnung und Anerkennung desStörungsbildes Internetsucht Modifikationender Versorgungsstrukturen im Suchthilfesystem,sowohl strukturell als auch inhaltlich,erforderlich sind.LiteraturDie Literaturangaben zu diesem Artikelfinden Sie auf der Internetseite der Zeitschriftunter www.psychotherapeutenjournal.de.Annette Teske, Dipl.-Psych., ist selbstständigals Psychologische Psychotherapeutinmit dem Schwerpunkt Verhaltenstherapietätig. Aufgrund ihres bisherigen Werdegangswidmet sie sich neben den Abhängigkeitserkrankungeninsbesondere demThema Medienabhängigkeit und ist seit derGründung 2008 Mitglied im Vorstand desFachverbandes Medienabhängigkeit e. V.Philipp Theis, Dipl.-Soz.-Päd., ist Mitarbeiterin der Kinder- und Jugendpsychiatrieder Vitos Klinik Bad Wilhelmshöhe mitdem Schwerpunkt der stationären undtagesklinischen Behandlung medienassoziierterStörungen bei Jugendlichenund befindet sich in einer Weiterbildungzum Kinder- und Jugendpsychotherapeuten.Kai W. Müller, Dipl.-Psych., ist wissenschaftlicherund klinischer Mitarbeiter ander Ambulanz für Spielsucht an der Klinikund Poliklinik für Psychosomatische Medizinund Psychotherapie der UniversitätsmedizinMainz. Dort beschäftigt er sichinsbesondere mit der Diagnostik undGrundlagenforschung zu Risikofaktorenfür verschiedene Verhaltenssüchte, insbesondereim Bereich PathologischesGlücksspiel und Internetsucht.Korrespondenzadresse:Dipl.-Psych. Annette TeskeWermingser Straße 2658636 Iserlohnannette.teske@hotmail.de26 <strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>


Der Bericht an den Gutachter als sinnvollesQualitätssicherungsinstrumentBernd UbbenZusammenfassung: Niedergelassene Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten 1erleben die Berichtspflicht im Rahmen des Gutachterverfahrens der Psychotherapie-Richtlinien häufig als sehr belastende Arbeitsanforderung. Ihre Berufsverbände setzensich zum Teil vehement für eine Erleichterung des Antragsverfahrens ein, und auchvonseiten der Krankenkassen wird nach Reformmöglichkeiten gesucht. Der Autor möchtedie teilweise sehr einseitig und emotional geführte Diskussion um eine andere Sichtweiseergänzen: Er stellt für das Verfahren Verhaltenstherapie dar, wie sich der Berichtan den Gutachter als Instrument zur Qualitätssicherung nutzen lässt: Die vorgesehenenacht Berichtspunkte bilden einen sinnvollen Pfad, der zu einer diagnostisch begründetenevidenzbasierten Behandlungskonzeption führt. Damit verknüpft lässt sich durch dieBeantwortung einer umgrenzten Fragenliste parallel ein Berichtstext generieren. Weiterhinwird aufgeführt, welche diagnostischen und konzeptuellen Kompetenzen hierfür aufPsychotherapeutenseite vorhanden sein sollten oder gegebenenfalls zu verbessernsind.Die Aufgabe des Berichteverfassens imRahmen des Antragsverfahrens der Psychotherapie-Richtlinienwird von den dazuverpflichteten Psychotherapeuten und ihrenBerufsverbänden immer wieder außerordentlichnegativ bewertet. Die Kritikpunktezur Berichtspflicht werden von Sievers(2012, S. 11-17) zusammengefasst. Erzweifelt an, dass es sich hierbei um einesinnvolle Maßnahme der Qualitätssicherunghandelt, sieht hierin einen „chronischenStress“ für die Behandler und bezeichnetdie Patienten als „Leidtragendedes Systems“. Weiterhin weist er daraufhin, dass die Berufszufriedenheit von Psychotherapeutendurch das belastende Verfassenvon Antragsberichten erheblich eingeschränktwürde und infolge dieses Belastungserlebensnur „mangelnde Zeit füradäquate Fortbildung“ bestehe.<strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>Entgegen einer solchen Einschätzung sollim Folgenden auf die qualitätsförderndenRessourcen des Berichteverfassens hingewiesenwerden. Es werden drei Merkmalebeschrieben, die den Bericht an den Gutachterals hilfreiches, rational begründetesund zeitökonomisches Qualitätssicherungsinstrument darstellen. Jedem deracht Punkte des Berichts werden Kompetenzenzugeordnet, über die planende undberichtende Psychotherapeuten verfügensollten. In einer Übersicht werden zu klärendePlanungsaspekte und die im Berichtzu beantwortende Fragen aufgeführt.QualitätssicherndeMerkmale des Berichtsan den GutachterDer Bericht strukturiert aufsinnvolle Weise den diagnostischenund konzeptionellenProzessVersteht man den Bericht an den Gutachterals Psychotherapieplanung in schriftlicherForm, dann dient er dem Zwecke einersorgfältigen Fallkonzeptualisierung (vgl.Ubben, 2010). Bevor die Interventionsphaseeiner verhaltenstherapeutischen Krankenbehandlungerfolgt, ist es notwendig,diese in einer Orientierungsphase, der Probatorik,sorgfältig diagnostisch und konzeptionellvorzubereiten. Eine solche explizitePlanungsarbeit ist notwendige undselbstverständliche Bedingung für ein verantwortungsvolles,professionelles Arbeiten.Der Aufbau des Berichtes, so wie erim Informationsblatt der KBV zur Erstellungvon Berichten an den Gutachter vorgegebenwird (vgl. Faber & Haarstrick, 2012,S. 71ff.), gliedert die Konzeptualisierungeiner Verhaltenstherapie auf sinnvolle Weise(vgl. Tabellen 1 und 2). Zunächst werdenmit den Punkten 1 bis 3 die Beschwerdendes Patienten aus der Person-Perspektive erfasst: Die spontane Symptomschilderung(Punkt 1) stellt die persönlicheBeschwerdeschilderung des Patientendar, die lebensgeschichtliche Störungsanamnese(Punkt 2) entwickelt Hypothesenzu dessen Prädispositions- und Dekompensationsbedingungen,der PsychischeBefund (Punkt 3) beurteilt den Interaktionsstildes Patienten, prüft bei diesemdas Vorliegen psychopathologischer Merkmaleund stellt relevante testdiagnostischeErgebnisse dar. Die Punkte 4 bis 6 desBerichtes beschreiben und erklären aktuelleAspekte der Störung: Der somatischeBefund (Punkt 4) beurteilt den Einflusskörperlicher Faktoren auf die Störung,weist auf relevante sozialmedizinische Befundehin und benennt die ggf. erfolgende(z. B. pharmakotherapeutische) ärztlicheMitbehandlung. Die Verhaltensanalyse(Punkt 5) beschreibt die Symptomatik underklärt deren aktuellen Aufrechterhaltungsbedingungen,die Diagnosestellung (Punkt6) ordnet die Störung des Patienten in dasKlassifikationssystem der ICD-10 ein und1 Aus Gründen der besseren Lesbarkeit werdenim Folgenden nicht durchgängig beideFormen genannt. Selbstverständlich sind jedochimmer Männer und Frauen gleichermaßengemeint.27


Der Bericht an den Gutachter als sinnvolles Qualitätssicherungsinstrumenterörtert differentialdiagnostische Aspekte.Die Punkte 7 bis 8 (und ggf. 9) entwerfenschließlich eine Veränderungsperspektive.Alternativ zu den in der Verhaltensanalysedargestellten SORK-Bedingungen werdenBehandlungsziele (Punkt 7) formuliert.Konsistent dazu konzipiert der Therapieplan(Punkt 8), welche zielführenden Interventionenund Strategien geboten sind.Im Falle eines Umwandlungsantrags wirdin Punkt 9 der bisherige Psychotherapieprozessbeschrieben und auf der Grundlageder bisherigen Ergebnisse die Beantragungweiterer Stunden begründet. Somitwird auf der Grundlage der Punkte 1 bis 6aus phänomenologischer, schemaanalytischer,somatisch-psychiatrischer, verhaltensanalytischerund diagnostischer Sichteine Behandlungskonzeption mit hinreichendindividualisierten Zielen und einerevidenzbasierten Interventionsplanung abgeleitet(siehe Tabelle 1).Nicht selten richten Vertragstherapeutenihre Gedanken vorwiegend auf den verpflichtendenCharakter des Berichtes undbefürchten negative Sanktionen durch dieGutachter. Daraus folgt rasch eine sichfeindselig-unterordnende bzw. passiv-aggressiveHaltung („Dienst nach Vorschrift“),aus der dann inhaltsarme und kaum individualisierteBerichtstexte resultieren. Ausdem Erleben ihrer Unfreiwilligkeit herausentstehen sehr ungünstige motivationale(und gegenüber dem Gutachter auch dysfunktionaleinteraktionelle) Bedingungen.Aufgrund einer entsprechenden Reaktanzist solchen Psychotherapeuten nachvollziehbarder Blick dafür verstellt, welchepositiven Möglichkeiten ihnen das durchdie Berichtsstruktur vorgegebene sinnvollediagnostische und konzeptionelle Vorgehenfür ihre Therapieplanung bietet.Die Bearbeitung der einzelnenPunkte führt zu einer rationalbegründeten PlanungsheuristikWenn Psychotherapeuten mit ihren Berichtenin hinreichend rationaler Weise begründen,wie sie ihr therapeutisches Vorgehenplanen, dann befolgen sie das Wissenschaftsgebotder Wahrhaftigkeit (vgl. Jaeggi,2012, S. 320). Gerade Verhaltenstherapeutenverfolgen in bester Tradition den Ansprucheiner heuristischen Nutzung erforschtenpsychologischen Wissens, indemTabelle 1: Der Bericht an den Gutachter – Planungsperspektiven und Gliederungspunkte(nach Ubben, 2010)PlanungsperspektivenPERSONDen Patienten kennenlernen als:1. hilfesuchende Person mit individuellen Wünschenund Erwartungen an die Therapie2. Persönlichkeit mit spezifischen lebensgeschichtlicherworbenen Schemata und einer nachvollziehbarenStörungsanamnese3. psychopathologisch beurteilten FallSTÖRUNGDie Symptomatik einordnen als:4. somatisch abgeklärtes Krankheitsgeschehen5. Störung mit beschriebenen Ausprägungen auf denverschiedenen Reaktionsebenen und erklärtenAufrechterhaltungsbedingungen6. ICD-10-DiagnoseVERÄNDERUNGDie Therapie konzipieren als:7. Problemlöseprozess mit diagnostisch begründetenindividuellen Zielen bei hinreichend günstigerPrognose8. zielführende evidenzbasierte Behandlungsstrategie9. (ggf. unter Berücksichtigung eines bisher erfolgtenBehandlungsprozesses)sie ihre Behandlungskonzeptionen explizitauf verhaltensanalytisch hergeleiteten individualisiertenStörungsmodellen und evidenzbasiertendiagnosebezogenen Leitlinienaufbauen und den Therapieprozess imSinne einer rekursiven Therapieplanungfortlaufend evaluieren und anpassen.Unter den Bedingungen ihres therapeutischenTagesgeschäftes lockern Psychotherapeutenbei ihrer Arbeit nachvollziehbarihre wissenschaftlich-methodische Strenge.Einerseits entwickeln sie in ihrem klinischenAlltag sinnvolle psychotherapeutischeRoutinen und können sich in gutemMaße auf erfahrungsfundierte intuitive Automatismenverlassen. Auf der anderenSeite verlangt eine seriöse kontrolliertePraxis (siehe Westmeyer, 2009) von denBehandlern, ständig auf der Höhe der aktuellenTherapieforschung zu bleiben undsich an eine disziplinierte Suchheuristik zuhalten.Die Verschränkung von Therapieplanungund Berichteverfassenverkürzt die SchreibarbeitPunkte im Bericht1. Spontane Symptomschilderung2. Lebensgeschichtliche Entwicklung undKrankheitsanamnese3. Psychischer Befund4. Somatischer Befund5. Verhaltensanalyse6. Diagnose7. Therapieziele8. Behandlungsplan9. (Bisheriger Therapieverlauf)Halten Psychotherapeuten sich beimSchreiben ihrer Berichte an eine sinnvolleStruktur, dann ist damit ein vertretbarerzeitlicher Aufwand verbunden. Statt stundenlangerSchreibarbeiten lassen sich dieeinzelnen Berichtspunkte parallel zumDurchlaufen der probatorischen Phasefraktioniert erstellen. Außerdem ist davonauszugehen, dass sich durch die Beantwortungder in Tabelle 2 (siehe S. 31/32)aufgeführten Fragen nicht nur die Qualitätder Berichte verbessert, sondern bei denPsychotherapeuten auch ein Zuwachs andiagnostischer und konzeptioneller Qualitätihrer Arbeit erzielt wird.Punkt 1 des Berichtes kann im Sinne desProblemlöserationals über das strukturierteErfragen von Problemanliegen, Zielen,Aufträgen des Patienten bereits nach demErstgespräch verfasst werden.Diese erste probatorische Sitzung sollteaußerdem einer Interaktionsanalyse dienen,aus der sich bereits der erste Teil vonPunkt 3 ergibt (Interaktionsverhalten desPatienten in der Therapiesituation).Wenn in der zweiten probatorischen Sitzunggemeinsam mit dem Patienten Situationsanalysenzu beispielhaften Symptomepisodenerstellt werden, liegen bereitswichtige Informationen für Punkt 5(Verhaltensanalyse) vor. Diese lassen sichdurch weitere Selbstbeobachtungs-Hausaufgabendes Patienten ausdifferenzieren.28 <strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>


B. UbbenWerden in der dritten probatorischen Sitzungzentrale lebensgeschichtliche Prägungendes Patienten eingegrenzt (Prädispositionsanalyse)und die Dekompensationsbedingungenzu Beginn der Störungexploriert, kann anschließend Punkt 2 formuliertwerden.Die Texte für die Punkte 3 (Psychischer Befund)und 4 (Somatischer Befund) lassensich vom Psychotherapeuten im Verlaufeder Probatorik zusammenstellen und werdenergänzt durch zwischenzeitlich erhobeneTestbefunde und den ärztlichen Konsiliarbericht.In der vierten probatorischen Sitzung wirdgemeinsam mit dem Patienten ein vorläufigesStörungsmodell erarbeitet. Um Punkt5 (Verhaltensanalyse) zu formulieren, werdenaußerdem die zwischenzeitlich gesammeltenBeobachtungsdaten hinzugezogen.Aus der Bewertung der inzwischen vorliegendendiagnostischen Informationen sowieergänzenden differentialdiagnostischenBeurteilungen lässt sich Punkt 6(Diagnose) erstellen.In der fünften probatorischen Sitzung lassensich den gemeinsam geklärten Störungsbedingungendes SORK-Modells individualisierteZielalternativen gegenüberstellen;im Bericht werden die Ziele konsistentzu Psychischem Befund und Diagnosedokumentiert.Die anschließende Planungsaufgabe desPsychotherapeuten besteht dann darin,den verabredeten Zielen eine Behandlungskonzeption(Punkt 8) zuzuordnen.Hierbei orientiert er sich soweit wie möglichan evidenzbasierten Behandlungsempfehlungenbzw. diagnosebezogenenLeitlinien.Sollte im Anschluss an eine Kurzzeittherapieein Umwandlungsantrag für eine Langzeit-Verhaltenstherapiegestellt werden,passt der Behandler seine Konzeption rekursivden Befunden des bisherigen Therapieverlaufsan. Hierzu dient bei UmwandlungsanträgenPunkt 9 (bisheriger Behandlungsverlauf).Selten beziehen Psychotherapeuten dasVerfassen der Berichte gezielt in ihre Therapieplanungmit ein. Üblicherweise entsprichtihr Vorgehen einem work in progress,das heißt, die Psychotherapie wirdmit den Patienten erst einmal begonnen,und nach der antragsfreien Probatoriksteht dann davon abgetrennt das lästigeVorhaben des Berichteschreibens an. Psychotherapeuten,die von der Antragspflichtfür Kurzzeittherapie befreit sind, erstellenmeist erst dann ihre Berichte, wenn dasbewilligte Stundenkontingent der Kurzzeittherapiebereits absolviert worden ist. VieleKollegen entwickeln aufgrund einer solchendysfunktionalen Trennung von Planungund Berichteverfassen eine berufstypischeProkrastination. Anstatt Therapieplanungund schriftliche Dokumentationsynergetisch zu verknüpfen, ertrinken siein einer ungeordneten Datenflut und attribuierennicht selten ihre Probleme beimBerichteschreiben feindselig nach außen.So greifen sie in emotionaler Weise dasGutachterverfahren als Zeitfresser an, dassie daran hindern würde, sich hinreichendihren Patienten zuzuwenden. Eine gänzlichandere Situation ergibt sich, wenn die Psychotherapeutendie oben genannten Möglichkeiteneiner verschränkten Arbeit nutzen,indem sie die acht bis neun Berichtspunkteals sinnvollen Leitfaden für ihreTherapieplanung nutzen und die Berichtstexteparallel mit den Probatoriksitzungenverfassen. Oft mangelt es schlichtan einer zweckmäßig aufgebauten Probatorik,was sicherlich auch der außerordentlichenUnterbezahlung dieser diagnostischenSitzungen geschuldet ist.Erforderliche Kompetenzenfür die Therapieplanungund das Verfassendes BerichtsDie für den Bericht erforderlichen diagnostischenund konzeptionellen Informationensollten im Verlauf der fünfstündigenProbatorikphase erhoben werden. Hierzubietet sich folgende Aufteilung an:Die erste probatorische Sitzung dient derallgemeinen Orientierung zu Anliegen, Zielenund Aufträgen des Patienten („Für dieBewältigung welcher Probleme suchen Siepsychotherapeutische Hilfe? Welche Zielewollen Sie mithilfe der Psychotherapie erreichen?Welche Vorstellungen haben Siedazu, auf welche Weise ich Ihnen dabeihelfen soll?“) sowie zu einer ersten Interaktionsanalyse(Beziehungsziele des Patienten,ggf. Identifizieren von indirekten undmanipulativen „Spielen“). Vom Psychotherapeutenwird hier eine Gesprächsführungim Sinne des verhaltenstherapeutischenProblemlöserationals verlangt. Außerdemsollte in knapper Form der äußere Eindruckdes Patienten charakterisiert werden.In der zweiten probatorischen Sitzunglassen sich mit dem Patienten Situationsanalysenzu typischen Symptomepisodenerarbeiten, woraus sich bereits wesentlichesMaterial für das verhaltensanalytischeStörungsmodell unter Punkt 5 ergibt. Fürdie praktische Durchführung von Situationsanalysenbietet sich besonders dasVorgehen an, wie es McCullough im Rahmenseines CBASP-Ansatzes 2 (vgl. Brakemeier& Normann, 2012) vorstellt.Die dritte probatorische Sitzung bietetsich an für eine vorläufige Übersicht zu lebensgeschichtlichenPrägungen des Patientenund zur Störungsanamnese. DerText von Punkt 2 (Lebensgeschichte/Störungsanamnese)geht beim berichtendenPsychotherapeuten von folgenden Voraussetzungenaus: Er hat mit dem Patientenin einer dafür vorgesehenen probatorischenSitzung eine erste Übersicht dazuhergestellt, durch welche lebensgeschichtlichenPrägungserfahrungen dieser vermutlichbestimmte störungsrelevante Prädispositionenerworben hat und welcheLebensereignisse darüber hinaus bei ihmzu einer Dekompensation bzw. zum Störungsbeginngeführt haben. Gerade beider Reduzierung der lebensgeschichtlichenAnamnese auf umgrenzte Prädispositions-und Dekompensationshypothesentun sich viele Psychotherapeuten schwerund berichten hier häufig irrelevante Aspekteder Lebensgeschichte ihrer Patienten.Punkt 2 sollte sinnvollerweise einermakroskopischen Verhaltensanalyse entsprechen:Die möglichst als Selbstaussa-2 Cognitive Behavioral Analysis System of Psychotherapy<strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>29


Der Bericht an den Gutachter als sinnvolles Qualitätssicherungsinstrumentgen formulierten Oberpläne der Personcharakterisieren zunächst als psychologischeO-Variable (O) deren Prädispositionen,und die aus der weiteren Lebensgeschichteidentifizierten ressourcenüberlastendenStressoren (S) werden mit dekompensierendenReaktionen des Patienten(R) verknüpft, die vermutlich zur Entstehungvon dessen Störung (K) führten. Ergänzendsollten hier auch Ressourcen desPatienten erfasst werden, die sich im psychotherapeutischenProzess nutzen lassen.Der Text von Punkt 2 lässt erkennen,ob der berichtende Psychotherapeut dieStörung des Patienten als funktional nachvollziehbareKonsequenz von dessen Lebensgeschichteverstanden hat.Nachdem nun gemeinsam mit dem Patientensowohl typische S-R-K-Muster(zweite Sitzung) als auch Prädispositionenund Entstehungsbedingungen identifiziertwurden (dritte Sitzung), lässt sichkooperativ in der vierten probatorischenSitzung ein verständliches Störungsmodellerarbeiten, und der Psychotherapeutkann im Bericht den Punkt 5 (Verhaltensanalyse)vervollständigen. Dieser diagnostischeSchlüsselpunkt setzt bei denverfassenden Psychotherapeuten voraus,dass diese versiert verhaltensanalytischeStörungsmodelle aufstellen können. Dadieser Punkt darstellt, welche aktuelleSymptomatik mit welchen Aufrechterhaltungsbedingungenbehandelt werdensoll, sind sowohl eine korrekte Deskriptiveals auch eine aussagefähige FunktionaleVerhaltensanalyse vorzulegen. Auf eineWiederholung der bereits in Punkt 2 beschriebenenPrädispositions- und Entstehungsbedingungender Störung sollte andieser Stelle des Berichtes möglichst verzichtetwerden.Im Verlauf der Probatorik (und ggf. unterstütztdurch den ärztlichen Konsiliarbericht)lassen sich die diagnostischen Informationenim Psychischen und SomatischenBefund in den Punkten 3 (PsychischerBefund) und 4 (Somatischer Befund)zusammenfassen, und der Psychotherapeutstellt konsistent dazu unterPunkt 6 eine klassifikatorische Diagnose.Der Text von Punkt 3 (Psychischer Befund)erfordert vom berichtenden Psychotherapeutendreierlei: Dieser sollte in der Lagesein, eine Interaktionsanalyse durchzuführen,hat den psychopathologischen Befundroutiniert zu erheben sowie geeignetetestdiagnostische Instrumente einzusetzenund auszuwerten. Punkt 4 (SomatischerBefund) wird allzu oft von berichtendenPsychotherapeuten mit einemschlichten „siehe beiliegender Konsiliarbericht“abgetan. Der Text benötigt an dieserStelle jedoch konkrete Beurteilungen somatischerund sozialmedizinischer Befunde(Thema ärztliche Mitbehandlung, AU/EU, erfolgte oder geplante Rehabilitationsmaßnahmen)und sollte grundsätzlich berücksichtigen,ob und in welcher Weise eine(i. d. R. psychopharmakotherapeutische)Mitbehandlung durch den Arzt erfolgtoder geplant wird. Häufig versäumenPsychotherapeuten, Entlassungsberichtevorbehandelnder Kliniken beizufügen undberücksichtigen auch in ihrer Behandlungskonzeption(siehe Punkte 7 und 8)nicht die bereits in Vorbehandlungen erworbenentherapeutischen Ressourcendes Patienten.Punkt 6 (Diagnose) verlangt die Erstellungeiner oder mehrerer ICD-10-Diagnosengemäß den in diesem Klassifikationssystemaufgeführten Kriterien. Psychotherapeutenmüssen also in der Lage sein, dieICD-10 routiniert zu benutzen, um auchdie gebotenen differentialdiagnostischenErörterungen durchführen zu können. Außerdemwäre grundsätzlich darauf zu achten,dass die gestellten Diagnosen konsistentzum Psychischen Befund und zurVerhaltensanalyse ausfallen.In der fünften probatorischen Sitzunglassen sich (wiederum den Patienten einbeziehendund diagnosebezogene Leitlinienberücksichtigend) den nun vorliegendemSORK-Bedingungen der Störung individuelleZielpunkte gegenüberstellen, diein Punkt 7 (Ziele) dargestellt werden. DieAufstellung hinreichend operationalisierterund individualisierter Ziele verlangt vonden berichtenden Psychotherapeuten,dass diese sich zunächst allgemein an dendurch die Diagnose vorgegebenen Zielperspektivenorientieren. Um darüber hinauseine hinreichend individualisierte Zielformulierungzu realisieren, sind hier aber vorallem die in der Verhaltensanalyse spezifiziertenSORK-Bedingungen des Patientenzu berücksichtigen. Unter diesem Punktfinden sich in Berichten besonders häufigzu allgemein gehaltene Zielauflistungen,die einen hinreichenden Bezug zum individuellenverhaltensanalytischen Störungsmodelldes jeweiligen Patienten vermissenlassen oder über die notwendigen kurativenZiele hinaus nicht realistisch erreichbareEntwicklungsaufgaben aufführen.Den formulierten Zielen ordnet der Psychotherapeutaus seinem klinischen Wissenunter Punkt 8 eine geeignete Behandlungskonzeptionzu, die sich hinreichendauf evidenzbasierte diagnosebezogeneWissensbestände stützt. Die Formulierungeiner angemessenen Behandlungskonzeptionfordert vom Psychotherapeuten, dassdieser als Behandlungsexperte indikativauf ihm bekannte evidenzbasierte Behandlungsempfehlungenzurückgreifenkann, wie sie in Manualen und Leitlinienvorliegen, und diese den vorher formuliertenindividuellen Zielen zuordnet (Kurzübersichtenzu evidenzbasierten indikativenverhaltenstherapeutischen Behandlungsstrategienfinden sich in der laufendenBuchreihe „Fortschritte der Psychotherapie“,Schulte, Hahlweg, Margraf &Vaitl).Zusammenfassung undSchlussbemerkungDie Planungsheuristik des Berichts an denGutachter ermöglicht Psychotherapeuten,ihr in der Ausbildung erworbenes sowiedurch Fortbildung und Behandlungserfahrungvertieftes klinisches Wissen abzurufenund in zeitökonomischer Weise einen qualitativhochwertigen Text zu verfassen.Das hier dargestellte Vorgehen soll verdeutlichen,wie der Text zum Bericht anden Gutachter ohne unnötigen Aufwandentstehen kann, wenn die Probatorikphasesinnvoll strukturiert wird. Dieser PlanungsundDokumentationsweg setzt natürlichvoraus, dass die berichtenden Psychotherapeutendie oben genannten Kompetenzenbeherrschen. Sollten sie bei sich umgrenzteFertigkeitendefizite feststellen, ließendiese sich durch gezieltes Literaturstu-30 <strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>


B. UbbenTabelle 2: Planungsaspekte einer Verhaltenstherapie und entsprechende Punkte des Berichtes an den GutachterPlanungsaspekte Fragen zu Punkt 1 BerichtstextProblemlöseorientierungProblemanliegenZielvorstellungenHilfsaufträgePrädispositionsanalyseS: PrägungserfahrungenR: BewältigungsversucheK: Prädisponierende VulnerabilitätenDekompensationsanalyseS: Überfordernde LebenserfahrungenR: DekompensationK: StörungsbeginnInteraktionsanalyse––Spontanreaktionen auf Seite des Psychotherapeuten––Bezug zu klinischen PSK-TypenPsychopathologischer Befund––Kognitives Funktionsniveau––Affektlage––Psychose––Suizidalität––Substanzmittelgebrauch• Welche äußeren Merkmale zeigt Patient?• Welches Problemanliegen schildert Patient?• Welche Ziele will Patient therapeutischerreichen?• Welche Hilfestellungen wünscht Patient?• Kommt Patient selbst- oder fremdmotiviert?Fragen zu Punkt 2• Welche Beziehungserfahrungen und Lebensereignisseprägten den Patienten?• Welche Reaktionsbereitschaften erwarb er aufdiese Weise? (Bewältigungsstil)• Welche Belastungen überforderten dieBewältigungsressourcen des Patienten?• Wann begann die Störung?Fragen zu Punkt 3• Wie erlebt der Psychotherapeut die Interaktion?• Liegt beim Patienten eine PSK-Akzentuierungbzw. -störung vor?• Kognitives Funktionsniveau, Affektlage?• Psychose, Suizidalität, Substanzmittel?• Der 32-jährige überkorrekt gekleidete …• berichtet von seinen Kontrollzwängen …• Nach Zielen befragt äußert er: „…“• Als Hilfewünsche nennt er: „…“• Er wurde vom Hausarzt überwiesen. …• Als Einzelkind wurde er von der Mutter …, zumVater hatte er bis zu dessen Tod …• Aufgrund des mütterlichen Erziehungsstils unddes Stotterns vermied der Patient …• Auslösend für die Zwangssymptomatik war dieneue berufliche Aufgabe der …• So bildeten sich beim Patienten vor drei JahrenKontrollzwänge, die bald auch im häuslichenBereich auftraten …• Der zunächst angespannt-misstrauischeAusdruck des Patienten löst beim Psychotherapeuten…• Sein zwanghafter Persönlichkeitsstil weistaußerdem selbstunsichere Züge auf …• Inhaltliches und formales Denken sind auf dasZwangserleben eingeengt … die Affektivität ist… Psychotisches Geschehen liegt nicht vor …Lebensüberdrüssige Gedanken treten auf,allerdings ohne … Keine Hinweise aufSubstanzmittelmissbrauch.Testdiagnostischer Befund––Testergebnisse––Klinische RelevanzSomatische Störungsbedingungen––Relevante somat. Erkrankungen––Laufende/anstehende BehandlungenMedikation––Psychopharmaka––Andere MedikationSozialmedizinischer Befund––AU/EU––Reha-Maßnahmen (stat., teilstat.)Aktuelle Symptomatik––Deskriptive Verhaltensanalyse (Beschreibungder Symptomatik auf den Reaktionsebenen)• Planungsrelevante Testergebnisse?Fragen zu Punkt 4• Liegen planungsrelevante somatischeErkrankungen vor?• Pharmakotherapeutische Mitbehandlung,erfolgt/geplant?• Liegen relevante sozialmedizinische Befundevor?Fragen zu Punkt 5• Wie und in welcher Ausprägung zeigt sich dieaktuelle Symptomatik auf den verschiedenenReaktionsebenen?• – BDI: … weist auf eine subklinisch ausgeprägteDepressivität des Patienten hin.– HZI:… bestätigt eine Zwangsstörung.– Social-Phobia-Scale (SPS): … unterstützt dieDiagnose einer Sozialen Phobie. …• Der ärztliche Konsiliarbericht ergibt einenordentlichen somatischen Befund. …• Geplant ist eine hochdosierte SSRI-Medikation…• Der Patient ist seit einem Jahr krankgeschrieben… Eine berufliche Wiedereingliederung istgeplant …• Handlungsebene:Exzessive Zwangshandlungen (Kontroll- undOrdnungszwänge). … Weitgehende Vermeidungsozialer Kontakte durch …Kognitiv-emotionalDer Patient verfügt über kein geregeltesProblemlöseverhalten. … Im Alltag produzierter exzessiv Selbstverbalisationen (Ich darf mirkeinen Fehler erlauben …) Automatisiertlaufen katastrophisierende Gedankenketten …,das Selbsterleben wird von Scham- undSchuldgefühlen bestimmt. … In den seltenensoz. Kontakten richtet er seine Aufmerksamkeitängstlich auf eigene …Physiologisch liegt ein dauerhaft erhöhtesErregungsniveau mit allgemeinen psychovegetativenDysfunktionen (Fehlatmung, chron.Muskelverspannungen, Schlafstörung) vor.<strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>31


Der Bericht an den Gutachter als sinnvolles QualitätssicherungsinstrumentPlanungsaspekte Fragen zu Punkt 5 (Fortsetzung) BerichtstextAufrechterhaltungskontingenzen––Funktionale Verhaltensanalyse(S-R-/R-K-Kontingenzen)Schemakonsistenzen/Systemik(Funktionale Verknüpfung zwischenSymptomatik u. Schemata/Systemik)ICD-10-DiagnoseDifferentialdiagnostikDeskriptive DiagnoseergänzungenProzessziele––Angestrebte Veränderungen motivationalerund interaktioneller ArbeitsbedingungenErgebnisziele––Angestrebte SORK-AlternativenPrognose––Gegenüberstellung prognostisch positiverund einschränkender FaktorenPlanung des Beziehungsprozesses––Komplementäre Elemente––Konfrontativ-anfordernde ElementePlanung der Interventionsstrategie––Indizierte Interventionen––Nutzbare Leitlinien/ManualePlanung des Therapiesettings––Anzahl beantragter Stunden––Verteilung Einzel-/Gruppenstunden• Durch welche Kontingenzen wird dieSymptomatik aufrechterhalten?• Welche Schemata werden durch die Symptomatikgeschützt?Fragen zu Punkt 6• Welche gesicherten ICD-10-Diagnose liegenvor?• Wurde andere in Frage kommende Diagnosendifferentialdiagnostisch ausgeschlossen?Fragen zu Punkt 7• Welche motivationalen und interaktionellenBedingungen sind herzustellen?• Welche SORK-Variablen sollen wohin modifiziertwerden?• Welche prognostisch positiven und einschränkendenBedingungen sind abzuwägen?Fragen zu Punkt 8• Durch welche versorgenden und anforderndenInterventionen sollen die o. g. Prozesszieleerreicht werden?• Welche Interventionen sind zur Erreichung dero. g. Ergebnisziele geplant?• Vorausgehende Bedingungen:Aktuell werden die Zwangshandlungenausgelöst durch …Die Vakuumsituation des sozial depriviertenAlltags (Einsamkeit, Langeweile) fördert …• Nachfolgende Bedingungen:Die Zwangsrituale werden negativ verstärktdurch ... Indem er seinen Tag mit Zwangsabläufenfüllt, vermeidet der Patient erfolgreichsoziale Kontaktsituationen … durch seineKrankschreibung bleiben Erlebnisse beruflichenVersagens aus … Kurzfristig erlebt ermithilfe seiner Kontrollrituale …,Mittel- und langfristig wird die Überzeugung„Alles ist unsicher“ bestätigt, verschlechternsich immer weiter Selbstwirksamkeitserlebenund Selbstwertgefühl, …• Gesicherte Diagnosen:Zwangshandlungen (F42.1); Sozialphobie(F40.1)• Differentialdiagnostische Abklärung:Die Befindlichkeit des Patienten ist depressivgetönt, wird jedoch im Zusammenhang mitder allgemeinen Belastung durch dieZwangsstörung gesehen, sodass keingesonderte F3-Diagnose gestellt wird.Prozessziele:1) Gewährleistung einer hohen Transparenzbeim Vermitteln des Therapierationals2) Den Patienten sensibilisieren für dieKonsequenzen seines InteraktionsverhaltensErgebnisziele:3) Reduzierung der Zwangshandlungen …4) Aufbau einer Tagesaktivitätenstruktur mitsukzess. Zunahme zwangsimkompatiblerAktivitätenPrognose:Prognostisch positive Faktoren sind: …Prognostisch einschränkend zu bewerten ist: …Planung des therapeutischen Beziehungsprozesses:Zu Ziel 1: Komplementäre Beziehungsgestaltung,hier: Anfangs Beschränkung der Beziehungsangeboteauf sachliche Rückmeldung, Informationund Instruktion, sukzessives Hinzunehmen einesdisziplinierten persönlichen Einbringens sensuCBASP (McCullough) …Interventionsplanung:Zu Ziel 3: Reizexposition mit Reaktionsverhinderungin vivo (Ausführen von Küchenarbeiten,Haus verlassen); Tagesaktivitätenplanung mit …Stundenumfang/Setting:Beantragt werden 45 Stunden in wöchentlicherFrequenz, wobei zweimal ein 4-stündiger Blockzur Expositionsbehandlung vorgesehen ist.32 <strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>


B. Ubbendium und Fortbildung abbauen. Ein solcheszweckmäßiges methodisches Vorgehenwählen Psychotherapeuten allerdingserst dann, wenn sie hinsichtlich der Aufgabedes Berichteverfassens bei sich für geeignetemotivationale Bedingungen sorgen.Zunächst gilt es, gegenüber diesermühsamen Aufgabe eine akzeptierendeHaltung einzunehmen. Darüber hinauslässt sich der Bericht gezielt als Planungsinstrumentnutzen, das einen geordnetenPfad zur sorgfältigen diagnostisch fundiertenBehandlungskonzeption bietet. Undschließlich können Psychotherapeutenerst aus einer solchen akzeptierenden undutilisierenden Haltung heraus auf systematischeWeise eine professionelle Routinebeim Planen und Verschriftlichen erlernen.Setzen sich Psychotherapeuten erst verspätetund womöglich verbittert an dasBerichteschreiben, dann gerät dieser Prozessaußerordentlich aversiv und zeitaufwendig.Natürlich unterscheiden sichwenig geübte wie auch versierte Psychotherapeutenpersönlich darin, wie leichtoder wie schwer ihnen das Berichteschreibenfällt. Aber gerade Kollegen mit Schreibschwierigkeitenkönnen enorm davon profitieren,wenn sie sich aus der bereits genanntenakzeptierenden Haltung herausder (bislang von ihnen abgelehnten) Aufgabedes Berichteschreibens auf systematischeWeise neu annähern und so außerdemihre Planungsroutinen professionalisieren.Mit dem hier dargestellten Planungsmodellsoll keinesfalls der laufenden Diskussionwidersprochen werden, die eine Anpassungdes Gutachterverfahrens nahelegt(siehe Uhlemann, 2012). Die Kernaussagelautet vielmehr:Das Verfassen von Berichten an den Gutachterlässt sich sinnvoll verknüpfen mitder sorgfältigen und ökonomischen Planungeiner verhaltenstherapeutischenKrankenbehandlung.Der vorgestellte Planungsalgorithmus unddie Struktur des Berichtes bilden eine sinnvolleEinheit.Alternativ zu der gängigen Ablehnung derBerichterstellung könnten Verhaltenstherapeutenmit dem hier dargestellten Vorgeheneine zweckmäßige und wirtschaftlicheArbeitsweise etablieren und auf diese Weisein ihrem Berufsalltag auch zu einer angemessenenSelbstfürsorge beitragen.LiteraturBrakemeier, E. & Normann, C. (2012).CBASP-Praxisbuch. Beltz: Weinheim.Jaeggi, E. (2012). Psychotherapieausbildungim Geiste der Wissenschaft. <strong>Psychotherapeutenjournal</strong>,11 (4), S. 319-324.Rüger, U., Dahm, A. & Kallinke, D. (2012).Faber/Haarstrick – Kommentar Psychotherapie-Richtlinien.Urban & Fischer:München.Schulte, D., Hahlweg, K., Margraf, J. & Vaitl,D. Fortschritte der Psychotherapie (laufendeBuchreihe). Hogrefe: Göttingen.Sievers, K. (2012). Belastungsdimensionenbei Psychologischen Psychotherapeuten.Psychotherapie Aktuell, 4 (4), S. 11ff.Ubben, B. (2010). Planungsleitfaden Verhaltenstherapie.Beltz: Weinheim.Uhlemann, T. (2012). Vereinfachung, Vereinheitlichung,Entbürokratisierung –Vorschläge des GKV-Spitzenverbandeszur Reform des Gutachterverfahrens.Psychotherapie Aktuell, 4 (3), S. 10ff.Westmeyer, H. (2005). WissenschaftstheoretischeAspekte von Verhaltenstherapie.In J. Margraf & S. Schneider (Hrsg.),Lehrbuch der Verhaltenstherapie (3.Aufl.) (S. 47-62). Berlin: Springer.Bernd Ubben, Dipl.-Psych., ist Verhaltenstherapeut,leitet die Dresdner Akademiefür Psychotherapie DAP und ist als Ausbilderan verschiedenen VT-Richtlinieninstitutensowie als Gutachter für die gesetzlichenKrankenkassen tätig. InhaltlicheSchwerpunkte seiner Lehrtätigkeit undVeröffentlichungen sind Therapieplanung,Supervision und Selbsterfahrung.Dipl.-Psych. Bernd UbbenDresdner Akademie fürPsychotherapie (DAP)Alaunplatz 201099 Dresdenubben@dap-dresden.de<strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>33


Psychotherapie in der beruflichen Rehabilitation– eine verkannte AnforderungVolker BrattigZusammenfassung: Der gesetzliche Rahmen und die Institutionen in der beruflichenRehabilitation werden skizziert und die psychotherapeutische Behandlung als Teil psychologischerArbeit beschrieben. Dabei wird gezeigt, wie die besonderen Aspekte derPrävention sowie die personalen Anforderungen an die Rehabilitanden in der psychotherapeutischenArbeit Berücksichtigung finden. Der Artikel stellt dar, in welcher Weisepsychotherapeutische Arbeit wesentlich dazu beiträgt, dass die Rehabilitanden das Zielder Teilhabe am Arbeitsmarkt erreichen.1. Berufliche Rehabilitation– ein ÜberblickBerufliche Rehabilitation hat in Deutschlandeine lange Tradition. In den 1970er-Jahren gab es eine große Welle zur Errichtungneuer Institutionen, den Berufsbildungs-(BBW) und den Berufsförderungswerken(BFW). Zum Jahrhundertwechselwurde die Sozialgesetzgebung insbesonderemit Blick auf die Leistungen zur Rehabilitation/Teilhabeüberarbeitet und dasSozialgesetzbuch 1 (SGB) IX („Rehabilitationund Teilhabe behinderter Menschen“)neu erstellt. Die Rehabilitationsvorgabender anderen Sozialgesetzbücher wurdenmit Blick auf das SGB IX teilweise nachjustiert.Die erwähnten Institutionen – BBWeund BFWe – sind im § 35 SGB IX als diegroßen Säulen der beruflichen Rehabilitationaufgenommen worden. Neben diesenEinrichtungen werden noch – ohne klareDefinition – vergleichbare Einrichtungenerwähnt. Im Jahr 2009 nahm die Bundesagenturfür Arbeit im Rahmen ihrer Handlungsempfehlungenund Geschäftsanweisungen(HEGA) eine Präzisierung vor. Inder HEGA 12/09-15 (Bundesagentur fürArbeit, 2009) sind die Kriterien so angelegt,dass in allen wesentlichen Belangen– Personal, Ausstattung und Durchführung– die vergleichbaren Einrichtungen demStandard von BBWen und BFWen entsprechenmüssen. Ein Beispiel für vergleichbareEinrichtungen sind Berufliche Trainingszentren(BTZ). Eine weitere Konkretisierungder Kriterien für vergleichbare Einrichtungenveröffentlichte die Bundesarbeitsgemeinschaftfür Rehabilitation (BAR) ineiner gemeinsamen Empfehlung im Februar2012. An der Entstehung der Empfehlunghaben Vertreter der Mitglieder derBAR und Vertreter verschiedener Bundesarbeitsgemeinschaftenvon Rehabilitationseinrichtungenwie der Bundesarbeitsgemeinschaft(BAG) BBW teilgenommen.In dieser Empfehlung werden insbesonderezur fachlichen Qualifikation des Personalsund zu den Aufgaben differenzierteAusführungen gemacht. So steht dort unter§ 4 der Empfehlung: „Für das zentraleZiel der Integration in Beschäftigung werdenauch die physische und psychischeStabilität sowie die Entfaltung der Persönlichkeitund die Stärkung der Fähigkeitender Teilnehmer gefördert.“ (BAR, 2012)Anhand dieses kleinen Abrisses wird deutlich,dass die berufliche Rehabilitation sichin ständiger Entwicklung befindet. Die Umsetzungder gesetzlichen Vorgaben ist allerdingsvon den wirtschaftlichen Rahmenbedingungenabhängig, die sich in den letztenJahren eher belastend ausgewirkt haben.2. Exkurs zu relevantenInhalten des SGB III und IXDas SGB III regelt die Leistungen zur Teilhabeam Arbeitsleben, soweit sie von derBundesagentur für Arbeit finanziert werdenbzw. soweit sie sich an Bezieher vonArbeitslosengeld I richten. In § 19 SGB IIIwird zur Definition von Behinderung Bezugauf § 2 SGB IX genommen (vgl. in diesemAbschnitt weiter unten). Die entscheidendenGedanken dieses Gesetzes, die zurberuflichen Rehabilitation in Beziehungstehen, sind die Differenzierung der Förderungfür Menschen mit Behinderung unddie Verknüpfung der Förderung mit demZiel der Teilhabe am Arbeitsmarkt (differenzierteAusführungen in Brattig, 2007).Sowohl für die psychologische Arbeit imAllgemeinen als auch für die psychotherapeutischeArbeit im Besonderen ist hervorzuheben,dass die Förderung ein breitesSpektrum beinhaltet, denn sie soll grundsätzlichErwerbstätigkeit erhalten, verbessern,herstellen oder wiederherstellen. Außerdemsollen Eignung und Neigung beider Auswahl der Reha-Leistungen angemessenberücksichtigt werden. Kombiniertman beide Inhalte, ist Eignung nicht nur zuerhalten oder (wieder-)herzustellen, sondernauch zu verbessern, unter Beachtungder Entwicklung des Arbeitsmarktes. DieFörderung für Menschen mit Behinderunggeht über die allgemeinen Reha-Leistungenhinaus und wird um besondere Leistungenerweitert, die wiederum in zweiMaßnahmengruppen unterteilt werden. Jenach Art oder Schwere der Behinderungkönnen die Leistungen also differenziertwerden. Maßnahmen in besonderen Einrichtungenstehen zur Verfügung, wenneine „unerlässliche“ Notwendigkeit aufGrund der Art oder Schwere der Behinderungvorliegt. Aus psychologischer/psychotherapeutischerSicht stellt sich die Frage,ob die vorhandenen Angebote dem zu erreichendenZiel der Förderung entsprechen.1 Sozialgesetzbuch I bis XII verfügbar unter:www.sozialgesetzbuch.de/gesetze/index.php [30.01.<strong>2013</strong>]34 <strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>


V. BrattigZur Beantwortung der Frage werden imFolgenden zum einen die entsprechendenParagraphen des SGB IX knapp aufgeführtund zum zweiten die aktuelle psychologischeFacharbeit – einschließlich psychotherapeutischerAnteile – in BBWen in einemeigenen Abschnitt praxisnah beschrieben.Die Verknüpfung der Förderung mit demZiel einer Teilhabe am Arbeitsleben machtdeutlich, dass mehr erwartet wird als dieVermittlung fachtheoretischer und fachpraktischerInhalte. Die Absolventinnenund Absolventen 2 sollen ihre Frau oder ihrenMann im Berufsalltag stehen können.Ob mit Arbeitsleben ausschließlich sozialversicherungspflichtigeArbeitsverhältnissegemeint sind, wird im Gesetz nicht definiert.Außer Erwerbsarbeit im engerenSinn gibt es viele Arten von Beschäftigungsverhältnissen,die nicht unberücksichtigtbleiben dürfen, da über sie beispielsweisedie zeitliche Belastung dosiertwerden kann. Integration ins Arbeitslebenist in der beruflichen Rehabilitation auchschon vor dem SGB III in der Regel angestrebtworden, ist also kein neues Ziel. DieBewilligung von Förderung auf der Grundlage,dass die Integration auf dem „Fit-Machen“ der Menschen mit Behinderungbasiert, verlangt von den Menschen mitBehinderung eine entsprechende Anpassungsfähigkeit,oder -bereitschaft ab. Sowohlbeim Einsetzen psychologischer Interventionsverfahrenwie Beratung undTraining als auch bei psychotherapeutischerArbeit bleibt abzuwägen, in welcherWeise soziale Fähigkeiten und psychischeResilienz aufgebaut und/oder stabilisiertwerden sollen, damit die Rehabilitandennachhaltig am Arbeitsleben teilhaben können.Für die berufliche Rehabilitation und alleauf diesem Gebiet mitwirkenden Personenist die Existenz des SGB IX von großer Bedeutung.Menschen mit Behinderungenwird das ihnen zustehende Recht aufselbstbestimmtes Leben in der Gesellschaft– das die Teilhabe am Arbeitslebeneinschließt – gesetzlich zugebilligt.In § 2 SGB IX wird die Zielgruppe definiert,zu der nicht nur Menschen gehören,deren körperliche Funktionen, geistige Fähigkeitenund seelische Gesundheithöchstwahrscheinlich länger als ein halbesJahr im Vergleich zu Gleichaltrigen „abweichen“.Vielmehr gehören zur Zielgruppeauch Menschen, denen dieses droht –zum Beispiel aufgrund einer chronischenErkrankung. Auf das Verständnis von Behinderungin der Sozialgesetzgebung hatsich teilweise der internationale Prozessder Definition der Behinderung ausgewirkt,der in der Internationalen Klassifikation derFunktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit(International Classification ofFunctioning, Disability and Health, ICF,2001 3 ) der Weltgesundheitsorganisation(WHO) mündete. Obwohl möglicherweisedie ICF neben dem ICD in der Rehabilitationzukünftig eine bedeutendere Rollespielen wird, kann im Rahmen dieses Beitragesnicht genügend ausführlich daraufeingegangen werden.Vom umfangreichen Inhalt des SGB IX willich nur zwei Aspekte hervorheben: diegroße Bedeutung der Selbstbestimmungund Eigenverantwortung des betroffenenMenschen sowie die Anforderungen andie Institutionen zur Rehabilitation.Durch den § 9 SGB IX wird die Selbstbestimmungeindeutig gestärkt, auch wennihr noch Grenzen gesetzt sind. Für die Leistungsberechtigtenist ein Wunsch- undWahlrecht neu aufgenommen worden. Eskann also eine Rehabilitationsmaßnahmeund ihre Ausgestaltung nicht einseitig durchdie Beratungsfachkraft vorgegeben werden.Damit dieses neue Recht auch verwirklichtwird und die berechtigten Personen eineden eigenen Vorstellungen weitgehendentsprechende Rehabilitation erlangen können,müssen sie Wünsche und Interessenklar äußern können und einen guten Kenntnisstandüber gesetzliche Vorgaben und institutionelleRealisierungsmöglichkeiten haben.Um Barrierefreiheit für diejenigenMenschen zu erreichen, die in der Kommunikationoder im Verständnis Einschränkungenhaben, muss ihnen geeignete Beratungoder Assistenz zur Verfügung gestellt werden.Die Selbstbestimmung sollte abernach dem Beratungsprozess nicht aufhören.Auch in den geförderten Reha-Maßnahmensollten sie sich einbringen können.Bisher ist von Gesetzes wegen nur vorgesehen,dass sie ihre „betrieblichen“ Interessendurch besondere Vertreter einbringen können.Die individuelle Selbstbestimmungwährend der Teilnahme an der Maßnahmeund die Wahl der geeigneten Unterstützungzur Bewältigung der Anforderungen sindnicht explizit erwähnt. Aus psychologischer/psychotherapeutischer Sicht ist dies einManko, denn so besteht die Gefahr, dass invielen Fällen über die Betroffenen hinwegbestimmt wird, wenn sie nicht durch dieMitarbeitenden in den Einrichtungen Hilfestellungerhalten (siehe auch Abschnitt 4.1).In den §§ 20, 33 und 35 SGB IX werdenVorgaben unter anderem in folgendenPunkten gemacht: a) wie Qualitätssicherungerfolgen soll und b) dass Gestaltungund Durchführung der Maßnahmen einenerfolgreichen Verlauf gewährleisten sollenund die Leistungen verschiedene fachlicheHilfen beinhalten, die nicht nur dazudienen, die Folgen von Behinderung abzufangenoder zu verringern, sondern auchdie Folgen von Krankheiten, insbesondereeine Verschlimmerung, zu verhüten.Die Einrichtungen sollen durch zielgerichteteund systematische Verfahren undMaßnahmen – dies entspricht der Terminologieder DIN EN ISO 9000 ff. 4 – dieQualität der Angebote sicherstellen undkontinuierlich verbessern und für Barrierefreiheitsorgen. Diese Qualitätsvorgabensind in der psychologischen/psychotherapeutischenPraxis sicherlich schon weitgehendStandard geworden. Zu Gestaltungund Durchführung der Maßnahmen ist erwähnenswert,dass die Fachdienste soausgestaltet sein müssen, dass sie ihrenBeitrag zum erfolgreichen Abschluss derMaßnahmen leisten können. Um einensolchen Beitrag leisten zu können, müssenalso psychologische Dienste sowohl überentsprechende Räumlichkeiten, Ausstattungoder Materialien als auch über Möglichkeitenzur Qualifizierung des Personalsverfügen. Die Fortschreibung dieses Ge-2 Aus Gründen der besseren Lesbarkeit werdenim Folgenden nicht durchgängig beideFormen genannt. Selbstverständlich sind jedochimmer Männer und Frauen gleichermaßengemeint.3 www.who.int/classifications/icf [30.01.<strong>2013</strong>]4 Die DIN EN ISO 9000 ff. ist eine internationalgültige Normenreihe zum Aufbau und zurBewertung von Qualitätsmanagement-Systemen.<strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>35


Psychotherapie in der beruflichen Rehabilitation – eine verkannte Anforderungsetzes führt darüber hinaus dazu, dass imRahmen der beruflichen Rehabilitationauch in Betrieben ausgebildet werdenkann und dass diese Betriebe Unterstützungerhalten sollen. Der Umfang der Unterstützungwird nicht differenziert. Im Gesetzausgeführt werden die Leistungen fürfachliche Hilfen. Sie müssen in notwendigemUmfang den einzelnen Rehabilitandenzur Verfügung stehen, fachlich angemessenerbracht werden und behindertengerechtausgestaltet sein. Dabei werdenmedizinische, psychologische undpädagogische Hilfen aufgeführt. Diese Hilfenwerden „insbesondere“ erwähnt (sieheKasten 1).Aus psychologischer/psychotherapeutischerSicht sind in § 33 Absatz (6) SGB IXdie Punkte 1 bis 5 besonders interessant(vgl. hierzu auch Abschnitt 4.1). Als Problemkann aber gleich benannt werden,dass hier Psychotherapie nicht ausdrücklichaufgeführt wird – im Unterschied zu§ 26 Absatz (2) SGB IX, der die Leistungenzur medizinischen Rehabilitation benennt(siehe Kasten 2) – wiewohl sie auchin § 33 Absatz (6) SGB IX inhaltlich mitgemeint sein kann.Damit sind im Gesetz konkrete Rahmenbedingungengeschaffen worden, derenUmsetzung und Ausgestaltung den einzelnenEinrichtungen obliegt, die aber großeProbleme haben, die entsprechenden finanziellenMitteln zur Verfügung zu bekommen,da die in § 35 Absatz (4) SGB IXaufgeführten „Grundsätze von Wirtschaftlichkeitund Sparsamkeit“ unterschiedlichverstanden und angewendet werden können.3. Einblicke in Aufgabenstellungenund Organisationder Einrichtungenberuflicher Rehabilitation3.1 Berufsförderungswerke(BFW)Die eine Säule beruflicher Rehabilitationbesteht aus den BFWen, von denen es 28Einrichtungen gibt (für weitere Informationensiehe Internetpräsenz der ArbeitsgemeinschaftBFW 5 ). In den BFWen werdenSGB IX § 33 Absatz (6):„Die Leistungen umfassen auch medizinische, psychologische und pädagogische Hilfen,soweit diese Leistungen im Einzelfall erforderlich sind, um die in Absatz 1 genanntenZiele zu erreichen oder zu sichern und Krankheitsfolgen zu vermeiden, zu überwinden,zu mindern oder ihre Verschlimmerung zu verhüten, insbesondere1. Hilfen zur Unterstützung bei der Krankheits- und Behinderungsverarbeitung,2. Aktivierung von Selbsthilfepotentialen,3. mit Zustimmung der Leistungsberechtigten Information und Beratung von Partnernund Angehörigen sowie von Vorgesetzten und Kollegen,4. Vermittlung von Kontakten zu örtlichen Selbsthilfe- und Beratungsmöglichkeiten,5. Hilfen zur seelischen Stabilisierung und zur Förderung der sozialen Kompetenz, unteranderem durch Training sozialer und kommunikativer Fähigkeiten und im Umgangmit Krisensituationen,6. Training lebenspraktischer Fähigkeiten,7. Anleitung und Motivation zur Inanspruchnahme von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben,8. Beteiligung von Integrationsfachdiensten im Rahmen ihrer Aufgabenstellung (§ 110).“Kasten 1SGB IX § 26 Absatz (2):„Leistungen zur medizinischen Rehabilitation umfassen insbesondere1. Behandlung durch Ärzte, Zahnärzte und Angehörige anderer Heilberufe, soweit derenLeistungen unter ärztlicher Aufsicht oder auf ärztliche Anordnung ausgeführt werden,einschließlich der Anleitung, eigene Heilungskräfte zu entwickeln,2. Früherkennung und Frühförderung behinderter und von Behinderung bedrohter Kinder,3. Arznei und Verbandmittel,4. Heilmittel einschließlich physikalischer, Sprach- und Beschäftigungstherapie,5. Psychotherapie als ärztliche und psychotherapeutische Behandlung,6. Hilfsmittel,7. Belastungserprobung und Arbeitstherapie.“Kasten 2Menschen rehabilitiert, die aus gesundheitlichenGründen im erlernten Berufnicht weiter arbeiten können, sodass siesich beruflich um- oder neuorientierenmüssen. Die gesundheitlichen Einschränkungenkönnen durch Krankheit oder Unfallausgelöst worden sein. Damit betroffeneMenschen BFWe in Anspruch nehmenkönnen, muss ihre gesundheitliche Einschränkungals Behinderung eingestuftwerden. Allerdings reicht das Vorliegen einerBehinderung für die Teilnahme an einerMaßnahme in einem Rehabilitationseinrichtungnicht (mehr) aus, sondern esmuss hinzukommen, dass die Menschendie Um- oder Neuorientierung nicht betrieblichoder in einer außerbetrieblichenMaßnahme erfolgreich beenden können.Diese Menschen erhalten in den BFWenaus einer breiten Qualifizierungspalettevon Berufsbildern berufliche Inhalte inTheorie und Praxis von Berufsfachleutenvermittelt, die darüber hinausgehendeKenntnisse und Erfahrungen im Umgangmit Behinderungen haben. In Vorbereitungskursenwerden fehlende (schulische)Kenntnisse, Defizite im Lern- undSozialverhalten oder Sprachbarrieren abgebautund Ressourcen frei- oder neu angelegt,damit Qualifizierungsmaßnahmenerfolgreich bestanden werden können.Außerdem bieten BFWen Präventionsmaßnahmenund Reha-Assessment an.5 www.arge-bfw.de [30.01.<strong>2013</strong>]36 <strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>


V. BrattigDiese Angebote erstrecken sich auf dasVorfeld beruflicher Rehabilitation.Die Präventionsmaßnahmen richten sichan Betriebe und Institutionen, um Arbeitsplatzverlustzu verhindern. Sie werden imRahmen des Eingliederungsmanagementsdurchgeführt, in dem psychologischeKompetenzen allerdings noch kaum Berücksichtigungfinden (Brattig, 2012,S. 845). Das Reha-Assessment ist ein vonden BFWen entwickeltes modulares Konzept,in dem betriebliche Anforderungenund persönliche Potenziale im Laufe einerMaßnahme abgeglichen werden. In diesemKonzept kommen – nach eigenerDarstellung der BFWen – insbesonderearbeitsmedizinische und arbeitspsychologischeKompetenzen zum Einsatz. Damitwerden im Reha-Assessment nur aufgabenspezifischpsychologische Kompetenzeneingebracht.Im Mittelpunkt der Rehabilitation derBFWen im Allgemeinen steht eine ganzheitlicheFörderung, sodass ein interdisziplinäresTeam aus Ausbildern, Lehrern, Ärzten,Psychologen und Sozialarbeitern zusammenarbeitetund die Teilnehmendender Maßnahmen unterstützt. Ziel der ganzheitlichenFörderung ist es, über die fachlichenInhalte hinausgehend auch anderePersönlichkeitskompetenzen entsprechendden Anforderungen in der Arbeitsweltzu festigen oder aufzubauen. Dazuwerden ergänzend zu schulischer und betrieblicherFörderung unter besonderenHilfen die Kompetenzen dreier Fachdienste– medizinischer, psychologischer undsozialer Dienst – zur Verfügung gestellt.Die fachpsychologischen Aufgaben gliedernsich in:• Begutachtung und Diagnostik,• Einleitung von Heilverfahren,• Therapeutische Unterstützung,• Krisenintervention,• Einzel- und Gruppenangebote sowie• Mitwirkung im Förder- und Integrationsprozess.Hier wird deutlich, dass fachpsychologischeKompetenz die therapeutische Kompetenzmit einschließt, damit eine erfolgreicheIntegration auf dem Arbeitsmarkterreicht werden kann. Bei dieser Aufzählungwird jedoch nicht eindeutig benannt,ob auch psychotherapeutische Kompetenzgemeint ist. Eine entscheidende Rollespielt dabei, dass vonseiten der Teilnehmendennicht selten vermieden wird, diebestehende Problematik als Krankheit anzuerkennen,oder dass Maßnahmeträgernicht die Notwendigkeit erkennen, dasseine psychotherapeutische Interventionorts- und zeitnah vorgehalten werdenmuss, um die notwendige Stabilisierungfür einen erfolgreichen Verlauf der Maßnahmegewährleisten zu können.3.2 Berufsbildungswerke (BBW)Die andere Säule der beruflichen Rehabilitationbesteht aus den BBWen. In der Bundesrepublikgibt es 52 BBWe (für weitereInformationen siehe Internetpräsenz derBundesarbeitsgemeinschaft der BBW 6 ).Ursprünglich hatten die BBWe eine klareSchwerpunktsetzung bezogen auf die Klientel:Menschen mit Sinnesbehinderung(unterteilt in Sehbehinderung, Blindheitund Sprach-/Hörbehinderung, Taubheit),Körperbehinderung, Lernbehinderungoder psychischer Behinderung. Schon seitden 1990er-Jahren ist zu beobachten,dass der Anteil von Menschen mit Mehrfachbehinderungenzunimmt, sodass dieGrenzen der Schwerpunktsetzung zunehmenddurchlässig werden. Alle BBWe berichtenzudem aufgrund der ihnen vorliegendenAnmeldungen, dass insbesondereder Anteil der jungen Menschen mit psychischerBehinderung gestiegen sei. DieBehinderungen sind teilweise angeboren,sie können aber auch infolge von Erkrankungenoder Unfällen erworben wordensein. Für die Aufnahme in ein BBW giltauch hier, wie bereits bei dem Abschnitt zuden BFWen erwähnt, dass eine Behinderungalleine nicht ausreicht. Es muss hinzukommen,dass eine Ausbildung nicht inBetrieben oder in Maßnahmen außerhalbdes BBW erfolgreich durchgeführt werdenkann. Darüber entscheidet die Berufsberatungder Bundesagentur für Arbeit.In BBWen werden die junge Menschen mitden aufgeführten Behinderungen ausgebildetoder auf eine Ausbildung vorbereitet.Die Ausbildung ist inhaltlich den Ausbildungenin Betrieben vollständig gleichwertig.Die Prüfungen am Ende der Ausbildungwerden zusammen mit den Absolventender betrieblichen Ausbildungen vorden jeweiligen Handwerkskammern abgelegt.Theoretische und praktische Inhalteder Ausbildungen und berufliche Handlungskompetenzenkönnen in den BBWendurch die Ausbilder vermittelt werden. DieAusbildungspalette ist breit gefächert undpasst sich den Veränderungen der Ausbildungenan. Teile der Ausbildung können inForm von Praktika und neuerdings auchdurch Verzahnung in Betrieben vermitteltwerden. Bei der Verzahnung – VerzahnteAusbildung mit Berufsbildungswerken(VAmB) 7 – wechselt das BBW über einemit einem Betrieb abgestimmte Zeit in dieRolle des unterstützenden Begleiters. DieVorbereitung auf eine Ausbildung kann inKurzmaßnahmen, die der Abklärung dergeeigneten Berufsausbildung dienen, oderin Form von berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen(BvB) erfolgen, die sowohleine abklärende als auch eine förderndePhase haben. Für die BvB hat dieBundesagentur für Arbeit ein Fachkonzeptentwickelt und fortgeschrieben, das alleBBWe entsprechend umsetzen (Bundesagenturfür Arbeit, 2012).Im Mittelpunkt der beruflichen Rehabilitationder BBWe steht auch die ganzheitliche,individuelle Förderung der jungenMenschen mit Behinderung. Da die BB-We nicht einheitlich aufgebaut sind, sinddie interdisziplinären Teams unterschiedlichzusammengesetzt. In der Regel gibtes einen Ausbildungsbereich, einen PsychologischenDienst und Case-/Sozialmanagement.Oft ist ein Internat vorhandenund ein Medizinischer Dienst. Nur inmanchen BBWen sind Lehrkräfte für denBerufsschulbereich abgeordnet, in denanderen BBWen gehen die Teilnehmendenin die jeweilige örtliche Berufsschule,sodass die Zusammenarbeit mit der Berufsschulenicht so direkt erfolgt. Die interdisziplinäreZusammenarbeit ist durchdie Förderplanung strukturiert. Für die Förderplanungin den berufsvorbereitendenBildungsmaßnahmen hat die Bundesagenturfür Arbeit im Rahmen der elektronischenMaßnahmeabwicklung einenLeistungs- und Verhaltensbeurteilungsbo-6 www.bagbbw.de [30.01.<strong>2013</strong>]7 Verfügbar unter: www.bagbbw.de/projekte/abgeschlossene-projekte/vamb [30.01.<strong>2013</strong>]<strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>37


Psychotherapie in der beruflichen Rehabilitation – eine verkannte Anforderunggen (LuV) konzipiert. Dieser LuV ist onlineüber eine Anlage des fachlichen Info-Paketszur elektronischen Maßnahmeabwicklung8 zugänglich (oder beim Autorerhältlich, Kontaktadresse siehe am Endedes Artikels). In überarbeiteter Form bildetder LuV oft die Grundlage für die aufdie Einrichtung und die unterschiedlichenLeistungsniveaus abgestimmten Arbeitsbögenfür die Förderplanung. Auf diesenArbeitsbögen werden ergänzend zur fachtheoretischenund -praktischen Beurteilungder Ausbildung und Schule personale,methodische und sozial-kommunikativeKompetenzen aus pädagogischer Sichterfasst. Für medizinische und psychologischeFachbereiche gibt es gesonderteFachbögen. Zu bestimmten Zeitabschnittenerfolgt eine erneute Beurteilung, dieden bisherigen Werdegang erfasst undZiele für die weitere Entwicklung setzt.Aus psychologischer/psychotherapeutischerSicht ergibt sich, dass die Teilnehmendenganzheitlich gesehen werdenund die fachspezifische Arbeit Teil der gesamtenFörderung ist.Für die psychotherapeutische Arbeit giltaber zum einen, dass Inhalte und Zielsetzungaus der ganzheitlichen Sicht nur imEinverständnis mit dem Rehabilitanden inder psychotherapeutischen Arbeit berücksichtigtwerden. Die psychotherapeutischeArbeit verfolgt grundsätzlich ihre spezifischenZiele. Diese spezifischen Ziele stehenaufgrund des Wunsches der Teilnehmenden,Integrationsfähigkeit zu erreichen,nicht im Widerspruch zur beruflichenRehabilitation.Zum anderen ist das besondere Vertrauensverhältnis– einschließlich der Schweigepflicht– auch im Rahmen der interdisziplinärenZusammenarbeit zu wahren. Esdürfen nur mit Einverständnis des Betroffenenkonkrete Inhalte aus psychotherapeutischenSitzungen weitergegeben werden.Der Psychologische Fachdienst soll auchbei der Durchführung von Assessmentcenternbeteiligt werden, die zunehmend inberufsvorbereitenden Maßnahmen Eingangfinden. Zu den Aufgaben des PsychologischenDiensts zählen überblicksmäßigdie folgenden, die je nach Anforderung inEinzel- oder Gruppensitzungen durchgeführtwerden können:• Psychodiagnostik (Intelligenz-, Konzentrations-,Gedächtnis- und Persönlichkeitstests,Exploration und Anamneseverfahren,Selbst- und Fremdeinschätzung,teilnehmende Beobachtung),• Beratung (Problem-/Konfliktbewältigung,psychische Stabilisierung, beruflicheEntscheidungsfindung),• Psychologische Trainingsverfahren (Entspannung,Stressbewältigung, Förderungsozialer Kompetenz, themenbezogenzum Umgang mit Behinderung,neuropsychologische Verfahren),• Krisenintervention,• Praxisreflexion und Fortbildung mit/vonMitarbeitenden,• Leitung oder Beteiligung von/in interdisziplinärenTeams der Ausbildungund/oder Berufsvorbereitung,• Begutachtungen und Stellungnahmenund• therapeutische Interventionen (vgl. dazufolgenden Abschnitt).3.3 Berufliche Trainingszentren(BTZ)Vergleichbare Einrichtungen sind die BTZ,von denen es in Deutschland 17 gibt (weitereInformationen siehe Internetpräsenzder Bundesarbeitsgemeinschaft BeruflicherTrainingszentren, BAG BTZ 9 ). Diesegeringe Anzahl überrascht auf den erstenBlick. Wird jedoch berücksichtigt, dass Einrichtungenzur Rehabilitation psychischKranker – weitere Informationen siehe Internetpräsenzder BundesarbeitsgemeinschaftRehabilitation psychisch krankerMenschen, BAG RPK 10 – zu einem Teil beruflicheRehabilitation als Leistungen zurTeilhabe am Arbeitsleben durchführen,dann können noch ca. 47 Einrichtungenhinzugerechnet werden. In BTZ finden nurMenschen mit psychischen BehinderungenZugang. Es können Menschen mitpsychischer Behinderung aufgenommenwerden, die noch im Erwerbsleben stehen,denen aber der Arbeitsplatzverlustdroht, oder auch Menschen mit psychischerBehinderung, die ohne Arbeit sind,unabhängig davon, ob sie sich aktuell inpsychiatrischer Behandlung befinden,wenn sie zur Wiedereingliederung beruflicheund psychosoziale Förderung benötigen.Die betroffenen Menschen müssenhalbtägig belastbar sein. Die Größe derEinrichtungen und die Mitarbeitenden sindauf die Belange der betroffenen Klientelabgestimmt. Teilnehmende werden aufdie Anforderungen in Betrieben hin trainiert.Für einen erfolgreichen Verlauf desTrainings werden unterschiedliche Methoden,Hilfs- und Förderangebote eingesetzt.Um eine Integration zu erreichen, werdenKontakte mit Betrieben und Unternehmengepflegt.In BTZ arbeitet ein interdisziplinäres Teamzusammen, mit Fachkräften aus kaufmännischen,technischen und handwerklichenBerufen, Ergotherapeuten, Psychologen,Sozialpädagogen und Sozialarbeitern. Gemeinsambereiten sie Betroffene auf dieAnforderungen in der Arbeitswelt vor, nachMöglichkeit wird eine Integration angestrebt.Alternativ zur Integration könnenauch eine Ausbildung oder Umschulungoder eine weitere Reha-Maßnahme angestrebtwerden. An den vorhandenen schulischenKenntnissen und beruflichen Erfahrungenwird angesetzt und diese durchSchulungsangebote gefestigt und erweitert.Neben der Vermittlung fachlicher Inhaltewerden auch persönliche und sozialeFertigkeiten trainiert. Die Teilnahme an betrieblichenPraktika ist ebenfalls vorgesehen.Im Rahmen einer Integration werdenauch die Betriebe der Teilnehmenden individuellbegleitet und die Betriebe werdenzur Arbeitsplatzausstattung und Eingliederungshilfenberaten.4. PsychotherapeutischeArbeit der PsychologischenDienste in BerufsbildungswerkenIch möchte nun am Beispiel der PsychologischenDienste in BBWen auf die Bedeutungpsychotherapeutischer Arbeit eingehen.Die Konzentration auf BBWe ergibt8 Verfügbar unter: www.arbeitsagentur.de/zentraler-Content/A05-Berufl-Qualifizierung/A052-Arbeitnehmer/Allgemein/eMaw-Elektronische-Massnahmeabwicklung.html[30.01.<strong>2013</strong>]9 www.bag-btz.de/bagbtz/bag-btz.php [30.01.<strong>2013</strong>]10 www.bagrpk.de/leistungen.html [30.01.<strong>2013</strong>]38 <strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>


V. Brattigsich aus meinem beruflichen Tätigkeitsbereich.Die Arbeit in den anderen Reha-Einrichtungenist in wesentlichen Punkten jedochvergleichbar.Ergebnisse einer Befragung von BBWen(Brattig, 2009a, S. 25ff.) zeigen zum einem,dass bei der Mehrheit der befragtenPsychologischen Dienste in den BBWenvermehrt therapeutische Angebote nachgefragtwerden. Therapeutische Angebotesind in der Befragung nicht weiter differenziertworden, sie dürften zu einem beachtlichenTeil Psychotherapie einschließen.Zum zweiten liefern die Ergebnisse Kenntnisseüber die vorkommenden Behinderungsartensowie psychischen Störungenund Verhaltensauffälligkeiten, die im Folgendenkurz skizziert werden.4.1 Welche Behinderungsartenund psychische Störungen werdenbehandelt?Zu den Behinderungsarten kann festgestelltwerden, dass die quantitative undqualitative Bedeutung der psychischen Behinderungenzugenommen hat. Dies entsprichtder gesellschaftlichen Entwicklung,wie sie beispielsweise auch in den Gesundheitsreportsder Krankenkassen (DAK,2011; TK, 2011) oder durch die Daten derDeutschen Rentenversicherung festgestelltwird. Nach den Ergebnissen der Befragungin BBWen ergibt sich folgendeRangfolge bei den psychischen Störungenund Verhaltensauffälligkeiten (absteigend):• affektive bzw. emotionale Störungen,• Persönlichkeitsstörungen,• Belastungs- und psychosomatische Störungen,• Ängste,• aggressives Verhalten und• teilweise ADHS sowie Suchtverhalten.In der Befragung wurde nur nach derVeränderung gefragt, nicht erhoben wurdedie Häufigkeit der Behinderungsarten,sodass keine Aussage zum Anteil der Behinderungsartengemacht werden kann.Es ist zu vermuten, dass der Anteil jungerMenschen mit psychischen Auffälligkeitendeutlich über 50% und der jungerMenschen mit psychischen Krankheiten<strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>Beispiel: FallbeschreibungJunge Frau K. (19), Förderschule für Schüler mit Lernbehinderung, verschiedene berufsvorbereitendeBildungsmaßnahmen, Ausbildung zur Helferin in der Hauswirtschaft.Lernbehinderung mit Einschränkung der Konzentrations- und Merkfähigkeit, Rechenschwäche,Angststörung (Klaustrophobie), Gleichgewichtsstörung.Die Angststörung wirkt sich im privaten und beruflichen Lebensbereich störend aus:Probleme mit der Nutzung von Badezimmern/Toiletten, Aufzügen, Lagerräumen. Behandlungdurch systematische Desensibilisierung.Aufgrund der Lernbehinderung therapeutisch in detaillierten Schritten vorgegangen, genaueErklärung der Vorgehensweise, differenzierte Angsthierarchie, begleitend zur Lernbehinderungund Angststörung zeigt sich, dass das Selbstwertgefühl und die Selbstsicherheiteingeschränkt sind. Auf diesem Hintergrund kommt es zu Problemen insozialen Situationen.Der Angstabbau gelingt über 20 Sitzungen in der Vorstellung und in realen Situationenbis hin zum Aushalten des Verweilens in einem dunklen, fensterlosen kleinen Vorratsraum.Der erfolgreiche Verlauf bewirkt eine Verbesserung der Selbstwertproblematik.Zur weiteren Stärkung werden noch belastende Situationen in der Berufsschule behandelt.Zur Unterstützung werden die Mutter als Vermittlerin zur Berufsschule und dieAusbilderin mit einbezogen. Frau K. lernt, eigene Interessen und Bedürfnisse zu vertreten.Diese Erweiterung der sozialen Kompetenz wirkt sich auch stabilisierend auf dieBeherrschung der Angststörung aus.Kasten 3über 20% liegt. Diese Prozentsätze sinddeutlich höher als die in der Bevölkerung,wie einer Veröffentlichung der Bundespsychotherapeutenkammer(BPtK)entnommen werden kann, in der dieHäufigkeiten psychischer Krankheitenbei Kindern und Jugendlichen folgendermaßenangegeben werden: Knapp 22%zeigen psychische Auffälligkeiten, knapp10% eine psychische Krankheit, wobeiAngststörungen die häufigste Erkrankungdarstellen. Bei Erwachsenen sind über11% arbeitsunfähig und bei circa 40%kommt es aufgrund psychischer Erkrankungenzur Frühberentung (BPtK, <strong>2013</strong>).Diese Unterschiede verdeutlichen, dassin der Klientel der BBWe psychische Auffälligkeitenund psychische Krankheiteneinen bedeutsamen Umfang einnehmen,der es verständlich macht, dassentsprechend fachliche Kompetenzenzur Verfügung gestellt werden müssen(siehe hierzu als Beispiel den Fallberichtin Kasten 3).Viele junge Rehabilitanden leiden an einerpsychischen Erkrankung nach ICD-10. Siemöchten therapeutische Hilfen haben, umden Rehabilitationserfolg nicht zu gefährden.Andere werden von den Mitarbeitenden inder Ausbildung ermuntert, entsprechendeHilfestellungen in Anspruch zu nehmen,weil es in der Ausbildung zu Verhaltensauffälligkeitenkommt. Auch sie entwickeln inder Regel Veränderungsbereitschaft. Soleidet etwa eine junge Frau an depressiverVerstimmung und Verbitterung über ihrenbisherigen Lebensweg. Es kommt aufgrunddessen zu Rückzugsverhalten undFehlzeiten aufgrund psychosomatischerSymptome. Ihre sozialen Kontakte in derGruppe leiden und führen zu einer sekundärenVerstärkung der Problematik und siedroht den Anschluss an die Lerninhalte zuverlieren. Eine andere junge Frau hat eineBorderline-Symptomatik und neigt zuSelbstverletzungen. Sie kommt nur mitwenigen sozialen Kontakten zurecht undgefährdet den Ausbildungsverlauf durchimpulsives Verhalten. Ein junger Mann hateine gewalttätige Kindheit erlebt und neigtnun selbst zu Gewaltverhalten, aufgrundseiner fremdländischen Herkunft ist erschwer für andere Auszubildende und Mitarbeitendeeinzuschätzen. Ein andere jungerMann hat große Probleme wegen einerADHS-Symptomatik, die es ihm schwermacht, im theoretischen Unterricht konzentriertmitzuarbeiten. In der therapeuti-39


Psychotherapie in der beruflichen Rehabilitation – eine verkannte Anforderungschen Behandlung hat es sich bewährt,dass in der Regel sofort Kontakt aufgenommenwerden kann, sodass keine Wartezeitenentstehen. Bei einer ambulantenPsychotherapie kann es laut Veröffentlichungder BPtK (2011, S. 7) erst nach circasechs Monaten zu probatorischen Sitzungenkommen. Sollten stationäre Behandlungennotwendig werden, kann der Betroffenebis zum Beginn stabilisiert werdenund am Ende der stationären Behandlungkann der Übergang unterstützt werden. ImEinverständnis mit dem Rehabilitandenkann begleitend zur Therapie unterstützendund erklärend auf das engere sozialeUmfeld, insbesondere in Hinblick auf dieAusbildung eingewirkt werden. Da es sichdabei um einen sehr sensiblen Kommunikationsprozesshandelt, sind gewachseneBeziehungen wichtig, sodass Fehleinschätzungenund Missverständnisse auf ein Minimumreduziert und Irritationen vermiedenwerden können. Bei der jungen Fraumit der Depression und der Verbitterungsproblematikist es beispielsweise hilfreich,die pädagogischen Mitarbeitenden in derAusbildung besonders auf die Notwendigkeitanerkennender, positiver Rückmeldunghinzuweisen und selbstabwertendeÄußerungen abzufangen. Auf diese Weisekann in kleinen Schritten ihr Selbsterlebnisgeändert und zur Stabilisierung beigetragenwerden. Beim jungen Mann mit demAggressionsverhalten ist es förderlich,Rückzugsmöglichkeiten abzusprechen undBefürchtungen abzubauen. Positive Ansätzeaus einem begleitenden Anti-Aggressionstrainingkönnen dadurch weiterentwickeltwerden. Auf der anderen Seite könnendie Kenntnisse über das soziale Umfelddes Rehabilitanden hilfreich sein, inder Therapie zum einen die Schilderungenüber die erlebten Situationen besser einzuordnenund zum anderen auch konkreteVerhaltensalternativen besprechen zu können.Das psychotherapeutische Behandelnist also näher am Geschehen undentfaltet dadurch eine große Effektivität.Wenn diese therapeutische Arbeit mit demSGB IX in Beziehung gesetzt wird, in demes in § 33 Absatz (6) heißt: „Die Leistungenumfassen auch (...) psychologischeHilfen (...), insbesondere 1. Hilfen zur Unterstützungbei der Krankheits- und Behinderungsverarbeitung,2. Aktivierung vonSelbsthilfepotentialen, (…), 5. Hilfen zurseelischen Stabilisierung und zur Förderungder sozialen Kompetenz, unter anderemdurch Training sozialer und kommunikativerFähigkeiten und im Umgang mitKrisensituationen (…)“ (siehe auch Kasten1), ergibt sich, dass „Hilfen“ und „Aktivierung“die therapeutische Bearbeitungvon psychischen Erkrankungen einschließt.Unterschiedliche psychologische Interventionsverfahrenwerden jedoch nicht klarbenannt. Psychologische Beratungsgesprächeund Trainingsverfahren kommenbei psychisch gesunden Personen zumTragen, die keiner individuell tiefergehendenErlebnisverarbeitung/Einstellungsänderungund Verhaltenskorrektur/Kompetenzerweiterungbedürfen, wie es einepsychotherapeutische Behandlung leistet.Ein Teil der Klientel in den BBWen benötigtaber gerade diese Hilfe.Krankheits- und Behinderungsverarbeitungist bei jungen Menschen mit körperlicherBehinderung oft ein Thema. Besonders beichronischen Erkrankungen wie beispielsweiseRheuma oder Multipler Sklerose tretensekundäre Verhaltensprobleme auf, diesich beispielsweise aus der unterschiedlichenSelbst- und Fremdwahrnehmung odersekundärem Krankheitsgewinn ergeben.Hier ist begleitend zur somatischen Therapiepsychotherapeutische Behandlungsinnvoll, auch wenn noch keine Zweitdiagnoseim Sinne einer psychischen Behinderunggestellt werden kann, sondern Betroffene„nur“ psychisch auffällig sind. Durcheine psychotherapeutische Behandlungkann eine Verschlimmerung der Gesundheitsproblematikinsgesamt verhindert werden,insbesondere auch durch das Verständnis,in die Psychotherapie das engeresoziale Umfeld mit einzubeziehen. Auf dieseWeise wird einer drohenden – zusätzlichen– Behinderung entgegengetreten.Dieser Präventionsgedanke entspricht inhaltlichder Definition des Personenkreisesin § 19 Absatz (2) SGB III und § 2 Absatz (1)SGB IX. Er wird inhaltlich leider nicht genügendeindeutig fortgesetzt in § 33 Absatz(6) SGB IX. Der Präventionsgedanke liegtaber durchaus im Sinne der Sozialgesetzgebung,da das persönliche Potenzial für dieTeilhabe am Arbeitsmarkt verbessert wird.Schließlich erleben auch junge erwachseneMenschen Lebensumstände und Anforderungenals psychisch so belastend,dass es zu körperlichen Erkrankungen wieMigräne, Rückenbeschwerden und anderenchronischen Krankheiten kommt. Auchhier stellt Psychotherapie die angemesseneBehandlungsoption dar. Dies stellenschon Grawe, Donati und Bernauer (1994)fest: „... die als Folge belastender Lebensumständekörperlich krank werden, beidenen es also eigentlich auch in erster Liniedarum gehen müsste, ihnen zu helfen,mit diesen Belastungen besser fertig zuwerden oder sie abzubauen. Solche notwendigenVeränderungen der Lebensführungzu initiieren und unterstützend zubegleiten, wäre ein sehr wesentlicher Anwendungsbereichpsychologischer Interventionsmethoden,deren Gesamtheit wirhier der Einfachheit halber unter demStichwort ,Psychotherapie‘ zusammenfassen.“(S. 12)Psychotherapeutische Praxis im Rahmender beruflichen Rehabilitation erweitert dieBehandlung um die Stärkung der Handlungskompetenzfür die Anforderungender Arbeitswelt, auf die der Rehabilitandzusteuert. Anforderungen der Arbeitsweltwerden auch als Beschäftigungsfähigkeitbezeichnet. Beschäftigungsfähigkeit hat einenkomplexen Inhalt, von dem in diesemZusammenhang nicht alle Aspekte von Bedeutungsind. Im Hinblick auf psychotherapeutischeBehandlung sind folgende Aspekteder Beschäftigungsfähigkeit erwähnenswert:1. Handlungskompetenzen zur Eigenverantwortlichkeitund Selbstorganisationermöglichen,2. Self-Management im Sinne von Selbstorganisation,bezogen auf die beruflichenAnforderungen, und Self-Marketingim Sinne eines angemessenenDarstellen-Könnens der eigenen Arbeitund eines angemessenen Achtens aufdie berufliche (Weiter-)Entwicklung.Aus beiden Aspekten ergibt sich die Notwendigkeit,personale Kompetenzen zustärken und Gesundheitsbewusstsein zufördern (Brattig, 2009b, S. 363ff.). DieseErweiterung über die Behandlung derKrankheitsproblematik hinaus ergibt sichinsofern selbstverständlich, als im therapeutischenoder im interdisziplinären Aus-40 <strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>


V. Brattigtausch mit den mitwirkenden Kollegenanderer Fachbereiche die begleitendenVerhaltensprobleme zur Sprache kommenund aufgegriffen werden können. Die Einordnungder ganzheitlichen Förderung indie psychotherapeutische Arbeit ist bereitsim Abschnitt über die beruflichen Rehabilitationseinrichtungenzu den BBWen angesprochen.Ihre Berücksichtigung führt zunachhaltigem Aufrechterhalten von erreichtenTherapiefortschritten.Für die psychotherapeutische Behandlungergibt sich mit Blick auf die Anforderungenin der Berufswelt, über die Bewältigungder Krankheitsproblematik hinauszugehen,das Selbstwertgefühl und die Handlungsfähigkeitzu festigen bzw. zu erweitern, damitdie Betroffenen die Entstehung vonKonflikt- und Problemsituationen abfangenlernen oder die erworbenen sozialen Fertigkeitenzur Bewältigung herausfordernderSituationen einsetzen können. Um imbetriebliche Alltag zumindest von Dienstleistungsunternehmenbestehen zu können,muss nach Nerdinger Emotionsarbeit(Nerdinger, 2012, S. 8ff.) geleistet werde.Damit Rehabilitanden diesen Anforderungengerecht werden können, bietet es sichan, auf ein Training von Social-Skills zurückzugreifen,wie es beispielsweise in der Dialektisch-behavioralenTherapie(Brattig,2011, S. 118ff.) von Menschen mit Borderline-ProblematikAnwendung findet. ImUnterschied zum Training sozialer Kompetenzenwerden die in der Gruppe trainiertenFertigkeiten in der individuellen Psychotherapieaufgegriffen und vertieft. AuchElemente aus der Systemischen Therapiesind sinnvoll, um in geeigneter Form dassoziale Umfeld zu berücksichtigen. ErreichteTherapiefortschritte können durch begleitendeSelbsthilfegruppen gefestigt undausgebaut werden. Damit sich die Anpassungsfähigkeitan die betrieblichen Belangenicht in Richtung Unterordnungsmentalitätentwickelt, ist es wichtig, im Rahmentherapeutischer Behandlung zu vermitteln,dass es berechtigt ist, eigene Interessen zuäußern und wahrzunehmen. Dieser Ansatzbedeutet, eine aktive Nachsorge zu betreiben.Hier stellt sich die Frage nach einerAbgrenzung zum Coaching. In der beruflichenRehabilitation können fließendeÜbergänge praktiziert werden, in der ambulantenVersorgung müsste eine entsprechendeHandhabung ermöglicht werden,damit die Betroffenen vergleichbare Chancenhaben.5. Ein kurzes ResümeeIn der beruflichen Rehabilitation kann imRahmen psychologischer Fachpraxis Psychotherapieentscheidend zur Zielsetzungder Teilhabe am Arbeitsleben beitragen.Dieses Potenzial sollte weiter genutzt werden.In der Sozialgesetzgebung könnte eineklare Benennung dieser Fachkompetenzen,wie in der medizinischen Rehabilitationbereits geschehen, dazu beitragen,dass diese Fachkompetenz in den Fachdienstenihren angemessenen Platz bekommtbeziehungsweise erhält.Als gleichbedeutend zur psychotherapeutischenArbeit im engeren Sinn wurden diePräventionsarbeit und die Berücksichtigungdes Arbeitsumfeldes der Rehabilitandenherausgestellt. Die während des psychotherapeutischenProzesses erreichtenVeränderungen im Denken, Fühlen undHandeln der betroffenen Person werdenstabilisiert, wenn die entscheidenden Bezugspersonenim Arbeitsfeld Unterstützungim Umgang mit den psychischenAuffälligkeiten bekommen. Die psychotherapeutischermöglichten Veränderungenbleiben zukünftig besser erhalten, wennauf neue Anforderungen im Arbeitsumfeldvorbereitet wird.Im Beitrag konnte nicht auf die Einrichtungender medizinisch-beruflichen Rehabilitation(mbReha) (18 Einrichtungen mit3.915 Plätzen in den alten Bundesländern,für weitere Informationen siehe Internetpräsenzder BundesarbeitsgemeinschaftmbReha 11 ) eingegangen werden, die imVorfeld der beruflichen Rehabilitation anzusiedelnsind. Diese Einrichtungen bildendie Brücke zwischen den rein medizinischorientierten Einrichtungen der Akutbehandlungund Erstversorgung einerseitsund den Einrichtungen der beruflichen Rehabilitationandererseits, die der Ausbildung,Umschulung und Fortbildung dienen.In Verbindung mit der medizinischenRehabilitation können schon erste Schritteberuflicher Förderung (z. B. berufsabklärendeMaßnahmen, Vorbereitungsmaßnahmenzur Wiederaufnahme beruflicherTätigkeit oder zur Umschulung) eingeleitetwerden.LiteraturBrattig, V. (2007). Herausforderungen psychologischerDienste in der beruflichenRehabilitation. Verhaltenstherapie undpsychosoziale Praxis, 2, 399-410.Brattig, V. (2009a). Psychologische Dienstein Berufsbildungswerken: Wie sie ihreArbeit sehen und welche Anforderungenauf sie zukommen. BeruflicheRehabilitation, 1, 24-43.Brattig, V. (2009b). Integration: Eine bekannteHerausforderung mit neuen Ansprüchen.Verhaltenstherapie und psychosozialePraxis, 2, 359-373.Brattig, V. (2011). „Beziehungsweise Psychotherapie“:Kongress der DeutschenGesellschaft für Verhaltenstherapie (DG-VT) 2010. Berufliche Rehabilitation, 2,117-127.Brattig, V. (2012). Inklusion statt Integrationin der beruflichen Rehabilitation? Verhaltenstherapieund psychosoziale Praxis,4, 837-849.Bundesagentur für Arbeit (2009). HEGA12/09-15 – Vergleichbare Einrichtungenim Sinne des § 35 SGB IX, einschließlichAnlagen. Verfügbar unter:www.arbeitsagentur.de/nn_165870/zentraler-Content/HEGA-Internet/A05-Berufl-Qualifizierung/Dokument/HE-GA-12-2009-Vergleichbare-Einrichtungen.html[30.01.<strong>2013</strong>].Bundesagentur für Arbeit (2012). Fachkonzeptfür berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmennach 33 51ff SGB III (BvB1-3). Verfügbar unter: www.arbeitsagentur.de/nn_26188/Navigation/zentral/Buerger/Behinderungen/Berufsvorbereitung/Berufsvorbereitung-aNv.html[30.01.<strong>2013</strong>].Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation(BAR) (Hrsg.) (2012). GemeinsameEmpfehlung „Einrichtungen fürLeistungen zur Teilhabe“ nach § 35SGB IX vom 23. Februar 2012. Frankfurt:BAR.BPtK (Bundespsychotherapeutenkammer)(2011). BPtK Studie zu Wartezeiten in11 www.mbreha.de [30.01.<strong>2013</strong>]<strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>41


Psychotherapie in der beruflichen Rehabilitation – eine verkannte Anforderungder ambulanten psychotherapeutischenVersorgung. Verfügbar unter:www.bptk.de/fileadmin/user_upload/Publikationen/BPtK-Studien/belastung_moderne_arbeitswelt/Wartezeiten_in_der_Psychotherapie/20110622_BPtK-Studie_Langfassung_Wartezeiten-in-der-Psychotherapie.pdf[30.01.<strong>2013</strong>].BPtK (Bundespsychotherapeutenkammer)(<strong>2013</strong>). Psychische Krankheiten. Verfügbarunter: www.bptk.de/presse/zahlen-fakten.html[30.01.<strong>2013</strong>].DAK (Hrsg.) (2011). DAK Gesundheitsreport2011: Krankmeldungen steigentrotz Aufschwung nicht. DAK warnt vorbedenklichen Gesundheitstrends beijungen Arbeitnehmern. Verfügbar unter:www.presse.dak.de/ps.nsf/sbl/D338768DFA60F652C125782400478F78?open [30.01.<strong>2013</strong>].Grawe, K., Donati, R. & Bernauer, F. (1994).Psychotherapie im Wandel. Von derKonfession zur Profession. Göttingen:Hogrefe.Nerdinger, F.-W. (2012). Emotionsarbeit imDienstleistungsbereich. Report Psychologie,37 (1), 8-18.TK (2011). Gesundheitsreport 2011: GesundheitlicheVeränderungen beijungen Erwerbspersonen und Studierenden.Veröffentlichung zum Gesundheitsmanagementder TK, Band26. Hamburg: Techniker Krankenkasse.Verfügber unter: www.tk.de/centaurus/servlet/contentblob/281898/Datei/2761/Gesundheitsreport-2011.pdf.[30.01.<strong>2013</strong>].Volker Brattig, Diplom-Psychologe undPsychologischer Psychotherapeut, hat ineinem Berufsbildungswerk gearbeitet undwar in den vergangenen Jahren schwerpunktmäßigfür junge Erwachsene mitmehrfacher Behinderung, einschließlichpsychischer Behinderung, zuständig. Zurzeitbefindet er sich im passiven Teil seinerAltersteilzeit und nutzt die Zeit für eineAusbildung zum Yoga-Lehrer.Dipl.-Psych., Dipl.-SozialwirtVolker BrattigPsychologischer PsychotherapeutLöwenstraße 830175 Hannoverkavobrattig@web.de42 <strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>


Kommentare zu erschienenen PTJ-ArtikelnLiebe Leserinnen und Leser,die Redaktion begrüßt es sehr, wenn sich Leserinnen und Leser in Diskussionsbeiträgen zu den Themen der Zeitschrift äußern.Die Diskussionen zu den folgenden oder auch anderen von uns aufgeworfenen Themen sollen nicht mit der vorliegenden Ausgabedes <strong>Psychotherapeutenjournal</strong>s abgeschlossen werden – wir laden zur weiteren Diskussion ein und freuen uns über Ihre Leserbriefe,Kommentare und auch weiterführende Artikel!Wir möchten außerdem darauf hinweisen, dass wir uns – gerade angesichts der erfreulich zunehmenden Zahl von Zuschriften – vorbehaltenmüssen, eine Auswahl zu treffen oder gegebenenfalls Zuschriften auch zu kürzen.Als Leserinnen und Leser beachten Sie bitte, dass die Diskussionsbeiträge die Meinung der Absender und nicht unbedingt die derRedaktion wiedergeben.Zu „Psychotherapie und Religion/Spiritualität – Eröffnung einer Diskussion“,mit Beiträgen von B. Grom, M. Richard & H. Freund, J. Hardt & A. Springer,<strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 3/2012, Seiten 194-212, sowie von K. Jeschke,<strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 2/2012, Seiten 129-133. 1Interesse? Verwunderung? Widerspruch? – Hat denn niemand an Erleichterungund Freude gedacht?Gisela A. Cöppicus LichtsteinerEndlich kommt diese brisante Thematik indie Diskussion der offiziellen akademischenPsychotherapeutenszene!Ich begrüße die Klärung der Sachverhalteaufgrund eigener Betroffenheit, da michdie Frage nach dem Wie des therapeutischenUmgangs mit religiös-spirituellenInhalten seit beinahe zwanzig Jahren beschäftigt.Als Psychotherapeutin des Typs II(vgl. den Artikel von B. Grom) hat mir meinetherapeutische Ausbildung diesen Weggeebnet: Die Daseinsanalyse (DA) vermitteltemir ein existenziell-philosophischesMenschenbild; die Katathym-ImaginativePsychotherapie (KIP) lehrte mich den Umgangmit inneren und äußeren Bildern(Imagination und Symbolarbeit). Da geschiehtes z. B. ganz leicht, dass bei einerTraumabearbeitung die „Hilfreiche Gestalt“eine religiöse, bzw. heilige Gestalt ist; oderdass der „Sichere Ort“ heilige bzw. sakraleQualität hat. Es ist beeindruckend, welcheheilkräftige Wirkung von dieserart Imaginationenausgeht.<strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>PatientInnen müssen erleben können,dass ihre religiös-spirituellen Überzeugungenin der Therapie einen Raum erhalten.Sie sind ja nicht ohne Grund misstrauisch!Aus der therapeutischen Literatur und ausGesprächen weiß ich, wie leicht religiöseAspekte aus Unsicherheit übersehen undübergangen werden können: Das psychoanalytischeTabu ist noch wirksam, die vorbereitendeAusbildung fehlt, und war nichtbis vor Kurzem der psychotherapeutische/psychiatrische Berufsstand der atheistischste?Eine gewisse Affinität des therapeutischTätigen zur Religion, eine sensibleHellhörigkeit scheint aber für erfolgreichesArbeiten damit Voraussetzung zu sein.Was tun wir in Zeiten des Umbruchs? Wirbenötigen Unterstützung von gleichgesinntenbzw. wohlmeinenden KollegInnen. Wichtigfür mich war in all den Jahren der intervisorischeAustausch, das intensive Lesenauch der relevanten US-amerikanischen Literaturund die Teilnahme an einer inoffiziellenWeiterbildungs- und Selbsthilfegruppe imRahmen der KIP. Offiziell und inoffiziell habenKIP-DozentInnen und -KollegInnen religiös-spirituelleImaginationsmotive ersonnenund erprobt. Auch habe ich mich in Fachkreisenmit meinen therapeutischen Erfahrungenmündlich und schriftlich zu Wort gemeldet.Das spricht sich herum. So werde ichinzwischen auch von christlich-religiösen PatientInnengezielt als praktizierende Christinaufgesucht. Es ist Alltag für mich geworden,im (Anamnese-)Gespräch und in der Arbeitmit Imaginationen und Bildern die religiösenBelange meiner PatientInnen aufzugreifenund zu bearbeiten: sei es als Ressource, seies als Teil des Problems der Person, sei es alsUnterstützung der religiös-spirituellen Praxisaußerhalb der Therapie als Gebet und Meditationund im Leben in der Glaubensgemeindeoder sei es als konkretes Arbeitenmit der religiösen Überzeugung innerhalbder Therapie.1 Weitere Zuschriften von Leserinnen und Lesernzu dieser Diskussion finden Sie auch in<strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 4/2012, Seiten332-335.43


Kommentare zu erschienenen PTJ-ArtikelnEs kostet uns mitteleuropäische PsychotherapeutInnenganz offensichtlich ungeheureÜberwindung anzunehmen, dass der Umgangmit religiösen Überzeugungen als zentralerLebensinhalt unserer PatientInnen eigentlichganz einfach in den therapeutischenHeilungsprozess einbezogen werden könnte.Natürlich auch in diesem Bereich unterBerücksichtigung der gebotenen Abstinenzund der berufsethischen Richtlinien. Einekritische Bemerkung zu den Diskussionsbeiträgensei deshalb erlaubt: Wenn die Begriffe„spirituell“ und „religiös“ nicht präzisedefiniert werden, verlieren die wissenschaftlichenStudien ihre Aussagekraft! Dann wirdauch die Grenzziehung zum esoterischenTherapieangebot unmöglich, und damit wäreunserer Profession keineswegs gedient.Gisela A. Cöppicus Lichtsteiner,ZürichMehr Bescheidenheit bitte!Heidemarie Eickmann„Als es mir vor drei Jahren so furchtbarschlecht ging, habe ich aufgehört zu beten.Es ging einfach nicht. Jetzt bete ichwieder, fast täglich, zu Allah. Es ist wie eineSuche oder die Bitte um einen Begleiter,der mir bei den vielen Fragen undZweifeln, die sich in meinem Leben vormir auftürmen, hilft. Das ist anders als zuBeginn der Therapie.“ Fatma, 20 Jahre, Jurastudentin.„‚Du scheißrussische Jüdin, geh endlich zurück,wo du herkommst. Das Beste wäregewesen, man hätte schon damals deineGroßeltern vergast!` Das höre ich auf demPausenhof. Was soll ich machen? Ich weißdoch selbst noch gar nicht, ob ich überhauptgläubige Jüdin bin oder sein will. DerHass macht mir jedenfalls große Angst.“Nadeschda, 14 Jahre, Gymnasiastin.„Ich bin überzeugter Christ. Denke ich jedenfalls.Aber wenn mein Vater mir dieBibel vor die Augen hält und Stellen zitiert,von denen er meint, dass sie das Verwerflichemeiner Homosexualität beweisenund ich mich zutiefst schuldig für mein Andersseinfühlen soll, dann kommen mirZweifel. Mein Leben, alles kommt mirdann sinnlos vor und ich denke, ich wärewohl besser nicht auf der Welt.“ Jonathan,17 Jahre, Oberstufenschüler.„Weihnachten? Was soll da gewesen sein?Da schenken die Erwachsenen den Kindernwas. Sonst weiß ich da auch nichts.Ich habe gesagt, was ich Weihnachtenhaben will. Meine Mama hat das auchschon geholt. Aber richtig auspacken darfich erst später. An Weihnachten eben. Dasfinde ich blöd.“ Max, 11 Jahre, Gesamtschüler.Hinter jeder dieser Aussagen verbergensich unterschiedliche psychische Krankheitsbilder,in denen der psychosoziale Hintergrundund die Religionszugehörigkeit(bzw. Nichtzugehörigkeit) eine nicht unwesentlicheRolle spielen. Was aber bedeutetdas für das therapeutische Vorgehen?Ich denke, dass sich, unabhängig vom therapeutischenVerfahren, jeder Therapeut/jede Therapeutin mit der eigenen Positionin religiösen, philosophischen, politischenFragen auseinandersetzen sollte. Offenheitsich selbst und anderen gegenüber, auchmit dem, was unangenehm, fremd,anders, nicht vertraut ist, sind Begleiter unserertäglichen Praxis. Aber auch umgekehrt:eine allzu große Verbundenheit mitdem Patienten/der Patientin und scheinbarmüheloses Verstehen können zu unangenehmenVerwicklungen führen, diedem therapeutischen Prozess schaden.Bedarf es nun seitens des Therapeuten/derTherapeutin neben der fachlichen Achtsamkeitund Sorgfalt, der zu hoffendenfachlichen Kompetenz und der kritischenBegleitung durch Intervision durch Kollegen/Kolleginnenund der die Praxis begleitendenFortbildungen darüber hinaus einerbesonderen spirituellen Qualifikation? Hierbeginnt sich meiner Ansicht nach eineGrauzone zu eröffnen, die etwas Gruseligesan sich hat. Grenzen verwischen, und dasNebulöse führt von der Sorgfalt fort in eineüberhöhte und nicht ungefährliche Positiondes Therapeuten/der Therapeutin.Es werden sogar ethische Fragen derGrenzüberschreitung virulent. Wäre danicht eher Bescheidenheit vonnöten? Waswäre denn so verwerflich, wenn Patientensich zu einem Rabbiner begeben, sich einerPfarrerin anvertrauen, dem Imam zuhörenoder bei einem buddhistischenMönch Rat für ihre weitere Lebensgestaltungsuchen, wenn, und das ist ja manchmalwirklich schwer auseinanderzuhalten,dies nicht dem Widerstand dient und damitdem positiven Verlauf der Behandlungbehindert? Und ist nicht auch eine kritischeHaltung eigenen Lehrern gegenübervonnöten, wenn diese in selbstherrlicherÜberschätzung irgendwann einmal jedereligiöse Haltung als Wahn und damit alskrank bezeichnet haben?Die Akzeptanz der Psychotherapie in derheutigen Zeit und deren Verankerung imGesundheitssystem ist ein Bestandteil unsererDemokratie, die ein Menschenbildvon Selbstbestimmung im Rahmen vongesellschaftlicher Solidarität und Verantwortungvoraussetzt. Die Verantwortungeiner Therapeutin/eines Therapeuten istalso der Demokratie und dem sie bedingendenMenschenbild verpflichtet.Die Redaktion hat sich hier einer wichtigenFrage angenommen, um Grauzonen unddie Gefahr von ethischen Grenzüberschreitungenaufzuzeigen. Den Hinweis auf dieNotwendigkeit von Bescheidenheit imRahmen unserer Tätigkeit habe ich vermisst.Heidemarie Eickmann,Gießen44 <strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>


G. A. Cöppicus Lichsteiner / H. Eickmann / M. PudlatzAustausch über spirituell-religiöse Erfahrungen – jenseits von VorurteilenMeike PudlatzLiebe Redaktion, liebe Autorinnen und Autorendes Titelthemas,zuerst einmal meinen herzlichen Dank,dass Sie dieses so spannende und ausmeiner Sicht dringend zu diskutierendeThema, welchen Platz religiös-spirituelleFragen innerhalb einer Psychotherapie einnehmenkönnen und sollten, ansprechen.Nicht nur mir liegt das schon länger amHerzen. Daher hat für mich das Vorgehenin der Positiven Psychotherapie nach Prof.Dr. Nossrat Peseschkian auch eine besondereAnziehungskraft. Dort werden religiöse,spirituelle, Sinn- und Wertefragen dem„4. Bereich“ des „Balancemodells“ zugeordnetund explizit erfragt (also ähnlichdem Typ II in Prof. Groms Einteilung). Denvier Bereichen des Balancemodells: 1.Körper, 2. Leistung, 3. Kontakt und 4. Fantasie/Zukunft/Sinn(dieser Bereich lässtsich leider schwer mit einem einzigenSchlagwort fassen) entsprechen vier Wege/Mittelder Erkenntnis. Das sind 1. Sinne,2. Verstand, 3. Tradition und 4. Intuition.Indem alle Wege in ihrem je eigenenWert anerkannt und genutzt werden, löstsich der Widerspruch auf bzgl. der in demArtikel von Jürgen Hardt und Anne Springerangesprochenen Frage, worauf sichder Mensch verlassen könne/solle, umsich im Leben zu orientieren (Glaube vs.logischer Verstand/Forschung). In keinemder genannten vier Bereiche wird ein Alleinvertretungsanspruchgesucht oder gefunden.Prof. Peseschkian hat seinen Ansatz undseine Arbeit immer auch als einen Beitragzur Verständigung zwischen Kulturen, Religionenund Traditionen (auch Therapietraditionen)verstanden. In meiner Arbeit mitMenschen unterschiedlicher religiöserÜberzeugungen und Herkunft erweist sichfür mich immer wieder der Wert eines solchenwertschätzenden und die Religiosität/Spiritualitätausdrücklich einbeziehendenModells, in dem zugleich niemandeiner bestimmten religiösen Tradition folgendbelehrt oder bekehrt wird. Es könnenauch Geschichten/Weisheiten unterschiedlichsterTradition eingebracht werden.Die Patienten melden mir zurück,dass sie sich ganzheitlich gesehen undverstanden fühlen, angeregt werden, sichdiesem wichtigen, aber in unserer Leistungsgesellschaftallzu oft vernachlässigtenBereich wieder zuzuwenden, z. B. mit denFragen „Wozu leiste ich eigentlich so viel?Welchen über mich hinausgehenden, gesellschaftlichenoder religiösen Wert undSinn hat mein Tun und Streben? Wasmöchte ich, dass von mir erinnert oder bewahrtwird?“ ... Oft – auch das wurde bereitsangesprochen – erschließt sich erstaus einer solchen Perspektive eine Art Sinnder Erkrankung, die Chance umzusteuernund die Erkrankung anzunehmen.Was aber meiner Meinung nach ebenfallsgewürdigt werden sollte – und das wardem Artikel von Bernhard Grom nicht sozu entnehmen – ist die Arbeit sog. spirituelleroder religiöser Begleiter. Dass es bisherkeine Forschungsergebnisse gibt, inwieweitgeistige Heilung im weitestenSinne stattfindet und möglich ist, solltenicht zu einer vorschnellen Ablehnung derselbenführen. Immerhin haben z. B. schamanischeRituale eine wesentlich längereTradition als unsere moderne Forschungvon sich behaupten kann. Wir sollten unsdavor hüten, nur das (anzu)erkennen, waswir kennen. Dabei stimme ich den AutorenRichard und Freund zu, dass mit spirituellerBegleitung/geistiger Heilung etc. das Feldder Richtlinien-Psychotherapie verlassenwird. Jedoch erscheint es mir denkbar,nicht nur an christliche Seelsorger, sondernggf. auch an Heiler anderer Traditionen zuverweisen. Dort gemachte Erfahrungenkönnen dann wiederum Thema in der Psychotherapiesein, sofern der Therapeutdem informiert und aufgeschlossen gegenübersteht und sich der Andersartigkeitdes therapeutischen Vorgehens bewusstbleibt. So wie es sowohl begrüßt als auchteils belächelt wird, wenn Somatiker, anden Grenzen ihrer ärztlichen Kunst angelangt,den Patienten Psychotherapie empfehlen,könnten auch Psychotherapeutenam Rande ihrer Möglichkeiten auf die Ideekommen, an „geistige Heiler“ im weitestenSinne für weitergehende Hilfe zu verweisen.Dazu wäre es natürlich wünschenswert,mehr über die Möglichkeiten undGrenzen anderer, geistiger Heiltraditionenzu wissen, um gezielt und verantwortungsbewusstvorgehen zu können – so wie ichmir das auch von meinen somatisch tätigenKolleginnen und Kollegen in Bezug aufdie Psychotherapie wünsche (und oftauch erlebe).Für die Zukunft wünsche ich mir, dass dieoft anzutreffende Scham bzgl. des Sprechensüber spirituelle/religiöse Erfahrungenweiter abnimmt. Einen breiten Austauschüber Herangehensweisen imUmgang mit spirituellen Fragen in derPsychotherapie der unterschiedlichenSchulen, einen offeneren Austausch überspirituell-religiöse Erfahrungen jenseitsvon Vorurteilen, die stärkere Betonungdieses Lebensbereiches in der Psychotherapieausbildungsowie der Selbsterfahrungund Supervision, fände ich sehrbereichernd.Dipl.-Psych. Meike Pudlatz,Hamburg<strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>45


Kommentare zu erschienenen PTJ-ArtikelnZu „Psychotherapieausbildung im Geiste der Wissenschaft“ von Eva Jaeggi,<strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 4/2012, Seiten 319-324.Auch im Geiste der WirtschaftMartin HerbersLiebe Frau Jaeggi,ich bin zufällig ein Psychotherapeut, derebenso Philosophie wie Linguistik studierthat – die beiden Nachbardisziplinen, vondenen Sie sich „Schulstreit schlichtende“Erkenntnisse erhoffen. Vor diesem Hintergrundkann ich Ihre Ausführungen völligverstehen, sie aber nicht teilen.Ich bin der Meinung, die Gegenüberstellungvon Konfession und Profession ist für unserenBeruf als Psychotherapeuten und densog. Schulenstreit möglicherweise von Bedeutung,aber keineswegs zentral. Der Konfliktentspringt meines Erachtens vielmehraus der Professionalisierung selbst. Dass unserBeruf eine Profession ist, bedeutet nichtnur, dass es Ausbildungs- und Qualitätsrichtliniengibt, sondern ebenso, dass es Berufsverbändegibt und dass unsere Tätigkeit demGelderwerb dient. Psychotherapie ist nichtalleine eine Frage wissenschaftlicher Erkenntnisund wissenschaftlicher Redlichkeit.Psychotherapie ist auch ein Markt. Ein wirtschaftlicherMarkt, ein Markt der Eitelkeitenund ein Feld der Politik. Es geht also auchum Geld, Ansehen und Macht. In Zeiten, indenen die Kassensitze von Kassen und MVZzu unglaublichen Kursen aufgekauft werdenund in denen es für Psychologen kaum nochmöglich ist, eine Kassenzulassung zu bekommen,erscheint es mir eigenartig weltfremd,wenn der wirtschaftliche Aspekt derartausgeblendet wird, wie es in Ihrem Artikelder Fall ist. Psychotherapie ist auch ein Geschäft.Es herrschen Markt- und Wettbewerbsbedingungen.Niemand verkauft seineWare gut, wenn er dem Kunden sagt, dasKonkurrenzprodukt sei ebenso gut wie daseigene. An den Universitäten herrscht genausowenig wie in anderen Institutionender „Geist der Wissenschaft“, wenn es umStellenbesetzungen, die Verteilung von Postenund Geldern geht. Diese Auseinandersetzungenwerden im Geiste der Politik betrieben,deren Medium laut Luhmann inerster Linie die Macht ist, oder eben im Geisteder Wirtschaft, deren Primärmedium dasGeld ist. Dass die Beitrittsbedingungen zuunserer Profession nicht am „Geiste der Wissenschaft“hängen, mussten z. B. die Kollegenaus der Gesprächspsychotherapie sehrschmerzhaft am eigenen Leibe erfahren. Dieweitaus besten Verkäufer und Politiker sindseit geraumer Zeit die Kollegen aus der Verhaltenstherapie,das muss man neidlos anerkennen.Es gibt nicht den geringsten Anlass, zu hoffen,dass sie den Wettbewerbsvorteil, densie sich ja fleißig erworben haben, wiederaus der Hand geben werden. Wenn wiruns erkundigen, was Psychologiestudentenheute an von der Verhaltenstherapiedominierten Universitäten über die Psychoanalyseoder tiefenpsychologischeTherapie zu hören bekommen oder wiemit analytischen Bewerbern in Stellenbesetzungsverfahrenan psychologischen Fakultätenumgegangen wird, kann man tiefeEinblicke darin erhalten, wie dieser Wettbewerbfunktioniert.Soweit ich das sehen kann, spielt „derGeist der Wissenschaft“ dabei überhauptkeine Rolle, es sei denn im foulcaultschenSinne, nach dem der Wissensdiskurs selbstein Machtdiskurs ist.Mit freundlichen GrüßenMartin Herbers,HamburgDie (Selbst-)Kritik in der universitären Psychologie institutionalisierenThorsten PadbergEva Jaeggi stellt in ihrem Artikel „Psychotherapieausbildungim Geiste der Wissenschaft“einen zentralen Punkt des psychotherapeutischenSelbstverständnissesheraus: „Natürlich wollen wir alle unserewissenschaftlichen Wurzeln (…) nichtganz vergessen, schon das Wort alleinadelt ja den Beruf.“ (S. 319) Und sie stelltim Anschluss die drängende Frage „Wasaber bedeutet das wirklich?“ Als Antwortskizziert sie Anforderungen an eine „Ausbildungim Geiste der Wissenschaft“: dieFähigkeit zur theoretischen Selbstreflexion,die damit verbundene Erkenntnis der eigenenGlaubenssätze und Menschenbilderund schließlich ein Bewusstsein für die eigeneWortwahl bei der Beschreibung therapeutischerProzesse.Ich stimme Eva Jaeggi in allen diesenPunkten zu. Es scheint ein vielen Psychologenverlorengegangenes Wissen zu sein,dass man nicht nur auf dem Weg der empirischenÜberprüfung „von der Konfessionzur Profession“ gelangen kann. Zu Rechtbemängelt Jaeggi, „dass im Psychologiestudiumoft gar keine Denkbewegungengemacht werden“, die die von ihr geforder-46 <strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>


M. Herbers / T. Padbergten Antworten auf die Frage nach der Wissenschaftlichkeitder Psychotherapie liefernkönnten.Es scheint fast wie ein Rätsel, dass es ausgerechnetder Psychologie, die das wissenschaftlicheFundament der Ausbildungvon Psychotherapeuten bereitstellen soll,an Selbstreflexion mangelt. Ich möchte imFolgenden einige wissenschaftsgeschichtlicheHinweise dazu geben.Wie ist die heute an den Universitäten zumeistgelehrte, naturwissenschaftlich orientiertePsychologie entstanden? Dieakademische Psychologie entwickelt sichEnde des 19. Jahrhunderts aus der Idee,die Philosophie bedürfe einer physiologischenBasis für ihre Erkenntnisansprüche.Sie ist zunächst ein rein epistemologischesProjekt und von der Praxis abgelöst(vgl. Danziger, 1990; Schmidt, 1995). Typischist Eduard Benekes Hoffnung, „dieganze Philosophie zur Naturwissenschaftder menschlichen Seele“ machen zu können.Um Kants Anschauungsformen genauerzu fassen und über seine Konzeptionenhinaus zu gehen, beginnen Helmholtzund andere, Kants kritische Studiender Vernunft mit physiologischen Untersuchungender Wahrnehmung anzureichern.Dass die naturwissenschaftlichePsychologie später mit dem Behaviorismuseine pragmatische Wende nimmt,ändert nichts daran, dass die Grundlagendes Faches nicht für die Beschäftigungmit konkreten Individuen gedacht waren.Es ist u. a. diese „konstitutionelle Schwäche“,die ihr den Vorwurf eingetragen hat,sie sei eine kalte, technoide Disziplin, eine„Psychologie ohne Bewusstsein“ (Bruder,1982). Gleichzeitig stiftet dieses Forschungsprogrammjedoch Ordnung undbringt bewährte Forschungsmethodenmit sich. Die Beschränkung auf einen derPhysiologie entlehnten Methodenkanon,der der philosophischen Reflexion explizitvorausgehen soll, macht Erkenntnisse imBereich der Grundlagen möglich, etwa zuSinnesorganen und Empfindungen. Erkenntnistheoriewird zu Erkenntnisphysiologieoder eben „physiologischer Psychologie“.Die Grundlagen der naturwissenschaftlichenPsychologie basieren alsogeradezu auf dem Ausschluss von allzuviel Kritik und Reflexion.Jaeggi, deren Erkenntnisinteresse der besserenAusbildung von Psychotherapeutengilt, bestimmt mit der Selbstreflexion unddem Bewusstsein für Sprache Wissenschaftlichkeitganz anders. Sie bezieht sichdabei auf eine andere Wissenschaftstraditionals die naturwissenschaftliche Psychologie,nämlich die geisteswissenschaftliche.Deren Anfänge lassen sich nichteinem einzigen Zeitpunkt zuordnen. Einerster Ansatz findet sich in der antiken Polis,wo der geisteswissenschaftliche Diskursals Ethik Handlungsorientierung imprivaten und öffentlichen Leben geben soll(vgl. Scholz, 1991, 17ff.). Eine zweite Quellegeisteswissenschaftlichen Denkens istdie verstärkte Lektüre antiker Klassiker inder Renaissance, die zu einer „Wende zurSprache“ führt (a. a. O.). Konsequenterweisefinden sich solche Ansätze jüngstweniger in den Grundlagenfächern, sondernverstärkt im therapeutischen Bereich,der sich die Aufgabe gestellt hat, Menschenbei ihrer Lebensführung zu helfen.Dort hört man genau hin, wenn Klientenihre Geschichten erzählen. Das hat die Sinnefür die Alltagssprache geschärft. Eswundert deshalb nicht, wenn viele psychotherapeutischeSchulen deutliches Interessean sprachlichen Phänomenen zeigen.Ein dritter, zeitloser Ursprung der geisteswissenschaftlichenOrientierung liegt in ihrerNeigung, Handlungen, Sprache, Geschichteund das eigene Selbstverständniszu reflektieren (ebd., 32ff.). Sie sind einekritische Instanz, die korrigierende Aussagenzu aktueller Praxis macht. Sie werdenherangezogen, um Probleme zu lösen, diedie Naturwissenschaften heraufbeschworenhaben, bei ihrer Bewältigung aber umdie Mittel verlegen sind. In bester geisteswissenschaftlicherTradition reflektiert undkritisiert Jaeggi die gegenwärtige Praxis derpsychologischen Lehre an den Universitäten,wo die wissenschaftstheoretischenund linguistischen „ ,basics’ (…) immerwieder vergessen“ werden (S. 324).Gegenwärtig ist in der PsychologischenPsychotherapie eine Situation entstanden,in der die naturwissenschaftlich orientiertenGrundlagenwissenschaftler die psychotherapeutischenPraktiker instruierensollen. Letztere stehen aber – aus den dargestelltenpraktischen Gründen – oft denGeisteswissenschaften näher. Das hat zueiner Anomalie im Wissenschaftsbetriebgeführt: Große Teile der psychologischenForschungsliteratur werden von den Praktikernnicht gelesen, Forscher und Praktikergehen recht gereizt miteinander um (vgl.Padberg, 2012).Ich hoffe, dass Eva Jaeggis kritischer Aufrufzur Erweiterung der psychologischen Ausbildungan den Universitäten gehört wird.Die zukünftigen Praktiker sollten auchKenntnisse in den Disziplinen erhalten, diesich schon seit langer Zeit mit den Fragenbeschäftigen, die sich Psychotherapeutenin ihrer täglichen Praxis stellen. Das kämeeiner Institutionalisierung von (Selbst-)Kritikin der universitären Psychologie gleich.Sie ist als Ratgeberin von aktuell lebendenMenschen auf eine ständige Reflexion ihrerAnnahmen wie kaum eine andere Wissenschaftangewiesen.Geschieht dies nicht, dürfte zwischen Universitätenund psychotherapeutischenPraktikern auch weiterhin häufig ein Verhältnisherrschen, das Thomas Szaszschon vor über 50 Jahren beschrieben hat:„[Sie] sprechen nicht dieselbe Spracheund haben nicht die gleichen Interessen.So ist es dann auch nicht überraschend,dass sie nichts Gutes über- oder zueinanderzu sagen haben. Und wenn sie dochkommunizieren, dann nur um den Standpunktdes jeweils anderen zu geißeln.“(Szasz, 1961, S. 103)LiteraturThorsten Padberg,BerlinBruder, K. J. (1982). Psychologie ohne Bewußtsein.Die Geburt der behavioristischenSozialtechnologie. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.Danziger, K. (1990). Constructing the Subject:Historical Origins of PsychologicalResearch. Cambridge: Cambridge UniversityPress.Padberg, T. (2012). Warum lesen Psychotherapeutenkeine Forschungsliteratur?<strong>Psychotherapeutenjournal</strong>, 11 (1), 10-17.Schmidt, N. D. (1995). Philosophie undPsychologie. Trennungsgeschichte,<strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>47


Kommentare zu erschienenen PTJ-ArtikelnDogmen und Perspektiven. Hamburg:rowohlts enzyklopädie.Scholz, G. (1991). Zwischen Wissenschaftsanspruchund Orientierungsbedürfnis.Zu Grundlage und Wandel der Geisteswissenschaften.Frankfurt a. M.:Suhrkamp.Szasz, T. (1961). The Myth of Mental Illness:Foundations of a Theory of PersonalConduct. New York: Hoeber-Harper.Zu „Coaching: Beratung oder Psychotherapie? Eröffnungeiner Diskussion“, mit Beiträgen von J. Hargens und T. Moser,<strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 2/2012, Seiten 88-93. 1Selbstkenntnis und „innere Beweglichkeit“ als BindegliedAnja Funk-KlebeDie bisher erschienenen Beiträge zumThema Abgrenzung von Psychotherapieund Coaching haben bereits deutlich gemacht,wie unterschiedlich und vielfältigdie Betrachtungen zu diesem Thema seinkönnen.Ich arbeite seit fast zwölf Jahren als analytischeKinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin(KJP). Neben einer zuvor abgeschlossenenpädagogischen Ausbildungund mehrjähriger Tätigkeit auf diesemGebiet, habe ich die Weiterbildung zuranalytisch/tiefenpsychologischen KJPdurchlaufen und im Anschluss einesystemische Beraterausbildung gemacht.Auf der einen Seite habe ich es mit dem„klassischen therapeutischen Setting“ zutun, indem ich meinen kleinen und großenKlienten überwiegend mit einer sog. „freischwebenden Aufmerksamkeit“ begegneund abwarte, welche ungelösten innerenKonflikte die Kinder und Jugendlichen z. B.unbewusst über ihr Spiel und das sog.„szenische Geschehen“ zum Ausdruckbringen.Auf der anderen Seite führe ich parallel zurArbeit mit den kleineren Klienten regelmäßigauch sog. „begleitende Gespräche“ mitden Bezugspersonen durch. In diesen Gesprächenbegegne ich den Bezugspersonenin einer wertschätzenden inneren Haltungund stelle mich auf die Fragen undZielvorstellungen der Bezugspersonen ein.Ich versuche, zusammen mit ihnen neuePerspektiven zu finden und zu ersten veränderndenSchritten zu gelangen.Neben meiner Tätigkeit als KJP arbeite ichzusätzlich im Bereich des Lifecoaching undberate Führungskräfte im mittleren Managementsowie im Sozial- und Gesundheitswesen,wie sie den Kontakt und die Gesprächezu und mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiterndurch Wertschätzung nachhaltig verändernkönnen. Es gilt dabei, die betrieblicheAtmosphäre zu verbessern und die individuelleSituation der Arbeitnehmerinnen undArbeitnehmer zu berücksichtigen. Krankenständekönnen dadurch langfristig minimiertwerden und auch die Führungskräfte selbstgehen gestärkt aus diesem Prozess hervor.Beratungsgespräche im Lifecoaching-Bereichunterscheiden sich daher aus meinerSicht nur geringfügig von den begleitendenGesprächen mit den Bezugspersonen,die ich im Rahmen meiner Tätigkeit als KJPdurchführe.Auf der einen Seite geht es um die KinderundJugendlichen, wo es oftmals um eineErweiterung der vorhandenen familiärenVorstellungen der Bezugspersonen geht,auf der anderen Seite um Menschen mitFührungsverantwortung, die ebenfalls inder Begleitung und Führung ihrer Mitarbeiterinnenund Mitarbeiter an die eigenenGrenzen gestoßen sind, weil der Umgangmit den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmernmeistens nicht zum Bestandteil ihrerAusbildung gehörte und sie auch zuhausenicht das „nötige Rüstzeug“ für ihre komplexenArbeitsanforderungen erhalten haben.Daher ist es aus meiner Sicht für Menschen,Psychotherapeuten wie Coachs,die sich auf beiden oder auch nur auf einemArbeitsfeld bewegen, unbedingt erforderlich,dass sie sich über ihre eigeneinnere Haltung und Einstellung zu jederZeit des Gespräches, das sie gerade führen,bewusst sind. Sie tragen in den Gesprächendie Verantwortung und solltenwissen, zu welchem „Arbeitswerkzeug“und in welche „Werkzeugtasche“ sie jeweilsgreifen.Das bedeutet: Ich selbst sollte mich undmeine eigenen Strukturen kennen undmeine Handlungen einordnen und nachvollziehenkönnen. Zudem sollte ich inmeinen eigenen Vorstellungen möglichstbeweglich bleiben und bereit sein, eigeneVorstellungen zu hinterfragen oder zu erweitern.Diese innere Beweglichkeit stellt zugleichauch ein erfreuliches Bindeglied zwischender Psychotherapie und dem Coachingdar!Wir begegnen Menschen mit unterschiedlichstenFragestellungen und Sichtweisenund jede menschliche Begegnung ermöglichtdie Erweiterung der eigenen Erfahrungen.Anja Funk-Klebe,Flensburg1 Weitere Zuschriften von Leserinnen und Lesernzu dieser Diskussion finden Sie auch in<strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 3/2012, S. 231-233 und 4/2012, S. 328-332 (jeweils in derRubrik „Kommentare zu erschienen PTJ-Artikeln“).48 <strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>


Aktuelles aus der ForschungGesine WiederWodurch Paarinteraktion bei Patienten mitPanikstörung und Agoraphobie gekennzeichnetist – Implikationen für die therapeutische PraxisEinleitungDie folgenden Studien beschäftigensich mit der partnerschaftlichenInteraktion beiPatienten mit Panikstörungund Agoraphobie (PSA). Umeinen guten Einstieg in dasThema zu bekommen, stellenSie sich bitte folgendes Szenariovor: Eine Patientin mit PSAmöchte mit ihrem Partner zusammeneinkaufen gehen.Kurz vor dem überfülltenKaufhaus zögert sie, tatsächlichhineinzugehen. Insgeheimhat sie die Befürchtung,im Kaufhaus eine Panik attackezu bekommen und möglicherweisezu sterben, da aufgrundder vielen Menschen der Notarztnicht schnell genug bei ihrankommen könnte. Mit ihremPartner zusammen ist es zwarleichter, aber sie fühlt sichdoch sehr abhängig von ihm.Der Partner der Patientin reagiertauf ihr Zögern hin unwirsch.Er kennt solche Situationenschon und hat die Erfahrunggemacht, dass er dannoft die Erledigungen alleinübernehmen musste. Er interpretiertihr Verhalten daher alsBequemlichkeit und sagt ihr indominantem Ton, sie sollesich nicht so anstellen undauch mal etwas machen. DiePatientin wird daraufhin nochunsicherer und kontert, dasser sie einfach nicht verstehenwolle und sie sich ein bisschenmehr Rücksicht wünsche.Daraufhin kommt eszum Streit, in dem sich beidegegenseitig kritisieren undVorwürfe machen und von derUneinsichtigkeit des jeweilsanderen verletzt sind. InsKaufhaus geht die Patientinschließlich nicht mehr mit.Hätte nun die Patientin einePsychotherapie bei Ihnen aufgenommenmit dem Ziel, ihrePanik und die agoraphobe Vermeidungvon bestimmten Situationenzu reduzieren, könntedieses Interaktionsverhaltenzwischen ihr und ihrem Partnerfür den Verlauf und Erfolg dervon Ihnen durchgeführten Psychotherapieungünstig sein.Mit dem ihr entgegengebrachtenUnverständnis vonseitenihres Partners und der sich erweiterndenUnsicherheit ist esfür die Patientin schwierig, dievon ihr gefürchtete Situationaufzusuchen und selbst zumerken, dass ihre Befürchtungenungerechtfertigt sind. Dadurchwürde dem Ziel der vonIhnen durchgeführten Psychotherapieentgegengewirkt. Daherstellt sich die Frage, wiedas Interaktionsverhalten derPartner aussehen sollte, damiteine PSA dadurch nicht weiterverstärkt wird und der Therapieerfolgunterstützt werdenkann.Die Forschung zu partnerschaftlicherInteraktion im Kontextvon PSA boomte in den1980er-Jahren, wobei vor allemPatientenfragebögen zurUntersuchung eingesetzt wurden.Seit Anfang des 21. Jahrhundertsgibt es vermehrt Bemühungen,den bestehendenWissensstand durch objektiveErhebungsverfahren, wie Video-und Sprachaufzeichnungenvon partnerschaftlichenDiskussionen, zu bereichern.So wurden auch die im Folgendenvorgestellten Ergebnisseallesamt durch Videoaufzeichnunggewonnen. Zu Beginnwerden zwei Studien angeführt,die zeigen, wie das partnerschaftlicheInteraktionsverhaltenauf eine PSA wirkt. Diedritte Studie beschäftigt sichdamit, wie problematischepartnerschaftliche Kommunikationin der Psychotherapieder PSA aufgegriffen werdenkann. Schließlich wird abgeleitet,welche Besonderheiten esin der eigenen psychotherapeutischenPraxis zu beachtengilt. Hierbei muss angemerktwerden, dass die vorgestelltenStudien ausschließlich verhaltenstherapeutischeAnsätzebeschreiben. Die Übertragbarkeitauf andere Psychotherapieschulenmuss gesondertbetrachtet werden.<strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>49


Aktuelles aus der ForschungWie wirkt das partnerschaftliche Interaktionsverhalten auf die PSA?El-Baalbaki, G., Bélanger, C.,Fredman, S. J., Baucom, D. H.,Marcaurelle, R. & Marchand, A.(2011). Marital interactions aspredictors of symptoms severityin panic disorder with agoraphobia.International Journalof Psychological Studies, 3 (2),107-122.Die Autoren zeigen anhandbisheriger Studien, dass Patientenmit PSA im Vergleich zuPersonen ohne PSA als unterwürfiger,gehemmter, abhängigerund schlechter im Problemlöseneingeschätzt werden.Dies wollten die Autoren genaueruntersuchen, indem siedas wechselseitige Verhaltenvon sowohl Patienten mit PSAals auch deren Partnern beider Diskussion von Partnerschaftsproblemenfilmten undauswerteten. Untersucht wurdenN= 65 Paare, von deneneiner der Partner in primärerDiagnose die Kriterien einerPSA nach DSM-IV erfüllte undkurz vor Beginn einer Therapiestand. Sowohl männliche (n=19) als auch weibliche (n= 46)Patienten wurden eingeschlossen.Das ist ein großer Vorteildieser Studie – bisher lag dasAugenmerk auf weiblichen Patienten,da mehr Frauen alsMänner eine PSA entwickeln.Die PSA-Patienten und ihrePartner wurden angewiesen,ein moderates partnerschaftlichesKonfliktthema für 15 Minutenzu diskutieren mit demZiel, eine Lösung dafür zu finden.Dies wurde auf Video aufgezeichnetund im Hinblick aufdie partnerschaftliche Interaktionausgewertet.Als Ergebnis fanden die Autoren,dass negative Problemlösemuster,im Einzelnen Kritikund Dominanzverhalten, sowohlbei dem Patienten alsauch bei dem Partner mit einerhöheren PSA-Symptomschweredes Patienten zusammenhingen.Das heißt, dass sich beistärker erkrankten PatientenPatient und Partner kritisch gegenüberstandenund sich einanderüberlegen fühlten. Dabeiäußerten weibliche PSA-Patientinnenim Vergleich zu männlichenmehr Kritik an ihrem Partner.Im Gegensatz dazu äußertenmännliche Partner im Vergleichzu weiblichen mehr Kritikan den PSA-Patientinnen. Veranschaulichtwerden könnendie Ergebnisse dieser Studieam eingangs angeführten Beispiel:Der Partner ist beim Zögernder Patientin ebenfalls kritischgegenüber der Patientineingestellt und drückt ihr gegenüberseine Dominanz aus.Eventuell ist der Partner mitden Einschränkungen, die diePSA der Patientin mit sichbringt, überfordert und fühltsich dazu verpflichtet, das täglicheLeben beider Parteien indie Hand zu nehmen. Dochauch die Patientin kritisiert ihrenPartner mit der Aussage,dass er sie nicht verstehen wolleund sie sich Rücksicht wünsche,was wohl ein Versuch ist,Kontrolle in die Situation zubringen. Die durch die Kritikdes Partners ausgelöste Unsicherheitschließlich hält möglicherweisedie Patientin davonab, ins Kaufhaus zu gehen undsich ihrer Angst zu stellen.Besser wären an dieser Stellepositive Kommunikationsmusterwie Support und Bestätigunggewesen. Diese Interaktionsstileauf Seiten des nichtagoraphobischenPartners warenin der vorliegenden Studiemit weniger Vermeidungsverhaltendes Patienten assoziiert.Im eingangs beschriebenenBeispiel wäre förderlicher gewesen,wenn der Partner demZögern der Patientin gegenüberVerständnis zeigt und esder Patientin überlässt zu entscheiden,ob sie ins Kaufhausgeht oder nicht. Nach Meinungder Autoren löst diese Reaktiondes Partners eher Sicherheitbei den Patienten aus, woraufhinsie gefürchtete Situationenwahrscheinlicher aufsuchen.Kommentar: Diese Studie bestätigtlediglich zum Teil Ergebnissefrüherer Arbeiten. Sozeigten beispielsweise Chamblesset al. (2002) ebenfalls,dass Partner von Patientinnenmit PSA mehr Kritik aussprachen.Hingegen wurde dies ineiner Studie von Peter et al.(1998) nicht gefunden. Im Gegensatzzu der hier beschriebenenStudie bestanden dieseStichproben jedoch lediglichaus weiblichen Agoraphobikerinnenund deren Partnern.Kritisch anzumerken ist dieAuswahl des Diskussionsthemas.Die Paare diskutierten lediglichpartnerschaftsrelevanteThemen, jedoch keine störungsrelevanten.Besser wäreein Bezug sowohl zur Partnerschaftals auch zur PSA desPatienten. Im angeführten Beispielwäre dies das Vermeidenvon Einkäufen und Kaufhäusernund dessen Auswirkungauf die Beziehung.Die vorliegende Studie wurdedennoch methodisch sehr gutdurchgeführt und enthält einigewichtige Implikationen fürdie psychotherapeutische Praxis:So sollten in der Psychotherapievon Patienten mit PSAdie Partnerschaftszufriedenheitund Interaktionsprozesse mitdem Partner erfragt werden.Beherbergen diese gegenseitigeKritik und Dominanzverhalten,sollten Maßnahmen getroffenwerden, die partnerschaftlicheInteraktion zu verbessern,um der Aufrechterhaltungder PSA weiter entgegenwirkenzu können.Chambless, D., Blake, K. D. &Simmons, R. A. (2010). Attributionsfor relatives´ behaviourand perceived criticism: Studieswith community participantsand patients with anxietydisorders. Behavior Therapy,41, 388-400.Die Autoren stellen in diesemArtikel zwei Studien vor, zumeinen mit einer nichtklinischenStichprobe und zum anderenmit einer Stichprobe von Patientenmit PSA und Zwangsstörung.Im Folgenden soll lediglichdie zweite Studie mit klinischerStichprobe näher erläutertwerden.Die Autoren zeigen, dass dievom Patienten mit PSA wahrgenommeneKritik des Partnersmit dem Behandlungserfolgzusammenhängt. Dabeiempfanden die meisten Patienten,dass der Partner bzw.Angehörige ihn in einer destruktivenanstatt konstruktivenArt und Weise kritisiert. DieAutoren wollten nun untersuchen,welche Meinung der Patientdarüber hat, warum sein50 <strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>


G. WiederPartner diese Kritik an ihm übt(Attribuierung des Patienten).Zusätzlich betrachteten sieumgekehrt das Kritikverhaltender Patienten mit PSA an ihrenPartnern.Dazu prüften die Autoren verschriftlichteVideoaufnahmenvon zehnminütigen Problemlösediskussionenvon insgesamtN= 70 Patienten und ihren Angehörigenauf negative Attribuierungendes Patienten bezüglichdes Verhaltens seines Angehörigen.Das bedeutet, eswurde kodiert, ob die Patientendie Meinung hatten, dasVerhalten des Angehörigen(z. B. eine kritische Äußerung)sei auf seine Persönlichkeit zurückzuführen,sei von ihm kontrollierbarund würde speziellvon ihm gezeigt. Ebenso fülltendie Patienten einen Fragebogenzur wahrgenommenenKritik des Angehörigen aus. Zusätzlichwurde das tatsächlicheAusmaß der Kritik des Angehörigenam Patienten für die ganzeProblemlösesituation beurteilt.Die meisten Patientenwaren weiblich (81%) und dieStichprobe bestand aus n= 29Patienten mit PSA und n= 41Patienten mit einer Zwangsstörungnach DSM-III-R. Die Angehörigenwaren zu einemGroßteil die Partner der Patienten.Die Autoren fanden in ihrerStudie, dass weibliche Patientensignifikant häufiger alsmännliche negative Attribuierungenvornahmen. Diese hingendarüber hinaus mit dervom Patienten wahrgenommenenKritik zusammen, dasheißt, je stärker die Patientendiese negative Meinung überden Grund des Verhaltens ihresPartners hatten, destomehr nahmen sie auch destruktiveKritik von ihrem Partnerwahr. Allerdings war lediglichwichtig, dass die negative Attribuierungvom Patienten vorgenommenwurde und nicht wieoft die Patienten sie äußerten.Auf das Beispiel aus der Einleitungübertragen bedeutet das:Je mehr die Patientin denkt,die Beschwerde ihres Partnersüber ihr Zögern, ins Kaufhauszu gehen, sei nicht auf die Situation,z. B. dass er unter Zeitdrucksteht, sondern auf seinePersönlichkeit zurückführbar,desto mehr wird sie seine Äußerungenauch als destruktivgemeinte Kritik wahrnehmen.Dass sie diese negative Attribuierungim Beispiel nur einmaläußert („Du willst mich nichtverstehen.“), hat keinen Einflussdarauf, wie stark sie sichvon ihrem Partner kritisiertfühlt.Des Weiteren wurde gefunden:Je mehr die Patienten destruktiveKritik von ihrem Partnerwahrnahmen beziehungsweiseje mehr die Patientennegative Attribuierungen überdas Verhalten des Partners vornahmen,desto mehr Kritikwurde vom Partner auch tatsächlichgeäußert. Wiederumauf das anfängliche Beispielübertragen heißt dies, dass eswahrscheinlich ist, dass die Patientinvon ihrem Partner tatsächlichmehr kritisiert wird(„Stell dich nicht so an.“),wenn die Patientin auch dasGefühl hat, stärker von ihm kritisiertzu werden beziehungsweisewenn sie ihm gegenübernegative Attribuierungen äußert(„Du willst mich nicht verstehen.“).Als die Autoren dietatsächliche Kritik und die Attribuierungenzusammengenommenals Prädiktoren fürdie wahrgenommene Kritik betrachteten,verschwand der Zusammenhangzwischen derwahrgenommenen und dertatsächlichen Kritik. Dies bedeutet,ob die Patienten diegeäußerte destruktive Kritikdes Partners auch als solchewahrnehmen, hängt davon ab,worauf die Patienten das Verhaltenbzw. die Äußerungenihres Partners zurückführen(z. B. auf Stress versus Persönlichkeit).Kommentar: Diese Studievon Chambless, Blake undSimmons (2010) ist zwar methodischgut gesichert, allerdingseher unübersichtlichbeschrieben, was sicherlich anden schwierig abzugrenzendenTermini „wahrgenommeneKritik“, „tatsächlich geäußerteKritik“ und „Attribuierungen“liegt.Die Ergebnisse legen für diepsychotherapeutische Arbeitnahe, dass es für die Erfragungpartnerschaftlicher Interaktionsprozessenicht nur wichtigist, wie der Partner sich verhält,sondern auch, wie der Patientdieses Verhalten interpretiertund Attribuierungen für dasVerhalten zuweist. Der Zusammenhangzwischen der Kritikdes Partners am Patienten –sowohl tatsächlich als auchvom Patienten wahrgenommen– und den Attribuierungendes Patienten könnte eineNegativspirale der gegenseitigenKritikäußerung und -wahrnehmungdarstellen: Je mehrKritik geäußert wird, desto eherwerden negative Attribuierungendes Verhaltens vorgenommen,woraufhin wieder mehrKritik geäußert wird etc. Daherist es wichtig, in einem frühenStadium der Psychotherapiebei derartigen Interaktionsschwierigkeitenzu intervenieren,damit diese sich nicht weiterverhärten.Nichtsdestotrotz kann konstruktiveKritik des Partners sicherlichauch eine förderlicheFunktion haben. Sie kann denPatienten antreiben, eine psychotherapeutischeBehandlungaufzunehmen bzw. weiterzuführen,und so zur Reduktionder Angstsymptomatikbeitragen, wie unter anderemLöhr, Schewe, Baudachund Hahlweg (2003) aufzeigen.Wie kann das partnerschaftliche Interaktionsverhalten in derPsychotherapie aufgegriffen werden?Chambless, D. L. (2012). Adjunctivecouple and family interventionfor patients withanxiety disorders. Journal ofClinical Psychology: In Session,68 (5), 548-560.Die Autorin beginnt ihren Artikelmit der Beobachtung, dasseine schwierige Beziehung derPatienten zu nahestehendenAngehörigen ein Grund dafürist, dass eine nicht unbeachtlicheZahl von Patienten mitAngststörungen die kognitiveVerhaltenstherapie abbrichtoder nicht von ihr profitiert. Dabeischeinen nicht die generelleUnzufriedenheit mit der Beziehungan sich, sondern spezifischeAspekte des Umgangsmiteinander eine Rolle zu spielen.Hier führt sie vor allem Kritikund Feindseligkeit des Angehörigengegenüber dem Pa-<strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>51


Aktuelles aus der Forschungtienten an, genauso wie übertriebeneEmotionalität demPatienten gegenüber und dieUnterstützung beim Vermeidenvon angstbesetzten Situationen.Diese Argumente aufgreifend,stellt die Autorin eine familienfokussierteTherapie für Angststörungen(FFT-AD) als Zusatzzur kognitiven Verhaltenstherapievor. Illustriert wird der Ablaufder FFT-AD an zwei Fallstudien,welche leider keine Patientenmit PSA, sondern mit Zwangsstörungund GeneralisierterAngststörung beschreiben. DieAutorin postuliert jedoch, dassdie FFT-AD ebenso bei anderenAngststörungen greift.Die FFT-AD ist eine Weiterentwicklungder familien-fokussiertenTherapie, welche ausder Schizophrenie-Forschungkommt und das Ziel hat, übertriebeneEmotionalität, Ablehnung,wahrgenommene Kritikdes Partners dem Patientengegenüber und die Unterstützungdes Patienten beim Vermeidenvon angstbesetztenSituationen vonseiten des Partnerszu reduzieren. Ebenso sollder Partner dazu angeregt werden,Veränderungen des Patientenwährend der Psychotherapiezu ermutigen. Die FFT-ADist eine flexible und vergleichsweisekurze Behandlung mitbis zu zwölf Sitzungen undkann sowohl bei Einzel- alsauch bei Gruppentherapieneingesetzt werden. Es ist egal,ob der Patient mit seinem Partneroder einem Familienmitgliedteilnimmt, die FFT-ADkann sich an verschiedene zwischenmenschlicheProblemeanpassen. Im Folgenden sollbeim Beschreiben des Ablaufsder FFT-AD auf die PartnerschaftBezug genommen werden.Zu Beginn der FFT-AD erarbeitetder Therapeut die speziellenProbleme des Paares, indem erProblemsituationen diskutierenlässt, die für das Paar bedeutendsind. Der Therapeut kanndie Problemlösediskussion alsDritter im Raum beobachtenoder sie auf Video aufzeichnen.Dabei sollte er notieren, ob dasPaar zu einer positiven Problemlösungkommt und wie esmiteinander kommuniziert. DieBeobachtungen teilt der Therapeutdem Paar mit und fragtdie Partner nach ihrer Einschätzung.Im Folgenden kann derTherapeut aus verschiedenenMethoden des FFT-AD die jeweilsfür das Paar passendenauswählen, womit die FFT-ADsehr flexibel anwendbar wird.Diese können beispielweisesein: Herausfiltern, welche Rolledie Angststörung in der partnerschaftlichenBeziehungspielt, Psychoedukation, Trainingzur Verbesserung derKommunikation (z. B. aktivesZuhören, positive Kommunikationerhöhen, nach einer positivenVerhaltensänderung fragen,nach einer Reduktion negativenVerhaltens fragen), Reduktionder Unterstützung desPartners gegenüber dem Patientenbeim Vermeiden vonangstbesetzten Situationen.Die Autorin empfiehlt, dass dereigentliche Therapeut des Patientenund der Therapeut derfamilien-fokussierten Therapiefür Angststörungen nicht einund dieselbe Person sein sollten,um dem Partner nicht dasGefühl zu geben, dass sich derTherapeut und „sein“ Patientgegen ihn verbünden könnten.Aus Effizienzgründen kann derTherapeut des Patienten jedochdie FFT-AD zusätzlichdurchführen.Kommentar: Diese Studie bietetsehr gute Anregungen, wiepartnerschaftliche Problemeim Umgang miteinander ambesten schon frühzeitig in derPsychotherapie der PSA aufgegriffenwerden können. So sollder Partner des Angstpatientenmithilfe der zusätzlichen FFT-AD lernen, auf die Bedürfnissedes Patienten zu hören undihn zu unterstützen. Im bestenFall führt die FFT-AD dazu, dassdurch das angeeignete unterstützendeVerhalten des Partnersder Patient sich traut, dievon ihm gefürchtete Situationaufzusuchen, um schließlichzu merken, dass seine Angst,z. B. in einer bestimmten Situationumzufallen, verrückt zuwerden oder zu sterben, unberechtigtist. Dadurch würde einemmöglichen Therapieabbruchvonseiten des Patientenentgegengewirkt und eineGrundlage geschaffen, dasssich der Patient auf die Psychotherapieeinlassen kann undsich somit der Therapieerfolgverbessert. Übertragen auf daseingangs beschriebene Beispielbedeutet das, wie schonin der ersten Studie beschrieben,dass der Partner auf dasZögern der Patientin mit Verständnisreagieren und gleichzeitigdie Patientin ermutigensollte, ins Kaufhaus zu gehen.Falls sich die Patientin diestrotzdem nicht zutraut, sollteder Partner auch dies respektierenund der Patientin dieEntscheidung überlassen.Ansonsten kann die FFT-ADdem Paar zumindest helfen,einander in Bezug auf dieAngsterkrankung besser zu verstehenund die Kommunikationmiteinander zu beleben.Schwierig ist es sicherlich,wenn der Partner sich mit derErkrankung des Patienten „eingerichtet“hat und den Patientenin seinem Vermeidungsverhaltenstark unterstützt (z. B.ohne Widerspruch beständigden Chauffeur des Patientengibt oder sämtliche Besorgungenerledigt). So könnte demPaar die Einsicht fehlen, dassdas Verhalten des Partners zurAufrechterhaltung der Störungbeiträgt. Dies sollte in der eigentlichenPsychotherapie desPatienten ergründet und bearbeitetwerden, um die langfristigeWirksamkeit der Psychotherapiezu sichern.Zusammenfassung: Welche Besonderheiten gilt es in der psychotherapeutischenPraxis zu beachten?Das Interaktionsverhalten vonPatienten mit PSA und ihremPartner kann sich negativ aufdie Entstehung oder Aufrechterhaltungder PSA auswirken.Darüber hinaus beeinträchtigtein kritisches Interaktionsverhaltendie Qualität der Paarbeziehungund somit das Wohlbefindenim täglichen Lebendes Patienten und seines Partners.Es sollte daher möglichstfrühzeitig ein Baustein der therapeutischenArbeit mit demPatienten mit PSA sein, bestehendeinteraktionelle Schwierigkeitenmit dem Partner zuerfragen. Vor allem ist dabeiauf gegenseitige (wahrgenommeneoder tatsächliche) Kritik,52 <strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>


G. WiederDominanzverhalten und Attribuierungenfür Verhalten zuachten. Bestehen tatsächlichSchwierigkeiten, sollte eineHandlungsstrategie entworfenwerden, wobei vor allem wichtigist, der Reduktion vonAngstsymptomen förderlicheKommunikationsstrukturen wieSupport und Bestätigung zwischenden Partnern zu fördern.Dafür kann die familien-fokussierteTherapie (FFT-AD, sieheoben) für Angststörungen alsZusatzbaustein eingesetzt werden.Hierbei ist es für den ausführendenTherapeuten wichtig,nicht nur dem Patienten,sondern auch dem Partner gegenüberempathisch aufzutreten,um den Belastungen aufbeiden Seiten gerecht zu werden.Ziel des Zusatzbausteinessollte es sein, Verständnis füreinanderaufzubauen und somitnegative Ansichten darüber,warum der Partner ein bestimmtesVerhalten zeigt, abzubauen.Auf Seiten des Patientenbedeutet dies, zu erarbeiten,dass der Grund für diewahrgenommene Kritik desPartners beispielsweise in äußerenUmständen (z. B. Zeitdruck)oder der spezifischen,auf die PSA bezogenen Situation(z. B. Überforderung beimVersuch, den Patienten zu unterstützen)liegen kann. AufSeiten des Partners ist sicherlichdie Psychoedukation, ebenfallsBestandteil der FFT-AD,eine förderliche Methode. Nebender reinen Schulung zuKrankheitsentstehung und -aufrechterhaltungsollte der Partnerdabei lernen, dass das Vermeidungsverhaltenund bestimmteInteraktionsmuster mitder PSA zusammenhängenund keine beabsichtigten Charakterfehlerdes Patienten sind(z. B. Bequemlichkeit). Ebensosollte der Partner nicht das Bildbekommen, dass der Patientein hilfloses Opfer seinerKrankheit ist und nicht die Ressourcenhat, die PSA bewältigenzu können. Der Partnermuss lernen, dass der Umgangmit der PSA allein Sache desPatienten ist und er in seinerRolle den Patienten lediglichdurch bestimmte Verhaltensweisenan der richtigen Stelleunterstützen kann, damit sichdie Angst weiter reduziert. Sosollte der Partner den Patientenermutigen, die Inhalte derPsychotherapie auf sein alltäglichesLeben zu übertragenund dem Patienten zudem dasGefühl geben, dass dies für ihnauch machbar sei.Inwiefern die dargestellten Ergebnisseauch auf die therapeutischeKommunikation übertragbarsind, ist eher unklar, daSie als Psychotherapeut natürlicheine ganz andere Rolle einnehmenals der Partner derPatienten – egal, welcher PsychotherapieschuleSie sich zugehörigfühlen. Sicherlich ist esin jeder Psychotherapie wichtig,dem Patienten gegenüberVerständnis zu zeigen, und essollte darauf geachtet werden,eigene negative Ursachenzuschreibungenüber das Verhaltendes Patienten kritisch zuhinterfragen. Überdies zeigenKeijsers, Schaap, Hoogduin &Lammers (1995), dass sich dasKommunikationsverhalten ohnehinden Erfordernissen derStundenziele in der Psychotherapieder PSA anpasst. Unabhängigdavon, welche VorstellungenSie selbst von der bestenKommunikationsstrategiegegenüber Ihren Patienten haben,um den Therapieerfolg zuunterstützen, mangelt es bisheran Studien, die dies imKontext der PSA untersuchen.LiteraturChambless, D. L., Fauerbach, J.A., Floyd, F. J., Wilson, K. A.,Remen, A. L. & Renneberg,B. (2002). Marital interactionof agoraphobic women:A controlled, behavioral observationstudy. Journal ofAbnormal Psychology, 111(3), 502-512.Keijsers, G. P. J., Schaap, C.,Hoogduin, C. A. L. & Lammers,M. W. (1995). Patienttherapist interaction in thebehavioral treatment ofpanic disorder with agoraphobia.Behavior Modification,19 (4), 491-517.Löhr, C., Schewe, K., Baudach,M. & Hahlweg, K. (2003).Zum Zusammenhang vonPartnerschaftsqualität undTherapieerfolg bei agoraphobischenPatienten. Zeitschriftfür Klinische Psychologieund Psychotherapie,32 (1), 10-13.Peter, H., Kaiser, G., Baron, G.,Bauermann, A., Dahme, B.& Hand, I. (1998). Interaktionsstilevon Agoraphobikerinnenund deren Partnern– Eine Untersuchungunter Verwendung desKategoriensystems für PartnerschaftlicheInteraktion(KPI). Verhaltenstherapie, 8(3), 170-179.Gesine Wieder, Dipl.-Psych.,ist seit 2011 wissenschaftlicheMitarbeiterin am Institut für KlinischePsychologie und Psychotherapieder TechnischenUniversität Dresden und promoviertdort zum Thema„Kommunikation bei Panikstörungmit Agoraphobie“. Sie arbeitetderzeit in einem Kooperationsprojektzwischen demInstitut für Klinische Psychologieund Psychotherapie der TUDresden, der Klinik für Psychiatrieund Psychotherapie derCharité sowie der Humboldt-Universität Berlin, welches denZusammenhang zwischen körperlicherAktivität und demTherapieergebnis bei manualisierterExpositionstherapie untersucht.Dipl.-Psych. Gesine WiederTechnische UniversitätDresdenInstitut für Klinische Psychologieund PsychotherapieChemnitzer Straße 4601187 Dresdenwieder@psychologie.tu-dresden.de<strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>53


BuchrezensionenOchs, M. & Schweitzer, J. (Hrsg.) (2012). Handbuch Forschung für Systemiker.Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. 469 Seiten. 49,95 €.Wiebke HankeIn kaum einem anderen therapeutischenVerfahren scheint aufgrund von ständigerRekursivität und Zirkularität von Erkenntnis-& Handlungsprozessen das Ineinanderwirkenvon Erhebung, Diagnostik und Therapiederart verwoben wie in der systemischenDenk- und (Be-)Handlungsweise. Das vonOchs und Schweitzer herausgegebene Forschungshandbuchliefert nun den erstenbreit angelegten Versuch, den „Mehrwert“des systemischen Ansatzes gegenüber anderenZugängen darzustellen und die kritisiertevorherrschende Praxeologie durchwissenschaftlich fundierte Beiträge zu ergänzen.Ziel der Herausgeber ist es, verengendeDarstellungen reiner RCT-Studien(randomized controlled trials, RCT) aufdem Wege der weiteren Integration vonquantitativen und qualitativen Methoden zuüberwinden und damit eine systemischePerspektive zu ermöglichen.Der Band ist gegliedert in sechs Teile. Zunächstheben Ochs und Schweitzer dieFruchtbarkeit des „unverbrauchten, systemischenNährbodens“ hervor und Schiepekbietet einen einführenden Überblick überdie Besonderheiten der Methodologie undMethoden systemischer Forschung.Im zweiten Teil des Werkes, „Grundlagenund Forschungsfelder“, informiert Hollstein-Brinkmannüber den Einsatz systemischerForschungsmethoden im Bereichder sozialen Arbeit. Richtiges Fragen lernenliegt im Fokus des systemtheoretischorientierten Beitrages von Muraitis undvon Schlippe. Von Sydow stellt Meta-Inhaltsanalysenzur Wirksamkeit systemischerTherapie bei Erwachsenen, Kindernund Jugendlichen vor und argumentiertauf Grundlage der Ergebnisse konsequentfür eine Anerkennung durch den GemeinsamenBundessausschuss. Arnold stelltsich im Hinblick auf die systemische Bildungsforschungder Frage, ob und inwiefernsystemische Gestaltungs- und Erklärungsansätzezur Dekonstruktion klassischer,empirischer Forschungsparadigmenbeitragen können. In Bezug auf die Gestaltpsychologieder Berliner Schule befasstsich Kriz in einem anspruchsvollenBeitrag mit den Wirkungsweisen systemtheoretischerAnsätze. Baecker verdeutlichtden Zugewinn systemtheoretischerBegrifflichkeiten für die empirische Forschung.Pointiert und humorvoll beantwortetSimon abschließend die Frage danach,was unter systemischer Forschungverstanden werden kann.Das Spektrum der „Qualitativen Forschungsmethodenund -ansätze“ reichtvon der fallrekonstruktiven Familienforschungals Steckenpferd systemischer Praxisforschung,der Integration von Konversations-,Narrations- und Metaphernanalyse(Buchholz) unter Betonung der Integrationeiner affektiven Komponente überphänomenologische Ansätze in derFamilien(therapie)forschung von Dahlund Boss, als Vertreter der subjektivenErkenntnistheorie(n), Grounded Theorybis hin zu Diskursanalyse und narrativerAnalyse (Burck) sowie qualitative Organisationsanalyse(Froschauer & Lueger). DasKapitel erscheint als Appell an (systemische)Praktiker als geübte Fragesteller, bereitsvorhandene Kompetenzen für eigeneForschung nutzbar zu machen.Standardisierte, quantitative Methodenwie multiple Zeitreihenanalysen (Tschacher),der Familieninteraktionsforschung(Reich & Stasch), standardisierte Fragebogenverfahren(Aguilar-Raab) und derScore-15 (Stratton, Bland, Janes & Lask)scheinen zunächst schwer vereinbar mitsystemisch-konstruktivistischen Prämissen.Diesen Zwiespalt überwinden die AutorInnendes vierten Teils, „Quantitative Forschungsmethodenund -ansätze“, indemsie sich insbesondere Fragen des Prozessesund der Wirkmechanismen von Therapieannehmen und zugleich die Subjektivitätdieser Erhebungsmethoden betonen.Der Teil „Mixed Methods“ fällt im Vergleichzu den übrigen und der Bedeutsamkeit fürdas Forschungshandbuch relativ kurz ausund umfasst eine Vorstellung des RepertoryGrid Interviews zur Erforschung der persönlichenKonstrukte. Um dem Anspruch systemischerForschung nach Multiperspektivitätgerecht zu werden, votiert Ochs dafür, sichmittels Methodenvielfalt der Erfassung des„systemischen Moments“ anzunähern, indemquantitatives Datenmaterial durchqualitativ Erhobenes validiert wird.Im letzten Teil stellt Ochs einen Leitfaden zurGestaltung eines eigenen Forschungsvorhabensvor, der von der Entwicklung der Fragestellungbis hin zur Ergebnispublikation potenzielleHöhen und Tiefen beleuchtet. Abschließendbetont Schweitzer die Notwendigkeit,systemische Forschungsprojektegruppendynamisch als eine Gemeinschaftsaufgabezu begreifen, in der die Beziehungsarbeitim Forschungsteam und zu -partnerneine relevante Herausforderung darstellt.54 <strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>


BuchrezensionenInsgesamt bietet der Band gut informierendeund anregende Beiträge zur systemischenForschung, deren Handlungstippsund spezifische Perspektiven sich freilichebenso wie die begrifflichen und methodischenVorschläge in der weiteren Praxisnachhaltig bewähren müssen. Es bleibt zuhoffen, dass dieser Band, der für die systemischeAusbildung und (Forschungs-)Arbeitzum Kanon gehören sollte, auch überdie Grenzen systemischen Denkens zu einigerBeachtung kommen wird.Dipl.-Psych. Wiebke Hanke,KasselHartmann-Kottek, L. (2012). Gestalttherapie. Lehrbuch. Mit aktualisiertemBeitrag zur Forschung von Dr. Uwe Strümpfel. 3., vollst. überarb. Auflage.Berlin/Heidelberg: Springer. 315 Seiten. 44,95 €.Klaus SchubertWie alle Auflagen zuvor besticht auch die3., vollständig überarbeitete Auflage wiederdurch ihre Klarheit in der Gliederungund in den Ausführungen. Die Autorin LotteHartmann-Kottek nimmt ihreLeser(innen) mit in den Kontakt auf eineGedankenreise in die eigene und spannendeWelt der Gestalttherapie. UweStrümpfel als Mitautor führt auch in dieserAuflage den aktuellen Forschungszustandder Gestalttherapie aus. Vorgestellt werdenDaten aus über 100 Forschungsarbeitenzu Psychotherapieprozess und -ergebnis.Vergleichsstudien belegen, dass dieEffekte der Gestalttherapie vergleichbarsind mit denen anderer Psychotherapieformenoder sogar besser. In der berufspolitischenAuseinandersetzung inDeutschland ist die Gestalttherapie wieauch andere verwandte humanistischeVerfahren noch auf dem Weg, ihren gebührendenPlatz in der Psychotherapie-Landschaft einzunehmen, den sie anderenortsweltweit bereits hat. Dass sie aufdiesem Weg inzwischen auch in Deutschlandzu einem beachteten Psychotherapieverfahrengeworden ist, ist mit ein großesVerdienst der Autorin. Und sie verstehtes, Leser(inne)n die historischen Wurzelnder Gestalttherapie, ihre wissenschaftlicheVerortung in Neurobiologie, Physik undPhilosophie ebenso prägnant und anschaulichdarzulegen, wie ihre Verbindungenzu psychodynamischen und verhaltenstherapeutischenDenkansetzen aufzuzeigen.Durch das Weglassen einiger anschaulicherBeispiele gestalttherapeutischerArbeit verliert die neue Auflage imVergleich zu den Vorauflagen streckenweisean Lebendigkeit. Das Fehlen der Quintaloge,in denen hilfreich die dargelegtenInhalte auf einer Alltagsebene reflektiertwurden, wird der/die ein oder andere interessierteLeser(in) vermissen. Andererseitsachtet auch die Neuauflage darauf,sowohl die theoretischen Ausführungenzu präzisieren als auch die Aussagen derFremdbeiträge der 2. Auflage zu verdichten,sodass die Vielfalt und Aussagekraft ingestraffter Form erhalten bleibt. Dadurch,dass die vorliegende Auflage verschlanktwurde, wird die zentrale Besonderheit derGestalttherapie als „humanistisches Psychotherapieverfahren,das dem humanistischenMenschenbild verpflichtet ist, daseinen phänomenologischen Zugangswegnutzt, ein gestaltpsychologisch orientiertesSystemdenken besitzt, das das psychodynamischeNeurosenverständnis mitumschließt und das ferner von Anfang anüber erfahrungs- und übungszentrierte sowieexperimentierfreudige Vorgehensweisenverfügt“ im Sinne einer guten Gestaltzum Verständis-Vordergrund. In den zentralenKapiteln „Krankheits- und Störungslehre“,„Behandlungsmethodik“ sowie„Setting-Varianten und Anwendungsbereiche“wird die gesamte Vielfalt des gestalttherapeutischenAnsatzes in seinen Chancenfür psychiatrische und psychosomatischePatient(inn)en auch für den „Neueinsteiger“nicht nur nüchtern dargestellt.Leser(innen) werden in ihrem eigenenErleben angesprochen und zu eigenen Erfahrungsexperimentenangeregt. So wirddie Lektüre des Buches nicht zu einem„langweiligen Muss“, sondern zu einem„anregenden Interesse“ für den Denkansatzund die Arbeit mit der Gestalttherapie.Leser(innen) erhalten vielfältige Anregungenzur gestalttherapeutischen Arbeitmit den kreativen Medien Körper, Bewegung,Musik, Poesie und mit künstlerischgestaltenden Ausdrucksformen. Man spürtbeim Lesen die über Jahre erworbeneKompetenz der Autorin, die sie einfacheWorte finden lässt, mit denen sie nicht nurFakten und Daten vermittelt. Sie lädt auchein zu einem umfassenden und ganzheitlichenVerständnis für den Menschen. Sieerfüllt damit ihr Engagement, dass Gestalttherapie„wissenschaftliche Ausrichtung,therapeutisch solides Handwerkszeug undkünstlerisches Engagement“ verbindet.Ein Muss für jede/n engagierte/n Kollegin/Kollegen,die/der an wirksamer undgleichzeitig mitmenschlich förderlicherPsychotherapie interessiert ist. Es ist einLehrbuch für die psychotherapeutischeArbeit in Klinik und Praxis sowohl für „alteHasen“ wie für Neugierige, die über ihrentherapeutischen Horizont schauen wollen.Dr. med. Dipl.-Psych. Klaus Schubert,Berlin<strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>55


BundespsychotherapeutenkammerMitteilungen derBundespsychotherapeutenkammerKonsequenzen der neuen Bedarfsplanung – neue Niederlassungsmöglichkeiten undverantwortungsbewusste Vorbereitung der NachbesetzungsverfahrenVerbesserung auf dem LandDas Positive zuerst: In ländlichen bzw. eigenversorgtenRegionen (neuer Typ 5)wird es bundesweit etwa 1.350 zusätzlichePraxissitze geben. Nicht überall, aber dochin vielen Regionen (Beispiele siehe Tabelle1). Interessenten können sich dort umeine Zulassung bewerben. Die Bedarfsplanungs-Richtlinieschreibt vor, dass die neuenVorgaben bis zum 1. Juli <strong>2013</strong> umgesetztsein und somit zu diesem Zeitpunktauch neue Sitze ausgeschrieben werdenmüssen. Die Anzahl der neuen Niederlassungsmöglichkeitenergibt sich aus demvon der Kassenärztlichen Vereinigung (KV)im Einvernehmen mit den Krankenkassenerstellten Bedarfsplan. Es besteht dieMöglichkeit, aufgrund regionaler Besonderheitenvon den Vorgaben der Bundesrichtlinieabzuweichen.Nicht alle Sitze können sofort besetzt werden.Denn bis Ende <strong>2013</strong> sind noch etwa200 Sitze für psychotherapeutisch tätigePatientenrechtegesetz in KraftAm 26. Februar <strong>2013</strong> ist das Patientenrechtegesetz in Kraft getreten. Das Gesetz regeltim Wesentlichen bereits durch richterliche Urteile begründete Patientenrechte im BürgerlichenGesetzbuch. Dazu gehören insbesondere die Informations- und Aufklärungsrechteim Behandlungsvertrag sowie Dokumentation und Einsicht in die Patientenakte.Der Gesetzgeber beabsichtigt mit dem Gesetz, die Patientenrechte transparenter zugestalten und dazu beizutragen, bestehende Vollzugsdefizite in der Praxis abzubauen.Die Bundespsychotherapeutenkammer prüft derzeit eine Ergänzung der Muster-Berufsordnung,um die dort verankerten Rechte von Patienten in der Praxis zu unterstützen.Ärzte reserviert und für die Zulassung vonPsychologischen Psychotherapeuten undKinder- und Jugendlichenpsychotherapeutengesperrt. Die reservierten Arztsitzewerden als vergeben gezählt, egal ob sietatsächlich besetzt sind oder nicht.Vor der Zulassung läuft das reguläre Bewerbungsverfahren.Interessenten solltensich bei der jeweiligen KassenärztlichenVereinigung informieren. Es gibt eine Besonderheit:Offene Planungsbereiche, alsoPlanungsbereiche, in denen Zulassungenohne Praxiskauf und Nachbesetzung möglichsind, gab es in diesem Umfang bisherkaum.Bestenfalls Sicherung des Statusquo in den StädtenTabelle 1: Auswahl von Planungsbereichen mit zusätzlichen Praxissitzen 1)Planungsbereich KV Einwohner PT 2) PT/100.000EinwohnerzusätzlichePraxissitzedavon Praxissitze, die ggf. durch denMindestversorgungsanteil Ärzte bisEnde <strong>2013</strong> blockiert werdenEmsland Niedersachsen 313.056 33,5 10,7 26,5 10,5Hochsauerlandkreis Westfalen-Lippe 267.601 25,4 9,5 24,5 4,5Kleve Nordrhein 307.807 34,3 11,1 24,0 2,5Ostalbkreis Baden-Württemberg 310.733 35,0 11,3 23,5 9,0Dessau-Roßlau, Stadt/ Sachsen-Anhalt 263.548 23,0 8,7 23,0 10,5Anhalt-BitterfeldGörlitz, Stadt/Niederschlesischer Sachsen 276.924 28,0 10,1 20,0 6,0OberlausitzkreisHarz Sachsen-Anhalt 232.343 21,4 9,2 20,0 6,5Schwäbisch Hall Baden-Württemberg 188.420 17,7 9,4 18,5 3,0Stralsund, Hansestadt/NordvorpommernIn Großstädten (alter Kreistyp 1) jedochnimmt der Gemeinsame Bundesausschuss(G-BA) einen um etwa 20 Prozentniedrigeren Versorgungsbedarf als 1999an. Das führt dazu, dass Kreis- und Großstädtezukünftig einen noch höheren Ver-Mecklenburg-Vorpommern163.217 11,0 6,7 18,5 4,0Bautzen Sachsen 321.511 38,5 12,0 18,5 5,5Quelle: eigene Berechnungen, Niederlassungszahlen Anfang 2011, Einwohnerstand nach BBSR, 31. Dezember 20101) Die Zahlen sind vorläufig. Verbindlich sind die voraussichtlich ab Juli <strong>2013</strong> vorliegenden Bedarfspläne.2) Psychotherapeut56 <strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>


Mitteilungen der BundespsychotherapeutenkammerBundespsychotherapeutenkammerTabelle 2: Anstieg des Versorgungsgrades (VSG) in Großstädten ohne Neuzulassungen 1)Planungsbereich KV PT 2) /100.000EinwohnerKreistyp AVZ 3) bis 2012 Versorgungszone AVZ ab<strong>2013</strong>VSG bis2012VSG ab<strong>2013</strong>Leverkusen, Stadt Nordrhein 56,9 1 2.577 2 7.641 146,5 434,4Remscheid, Stadt Nordrhein 46,6 1 2.577 2 7.617 120,0 354,8Fürth, Stadt Bayern 44,0 1 2.577 2 7.360 113,3 323,6Solingen, Stadt Nordrhein 40,3 1 2.577 2 7.588 103,8 305,6Bremen, Stadt Bremen 61,3 1 2.577 1 3.102 157,9 190,0Bielefeld, Stadt Westfalen-Lippe 58,6 1 2.577 1 3.078 150,9 180,2Berlin, Bundeshauptstadt Berlin 61,9 1 2.577 1 3.031 159,4 187,5Frankfurt am Main, Stadt Hessen 67,6 1 2.577 1 2.969 174,2 200,7Hamburg, Freie und Hansestadt Hamburg 54,7 1 2.577 1 3.022 140,9 165,3Nürnberg, Stadt Bayern 46,9 1 2.577 1 3.082 120,9 144,6Quelle: BPtK, eigene Berechnungen nach den Vorgaben der Neufassung der Bedarfsplanungs-Richtlinie auf Basis der Niederlassungszahlen,Stand: Frühjahr 20111) Die Zahlen sind vorläufig. Verbindlich sind die voraussichtlich ab Juli <strong>2013</strong> vorliegenden Bedarfspläne.2) Psychotherapeut3) Allgemeine Verhältniszahlsorgungsgrad aufweisen, ohne dass esdort einen einzigen Psychotherapeutenmehr gibt (siehe Tabelle 2).Entscheidung überNachbesetzungDie irreführenden Versorgungsgrade könnennegative Konsequenzen haben, wennsie bei der Frage, ob eine Praxis nachbesetztwerden kann, eine Rolle spielen sollten.Der Zulassungsausschuss kann seitdem 1. Januar <strong>2013</strong> einen Antrag aufNachbesetzung einer Praxis in rein rechnerischüberversorgten Gebieten ablehnen,„wenn eine Nachbesetzung des Vertragsarztsitzesaus Versorgungsgründen nichterforderlich ist“ (§ 103 Absatz 3a Satz 2SGB V). Da die Versorgungsgrade wenigzur Versorgungslage in einem Planungsbereichaussagen, werden die Zulassungsausschüssewahrscheinlich regelmäßigandere Kriterien hinzuziehen. In erster Linieist an die Wartezeiten auf ein Erstgesprächbeim Psychotherapeuten zu denken.Ab <strong>2013</strong> sollen Krankenkassen undKVen in ihren Gesamtverträgen für diefachärztliche Versorgung Wartezeiten vereinbaren,die den Patienten im Regel- undim Ausnahmefall noch zumutbar sind.Wenn gleichzeitig sichergestellt wird, dassWie Bedarfsplanung bisher funktionierteDie Bedarfsplanungs-Richtlinie regelt in erster Linie, wie viele Ärzte und Psychotherapeuten sich in einer Region niederlassen dürfen.Sie enthält darüber hinaus Regelungen zur Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung – beispielsweise bei Sonderbedarf – soweitdiese nicht bereits im Fünften Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) und der Zulassungsverordnung für Vertragsärzte (Ärzte-ZV) enthaltensind.In der alten Bedarfsplanungs-Richtlinie wurde grundsätzlich jedem Landkreis bzw. jeder kreisfreien Stadt (Planungsbereich) für jedeArztgruppe eine Allgemeine Verhältniszahl (AVZ) zugeordnet. Die Verhältniszahl regelt das Verhältnis von Einwohnern zu einem Arzt/Psychotherapeuten und damit, für wie viele Einwohner jeweils ein Arzt/Psychotherapeut der jeweiligen Arztgruppe für die Versorgungausreichen soll. Gilt beispielsweise für eine Arztgruppe eine AVZ von 5.000 und leben in einem Landkreis 100.000 Einwohner, so folgtdaraus, dass dort 20 Ärzte/Psychotherapeuten dieser Arztgruppe arbeiten sollen. Es gab bis Ende 2012 14 Arztgruppen (Hausärzte,fachärztliche Internisten, Psychotherapeuten, Augenärzte, Frauenärzte etc.).Die Verhältniszahlen wurden aber nicht anhand eines realen Versorgungsbedarfs ermittelt, sondern anhand eines Stichtags. Dem lagdie Überlegung zugrunde, dass Versorgungsstrukturen, die sich über Jahrzehnte entwickelt haben, irgendwie den Bedarf abbilden. ZurErmittlung der AVZ wurden die Landkreise und Städte in neun Kategorien von Planungsbereichen und die Sonderregion Ruhrgebieteingeteilt. Für jede Kategorie wurde ermittelt, wie viele Einwohner zum Stichtag tatsächlich im Durchschnitt auf einen Arzt/Psychotherapeutender jeweiligen Arztgruppe kamen. Dieser Durchschnitt wurde dann als bedarfsgerecht definiert und festgelegt, dass diesesVerhältnis unabhängig von der Entwicklung der Krankheiten und des Fortschritts der Behandlungsverfahren auch zukünftig beibehaltenwerden soll.Für die Arztgruppen wurde grundsätzlich ein Stichtag im Jahre 1990 festgelegt. Für Psychotherapeuten galt abweichend ein Stichtagim Jahr 1999, obwohl es die neu geschaffenen Berufe des Psychologischen Psychotherapeuten und des Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutenüberhaupt erst seit dem 1. Januar 1999 gab und somit keine entwickelten Versorgungstrukturen vorhanden waren.1990 wurde für die Ermittlung der AVZ der Durchschnitt Westdeutschlands zugrunde gelegt, 1999 hingegen der Durchschnitt Gesamtdeutschlands.Durch die Einbeziehung der aufgrund des Systemumbruchs weitaus ungünstigeren Versorgungslage in der ambulantenPsychotherapie in Ostdeutschland ergaben sich dadurch für die Arztgruppe „Psychotherapeuten“ schlechtere Verhältniszahlen als beiden anderen Arztgruppen.<strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>57


BundespsychotherapeutenkammerMitteilungen der BundespsychotherapeutenkammerTabelle 3: Minderung des Versorgungsgrades (VSG) in ländlichen Kreisen ohne Neuzulassungen 1)Planungsbereich KV PT 2) /100.000EinwohnerKreistyp AVZ 3) bis 2012 Versorgungszone AVZ ab<strong>2013</strong>VSG bis2012VSG ab<strong>2013</strong>Garmisch-Partenkirchen Bayern 24,4 9 23.106 5 6.173 564,7 150,9Lüchow-Dannenberg Niedersachsen 20,3 9 23.106 5 6.319 469,5 128,4Uelzen Niedersachsen 19,1 9 23.106 5 6.181 442,4 118,3Haßberge Bayern 16,5 9 23.106 5 5.836 380,5 96,1Rhön-Grabfeld Bayern 15,7 9 23.106 5 5.914 362,3 92,7Soltau-Fallingbostel Niedersachsen 12,9 9 23.106 5 5.990 297,9 77,2Dithmarschen Schleswig-Holstein 11,9 9 23.106 5 6.109 274,3 72,5Vogelsbergkreis Hessen 19,1 7 16.615 5 6.077 317,3 116,0Nordfriesland Schleswig-Holstein 11,7 9 23.106 5 6.052 270,9 71,0Freudenstadt Baden-Württemberg 18,4 7 16.615 5 5.867 304,9 107,7Quelle: BPtK, eigene Berechnungen nach den Vorgaben der Neufassung der Bedarfsplanungs-Richtlinie auf Basis der NiederlassungszahlenStand: Frühjahr 20111) Die Zahlen sind vorläufig. Verbindlich sind die voraussichtlich ab Juli <strong>2013</strong> vorliegenden Bedarfspläne.2) Psychotherapeut3) Allgemeine Verhältniszahlmit einer angemessenen Erhebung dieWartezeiten im Bereich der Psychotherapieplanungsbereichspezifisch ermitteltwerden, erhalten die Zulassungsausschüssehiermit ein wichtiges Kriterium an dieHand, um zu beurteilen, ob Praxissitze ausVersorgungsgründen nachbesetzt werdenmüssen. Der Zulassungsausschuss kannsich seit <strong>2013</strong> gegen den Willen des Praxisinhabersdafür entscheiden, den Sitz nichtnachzubesetzen. Dafür ist eine Mehrheitim Zulassungsausschuss erforderlich. Dasheißt, weder die Vertreter der Ärzte undPsychotherapeuten noch die Vertreter derKrankenkassen können allein mit ihrenStimmen eine Stilllegung beschließen.Vorher war im Prinzip jede Praxis auf Antragdes Praxisinhabers auszuschreibenund nachzubesetzen. Das galt auch inrechnerisch überversorgten Gebieten undegal aus welchen Gründen die Praxis aufgegebenwurde.Eine ausführliche Darstellung der Handlungsoptionenfür Psychotherapeuten(Niederlassung und Rückgabe der Zulassung)finden Sie in einem BPtK-Spezialunter www.bptk.de. Eine Niederlassungsberatungbietet die Kassenärztliche Vereinigung.„Privilegierte Praxisnachfolger“Gibt es jedoch einen sogenannten privilegiertenPraxisnachfolger, der die Praxis fortführenmöchte, so ist das Nachbesetzungsverfahrenzwingend durchzuführen. Dieprivilegierten Praxisnachfolger sind: Ehegatte,eingetragener Lebenspartner, Kind, angestellterArzt des bisherigen Vertragsarztesund der Vertragsarzt, mit dem die Praxisbisher gemeinschaftlich betrieben wurde.Gibt es einen solchen Bewerber, so ist dasNachbesetzungsverfahren zwingend durchzuführen.Die Bewerber sind aber nur insoweitprivilegiert, als in jedem Fall ein Nachbesetzungsverfahrendurchgeführt werdenmuss, wenn sie beabsichtigen, sich zu bewerben.Eine Verpflichtung, sie auch auszuwählen,gibt es nicht. Bisher haben dieZulassungsausschüsse diesen Bewerberneine hohe Bedeutung beigemessen undsie regelmäßig auch ausgewählt.Entscheidet sich ein Zulassungsausschussjedoch gegen einen privilegierten Bewerber,weil er einen anderen Bewerber fürgeeigneter hält, so kann er anschließendbeschließen, doch auf die Nachbesetzungzu verzichten, wenn ihm eine Nachbesetzungaus Versorgungsgründen nicht erforderlicherscheint.Vorbereitung desNachbesetzungsverfahrensPsychotherapeuten, die ihrer Verantwortungfür die Versorgung psychisch krankerMenschen über ihre Tätigkeit als Vertragspsychotherapeuthinaus nachkommenmöchten, können die Nachbesetzung ihrerPraxis verantwortungsvoll vorbereiten.Es kann sinnvoll sein, potenzielle Nachfolgerzunächst anzustellen oder im Rahmenvon sogenanntem Jobsharing mitihm oder ihr zusammenzuarbeiten. Diesbietet die Möglichkeit, dass der zukünftigeNachfolger eingearbeitet werden kannund bei Übernahme der Praxis bereitsbestens mit den Gegebenheiten vor Ortvertraut ist. Das Gesetz „honoriert“ dies,indem es diese Bewerber insoweit privilegiert,dass ein Nachbesetzungsverfahrendann durchgeführt werden muss. Auchbei der Auswahl kommt diesem Umstanderhebliches und nach der bisherigen Praxisregelmäßig entscheidendes Gewichtzu. Allerdings – und dies ist die Schwierigkeit– müssen sich beide verpflichten,nicht mehr Leistungen zu erbringen, alsder bisherige Alleininhaber der Praxis imDurchschnitt der letzten vier Quartale erbrachte.Versorgungsgründe für dieNachbesetzung nennenDer Zulassungsausschuss kann die Durchführungdes Nachbesetzungsverfahrensnur ablehnen, wenn die Nachbesetzungaus Versorgungsgründen nicht erforderlichist. Daher sollten im Antrag von vornhereinVersorgungsgründe genannt werden, dieeine Nachbesetzung der Praxis notwendigmachen.Individuelle BetrachtungsweiseLetztlich ist für die Beurteilung, ob einePraxis aus Versorgungsgründen nicht erforderlichsein könnte, eine individuelle Betrachtungsweiseerforderlich, die nicht nurdie Eigenschaften der Praxis selbst berück-58 <strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>


sichtigt, sondern auch die Gegebenheitenvor Ort. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,wie sich bei Verzicht auf dieNachbesetzung die Versorgungslage darstellt.Eine Praxis, die versorgt, istnicht überflüssigMitteilungen der BundespsychotherapeutenkammerEin Indiz dafür, dass eine Praxis notwendigist, liegt auf der Hand: Die Praxis erfüllt ihrenVersorgungsauftrag. Ist dies beispielsweiseaufgrund von Krankheit nur begrenztder Fall, sollte bereits im Antrag auf Nachbesetzungbegründet werden, warum demso ist.BundespsychotherapeutenkammerWas der G-BA neu beschlossen hatBei der Neufassung der Bedarfsplanungs-Richtlinie hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) eigentlich nur die Planungsbereicheneu gefasst. Die alten Allgemeinen Verhältniszahlen (AVZ) hat er fortgeschrieben und an die neuen Raumordnungskonzepte undaktualisierten Einwohnerzahlen angepasst. Die Bedarfsplanungs-Richtlinie unterscheidet vier Versorgungsebenen: die hausärztlicheVersorgung, die allgemeine fachärztliche Versorgung, die spezialisierte fachärztliche Versorgung und die gesonderte fachärztliche Versorgung.Planungsbereiche sind bei der hausärztlichen Versorgung die sogenannten Mittelbereiche, die kleiner sind als die bisherigen Planungsbereiche(Landkreise und kreisfreie Städte). Sie erhalten alle eine einheitliche AVZ.Bei der allgemeinen fachärztlichen Versorgung einschließlich der Psychotherapeuten (zehn Arztgruppen) sind – wie bisher – grundsätzlichdie Landkreise und die kreisfreien Städte die Planungsbereiche. Von ihnen gibt es aber nunmehr nur noch fünf Typen und dieSonderregion Ruhrgebiet (statt neun und der Sonderregion Ruhrgebiet) mit jeweils einer anderen, aus den alten Zahlen abgeleitetenAVZ. Im Ruhrgebiet bleibt es bei der alten AVZ.Bei Psychotherapeuten wurde die AVZ für Planungsbereiche in ländlichen Regionen angepasst, sodass dort jetzt eine bessere Versorgungals bisher erreicht wird. In Großstädten, den Kernstädten der bisherigen Kategorie 1, geht der G-BA davon aus, dass 20 Prozentweniger Psychotherapeuten als 1999 für die Versorgung ausreichen – trotz durchschnittlicher Wartezeiten von acht bis neun Wochenauf ein Erstgespräch beim Psychotherapeuten und einem weiter ansteigenden Behandlungsbedarf bei psychischen Erkrankungen.Planungsbereiche für die spezialisierte fachärztliche Versorgung (vier Arztgruppen) sind die Raumordnungsregionen, die in der Regelaus etwa vier bis sechs Landkreisen bestehen. Alle erhalten die gleiche AVZ.Die gesonderte fachärztliche Versorgung (acht Arztgruppen) wird auf der Ebene des Bezirks der Kassenärztlichen Vereinigung (KV)beplant – also auf Ebene der Bundesländer mit Ausnahme von Nordrhein-Westfalen, das zwei KVen hat. Hier wurde eine einheitlicheVerhältniszahl neu festgelegt.Für die Arztgruppen wurde grundsätzlich ein Stichtag im Jahre 1990 festgelegt. Für Psychotherapeuten galt abweichend ein Stichtagim Jahr 1999, obwohl es die neu geschaffenen Berufe des Psychologischen Psychotherapeuten und des Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutenüberhaupt erst seit dem 1. Januar 1999 gab und somit keine entwickelten Versorgungstrukturen vorhanden waren.1990 wurde für die Ermittlung der AVZ der Durchschnitt Westdeutschlands zugrunde gelegt, 1999 hingegen der Durchschnitt Gesamtdeutschlands.Durch die Einbeziehung der aufgrund des Systemumbruchs weitaus ungünstigeren Versorgungslage in der ambulantenPsychotherapie in Ostdeutschland ergaben sich dadurch für die Arztgruppe „Psychotherapeuten“ schlechtere Verhältniszahlen als beiden anderen Arztgruppen. Dies wird nun fortgeschrieben. Der historische Planungsfehler wird nicht korrigiert.Bipolare Störungen auch psychotherapeutisch behandelnLange Zeit galt die bipolare Störung als eineKrankheit, die nur medikamentös behandelbarist. In den vergangenen Jahrensind jedoch auch wirksame psychotherapeutischeAnsätze in Ergänzung zur Pharmakotherapieentwickelt worden. Diesewaren das Thema einer BPtK-Veranstaltungim Dezember 2012 aus der Reihe „GutePraxis psychotherapeutische Versorgung“.Psychotherapie ergänztPharmakotherapieIn seinem Vortrag zur S3-Leitlinie „BipolareStörungen“ erläuterte Prof. Dr. MartinHautzinger (Universität Tübingen), dassPsychotherapie – immer in Ergänzung zueiner medikamentösen Behandlung –zwar nicht in den manischen Phasen, aberin den depressiven Phasen sowie zurRückfallprophylaxe wirksam sei. Wirksamkeitsnachweiselägen bisher für vier Therapieansätzevor: die kognitive Verhaltenstherapie,die familienfokussierte Therapie,die interpersonelle Rhythmustherapie sowiepsychoedukative Ansätze. Patientenmit bipolaren Störungen könnten häufignicht zwischen normalen und besonders<strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>59


BundespsychotherapeutenkammerMitteilungen der Bundespsychotherapeutenkammerstarken Veränderungen ihrer Stimmungenunterscheiden. Wichtiges Ziel in der Psychotherapiesei es deshalb, den Patientenfür Alarmsignale zu sensibilisieren, mit deneneine neue Krankheitsphase beginnenkann. Dies ermögliche es häufig, eine manischePhase z. B. durch tägliche Therapeutenkontakteund/oder eine Veränderungder Medikation abzufangen. Zudemsei es wichtig, den Patienten mögliche Risikofaktorenbewusst zu machen, zu denenein unregelmäßiger Schlaf-Wach-Rhythmus sowie Alkohol- und Drogenmissbrauchebenso wie eine unzureichendePharmakotherapie zählten. Das Rückfallrisikokönne durch die Kombination vonPsychotherapie und Pharmakotherapie umbis zu 40 Prozent verringert werden (verglichenmit der Standardbehandlung), ergänzteHautzinger.Phasenübergreifende therapeutischeBegleitungWie erfolgreich eine sektorenübergreifende,vernetzte Behandlung von Patientenmit bipolaren Störung sein kann, berichteteProf. Dr. Thomas Bock, Leiter der Spezialambulanzfür Psychosen und BipolareStörungen am UKE Hamburg. Die Zahlder stationären Behandlungen konnte im„Hamburger Modell“ halbiert werden. Eskam zu einer deutlichen Verringerung vonZwangseinweisungen und der Anteil derPsychotherapie an der Behandlung konntevon fünf auf 52 Prozent gesteigert werden.Gleichzeitig konnten die Kosten derGesamtbehandlung deutlich gesenkt werden.Bestandteile des integrierten Versorgungsmodellsseien eine kontinuierlicheBegleitung durch niedergelassene Psychiaterund Psychotherapeuten, Home-Treatment, eine Krisentagesklinik und eineKrisenstation sowie Selbsthilfegruppen.Alle Beteiligten verbinde außerdemeine psychotherapeutische Grundhaltung.Eine gute Beziehung sei die Voraussetzungfür eine erfolgreiche Medikationund nicht umgekehrt.Vernetzte Behandlung auchambulant möglichDass eine vernetzte und multiprofessionelleBehandlung auch in einer ambulantenPraxis möglich ist, zeigte der Vortrag vonDr. Britta Bernhard, niedergelassene Psychotherapeutinaus Olching bei München.Häufig wüssten Psychiater und Psychotherapeutenzu wenig über die Arbeit der jeweilsanderen Berufsgruppe. InterdisziplinäresWissen über bipolare Erkrankungenund Offenheit seien auf beiden Seitennotwendig für eine gute Zusammenarbeit.Eine vernetzte ambulante Behandlung belasseden Patienten in seinem gewohntenUmfeld und helfe somit, die Krankheitsbelastungzu verringern. Viele ambulanteMonika Konitzer, Vizepräsidentin der BPtKTherapeuten scheuten jedoch davor zurück,Patienten mit bipolaren Störungen zuübernehmen. Eine bessere Verankerungentsprechender Inhalte in Ausbildungscurriculaund Fortbildungsangeboten sei deshalbwünschenswert.Barrieren in den KöpfenabbauenDem pflichtete auch BPtK-VizepräsidentinMonika Konitzer in ihrem Schlusswort bei.Nach einer Studie der KassenärztlichenBundesvereinigung von 2012 tauchen bipolareStörungen unter den 20 häufigstenDiagnosen in der ambulanten psychotherapeutischenVersorgung nicht auf. Gemessenan dem hohen Anteil der Patienten,die wegen ihrer Erkrankung in Kontaktmit dem Gesundheitswesen waren, deutetdies auch auf Probleme hin, solche Patientenan ambulante Therapeuten zu vermitteln.v. l.: Prof. Dr. Martin Hautzinger, Prof. Dr. Thomas Bock, Dr. Britta Bernhard60 <strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>


Anstellung im Fokus – BPtK & ver.diMitteilungen der BundespsychotherapeutenkammerBundespsychotherapeutenkammerVergütung und Leitungsfunktionen vonPsychotherapeuten in Krankenhäusernund Rehabilitationskliniken waren die zentralenThemen der ersten gemeinsamenFachtagung der Bundespsychotherapeutenkammer(BPtK) und der Dienstleistungsgewerkschaftver.di am 18. Januar<strong>2013</strong> in Berlin, an der rund 70 Interessierteteilnahmen.Ausbildung und NiederlassungVer.di-Bundesvorstandsmitglied Ellen Paschkeschilderte in ihrem Grußwort den Einsatzihrer Gewerkschaft für eine neue Entgeltordnungim Gesundheitsbereich. BPtK-Vizepräsident Dr. Dietrich Munz erläuterte,dass bei der Entwicklung des Psychotherapeutengesetzesder Fokus auf der ambulantenVersorgung gelegen habe. Für denstationären Bereich fehle es daher zumTeil an den gesetzlichen Anpassungen imSGB V, um eine Gleichstellung von PsychologischenPsychotherapeuten (PP)und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten(KJP) mit Fachärzten sicherzustellen.Ein zweites zentrales Problem seider Status und die Bezahlung der Psychotherapeutenin Ausbildung (PiA) währendder „Praktischen Tätigkeit“. Bei der diskutiertenReform der Psychotherapeutenausbildungmüssen das Berufsbild weiterentwickeltund stärker die verschiedenen stationärenTätigkeitsfelder berücksichtigtwerden.Gleichstellung im stationärenBereichJohann Rautschka-Rücker, Geschäftsführerder Landespsychotherapeutenkammer Hessen,beschrieb die rechtlichen Besonderheitenim stationären Bereich: Das Nebeneinanderder gesetzgeberischen Kompetenzenvon Bund und Ländern, die ausgeprägtenHierarchien im Krankenhaus undden Machtanspruch des ärztlichen Berufsrechts.Der Begriff der Facharztgleichstellungsei rechtlich nicht definiert, sondernAusdruck professionellen Selbstverständnissesvon Psychotherapeuten aufgrundeiner gleichwertigen Qualifikation. PP undKJP erfüllten den Facharztstandard im Haftungsrechtaufgrund ihrer Befugnis zur Diagnostik,IndikationsstellungundpsychotherapeutischenBehandlungvon Störungen mitKrankheitswert.Entsprechend seienPP und KJPauch im Krankenhausstets selbstständigund eigenverantwortlichundnie als Heilhilfsberuftätig, auchwenn sie ggf. inAm Rednerpult: Ellen Paschke, Bundesvorstandsmitglied ver.diDelegation durcheinen Facharzt tätig seien. Bei der Krankenhausleitungdurch einen PsychotherapeutenPsychotherapeuten in Leitungsfunktionedochbestehe – so Rautschka-Rücker – je-ein Auslegungsproblem, weil PsychotherapeutenZum Abschluss fand eine Podiumsdiskussionkeine Krankenhausbe-zu Psychotherapeuten in Leitungsfunktionenstatt, die durch zwei Impulsrehandlungenveranlassen dürften.ferate der leitenden PsychotherapeutenAus tariflicher Sicht berichtete Frau GabrieleGröschl-Bahr, Bereichsleiterin Tarifpolitik,Gesundheit, Soziale Dienste, Wohlfahrtund Kirchen bei ver.di, über die seit überfünf Jahren laufenden Eingruppierungsverhandlungenim Gesundheitsbereich. Eineangemessene Berücksichtigung der psychotherapeutischenAusbildung in der Entgeltordnungund die facharztanaloge Eingruppierungund Vergütung von PP undKJP sei unvermindert das Verhandlungszielvon ver.di.Peter Missel, AHG-Kliniken Daun, undTilman Kluttig, Zentrum für Psychiatrie Reichenau,eingeleitet wurde. Die Beispielezeigten, dass die Übernahme von Leitungsfunktionendurch Psychotherapeutenhäufig Folge eines längeren Entwicklungsprozessesist, der eng mit deren gewachsenerKompetenz und Verantwortung zusammenhängt.Zukünftig sei es wichtig,dass die Stellen der sogenannten „LeitendenPsychologen“ tatsächlich mit Psychotherapeutenbesetzt würden und Stellenausschreibungensowohl für LeitungspositionenTarifarbeit und Mitbestimmungals auch auf Stationsebene für PPerfolgten. Eine Novellierung des Psychotherapeutengesetzessei eine Chance, diezu einer Erweiterung der Befugnisse vonPsychotherapeuten führen müsse, um insbesondereauch Einweisungen ins Krankenhausund Rehabilitationsbehandlungenveranlassen zu können.Praxisbeispiele erfolgreicher betrieblicherMitbestimmung und Tarifarbeit von Psychotherapeutenin Krankenhäusern stelltenJuliane Dohren und Klaus Thomsenvor. Diese Beispiele umfassten sowohl dieEinführung eines betrieblichen Gesundheitsmanagementswie auch den Abschlusseiner Rahmenvereinbarung zurAusbildung von PP und KJP im Pfalzklinikumbzw. im Damp-Tarifvertrag. In den Verhandlungenkonnten jeweils erfolgreichVergütungen von PiA, approbierten Psychotherapeutenund Psychotherapeutenin Leitungsfunktion erreicht werden, dieihren Tätigkeiten angemessen sind.GeschäftsstelleKlosterstraße 6410179 BerlinTel. 030 278785-0Fax 030 278785-44info@bptk.dewww.bptk.de<strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>61


Baden-WürttembergMitteilungen der LandespsychotherapeutenkammerBaden-WürttembergLiebe Kolleginnen und Kollegen,dieses Jahr werden wir uns beim Landespsychotherapeutentagam 22. Juni <strong>2013</strong>in Stuttgart dem Thema Arbeit und psychischeGesundheit zuwenden. Noch vorwenigen Jahren wurden Psychotherapeutengelegentlich belächelt, wenn sieauf die erkennbare Zunahme der Krankschreibungund Arbeitsunfähigkeit aufgrundpsychischer Erkrankungen aufmerksammachten. Zwischenzeitlich bestätigenStudien oder beispielsweise derStressreport 2012 der Bundesanstalt fürArbeitsschutz und Arbeitsmedizin 1 , dasspsychische Belastungen und Stress inder Arbeitswelt in den vergangenen Jahrenkontinuierlich zugenommen und sichseit 2006 „auf hohem Niveau stabilisiert“haben. Die subjektive Wahrnehmung derBelastung habe, so diese Studie, jedochbis heute ebenso zugenommen wie diedamit verbundenen Beschwerden, dieimmer häufiger mit dem Begriff Burnoutgekennzeichnet werden.Es ist unsere Aufgabe als Psychotherapeuten,den betroffenen Menschen Hilfe undBehandlung anzubieten. Wir haben jedochgleichzeitig die Aufgabe, zu verdeutlichen,dass die Menschen in der modernenArbeitswelt mit Arbeitsbedingungenkonfrontiert sind, die psychisch belastenund krank machen. Die Arbeitswelt darfnicht so gestaltet sein, dass persönlicheBelastungssituationen, mit denen wir alleimmer wieder konfrontiert sind, dazu führen,dass Betroffene dann über keine Ressourcenmehr verfügen, diese Krise durchzustehen,sondern psychisch dekompensieren.Dass persönliche Faktoren die psychischeBelastung mit beeinflussen, darfnicht als Begründung dienen, dass jederselbst Sorge für die Bewältigung der beruflichen(psychischen) Herausforderungen zutragen hat. Letztlich sind auch Arbeitgeberfür die Rahmenbedingungen von Arbeit verantwortlichund aufgefordert, entsprechendeMaßnahmen am Arbeitsplatz oder auchaußerhalb zu unterstützen.Neben den möglichen Ursachen psychischerBelastungen am Arbeitsplatz werdenwir uns beim Landespsychotherapeutentagmit Präventionsmaßnahmen und derFrage beschäftigen, was in der psychotherapeutischenBehandlungspraxis zu beachtenist, wenn Arbeitsbelastungen und/oder Mobbing eine bedeutsame Rolle fürdie psychische Erkrankung spielen. Hier istindividuelle psychotherapeutische Hilfe fürdie Betroffenen wichtig, sie kann jedochohne Änderung der Arbeitsbedigungen zukurz greifen, um einen Behandlungserfolglangfristig zu sichern.Bitte merken Sie sich den Termin des Psychotherapeutentagesvor, wir würden unssehr freuen, wenn wir Sie in großer Zahlbegrüßen dürften.Insbesondere wollten wir auch auf die gesundheitspolitischeDimension diesesThemas eingehen. Die große Zahl vonKrankschreibungen und Frühberentungenverdeutlicht den hohen Bedarf an psychotherapeutischenLeistungen. Die aktuellenVorgaben des Gemeinsamen Bundesausschusses(G-BA), dem bezüglich der Bedarfsplanunghöchsten Organ der gemeinsamenSelbstverwaltung in unseremGesundheitssystem, tragen diesem Bedarfallerdings wenig Rechnung. Die Bedarfsplanungszahlendes G-BA unterstellenin Baden Württemberg weiterhin in ca.25 Landkreisen eine Überversorgung! BeachtenSie zu diesem Thema neben unserenErläuterungen unten auch die Ausführungenauf den Seiten der Bundespsychotherapeutenkammer.Diese reflektierendie Lage im Bund und beleuchtenauch die Situation in Baden-Württemberg.Ihr KammervorstandDietrich Munz, Martin Klett,Kristiane Göpel, Birgitt Lackus-Reitter,Roland Straub1 Abrufbar unter www.baua.de/de/Publikationen/Fachbeitraege/Gd68.pdf?__blob=publicationFile&v=4Gespräch mit dem Schulpräsidenten des Regierungspräsidiums Freiburg bezüglichGanztagesschulen und Vereinbarung von PsychotherapieterminenWiederholt wurde an die Kammer die Befürchtungherangetragen, dass es Kindernund Jugendlichen in Ganztagesschulenschwerer möglich sei, regelmäßige Terminebei Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutenwahrzunehmen. Dies warAnlass für ein Gespräch mit dem Schulpräsidentenim Regierungspräsidium Freiburg,R. Bosch. Dieser erläuterte in demGespräch mit Mitgliedern des Kammervorstandes(Martin Klett, Dr. RolandStraub) und des Ausschusses PTI (UllrichBöttinger) zunächst ausführlich das Modellder Gemeinschaftsschulen und denStand der Umsetzung. Dabei wurde deutlich,dass nach dem von der aktuellenLandespolitik präferierten Modell der Gemeinschaftsschulengemeinsames Ler-62 <strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>


Baden-Württembergnen auch mehr Flexibilität bezüglich außerunterrichtlicherTermine bedeutenkann, da individuelles Lernen in diesemModell zentrales Anliegen ist. Von daherkönnten Kinder künftig prinzipiell sogarleichter z. B. für Psychotherapien freigestelltwerden, da sie keinen allgemeinenUnterrichtsstoff versäumen würden. Angedachtsei auch, dass die Schulen Räumebereitstellen, um individuelle Förderungan die Schule zu holen. Dadurchwären auch Räume an der Schule gegeben,die von verschiedenen Therapeutengenutzt werden könnten. Eine über diebestehenden gesetzlichen Regelungenhinausgehende sei, wie SchulpräsidentBosch hervorhob, nicht denkbar. Eine Unterrichtsbefreiungliege ja ohnehin im Verantwortungsbereicheines Schulleiters,pauschale Befreiungstatbestände vomUnterricht würden erhebliche neue Problemeschaffen.Die Frage nach dem Tätigkeitsfeld vonSchulpsychologen (die der Abteilung Schuleund Bildung der Regierungspräsidien zugeordnetsind) war ebenfalls Thema. Eswurde übereinstimmend festgestellt, dassdie Kammer bzw. Psychotherapeuten zwarnicht in Konkurrenz zu den Schulpsychologenstehen, dennoch bestehe seitens derKammer der Wunsch nach gegenseitigemAustausch, um ins Gespräch zu kommenüber die erhebliche Schnittmenge gemeinsamerschulbezogener Themen.Baden-WürttembergBerufs- und strafrechtliche Problemstellungen im psychotherapeutischen Praxisalltag– Veranstaltungen der LPK Baden-Württemberg in Heidelberg und TübingenIm Januar und Februar <strong>2013</strong> fanden, diesesmal in Heidelberg und Tübingen, wiederzwei gut besuchte Fortbildungsveranstaltungender LPK zu berufs- und strafrechtlichenProblemen im psychotherapeutischenPraxisalltag statt.Diese wurden von den KammeranwältenMichael Mächtel und Manfred Seeburgerdurchgeführt, jeweils ein LPK-Vorstandsmitglied(Kristiane Göpel, Birgitt Lackus-Reitter) sowie Ass. jur. Stephanie Tessmer,Ressort Recht der LPK-Geschäftsstelle, warenebenfalls anwesend.Dabei wurde insbesondere die Bedeutungder berufsrechtlichen Regelungenbezüglich Abstinenzgebot und Schweigepflichtsowie auch deren strafrechtlicheRelevanz thematisiert. Ein weitererSchwerpunkt der Veranstaltung lag in derErklärung und Darstellung des Ablaufsvon berufsrechtlichen Verfahren anhandvon anschaulichen Fallbeispielen. An dieserStelle wurde von den Zuhörern eineReihe von interessanten Fragen gestellt,welche die Referenten kompetent undpräzise beantworten konnten. Dabei betontendie Kammeranwälte, dass sie denZuhörern auch Ängste vor einer gegen siegerichteten Patientenbeschwerde nehmenwollten, die sich in den meisten Fällenals unbegründet erweise. Es zeigtesich ein deutliches Bemühen der Kammeranwältean einer Klärung der Sachverhalte,mit dem Ziel, sowohl der Kollegenschaftals auch den BeschwerdeführerInnen/PatientInnengerecht zu werden undwenn möglich auch die oft durch Missverständnisseentstandenen Konflikte beizulegen.In den lebhaften Diskussionen wurdedeutlich, wie viel Interesse an diesen Themenin der Mitgliedschaft besteht. Obwohlnun bereits in allen vier Landesteilendurchgeführt, ist mehrfach der Wunschnach einer Fortsetzung dieser interessantenund anregenden Veranstaltung geäußertworden. Dem wird die Kammer gernenachkommen.Reform der Bedarfsplanung durch den G-BA – Konsequenzen für diepsychotherapeutische Versorgung in Baden-WürttembergDer Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) wurde mit der Verabschiedung derletzten Gesundheitsreform durch das Versorgungsstrukturgesetzbeauftragt, dieRahmenbedingungen für die Bedarfsplanungneu festzulegen. Für die ärztlicheund psychotherapeutische Versorgungwurden nach Bevölkerungsdichte fünf Versorgungszonen(Kreistypen) festgelegtund die Versorgungsdichte, d. h. AnzahlPsychotherapeuten je hunderttausendEinwohner, neu definiert. Dabei wurde derMitversorgungsleistung größerer Städte fürdas Umland Rechnung getragen. Hierbeiwird der als notwendig erachtete Versorgungsgradan Psychotherapeuten im Vergleichzur bisherigen Bedarfsplanung inländlichen Gebieten höher, in städtischenund dicht besiedelten Regionen niedrigerals bisher festgelegt. So wird in der Bedarfsplanungsrichtliniebeispielsweise fürdie Landkreise Ostalbkreis, SchwäbischHall, Biberach, Neckar-Odenwald oder Hohenlohekreisdie Notwendigkeit neuer Psychotherapeutensitzegesehen. In den städtischenRegionen wie Freiburg, Heidelberg,Tübingen, Mannheim oder Stuttgart bleibendie Verhältniszahlen nahezu unverändert,sodass nach der Bedarfsplanungsrichtliniedort weiterhin eine nominell starkeÜberversorgung besteht. Es bleibt abzuwarten,wie der Landesausschuss, der mitversorgungspolitischen Begründungen regionaleAbweichungen von den Bedarfsplanungszahlenbeschließen kann, die Versorgungssituationin den als überversorgtausgewiesenen Regionen bewerten wird.Mehrere Krankenkassen haben unmissverständlichsignalisiert, dass sie in vielen Regioneneine Überversorgung im Bereichder Psychotherapie sehen und somit dortfrei werdende Sitze nicht nachbesetzt werdenmüssten. Die Kassenärztliche Vereinigunghat im Gegensatz hierzu mehrfachgeäußert, dass in keiner Region in Baden-Württemberg eine Überversorgung im BereichPsychotherapie festzustellen sei.Man darf gespannt sein, wie in den paritätischmit Vertretern der Leistungserbringerund den Kassen besetzten Zulassungsausschüssenmit den Neuausschreibungen innominell überversorgten Gebieten umgegangenwerden wird. Zwar muss bei Stimmengleichheitein Sitz erneut ausgeschrie-<strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>63


Mitteilungen der PsychotherapeutenkammerBaden-Württembergben werden, die Kassen können aber gegeneinen so zustande gekommen Beschlussdirekt vor Gericht klagen, dennhierbei wird der Beschluss nicht – wie ansonstenvorgeschrieben – im Berufungsausschussverhandelt.Die Nachfrage der Hilfe suchenden Patientenund die langen Wartezeiten für einErstgespräch und eine psychotherapeutischeBehandlung verdeutlichen, dass daspsychotherapeutische Behandlungsangebotbestehen bleiben muss. Hier sollteden Krankenkassen das Wohl aller psychischerkrankter Patienten wichtig sein –eine differenzierte und an der Notwendigkeitund dem Wunsch des Patienten orientierteBehandlung ist unbedingt in allenRegionen weiterhin sicherzustellen.Landespsychotherapeutentag <strong>2013</strong> – das Programm stehtDer Landespsychotherapeutentag <strong>2013</strong>stellt das Thema Arbeit und psychischeGesundheit bzw. Psychische Belastungenund Erkrankungen am Arbeitsplatz in denFokus. Viele inzwischen vorliegende Studienund Routinedaten, z. B. der gesetzlichenKrankenkassen, weisen seit Jahrenauf deutlich steigende Arbeitsunfähigkeitszeitenund -fälle aufgrund psychischer Erkrankungenhin. Sie gehen von einem Zusammenhangzwischen Arbeitsbedingungenund psychischen Erkrankungen aus.Zu diesem Thema haben wir hochkarätigeExperten mit langjährigen Erfahrungen anunterschiedlichen Schnittstellen gewinnenkönnen. Nach Grußworten von KammerpräsidentDr. Dietrich Munz und SozialministerinKatrin Altpeter werden Dr. GerhardBort und Prof. Joachim Bauer aus arbeitsmedizinischersowie aus präventiver Sichterläutern, welche Möglichkeiten zur Identifikationbestehen sowie auch vor allem zurVermeidung arbeitsbedingter psychischerErkrankungen. Dirk Scholtysik geht im Anschlussauf das Leistungsspektrum der GesetzlichenUnfallversicherung mit Fokus aufRehabilitation sowie Psychotherapie ein.Speziell mit dem Thema Mobbing am Arbeitsplatzund Arbeitsplatzkonflikten beschäftigtsich seit vielen Jahren MichaelZiegelmayer. Er konzentriert sich in seinemBeitrag u. a. auch auf die möglichen Konsequenzenfür die ambulante Psychotherapie.Abschließend zeigt Dr. Andrea Wittichbzgl. des für Gesundheitsberufe wichtigenPROGRAMMLandespsychotherapeutentag <strong>2013</strong>„Arbeit und Psychische Gesundheit – Psychische Belastungen/Erkrankungen am Arbeitsplatz“Samstag, 22.06.<strong>2013</strong> – Le Méridien, Willy-Brandt-Straße 30, Stuttgart10:15 Begrüßung (Dr. Dietrich Munz, Präsident)10:20 Grußwort (Katrin Altpeter, MdL, Ministerin für Arbeit und Sozialordnung,Familie, Frauen und Senioren Baden-Württemberg)10:45 Prävention und Identifikation psychischer Belastungen und Erkrankungen amArbeitsplatz aus arbeitsmedizinischer Sicht (Dr. Gerhard Bort, SozialministeriumBaden-Württemberg, Referat 45 Arbeit und Gesundheit)11:30 Gesundheitsprävention durch Stärkung der Beziehungskompetenz: Lehrercoachinggruppennach dem Freiburger Modell (Prof. Dr. Joachim Bauer, Univ.-Klinikum Freiburg)12:15 Mittagspause13:30 Leistungsspektrum und Reha-Management der Gesetzlichen Unfallversicherungbei psychischen Störungen (Dirk Scholtysik, DGUV Berlin)14:15 Mobbing und Arbeitsplatzkonflikte als Hintergrund psychischer Erkrankungen– Konsequenzen für die psychotherapeutische Behandlung (Michael Ziegelmayer,Reha-Klinik Glotterbad, Glottertal)15:00 Arbeitsplatz Krankenhaus: Wenn Beschäftigte psychologische Unterstützungbrauchen (Dr. Andrea Wittich, Univ.-Klinikum Freiburg)15:45 Abschlussdiskussion: Podium & Plenum17:00 EndeArbeitsplatzes Krankenhaus die dort häufigvorkommenden arbeitsbedingten Belastungenund Erkrankungen auf und thematisiertdie Möglichkeiten der gemeinsamenBewältigung u. a. durch kontinuierliche Supervisions-und Coachingarbeit.Wir würden uns sehr freuen, wenn diesefür unsere psychotherapeutische Arbeitbedeutsamen Themen Ihr Interesse findenwürden und Sie viele Impulse mitnehmenkönnten. Wir laden Sie sehrherzlich dazu ein!Planungen zur Verbesserung stationärer und teilstationärerKinder- und JugendpsychiatrieDie Behandlungskapazitäten der KinderundJugendpsychiatrischen Kliniken in Baden-Württembergwaren wiederholt alsnicht ausreichend kritisiert worden. DieLandesregierung hat deshalb 2008 beschlossen,die stationäre und teilstationäreVersorgung in der Kinder- und Jugendpsychiatrieund -psychotherapie zu verbessern.Die damaligen Beschlüsse wurdenzwischenzeitlich umgesetzt und es wurdeeine erste Umfrage in den Kliniken durchgeführt.Zur Bewertung der Umfrage undzur Überprüfung des aktuellen Standes derstationären und teilstationären psychiatrischenund psychotherapeutischen Versor-64 <strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>


Baden-Württemberggung von Kindern und Jugendlichen wurdevom Landeskrankenhausausschuss eineArbeitsgruppe einberufen, in der nebenden leitenden Ärzten der Einrichtungenund der Landeskrankenhausgesellschaftauch die Kassenärztliche Vereinigung sowiedie Landesärzte- und Landespsychotherapeutenkammereingeladen wurden.In Baden-Württemberg sollen in den über30 Einrichtungen zur stationären und teilstationärenVersorgung zukünftig 872 Behandlungsplätzezur Verfügung stehen, vondenen schon jetzt 586 Betten und 240 tagesklinischePlätze eingerichtet sind.Der größte Anteil der behandelten Kinderund Jugendlichen ist zwischen 11 und 15Jahre alt (knapp 3.500 Patienten), gefolgtvon den 16 bis 18-Jährigen (2.150 Fälle)und den 6 bis 10-Jährigen (mit 1.370 Patienten).Die häufigsten Diagnosen sinderwartungsgemäß aus dem Bereich derICD-10-Ziffern F90 bis F99 (Verhaltensundemotionale Störungen mit Beginn inder Kindheit und Jugend, 2.702 Fälle),auffallend viele Kinder und Jugendlichewerden jedoch auch mit Diagnosen F40bis F49 (Neurotische, Belastungs- undsomatoforme Störungen, 1.150 Fälle) sowiemit affektiven Störungen (F30 bisF39, 844 Fälle) stationär und tagesklinischbehandelt. Die Behandlungsdauernsind in allen Krankenhäusern sehr heterogen,zwischen 26 und 81 Tagen bei stationärerund 5 bis 48 Tagen im teilstationärenBereich. Krankenhäuser, die über eineTagesklinik verfügen, weisen im stationärenBereich eine kürzere durchschnittlicheVerweildauer auf.Die Arbeitsgruppe wird sich anhand dieserUmfrageergebnisse damit befassen, wiedie stationäre und teilstationäre Versorgungverbessert werden kann. Hierbei istzu prüfen, wie eine verbesserte sektorübergreifendeVersorgung geschaffen werdenkann, um die ambulante Weiterbehandlungsicherzustellen. Hierzu ist einebessere Zusammenarbeit auch mit KinderundJugendlichenpsychotherapeuten erforderlich,die jedoch nur regional organisierbarsein wird.Baden-WürttembergTerminePsychotherapeutische Notfallversorgungam 23.03.<strong>2013</strong> in Freiburg mit PDDr. G. Pieper und Prof. Dr. J. Bengel. Ziele:Auffrischung des Kenntnisstands und Informationüber die Organisation der Notfallversorgung.9 Fortbildungspunkte.Übersicht: Diagnostik von Belastungsstörungen,Frühinterventionen und psychologischeVersorgung, Strukturen der Notfallversorgung.Termin: Samstag 23.3.<strong>2013</strong>, 10.00 bis 17.00 Uhr, Ort: KVBW,Sundgauallee 27, 79114 Freiburg. Teilnehmerzahl:100, Teilnahmegebühr:kostenfrei.GeschäftsstelleJägerstraße 40, 70174 StuttgartMo – Do 9.00 – 12.00, 13.00 – 15.30 UhrFreitag 9.00 – 12.00 UhrTel. 0711 / 674470-0Fax 0711 / 674470-15info@lpk-bw.de; www.lpk-bw.deBekanntmachung der Landespsychotherapeutenkammer Baden-WürttembergZweite Satzung zur Änderung der Hauptsatzung derLandespsychotherapeutenkammer Baden-WürttembergVom 24. März 2012Die Vertreterversammlung der Landespsychotherapeutenkammer Baden-Württemberg hat am 24. März 2012 folgende Satzung zur Änderung der Hauptsatzungder Landespsychotherapeutenkammer Baden-Württemberg in der Fassung vom 17. März 2007 (<strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 2/2007, S. 167, EinhefterS. 2), zuletzt geändert durch Satzung zur Änderung der Hauptsatzung vom 13. Oktober 2007 (<strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/2008, S. 44, EinhefterS.1), beschlossen:§ 11. § 7 der Hauptsatzung wird wie folgt geändert:1.1 In Absatz 1 Satz 1 werden die Worte „vierJahre“ ersetzt durch die Worte „fünf Jahre“.1.2 Absatz 4 wird wie folgt neu gefasst:„Die Amtszeit der Mitglieder des gemeinsamenBeirats beträgt vier Jahre. § 7 Abs. 3 S. 2 giltentsprechend für die Berufung der Mitgliederdes gemeinsamen Beirats. Die näheren Einzelheitenregelt § 24 dieser Satzung.“§ 2Ermächtigung zur NeubekanntmachungPräsident und Schriftführer werden ermächtigt,den Wortlaut der Hauptsatzung in der zum Zeitpunktgeltenden Fassung mit neuer Paragraphen-und Nummerierungsfolge bekannt zumachen sowie Unstimmigkeiten des Wortlautszu beseitigen.§ 3In-Kraft-TretenDie vorstehende Satzung zur Änderung derHauptsatzung tritt am 08.02.2014 in Kraft.Vorstehende Satzung der LandespsychotherapeutenkammerBaden-Württemberg wird nachGenehmigung des Ministeriums für Arbeit undSozialordnung, Familien und Senioren Baden-Württemberg 27.02.<strong>2013</strong> vom (Az.: 5415.2-4.5.1) hiermit ausgefertigt und ist bekannt zumachen.Stuttgart, den 11.03.<strong>2013</strong>gez. Dipl.- Psych. Dr. Dietrich MunzPräsident derLandespsychotherapeutenkammer<strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>65


BayernMitteilungen der BayerischenLandeskammer der PsychologischenPsychotherapeuten undder Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten„Überwindung der Sektoren in der psychotherapeutischen Versorgung“:Nikolaus Melcop bei Fachtagung zu PEPP im Bayerischen LandtagKammerpräsident Melcop hielt am30.1.<strong>2013</strong> im Bayerischen Landtag einenVortrag zum Thema „Überwindung der Sektorenin der psychotherapeutischen Versorgung“im Rahmen der Veranstaltung „Daspauschalierende Entgeltsystem für Psychiatrieund Psychosomatik (PEPP) – Lernenstatt Stillstand!“ vor ca. 120 Vertreter/innenaus Politik und psychiatrischen und psychosomatischenInstitutionen. Veranstalter warendie Barmer GEK Bayern und HealthcareBayern e. V., Schirmherrin Staatsministerina. D. Christa Stewens. Ausgehend von deraktuellen psychotherapeutischen Versorgungslagebetonte Melcop die Bedeutungder Psychotherapie bei der Behandlungpsychischer Erkrankungen und die fehlendenKapazitäten im ambulanten und stationärenBereich. Für eine Verbesserung derVersorgung, insbesondere in Bezug auf dieSektorengrenzen, sei eine Verbesserung derPrävention und die Stärkung der psychotherapeutischenAkutversorgung erforderlich –z. B. mithilfe von offenen Sprechstunden,Krisendiensten sowie Beratungs- und Gruppenangeboten.Wichtig seien auch verstärktekonzeptionell-fachliche und personelleVerknüpfungen zwischen dem ambulantenund stationären Sektor. Eine entscheidendeRolle spiele schließlich die systematischePlanung und Vorbereitung der ambulantenWeiterbehandlung. Für die Versorgung vonPatient/innen mit schweren psychischenErkrankungen seien unterschiedliche Lösungsansätzedenkbar wie u. a. die Einführungvon Fallpauschalen, eine bessere Vergütungvon Haus- und Krankenhausbesuchenund Erhaltungstherapie.Insgesamt seien Qualitätsstandards mitPsychotherapie als zentralem Angebot,eine sektorübergreifende Bedarfsplanungund ausreichende finanzielle Ressourcenerforderlich. In die weiteren Diskussionenum Qualitätsstandards in der Versorgungsollten insbesondere die fachlichen Anforderungenvon den Beteiligten deutlich aktiverals bisher eingebracht werden.In den drei anderen Vorträgen wurden gesundheitsökonomischeAspekte, Versorgungsdatenund Chancen des PEPP ausSicht der Krankenkasse und – aus Sicht derpsychiatrischen Kliniken – Gefahren für dieKammerpräsident Nikolaus Melcop imBayerischen Landtag.(Foto: Nina Sarubin)Patientenversorgung bei der Umsetzungdes PEPP referiert. In der Diskussion wurdedann die Sorge vor einer rein ökonomischenOrientierung mit Nachteilen für diePatientenversorgung mehrfach von denTeilnehmenden hervorgehoben. Chancendes PEPP wurden benannt, z. B. aus Sichtder psychosomatischen Kliniken.Rund 280 neue KV-Sitze ab Herbst in Bayern, aber viele Gebieteangeblich „überversorgt“Am 1.1.<strong>2013</strong> ist nun die neue Bedarfsplanungsrichtliniein Kraft getreten, mit derauch eine neue Verteilungssystematik fürSitze in der ambulanten Versorgung gesetzlichKrankenversicherter einhergeht. Wirgehen derzeit davon aus, dass ca. 280neue Niederlassungsmöglichkeiten in denländlichen Regionen Bayerns entstehenund gleichzeitig weite Teile Bayerns als„überversorgt“ ausgewiesen werden. BisMitte Februar liegen jedoch noch keineendgültigen Zahlen vor, wie viele Sitze inwelchen Regionen genau neu ausgewiesenwerden. Auf der Grundlage der neuenRichtlinie und des sog. Bedarfsplans wirddas zuständige Gremium, „Landesausschuss“,in dem Vertreter der Krankenkassenund der KV entscheiden, die gültigenZahlen für die verschiedenen Regionenvoraussichtlich im Sommer bekannt geben.Danach werden freie Sitze offiziell ausge-66 <strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>


Bayernschrieben und dann Bewerbungen daraufmöglich sein. Schon seit 1. Januar gilt dieRegelung, dass Sitze, die in Gebieten mitausgewiesener sog. „Überversorgung“ abgegebenwerden, vom Zulassungsausschussnur unter bestimmten Bedingungenauch für die Weitergabe freigegebenwerden können. Nach dem aktuell nochgültigen Bedarfsplan gilt ganz Bayern als„überversorgt“. Zu den Bedingungen für eineWeitergabe zählen Versorgungsnotwendigkeitenoder die Weitergabe an sog. privilegiertePersonen (Ehepartner, Kinder, BerufsausübungsgemeinschaftspartnerundAngestellte). Auch wenn wir momentanannehmen, dass die Zulassungsausschüssein Bayern die Versorgungsnotwendigkeitenvernünftig einschätzen und Weitergabenvon Sitzen an Kolleg/innen nicht aufgrundvermeintlicher „Überversorgung“verhindern werden, sollten sich Kolleg/innen,die einen KV-Sitz in der nächsten Zeitabgeben wollen, bitte möglichst frühzeitiggut informieren! Weitere Informationenentnehmen Sie bitte auch den Informationender Berufsverbände und der KassenärztlichenVereinigung Bayerns.BayernBehandlungsmöglichkeiten bei Onlinesucht: Kammer nimmt zum Beschlussdes Bayerischen Landtags Stellung, die Staatsregierung möge berichtenDie PTK Bayern hat gegenüber dem BayerischenStaatsministerium für Umwelt,Gesundheit und Verbraucherschutz Stellungbzgl. aktueller wissenschaftlicher Erfolgsprognosenvon psychotherapeutischenBehandlungsmöglichkeiten bei PathologischemInternetgebrauch (PI) genommen.Ungeachtet einiger noch ungeklärterForschungsfragen in dem jungenForschungsfeld sind sich Fachleute einig,dass PI Krankheitswert erlangen und zuerheblichen Folgeschäden für die Betroffenen,ihr soziales Umfeld und die Gesellschaftführen kann. Wirksamkeitsnachweisefür wissenschaftlich anerkannte psychotherapeutischeVerfahren bei der Behandlunganderer Abhängigkeitserkrankungen,die seit Jahren vorliegen, lassensich einigen Therapiestudien zufolge aufPI mit guten Behandlungserfolgen übertragen,insbesondere die psychotherapeutischeBehandlung mit kognitiv-verhaltenstherapeutischerAusrichtung. Auchpsychodynamische Psychotherapieverfahrenkönnen aufgrund ihrer Evidenzbasierungzur Behandlung von PI empfohlenwerden, v. a. bei Vorliegen komorbiderpsychischer Störungen, für die sich psychodynamischePsychotherapieverfahrenbewährt haben.Psychotherapie mit alten Menschen: erfolgreich, aber noch viel zu seltenAm 8.12.2012 fand in Nürnberg die gemeinsammit der Kassenärztlichen VereinigungBayerns (KVB) organisierte FortbildungsundInformationsveranstaltung „Psychotherapieim Alter“ statt. Nach der Eröffnung referierteProf. Meinolf Peters, Honorarprofessoran der Universität Marburg und Geschäftsführerdes Instituts für Alternspsychotherapieund angewandte Gerontologie,zum Thema „Psychodynamische Psychotherapieüber Sechzigjähriger“. Peters ludmit seinem Vortrag zur Selbstreflexion undReflexion der therapeutischen Beziehungmit Patient/innen über 60 sowie der entwicklungspsychologischenAufgaben alterMenschen ein. Danach hielt Prof. MartinHautzinger, Leiter der Abteilung für KlinischePsychologie und Entwicklungspsychologiean der Universität Tübingen, einenVortrag mit dem Titel „Integrative kognitiveVerhaltenstherapie bei Älteren“. Über diePsychotherapie im engeren Sinne hinausstellte Hautzinger dar, welchen Beitrag einverhaltenstherapeutischer Ansatz auch beider konkreten Bewältigung von Erkrankungenwie Demenz, Parkinson, Diabetes o. ä.leisten kann. Vertiefende Workshops derbeiden Referenten am Nachmittagrundeten die Veranstaltung ab. Die Präsentationender Fachvorträge der beiden Expertenkönnen auf der Kammerwebsite in unsererMeldung vom 14.12.2012 heruntergeladenwerden.Jubiläumsbroschüre anfordern: Erinnerungsreise in die letzten zehn Jahreder PTK BayernLiebe Kammermitglieder, kommen Siemit auf eine kleine Erinnerungsreise indie letzten zehn Jahre der PTK Bayern.Fordern Sie sich die Broschüre an, die wirdazu erstellt haben. Vor zehn Jahren wähltenunsere Kammermitglieder zum erstenMal ihre Vertreter in die Delegiertenversammlungund die Delegierten den Vorstand– die Gründung der PsychotherapeutenkammerBayern war vollzogen. Die Broschürelässt Stationen der Entwicklung derBerufsvertretung der bayerischen PsychologischenPsychotherapeut/innen und derKinder- und Jugendlichenpsychotherapeut/innen abwechslungsreich und mit vielen Fotosnoch einmal Revue passieren. Wir möchtendamit die Meilensteine der ersten Dekadeunserer Kammer dokumentieren undzum Erinnern und Nachdenken anregen.Diejenigen Mitglieder, die sich für dieFestveranstaltung am 26.4.<strong>2013</strong> angemeldethaben, erhalten die Broschüre andiesem Tag persönlich. Alle andere könnensich auch – bereits jetzt – ein Exemplarder Festschrift sichern, indem Sieuns per E-Mail an info@ptk-bayern.deeine Bestellung schicken, die wir nachdem Druck ausführen werden.<strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>67


Mitteilungen der PsychotherapeutenkammerÜber 300 Teilnehmer/innen bei PiA-Demo in MünchenBayernDer Aufruf war erfolgreich: Am 14.11.2012versammelten sich um 12 Uhr in Münchenam Wittelsbacherplatz Psychotherapeut/innen in Ausbildung (PiA), Studierende,approbierte Psychotherapeut/innen undVertreter/innen von Verbänden zur Auftaktkundgebung.Mit dabei auch die VorstandsmitgliederBirgit Gorgas und BenediktWaldherr, die die Unterstützung derPTK Bayern bekräftigten. Während der gesamtenVeranstaltung machten die PiAund ihre Mitstreiter/innen mit Trillerpfeifen,Schlusskundgebung vor der Bayerischen Staatskanzlei. Lisa Brendel, PiA-Sprecherin für diePTK Bayern (rechts außen am Banner), erläuterte die Forderungen der PiA nach Vergütungund Ausbildungsreform. (Foto: Marie Schneider)Vorstandsmitglied Birgit Gorgas ermutigtedie Teilnehmer/innen, sich weiter für ihreRechte und die notwendige Reform derAusbildung einzusetzen.(Foto: Marie Schneider)Megafonen und Slogans wie „Null Eurosind ein Hohn – drum fordern wir mehrLohn“ auf sich aufmerksam und verteiltenFlugblätter an Passant/innen. Am gleichenTag gingen PiA bundesweit in weiterenzehn Städten auf die Straße, um für eineReform der Ausbildung und damit eineVerbesserung der Bedingungen zu demonstrieren.In Berlin wurden dem Bundesgesundheitsministeriumrund 9.000Protest-Unterschriften überreicht. DiePresseinformationen der PiA aus Bayernund Berlin finden Sie in unserer Homepagemeldungvom 19.11.2012.Kammer informiert über rechtliche Fragestellungen bei derBehandlung von Kindern und JugendlichenAm 15.12.2012 fand in München eine Fortbildungsveranstaltungder Kammer zu denbesonderen rechtlichen Fragestellungenbei der Behandlung von Kindern und Jugendlichenstatt. Vizepräsident Peter Lehndorfererläuterte in seiner Einführung, dassdie Arbeit mit Kindern und Jugendlichenneben den fachlichen Besonderheitenauch in einen rechtlichen Rahmen eingebettetist, der sich auf unterschiedlicheRechtsbereiche wie z. B. das Berufsrecht,das Sozialrecht und das Zivilrecht erstreckt.Im Anschluss stellte Thomas Schmidt,Rechtsreferent der Kammer, typische rechtlicheKonstellationen dar, die häufig auch inAnfragen an die Kammer thematisiert werden.Schwerpunkte waren neben Grundzügendes Rechts derelterlichen Sorgeinsbesondere Fragender Aufklärungund der wirksamenEinwilligung in eineBehandlung sowiedie Themen Schweigepflichtund Einsichtnahmein diePatientenakte. Dabeiwurde auch aufdas durch den BundestagverabschiedetePatientenrechtegesetzeingegangen.Zudem wurdenThomas Schmidt (links), Rechtsreferent der PTK Bayern, mitVizepräsident Peter Lehndorfer. (Foto: Johannes Schuster)68 <strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>


Bayerndie praktischen Auswirkungen des Anfang2012 in Kraft getretenen Gesetzes zur Kooperationund Information im Kinderschutz(KKG) diskutiert. Bei Anhaltspunkten füreine Kindeswohlgefährdung sieht dessen§ 4 vor, dass Psychotherapeut/innen unterbestimmten Voraussetzungen die Situationauch mit den Personensorgeberechtigtenerörtern oder bei diesen auf die Inanspruchnahmevon Hilfen hinwirken sollen.Auch eine Befugnis zur Information des Jugendamtsist dort näher geregelt. WeitergehendeInformationen zu diesen Themenhaben wir für Sie im Mitgliederbereich derKammerwebsite bereitgestellt.Fortbildung „Pathologisches Glücksspielen – Know-how für Psychotherapeut/innen“Die Expert/innen der Fortbildungsveranstaltung (v. l.): Dr. Jörg Petry, Dr. Volker Premper, Dr.Felix Wedegärtner, Kammerpräsident Nikolaus Melcop, Eva Korell und Konrad Landgraf.(Foto: Astrid Petersdorff)Die Bayerische Akademie für Sucht- undGesundheitsfragen (BAS) und die LandesstelleGlücksspielsucht in Bayern (LSG)waren Kooperationspartner der PTK Bayernfür die Fortbildungsveranstaltung „PathologischesGlücksspielen – Know-howfür Psychotherapeut/innen“ (26.1.<strong>2013</strong> inMünchen). Kammerpräsident NikolausMelcop betonte bei seiner Eröffnung vorknapp 60 Kolleg/innen die gesellschaftlicheRelevanz der Glücksspielsucht und diedringende Notwendigkeit besserer und effektiverstaatlicher Regulierungen als präventiveMaßnahmen einerseits als auchdie eines größeren Angebots an niedrigschwelligenund effektiven Behandlungsangeboteninsbesondere durch Psychotherapeut/innenandererseits. KonradLandgraf, Geschäftsführer der LandesstelleGlücksspielsucht, stellte die Arbeit der LSGvor und wies in seiner Begrüßung u. a. aufdas Online-Präventionsspiel „Spielfieber“für Jugendliche im Alter von 13 bis 17 Jahrenhin. Eva Korell, Psychologische Psychotherapeutin,erläuterte die Grundlagen pathologischenGlücksspielens, Dr. VolkerPremper, AHG Klinik Schweriner See,Lübs torf, informierte über Diagnostik undKomorbidität und Behandlungsansätze.Dr. Jörg Petry, Allgemeine Hospitalgesellschaft(AHG), Düsseldorf, führte im erstenWorkshop in das Thema „TherapeutischeMethoden der Behandlung von pathologischenGlücksspielern“ ein. Dr. Felix Wedegärtner,Medizinische Hochschule Hannover,stellte die Psychodynamik der Glücksspielsuchtund entsprechende Behandlungsansätzevor. Die Präsentationen derFachvorträge der Experten haben wir aufunserer Website in unserer Homepagemeldungvom 29.1.<strong>2013</strong> zum Herunterladenbereitgestellt.BayernKurznachrichten11. Suchtforum in Nürnberg mit230 Teilnehmer/innen ausgebuchtDer Titel der beiden Suchtforen 2012 inMünchen (18.4.) und Nürnberg (7.12.) war„Ältere Süchtige – Süchtige Ältere“. Zielwar es auch in Nürnberg, sämtlichen Gesundheitsberufenein gemeinsamesGrundwissen zum Thema „Sucht im Alter“zu vermitteln. Melanie Huml, Staatsekretärinim Bayerischen Gesundheitsministerium,sagte in ihrem Grußwort: „ÄltereSuchtkranke leiden oft im Verborgenen.Die Behandlung von Suchterkrankungengibt Menschen in jedem Alter die Chance,ihre Lebensqualität und Würde bis ins hoheAlter zu bewahren.“Begrüßungsveranstaltung fürneue MitgliederRund 70 neuapprobierte Mitglieder undca. 40 PiA, die zum ersten Mal mit eingeladenwurden, nahmen an der Veranstaltungam 19.1.<strong>2013</strong> in München teil. NikolausMelcop informierte über die Aufgaben unddie Struktur der Kammer. VizepräsidentBruno Waldvogel ging auf die Fortbildungsrichtlinieund die Berufsordnung ein.Neu: <strong>Psychotherapeutenjournal</strong>für PiAAusbildungsteilnehmer/innen in der Psychotherapieausbildungan Instituten inBayern können künftig auf Anfrage das<strong>Psychotherapeutenjournal</strong> erhalten – dieKosten übernimmt die PsychotherapeutenkammerBayern.Bei Interesse kann an uns eine E-Mail mitden vollständigen Adressdaten sowie einemAusbildungsnachweis (z. B. kurze schriftlicheBestätigung des Ausbildungsinstituts) geschicktwerden: pia@ptk-bayern.de.Weitere Aktivitäten derKammerEinige der weiteren Veranstaltungen undAktivitäten, die von der Kammer initiiertbzw. an denen sie teilgenommen hat: 25Jahre Aids-Beratungsstellen in Bayern am30.11.2012; Mitgliederversammlung desGesundheitsbeirates der Landeshauptstadt<strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>69


Mitteilungen der PsychotherapeutenkammerBayernMünchen am 5.12.2012; Sitzung des Beiratsdes Münchner Bündnisses gegen Depressionam 5.12.2012; 18. Sitzung des Landesgesundheitsratesam 10.12.2012; BayerischeKrankenhausgesellschaft: Jahreshauptversammlungund Fachgespräch mitdem Geschäftsführer der BKG, SiegfriedHasenbein, am 14.12.12 und 23.1.13; „Entzugskost– Zum 70. Jahrestag des Hungererlassesdes Bayerischen Innenministeriums“am 10.1.<strong>2013</strong>; „Neue Perspektiven fürdie Psychotherapeutenausbildung“ (HamburgerImpulse und AG des Länderrats) am16.1. und 17.1.<strong>2013</strong>; Mitgliederversammlungder Landeszentrale für Gesundheit in Bayern(LZG) am 22.1.<strong>2013</strong> (VorstandsmitgliedHeiner Vogel wurde in neuen Vorstand gewählt);Verabschiedung des Vorstandsvorsitzendender Bayerischen Versorgungskammerund Amtseinführung seines Nachfolgersam 25.1.<strong>2013</strong>; Gründungssitzungder Landesarbeitsgemeinschaft Präventionam 31.1.<strong>2013</strong>; Fachgespräch zur Bedarfsplanungin der Kammer mit Vertreter/innenvon Berufsverbänden und Zulassungsausschüssenam 2.2.<strong>2013</strong>; Gespräch mit demVorstand der KVB zu Versorgungs-, Vergütungs-und Ausbildungsfragen am19.2.<strong>2013</strong>.BevorstehendeVeranstaltungen10-Jahres-Jubiläum der PTK Bayern und5. Bayerischer Landespsychotherapeutentag(LPT): Festveranstaltung am26.4.<strong>2013</strong>; LPT am 27.4.<strong>2013</strong>. Beide Veranstaltungenfinden im Münchener Gasteigstatt und sind nahezu ausgebucht. Essind nur noch wenige Restplätze über eineWarteliste frei.Kernkompetenzen in Leitungsfunktionen:Einführungskurs für PP und KJP inFührungsfunktionen. Termin: 5.6.<strong>2013</strong>,10.00 bis 18.15 Uhr in München.Betriebswirtschaftliche und juristischeNiederlassungsberatung: Vortrag mit denSchwerpunkten u. a. „Elemente des Businessplanes,Finanzierungsvoraussetzungenund Fördermöglichkeiten, rechtlicheund steuerliche Fragen“. Termin: 19.7.<strong>2013</strong>,10.00 bis 14.15 Uhr in München.Psychotherapie bipolarer Störungen(Workshop): Termin: 19.10.<strong>2013</strong>, 10.00 bis14.00 Uhr in München.Weitere Veranstaltungen inPlanungPsychoonkologie: Eine Fortbildungs- undInfoveranstaltung der PTK Bayern und derKVB. Termin: 24.7.<strong>2013</strong> in Augsburg.Psychoonkologie: Eine Fortbildungs- undInfoveranstaltung der PTK Bayern und derKVB. Termin: 23.10.<strong>2013</strong> in Nürnberg.Philosophie und Psychotherapie: SindEmotionen Kognitionen? Termin:9.11.<strong>2013</strong> in München.Die Berufsordnung unter Berücksichtigungdes Patientenrechtegesetzes:23.11.<strong>2013</strong> in München.Psychotherapie mit alten/älteren Menschen:Eine Fortbildungs- und Infoveranstaltungder PTK Bayern und der KVB. Termin:7.12.<strong>2013</strong> in Augsburg.Schmerz: Eine Fortbildungs- und Infoveranstaltungder PTK Bayern und der KVB.Termin: 11.12.<strong>2013</strong> in Regensburg.Nähere Informationen und Programmezu den Veranstaltungen sowie Anmeldeformularefinden Sie zeitnah auf unsererHomepage: www.ptk-bayern.deVorstand der Kammer:Nikolaus Melcop, Peter Lehndorfer,Bruno Waldvogel, Birgit Gorgas,Anke Pielsticker, Heiner Vogel,Benedikt Waldherr.12. Suchtforum mit dem Titel „Neue Drogenhat das Land“ in Kooperation mit derBayerischen Akademie für Sucht- und Gesundheitsfragen(BAS), der BayerischenLandesärztekammer und der BayerischenLandesapothekerkammer. 1. Termin:10.4.<strong>2013</strong>, 13.30 bis 18.00 Uhr in München.2. Termin: 24.7.<strong>2013</strong> in Nürnberg.Psychotherapie mit alten/älteren Menschen:Eine Fortbildungs- und Infoveranstaltungder PTK Bayern und der KVB. Termin:21.9.<strong>2013</strong> in München.Schmerz: Eine Fortbildungs- und Infoveranstaltungder PTK Bayern und der KVB.Termin: 25.9.<strong>2013</strong> in Nürnberg.GeschäftsstelleSt.-Paul-Str. 9, 80336 MünchenPost: Postfach 151506, 80049 MünchenTel. 089 / 51 55 55-0, Fax -25Mo – Do 9.00 – 15.30,Fr 9.00 – 13.00 Uhrinfo@ptk-bayern.dewww.ptk-bayern.de70 <strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>


Mitteilungen der PsychotherapeutenkammerPsychisches Trauma – therapeutische Perspektiven – eine Veranstaltung im Rahmender Reihe „Kammermitglieder stellen ihre Arbeit vor“ am 17.1.<strong>2013</strong>BerlinDorothee Hillenbrand,VizepräsidentinIm Bereich der Traumaforschung und -behandlunghat sich in den letzten Jahrzehntenviel bewegt, neurologische Erkenntnissewurden integriert, Behandlungsmethodenentwickelt, wissenschaftliche Disputeum die Zukunft „der“ Traumatherapie werdeninnerhalb der Profession und interdisziplinärgeführt. Der Ausschuss „Aus-, FortundWeiterbildung“ der Berliner Psychotherapeutenkammerorganisierte im Rahmender Reihe „Psychotherapeuten stellenihre Arbeit vor“ am 17.01.<strong>2013</strong> die Veranstaltung„Psychisches Trauma – therapeutischePerspektiven“. Eingeladen wurdenzwei erfahrene und durch Veröffentlichungenund Fortbildungen bekannte KollegInnen:Oliver Schubbe als Verhaltens- undFamilientherapeut, Institutsleiter, EMDR-Trainer (Eye-Movement Desensitizationand Reprocessing), Supervisor und Gutachterim Bereich psychoreaktiver Traumastörungenin aufenthaltsrechtlichenVerfahren und Dr. Franziska Henningsenals Psychoanalytikerin mit jahrzehntelangerErfahrung in der Behandlung von Menschenmit traumatischen Erfahrungen,ebenfalls auch Gutachterin, Supervisorin,Dozentin, Autorin und Lehranalytikerin.Zunächst stellte Oliver Schubbe ein Fallbeispielaus seinem Auslandspraktikum währendseiner Ausbildungszeit bei VirginiaSatir vor. Ohne die Kenntnis traumaadaptierterTechniken und trotz erheblichersprachlicher Schwierigkeiten beobachteteer große therapeutische Veränderungenbei Traumatisierten, wie er sie in Deutschlandanfangs nicht mehr erreichen konnte:Dank seiner sprachlichen Schwierigkeitenhatte er offensichtlich so lange nachgefragt,bis die traumatischen Erinnerungenverarbeitetet waren. Ähnlich tiefe undschnelle Veränderungen beobachtete ererst wieder, nachdem er bei Francine ShapiroEMDR gelernt hatte. Mit dieser Erfahrungund einem Überblick über die vorliegendenWirksamkeitsstudien begründeteer die These, dass es bei der Behandlungvon Traumafolgen bedeutsame Wirksamkeitsunterschiedegäbe. TraumaspezifischeTechniken wie EMDR oder das neueBrainspotting könnten eine große Hilfedarstellen, um bei der Begleitung der Traumaverarbeitungkontinuierlich empathisch,konsequent traumafokussiert und für alleEbenen der Verarbeitung offen zu bleiben.Oliver SchubbeFür Schubbe sind Grundlagen der Arbeitmit traumatisierten Menschen:• das therapeutische Bündnis – trotzvieler Komorbiditäten, trotz erhöhterSuizidalität, trotz der hohen Prävalenzvon sexuellem Missbrauch durch Psychotherapeuten,trotz z. T. weiter bestehenderTäterkontakte, trotz nach wievor bestehender Finanzierungslückenbei Psychotherapien,• die Empathie des Psychotherapeuten– trotz emotionaler Taubheit und Überreaktionen,Inkongruenzen, Bindungsstörungen,Amnesien, Tabus und derUnfassbarkeit der Ereignisse,• die Kenntnis des biologischen Ankersder Symptomatik im impliziten Gedächtnis,im Körpergedächtnis und inimpliziten Beziehungs- und Interaktionsmustern• und dafür eventuell der Einsatz psychotherapeutischerTechniken.In einem zweiten Fallbeispiel stellte Schubbedie von dem Psychoanalytiker DavidGrand auf der Grundlage von EMDR undSomatic Experiencing entwickelte Behandlungstechnik„Brainspotting“ im Video vor.Untersuchungen zufolge diene der Lidschlagnur zum Teil der Befeuchtung unddem Schutz der Augen und zum zahlenmäßigüberwiegenden Teil der Unterstützungvon Aufmerksamkeitsprozessen. Umgekehrtkönnen der spontane Lidschlagund reflexartige Augenreaktionen genutztwerden, um die Aufmerksamkeit bei derTraumaverarbeitung in einem erträglichenund für die Verarbeitung günstigen Toleranzfensterzu halten. In der Diskussion mitden anwesenden PsychotherapeutInnenbegründete er den Einsatz dieser Technikals ein interaktives Vorgehen, das wenigerSchritte als z. B. das EMDR-Standardprotokollenthalte und dadurch beim Klientenschneller Aktionen und Effekte erziele.Franziska Henningsen zeigte in ihrem Vortragaus psychoanalytischer Sicht, wie inder therapeutischen Situation die traumatischemeist unbewusste Beziehungskonstellationwiederbelebt und einer Bearbeitungzugänglich wird. Drei Grundannahmensind dabei die Leitgedanken:1. Eine traumatische Erfahrung kann imseelischen Raum gar nicht oder nurpartiell repräsentiert werden und führtzu erheblichen Ich-Einschränkungensowie diversen Symptomen.2. Die Destruktivität des Traumas führt zuDissoziation und Spaltung, vor allemdes Affekts.3. Bei frühkindlicher Traumatisierunghinterlassen die traumatischen ErfahrungenSpuren in der psychosomatischenEinheit zwischen Mutter undKind, die im impliziten prozeduralenGedächtnis gespeichert werden (Schore,2007, S. 99 ff.) und zu Symbolisierungsstörungensowie pathologischenfusionären Bindungen führen können.In einer psychoanalytischen Behandlunggeht es um Bearbeitung der traumatischenBeziehungskonstellationen in der Übertragung.Im ersten Fallbeispiel stellte sie eindrucksvoll,veranschaulicht durch kindlicheZeichnungen, den Behandlungsverlauf miteinem fünfjährigen Mädchen (Knochenmarksspenderin,Todesängste, Depression,Wut, Trauer) dar. Im gemeinsamen kreati-72 <strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>


Berlinven Ausdruck wurde es der kleinen Patientinmöglich, Bilder und Worte für ihre großeNot zu finden. Eine Katamnese zeigteden Erfolg der Behandlung.Dr. Franziska HenningsenIn einem zweiten Beispiel – einer hochfrequentenlangjährigen Psychoanalyse einesjungen Mannes mit schwerem Trennungstraumaund psychosomatischen Symptomen– veranschaulichte Henningsen ihreArbeitsweise mit Erwachsenen, ebenfallsmit Katamnese.Henningsen wies auf die Unterschiedezwischen der dargestellten Psychoanalyseund der Psychotherapie von Patienten mitakuter oder chronischer PTBS hin, die voneiner tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapieoder einer modifizierten analytischenTherapie profitieren können undkein hochfrequentes Vorgehen im Liegenvertragen. Die Differentialindikation für einehochfrequente analytische Langzeittherapiebei Traumata hänge ab von der Komplexitätder Störung, dem Wirkungsgraddes Wiederholungszwangs und dem Ausmaßder frühkindlichen Traumatisierung.Bei jeder Behandlung sind für sie eine Reihetechnischer Besonderheiten zu beachten:• Die Einhaltung des analytischen Rahmens(Zeit, Setting etc.), der Sicherheitgibt und eine triangulierende Funktionhat.• Ein Methodenwechsel während der Behandlungsollte kritisch in Bezug auf dieÜbertragungssituation hinterfragt undverstanden werden, bevor man sich fürihn entscheidet.• Der Therapeut ist tendenziell aktiver alsin anderen Therapien, wenn es um dasBenennen des Unaussprechlichengeht.• Das individuelle Tempo des Patientenbei der Annäherung an seine traumatischeBeziehungskonstellation ist zu respektieren.• Bei der Behandlung von akuten PTBS-Kranken ist oft ein modifiziertes Vorgehen,das u. U. auch Stabilisierungstechnikeneinschließt, notwendig.Die anschließende Diskussion der beidensehr unterschiedlichen theoretischen Ansätzestellte Fragen nach Begrifflichkeiten– insbesondere nach einer Abgrenzungvon „Komplexer PTBS“, „Beziehungstrauma“(Hirsch, 2004) und der deskriptivenDiagnosen von ICD-10 oder DSM aberauch nach der Bedeutung des Körpergedächtnissenund dessen unterschiedlicherEinbeziehung. Gefragt wurde auch nachder Einbindung und dem zeitlichen Umfangvon „Brainspotting“ (15 Minuten proSitzung, anschließende Stabilisierungsphase)und nach „Nebenwirkungen“ der Behandlungen.Oliver Schubbe und Franziska Henningsenstellten ihre psychotherapeutische Arbeitsehr eindrucksvoll dar und konkretisiertenauf Nachfrage ihr Vorgehen und die Grundlagenihrer Ansätze.LiteraturHenningsen, F. (2012). Psychoanalysenmit traumatisierten Patienten. Trennung,Krankheit, Gewalt. Stuttgart:Klett-Cotta.Hirsch, M. (2004). PsychoanalytischeTraumatologie – Das Trauma in der Familie.Psychoanalytische Theorie undTherapie schwerer Persönlichkeitsstörungen.Stuttgart: Schattauer.Schore, A. N. (2007). Affektregulation unddie Reorganisation des Selbst (4. Aufl.).Stuttgart: Klett-Cotta.Schubbe, O. (2004). Traumatherapie mitEMDR. Ein Handbuch für die Ausbildung(2). Göttingen: Vandenhoeck &Ruprecht.Schubbe, O. (2009). Eye-Movement Desensitizationand Reprocessing (EMDR).In A. Maercker (Hrsg.), PosttraumatischeBelastungsstörungen. Heidelberg:Springer Medizin Verlag.BerlinNoch Plätze frei für zwei bundesweit ausgeschriebene FortbildungenBegutachtung psychischreaktiver Traumafolgen inaufenthaltsrechtlichenVerfahrenIn Kooperation mit dem Behandlungszentrumfür Folteropfer und Xenion – PsychologischeBeratungsstelle für Flüchtlinge – veranstaltetdie Psychotherapeutenkammer Berlinab Juni <strong>2013</strong> eine weitere curriculare Fortbildungzum Thema „Begutachtung psychischreaktiver Traumafolgen in aufenthaltsrechtlichenVerfahren bei Erwachsenen“.www.psychotherapeutenkammer-berlin.de.Eltern-, Säuglings- undKleinkindpsychotherapieIm Mai <strong>2013</strong> startet wieder ein Durchlaufder curricularen Fortbildung in Eltern-,Säuglings- und Kleinkindpsychotherapie.Die Fortbildung wird in Kooperation mitder International Psychoanalytic Universityunter der Leitung von Frau Prof. Dr. ChristianeLudwig-Körner durchgeführt.www.psychotherapeutenkammer-berlin.de.RedaktionDorothee Hillenbrand (V. i. S. d. P.), IngeBrombacher, Christiane Erner-Schwab,Dr. Beate Locher, Brigitte Reysen-Kostudis,Harald Scherdin-Wendlandt, ChristophStößlein und Dr. Manfred Thielen.GeschäftsstelleKurfürstendamm 18410707 BerlinTel. 030 887140-0; Fax -40info@psychotherapeutenkammer-berlin.dewww.psychotherapeutenkammer-berlin.de<strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>73


Mitteilungen derPsychotherapeutenkammerBremenSteuerungsmodell für komplex psychisch behandlungsbedürftige Menschen in derDiskussionWird Bremerhaven Modellregion?BremenAuf Einladung der Abteilung Gesundheitdes Senators für Gesundheit der FreienHansestadt Bremen hat eine Projektgruppeum Prof. Steinhart vom Institutfür Sozialpsychiatrie Mecklenburg-Vorpommerne. V. am 26.11.2012 vor zahlreichenAkteuren aus dem Gesundheits-und Sozialbereich ein Modell zur „Entwicklungeines personenorientierten,umfassenden, sektorübergreifenden, nichtan Partikularinteressen gebundenenSteuerungssystems für die psychiatrischenHilfen in einer Region des LandesBremen“ (EpusS) vorgestellt. Die neueAbteilungsleiterin Gesundheit, Dipl.-Psych. Silke Stroth, signalisierte das ausgeprägteInteresse des Ressorts, ein solchesModell zunächst für die RegionBremerhaven zu erproben, um es in einemspäteren Schritt auf die Stadt Bremenauszudehnen.Welche Ziele verfolgt das vorgeschlagene Modell?Kernelement dieses Projektes soll sein, diebisherige Steuerung psychiatrischer Hilfenüber sozialrechtlich definierte Maßnahmendurch eine Steuerung von „Personen in derZeit“ über zeitbasierte Komplexleistungspauschalenzu ersetzen. Zu Beginn sollenals Zielgruppe alle Patienten der beiden DiagnosegruppenSchizophrenie (F2) undAffektive Störungen (F3) genommen werden.Als Fernziel wird die Einbeziehung allerF-Diagnosen nach ICD-10 angestrebt. BeiHilfeplanungen soll zukünftig nicht mehr in„Institutionen“ gedacht werden, sondern in„Funktionen“, die individuell zugeschnitteneBehandlungsarrangements für eine jeweilsnötige Zeitphase ermöglichen. Als Beispielewerden „komplexe ambulante Behandlung“,„komplexe intensive Behandlung imKrankenhaus“, „geschützter Aufenthalt“,„Behandlung im Lebensumfeld“, „Rückzugsraum“und „Krisenintervention“ genannt.Die Prozesssicherheit und Kontinuitätdes patientenbezogenen Managementswird über einen Fallmanager gestaltet. DasModell geht davon aus, dass für eine größereZahl der Patienten der Haus- oder Facharztdas Fallmanagement übernimmt. Angemerktsei an dieser Stelle, dass Psychotherapeutenin diesem Modell nicht oder nurrandständig erwähnt werden. In der Ausgangsanalysewird die schon mehrfach widerlegteThese erneut kolportiert, Psychotherapeutenwürden nur leichte psychischeErkrankungen behandeln. Bei steigendemKomplexitäts- und Intensitätsgrad des Hilfebedarfessoll dann ein ambulantes multiprofessionellzusammengesetztes „GemeindepsychiatrischesTeam“ (GT) unterVerweis auf die S3-Leitlinie „PsychosozialeTherapien“ diese Funktion übernehmen.Das GT soll rund um die Uhr einsatzbereitsein, bei Bedarf mobil-aufsuchend im Sinnedes „Home-Treatment“ tätig sein und sowohldie akute als auch die längerfristigeBehandlung von Patienten mit schwerenErkrankungen und komplexen Problemenübernehmen. Einzugsbereich für ein GT sollein Sozialraum von etwa 60.000 Einwohnernsein. Die Multiprofessionalität dieserTeams beschränkt sich allerdings auf psychiatrischeFachkrankenpflege, Sozialarbeitund bei Bedarf ärztliche Kompetenz, diesebei geringerem Bedarf nur in Form von Supervision.Einbezug von psychotherapeutischer Kompetenz fehltAuch hier wird die Einbeziehung psychotherapeutischerKompetenz nicht mitgedacht.Wenn sie auftaucht, dann nichtals integrativer Bestandteil, sondern nurin Form eines Angebotes, das dazu geholtwerden kann. Es fällt auf, dass keininhaltliches Konzept für die Tätigkeit dieserTeams vorgelegt wird. Hier zeigt sichein großer Unterschied z. B. zu den inFinnland erprobten Modellen, in denender integralen Einbeziehung psychotherapeutischerKompetenzen eine hoheBedeutung beigemessen wird. Dass Diagnose,Behandlungsplanung und Therapiein Deutschland dem Approbationsvorbehaltunterliegen, scheint in demModell keine erwähnenswerte Bedeutungzu haben.Managementgesellschaften als neue „Player“?Für die finanzielle Steuerung wird eineFestlegung auf fünf bis sechs zeitbasiertenKomplexleistungspauschalen angestrebt,die prospektiv festgelegt werden. AlsRechtsmodell wird eine Managementgesellschaftvorgeschlagen, die als GmbH &Co. KG konzipiert wird. Gesellschafter mitstarkem Einfluss werden die Leistungsträger,die das Geld einbringen, während74 <strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>


BremenLeistungserbringer als Kommanditisten nurgeringen Einfluss erhalten sollen. Es drängtsich der Verdacht auf, dass die inhaltlicheArbeit, also das, was Patienten für sich inAnspruch nehmen können, vorrangig demGeld und nicht dem Bedarf folgen soll.Ein wesentliches Problem des Modellsliegt in der „psychiatrischen“ Ausrichtung.So ist durchgängig von „psychiatrischerVersorgung“ und „psychiatrischen Hilfen“und nicht von der „Versorgung psychischkranker Menschen“ die Rede. Entsprechendfinden die Empfehlungen der S3-Leilinien z. B. zur Behandlung von Schizophrenien,in denen der Einbezug von Psychotherapieregelhafter Bestandteil ist,keine entsprechende Berücksichtigung.Völlig offen bleibt die Einbeziehung derniedergelassenen Psychotherapeuten,aber auch der niedergelassenen Psychiater.Insgesamt mutet es an, als ob an einenUmbau des Gesundheitswesens hin zumächtigen Managementgesellschaften gedachtwird, denen der psychisch krankeMensch gegenübersteht. Notwendig erscheint,stärker vom Patienten aus zu denken,ihn in seiner Verantwortung zu sehenund zu einem gemeinsamen Vorgehen imSinne des „Shared Decision Making“ zugelangen, ein Modell der partnerschaftlichenBehandler-Patient-Beziehung, dasgekennzeichnet ist durch einen gemeinsamenund gleichberechtigten Entscheidungsfindungsprozess.Der Vorstand der PsychotherapeutenkammerBremen diskutiert diese Entwicklungenintensiv. Seine Mitglieder beteiligensich im Landespsychiatrieausschuss, indem die Kammer Gaststatus hat, und inverschiedenen Arbeitsgruppen des Ausschussesan den Diskussionsprozessenund bringen die Kompetenzen der Psychotherapeutenschaftin kritischer Weise ein.Neujahrsempfang der Kammern und Kassenärztlichen VereinigungenBremenSie nutzten den Jahresempfang zum Austausch: (von links) Dr. Richard Klämbt, Präsidentder Apothekerkammer Bremen, Karl Heinz Schrömgens, Präsident der Bremer Psychotherapeutenkammer,Gesundheitssenator Dr. Hermann Schulte-Sasse, Dr. Jörg Hermann,Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Bremen, Dr. Heidrun Gitter, Präsidentin derBremer Ärztekammer, Dr. Dirk Mittermeier, Vorsitzender der Kassenzahnärztlichen Vereinigung,und Dr. Wolfgang Menke, Präsident der Zahnärztekammer Bremen.Wie in den Vorjahren haben die Kammernder Ärzte, Zahnärzte, Psychotherapeutenund die beiden Kassenärztlichen Vereinigungenam 16. Januar <strong>2013</strong> zum gemeinsamenNeujahrsempfang eingeladen. GesundheitssenatorDr. Hermann Schulte-Sasse nutzte dieses Forum, um seineSchwerpunkte für die zweieinhalbjährigeAmtszeit zu benennen, die ihm bis zurNeuwahl der Bürgerschaft bleiben. Nachdem Rücktritt der Senatorin für Bildung,Wissenschaft und Gesundheit, Renate Jürgens-Pieper,war der frühere Gesundheitsstaatsratim Dezember 2012 als Parteiloserzurück in die politische Verantwortung gekehrt.In seiner Rede hob er insbesonderedie Förderung der Palliativmedizin und diewirtschaftliche Stabilisierung der kommunalenKrankenhäuser hervor. Er verwieszudem auf seine Tätigkeit als neutralesMitglied im Gemeinsamen Bundesausschuss(G-BA) nach seinem Ausscheidenals Staatssekretär. Schulte-Sasse werteteseine Berufung in dieses Gremium als Belegdafür, dass er sowohl von der Kassenseiteals auch von der Seite der Leistungserbringerals verständiger Gesprächspartnergesehen wird. Darin sehe er eine guteBasis für ein kooperatives Zusammenwirkender verschiedenen Akteure im Gesundheitswesen.Die Ansprache der Gastgeber, die zwischendiesen von Jahr zu Jahr rotiert, hielt in diesemJahr der Vorsitzende der KV Bremen, Dr.Jörg Hermann. Er ging auf die verschiedenengesundheitspolitischen Entscheidungen ein,die 2012 getroffen worden waren.Bestandsaufnahme im Bereich der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapiein BremenMit der zunehmenden Etablierung vonGanztagsschulen sowie der Neuzulassungeiner Reihe von Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutinnenund -therapeuten,aber auch der Zunahme kinderundjugendpsychiatrischer Praxen, die<strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>nach der Sozialpsychiatrie-Vereinbarungarbeiten, hat es einige Veränderungen inder ambulanten psychotherapeutischenVersorgung von Kindern und Jugendlichengegeben. Ein erweitertes Therapieangebotsteht dabei einem enger werdendenZeitfenster für ambulante Therapienaufgrund der verlängerten Schulzeitenentgegen.Die Kammer nimmt diese Veränderungenzum Anlass, die Versorgungssituati-75


Mitteilungen der Psychotherapeutenkammeron für Kinder und Jugendliche im LandBremen neu zu bewerten. Aus diesemGrunde fand Anfang des Jahres eine Befragungaller Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutensowie der PsychologischenPsychotherapeuten statt, die mitKinder- und Jugendlichen arbeiten. Indie Erhebung wurden sowohl die niedergelassentätigen als auch die im Angestelltenbereicharbeitenden Kammermitgliedereinbezogen. Die Ergebnisse dieserUmfrage werden auf dem PKHB-Forumzur Kinder- und Jugendlichenpsychotherapievorgestellt, das am Dienstag,16. April <strong>2013</strong>, um 20 Uhr im Fortbildungszentrumder Ärztekammer an derSt.-Jürgen-Straße beginnt. Zu dieser Veranstaltungwurden auch Kooperationspartneraus dem Kinder- und Jugendlichenbereicheingeladen, um deren Blickauf die Versorgung und die Zusammenarbeitin die Diskussion einzubeziehen.Dazu zählen Vertreter der Kinderärzte,der Kinder- und Jugendpsychiater, derJugendhilfe und der Kinder- und JugendpsychiatrischenKlinik.Die Psychotherapeutenkammer Bremenlädt alle Kammermitglieder, die in diesemFeld arbeiten, zu der Forumsveranstaltungein. Es sollen verschiedene Perspektivender Versorgung von Kindern und Jugendlichenmit psychischen Störungen beleuchtetund Anstöße für den interdisziplinärenAustausch und eine stärkere Vernetzungverschiedener Dienstleister gegeben werden.Insbesondere auch die neu approbiertenund zugelassenen Kolleginnen undKollegen sind herzlich eingeladen, sich andiesem Austausch zu beteiligen.Arbeitsgruppe „Psychotherapeutische Versorgung in Bremen“ hatte erstes TreffenBremenNachdem der Kammervorstand im Septembervergangenen Jahres die Einrichtungeiner Arbeitsgruppe zum Thema „PsychotherapeutischeVersorgung in Bremen“beschlossen hatte, fand am 15. Januar<strong>2013</strong> nunmehr das erste Treffen der Gruppein der Bremer Psychotherapeutenkammerstatt. Die Mitglieder der Arbeitsgruppehaben sich nach Angaben von KoordinatorDr. Michael Tillmann auf ihrem Treffen insbesonderemit der Frage der Vernetzungder ambulanten psychotherapeutischenVersorgung in Bremen beschäftigt. In dennächsten Sitzungen sollen neben dieserwichtigen Frage folgende Themen bearbeitetwerden: Psychotherapie für Migrantenbzw. ältere Menschen, Angehörige vonpsychisch Kranken (Demenzkranken), Einweisungsrechtin eine Psychosomatischebzw. Psychotherapeutische Klinik, Möglichkeitender Krankschreibung aus psychischenGründen, Verringerung von Wartezeitendurch bessere Vernetzung, 10-Punkte-Programm-Berlin,Daten zur Kostenerstattungin Bremen, Vermeidung von Fehlverteilungen,Behandlung im Lebensumfeld(Home Treatment) statt stationärerBehandlung, Bedeutung des zukünftig zunehmendenpsychotherapeutischen Bedarfsfür die ambulante Versorgung in Bremen.„Wir sind noch in einer Phase der offenenDiskussion. Die inhaltliche Ausrichtungsteht noch nicht fest“, sagte Michael Tillmannnach dem ersten Treffen. WeitereIdeen und Mitarbeitende seien deshalberwünscht. Kammermitglieder, die Interessean einer Mitarbeit in der Gruppe haben,sind eingeladen, am 16. April <strong>2013</strong> um 20Uhr in die Bremer Psychotherapeutenkammer,Hollerallee 22, zu kommen.Bremer AOK beendet Recherche bezüglich Posttraumatischer BelastungsstörungIn der Vergangenheit hatte die AOK Bremen/Bremerhavenregelmäßig Psychotherapeutenangeschrieben, wenn im Psychotherapieantragdie Diagnose „PosttraumatischeBelastungsstörung“ (PTBS) vergebenworden war. Das hatte folgendenHintergrund: Zum einen hatte sie die Sorge,dass ihre Versicherten, die infolge einerGewalttat oder eines Unfalls eine PTBSentwickelt hatten, in nicht ausreichendemMaße über weitergehende Hilfsmaßnahmennach dem Opferentschädigungsgesetz(OEG) bzw. der Berufsgenossenschaften,sofern diese zuständig sind, informiertwerden würden. Zum anderen spieltenKostenüberlegungen eine Rolle, nämlichdass in solchen Fällen das Versorgungsamtbzw. die Berufsgenossenschaften die Kostender psychotherapeutischen Behandlungübernehmen. Dahinter stand die –nicht ganz unberechtigte – Annahme, dasskassenzugelassene Psychotherapeuten nichtausreichend über die Verpflichtung ausdem § 294a, SGB V informiert seien, nachdem Leistungserbringer die Kasse informierenmüssen, wenn entsprechende Anhaltspunktevorliegen, dass andere Kostenträgerzuständig sind. Die PsychotherapeutenkammerBremen (PKHB) hatte zunächstdie Position vertreten, dass dieKasse nicht berechtigt ist, von sich ausohne hinreichenden Grund eine solcheAnfrage zu stellen. Die bloße Vergabe derDiagnose PTBS reiche dafür nicht aus. Allerdingshatte die Kammer auch die Notwendigkeitgesehen, ihre Mitglieder überdie sozialrechtlichen Implikationen zu informieren.Vor diesem Hintergrund warAnfang 2011 ein ausführliches gemeinsamesInformationsschreiben der AOK undder PKHB erarbeitet worden, in dem dieverschiedenen Leistungen des OEG undder Berufsgenossenschaften und die Wegeder Beantragung dargestellt wurden.Dieses Schreiben legte die Kasse ihremAnschreiben in der Folge bei. Betont wurdeaber auch die besondere Verantwortungder Psychotherapeuten, sorgfältig diepsychische Verfassung des Patienten beider Information und Beantwortung zu berücksichtigen.Diese Anschreiben hatten jedoch immerwieder zu Irritationen bei Psychotherapeutengeführt, insbesondere dann, wenn esnicht um akut Traumatisierte ging, sondernGewalttaten lange zurücklagen. AufInitiative von Kammerpräsident Karl HeinzSchrömgens kam es Ende Januar <strong>2013</strong> zueinem Evaluationsgespräch im Haus derAOK. Direktor Manfred Adryan und die AbteilungsleiterHerr Markus und Herr Blankelegten entsprechende Zahlen vor: Im Zeit-76 <strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>


Bremenraum 2011/12 gab es 323 Fälle, in denendie AOK Behandler angeschrieben hat. In247 Fällen haben die Behandler verneint,dass die Erkrankung durch Dritte verursachtworden war. 36 Behandler habendie Anfrage auch nach Erinnerung nichtbeantwortet, 34 Behandler gaben einepositive Antwort. In 27 Fällen wurde dasVersorgungsamt eingeschaltet. Es kam ineinem Fall zu einem positiven Bescheiddes Amtes. Karl Heinz Schrömgens nutztedas Gespräch, um darauf hinzuweisen,dass es insbesondere bei länger zurückliegendenGewaltereignissen häufig nichtmöglich sei, monokausal Ursachen zu bestimmen.Angesichts des geringen Erfolges und deshohen Verwaltungsaufwandes erklärte sichdie AOK bereit, ab sofort auf diese Anschreibenzu verzichten. Die PKHB versicherte,ihre Mitglieder weiterhin über dieverschiedenen Kostenträger zu beratenund sie anzuhalten, Patienten entsprechendeHilfestellungen zu geben bzw. daraufzu verweisen, dass Mitarbeiter derAOK bereit sind, eventuelle Anliegen vonVersicherten zu unterstützen, Leistungennach dem OEG zu beantragen. Diese Hilfestellungwürde individuell erfolgen. Auchzeigte sich die AOK bereit, gegebenenfallsfür Fortbildungsveranstaltungen der PKHBzu diesen Themen Referenten zur Verfügungzu stellen. Die AOK plant einen Flyer,um ihre Versicherten über das OEG undmögliche Ansprüche daraus aufzuklären.Die PKHB sicherte ihre Bereitschaft zu, andiesem Flyer unter fachlichen Gesichtspunktenmitzuwirken.KV Bremen erklärt: Keine Praxisaufkäufe und Praxisstillegungen mehrAuf Initiative der PKHB haben sich EndeJanuar die KV-Vorstände Dr. Jörg Hermannund Günter Scherer sowie Dr. Sylvia Helbig-Lang,Hans Schindler und Karl HeinzSchrömgens zu einem gemeinsamen Gesprächgetroffen. Im Vordergrund standendabei die Auswirkungen der neuen Bedarfsplanungsrichtlinieund der Honorarbeschlüsseauf die psychotherapeutischeVersorgung im Land Bremen.Dr. Hermann informierte darüber, dass dieEmpfehlungen zur extrabudgetären Vergütungnun auch für Bremen einvernehmlichmit den Krankenkassen vertraglich geregeltseien. Beide Seiten zeigten sich mitdiesem Ergebnis zufrieden, wenn es auchnicht gelungen war, Sondervereinbarungenzu schließen, um eine mögliche Quotierungder nicht genehmigungspflichtigenLeistungen dauerhaft zu verhindern. DieEinzelvergütung der genehmigungspflichtigenPsychotherapiesitzungen und die garantierteVergütung der probatorischenSitzungen in voller Höhe führen dazu, dassdas Morbiditätsrisiko für die Versorgungpsychisch kranker Menschen mittels Psychotherapienun bei den Kassen liegt undnicht mehr durch Verteilungskämpfe innerhalbder KV beeinflusst wird.Vor diesem Hintergrund erklärte sich derKV-Vorstand bereit, ab sofort auf den Aufkaufund die Stilllegung psychotherapeutischerPraxen auf der Basis von § 105Abs. 3, SGB V zu verzichten. Diesem inDeutschland einzigartigem Vorgehen derBremer KV waren in den zurückliegendenJahren nahezu 30 Praxen zum Opfer gefallen.Auch bei der Abgabe von Psychotherapiepraxendurch Veräußerung seitensder Praxisinhaber sieht die KV keine Notwendigkeit,auf den ZulassungsausschussPsychotherapeuten einzuwirken, um ausVersorgungsgründen eine Neuausschreibungzu versagen. Die Vertreter der PKHBwiesen auf die langen Wartezeiten (8,7Wochen in Bremen und 9,3 Wochen inBremerhaven) hin, die psychisch krankeMenschen in Kauf nehmen müssen, bevorein psychotherapeutischer Erstkontaktstattfinden kann.Darüber hinaus wurde über Möglichkeitendiskutiert, wie trotz der Engpässe der Zugangzur Psychotherapie im Interesse derPatienten effektiver gestaltet werden kann.Beide Seiten erklärten sich bereit, möglicheKonzepte zu prüfen und in die Versorgungsdiskussioneinzubringen.BremenRedaktion BremerKammerseitenAn diesen Seiten arbeiteten mit:Dr. Sylvia Helbig-Lang, Helga Loest undKarl Heinz Schrömgens.GeschäftsstellePsychotherapeutenkammer BremenHollerallee 2228209 BremenFon: 0421 – 27 72 000Fax: 0421 – 27 72 002Verwaltung@pk-hb.dewww.pk-hb.deGeschäftszeiten:Mo, Di, Do, Fr 10.00 – 14.00 UhrMi 13.00 – 17.00 UhrSprechzeit des Präsidenten:Di 12.30 – 13.30 Uhr<strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>77


Mitteilungen der11. Allgemeine Kammerversammlung der Psychotherapeutenkammer HamburgHamburgUnter dem Titel PsychotherapeutischeVersorgung – Schnittstelle ambulant/stationär hat am 5. Dezember 2012 inden Räumen des Ärztehauses die 11. AllgemeineKammerversammlung der PsychotherapeutenkammerHamburg stattgefunden.Insbesondere konnten sich dieTeilnehmerinnen und Teilnehmer an diesemAbend über die Anwesenheit der Senatorinfür Gesundheit und VerbraucherschutzCornelia Prüfer-Storcks freuen, diedurch ihren Impulsvortrag in das Themaeinleitete und dabei viele Aspekte der Weiterentwicklungder psychotherapeutischenVersorgung in Hamburg beleuchtete. Inder anschließenden Podiumsdiskussionvertraten Prof. Michael Sadre-Chirazi-Starkvom Asklepios Westklinikum und Prof.Thomas Bock vom UniversitätsklinikumHamburg Eppendorf hierbei die Sichtweiseder in der Klinik tätigen Kolleginnen undKollegen, Dipl.-Psych. Hanna Guskowskibrachte als Vorsitzende des BeratendenFachausschuss Psychotherapie der KassenärztlichenVereinigung Hamburg (KVH)die Perspektive der im ambulanten Sektortätigen Kammermitglieder ein. SozialpädagogeRalf Karsten Krüger berichtete alsVertreter der Unabhängigen PatientenberatungDeutschland (UPD) über Veränderungsnotwendigkeitenaus der Sicht vonPatientinnen und Patienten. Fünf verschiedenePersonen und fünf verschiedenev.l.n.r.: Prof. Hertha Richter-Appelt, Prof. Michael Sadre-Chirazi-Stark, Prof. Thomas Bock,Dipl.-Psych. Hanna Guskowski, Prof. Rainer Richter, Senatorin Cornelia Prüfer-StorcksSichtweisen, die es an diesem Abendmöglich gemacht haben, nicht nur Themenwie das Entlassungsmanagement inKliniken und die bessere Vernetzung derKliniken mit den ambulanten Psychotherapeutinnenund Psychotherapeuten sowiezwischen diesen und allen weiteren HamburgerAkteuren des Gesundheitswesens,sondern auch die Reform der Bedarfsplanung,die Reform der Psychotherapieausbildungsowie das zukünftige Berufsbildder Profession von unterschiedlichen Seitenzu durchleuchten. Neben den teilweiseunterschiedlichen Standpunkten gab esin der Diskussion auch eine deutliche Gemeinsamkeit:Die Schnittstelle ambulant/stationär muss verbessert werden!Die angeregte Podiumsdiskussion wurdeim Plenum intensiv verfolgt und durch diverseWortmeldungen ergänzt. Eine effektiveWeiterentwicklung der Schnittstelleambulant/stationär, so das Resümee vonProf. Rainer Richter am Ende der Veranstaltung,ist für eine gute psychotherapeutischeVersorgung von besonderer Wichtigkeitund erfordert weitere Anstrengungenbei allen Beteiligten.Zehn Jahre Psychotherapeutenkammer Hamburg! –Ehrung der Kammergründer und KammeraktivenEine feste Institution in der Hamburger Gesundheitslandschaft– das ist die PsychotherapeutenkammerHamburg heute,nach zehn Jahren des kontinuierlichenAufbaus, der stetigen Entwicklung der Aufgabenfeldersowie der Professionalisierungund der Verstärkung der politischen Einflussnahme.Ein Prozess, der durch dasPsychotherapeutengesetz 1999 angestoßenwurde, aber auch in der im Jahr 2002folgenden Gründung unserer Kammer seinenUrsprung fand. Neben gesetzlichenVorgaben und deren praktischen Umsetzungendurch die Behörde wurde dies vorallem durch das ehrenamtliche Engagementund die Vision einer Anzahl engagierterHamburger Psychotherapeutinnenund Psychotherapeuten angestoßen.Um diese Leistungen entsprechend zuwürdigen, fand am 18. Januar <strong>2013</strong> anlässlichdes 10. Jubiläumsjahrs in den Räumender Geschäftsstelle eine Feier zu Ehrenderjenigen Kammermitglieder statt, diesich um den Aufbau und das Wirken derKammer verdient gemacht haben. Nachdemdie rund 40 Gäste bei einer Foto-Diashow die Stationen der vergangenen78 <strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>


HamburgGründungsmitglieder und Wegbereiterzehn Jahre Revue passieren lassen konnten,warf Kammerpräsident Prof. Dr. RainerRichter, selbst engagierter „Aufbauer“ derersten Stunde, in seiner Eingangsrede einenBlick zurück in die Anfangszeit. MitAusschnitten aus einem frühen Protokolleiner Vorstandssitzung des Errichtungsausschussessorgte er für Heiterkeit, denn wederForm noch Länge des vorgetragenenProtokolls entsprachen der heute üblichensachlichen Schreibweise. Besonders unterhaltsamwaren die vom damaligen Protokollanteneingeschobenen Randbemerkungen,die einen Einblick in Atmosphäreund Umgangsformen der damaligen Gremiensitzungengaben. Sie machten aberauch deutlich, dass die Errichtung der Psychotherapeutenkammersamt all ihrerRahmenbedingungen ein Kraftakt war, derdurch kontroverse und zugleich ergebnisreicheDiskussionen und viel Geduld allerBeteiligten gemeistert wurde.Prof. Richter ging in seiner Rede zudem aufdie Entwicklung der Kammer bis zu ihrerheutigen Form, mit ihrem aktuellen Standingin Politik und Psychotherapeutenschaft,ein und richtete seinen Blick einwenig sorgenvoll in die Zukunft. Die Kammerhabe in ihrer bisherigen Arbeit schonVieles erreicht, müsse nun aber angesichtsder neuen Bedarfsplanungsrichtlinie oderauch der Reform der Psychotherapeutenausbildungerneut Kräfte sammeln undsich deutlich und vor allen Dingen einheitlichzu diesen brisanten Themen positionieren.Die Kollegin Julia Rasch, damals Vorsitzendedes Errichtungsausschusses, schlug inihrer anschließenden Ansprache wenigerpolitische Klänge an. Sie erinnerte an diemenschliche Seite der Kammer sowie dieEntwicklungen in der Ausrichtung der Psychotherapie,die man stetig kritisch hinterfragensollte, um auch problematische gesellschaftlicheEntwicklungen, wie einezunehmende Arbeitsbelastung in der Bevölkerung,in der richtigen Weise aufzufangen.Diese und sicherlich viele weitere Themenboten dann bis spät in den Abend eine Füllean Gesprächsstoff für die Gäste, wobeisicherlich das Wiedersehen mit Kolleginnenund Kollegen und Wegbegleitern ausder Aufbauzeit der Kammer eine noch größereFreude darstellte. Ein delikates Buffetrundete den Abend ab und unterstrich zudemdie angenehme Atmosphäre.Ein großer Dank gebührt all denjenigenKolleginnen und Kollegen, die in den vergangenenzehn Jahren, aber auch in derZukunft, mit ihrem ehrenamtlichen Engagementin den Gremien der Kammer zumWachstum und zur öffentlichen Anerkennungunserer Profession beitrugen undbeitragen werden. Es ist auch ihrer motiviertenund verlässlichen Mitarbeit zu verdanken,dass unsere Kammer zu einer effizientenberufsständischen Vertretungund einem unübersehbaren Akteur auf dergesundheitspolitischen Bühne Hamburgsherangewachsen ist.HamburgDie Kammer sind Wir! – Veranstaltungsreihe derPsychotherapeutenkammer HamburgBerufsausübungsgemeinschaftoder Einzelpraxis – Information,Pro & ContraIm Rahmen der Veranstaltungsreihe „DieKammer sind Wir!“ fand am 16. Januar<strong>2013</strong> eine Informationsveranstaltung zumThema „Berufsausübungsgemeinschaftoder Einzelpraxis – Pro & Contra“ statt. Inden Räumen des Ärztehauses in der Humboldtstraßeversammelten sich an diesemAbend zahlreiche interessierte Kammermitglieder,um Näheres über die Vor- undNachteile von Berufsausübungsgemeinschaften(BAG) im Vergleich zur Gründungeiner Einzelpraxis zu erfahren.Die Kollegen Dipl.-Psych. Claus Giesekeund Dipl.-Psych. Anja Helberg, beide auchDelegierte der Kammerversammlung, gestaltetenals Projektleiter den Abend. Nacheinem einleitenden Überblick von AnjaHelberg über Aufgaben und Merkmale ei-Projektleiter Claus Gieseke undAnja Helbergner psychotherapeutischen Praxis stellteClaus Gieseke in seinem ausführlichen Referatdie unterschiedlichen Modelle desJob-Sharings, der örtlichen und überörtlichenBerufsausübungsgemeinschaft sowiedie Form der Partnergesellschaft vor.Als persönliche Erfahrungsquelle berichtetendie Kammermitglieder Dipl.-Psych.Manfred Burmeister und Dipl.-Psych. CorneliaBothe aus ihrem Praxisalltag in verschiedenenBAG. Frau Bothe teilte ihreEindrücke, Erfahrungen und ihr Wissen mitden Anwesenden, das sie anlässlich ihrererst kürzlich erfolgten Übernahme eineshalben Kassensitzes sammeln konnte; siekonnte motivieren und Tipps geben. AuchHerr Burmeister berichtete aus seinen eigenenvielfältigen Erfahrungen, da er inder Vergangenheit an der Gründung vonBAG in verschiedenen Formen beteiligt gewesenist, und beantwortete viele der ausder Zuhörerschaft aufgeworfenen Fragen.Angesichts der großen Teilnehmerzahl undder zahlreichen interessierten Nachfragenund Diskussionsbeiträge aus dem Publikumlässt sich resümieren, dass das Thema Berufsausübungsgemeinschaftfür unsere Kammermitgliederoffensichtlich wichtig und aktuellist. Die vermittelten Sachinformationenund der Austausch über Erfahrungen aus derPraxis waren sehr hilfreich, um einen gutenÜberblick über Wege zur Gründung und dieVor- und Nachteile einer Berufsausübungs-<strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>79


Mitteilungen der PsychotherapeutenkammerHamburggemeinschaft, im Vergleich zur Gründungeiner Einzelpraxis, zu erhalten.Wegen der großen Nachfrage fand deshalbam 20. Februar <strong>2013</strong> eine Wiederholungdieser Veranstaltung statt.Ein herzlicher Dank geht an die Projektleiterund Referenten, die diese beiden Veranstaltungim Rahmen ihres Ehrenamtesermöglicht haben.Praxisübergabe undPraxisnachfolgeProjektleiterin und Referenten des AbendsNicht nur politisch hochaktuell und durchdie Auswirkungen der neuen Bedarfsplanungsowie der veränderten Zulassungsbedingungender Kassenärztlichen Vereinigung(KV) interessant, sondern auch angesichtsder Altersstruktur der HamburgerPsychotherapeutenschaft, ist die Praxisübergabeund Praxisnachfolge unter denMitgliedern der PsychotherapeutenkammerHamburg ein gefragtes Thema. DerAndrang zur Info-Veranstaltung aus derReihe „Die Kammer sind Wir!“, die genaudieses Thema am Abend des 25. Januar<strong>2013</strong> aufgriff, war groß und zeigte damitzum einen die Informationslücke im Allgemeinen– und speziell auf die neuestenEntwicklungen bezogen –, zum anderenaber auch, dass viele approbierte Psychotherapeutinnenund Psychotherapeutensich die Möglichkeit erhofften, Ratschlägesowie Kontakt zu Praxisabgebern zu bekommen,um lange Wartezeiten auf einenganzen oder halben KV-Sitz zu umgehen.Umso bedeutsamer waren deshalb diePräsentationen, Tipps und Fachinformationender geladenen Referentinnen und Referenten:Juristin Dr. Kathrin Nahmmacher,Steuerberater Stephan Blöcker und KollegeDipl.-Psych. Claus Gieseke. Der anschließendeAustausch in kleineren Arbeitsgruppen,in denen sich die Teilnehmernoch detaillierter über die zuvor vorgestelltenThemen KV-Zulassung, rechtlicheund steuerliche Aspekte einer Praxisübergabe,Formen der Weitergabe vonKassensitzen miteinander unterhalten konnten,bildete zusammen mit einem kleinenImbiss den Abschluss eines gelungenenAbends. Die Veranstaltung wird wegen dergroßen Nachfrage am 5. April <strong>2013</strong> wiederholt.Ein herzlicher Dank geht an die beidenProjektleiterinnen, Dipl.-Psych. Gerda Krauseund Dipl.-Psych. Ursula Meier-Kolcu, diediese Veranstaltung auf ehrenamtlicher Basisermöglicht haben.Fortbildungsveranstaltung zum Thema Akuttraumatisierung bei Kindernund Jugendlichen im Rahmen von Großschadensereignissen und im EinzelkontextDie AG Notfallpsychotherapie der PsychotherapeutenkammerHamburg ist im Rahmender PSNV (Psychosozialen Notfallversorgung)Ansprechpartner und Koordinatorfür die notwendige psychotherapeutischeHilfe bei Ereignissen, die für Einzelneoder für Gruppen schwer traumatisierendwirken. Mithilfe einer Liste von PsychologischenPsychotherapeutinnen und Psychotherapeutensowie Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutinnenund -therapeuten,die sich für diese Arbeit zur Verfügungstellen, kann die AG Notfallpsychotherapierasche psychotherapeutische Hilfeorganisieren.Um mit traumatisierten Erwachsenen, Kindernund Jugendlichen zu arbeiten, bedarfes einer jeweils besonderen Qualifizierungund der besonderen Beachtung der eigenenPsychohygiene. Die PsychotherapeutenkammerHamburg versucht diesemAspekt Rechnung zu tragen, indem sie teilnehmerzentrierteFortbildungen anbietet.Für eine Fortbildung zum Thema Akuttraumatisierungbei Kindern und Jugendlichenim Rahmen von Großschadensereignissenund im Einzelkontext konnte Dipl.-PsychologinSylvia Wunderlich gewonnen werden.Sie arbeitet als Psychologische Psychotherapeutinin eigener Praxis mit Kassenzulassungfür Erwachsene und Kinderund Jugendliche in Erfurt. Durch ihre Arbeitals Traumatherapeutin bei der Behandlungder Schüler und Lehrer des Gutenberg-Gymnasiums in Erfurt konnte Sylvia Wunderlichihre praktischen Erfahrungen in derAkutversorgung und in der längerfristigentraumatherapeutischen Behandlung vonKindern, Jugendlichen und Erwachsenenvertiefen. Einer ihrer Arbeitsschwerpunkteliegt in der kombinierten neuropsychologisch-traumatherapeutischenBehandlungvon Kindern, Jugendlichen und Erwachsenennach Verkehrsunfällen und anderenUnfall- oder Überfallereignissen, aber auchbei schweren körperlichen Erkrankungen.Die eintägige Fortbildungsveranstaltung,die am 18. November 2012 in den Räumender Hamburger Psychotherapeutenkammerstattfand, ermöglichte den Teilnehmerinnenund Teilnehmern einengründlichen Überblick über die Theorienund Methoden der Notfallpsychotherapiefür Betroffene, Angehörige und Helfende.Die Erscheinungsbilder akuter Traumatisierungenbei Kindern und Jugendlichen, dieDiagnostik, die Unterscheidung von Notfallinterventionund früher Interventionund die Besonderheiten bei Großschadensereignissenwaren dabei wichtigeThemen.Den größten Raum nahmen aber die praktischeArbeit mit Fallbeispielen ein, bei derenBearbeitung die Teilnehmerinnen undTeilnehmer das Vorgehen in der Versorgungakut traumatisierter Menschen ebensowie spezifische Interventionsstrategienin der Frühintervention üben konnten.Dass alle drei Fortbildungstermine kurznach Veröffentlichung ausgebucht waren,spricht für sich und zeigt, wie hoch derdiesbezügliche Bedarf ist. Die Folgetermineder KJP-Notfall Fortbildung finden amSamstag, 23. März <strong>2013</strong> sowie am Samstag,14. September <strong>2013</strong> in den Räumender Geschäftsstelle, Hallerstraße 61, statt.Restplätze gibt es jedoch nur noch für dieVeranstaltung im September. Eine Anmeldungüber info@ptk-hamburg.de ist notwendig.80 <strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>


HamburgNetzwerk Asperger-Syndrom – Hilfe auch für ErwachseneKennen Sie das Asperger-Syndrom? WissenSie, wie man es diagnostiziert, welchebesonderen Symptome und Ausprägungenes hat?Wenn Sie diese Fragen mit einem Nein beantworten,dann sind Sie damit nicht allein.Das Asperger-Syndrom, das zu den„Tiefgreifenden Entwicklungsstörungen“(ICD-10 F84.0) und damit zum Spektrumdes Autismus gehört, ist in fachärztlichenund psychotherapeutischen Kreisen immernoch wenig bekannt. Im Psychologie-Studium und in der psychotherapeutischenAusbildung tauchen Autismus unddas Asperger-Syndrom häufig nicht in denCurricula auf. Dabei liegt laut aktuellen Studiendie Prävalenz der Autismus-Spektrum-Störungenbei 0,5-1%, so die PsychologischePsychotherapeutin Brit Wilczek inihrem Bericht zur Versorgungslage hinsichtlichstörungsspezifischer Diagnostikund Psychotherapie für Erwachsene mitAutismus/Asperger-Syndrom.Was machen dann aber die Menschen, dievom Asperger-Syndrom betroffen sind? DieTherapie wird abgebrochen oder in derHoffnung weitergeführt, dass es „schon irgendwannbesser wird“. Aber das Erleben,„nicht ganz verstanden zu werden“ oderanders ausgedrückt „das Misslingen des Anderen“(Fachtagung Rottenburg 2010)wächst auf beiden Seiten und hinterlässtsowohl beim Patienten als auch beim behandelndenTherapeuten ein Gefühl derUnsicherheit bzw. der Frustration, schreibtBrit Wilczek weiter. Das leidvolle und störungsspezifischeEmpfinden von „Anders-Sein“, „Unverstanden-Sein“ und von Erwartungshaltungen,die – scheinbar – aus eigenemUnvermögen oder aus einem unterstelltenMangel an Bereitschaft nicht erfülltwerden können, gehören dabei zur Symptomatikdes Asperger-Syndroms. Doch wasgenau charakterisiert dieses nun?Das Asperger-Syndrom als eine tiefgreifendeEntwicklungsstörung betrifft zum einendie Funktionen der Wahrnehmungsverarbeitungund zum anderen soziale Fähigkeitenwie spontane Empathie und Steuerungder sozialen Interaktion. Es werden störungsspezifischeBewältigungsstrategienwie die Herausbildung von Spezialinteressen,Ordnungssystemen, Gleicherhaltungstendenzenund stereotype Verhaltensweisenbis hin zu motorischen Manierismenentwickelt, die allerdings individuell sehrunterschiedliche Ausprägungen aufweisen.Wahrnehmungsverarbeitung: Aufgrundmangelnder bzw. fehlender Filterfunktionenströmt auf einen Menschen mit Asperger-Syndrom – insbesondere zu Beginn seinerEntwicklung – eine enorme Fülle von Reizenein. Der Asperger-Autist kann sich vonseinen viel genaueren Eindrücken der Realitätnicht lösen, kann sie zu keinem einheitlichenBild integrieren, auch wenn er diesmit großer intellektueller Anstrengung versucht.Das wahrgenommene Chaos kannnur durch teilweisen Rückzug bzw. Konzentrationauf bestimmte, gleichbleibende bzw.klar strukturierte, wiederkehrende Reizmusteransatzweise bewältigt werden. Asperger-Autistenleiden demzufolge einerseitsan dekompensierenden Folgen chronischerÜberforderung, wie ausgeprägten Ängstenund Aversionen, und entwickeln andererseitseigenwillige Spezialinteressen. Der Asperger-Autistlässt sich beschreiben als einePerson, „die die Welt anders als andere betrachtet“(Attwood, 2008, S.15).Besonderheiten in der sozialen Interaktion:Das Asperger-Syndrom geht mit einergravierenden Einschränkung der sozialenWahrnehmung sowie der Fähigkeit zur Deutungsozialer Signale einher. In den unterschiedlichentheoretischen Konzepten zurAsperger-Störung werden vor allem ein Defizitan kohärenter Konstruktion des Anderenund der Mangel, eine „Theory of Mind“(ToM) zu bilden, beschrieben. „Theory ofMind beschreibt die Fähigkeiten, Gedanken,Überzeugungen, Wünsche und Absichtenanderer Menschen zu erkennen und zu verstehen,um deren Verhalten einschätzenund um vorhersagen zu können, was sie alsNächstes tun werden.“ (Attwood, 2008,S. 143). Andere werden demnach als bedrohlicherlebt und Begegnung vermieden.Dadurch misslingt es Menschen mit Asperger-Syndromschon früh, eine sichere Bindungbzw. gute innere Objekte aufzubauen.Asperger-Autisten sind zwar durchaus fähig,Emotionen bei sich und anderen wahrzunehmen,aber es ist ihnen nahezu unmöglich,daraus ein kohärentes Bild ihres Gegenüberszu entwickeln. Aus der Unfähigkeit,emotionale und soziale Signale des Gegenübersrichtig zu deuten und angemessen zureagieren, ergibt sich eine angstvolle sozialeOrientierungslosigkeit, die meist entwedermit Vermeidungsverhalten oder mit übertriebenerSelbstbezogenheit und sozialem Kontrollbedürfniskompensiert wird.Besonderheiten im Denken und Lernen:Menschen mit autistischen Störungen denkenmeist ausgesprochen logisch und verfügennicht selten über ein außergewöhnlichesGedächtnis. Beide Fähigkeiten sind einewertvolle Ressource, können jedoch inder Interaktion und Kooperation mit ihrenMitmenschen wegen der begrenzten Fähigkeitder Autisten zu wechselseitigem Gesprächund ihrer Neigung zu langen Monologenüber Spezialthemen zum Problem werden.Aufgrund eines Bedürfnisses nach Exaktheitund Vollständigkeit und einer mangelndenFähigkeit, Wichtiges von Unwichtigemzu unterscheiden, neigen Asperger-Autistenzu Perfektionismus. Daraus resultierthäufig eine Einschränkung bei der sinnvollenPlanung und Ausführung von Alltagshandlungen,sie fühlen sich vom eigenen Anspruchoft überfordert oder gelähmt.Schreitet die Aufklärung des Asperger-Syndromsin den letzten Jahren im Kinder- undJugendbereich weiter fort, sind es vor allemErwachsene, die mit ihrem spezifischenStörungsbild kaum geeignete Hilfe finden.In Hamburg formiert sich nun das NetzwerkAsperger-Syndrom im Erwachsenenalter,das das Informationsdefizit und denVersorgungsengpass bezüglich des Asperger-Syndromsverbessern und ein regionalesNetzwerk von fachlich qualifiziertenÄrzten und Psychotherapeuten spannenmöchte. Weitere Informationen unter:www.autismus-institut.de.GeschäftsstelleHallerstraße 6120146 HamburgTel. 040/226 226 060Fax 040/226 226 089Internet: www.ptk-hamburg.deE-Mail: info@ptk-hamburg.deHamburg<strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>81


Mitteilungen der PsychotherapeutenkammerHessenLiebe Kolleginnen und Kollegen,über 30 Jahre gabes in Hessen keinegeschlossene Heimerziehung,in derPresse oft als „Kinderknast“bezeichnet.Kinder unter 14Jahren und damitrechtlich schuldunfähig,die Straftaten begingen und für dieAlfred Kriegerdas geschlossene Heim ultima ratio war,wurden in anderen Bundesländern untergebracht.Nach wie vor ist das erzieherischeKonzept umstritten. Studien desDeutschen Jugendinstituts legen nahe,dass die vom Familiengericht wegenSelbst- oder Fremdgefährdung angeordnetefreiheitsentziehende Maßnahme ebenkein „Knast“ sein muss und für manche KinderChancen bietet. Das hängt im Kern davonab, ob es gelingt, eine stabile Beziehungzwischen Kind und Betreuern zu entwickeln.Im Oktober 2012 eröffnete in Sinntal imMain-Kinzig-Kreis eine „intensivpädagogischeWohngruppe“ mit geschlossener Unterbringung.Drei Kinder sind derzeit indem für acht Kinder konzipierten Haus fürbis zu zwei Jahre untergebracht. Ich habemit Frau Sartorius und Herrn Dr. Ochs dieseEinrichtung im Januar besucht. Wir warenüberrascht, dass neben der sozialpädagogischen,psychologischen und psychiatrischenBetreuung kein originär psychotherapeutischesAngebot außerhalb derInstitution vorgesehen ist.Das Problem der Kinder scheint mir nichtdie vorübergehende Einschränkung derBewegungsfreiheit zu sein, die sie nacheinem Stufenplan zurückgewinnen können.Der Wunsch der Kinder nach einemOrt für sich, nach Intimität scheint groß zusein. In einer Psychotherapie könnten dieKinder etwas von sich vor den Erwachsenenund den anderen Kindern „wegsperren“und könnten innere Freiheit und Sicherheittrotz oder gerade wegen der äußerenEinschränkung entwickeln.Es grüßt sie herzlichAlfred KriegerHessenMehr Therapie, mehr Sicherheit!Einen Therapieplatzzu finden ist fürviele Menschenschwierig, insbesonderefür ehemaligeSexualstraftäter.Dies soll sich nunändern. Eine gemeinsameKooperationder PsychotherapeutenkammerYvonne WinterHessen (LPPKJP Hessen) mit dem Verein„Förderung der Bewährungshilfe in Hessene. V.“ (www.fbh-ev.de) und dem HessischenMinisterium für Justiz unterstützt therapiemotivierteehemalige Sexualstraftäter.Ziel der konzertierten Initiative ist es, denca. 125 erwachsenen Sexualstraftätern inHessen eine verbesserte Versorgung mitPsychotherapie zu gewährleisten.Aus Sicht der LPPKJP Hessen kommenhierfür insbesondere Psychologische Psychotherapeuteninfrage. Das mittels Approbationdokumentierte heilkundlicheWissen stellt die Grundbedingung für einewissenschaftlich fundierte und qualifiziertePsychotherapie dar. Zu den Eckpunktendes Kooperationsprojektes gehören regelmäßige,spezifische Fallsupervisionendurch erfahrene Supervisoren, zusätzlichist eine spezielle curriculare Fortbildung fürdie Psychotherapie mit Sexualstraftäterngeplant. Für die Teilnahme an dieser Fortbildungsowie an speziellen Fachtagungender Bewährungshilfe wurden Zuschüssedurch die Kooperationspartner in Aussichtgestellt. Besonders für approbierte Kollegenohne Kassenzulassung könnte diesesTätigkeitsfeld von Interesse sein. Rechtlichgesehen unterliegt die psychotherapeutischeBetreuung von ehemaligen Sexualstraftäternnicht der Leistungspflicht derKrankenkassen, sondern dem Bewährungsrecht.Deshalb wird die Finanzierungdes Projektes über die Bewährungshilfegewährleistet. Die Honorierung der Therapiesitzungenorientiert sich am üblichenStundensatz einer GKV-Behandlung undkann auch darüber liegen.Die in der Bevölkerung weit verbreiteteAngst vor Sexualstraftätern entspricht nichtden realen Zahlen, sie wird vielmehr durchintensive Medienberichterstattung beeinflusst.Tatsächlich beträgt der Anteil der Sexualstraftatennur 0,8% an allen Delikten.Eine wissenschaftlich fundierte und qualifiziertetherapeutische Tätigkeit, die die Zahlder Wiederholungstaten senkt und damitpräventiv wirkt, hat eine hohe berufspolitischeund gesellschaftliche Relevanz. Deswegenfördert die LPPKJP Hessen dieseZusammenarbeit nachdrücklich. Sie sichertdamit zugleich ein umfassendes Tätigkeitsfeldfür ihre Mitglieder und schafft darüberhinaus Qualitätsstandards auf wissenschaftlich-heilkundlichemNiveau.Die LPPKJP Hessen, der Verein für Bewährungshilfeund das Justizministerium führenam 23.8.<strong>2013</strong> im Saalbau Gutleut inFrankfurt am Main eine Veranstaltung zuihrem Kooperationsprojekt durch. Nähereswird rechtzeitig angekündigt.Yvonne Winter(Mitglied des Vorstands)82 <strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>


HessenPsychotherapie in Deutschland – etwas Besonderes?Am 18. und 19.01.<strong>2013</strong> fand in Frankfurtam Main eine gemeinsame Fachveranstaltungmit dem Titel „Psychotherapie inDeutschland – etwas Besonderes? Vielfalt,Spezialisierung, Rationierung“ der LandesärztekammerHessen (LÄKH) und der PsychotherapeutenkammerHessen (LPPKJPHessen) statt. Damit konnte zum drittenMal ein gemeinsamer Fachtag beider Kammernfür die in der Psychotherapie tätigenKolleginnen und Kollegen vom „GemeinsamenBeirat“, einem Gremium der LPP-KJP Hessen und der LÄKH, veranstaltetwerden. Martin Franke, PP und einer derVorsitzenden des Gemeinsamen Beirats,eröffnete diesen mit 170 Interessierten gutbesuchten Fachtag. Er betonte in seinenEröffnungsworten auch die gute Zusammenarbeitzwischen den beiden Kammern,die eine wichtige Grundlage sei, umauf die zukünftigen Herausforderungender psychotherapeutischen Versorgung gemeinsameinwirken zu können.Psychotherapie in derPsychosomatikDen öffentlichen Vortrag am Freitagabendbestritt Prof. Dr. Peter Joraschky aus Dresden,moderiert von Dr. Wolfgang Merkle.Prof. Joraschky zeichnete den psychotherapeutischen„Sonderweg“ und dessen historischeEntwicklung in Deutschland, besondersauch innerhalb der psychosomatischenMedizin, nach. Hierbei verwies er aufdie „Weltmarktführerposition“ der Psychotherapieim internationalen Vergleich. Zudemnannte Joraschky nochmals empirischeVersorgungsforschungsdaten zur Psychotherapieund erinnerte an eine Untersuchungvon Zielke, nach der ein Euro Investitionin stationäre Psychotherapie zwei EuroFolgekosten spart. Abschließend plädierteer für eine multimodulare anstelle einer verfahrensbezogenenPsychotherapie.Den Samstag eröffnete Jochen Klauenflügelals ärztlicher Vorsitzender des GemeinsamenBeirats. Ebenso sprachen die beidenKammerpräsidenten Alfred Krieger (LPP-KJP Hessen) und Dr. Gottfried von Knoblauchzu Hatzbach (LÄKH) Grußworte, dieauf der Homepage der Kammer nachgelesenwerden können (www.ptk-hessen.de).Allgemeine Wirkprinzipienrelevanter als VerfahrensbezogenheitProf. Dr Jürgen Kriz referiert zur Verfahrensvielfaltin der Psychotherapie.Den ersten Vortrag am Vormittag hielt Prof.Dr. Jürgen Kriz, Osnabrück, moderiert vonElse Döring. Er referierte zur Vielfalt derMethoden in der Psychotherapie und zitierteeine Untersuchung von Cock et al.(2010), nach der nur 2% der befragtenPsychotherapeuten sich eindeutig einemeinzigen Psychotherapieverfahren zuordnen.Diese Ergebnisse seien u. a. Hinweisedarauf, dass allgemeine Wirkfaktoren, wieetwa die Wirkprinzipien von Klaus Grawe,relevanter seien als der Verfahrensbezug.Zur Bedeutung der Psychagogenim letzten JahrhundertProf. Dr. Ulrich Müller hebt die Bedeutungder Pädagogik für die psychotherapeutischeVersorgung von Kindern und Jugendlichenhervor.Prof. Dr. Ulrich Müller, Mitglied des Vorstandsder LPPKJP Hessen und Lehrenderan der Hochschule Hannover, trug alszweiter Hauptreferent am Samstag vor.Sein Vortrag, der von Prof. Dr. Frank Dammaschmoderiert wurde, hatte den Titel„Die Zukunft liegt bei den Kindern“. Müllerverdeutlichte unter anderem die historischeund fachliche Bedeutung der Pädagogikund der Erziehungswissenschaftenfür die psychotherapeutische Versorgungvon Kindern und Jugendlichen in Deutschland.Ethische Dimensionen des PsychotherapeutischenGesprächsProf. Dr. Giovanni Maio spricht zur Ethik despsychotherapeutischen Gesprächs.Prof. Dr. Giovanni Maio aus Freiburg widmetesich ethischen Fragen zur Rationierungvon Psychotherapie. Hierbei appellierteer, den Ethos des Heilens und despsychotherapeutischen Gesprächs nichtder Logik des Managements, der Ökonomisierungund der Rationierung zu opfern.In neun Thesen erläuterte er diese Fragestellungeneindrücklich aus einer philosophischenPerspektive.Am Nachmittag fanden fünf Workshopsstatt. Prof. Dr. Joraschky stellte in seinemWorkshop die Frage „Warum gibt es diePsychosomatik?“. Prof. Dr. Elmar Brähler(Leipzig) zeigte mit eigenen Studien, wiesich die ambulante psychotherapeutischeVersorgung aus der Sicht der Patientendarstellt. Das Thema „Psychotherapie inder Psychiatrie“ behandelte Prof. Dr. MartinOhlmeier (Kassel). Versorgungsfragenvon Kindern in Familien mit psychischenErkrankungen beleuchteten Ariadne Sartorius(Mitglied des Vorstands der LPPKJPHessen) und Dr. Matthias Ochs (Wiesbaden/Heidelberg).Aus genderspezifischerSicht betrachtete Dr. Hans-Geert Metzgerdie Rolle von Jungen und Männern in derPsychotherapie.Ariadne Sartorius(Vorstandsmitglied),Dr. Matthias Ochs(wissenschaftlicher Referent)Hessen<strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>83


Mitteilungen der PsychotherapeutenkammerSexuelle Gewalterfahrung in Kindheit und JugendHessenAm 16.11.2012 fand im Gallus-Saalbau inFrankfurt am Main eine mit rund 170 TeilnehmerInnengut besuchte Fachveranstaltungder Psychotherapeutenkammer Hessen(LPPKJP Hessen) in Kooperation mitdem Hessischen Sozialministerium (HSM)zum Thema „Sexuelle Gewalterfahrung inKindheit und Jugend“ statt, die von Dr.Heike Winter, Vizepräsidentin der LPPKJPHessen, eröffnet wurde.Hohe Dunkelziffer und Einladungzur Kooperation fürPsychotherapeutInnenAngela Wagner von der Frankfurter BeratungsstelleFrauennotruf eröffnete ihreAusführung mit einigen Zahlen; laut einerrepräsentativen Befragung hätte jede siebteFrau mindestens einmal in ihrem LebenErfahrung mit schwerer sexualisierter Gewaltgemacht. In Deutschland gebe es imSchnitt 8.000 Vergewaltigungen im Jahr,wobei die Dunkelziffer wesentlich höherliege, da man schätze, dass nur jede zwanzigsteVergewaltigung gemeldet würde.Die biopsychosozialen Folgen für die Mädchenund Frauen seien aber unabhängigdavon oft schwerwiegend und langanhaltend.Wagner appellierte abschließend andie anwesenden PsychotherapeutInnen,sich bei der Beratungsstelle Frauennotrufzu melden, wenn sie bereit sind, diese ofttraumatisierten Klientinnen zu behandeln,und ermutigte dazu.Juristische Hintergrundinformationenfür PsychotherapeutInnenDie Frankfurter Rechtsanwältin MarianneGrahl referierte zu wichtigen juristischenAspekten und Hintergrundinformationenfür PsychotherapeutInnen und BeraterInnen.Konkret sprach sie über Straftatbestände,Strafrechtliche Verjährung, Grundsätzeund Verlauf des Strafverfahrens,Rechte und Pflichten der Betroffenen,Schweige-/Aussagepflicht der Beraterin/Therapeutin sowie zu Schadensersatz undSchmerzensgeld. Was die Grundsätze desStrafverfahrens betrifft, machte sie daraufaufmerksam, dass das Legalitätsprinzip gilt– d. h., dass Staatsanwaltschaft und Polizeitätig werden müssen, wenn aufgrund konkreterTatsachen der Anfangsverdacht einerStraftat besteht. Für Betroffene bedeutetdies, dass eine „Anzeigeerstattung“ Ermittlungstätigkeitund Strafverfolgung auslöst– unabhängig vom Willen der Betroffenen.Auch sei es wichtig, so Grahl, dasssich Betroffene darüber klar sind, dass imZweifel für den Angeklagten entschiedenwerde, also Freispruch, wenn das Gerichtnicht voll überzeugt ist, dass der Angeklagtedie vorgeworfene Tat begangen hat.Erschütterung des Vertrauensin zwischenmenschliche Interaktionenbei BetroffenenProf. Dr. Silke Birgitta Gahleitner, Lehrendefür Klinische Psychologie und SozialeArbeit an der Alice Salomon HochschuleBerlin, trug zu psychotherapeutischen Behandlungsansätzenfür betroffene Jugendlichevor. So seien folgende traumatherapeutischeAnsätze gut evaluiert: Exposition,kognitive Verfahren, EMDR (konfrontativ);KIDNET (narrative Expositionstherapiefür Kinder); Trauma Systems Therapy (systemisch);PITT, MPTT (psychodynamischimaginativ); Ego-State-Therapie (hypnotherapeutisch);EFT (integrativ-kreativ).Wichtige Ziele der Psychotherapie bei sexualisierterGewalt seien Selbstwirksamkeitund Selbstakzeptanz, Affektwahrnehmungund Affektdifferenzierung, Beziehungsregulationund Bindungsfähigkeit. Gahleitnerbetonte vor allem den letztgenannten Aspekt,nämlich Betroffene dabei zu unterstützen,das Vertrauen in zwischenmenschlicheInteraktionen zurückzugewinnen– und hierfür neben der therapeutischenBeziehung soziale Netzwerke aufzubauen.Dialektisch-Behaviorale Therapie(DBT) der PTBS – eine wirksamestationäre InterventionDr. Regina Steil von der „Abteilung KlinischePsychologie und Psychotherapie“ derGoethe Universität, Frankfurt am Main,stellte psychotherapeutische Behandlungsansätzebei Erwachsenen mit PosttraumatischerBelastungsstörung (PTBS)nach sexualisierter Gewalterfahrung in derKindheit vor. Einführend teilte sie Effektstärkenzu Meta-Analysen zu Psychotherapiebei PTBS mit: Diese liegen je nachMeta-Analyse und Behandlungsansatz zwischen0.72 und 1.51, also vorwiegend imhohen bis sehr hohen Bereich. Ausführlicherstellte Steil die Dialektisch-BehavioraleTherapie (DBT) der PTBS als zwölfwöchigestationäre Intervention vor; derenZiel sei, Patienten zu ermöglichen, traumabezogeneund andere schmerzliche Emotionenwillentlich aktivieren, aushalten undabschwächen zu können.Probleme des begleiteten Umgangsund partielle Schweigepflichtentbindungvon PsychotherapeutInnenIn der abschließenden Podiums- und Plenumsdiskussion,die von der Journalistinder Frankfurter Rundschau Jutta Rippegathergeleitet wurde, die auch zuvor die Referentinnenanmoderierte, wurde auf dasProblem des begleiteten Umgangs zwischenTätern und Opfern eingegangen sowieauf die Möglichkeit und Nützlichkeitder partiellen Schweigepflichtentbindungvon PsychotherapeutInnen. Abschließendwurde der Konsens formuliert, dass dienotwendige und hilfreiche Zusammenarbeitzwischen den Disziplinen, zu der diesehr erfolgreiche Fachveranstaltung einenbedeutsamen Schritt darstelle, noch intensiviertwerden solle.Dr. Matthias Ochs(wissenschaftlicher Referent)Die Ständige Arbeitsgruppe der Kinder- undJugendlichenpsychotherapeutinnen/-therapeutenBei der Gründung der LPPKJP Hessen wurdezur Repräsentation des 2. Heilberufesmit der Ständigen Arbeitsgruppe der Kinder-und Jugendlichenpsychotherapeu tinnen/-therapeuten(KJP-AG) eine besondereForm gewählt. Die in den Ausschüssen84 <strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>


Hessenund im Vorstand vertretenen KJP können inder KJP-AG die relevanten KJP-Themen diskutierenund sich damit gegenseitig unterstützen.So wurden in der Berufsordnungspezifische Regelungen für die Behandlungminderjähriger Patientinnen und Patientenentwickelt, die auch in die Musterberufsordnungeingeflossen sind. Besonderheitenbei der Behandlung von Kindern und Jugendlichensind immer wieder Thema imAusschuss Beschwerde und Schlichtung,z. B. wegen der Nichteinbeziehung des sorgeberechtigten,aber getrennt lebenden Elternteiles.Angesichts des neuen Patientenrechtegesetzestauchen KJP-Fragestellungenauf: Ab wann können Jugendliche einenBehandlungsvertrag schließen? Werdarf Einsicht in die Patientenakte nehmen,gerade bei strittigen Trennungsfällen oderbei Verdacht auf Missbrauch? Wie kann dieSchweigepflicht gegenüber den Patiententrotz des Einsichtnahmerechts der Sorgeberechtigtengesichert werden?Oft werden aktuelle gesellschaftspolitischeThemen aufgegriffen. So wurde die Umstellungder Gymnasialzeit auf G8 kritischreflektiert und auf mögliche negative Folgenfür die seelische Entwicklung der Kinderund Jugendlichen hingewiesen. Fragendes Kinderschutzes haben uns wiederholtbeschäftigt. In der 2012 verabschiedetenSpielhallenverordnung hätten wir uns bessereRegelungen zur Suchtprävention beijugendlichen Nutzerinnen und Nutzern gewünscht.Bei den Frühen Hilfen in Hessenwerden aus unserer Sicht psychotherapeutischeAngebote zu wenig einbezogen.Hinsichtlich neuer Präventionsangebotewurden in der Hessischen Arbeitsgemeinschaftfür Gesundheitserziehung (HAGE)Themen zur seelischen Gesundheit vonKindern und Jugendlichen eingebracht. Intensivwurde die Debatte um eine Regelungder Beschneidung minderjährigerJungen geführt. Die Frage, welche Positionstärker zu gewichten sei, die des Schutzesvor einem körperlichen Eingriff ohne medizinischeIndikation oder die Ausübung religiöserRituale, fand auch in unserer Gruppekein einheitliches Votum.Bei den Hessischen Psychotherapeutentagen(HPT) werden spezielle KJP-Foren angeboten.„Stress in der Schule“ ist als KJP-Thema für den HPT <strong>2013</strong> geplant. Bei derVeranstaltung des Gemeinsamen Beiratsder LPPKJP Hessen und LÄK gab es einenVortrag zur Geschichte und Bedeutung derKindertherapie und einen Workshop zurSituation von Kindern in Familien mit psychischkranken Eltern.Seit Jahren beschäftigen wir uns mit derprekären Versorgung psychisch krankerKinder und Jugendlicher. Hierzu wurde eineeigene Studie zur Versorgungslage inHessen erstellt. Sowohl gegenüber der KVHessen als auch dem Sozialministeriumwurde auf die bestehende Unterversorgunghingewiesen. Durch die 20%-Quotefür Kinder- und Jugendlichenpsychotherapiewurden Sitze neu geschaffen, jedochbehob dies nicht die Unterversorgung inländlichen Gebieten.Bezüglich der zukünftigen Ausbildungsstruktur(postgradual/Direktstudium) unddes Erhalts des eigenen Heilberufes sprichtsich die KJP-AG angesichts der besonderenerforderlichen Kompetenzen mehrheitlichfür die postgraduale Ausbildungund den Erhalt der bislang möglichen Zugängezur Ausbildung aus. Das akademischeZugangsniveau muss einheitlich fürbeide Ausbildungen (PP, KJP) auf denMaster-Abschluss angehoben werden. DieKJP-AG fordert die Bezahlung der PraktischenTätigkeit während der Ausbildung,wobei es keine Unterschiede zwischenden psychologisch ausgebildeten und den(sozial-) pädagogischen Ausbildungsteilnehmerngeben dürfe.Die unterschiedlichen tariflichen Eingruppierungenvon PP und KJP im TVöD sindfachlich nicht haltbar, da für beide Berufedie gleiche psychotherapeutische Ausbildungerforderlich ist, die mit der gleichenStaatsprüfung abgeschlossen wird. Nach13 Jahren PsychThG steht leider eine einheitlicheEingruppierung für PP und KJPauf Facharztniveau noch immer aus.Marion Schwarz(Sprecherin der KJP-AG)HessenMitteilungen der Geschäftsstelle7. Hessischer Psychotherapeutentag„Burnout – out?Zur Psychotherapie einer ‚Zeitkrankheit‘“12./13. April <strong>2013</strong>Johann Wolfgang Goethe-UniversitätCasinogebäude, Frankfurt am MainFestvortrag:• Prof. Dr. Wilhelm Schmid (Berlin),„Ausbrennen und wieder zu Kräftenkommen – Selbstverlust und Selbstfreundschaft“Hauptvorträge:• Prof. Dr. Frank Jacobi„Verbreitung des Burnouts”• Prof. Dr. Christian Dörmann„Burnout und Arbeitswelt”<strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>• Prof Dr. Dr. Rolf Haubl„Sozialpsychologisch-psychoanalytischeAspekte des Burnouts“Foren zu folgenden Themen:• Kinder und Burnout• Verhaltenstherapie und SystemischeTherapie bei Burnout• Burnout in Coaching und Psychotherapie• Burnout-Prophylaxe für PsychotherapeutenGedenkenWir gedenken unserer verstorbenenKolleginnen und Kollegen:Gottlieb Burger (Wettenberg)Ingeborg Schramm (Frankfurt)Redaktion:Yvonne Winter, Dr. Matthias OchsGeschäftsstelleGutenbergplatz 165187 WiesbadenTel. 0611. 53168 0Fax 0611. 53168 29E-Mail: post@ptk-hessen.dewww.ptk-hessen.de85


Mitteilungen der PsychotherapeutenkammerNiedersachsenRechtzeitig vorsorgen für den VerhinderungsfallNiedersachsenDie Kammerversammlung der PsychotherapeutenkammerNiedersachsen (PKN)hatte in ihrer Sitzung am 21.04.2012 einewesentliche Änderung der Berufsordnungbeschlossen. Danach hat jeder niedergelassenePsychotherapeut (mit oder ohneZulassung zur vertragspsychotherapeutischenVersorgung) eine Person seines Vertrauensals sogenannten Beauftragten fürden Verhinderungsfall zu verpflichten undder PKN zu melden. Der Beauftragte darfim Verhinderungsfall organisatorisch notwendigeMaßnahmen des Psychotherapeutenergreifen, z. B. den Patienten überden Verhinderungsfall informieren, Termineabsagen oder verschieben und, Vollmachtvorausgesetzt, im Rahmen von Praxisveräußerungenund Nachbesetzung Informationenüber die Praxis erteilen. Fallsder Beauftragte nicht selbst Psychotherapeutist, hat er zusätzlich einen approbiertenAnsprechpartner zu benennen, dervom Beauftragten hinzugezogen werdenmuss, wenn Anfragen zur Beantwortungund Maßnahmen, wie z. B. die Abrechnung,zu ergreifen sind, die einen Zugriffauf die Patientenakte notwendig machen.Mit der Neufassung der Berufsordnungverfolgte die PKN drei Ziele:1. Die Eigenvorsorge des PP und KJP sollgefördert werden und in eine rechtlicheForm gebracht werden.2. Die Familienangehörigen und Erbenvon PP und KJP sollen vor dem Vorwurfeiner Schweigepflichtverletzung beiplötzlicher Verhinderung oder Tod desPP oder KJP berufsrechtlich und strafrechtlichgeschützt werden.3. Es soll sichergestellt werden, dass anfragendePatienten, Krankenkassen oderRentenversicherung etc. fachkundigeAntworten erhalten. Insbesondere dieBegleitung eines Patienten bei der Akteneinsichterfordert besondere Kenntnisseund Fähigkeiten. Deshalb kann hier nurder approbierte Beauftragte tätig werden.Wir hatten bereits über die Satzungsänderungin der Ausgabe 2/2012 des <strong>Psychotherapeutenjournal</strong>sberichtet.Im November 2012 wurden alle betroffenenMitglieder aufgefordert ihren Beauftragtenbzw. Ansprechpartner zu benennen.Zwischenzeitlich ist eine Vielzahl vonRückmeldungen eingegangen. Ein Großteilder Mitglieder befürwortet die Neuregelung,da sie die gewünschte Rechtssicherheitschafft. Die an uns gerichteten Fragenund Kritikpunkte haben wir aber ebensoernst genommen und möchten sie deshalbgerne in diesem ersten Zwischenberichtaufgreifen.Folgende Fragestellungen wurden an unsgerichtet.Wieso wurde eine Regelung inder Berufsordnung getroffen?Es galt im Rahmen des zulässigen Gestaltungsspielraumsder Kammer eine gesetzlicheOffenbarungsbefugnis zu schaffen, dieeinen Zugriff auf Patientendaten erlaubt, ohnedass der Patient zuvor schriftlich um Einwilligunggebeten werden müsste. Dennunbefugt im strafrechtlichen Sinne wird einPatientengeheimnis dann nicht weitergegeben,wenn entweder eine (mutmaßliche)Einwilligung des Patienten vorliegt oder einegesetzliche Offenbarungspflicht oder Offenbarungsbefugnisbesteht. Dabei ist nicht unsereZielsetzung, eine Rechtsgrundlage fürberufsrechtliche Sanktionen zu schaffen.Das Niedersächsische Kammergesetz fürdie Heilberufe (HKG) erlaubt es der PKN,in ihrer Berufsordnung Regelungen zurEinhaltung der Schweigepflicht zu treffen.In Abstimmung mit dem zuständigen NiedersächsischenMinisterium für Soziales,Frauen, Familie, Gesundheit und Integrationkonnte geklärt werden, dass auf dieserGrundlage auch eine solche gesetzlicheOffenbarungsbefugnis in der Berufsordnunggeschaffen werden kann.Deshalb ist die Einschaltung des Beauftragtenbzw. Ansprechpartners ohne vorherigeZustimmung der Patienten zulässig.Wird das Vertrauensverhältniszwischen Therapeut und Patientnicht durch diese Satzungsänderungbeeinträchtigt?Auch in den zuständigen Gremien derPKN war als mögliche Alternative diskutiertworden, ob man seine Patienten gleich zuBeginn einer psychotherapeutischen Behandlungmit einer Erklärung für den Verhinderungs-oder Todesfall des Psychotherapeutenkonfrontieren wolle. EinhelligeMeinung war jedoch, dass dies aus therapeutischenÜberlegungen nicht sinnvollwäre.Zudem liegt es gerade im Interesse desPatienten, dass sein Therapeut rechtzeitignach einer Vertrauensperson sucht, die imVerhinderungsfall als Ansprechpartner zurVerfügung steht. Einschneidender wäre dieSituation für einen Patienten, der nach JahrenInformationen zu seiner Behandlungerlangen möchte, aber nicht weiß, an wener sich wenden soll. Wir haben leider Fälleerlebt, in denen es nicht einmal einen Angehörigengab, der als Ansprechpartner zurVerfügung gestanden hätte. Oder uns lagenkeine Informationen zu Angehörigenvor. Wer wäre in diesem Fall Ansprechpartnerfür den Patienten und den weiterbehandelndenPP oder KJP?86 <strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>


NiedersachsenSelbstverständlich steht es dem Psychotherapeutentrotz der Regelung in der Berufsordnungoffen, den Patienten bereitszu Beginn der Behandlung über die Personeines Beauftragten/Ansprechpartners zuinformieren.ihrer Meldepflicht anzuhalten. Die großeZahl der bisher eingegangenen Meldungenmacht deutlich, dass wir vielmehrnach zahlreichen Gesprächen und Telefonatendas Verständnis unserer Mitgliederfür unser Anliegen wecken konnten.Der Patient muss im Falle desVersterbens des Therapeutendoch ohnehin einen neuenTherapeuten suchen, wozu alsodiese Regelung?Der Beauftragte bzw. Ansprechpartnerführt nicht die Behandlung des Patientenfort. Er trifft lediglich organisatorische Vorkehrungen.Der Tätigkeitsbereich des Beauftragtenbzw. Ansprechpartners ist deshalbauch eng umgrenzt. Dem Patientenbleibt es selbstverständlich unbenommen,die Behandlung bei einem anderen Psychotherapeutenfortzusetzen. Keinesfallssoll ihm das Recht auf freie Wahl seinesPsychotherapeuten genommen werden.Der weiter behandelnde Psychotherapeutbenötigt jedoch die Patientenunterlagen.Diese kann ihm der Beauftragte ohne dieGefahr eines Verstoßes gegen die Schweigepflichtübermitteln.Wieso wurde außerdem eineMeldepflicht geschaffen?Wir haben uns aus folgenden Gründen dafürentschieden, dass der Beauftragte derPKN namentlich zu melden ist: Erfahrungsgemäßwenden sich die Patienten andie Kammer, wenn ihr Psychotherapeutaufgrund von Krankheit oder Tod nicht erreichbarist. Mit den vorliegenden Kontaktdatenkann dem Patienten rasch geholfenwerden. Mit der bloßen Information, dasses aufgrund der entsprechenden Berufspflichteinen Beauftragten für den Verhinderungsfallgeben müsse, ist dem Patientenoder anderen anfragenden Dritter weniggeholfen. Sie brauchen einen konkretenAnsprechpartner, an den sie sich wendenkönnen. Und ist der verhinderte Kollegefür den Patienten nicht erreichbar, dannstehen die Mitarbeiter der Kammer vordem gleichen Problem.Es ist hingegen nicht unsere Intention, unsereMitglieder durch Androhung und Festsetzungvon Zwangsgeldern zur ErfüllungWieso muss ich für den Todesfallvorsorgen? Meine Erbenkönnen doch tätig werden?Anlass für die Satzungsänderung war unteranderem auch die schwierige Situation derErben. Im Regelfall sind die Erben vor Eintrittdes Erbfalls mit Fragen der Schweigepflichtnicht befasst. Das kann bei Eintrittdes Todesfalls zu einer Überforderung führen.Nach den strafgesetzlichen Regelungenstehen dem schweigepflichtigen Psychotherapeutendie Personen gleich, diedas Geheimnis vom Verstorbenen oderaus dessen Nachlass erlangt haben. Verstößeder Erben gegen die Schweigepflichtkönnen also strafrechtlich geahndet werdenund so empfindliche Strafen mit sichbringen. Es entsteht damit das besondereProblem, dass die Erben einerseits die Unterlagenfür den Verstorbenen aufbewahrenund gegebenenfalls auf Verlangen herausgebenmüssen, andererseits aberKenntniserlangung von den Inhalten zu einerstrafrechtlichen Verfolgung führenkönnte.So können die Angehörigen die Terminedes Praxisinhabers im Regelfall auch nichteinfach telefonisch oder schriftlich absagen,ohne sich in eine juristische Grauzonezu begeben und rechtliche Sanktionenfürchten zu müssen.Wieso muss ich zusätzlicheinen approbierten Ansprechpartnerbenennen, wenn sichdoch mein nichtapprobierterPraxismitarbeiter/Ehegatte/EDV-Experte besser mit demAbrechnungsprogramm undden organisatorischen Abläufenin der Praxis auskennt?Was tun im Verhinderungsfall?Nach § 203 Abs. 3 Strafgesetzbuch (StGB)unterliegen die sog. berufsmäßig tätigenGehilfen ebenfalls der Schweigepflicht. Siesind befugte Mitwisser, sodass eine Datenweitergabean sie nicht strafrechtlich zuahnden wäre. Deshalb ist der Praxisinhaberauch berufsrechtlich verpflichtet, seineMitarbeiter über die gesetzliche Verpflichtungzur Verschwiegenheit zu belehren.Die Belehrung ist schriftlich zu fixieren.Hingegen ist nicht jeder in der Praxis mitarbeitendeEhepartner oder EDV-Experte einsolcher Gehilfe im Sinne des StGB. Vielmehrist jeweils individuell zu prüfen, obdie betreffende Person aus Sicht der Patientenin den weisungsgebundenen internenBereich der auf Vertrauen begründetenSonderbeziehung zwischen Psychotherapeutund Patient einbezogen ist.Mögliche rechtliche Unsicherheiten sollendabei nicht zu Lasten der Angehörigenoder Mitarbeiter eines Praxisinhabers gehen.Der nichtapprobierte Ehegatte oder EDV-Experte kann damit zwar als Beauftragtermit dem entsprechend eingegrenzten Tätigkeitsbereicheingesetzt werden. Da einnichtapprobierter Beauftragter mangelsfachlicher Kompetenz aber keine inhaltlichenAnfragen beantworten kann, ist dieBenennung eines approbierten Ansprechpartnersauch aus fachlicher Sicht erforderlich.Es ist damit zu rechnen, dass der PatientAuskünfte haben möchte, die nichteinfach durch die Lektüre der Dokumentezugänglich sind und einer Interpretationbedürfen. Auch muss insbesondere beiKindern und Jugendlichen als Patientendarauf geachtet werden, dass gegenüberdem Anfragenden nur die Teile offen gelegtwerden, für die eine Berechtigung besteht.Niedersachsen<strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>87


Mitteilungen der PsychotherapeutenkammerNiedersachsenIst der Ansprechpartner mit den internenGegebenheiten und Abläufen der Praxisdes Praxisinhabers nicht vertraut, kann ihnaber der nichtapprobierte Beauftragte mitseinem Fachwissen unterstützen.Muss ich meinen Beauftragten/Ansprechpartner finanziellentschädigen?Wir haben in den unseren Mitgliedern zurVerfügung gestellten Mustervereinbarungenzur Beauftragung im Verhinderungsfalleine prinzipielle Regelung vorgesehen. DieTätigkeit als Beauftragter/Ansprechpartnersoll unentgeltlich erfolgen. Macht der Beauftragtebei der Ausführung des AuftragsAufwendungen, die er für erforderlich haltendarf, sind ihm diese zu erstatten. Lediglichdas Verfassen von Arztbriefen unddie Begleitung von Patienten bei der Einsichtnahmein die eigene Patientenaktekönnten kostenpflichtige Leistungen sein,für die ggf. der Beauftragte auch eine Vergütungbekommen könnte. Eine Anerkennungsgebührfür zeitintensive Tätigkeiten,wie z. B. die Abrechnung mit der KassenärztlichenVereinigung oder die Begleitungdes Praxisverkaufs, könnte ggf. individuellvereinbart werden. Dies liegt im Ermessendes Praxisinhabers. Eine generelle Bezahlungfür diese prinzipielle Bereitschaft haltenwir für unangemessen.Kann ich als eingesetzterBeauftragter/Ansprechpartnerkündigen, wenn der Auftraggeberverstorben ist?Gerade auch im Falle des Todes des Praxisinhabershat der Beauftragte die Besorgungder ihm übertragenen Aufgaben fortzusetzen,bis der Erbe des Praxisinhabersanderweitige Fürsorge treffen kann.Wie finde ich einen Beauftragten/Ansprechpartner?Nach aktuellem Kenntnisstand gibt es einegute Vernetzung unserer Mitglieder überdie Intervisions- und Supervisionskontakte,als insofern eine gegenseitige Verpflichtungerfolgt. Die PKN fördert die kollegialeZusammenarbeit ihrer Mitglieder und unterstütztdie Vernetzungsstrukturen überalldort, wo es sinnvoll erscheint und der Entlastungder Mitglieder und Patienten dient.Deshalb wäre es auch möglich, dass sichMitglieder eines Qualitätszirkels untereinanderals Beauftragte einsetzen.Da uns teilweise Schwierigkeiten bei derSuche eines Beauftragten signalisiert wurden,haben wir aber dennoch die ursprünglichgesetzte Meldefrist bis zum30.06.<strong>2013</strong> verlängert. Die Suche erweistsich zwar in städtischen Ballungsräumen inder Regel als unproblematisch, im ländlichenRaum stellt sich die Situation jedochganz anders dar. Gerade deshalb ist essinnvoll, die notwendigen organisatorischenVorkehrungen möglichst frühzeitigzu treffen, damit im Verhinderungsfall soforteine Vertrauensperson zur Verfügungsteht, die direkt von der Kammer benanntwerden kann.Der Beauftragte muss nicht Mitglied derPsychotherapeutenkammer sein, auchÄrzte oder Ärztinnen können verpflichtetwerden. Neben der Recherche über www.psych-info.de empfehlen wir deshalb auchdie ergänzende Suche auf der Homepagewww.arztauskunft-niedersachsen.de. Auchkönnen angestellte PP oder KJP oder Mitgliedereiner anderen Landespsychotherapeutenkammerder PKN gemeldet werden.Kann ich auch einen Heilpraktikerals Ansprechpartner einsetzen?Nein. Im Gegensatz zu PsychologischenPsychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutensowie Ärztensind Heilpraktiker keine Geheimnisträgerim Sinne des Strafgesetzbuches. Insofernkommt ein Zugriff eines Heilpraktikersauf Ihre Patientenunterlagen ohne eineausdrückliche Einwilligung der Patientennicht in Betracht. Die Berufsordnung derPsychotherapeutenkammer Niedersachsenstellt ausschließlich auf Geheimnisträgerim Sinne des Strafgesetzbuches ab.Gerne stehen wir auch für weitere Fragenunserer Mitglieder zu den Satzungsregelungenzur Verfügung. Bitte scheuen Siesich nicht, telefonischen oder schriftlichenKontakt zu uns aufzunehmen.Die Geschäftsstelle der PKN – Da sind wir fast in Unterlagen versunkenIn unserer Reihe kurzer Interviews mit denMitarbeiterinnen der Geschäftsstelle stellenwir Ihnen heute Claudia Peter vor. Siezählt mit über zehn Jahren Zugehörigkeitzur Geschäftsstelle zu den erfahrenstenKräften.Wie sieht Ihr Aufgabenbereichin der PKN aus, Frau Peter?Mein Arbeitsschwerpunkt liegt in der Akkreditierungsstelleund in der Bearbeitungvon Psych-Info.Was alles leistet die Akkreditierungsstelleund gehört damitzu Ihren Aufgaben?Die Bearbeitung der Akkreditierungsanträgeder Veranstalter von Fortbildungsangebotensowie das Führen und Verwalten derFortbildungskonten unserer Mitglieder.Seit dem Inkrafttreten der Fortbildungsordnung2004 hat sich einiges getan. Seit2007 haben wir nun die gemeinsame Akkreditierungsstellemit der PsychotherapeutenkammerBremen.Der erste Nachweiszeitraum für die Fortbildungspflichtendete im Juni 2009. Dazugehörte, dass uns unsere Mitglieder ihreTeilnehmerbescheinigungen von Fortbildungsveranstaltungender letzten fünf Jahreeingereicht haben. Wir sind in den Unterlagenfast versunken. Da waren einigestudentische Hilfskräfte notwendig, um dieMengen an Papieren zu bewältigen. DasAusstellen von Fortbildungszertifikaten istin Niedersachsen nicht zwingend erforderlich,denn die Übermittlung der Erfüllungder Fortbildungspflicht ist mit einem auto-88 <strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>


NiedersachsenClaudia Petermatischen Datentransfer geregelt. Hierzuund zu weiteren Themen haben wir einaktuelles Merkblatt entwickelt, das auf derHomepage der PKN eingestellt ist.Hinsichtlich der Software undDateneingabe hat sich bei denFortbildungskonten ja auch fürdie Mitglieder eine Veränderungergeben.Ich denke, dass sich viele von unseren Mitgliedernnoch an die Einführung an dasPAZ-Tool erinnern werden. Leider hakte esbei der Übermittlung immer wieder an einigenStellen. Aus diesem Grund habenwir für unsere Veranstalter eine Online-Plattform programmiert, die sie mit ihrenpersönlichen Zugangsdaten aufrufen können.Über die Eingabe in der Online-Plattformwerden die Fortbildungspunkte aufdie Fortbildungskonten übertragen.Gibt es typische, immer wiederkehrendeFragen von Mitgliedernoder Veranstaltern?Unsere Mitglieder fragen nach, warum aufihre Fortbildungskonten nicht alle Fortbildungsveranstaltungen,an denen sie teilgenommenhaben, aufgebucht sind. In derRegel sind es durch eine andere Heilberufekammerakkreditierte Veranstaltungen.Leider werden uns diese Punkte nichtelektronisch übermittelt und die entsprechendenTeilnehmerbescheinigungen sindbei uns einzureichen.Wie können sich unsere Mitgliedereigentlich beim Online-Psychotherapeutensuche-PortalPsych-Info anmelden?Ich lege für unsere Mitglieder, außer denPiA, unabhängig davon, ob Sie freiberuflich,selbstständig oder angestellt/beamtetals Arbeitnehmer tätig sind, einen Datensatzan. Die weitere Bearbeitung des Datensatzesist von unseren Mitgliedernselbst vorzunehmen. Der Datensatz wirddanach von mir frei geschaltet.Gibt es etwas, das Sie denMitgliedern auf diesem Wegegern mitteilen würden?Ich kann nur sagen, dass ich immer gerntelefonisch für unsere Mitglieder da binund soweit ich kann, mit Rat und Tat zurSeite stehe.Liebe Frau Peter, vielen Dankfür das Gespräch.GeschäftsstelleRoscherstr. 1230161 HannoverTel.: 0511/850304-30Fax: 0511/850304-44Sprechzeiten:Mo, Di, Do, Fr 09.00 – 11.30 UhrMo, Di, Mi, Do 13.30 – 15.00 UhrMail-Anschrift: info@pknds.deMail-Anschrift „Fragen zur Akkreditierung“:Akkreditierung@pknds.deInternet: www.pknds.deNiedersachsenBekanntmachungFeststellung des Haushaltsplans des Niedersächsischen Zweckverbandszur Approbationserteilung für das Haushaltsjahr <strong>2013</strong>Die Verbandsversammlung des Niedersächsischen Zweckverbands zur Approbationserteilung hat in der Sitzung vom 27.11.2012 den Haushaltsentwurf fürdas Jahr <strong>2013</strong> genehmigt.Die Feststellung des Haushaltsplans wird hiermit gemäß § 26 Abs. 1 des Kammergesetzes für die Heilberufe (HKG) in der Fassung vom 08.12.2000(Nds. GVBl. S. 301), zuletzt geändert durch Gesetz vom 09.05.2012 (Nds. GVBl. S. 100), i. V. m. § 25 Nr. 7 HKG i. V. m. § 9 Abs. 4 S. 2 HKG i. V. m. demVertrag über den Zusammenschluss zum Niedersächsischen Zweckverband zur Approbationserteilung (NiZzA) vom 22.12.2005 (niedersächsisches ärzteblatt2/2006 S. 68 ff., Einhefter für Niedersachsen im <strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/2006 S. 7 f., ZKN Mitteilungen 2/2006 S. 126 f.), zuletzt geändertam 06.07.2011 (niedersächsisches ärzteblatt 8/2011 S. 38, <strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 3/2011 S. 308, ZKN Mitteilungen 9/2011 S. 530), bekannt gemacht.Hannover, den 27.11.2012Dr. Martina Wenker– Vorsitzende der Verbandsversammlung –<strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>89


Mitteilungen der PsychotherapeutenkammerNordrhein-WestfalenKammerversammlung am 14. Dezember 2012 in DortmundNordrhein-WestfalenDie unzureichende Reform der Bedarfsplanungund die viel zu geringe Honorarsteigerungin der ambulanten Psychotherapiewaren zwei der herausragenden Themender Kammerversammlung vom 14. Dezember2012 in Dortmund. Monika Konitzer,Präsidentin der PsychotherapeutenkammerNRW, stellte in ihrem mündlichenVorstandsbericht die Ergebnisse der Vergütungsverhandlungenzwischen GKV-Spitzenverbandder gesetzlichen Krankenkassenund Kassenärztlicher Bundesvereinigungdar. Danach ist ab dem 1. Januar<strong>2013</strong> eine Anhebung des Orientierungspunktwertesgültig, die bei niedergelassenenPsychotherapeuten eine minimaleAnhebung der Vergütung pro Sitzung um73 Cent bedeutet. „Dies führt inflationsbereinigtzu Einkommensverlusten“, kritisiertePräsidentin Konitzer diesen Beschlussdes Bewertungsausschusses vom 22. Oktober2012, dem allerdings noch eine weitereVergütungsverhandlung auf Landesebenefolgen wird. „Psychotherapeutenstehen am unteren Ende der Einkommenspyramide“,stellte Konitzer fest. „Eineangemessene Vergütung pro Zeiteinheit istbis heute nicht realisiert.“ Der Bewertungsausschusshatte ferner empfohlen, die antrags-und genehmigungspflichtige Psychotherapieund probatorische Sitzungenkünftig extrabudgetär zu vergüten, zusätzlichepsychotherapeutische Praxissitze aufhöchstens 1.150, vor allem in ländlichenRegionen, zu begrenzen und bis Mitte<strong>2013</strong> die Psychotherapie-Richtlinie zuüberprüfen.Resolutionen zur Gesundheitspolitikund VergütungKammerversammlung am 14. Dezember 2012Die Kammerversammlung bekräftigte indrei Resolutionen zentrale Positionen dernordrhein-westfälischen Psychotherapeutenschaft:Die geplante Reform der Bedarfsplanunggefährdet danach die psychotherapeutischeVersorgung, eine minimaleHonorarsteigerung von lediglich 73Cent je psychotherapeutischer Sitzung istinakzeptabel und eine Weiterentwicklungder Psychotherapie-Richtlinien darf nichtvorrangig aufgrund von ökonomischen Erwägungenerfolgen, sondern muss sich anVersorgungsnotwendigkeiten und demNutzen für die Patienten orientieren. (DieResolutionen finden Sie am Ende des Berichts).Zur Vergütung forderte die Kammerversammlunginsbesondere: „Die PsychotherapeutenkammerNRW fordert die Gesundheitspolitikund den Gesetzgeber auf,die bisher nur allgemein gehaltene Bestimmungzur angemessenen Vergütungder psychotherapeutischen Leistungen im§ 87 Abs. 2b SGB V so zu konkretisieren,dass Psychotherapeuten bei gleichem Arbeitseinsatzein Einkommen erzielen können,wie es ein im fachärztlichen Versorgungsbereichtätiger Vertragsarzt erreichenkann. Außerdem muss ein jährlicher Abgleichder Einkommen der Psychotherapeutenmit denen der Fachärzte gesetzlichvorgeschrieben und die Höhe der Vergütungpsychotherapeutischer Leistungenentsprechend angepasst werden.“Reform der BedarfsplanungKonitzer erläuterte, dass der Grad derÜberversorgung bei der Zulassung von nie-Präsidentin Monika Konitzer90 <strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>


Mitteilungen der PsychotherapeutenkammerNordrhein-Westfalenrium begrüßt, da das neue PEPP-Systemdadurch mit realen Krankenhausdaten erprobtwerden und das neue Finanzierungssystemsich lernend entwickeln könne.BPtK-Befragung angestellterPsychotherapeutenHermann Schürmann, Vizepräsident derPTK NRW, berichtete über die für Februar<strong>2013</strong> von der BPtK geplante bundesweiteBefragung aller angestellten Psychotherapeutinnenund Psychotherapeuten zu ihrerberuflichen Situation. Die Befragungwerde anonym zusammen mit dem renommiertenIGES-Institut durchgeführt.Ziel ist es, verlässliche Daten über die beruflichePosition, Tätigkeitsspektren, (Führungs-)Aufgabenund Funktionen der angestelltenPsychotherapeuten zu erhalten.Eine verbesserte Datenlage ist wichtig, umdie Interessen der Psychologischen Psychotherapeutenund Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutenz. B. in Krankenhäusern,aber auch in Beratungsstellenbesser vertreten zu können. Die PTK NRWbittet deshalb dringend um breite Unterstützungund Mitwirkung aller angestelltenPsychotherapeuten.AusbildungDie Kammerversammlung bekräftigte ihreForderung nach einer leistungsgerechtenVergütung für Psychotherapeuten in Ausbildung(Resolution vom 9. Dezember2011) und nahm den Bericht der KommissionAusbildung entgegen, die über Chancenund Risiken der vom Bundesgesundheitsministeriumvorgeschlagenen Direktausbildungin Psychotherapie berät.Leitbild der PsychotherapeutenkammerNRWKammerpräsidentin Monika Konitzer stelltedie Auswertung der Leitbilddiskussionvon der vergangenen Kammerversammlungvor. Die Ziele des Leitbildprozesseswürden geteilt. Wesentliche Ziele seien:ein aussagekräftiges Leitbild, mit dem sichVorstand, Kammerversammlung und Geschäftsstelleidentifizieren können, dieEntwicklung einer gemeinsamen Handlungsorientierungund ein einheitlichesVerständnis der grundsätzlichen Ausrichtung,der Funktion und der Hauptaufgabender Psychotherapeutenkammer. Einwesentlicher Punkt sei dabei, die Funktionenvon Präsident/in, Vorstand insgesamt,einzelner Vorstandsmitglieder, der Kammerversammlung,der Ausschüsse undKommissionen zu klären und ein „realistischesIdealbild“ zu erarbeiten. Der Vorstanderstellt jetzt einen überarbeitetenLeitbildentwurf. Danach soll das Leitbild inder Kammerversammlung beraten undverabschiedet werden. Die Kammerversammlungbeschloss im Rahmen des Leitbildprozesses,Möglichkeiten einer stärkerenregionalen Ausrichtung der Kammeraktivitätenzu diskutieren und zu erarbeiten.Diskussion: Beiträge je nachEinkommen?Hermann Schürmann stellte die Eckpunktedes Vorstands zu einer neuen Beitragsordnungzur Diskussion, bei der sich dieHöhe der Kammerbeiträge nach der Höheder Einkommen der Kammermitgliederrichtet.Vizepräsident Hermann SchürmannSchürmann erläuterte, dass die PTK NRWbestimmte Aufgaben nach dem HeilberufsgesetzNRW zu erfüllen habe. Zur Erfüllungdieser Aufgaben sei die Kammer berechtigt,von ihren Mitgliedern Beiträge zuerheben. Dabei müssten sich die Beitragseinnahmennach den prognostiziertenKosten richten (Kostendeckungsprinzip).Durch das Bundesverwaltungsgericht seiaußerdem festgelegt worden, dass die Beiträgesich nach dem Äquivalenzprinzip sowiedem Gleichheitsgrundsatz bzw. Willkürverbotrichten müssten. Aus dem Äquivalenzprinzipfolge, dass die Höhe derBeiträge in keinem Missverhältnis zumWert der Mitgliedschaft stehen dürfe. DieErfüllung der gesetzlichen Aufgaben seiein immaterieller Wert für die Mitglieder.Der Beitrag müsse deshalb nicht zu einemunmittelbaren wirtschaftlichen Vorteil fürdie Mitglieder führen. In der Praxis sei derGleichheitsgrundsatz weitaus wichtiger.v. l. Ursula Gersch, Gerhild von Müller, Peter Müller-Eikelmann, Gerd Hoehner92 <strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>


Nordrhein-Westfalenv. l. Nicola Dießelberg, Cornelia Beeking, Heidi RosenowFür die Erhebung von Mitgliedsbeiträgendurch eine öffentlich-rechtliche Körperschaftbedeute dies, dass den wesentlichenVerschiedenheiten der MitgliederRechnung getragen werden müsse. DasBundesverwaltungsgericht habe wiederholtkonkretisiert, dass Beiträge die steuerpflichtigenEinkünfte der Mitglieder aus ihrerberuflichen Tätigkeit zur Grundlage habendürfen. Mit der Höhe der beruflichenEinkünfte nehme auch der materielle undimmaterielle Nutzen der Kammer zu. Außerdementspreche es dem Gedanken derSolidargemeinschaft, wirtschaftlich schwächereMitglieder auf Kosten der Leistungsstärkerenzu entlasten, sodass jeder unterschiedlichzu den Kosten der Körperschaftbeitrage.Schürmann stellte außerdem die Umfrageergebnissezur wirtschaftlichen Situationder Kammermitglieder vor. Danach verteiltsich das Jahreseinkommen nahezu gleichmäßigüber die Einkommensklassen ab20.000 bis 80.000 Euro und mehr. Kinder-und Jugendlichenpsychotherapeutenverfügten im Durchschnitt über ein geringeresEinkommen als Psychologische Psychotherapeuten.Schürmann plädierte deshalb dafür, diebestehende Beitragsordnung der PTK-NRW, nach der alle Mitglieder grundsätzlichden gleichen Einheitsbeitrag zahlen,zu ändern. Sie solle durch eine Beitragsordnungersetzt werden, in der sich dieBeiträge grundsätzlich nach den Einkünftenaus selbstständiger und nichtselbstständigerpsychotherapeutischer Tätigkeitrichten. Maßgeblich sei der Steuerbescheiddes vorvergangenen Jahres. DerKammerbeitrag errechne sich dann mittelseines Prozentsatzes vom Jahreseinkommen(„Hebesatz“). Das Mitglied stufe sichselbst in eine Beitragsklasse ein. Die Geschäftsstelleüberprüfe die Einstufung jährlichbei zehn Prozent der Mitglieder oderbei begründetem Verdacht. Ferner solle esAusnahmeregelungen geben, um unzumutbareHärten zu vermeiden.In der anschließenden Diskussion berichteteGerd Hoehner, Mitglied des Finanzausschusses,dass die Mehrheit der Finanzausschussmitgliedernicht zu derÜberzeugung gekommen sei, dass eindringender Handlungsbedarf bestehe, dieBeitragsordnung zu ändern. Er könne nichterkennen, welches Problem damit beseitigtwerden solle. Die Vorsitzende des Finanzausschusses,Uschi Gersch, erläuterte,dass die Einkommen von Ärzten undPsychotherapeuten nicht vergleichbar seien,bei Ärzten gebe es eine andere Dimensionan Einkommen, sodass sich dieGerechtigkeitsfrage anders stelle. AndereMitglieder der Kammerversammlung hieltendie Eckpunkte des Vorstandes für hilfreichund zielführend. Gerade niedere Einkommensklassenseien durch den Einheitsbeitraghoch belastet. Diese Ungerechtigkeitmüsse behoben werden. WeitereDelegierte betonten, die Einkommender Kammerversammlungsmitglieder seiennicht repräsentativ für die gesamte Mitgliedschaftder Kammer. Vor allem dieniedrigeren Einkommen der Frauen, dieden Großteil der Kammermitglieder bilden,müssten berücksichtigt werden. EinEinheitsbeitrag sei ungerecht. Wer mehrEinkommen erziele, könne auch mehr beitragen.Präsidentin Monika Konitzer mahnteebenfalls, nicht die eigenen Interessenin den Vordergrund zu stellen, sondernsich der Verantwortung gegenüber allenKammerangehörigen bewusst zu sein.Der Kammerversammlung lagen Anträgeder Fraktionen Kooperative Liste und derFraktion Bündnis KJP vor, den Vorstand zubeauftragen, einen Entwurf für eine Änderungder Beitragsordnung entsprechendden Vorstandseckpunkten vorzulegen.Nach längerer Beratung wurde ein Antragangenommen, mit dem der Vorstand beauftragtwurde, zusätzlich dazu auch alternativeEntwürfe vorzulegen, z. B. Beibehaltungdes Regelbeitrags mit erweiterten Ermäßigungsmöglichkeiten.Änderung der EntschädigungsundReisekostenordnungDa die Höhe der Aufwandsentschädigungenseit zehn Jahren unverändert gebliebenwar, beschloss die Kammerversammlungeine Anpassung der Aufwandsentschädigungenfür die Teilnahme an Sitzungenvon 40 auf 50 Euro pro Stunde. DieVorstandspauschalen wurden entsprechendangepasst. Außerdem werden zukünftigausscheidende Vorstandsmitglieder einÜbergangsgeld erhalten.HaushaltDie Kammerversammlung entschied überden Jahresabschluss 2011. Das Jahr schlossmit einem Überschuss von rund 155.000Euro ab, bedingt sowohl durch ein höheresAufkommen an Kammerbeiträgen alsNordrhein-Westfalen<strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>93


Nordrhein-Westfalenpro Sitzung angehoben. Damit erhöht sichder Umsatz für eine einstündige Psychotherapiesitzunginnerhalb von fünf Jahren(Anfang 2009 bis Ende <strong>2013</strong>) nur um0,2% pro Jahr. Dies ist angesichts einerGeldentwertung von jährlich 2% ein massiverrealer Einkommensverlust.Psychotherapie ist eine Leistung, die nicht anPraxispersonal oder Praxisvertreter delegiertwerden kann. Aufgrund ihrer festen Zeitgebundenheitist diese Leistung auch nichtschneller zu erbringen oder anderweitig vermehrbar.Daher profitieren Psychotherapeutennicht von der Zunahme der Menge derabrechenbaren Leistungen, wie sie in denjährlichen Gesamtvergütungsverhandlungenzwischen Kassenärztlichen Vereinigungenund Krankenkassen vereinbart werden.Psychotherapeuten liegen weiterhin weitabgeschlagen an der untersten Stelle imVergleich zum Einkommen somatisch tätigerÄrzte. Sie verdienen – bei gleicher Arbeitszeit– im Durchschnitt etwa die Hälftealler anderen Arztgruppen und etwa einDrittel bis ein Viertel im Vergleich zu denspezialisierten Internisten. Seit der Honorarreform2009 geht diese Einkommensscherezwischen somatisch tätigen Ärztenund Psychotherapeuten stetig auseinander.Die Selbstverwaltung der Ärzte und derKrankenkassen war bisher weder willensnoch in der Lage, diese gravierenden Einkommensunterschiedezu beheben. Ausdiesem Grund musste das Bundessozialgerichtseit 1999 in mehreren Urteilen dafürsorgen, dass den Psychotherapeutenzumindest ein gewisses Mindesthonorarzugestanden wird. Es ist nicht länger zumutbar,dass Psychotherapeuten ihren Anspruchauf eine angemessene Vergütungihrer Leistungen immer wieder über jahrelangegerichtliche Auseinandersetzungeneinklagen müssen und ihnen außerdemder damit einhergehende Zinsverlust nichterstattet wird.Die PTK NRW fordert daher die Gesundheitspolitikund den Gesetzgeber auf, diebisher nur allgemein gehaltene Bestimmungzur angemessenen Vergütung derpsychotherapeutischen Leistungen im§ 87 Abs. 2b SGB V so zu konkretisieren,dass Psychotherapeuten bei gleichem Arbeitseinsatzein Einkommen erzielen können,wie es ein im fachärztlichen Versorgungsbereichtätiger Vertragsarzt erreichenkann. Außerdem muss ein jährlicher Abgleichder Einkommen der Psychotherapeutenmit denen der Fachärzte gesetzlichvorgeschrieben und die Höhe der Vergütungpsychotherapeutischer Leistungenentsprechend angepasst werden.Resolution: Innovationen nur zum Nutzen der PatientenMit dem Beschluss des Bewertungsausschussesvom 22. Oktober 2012 zur extrabudgetärenVergütung wurde eine Vereinbarungzwischen der KBV und dem GKV-Spitzenverband getroffen, nach der biszum 30. Juni <strong>2013</strong> die Psychotherapie-Richtlinien und das Gutachterverfahrenweiterentwickelt werden sollen. Insbesondereseien die Angemessenheit der unterschiedlichenBehandlungsdauer der verschiedenenVerfahren und das Verhältnisvon Einzel- zu Gruppentherapie zu überprüfen.Damit wird erstmalig eine honorarpolitischmotivierte Festlegung für eine imund vom G-BA durchzuführende Weiterentwicklungder Psychotherapie-Richtlinienvereinbart.Die PTK NRW begrüßt die Absicht, die seit40 Jahren nur wenig veränderten Psychotherapie-Richtlinienheutigen Erfordernissenanzupassen. Es müssen z. B. Möglichkeitenzur langfristigen, niederfrequentenPsychotherapie bei chronischen psychischenErkrankungen sowie zur kurzfristigenAkutbehandlung geschaffen werden,Bekanntmachung des Hauptwahlleiters der PTK NRWGemäß § 23 Abs. 3 i. V. m. § 21 Abs. 9 der Wahlordnung für die Wahl zu den Kammerversammlungender Heilberufskammern in der Fassung der Verordnung vom 01. Oktober 2008 gebe ichbekannt:Frau Birgit Dürfeld, Wahlkreis Arnsberg, Psychologische Psychotherapeutin, Vorschlag „PsychotherapeutInnenWL“ hat am 14.11.2012 den Verzicht auf den Sitz in der Kammerversammlung erklärt.Nachgerückt ist Herr Prof. Dr. Rainer Sachse, Psychologischer Psychotherapeut, Vorschlag „PsychotherapeutInnenWL“.gez.Dr. jur. Peter AbelsHauptwahlleiterBekanntmachung des Hauptwahlleiters der PTK NRWGemäß § 23 Abs. 3 i. V. m. § 21 Abs. 9 der Wahlordnung für die Wahl zu den Kammerversammlungender Heilberufskammern in der Fassung der Verordnung vom 01. Oktober 2008 gebe ichbekannt:Herr Prof. Dr. Rainer Sachse, Wahlkreis Arnsberg, Psychologischer Psychotherapeut, Vorschlag „PsychotherapeutInnenWL“ hat am 13.12.2012 den Verzicht auf den Sitz in der Kammerversammlungerklärt.Nachgerückt ist Frau Anke Judtka, Psychologische Psychotherapeutin, Vorschlag „PsychotherapeutInnenWL“.gez.Dr. jur. Peter AbelsHauptwahlleiterwie sie in den derzeit gültigen Psychotherapie-Richtliniennicht vorgesehen sind.Die Möglichkeiten zur Durchführung vonGruppentherapien sollten verbessert undder bürokratische Aufwand auf das Nötigstebeschränkt werden.Angesichts der zunehmenden Ökonomisierungim Gesundheitswesen weist diePsychotherapeutenkammer NRW daraufhin, dass die Überarbeitung der Psychotherapie-Richtliniennicht vorrangig vonökonomischen Erwägungen bestimmtwerden darf. Die PTK NRW fordert daher,dass die Weiterentwicklung der Psychotherapie-Richtliniensich an den Versorgungsnotwendigkeitenund dem Nutzen für diePatienten zu orientieren hat. Dabei sindfachliche Kriterien und die Ergebnisse derForschung zu berücksichtigen. Einschränkungenbei notwendigen Behandlungenverletzen das Wohl der Patienten und werdendaher entschieden abgelehnt.GeschäftsstelleWillstätterstr. 1040549 DüsseldorfTel. 0211 / 52 28 47-0Fax 0211 / 52 28 47-15info@ptk-nrw.dewww.ptk-nrw.deNordrhein-Westfalen<strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>95


OstdeutschePsychotherapeutenkammerBrandenburgMecklenburg-VorpommernSachsenSachsen-AnhaltThüringenMitteilungen der OstdeutschenPsychotherapeutenkammer2. Ostdeutscher Psychotherapeutentag 2014 mit internationaler Referentenbesetzung– OPK-Präsidentin Andrea Mrazek im Interviewhungsgestaltung ein wesentlicher Punktist. Darüber sind sich alle einig, trotz derVerschiedenheiten. Und auf der anderenSeite entstand die Idee vor dem Hintergrund,dass in der OPK fünf Bundesländerzusammenarbeiten und Beziehungen dabeieine große Rolle spielen. Außerdemmüssen Psychotherapeuten, wie überall inder Medizin, darlegungsfähig sein, dassdas, was sie machen, wirksam ist. Insofernist es hoch spannend zu sehen, was wirüber Beziehungsgestaltung aus der Praxis,aber auch aus der Forschung wissen. Diesebeiden Dinge zusammenzuführen, wardie Idee zum 2. OPT.tausch zu fördern, so wie wir das als OPKdurch den kammereigenen Forschungsausschussbereits tun. Manchen Forschungsprojektenfehlt die Praxisrelevanz,trotz der Aufgeschlossenheit dafür. Wirwürden gern Forschung sehen und Forschungunterstützen, aber zu Themen, diesich in der Praxis stellen und die die Kollegenmit ihren Fragen und Anregungen ausder Praxis bereichern können.Auf welche Referenten freuen Siesich persönlich nach jetzigemPlanungsstand der Veranstaltungam meisten?Ostdeutsche PsychotherapeutenkammerOPK-Präsidentin Andrea MrazekErneut richtet die Ostdeutsche Psychotherapeutenkammer(OPK) vom 21. bis 22.März 2014 den Ostdeutschen Psychotherapeutentag(OPT) aus – zum zweiten Malund mit vielen Partnern. Die Veranstaltungwird rund 500 Fachleute aus dem deutschsprachigenRaum sowie aus den USA zusammenbringen.Die Gesamtleitung des2. OPT liegt bei der Präsidentin der Kammer,Andrea Mrazek. Für das <strong>Psychotherapeutenjournal</strong>sprach Andrea Mrazek überdie Findung des Leitthemas „PsychotherapeutischeBeziehungen“ für den 2. OPT,die Zusagen namhafter Referenten sowieihre persönlichen Höhepunkte am 21./22.März 2014.Wie kam es zur Auswahl des Leitthemas„Psychotherapeutische Beziehungen“?Es entstand aus der Idee heraus, dass natürlichfür alle Therapieverfahren die Bezie-Was macht die Aktualität desThemas aus?Der Dialog zwischen der reichen Erfahrungunserer in der Versorgung der Menschenarbeitenden Kolleginnen und Kollegenund den Ergebnissen aus der Wissenschaft.Wenn man praktisch arbeitendePsychotherapeuten nach dem Wesentlichenihrer Arbeit fragt, wird die Gestaltungder therapeutischen Beziehung genanntwerden. Alle sind daran interessiert,die Prozesse, die dabei stattfinden, besserzu verstehen und besser zu gestalten. Dafürmöchten wir empirische Belege heranziehenund den Erfahrungsschatz derKollegen ins Spiel bringen. Es sollen beideLinien nicht nebeneinander laufen,sondern miteinander ins Gespräch kommen.Welchen Stellenwert soll der OPTim wissenschaftlichen Diskurs inDeutschland haben?Wir verstehen uns primär nicht als Wissenschaftskongress.Wir verstehen uns eherals Praxis und Wissenschaft verbindendesElement. Im Vordergrund steht, den Aus-Ich freue mich sehr, dass wir unsere Plenumsvorträgeauch international besetzenkonnten. Ganz besonders attraktiv ist es,dass die beiden führenden Wissenschaftlervon der American Psychological Association,Herr Professor Louis Castonguaysowie Herr Professor John Norcross, zugesagthaben. Beide leiteten jeweils wesentlicheArbeitsgruppen zu diesem Themaund werden zum OPT ihre Ergebnisse präsentieren.Die Teilnehmer des 2. OPT erwarteteine umfangreiche Übersicht überden Kenntnisstand zum Thema therapeutischeBeziehungen. Außerdem hat sichProf. Norcross neben seinem Plenumsvortragzu einem Vertiefungs-Workshop bereiterklärt. Somit ist Platz für Fragen der Teilnehmer– eine einmalige Chance und einegroße Sache. Die Perspektiven ergänzenwerden Frau Professor Kirsten von Sydowsowie Herr Professor Rainer Sachsemit ihren Plenumsvorträgen. Weitere namhafteWissenschaftler und Praktiker ausunterschiedlichen Therapierichtungen werdenWorkshops abhalten und mit Kolleginnenund Kollegen aus der Praxis ihre Erfahrungenteilen und zur Diskussion stellen.Insgesamt freue ich mich auf einen lebendigenAustausch.96 <strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>


Ostdeutsche PsychotherapeutenkammerLeipzig als Veranstaltungsort istebenfalls sehr attraktiv.Wir möchten den OPK-Mitgliedern undden Gästen am Kammersitz in Leipzig natürlicheiniges bieten. Und mit unseremRahmenprogramm tun wir das auch. DieEröffnung findet in der wunderschönenLeipziger Oper statt. Für den Abend gehtes in das erst kürzlich eröffnete Gondwanalandim Zoo. Die Seminare und Workshopsfinden in der Universität statt. DerVeranstaltungsort liegt zentral zwischenOper, Gewandhaus und der neu fertiggestelltenFassade der Paulinerkirche. Alsoein ganz toller Veranstaltungsort, der Gelegenheitgibt, auch die Stadt kennenzulernenoder neu zu entdecken. Wir werdendie Teilnehmer gastlich empfangen undich möchte Interessierte schon jetzt ganzherzlich 2014 nach Leipzig einladen. Anmeldungenfür den 2. OPT sind offiziell abSeptember dieses Jahres möglich.Wie schon zum 1. OPT ist die Hygieiavon Gustav Klimt das optischeErkennungsbild für den2. Ostdeutschen Psychotherapeutentag.Fortbildung zur „Notfallpsychotherapie“ am 10. April <strong>2013</strong> in ErfurtEnde 2011 hatte die Ostdeutsche Psychotherapeutenkammer(OPK) mit dem ThüringerSozialministerium (TMSFG) als ersteLandesbehörde im OPK-Gebiet eine Vereinbarungzur Notfallpsychotherapie geschlossen.Die Kammer verpflichtete sich,nach Großschadensereignissen qualifiziertepsychotherapeutische Hilfe bereitzustellen,das TMSFG sagte Unterstützung beider Schaffung notwendiger Rahmenbedingungenzu.Damit eine psychotherapeutische Notfallversorgungeffektiv bereitgestellt werdenkann, müssen weitere organisatorischeProbleme gelöst werden. Beispielsweisemuss abgestimmt werden, wie Einsatzleitungenoder Betroffene nach Großschadensereignissengeeignete Psychotherapeutenerreichen können, ob und unterwelchen Umständen psychotherapeutischeHilfe auch am Ereignisort notwendigist u. ä. Zudem sollen die Grenzen zu anderenAngeboten der psychosozialen Notfallversorgung,beispielsweise zur Notfallseelsorge,noch klarer gezogen werden.Die OPK lädt daher alle interessierten Kolleginnenund Kollegen zur Fortbildungsveranstaltung„Notfallpsychotherapie“ am10. April <strong>2013</strong> von 14.00 bis 17.00 Uhr inErfurt herzlich ein. Dort werden zunächstErfahrungen aus vergangenen Großschadensereignissen vorgestellt und diskutiert.Danach wird ein Modell für die zukünftigeOrganisation von Notfallpsychotherapiebesprochen. Ziel der Fortbildung ist es einerseits,die Teilnehmer auf mögliche Aufgabenund Abläufe in solchen Situationenvorzubereiten. Andererseits sollen die Ergebnisseder Diskussion in die Entwicklungvon wirksamen Versorgungsstrukturen einfließen.Langfristig könnte ein „ThüringerModell“ der Notfallpsychotherapie auch inanderen Bundesländern genutzt werden.Die Fortbildung ist von der OPK akkreditiert,die Teilnahme kostenfrei. Weitere Informationenund den genauen Ablauf derVeranstaltung finden Sie unter www. opkinfo.de.Dr. Gregor PeikertVorstandsmitglied der OPK„Wir haben noch keine klare Definition von Über- und Unterversorgung“ –Eine fachlich fundierte Debatte ist in Berlin gefragtDie im Versorgungsstrukturgesetz vorgeseheneReform der Bedarfsplanung hat erneutlediglich eine Stichtags-Lösung gebracht.Eine an sachgerechten Kriterienorientierte Bedarfsplanung steht nach wievor aus. Von der zum 1. Januar <strong>2013</strong> geändertenBedarfsplanungsrichtlinie versprechensich Politik und Selbstverwaltungdennoch eine Verbesserung der psychotherapeutischenVersorgung. Kerstin Dittrich,Wissenschaftliche Referentin derOPK, sprach mit Dietrich Monstadt, Bundestagsabgeordneterund Berichterstatterfür Psychiatrie und Psychotherapie, überden politischen Blick aus Berlin auf dasThema.Wie würden Sie einem völlig Fachfremdendas Thema „Bedarfsplanung“erklären?Bedarfsplanung soll zum Ziel haben, einesachgerechte Versorgung in allenärztlichen Bereichen abzubilden. Ein Parameter,der dabei zu berücksichtigen ist,gibt Auskunft über die Struktur der Region,ob urbaner Bereich oder ländlicheRegion.Was war der politische Wille hinterden Empfehlungen des Bewertungsausschusses?Der politische Wille ist natürlich die Verbesserungder psychotherapeutischen Versorgung.Sie soll vor allen Dingen im ländlichenRaum sichergestellt und Überversorgungpunktuell abgebaut werden. Die1.500 zusätzlichen Therapieplätze entstehenalso primär im ländlichen Raum. Daswar übrigens nicht einfach durchzusetzen,da haben wir lange dran gearbeitet. Fürmeinen Wahlkreis Schwerin-Ludwigslust-Parchim, der überwiegend ländlich strukturiertist, führt das nach derzeitigen Schätzungenzu 23 neuen Therapiesitzen. Dasstellt eine spürbare Verbesserung dar. Inden anderen ostdeutschen Ländern siehtdas durchaus ähnlich aus. AußerdemOstdeutsche Psychotherapeutenkammer<strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>97


Mitteilungen der PsychotherapeutenkammerOstdeutsche Psychotherapeutenkammerschaffen wir durch die extrabudgetäre Vergütungauch eine spürbare Verbesserung.Welche Ziele sind aus Ihrer Sichtnoch offen geblieben? Was wärenweitere Schritte?Dietrich MonstadtMdB Mecklenburg-VorpommernWir haben noch keine klare Definition vonÜber- und Unterversorgung. Und wir sehenweiteren Reformbedarf innerhalb desSystems der Selbstverwaltung, zum Beispielbei den zugelassenen psychotherapeutischenVerfahren. Ich glaube jedochnicht, dass das die Politik entscheidenkann. Das muss im Rahmen der Selbstverwaltungpassieren.Wo sehen Sie bei den psychotherapeutischenVerfahren Änderungsbedarf?Mir wurde berichtet, manche analytischenTherapeuten kommen nur auf 23 Patientenim Jahr. Das bedeutet nahezu ein familiäresVerhältnis. De facto läuft das klar ineine Unterversorgung. Da muss mehr Effizienzentstehen, auch wenn im Einzelfalleine enge Betreuung wichtig sein mag. ImHinblick auf die Honorarentwicklung derniedergelassenen Psychotherapeuten mussmehr passieren. Sieht man sich die Honorarberichteder Kassenärztlichen Bundesvereinigungan, in denen zum Beispielsteht, dass im Schnitt ein Psychotherapeuteinen monatlichen Umsatz im Jahr 2011von 6.000 Euro hat, dann ist diese Gruppevon anderen Arztgruppen deutlich abgeschlagen.Wenn der Sicherstellungsauftragdurch die Kassenärztlichen Vereinigungengewährleistet werden soll, dann muss klarsein, dass auch Psychotherapeuten adäquatbezahlt werden.Die Einkommensverteilungen sprechenda eine deutliche Sprache, ja.Ich setze mich dafür ein, dass man die Arbeitmit psychischen Erkrankungen alsgleich sinnvoll bewertet wie zum Beispieldie Entfernung eines Blinddarms. DieKrankheitstage durch psychische Erkrankungnehmen massiv zu. Und wer nichtgeheilt wird, bleibt krank. Darauf mussman in der Kassenärztlichen Bundesvereinigung-Vertreterversammlunghinwirken:Adäquate Mehrheitsverhältnisse führen zueiner realistischen Wahrnehmung der Problemlageder Psychotherapeuten undletztlich zu einer adäquaten Bezahlung.Das ist klassisch eine Rolle derSelbstverteilung, die an diesemPunkt nicht sonderlich gut zufunktionieren scheint. Wo sehen SieEinflussmöglichkeiten der Politik?Einflussmöglichkeiten sehe ich nur in Formgesetzlicher Maßnahmen. Das scheint miraber nicht der richtige Weg zu sein. Hiersollten wir einen Prozess in Gang setzenund den Rahmen abstecken, so wie wir esmit den 1.500 extrabudgetierten Sitzen getanhaben. Die Selbstverwaltung ist derSchlüssel und sollte so wenig wie möglichreglementiert werden. Die Selbstverwaltungkann vieles besser beurteilen als diePolitik. Ich kann aus Berlin nicht entscheiden,welche Anzahl von Therapeuten wirz. B. in meinem Bundesland Mecklenburg-Vorpommern brauchen, wo diese sitzensollten und wie die Einkommenssituationist. Wir müssen laufend evaluieren, wonachgesteuert werden muss.Wir befürchten, dass ohne eineDefinition, was Unter- und Überversorgungwirklich sind und wie mansie fachgerecht feststellt, Sitze dortabgebaut werden, wo Überversorgungnur auf dem Papier besteht.Das ist nicht der politische Wille. Dass indem einen oder anderen Fall Überversorgungabgebaut werden muss, steht fest.Aber das kann nur bedeuten, dass dieseStellen an anderen Orten neu besetzt werden.Wie kommen wir zu einer sachgerechtenBedarfsplanung, die sich anMorbiditätsgesichtspunkten orientiert?Den Ball will ich mal zurückspielen. Bevorwir uns da in der Politik Gedanken machen,müssen die Berufsgruppe und dieKassenärztliche Vereinigung sich selbst erstmal Gedanken machen, in welche Richtungdie Entscheidung gehen soll. Ansonstenwäre dies ein gravierender Eingriff indie Selbstverwaltung.Darf ich das so verstehen, dass wirmit einem Vorschlag zur sachgerechtenBedarfsplanung bei Ihnen aufoffene Ohren stoßen?Sagen wir mal, ich bin gesprächsbereit. Ichfänd es besser, wenn Sie nicht auf michzukommen, sondern innerhalb der Selbstverwaltungsehen, dass Sie Gehör finden– das ist doch der Ansatz. Die Rahmenbedingungen,die wir gestalten konnten, habenwir erst mal auf den Weg gebracht.Es heißt im Entwurfspapier desGemeinsamen Bundesausschusses(G-BA), dass diese sachgerechteFestlegung erst einmal für alleFachgruppen erfolgt, außer für diePsychotherapeuten.Der Entwurf des G-BA liegt vor, ist auch imStellungnahmeverfahren, da kann gegebenenfallsnoch nachjustiert werden. Da könnenwir uns gern noch einmal ergänzendunterhalten, wenn dieses Verfahren durchlaufenist und wenn die Ergebnisse ausnachvollziehbaren Gründen zu hinterfragensind. Aber ich denke, der Zeitpunkt isteinfach zu früh.Die Psychotherapie ist nach wie voreine noch ganz junge Berufsgruppe.Unsere Stimme ist im politischenBerlin noch nicht lange angekommen.Was raten Sie uns?Ich nehme wahr, dass Ihre Berufsgruppe inBerlin offensichtlich nicht so Gehör findetwie andere Gruppen. Wobei natürlich dieDarstellung der eigenen Interessen ein98 <strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>


Ostdeutsche PsychotherapeutenkammerStück weit ihre originären Interessen abbildet.Wenn ich sehe, wie bei gesetzgeberischenAbläufen und Missständen andereGruppen massiv auf uns zukommen undwie lange wir gebraucht haben, Kenntnisvon Ihren speziellen Problemen zu bekommen,dann muss ich sagen, dass Sie in derAußendarstellung, im Wahrnehmen IhrerInteressen, vielleicht auch in der BündelungIhrer Interessen eindeutigen Nachholbedarfhaben.OPK-Fortbildung <strong>2013</strong> kurz und knappDas Jahr <strong>2013</strong> steht in Sachen Fortbildungbei der OPK ganz im Zeichen des Berufsrechtessowie der Sachverständigentätigkeit.An neun Terminen in neun StädtenOstdeutschlands werden die Juristin derOPK, Ina Roßmann, und Rechtsanwalt undRechtsberater der OPK, Hartmut Gerlach,das Wissen zu rechtlichen Grundlagen psychotherapeutischerArbeit unserer Mitgliederauffrischen und mit Fällen untermauern.Die Veranstaltung beginnt jeweils miteinem allgemeinen Überblick über dierechtlichen Grundlagen (Grundgesetz, Sozialrecht,Heilpraktikergesetz usw.). Daranschließt sich das Thema Berufs- und Standesrechtan. Hierbei wird besonders dieBerufsordnung der OPK im Fokus stehen.Erläutert werden spezielle Punkte wieSorgfaltspflicht, Aufklärungspflicht, Dokumentations-und Aufbewahrungspflicht,Schweigepflicht usw. Den Abschluss bildeninteressante und aufschlussreiche Fälleaus der täglichen Praxis. Dabei sollenLösungsansätze mit dem jeweiligen Referenten,dem Vorstand und den Kammerversammlungsmitgliederngefunden unddiskutiert werden. Auf Grundlage der Diskussionensollen dann in der Folge möglicheAnpassungen der Berufsordnung vorgenommenwerden.Die OPK hat sehr erfolgreich ein Fortbildungsprogrammfür psychotherapeutischeSachverständige eingeführt. Dadurch könnensich Mitglieder als Gutachter für Behörden,Gerichte und andere Institutionenqualifizieren. Die Nachfrage von potenziellenAuftraggebern nach Sachverständigenist groß. Im Fokus der Gutachterfortbildungstehen zum Beispiel Fragestellungen zurBeurteilung der Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage,sozialmedizinische Einschätzungenbei psychischen und psychosomatischenErkrankungen im Rentenrecht, zumKinder- und Jugendhilfegesetz, zu Umgangs-und Sorgerecht und vieles mehr.Wer die OPK-Fortbildung erfolgreich absolviertund seine Qualifikation bei der Erstellungvon Gutachten nachgewiesen hat,kann sich auf unserer OPK-Sachverständigenlisteeintragen lassen. Diese Sachverständigenlistefinden Sie auf der Homepageder OPK unter: www.opk-info.de.Weitere Fortbildungsangebote der OPK für<strong>2013</strong> erfahren Sie ebenfalls unter www.opk-info.de.Die Bedeutung und Versorgung psychischer Störungen in der gesetzlichenUnfallversicherung – Das PsychotherapeutenverfahrenAm 1. Juli 2012 ist das neue Psychotherapeutenverfahrender gesetzlichen Unfallversicherungin Kraft getreten. Ziel ist es,Menschen, die durch einen Arbeitsunfalloder eine Berufskrankheit an psychischenStörungen leiden, adäquat und rechtzeitigzu versorgen.Die Gesetzliche Unfallversicherung (UV)ist Teil der Sozialversicherung in Deutschland.Sie wird getragen von den Berufsgenossenschaftenund Unfallkassen. In ihrsind bundesweit ca. 75 Millionen Menschenversichert. Aufgabe der UV gemäߧ 1 SGB VII ist es, mit allen geeignetenMitteln Arbeitsunfälle, Berufskrankheitensowie arbeitsbedingte Gesundheitsgefahrenzu verhüten und nach Eintritt von Arbeitsunfällenund Berufskrankheiten dieGesundheit und Leistungsfähigkeit der Versichertenmit allen geeigneten Mitteln wiederherzustellen und sie gegebenenfallsbzw. ihre Hinterbliebenen durch Geldleistungenzu entschädigen. Die UV ist dabeifür den gesamten Rehabilitationsprozessverantwortlich, von der Akutbehandlungüber die medizinische und berufliche Rehabilitationeinschließlich der sozialen Teilhabeleistungenbis hin zur Pflege.Der Rehabilitationsauftrag erstreckt sich auchauf psychische Gesundheitsschäden, die unmittelbarnach dem Arbeitsunfall entstehenoder sich nachfolgend entwickeln. Die Präventionund Rehabilitation von psychischenGesundheitsstörungen nach Arbeitsunfällenund Berufskrankheiten gewinnt für die UVzunehmend an Bedeutung, u. a. wegen steigenderFallzahlen und z. T. komplikationsreicherHeilverläufe. Das gilt für die „rein“ psychischenTraumatisierungen (z. B. Überfahrtraumenbei Lokführern, Raubüberfälle inHandel und Banken, körperliche Angriffe imPflegebereich) genauso wie für Unfallopfermit (gravierenden) körperlichen Verletzungen,die durch das Erleben eines schwerenUnfalls und dessen Folgen psychische Folgestörungenerleiden.Das PhasenmodellDiese Entwicklung war Anstoß für die2008 veröffentlichten Empfehlungen derDeutschen Gesetzlichen Unfallversicherung(DGUV) zur Prävention und Rehabilitationvon psychischen Störungen. Kernstückist das sogenannte Phasenmodell, indem die einzelnen Aktions- und Betreuungsphasenaufgezeigt und die jeweiligenHandlungsverantwortlichen (Betriebe, UV-Träger, Leistungserbringer) benannt werden.Gemäß eines proaktiven steppedcare-Ansatzessollen Risikobereiche undRisikopersonen frühzeitig identifiziert unddie auf der jeweiligen Stufe notwendigenMaßnahmen eingeleitet werden.Für die Prävention und Rehabilitation vonkörperlich-organischen Gesundheitsschädennach Arbeitsunfällen existieren seitJahrzehnten etablierte Verfahren (z. B.Durchgangsarztverfahren), die eine hoheVersorgungsqualität sicherstellen. Es zeigtesich jedoch, dass diese überwiegend aufOstdeutsche Psychotherapeutenkammer<strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>99


Mitteilungen der PsychotherapeutenkammerOstdeutsche Psychotherapeutenkammerden chirurgisch-orthopädischen Bereichausgerichteten Verfahren auf den Bereichder psychischen Verletzungen nicht einfachübertragbar waren. Hier konnte beider Inanspruchnahme von ärztlichen undpsychologischen Psychotherapeuten wederauf ein etabliertes Netzwerk erfahrenerTraumatherapeuten zurückgegriffen werden,noch gab es Verfahrens- und Prozessstrukturen,die es den Unfallversicherungsträgernermöglichten, ihrer gesetzlichenAufgabe zur Steuerung der Heilverfahrennachzukommen. Es galt somit ein Konzeptzu entwickeln, welches von der (Primär-)Prävention über Akutintervention, Stabilisierung,Weiterbehandlung bis hin zur sozialenund beruflichen Reintegration einenahtlose Verknüpfung sicherstellt und dieHandlungsverantwortlichen auf den unterschiedlichenEbenen einbezieht. Auf Unternehmensebeneentwickelte und eingesetztePräventionsmodelle müssen dabeimit den sich anschließenden Rehabilitationskonzeptenabgestimmt sein. Schließlichist es von entscheidender Bedeutung,frühzeitig die Fälle zu identifizieren, die einerrechtzeitigen und effektiven psychischenBehandlung bedürfen.Mit Akutintervention bzw. Erstbetreuungsind kurzfristige Maßnahmen gemeint, diewährend oder unmittelbar nach dem traumatisierendenEreignis einsetzen und dieBetroffenen begleiten sollen. Eine solcheBetreuung nach Schockunfällen ist besonderseffektiv, wenn bereits vor Auftretenerwarteter Ereignisse (Gefährdungsbeurteilung)ein zielgerichtetes betrieblichesKonzept und eine Schulung der verantwortlichenErstbetreuer erstellt wurde. DieUnfallversicherungsträger übernehmen dieBeratung beim Aufbau solcher branchenspezifischenErstbetreuungskonzepte, diePhasenmodell „Prävention und Rehabilitation“Ausbildung der Ersthelfer bzw. die entsprechendeQualitätssicherung. Wenn Unternehmenbereits in diesem Stadium derFrühintervention auf (externe) professionellepsychologisch ausgebildete Netzwerkpartnerzurückgreifen, kann der Übergangvon der Erstbetreuung zur anschließendenStabilisierungsphase fließend sein.Nicht alle Betroffenen benötigen nachSchockerlebnissen eine professionelle Intervention(Betreuung oder Behandlung).In der Mehrzahl der Fälle sind die Selbstheilungskräftegroß genug und Beschwerdenklingen von selbst wieder ab. Ist diesnicht der Fall, so müssen weitere Maßnahmenzur Stabilisierung (z. B. probatorischpsychotherapeutischeSitzungen) und Behandlungrechtzeitig eingeleitet werden.Um dies sicherzustellen, ist in Risikofällenein enger Kontakt zwischen Unfallversicherungsträgern,Versicherten, Unternehmernund anderen Akteuren von entscheidenderBedeutung. Im Jahre 2001 wurde erstmalsdas Modellverfahren „Einbindung vonärztlichen und psychologischen Psychotherapeutenin das berufsgenossenschaftlicheHeilverfahren bei psychischen Gesundheitsschäden“(Modellverfahren) entwickelt.Ziel war es, durch Festlegung vonQualitätsanforderungen an Leistungserbringerund Therapie sowie durch klar definierteVerfahrensabläufe zur Verbesserungder Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualitätbeizutragen.Reha-Management und Teilhabeam ArbeitslebenUm frühzeitig die notwendigen Leistungeneinzuleiten, Schnittstellen zu vermeidenund so möglichst eine schnelle Wiedereingliederungin Arbeit und Gesellschaft zuerreichen, setzt die UV hierzu Reha-Managerein. Sie verfügennicht nur überdie nötigen fachlichenKenntnisse,sondern auch überdie erforderliche Sozial-und Methoden-Kompetenz. ZentralerAspekt ihrer Arbeitist der persönlicheKontakt zu denBetroffenen und dieEinbeziehung alleram Reha-Verfahren Beteiligten wie Ärzte,Therapeuten, Ausbilder und Arbeitgeber.Wesentliche Elemente sind die persönlicheBeratung durch den Reha-Manager,die zielorientierte Steuerung der Heilverfahrengemeinsam mit Versicherten, Ärzten,Therapeuten und Arbeitgebern sowieeine nahtlose Rehabilitation und beruflicheWiedereingliederung. Bei psychischen Gesundheitsstörungenkommt den Reha-Managerneine besondere Funktion bei derVermittlung an geeignete Psychotherapeutenund Einrichtungen zu. Dies trifft besondersdann zu, wenn die berufliche oderprivate Situation der Versicherten eineWiedereingliederung problematisch erscheinenlassen. So rückt unter anderemdas wichtige Ziel der schnellen Wiedereingliederungin das Berufsleben, wenn immermöglich an den alten (vorhandenen)Arbeitsplatz, noch stärker in den Fokus derSteuerung durch die Unfallversicherungsträgerund in die Behandlungsziele derTherapeuten. Gerade im Bereich der psychischenErkrankungen ist für den Heilverlaufwie auch für die allgemeine Lebensqualitätder Versicherten eine schnelleRückkehr an den Arbeitsplatz – auch währendder laufenden Behandlung – oft vonbesonderer Bedeutung. Es muss deshalbvon Anfang an darauf geachtet werden,dass der vorhandene Arbeitsplatz währendder laufenden Therapie nicht verloren gehtund dass unterstützende Maßnahmen(z. B. Arbeitserprobungen) frühzeitig zumInhalt der Behandlungsziele gemacht werden.Hier kommt den Reha-Managern derUnfallversicherungsträger sowie derenKontakt zum Arbeitgeber, aber auch denbehandelnden Therapeuten, eine zentraleRolle zu. Letztere sollen die UV-Träger imReha-Management unterstützen und beilängeren Therapien u. a. berufliche Wiedereingliederungszieleund Maßnahmenin ihre Behandlungspläne integrieren.Das neue „Psychotherapeutenverfahren“Unfallchirurgische Kliniken und ambulanteDurchgangsärzte können in allen Behandlungsphasenmit Unfallverletzten konfrontiertwerden, für die eine auf das eigeneFachgebiet begrenzte Behandlung unzureichendbleibt. Insbesondere in Fällen, indenen Heilverläufe hinter der „normalen“100 <strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>


Ostdeutsche Psychotherapeutenkammerverletzungstypischen Entwicklung zurückbleiben,sind psychologische Konsultationenangezeigt. In den BG-Unfallklinikenwurden deshalb psychotraumatologischeAmbulanzen eingerichtet.Das zum 1. Juli 2012 in Kraft getretene„Psychotherapeutenverfahren“ (PT-Verfahren)der Gesetzlichen Unfallversicherungregelt die ambulante psychotherapeutischeVersorgung in der UV: www.dguv.de/landesverbaende/de/med_reha/psych/index.jsp.Das neue PT-Verfahren besteht aus denAnforderungen und der Handlungsanleitung.In den Anforderungen werden diefachlichen und sonstigen Voraussetzungenund Rahmenbedingungen für die Zulassungvon Psychotherapeuten und derenZusammenarbeit mit den UV-Trägern geregelt.Die angewandten Behandlungsverfahrenmüssen evidenzbasiert sein undsich an den einschlägigen Leitlinien derArbeitsgemeinschaft der WissenschaftlichenMedizinischen Fachgesellschaften(AWMF) orientieren. Beteiligt werden psychologischePsychotherapeuten mit einerApprobation in einem der drei anerkanntenRichtlinienverfahren, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutenund Fachärzteder in den Anforderungen abschließendgenannten Facharztbezeichnungen,die zusätzlich über spezielle Fachkenntnissein Form von Fortbildungen in der leitliniengerechtenDiagnostik und Behandlungvon typischen psychischen Störungennach Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten(z. B. akute Belastungsstörung, Angststörung,Depression, Anpassungsstörung,Posttraumatische Belastungsstörung, SomatoformeSchmerzstörung) verfügen.Zum Nachweis praktischer Erfahrungenwird eine bestimmte Zahl von entsprechendenBehandlungsfällen gefordert. Diebehandelnden Psychotherapeuten sollendie UV-Träger bei der Fallsteuerung und imReha-Management aktiv unterstützen unddabei das Ziel eines möglichst schnellenberuflichen Wiedereinstiegs früher undstärker in den Fokus der Behandlung einbeziehenals bisher (z. B. Belastungserprobung,Fahrtrainings etc.).Wichtige Änderungen ergeben sich auchim Verfahrensablauf. Die Handlungsanleitungzum neuen PT-Verfahren enthält dieRegularien zum Verfahren im einzelnenBehandlungsfall. Weiterhin gilt, dass dieChronifizierung eines psychischen Gesundheitsschadensunbedingt vermiedenwerden muss. Die Netzwerktherapeutensind zur Übernahme eines UV-Falles in dieBehandlung innerhalb einer Woche verpflichtet.Beibehalten wurde die zügige Interventiondurch unkomplizierte Bewilligungvon bis zu fünf probatorischen Sitzungen.Im Hinblick auf den gesetzlichenAuftrag der UV, die Heilverfahren engmaschigzu steuern und möglichst zeitnah eineberufliche und soziale Eingliederung zuerreichen, erfolgt die Bewilligung weitererTherapiesitzungen regelmäßig auf Antragund Berichterstattung nach jeweils zehnSitzungsterminen. Damit keine Behandlungslöcherentstehen, sollten Weiterbehandlungsanträgerechtzeitig gestellt bzw.abweichende Regelungen im Einzelfall individuellzwischen Therapeuten und UV-Trägern abgestimmt werden.Nach Inkrafttreten des neuen PT-Verfahrenswerden regelmäßig obligatorischeEinführungsveranstaltungen bzw. Fortbildungsveranstaltungenangeboten. Inhaltesind neben dem PT-Verfahren die Rahmenbedingungender gesetzlichen Unfallversicherung,insbesondere die Leistungsvoraussetzungen(Ablösung der Unternehmer-Haftpflicht,Kausalität) sowie Besonderheitender Kommunikation mit derSachbearbeitung für die Fallsteuerung bzw.das Reha-Management.Die Honorierung der Berichte und psychotherapeutischenLeistungen im Rahmendes Psychotherapeutenverfahrens richtetsich nach dem Gebührenverzeichnis „Psychotherapeutenverfahren“:www.dguv.de/inhalt/rehabilitation/verguetung/index.jsp.Dirk ScholtysikReferatsleiter Deutsche GesetzlicheUnfallversicherung (DGUV) BerlinDie Berichts-Vordrucke finden Sie unterwww.dguv.de/formtexte/aerzte/index.jsp.Interessierte Psychotherapeuten könnensich gerne an den für sie regional zuständigenLandesverband der DGUV wenden,der auch über die Zulassung entscheidet.Sie erhalten von dort alle weiteren wichtigenInformationen sowie die Antragsunterlagen.www.dguv.de/landesverbaende/de/index.jsp.GeschäftsstelleKickerlingsberg 1604105 LeipzigTel.: 0341-462432-0Fax: 0341-462432-19Homepage: www.opk-info.deMail: info@opk-info.deOstdeutsche Psychotherapeutenkammer<strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>101


Herzlichen Glückwunsch, Alfred Kappauf!Alfred Kappauf feierte im vergangenen Dezemberseinen 60. Geburtstag. Wenn einMensch 60 wird, dann gibt es viel zu erzählen.Von ihm selbst, seiner Familie,Freunden, Bekannten, Verwandten … einebunte Geschichte entfaltet sich. Bei AlfredKappauf kommt noch ein Kapitel hinzu.Wie bei kaum jemandem sonst sind seinName und damit seine Person und seinWirken eng verbunden mit dem Aufbauund der Entwicklung der PsychotherapeutenkammerRheinland-Pfalz.Dass er von Beginn an der Kammer alsPräsident vorstand, ist beileibe kein Zufall.Es ist das Ergebnis einer runden Mischungaus solider, über Jahrzehnte gewachsenerberufspolitischer Kompetenz und gründlicherFachlichkeit, aus Zielstrebigkeit undtatkräftiger Beharrlichkeit, aus visionärerLeidenschaft und pragmatischer Kompromissbereitschaft,aber sicher auch aus Humorund Gelassenheit.Alfred Kappauf würde nie zulassen, die Erfolgsgeschichteder Kammer zu sehr anseine Person zu knüpfen. Dafür war und istihm das Teamworking viel zu wichtig, dieenge Kooperation mit Vorstand und Geschäftsstelle,der ständige Austausch mitBerufskollegen. Und präsidiale Allürenoder gar Macht-Arroganz dürften ihmselbst weniger freundlich gesonnene Zeitgenossenkaum vorhalten können.Aber bei aller Bescheidenheit: Ohne ihnwürden heute noch einige Meilensteine,die das Profil der Kammer RLP prägen, wiez. B. die Weiterbildungsordnung oder dasnovellierte Landeskrankenhausgesetz, amWegesrand liegen und auf den Platz ihrerBestimmung warten.Alfred Kappauf hat sich selbst hin und wiederals Überzeugungstäter bezeichnet undist als solcher rückfallgefährdet, dies zuletztzeigend, indem er sich entgegen seinerursprünglichen Absicht für eine dritteAmtsperiode zur Verfügung stellte.Alfred KappaufHier zu schreiben, Alfred Kappauf habe diebesten Jahre seines Lebens der Kammergewidmet und stünde nun im Zenit seinerSchaffenskraft, täte ihm womöglich unrecht,… wissen wir denn, was nochkommt?Eigentlich, lieber Alfred, wenn wir das malso ganz persönlich sagen dürfen, wolltenwir Dir hier nur noch einmal in aller ÖffentlichkeitDanke sagen und alles herzlich Gutewünschen für die nächsten Jahre undden Anlass beim Schopfe nehmen, um mitlautem Knall eine Flasche Siebeldinger KönigsgartenBlanc de Noirs Brut zu entkorkenund auf Dein Wohl anzustoßen …Jahresempfang der Wirtschaft: Die Kammer dabeiRheinland-PfalzMittlerweile zum vierzehnten Mal fand am18. Februar <strong>2013</strong> in Mainz mit ca. 5.000Teilnehmern der sogenannte Jahresempfangder Wirtschaft statt, eine Veranstaltung,die von der Industrie- und Handelskammer(IHK) Rheinhessen und derHandwerkskammer (HWK) Rheinhessenfederführend organisiert wurde und an derinsgesamt zwölf Kammern der Wirtschaftund der freien Berufe teilnahmen. Sie giltals die größte Veranstaltung zum Jahreswechselvon regionalen Wirtschaftsverbändenin Deutschland. Explizites Ziel dieserVeranstaltung war und ist der Dialog dermittelständischen Unternehmen und derfreien Berufe mit der Politik.Aus der Perspektive der Wirtschaft wurdeschon im Vorfeld der Veranstaltung vondem Hauptgeschäftsführer IHK, HerrnPatzke, die steigende Kostenbelastung derUnternehmen, die Schulden- und Ausgabesituationder öffentlichen Hand, denFachkräftemangel, die bürokratische Regelungsdichtekritisiert und eine mittelstandsfreundlicheGestaltung der Energiewendeund dringend notwendige Investitionen indie Verkehrsinfrastruktur angemahnt. Diesbetonte auch Karl Josef Wirges, Präsidentder HWK Rheinhessen, in seiner Begrüßungsanspracheund wurde pointiert imSchlusswort von Dr. Harald Augter, Präsidentder IHK Rheinhessen, aufgegriffen,der mit klaren Worten die Wettbewerbshemmnissedurch unzählige Steuergesetzeund die Regulierungsdichte durchdie Politik monierte. Dr. Michael Rumpf,Präsident der LandeszahnärztekammerRheinland-Pfalz, der erkennbar vor dem102 <strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>


Rheinland-PfalzFrau Bundeskanzlerin Dr. Merkel im Kreis der Kammervertreterbeim Jahresempfang der WirtschaftHintergrund der Bundestagswahl vor dem„Wegfall des liberalen Elementes in der Politik“warnte, öffnete dann sprachlich dieTüren für die Hauptrednerin des Abends,Frau Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel.Getragen von einer großen wohlwollendenAkzeptanz der Zuhörerschaft zog dannFrau Dr. Merkel eine durchweg positive Bilanzihrer Kanzlerschaft in dem jetzt beginnendenWahlkampf. Die soziale Marktwirtschaftwürde gelebt, nachdem es 2009hier einen einmaligen Einbruch gegebenhabe. Steuererhöhungen wie auch Steuersenkungenschloss sie aus und warb vehementfür die Anerkennung ausländischerAbschlüsse, um demauch von den VorrednernmoniertenFachkräftemangelentgegentreten zukönnen, eine potenzielleEntwicklung,die möglicherweisefür die Heilberufeinsgesamt nicht ganzunproblematisch seindürfte.Dass die Arbeitsweltso gestaltet werdenmuss, dass sie auchdie seelischen Belastungsgrenzen derMenschen berücksichtigt und nicht zumgesundheitsschädigenden Faktor wird, warund ist ein Anliegen, das Herr Kappauf,Präsident der LandespsychotherapeutenkammerRheinland-Pfalz, für diese Veranstaltungformulierte. Denn, was für diekörperliche Belastbarkeit selbstverständlichakzeptiert wird, muss auch für psychischeBelastungsgrenzen gelten. So nimmt dieZahl der Neuberentungen wegen verminderterErwerbstätigkeit für psychische Erkrankungenvon 2001 auf 2010 laut Reha-Bericht der Rentenversicherung 2012 inDeutschland von 50.000 auf über 70.000zu und laut Gesundheitsreport der BAR-MER GEK 2012 für Rheinland-Pfalz habenim Vergleich von 2010 zu 2011 die AU-Tageje 100 Versicherte in der ICD-KategoriePsychische und Verhaltensstörungen um23,4% zugenommen, und sie liegen zusammenmit den Neubildungen in 2011mit etwa 40 AU-Tagen mit Abstand an derSpitze aller Diagnosegruppen. Obwohl derAnstieg der Erkrankungszahlen sich seitJahren in den Gesundheitsstatistiken abzeichnet,ist es erstaunlich, dass Krankenkassen,Sozialversicherungsträger sowieUnternehmen sich erst jetzt alarmiert zeigen– eine Problematik, die in den Redender Veranstaltung leider keine Erwähnungfand.Insgesamt schien die Veranstaltung für diemeisten Beteiligten wie ein Heimspiel mitwechselseitiger Wertschätzung, Lob undAnerkennung und der Gewissheit, vielesdoch richtig zu machen. So konnte mandann am Ende der Veranstaltung im Foyer,vorausgesetzt keine klaustrophobischenÄngste von Krankheitswert zu haben, beirheinland-pfälzischem Wein und bei Bedarfauch mit Bier, Wasser und Brezel iminnigen Gespräch mit Kolleginnen und Kollegenmal vergessen, dass in der katholischenDomäne Mainz doch eigentlich Fastenzeitist.Weiterbildung für Psychotherapeuten: Neuropsychologische PsychotherapieWeiterbildung für Psychotherapeuten –das war eine umstrittene Sache. Währenddie Kammer RLP schon sehr früh und damitauch wegweisend Weiterbildungsordnungen(WBO) erlassen und dadurch diefachliche Spezialisierung über die Approbationhinaus ermöglicht und organisierthat, ist dies in anderen Kammern bis heutenicht unumstritten. Die NeuropsychologischePsychotherapie war eine der erstenWeiterbildungsgänge, die seitens der Kammerin eine Ordnung gefasst wurde, undsie ist ein Erfolgsmodell, wie wir heutefeststellen können.Nachdem im Februar 2012 die RichtlinieAmbulante Neuropsychologie verabschiedetworden ist, fand im Sommer 2012 inMainz eine Informationsveranstaltung derLPK RLP zum Themenbereich AmbulanteNeuropsychologie statt. Auf reges Interessestießen dabei die Vorträge von Frau Dr.Albs-Fichtenberg zur Richtlinie AmbulanteNeuropsychologie, von Dieter Best zumThemenbereich Abrechnung, Kostenerstattungund Niederlassung sowie vonFrau Dr. Naumann, die die Weiterbildungsordnungder LPK RLP darstellte und auchMöglichkeiten aufzeigte, sich nachträglichbzw. unter Bezug auf bereits absolvierteWeiterbildungselemente im Bereich Neuropsychologiezu qualifizieren.Frau Dr. Naumanns motivierender Appell,sich gemäß der modernen und an unterschiedlicheberufliche Lebensläufe angepasstenWBO RLP anerkennen zu lassen,trug erste Früchte. 2012 fragten bei der LPKRLP vermehrt Interessenten nach und wolltensich etwa über Möglichkeiten der Weiterqualifizierunginformieren. Aktuell gibt es inRLP fünf anerkannte Supervisoren in Neuropsychologie,zwei Weiterbildungsermächtigteund 24 Kolleginnen und Kollegen mit derZusatzbezeichnung Neuropsychologie.Im März <strong>2013</strong> beginnt in einem rheinlandpfälzischenAusbildungsinstitut das ersteAusbildungscurriculum, in dem Ausbildungsinhalteder Psychotherapieausbildungsowie neuropsychologische Weiterbildungsinhalteunter Nutzung aller Überschneidungsbereicheund Synergien aufeinanderabgestimmt sind, andere Ausbildungsinstitutesind ebenfalls auf demWeg. Nach Abschluss verfügen diese Absolventendann über die Approbation unddie Voraussetzung für die Anerkennungder Weiterbildung in Neuropsychologie gemäßder WBO RLP.Ein erstes Meinungsbild nach fast einemJahr Ambulante Neuropsychologie Richtli-Rheinland-Pfalz<strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>103


Mitteilungen der Psychotherapeutenkammernie zeigt zudem, dass die ambulante neuropsychologischeTherapie von Menschenmit Hirnschädigungen oder -verletzungenim Rahmen von Kostenerstattungen inRheinland-Pfalz überwiegend zügig undkonstruktiv ermöglicht wird und sich dieVersorgungssituation daher erkennbar verbesserthat. Mit Wirkung vom 1. Januar <strong>2013</strong>treten nun auch neue EBM-Ziffern zur Neuropsychologiein Kraft; damit ist eine weiterewichtige Voraussetzung zur Integrationder ambulanten Neuropsychologie in dasLeistungsangebot der gesetzlichen Krankenkassenerfüllt. Viele positive Schritte –auch wenn es noch einiges zu tun gibt, umMenschen mit hirnorganischen Erkrankungeneine zeit- und ortsnahe ambulanteNeuropsychologie zu ermöglichen.Studiert, approbiert – was nun?Studiert, approbiert, Mitglied in einer Psychotherapeutenkammer– aber angekommen!?Neumitglieder sind in der LPK RLP herzlichwillkommen, auch wenn es erfahrungsgemäßnoch lange nicht bedeutet, dass sie sichauch im Gewirr der Regelungen und Befugnisseder Institutionen auskennen.Um den Übergang etwas zu erleichternund um sich mit der neuen beruflichenHeimat vertraut machen zu können, hatdie LPK RLP zwei Initiativen ergriffen: Erstensbietet sie regelmäßig Existenzgründungsseminarean, die sich vor allem aufdie Privatpraxisgründung beziehen, undzweitens lädt die LPK RLP jährlich ihre neuenMitglieder zu einer Begrüßungsveranstaltungein. Am 9. Januar <strong>2013</strong> war dieerste dieser Veranstaltungen, und sie wargleich sehr vergnüglich.Der Vorstand hatte eingeladen und standkomplett für Fragen oder ein persönlichesGespräch zur Verfügung.Zu Beginn gab G. Borgmann-Schäfer(Vorstand) eine 45-minütige Einführungin die Organisationsstruktur der Kammer,ihre gesetzlichen Aufgaben, ihre Berufsordnung,ihre Ziele, ihr Mitgliederserviceund ihre aktuellen Projekte. Anschaulichwurden die Aufgabengebiete, indem dieVorstandmitglieder direkt und konkret ihrTun schildern konnten. Außerdem wurdedie Einbettung der Psychotherapeutenkammerinnerhalb der gesundheitspolitischenStrukturen erläutert: Wie ist dasMinisterium mit der Kammer verbunden,wie sind die Abgrenzungen zur KassenärztlichenVereinigung oder zum Arbeitgeber.Bei dem anschließenden Glas Begrüßungssektwurde es sehr entspannt, undes kam zu einem regen Austausch derGenerationen. Wie ist die berufliche Situationdes Nachwuchses, und wie sind dieVorständler eigentlich zur Berufspolitik gekommen?Bilanz der Veranstaltung aus Sicht des Vorstandes:Dies war eine sinnvolle und kurzweilige„Sitzung“.Bilanz aus Sicht eines Teilnehmers: „Endlichhabe ich mal den Unterschied zwischenKV und Kammer verstanden.“Der Vorstand freut sich auf die nächste Begrüßungsveranstaltungim kommendenJahr. Natürlich dürfen dann auch diejenigengerne dazu kommen, die dieses Jahrterminlich verhindert waren.Politik und Gesundheitsakteure im DialogRheinland-PfalzUnter der Überschrift „Zukunft der medizinischenVersorgung im ländlichen Raum“lud die Landtagsfraktion der GRÜNEN inRLP am 24. November 2012 maßgeblicheAkteure der rheinland-pfälzischen Gesundheitsversorgungein zu einem Austauschüber die Zukunftsfähigkeit unserer Gesundheitsversorgungvor dem Hintergrundder demographischen Entwicklung.An der Diskussion mitbeteiligt war, nebender Ärztekammer, den Krankenkassen,Pflegeorganisationen und Verbraucherverbändenauch die PsychotherapeutenkammerRLP.Deren Präsident, Alfred Kappauf, betonte inseinem Statement, dass die Probleme dermedizinischen Versorgung im ländlichenRaum weniger im demographischen Wandelbegründet seien als in der Ökonomisierung.Es bestehe in der Gesundheitspolitikeine sehr starke Outputkontrolle und damiteinhergehend ein Dokumentationswahn.Das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt undPatient werde zunehmend zu einem Vertragsverhältnis.Das führe zu einem Vertrauensverlustin der Arzt-Patient-Beziehung,was im Facharztverhältnis weniger problematischsei als im Hausarztverhältnis. SpezialisierteFacharztleistungen werden besserhonoriert als die „Zuwendungsmedizin“.Der Versorgungsgrad auf dem Land liegebei 1/10 des Versorgungsgrades in städtischenVersorgungsgebieten.Zur Lösung bzw. Milderung zunehmenderVersorgungsengpässe müsse verstärkt aufPräventionsmaßnahmen gesetzt werden.Einen ausführlichen Bericht über die Veranstaltungfinden Sie im Internet unter folgendemLink: http://gruene-rlp.de/themen/volltext-themen/article/zukunft_der_medizinischen_versorgung_im_laendlichen_raum/104 <strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>


Rheinland-PfalzLebhaft nachgefragt: Grundlagen des Rechnungswesens –Steuertipps für PsychotherapeutenDie Broschüre „Grundlagen des Rechnungswesens– Steuertipps für Psychotherapeuten“trifft offenbar auf großes Interesseauch bei Mitgliedern anderer Landeskammern.Wer sie bekommen möchte,möge bitte die Schutzgebühr in Höhevon 3,00 € pro Stück plus 5,00 € Portokostenpauschaleper Vorkasse auf unserKonto bei der Deutschen Ärzte- und ApothekerbankMainz, Konto-Nr. 528 33 37,BLZ 300 606 01 überweisen. Wichtig ist,dass der Name und die Adresse auf demÜberweisungsträger deutlich angegebensind. Die Broschüre inkl. Rechnung werdendann von der Geschäftsstelle zugestellt.Dieses Jahr wieder: Tagung und HerbstfestEbenfalls hinweisen wollen wir auf die Veranstaltung„Schöne neue Welt? Krankheitund Behandlung im Wandel derZeit“ am 28. September <strong>2013</strong>, 14:00 bis18:00 Uhr – im Anschluss an die Tagungfindet das Herbstfest statt. Seit der rasantenEntwicklung des Internets und andererneuer Medien nimmt die Individualisierungder Menschen ständig zu. Um einGefühl von Gemeinschaft zu haben, mussman nicht mehr das Haus verlassen, sondernfindet sich ein in einer virtuellenCommunity oder „trifft sich mit Freunden“im Netz. Was hat diese Entwicklung hin zurIndividualisierung für Folgen in Bezug aufunsere Normen? Werden durch Individualisierungund Virtualisierung neue Risikopotenzialegeschaffen für Krankheit undGesundheit? Schafft oder befördert sie(neue) psychische Erkrankungen? Vielleichthelfen neue Medien auch neue Behandlungsmethodenzu schaffen, aber fürwen und um welchen Preis? Diese Fragensollen bei der Veranstaltung gestellt undbeantwortet werden. Veranstaltungsort istdie „Alte Mensa“, Campus der Johannes-Gutenberg-Universität, Mainz. Eine persönlicheEinladung geht Ihnen im Frühjahrzu.AnkündigungAm 13. April <strong>2013</strong> findet die nächste Sitzungder Vertreterversammlung in derLPK statt. Hierzu sind alle interessiertenMitglieder herzlich eingeladen.Wir bitten aus organisatorischen Gründenum vorherige Anmeldung!An der Gestaltung dieser Seitenwirkten mit:G. Borgmann-Schäfer, J. Kammler-Kaerlein,PD Dr. U. Porsch, Dr. A. Benecke, Dr.B. Albs-Fichtenberg, RA H. Gerlach,S. RosenbaumGeschäftsstelleWilhelm-Theodor-Römheld-Str. 3055130 MainzTel 06131/5 70 38 13Fax 06131/5 70 06 63service@lpk-rlp.dewww.lpk-rlp.deTelefonische Sprechzeiten:Mo. – Fr. 10.00 – 12.30 Uhr und zusätzlichDi. – Do. 14.00 – 16.00 UhrDie Worte „vom Datum der Ausfertigung“ in derjeweiligen Unterzeile unter den folgenden Satzungsüberschriften1. „Neufassung der Hauptsatzung der Landes-PsychotherapeutenKammer Rheinland-Pfalz“2. „Neufassung der Berufsordnung der Landes-PsychotherapeutenKammer Rheinland-Pfalz(BO LPK RLP)“Berichtigungder Bekanntmachung von Satzungen derLandesPsychotherapeutenKammer Rheinland-Pfalzvom 13. Dezember 2012(<strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 4/2012, Einhefter S. 3 bis 21)3. „Neufassung der Beitragsordnung der LandesPsychotherapeutenKammerRheinland-Pfalz (BeitragsO LPK RLP)“4. „Neufassung der Entschädigungsordnung derLandesPsychotherapeutenKammer Rheinland-Pfalz (EntschO LPK RLP)“5. „Neufassung der Gebührenordnung der LandesPsychotherapeutenKammerRheinland-Pfalz (GebO LPK RLP)“6. „Neufassung der Fortbildungsordnung derLandesPsychotherapeutenKammer Rheinland-Pfalz(FobO LPK RLP)“werden jeweils durch folgende Worte „vom 14.November 2012“ ersetzt.Rheinland-Pfalz<strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>105


Veranstaltung zum PatientenrechtegesetzSaarlandDer Einladung der Kammer zur Veranstaltung„Patientenrechtegesetz – Auswirkungenauf die Berufspraxis“ folgten am 7.November 2012 rund vierzig Kammermitglieder.Die Anwesenden bekundeten großesInteresse an den durch die geplantenGesetzesänderungen aufgeworfenen Fragenund Konsequenzen für den Berufsalltag,nachdem das Gesetz am 29. November2012 vom Bundestag verabschiedetwurde und zum 1. Januar <strong>2013</strong> mitVeröffentlichung im Bundesanzeiger inKraft treten sollte.Laut Mitteilung des Bundesministeriumsfür Gesundheit (BMG) verfolgt der Gesetzesentwurf,der an eine seit mehr als zweiJahrzehnten geführte Diskussion um dasThema Patientenrechte anknüpft, „dasZiel, Transparenz über die bereits heutebestehenden, umfangreichen Rechte derPatientinnen und Patienten herzustellen.Die tatsächliche Durchsetzung dieserRechte soll verbessert werden. Patientinnenund Patienten sollen auch im Falle einesBehandlungsfehlers stärker unterstütztwerden. Zugleich schaffen die Regelungenauch Rechtssicherheit für Ärztinnen undÄrzte und andere Gesundheitsberufe imVersorgungsprozess“ (zit. gem. Pressemitteilungdes Bundesministeriums für Gesundheitund des Bundesministeriums derJustiz vom 29.11.2012).Rechtsanwalt Manuel Schauer und die Mitgliederdes Ausschusses Berufsordnung,Gabi Cornrad-Müller, Michael Antes undBernhard Morsch, hatten für die saarländischenKammermitglieder die Veranstaltungzum Patientenrechtegesetz vorbereitet.Inhaltlich wurden insbesondere dieRegelungen der Aufklärung von Patienten,ihre Einwilligung in die Behandlung sowiedie Dokumentation und Einsichtnahme indie Behandlung in den Blick genommen.Im ersten Informationsteil der Veranstaltungerläuterte Herr Schauer zunächst dierechtlichen Grundlagen bzw. Änderungen,die durch das Patientenrechtegesetz erwartetwerden können (zum Veranstaltungszeitpunktwar das Gesetz noch nichtverabschiedet). Im Anschluss daran stellteBernhard Morsch den Bezug der gesetzlichenRegelungen zur Berufsordnung derPKS her, und schließlich gab Michael Anteseinen ersten Ausblick, welche Auswirkungendas Gesetz auf den Arbeitsalltag habenwird.Bernhard Morsch, RA Manuel SchauerMichael AntesIm zweiten Teil des Abends diskutiertendie Teilnehmer mit dem Kammerjustitiar,den Kollegen des Ausschusses und desVorstands die aufgeworfenen Fragen. DerVergleich der Gesetzesregelungen im neuenPatientenrechtegesetz und den bereitsin der Berufsordnung der Kammer getroffenenRegelungen zeigte, dass ein Großteilder Pflichten an die Durchführung der Psychotherapiebereits in den Berufspflichtenverankert ist. Ergänzungen durch das Patientenrechtegesetzbestehen v. a. im Hinblickauf die hinzugekommene Dokumentationder durch den Psychotherapeutenerfolgten Aufklärung des Patienten(§ 630e BGB), u. a. über Indikation, Artder Behandlung, Therapieplan, ggf. Behandlungsalternativenund mögliche Behandlungsrisiken,sowie die Klärung derRahmenbedingungen der Behandlung,z. B. Honorarregelungen, Sitzungsdauerund Sitzungsfrequenz und die voraussichtlicheGesamtdauer der Behandlung (s. a.§ 7 Abs. 2 BO der PKS), die nun auch beiÄnderungen im Behandlungsverlauf gesondertzu erfolgen hat (§ 630f BGB).Die Verschärfung der Dokumentationspflichtenfür den Psychotherapeuten sowiedie Erweiterung der Einsichtsrechtedes Patienten werden in der Psychotherapeutenschaftbesonders kritisch gesehen.Insbesondere analytisch tätige Psychotherapeutenbefürchten hier negative Auswirkungenauf ihre psychotherapeutische Tätigkeit.Da zur Dokumentation ausnahmslos alleDokumentationen des Psychotherapeuten106 <strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>


Saarlandgehören, die er im Zusammenhang mitder Behandlung seines Patienten anfertigt,umfasst dies auch Aufzeichnungen, diesich der Psychotherapeut etwa währendden Sitzungen macht. In Verbindung mitdem Recht des Patienten auf unverzüglicheEinsicht in die ihn betreffende Patientenakte(§ 630g BGB), sehen analytischtätige Kolleginnen und Kollegen besondereProbleme, wenn beispielsweise demPatienten auf Verlangen unmittelbar Einsichtin die Aufzeichnung von Gegenübertragungsgedankengegeben werden müssen.Ob eine Verweigerung der Einsicht imEinzelfall möglich ist, wird die Auslegungder Einschränkung im Gesetzestext, „soweitder Einsichtnahme nicht erheblichetherapeutische oder sonstige erheblicheGründe entgegenstehen (§ 630 g Abs. 1S. 1 BGB)“, letztlich im Streitfall ergebenmüssen. In der Gesetzesbegründung heißtes dazu allerdings bereits, dass im Regelfall„ein begründetes Interesse des Behandelndenan der Nichtoffenbarung solcherAufzeichnungen, in Abwägung zu demPersönlichkeitsrecht des Patienten“ nichtzu sehen sei.Berufs- und Fachverbände sind nach Verabschiedungdes Gesetzes im Besonderengefordert, auf eine Dokumentation hinzuarbeiten,die den Spagat schaffen kannzwischen den Anforderungen an die fachlichangemessene Durchführung der Psychotherapiedurch den Psychotherapeutenund den Einsichtsrechten des Patientenin die komplette Behandlungsdokumentation.Günstig wäre es nach Einschätzungder Kammer, bereits in die Ausbildungentsprechende Inhalte zur sachgerechtenDokumentation aufzunehmen.Ein weiterer Punkt betrifft genaue Regelungenfür minderjährige oder nicht einsichtsfähigePatientinnen und Patienten,die vorübergehend nicht in der Lage sind,selbst über ihre Behandlung zu entscheiden.Insbesondere im Hinblick auf dieBehandlung Schwerkranker weist der Berufsstandauf die Notwendigkeit einerMöglichkeit zur Behandlungsvereinbarung(ergänzend zur Patientenverfügung) hin,die im Gesetz hätte geregelt werden sollen,nun aber leider nicht aufgenommenwurde. Sie hätte das Recht auf Selbstbestimmungstärken können, da der Patientin Zeiten besserer Gesundheit für den Falleiner akuten Krise hätte vorsorgen können.Aus dem Teilnehmerkreis der Fortbildungsveranstaltungkam die Anregung, dass imZuge der Verunsicherung der Kolleginnenund Kollegen durch die neuen gesetzlichenRegelungen, die Kammer doch Hilfestellungdabei geben möge, welche Anforderungenan die Durchführung einer ordnungsgemäßenPsychotherapie insbesonderebzgl. Aufklärung und Dokumentationgestellt werden. Die Veranstalter nahmendiese Anregungen auf und werden das Zusammentragenwesentlicher, ggf. standardisierterInformationen auf den Weg bringen.Der Kammerpräsident wies in diesemZusammenhang noch einmal auf die Notwendigkeitder Lektüre der Berufsordnunghin, in der alle Rechte und Pflichten derBerufsausübung aufgeführt sind. Bei vertieftemInteresse kann die Musterberufsordnungmit Kommentierung empfohlenwerden, die hinsichtlich der berufsrechtlichenRegelungen Rechtshintergründe sowiederen Auslegung anhand von Beispielenaus dem Psychotherapiealltag enthält(Musterberufsordnung für die PsychologischenPsychotherapeuten und Kinder- undJugendlichenpsychotherapeuten: Text undKommentierung, Martin H. Stellpflug & IngeBerns, Psychotherapeuten Verlag,2008).Der Vorstand nimmt das Bedürfnis der Teilnehmerder Veranstaltung sowie die mitunserem Berufsethos verbundene hoheBedeutung einer sachgerechten undrechtskonformen Berufsausübung zumAnlass, im Frühjahr <strong>2013</strong> erneut eine Veranstaltungzu den Auswirkungen des Patientenrechtegesetzesauf die Berufspraxisdurchzuführen.Bernhard Morsch,Vorsitzender Ausschuss BerufsordnungExpertenrat PsychiatrieAm 6. Dezember 2012 traf sich der SaarländischeExpertenrat Psychiatrie zu seinerletzten Sitzung im vergangenen Jahr.beiten. Diese wird sich außerhalb der regulärenSitzungen des Expertenrates treffenund ihre Ergebnisse dort vorlegen.• Rechtsprechung zur Zwangsbehandlung– Krankenhausunterbringung ohneBehandlung.Zunächst wurden anhand verschiedenerBeispiele Kapazitätsmängel in den PsychiatrischenKliniken des Saarlandes und derenFolgen thematisiert. Nach einer lebhaftenund engagiert geführten Diskussionerschien diese Situation den Anwesendenso brisant und wichtig, dass beschlossenwurde, dazu eine Arbeitsgruppe zu bilden,um geeignete Lösungsvorschläge zu erar-In der künftigen Arbeit des Expertenratessollen u. a. folgende Themen im Vordergrundstehen:• Häufigkeit von und Umgang mit Notfällen/Suizidgefährdung,• diagnosebezogenedurchschnittlicheVerweildauern in den psychiatrischenKliniken des Saarlandes,Ein weiteres wichtiges Thema war die Reformder komplementären psychiatrischenVersorgung „ambulant vor stationär“, dieEnde <strong>2013</strong> abgeschlossen sein soll. HerrGroß vom Fachressort des zuständigen Ministeriumszog eine insgesamt positive Bilanzund verwies insbesondere auf denerfolgreichen Ausbau der ambulanten Betreuungsangeboteim Saarland. Diese hat-Saarland<strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>107


Mitteilungen der Psychotherapeutenkammerten vor Beginn der Reform praktisch keineRolle im Leistungsangebot gespielt. Die inder ersten Phase der Reform noch gültigeDeckelung der Platzzahlen sei aufgehoben,eine bedarfsgerechte Versorgungkönne somit erfolgen. Die beiden Leistungstypenin diesem Versorgungssegmentwürden derzeit hinsichtlich einer Erhöhungdes Betreuungsumfanges überprüft.Die bisher gültigen und vielfach kritisiertenLeistungstypen im ambulantenBereich ermöglichen für seelisch behinderteMenschen lediglich einen Betreuungsumfangvon durchschnittlich sechsStunden pro Woche. Vergleichbare Angebotefür die Gruppe der geistig behindertenMenschen sehen hier immerhin neunStunden wöchentlich vor. Wer einen höherenBetreuungsbedarf hat, dem bleibt nurder Weg ins intensiv betreute Wohnen, alsoin der Regel ins Heim.Der Platzabbau im stationären Bereich erfolgtweiterhin nicht im ursprünglich geplantenUmfang, da die Bedarfssituationsich hier gegenläufig entwickelt.Herr Groß informierte außerdem darüber,dass alle Leistungstypen in diesem Bereichauf den Prüfstand sollen. Parallel dazu seienim Landesamt für Soziales ein Hilfeplanungsverfahrensowie Hilfebedarfsgruppenin Arbeit, auf deren Grundlage in Zukunftalle Leistungen der Wiedereingliederungshilfefür seelisch Behinderte erbrachtwerden sollen.Ein weiteres Thema war die häufig stigmatisierendeund/oder sachlich falsche Darstellungvon psychischen Erkrankungen in denMedien. Hierzu wird sich der Expertenrat miteinem Schreiben an die Vertreterinnen undVetreter der saarländischen Presse wenden.Die nächste Sitzung, die für den 27. Februar<strong>2013</strong> geplant ist, wird sich schwerpunktmäßigmit der Versorgung psychisch auffälligerKinder und Jugendlicher im Saarland befassen.Daran wird auch Katja Klohs-Eberle alsKJP-Vertreterin unserer Kammer teilnehmen.Irmgard Jochum,Mitglied im Expertenrat Psychiatrie desMinisteriums für Soziales, Gesundheit,Frauen und FamilieSaarländisches Konsenspapier zu Standards für Ablauf und Betreuungder Praktischen Tätigkeit für PsychotherapeutInnen in Ausbildung (PiA)SaarlandZiele dieses Konsenspapiers sind die klarereStrukturierung und die Verbesserung derQualität des Ausbildungsabschnitts derPraktischen Tätigkeit.An der Erstellung dieses Papiers waren folgendePersonen und Institutionen beteiligt:PiA-AnleiterInnen der meisten an derAusbildung beteiligten saarländischen Kliniken,LeiterInnen aller vier saarländischenAusbildungsinstitute (IVV, SIAP, SIPP, SITP),PiA-VertreterInnen aller vier Ausbildungsinstitute,PiA-Ausschuss der Psychotherapeutenkammerdes Saarlandes.Die Ausbildungs- und Prüfungsverordnungfür Psychologische PsychotherapeutInnenbzw. Kinder- und JugendlichenpsychotherapeutInnen(PsychTh-APrV bzw.KJPsychTh-APrV) sieht im Rahmen derAusbildung zur/zum PsychologischenPsychotherapeutin/Psychotherapeutenbzw. Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin/Jugendlichenpsychotherapeuteneine mindestens 1.800 Stunden umfassendePraktische Tätigkeit vor. Wenigdifferenzierte Vorgaben zur Durchführungder Praktischen Tätigkeit finden sich jeweilsin § 2 der PsychTh-APrV bzw. KJ-PsychTh-APrV.1) Zeitdauer:Die Dauer von mindestens einem Jahr ineiner psychiatrischen klinischen Einrichtungsowie von einem halben Jahr an einerEinrichtung der psychotherapeutischenoder psychosomatischen Versorgung istgesetzlich festgelegt. Den AusbildungskandidatInnensollen keine reduzierten PiAähnlichenAnschlussverträge nach Abschlussder Praktischen Tätigkeit angebotenwerden. Wenn eine Anstellung nachder Praktischen Tätigkeit erfolgt, dann nurzu tariflich festgelegten Konditionen.2) Anforderungen an dieInstitution:In der Einrichtung werden verschiedeneKrankheitsbilder behandelt. Den PiA solltedas Kennenlernen eines großen Spektrumsan Störungsbildern ermöglicht werden,gegebenenfalls auch durch einenAbteilungs-/Schwerpunktwechsel währendder PiA-Zeit.Es muss gewährleistet sein, dass den PiAaufgrund des Ausbildungszwecks der PraktischenTätigkeit neben der Erfüllung derDienstaufgaben ausreichend Zeit für VorundNachbereitung, Supervision, Intervision,Fortbildung und Dokumentation zurVerfügung steht.Als Richtgröße soll eine Arbeitsbelastungvon maximal 2/3 einer regulären Arbeitsstellegenommen werden. Die Möglichkeitder individuellen Anpassung des Arbeitsvolumenssollte gegeben sein, d. h., eine Flexibilitätder möglichen Anpassung der Anforderungenist wichtig.Als Richtgröße für das Verhältnis anleitender,fest angestellter, approbierter PsychotherapeutInnenund psychotherapeutischer/psychiatrischerbzw. psychosomatischerFachärztInnen zu PiA sollte mindestensein Verhältnis von eins zu eins bestehen.Für die Ausbildung ist die doppelte Besetzungaller psychotherapeutischen Gruppenmit einer/einem erfahrenen TherapeutInund einer/einem PiA anzustreben.Es soll auf eine angemessene Steigerungder Anforderungen an die PiA geachtetwerden: z. B. zuerst Übernahme eher standardisierterbzw. psychoedukativer Gruppenund später stärker interaktionell orientierterGruppen. Ähnliches gilt für dieSchwere und Komplexität der Störungsbilderin den Einzeltherapien, die nach demAusbildungsstand der PiA selektiert werdensollten.3) Vertrag:Mit der Klinik wird ein Arbeitsvertrag abgeschlossen,der alle Rechte einer/eines regulärenArbeitnehmerin/Arbeitnehmersmit einem Zeitvertrag beinhaltet sowie eineder Tätigkeit angemessene Vergütungfestlegt. Notwendig ist eine Stellenbe-108 <strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>


Saarlandschreibung mit Definition der Aufgabenund Verantwortlichkeiten und mit klar definiertemUnter- bzw. Überstellungsverhältnis.4) Zeugnis:Zum Abschluss wird ein qualifiziertes Arbeitszeugnisausgestellt.5) Einarbeitung:Die PiA haben Anspruch auf eine angemesseneEinarbeitungszeit, welche auch beiWechsel des Arbeitsbereichs oder bei Rotationzu gewährleisten ist. Bezüglich der Einarbeitungszeitsoll ein bestimmter Mindestzeitraumzugesichert werden. Die Einarbeitungsollte als Richtgröße mindestens vierWochen betragen und normalerweise vierbis acht Wochen dauern, in denen die PiAschrittweise in Absprache mit den Anleiternreguläre Arbeit übernehmen. Der Zeitraumsollte in individueller Absprache und je nachKenntnisstand der/des PiA variierbar sein.Nach Beendigung der Einarbeitung soll einorientierendes Feedback-Gespräch erfolgen.Formaler Anlass dafür könnte z. B. dasEnde der Probezeit sein.Erforderlich ist eine nach Absprache individuelleAnpassung der schrittweisen Übernahmevon Verantwortung in GruppenundEinzelbehandlungen. Für das multiprofessionelleArbeiten ist das Kennenlernenmöglichst vieler Therapiebereiche derInstitution anzustreben, wozu auch dieHospitation in z. B. Ergotherapie, Sporttherapie,Sozialtherapie und Kreativtherapiengehören kann.Obligatorisch ist zu Beginn eine Einführungin die Strukturen und Abläufe der Klinik, indie Dokumentation sowie eine Vorstellungauf den Stationen bzw. in den verschiedenenBereichen (siehe auch übliche Einarbeitungskonzepteder Kliniken für alle neuenMitarbeiter).Die AnleiterInnen sorgen für eine Balancezwischen dem Erhalt von Hilfe und Unterstützungund der Verfügbarkeit von Modellenfür Therapie einerseits und direktemErfahrungslernen durch selbstständigesArbeiten andererseits. Neben dem Lernendurch erfahrene KollegInnen kann dasPeer-Lernen eine Rolle spielen.Für die AnleiterInnen ist durch die Institutionfür die Betreuung und Supervision derPiA eine angemessene Zeit ihrer Arbeitszeiteinzuräumen.6) Arbeitsplatz:Zur Durchführung der Arbeit gehört ein angemessenerArbeitsplatz, der die Ungestörtheitder Durchführung von Therapienund von therapeutischen Abläufen (Diagnostik,Dokumentation, Telefonate, Absprachen)ermöglicht. Wünschenswertwäre, unter Berücksichtigung der jeweiligenSituation einer Institution, pro Vollzeitstelleein eigenes Zimmer (d. h. für zweihalbe Stellen mindestens ein gemeinsamesZimmer).Notwendig ist ein PC-Anschluss pro Zimmer,die Freischaltung für das Patientendokumentationssystemder Bereiche, in denendie PiA arbeiten, sowie E-Mail undwenn möglich ein Internet-Zugang proZimmer.7) Betreuung/Supervision/Intervision:Die Anleitung umfasst eine engmaschigeBetreuung und Supervision durch eine/einenPsychologischen PsychotherapeutIn,Kinder- und JugendlichenpsychotherapeutInoder eine/einen auf dem Fachgebietqualifizierten Facharzt/qualifizierte Fachärztin.Minimum für die Supervision ist eineStunde pro Woche pro PiA (als Gruppen-oder Einzelsupervision). In die Supervisionsollen mehrere der approbiertenPsychotherapeutInnen (bzw. Fachärztinnen/Fachärzte)der Institution einbezogenwerden. Für deren Urlaubszeiten muss eineVertretung sichergestellt sein. Anzustrebenist bei ausreichend langer Zugehörigkeitzum Team auch der Einbezug der PiAin externe Supervision.Zur Betreuung gehört neben dem Gegenlesenauch Unterstützung und Rückmeldungbzgl. Antragstellungen (z. B. Reha-Anträge) und Berichten.Jede Klinik (oder Zusammenschluss vonKliniken bei geringerer PiA-Zahl) benennteine/einen KoordinatorIn/AnsprechpartnerInfür die PiA-Angelegenheiten. Mit dieser/diesemsollen gemeinsame Treffender PiA der Institution stattfinden, in denenauch organisatorische Fragen geklärt werdenkönnen und eine begleitende Reflexionder Praktischen Tätigkeit stattfindenkann. Es besteht für die PiA einer Institutionauch die Möglichkeit, eine/einen PiA-SprecherIn zu wählen.8) Fort- und Ausbildung:Die Teilnahme an Fortbildungen, die währendder Arbeitszeit in der Institution stattfinden,ist zu ermöglichen. Wenn (einzelne)Seminare und Veranstaltungen desAusbildungsinstituts zum Teil in die Regelarbeitszeithineinreichen, sollen sie anteiligauch auf die Arbeitszeit angerechnet werden.Es sollte auch die Möglichkeit geben, dassFortbildungen (außerhalb der Richtlinienausbildung)bezahlt werden, wenn sie fürdie Durchführung der Arbeit in der Klinikerforderlich sind (dann in der Regel auf„Anordnung“ der/des verantwortlichen Bereichsleiterin/Bereichsleiters).Saarbrücken, 15.02.<strong>2013</strong>Erstellt von: PiA-AnleiterInnen saarländischerKliniken, den saarländischenAusbildungsinstituten (IVV, SIAP, SIPP,SITP), PiA-VertreterInnen aller vierAusbildungsinstitute, PiA-Ausschuss derPKS.Redaktion FORUM und saarländischeKammerseiten imPTJIrmgard Jochum, Katja Klohs-Eberle,Bernhard Morsch, Inge Neiser, Maike Paritongund Michael Schwindling.GeschäftsstelleScheidterstr. 12466123 SaarbrückenTel 0681. 95455 56Fax 0681. 95455 58kontakt@ptk-saar.dewww.ptk-saar.deSaarland<strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>109


Mitteilungen der PsychotherapeutenkammerSchleswig-HolsteinLiebe Kolleginnen und Kollegen,auf den folgenden Seiten geben KlausThomsen und Detlef Deutschmann Informationenund erläutern die Haltungdes Vorstands zu den Themen Kostenerstattungsowie Praxiswertermittlung. BeideThemen betreffen auf unterschiedlichenEbenen unsere Mitglieder und in der Folgeauch die zu versorgende Bevölkerung.Und da es dabei um Geld geht, gibt es dazukontroverse Meinungen.Die Beschwerdeanlässe und die Entwicklungdes Beschwerdemanagements stelltBernd Schäfer dar. So sehr sich die Kammerbemüht, für Betroffene den Weg, sichzu beschweren, zu erleichtern, so sehrliegt der Kammer daran, die Anlässe dafürzu minimieren. Der Vorstand empfiehltdeshalb jedem Mitglied den Blick in dieBerufsordnung und bei Unsicherheit dieBeratung durch die PKSH-Geschäftsstelle.Ausführlichere Hintergründe für die vonder Kammerversammlung beschlosseneHaushaltsgestaltung und Beitragsberechnungerläutert Detlef Deutschmann.Auf Bundesebene befasst sich im Übrigender Länderrat, dessen Leitung turnusgemäßmomentan bei der PKSHliegt, intensiv mit dem Reformbedarf zurPsychotherapie-Ausbildung und bleibtam Thema Bedarfsplanung dran.Ich wünsche eine informative und anregendeLektüre,Juliane DürkopPräsidentinPsychotherapie mit Kostenerstattung in Schleswig-HolsteinSchleswig-HolsteinNach Berechnungen der PKSH sind inSchleswig-Holstein ca. 150 Kammermitgliederniedergelassen, haben aber keineKassenzulassung. Es kann vermutet werden,dass ein Großteil dieser KollegInnenPatientInnen behandelt, deren Therapienüber die Kostenerstattung ihrer Krankenkassenfinanziert wird. Das wären 13% unsererKammermitglieder. In Schleswig-Holsteinarbeitet jede/r vierte niedergelasseneKollege/Kollegin in einer Privatpraxis.Über den Umfang von Kostenerstattungsbehandlungenkann man nur Ungefähres inErfahrung bringen. Die einzelnen GesetzlichenKrankenkassen schweigen sich darüberaus. Laut Deutsches Ärzteblatt vom Februar2012 stiegen die Ausgaben für Kostenerstattungvon 2005 bis 2010 von 10,4auf 30,5 Mio. €, Tendenz weiter steigend.Zum Vergleich werden bei Wikipedia dieKosten der Gesetzlichen Krankenversicherungfür 2008 folgendermaßen aufgeschlüsselt:GKV-Gesamtausgaben 153,6Mrd. €, ambulante ärztliche Behandlung(inkl. Psychiater) 24,3 Mrd. €, stationärePsychiatrie 4 Mrd. €, ambulante Psychotherapie1,5 Mrd. € und davon 900 Mio. € anniedergelassene Psychologische PsychotherapeutInnen(PP) und Kinder- undJugendlichenpsychotherapeutInnen (KJP)(http://de.wikipedia.org/wiki/Gesetzliche_Krankenversicherung#Psychotherapie).Wenn man unterstellt, dass fast ausschließlichnichtärztliche PsychotherapeutInnenüber Kostenerstattung abrechnen, kannman davon ausgehen, dass schätzungsweisejede 30. Psychotherapiestunde bei PPund KJP von den Gesetzlichen Krankenkassennach § 13 (3) SGB V bezahlt wird.Die Bundespsychotherapeutenkammer(BPtK) hat 2012 eine Broschüre veröffentlicht:„Kostenerstattung – Ein BPtK-Ratgeberfür psychisch kranke Menschen“. DieBPtK reagiert damit auf die skandalösenZahlen zu den durchschnittlichen Wartezeitenauf ambulante psychotherapeutischeBehandlung und den erkennbarmangelnden Willen vonseiten der Politik(G-BA, Bundesgesundheitsministerium),die von der BPtK errechneten und dringendbenötigten 4.000 zusätzlichen Kassensitzefür PP und KJP zu schaffen. VomG-BA werden hingegen 1.150 neue Sitze inAussicht gestellt, bei gleichzeitig drohenderGefahr, dass durch das neue GKV-Versorgungsstrukturgesetzauch wieder bis zu5.700 Sitze in „überversorgten Gebieten“von den KVen aufgekauft und stillgelegtwerden könnten. Nach Berechnungen derBPtK könnten allein in Schleswig-Holsteinauf diese Weise per saldo bis zu 80 Kassensitzein Gefahr sein.Die PKSH möchte sich dem Thema Kostenerstattungstärker widmen. Es fehlenInformationen über die regionale Verteilungvon KollegInnen, die in Kostenerstattungbehandeln, deren Behandlungskapazitätenund deren Erfahrungen mit denKrankenkassen vor Ort. Im Suchdienst derKammer „Psych-Info“ sind ca. 35 KollegInnenaufgeführt, die über Kostenerstattungin Schleswig-Holstein behandeln. In derPsychotherapeutenliste des DPtV findetsich hingegen in unserem Land niemandunter der Kategorie Kostenerstattung. Die110 <strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>


Schleswig-HolsteinPKSH wird daher alle Mitglieder, die niedergelassensind und möglicherweise mitKostenerstattung arbeiten, in der nächstenZeit anschreiben und befragen. Gibt esWünsche an die Kammer und wie kanndie Zusammenarbeit verbessert werden?Interessenten können sich natürlich auchschon vorher an die Kammer wenden.Klaus ThomsenVorstandsmitgliedPraxiswertermittlung beim (Ver-)Kauf einer psychotherapeutischen Praxis –ein ziemlich „Heißes Eisen“!Hier gibt es nämlich einen klaren wirtschaftlichenInteressenkonflikt zwischen Praxiskäuferund -verkäufer, allerdings in der Realitätfast ausschließlich im Rahmen der Nachbesetzungsverfahrenvon Vertragspsychotherapeutensitzen(KV-Zulassungen). Reine Privatpraxenhingegen scheinen praktisch nichtveräußerlich und spielen hier keine Rolle.Dies ist umso bemerkenswerter, da die Kassenzulassungals solche gar nicht veräußerlichist. Der Zulassungsausschuss hat imNachbesetzungsverfahren allein nach in§103 Abs. 4 Satz 5 SGB V genannten Kriterienden am besten geeigneten Bewerber alsNachfolger auszuwählen. Die Höhe eventuellin Vorverträgen zwischen Verkäufer undBewerber vereinbarter Kaufpreise darf hiergerade keine Rolle für die Auswahl spielen.Der Bewerber muss allerdings seine Bereitschafterklären, den sogenannten „Verkehrswert“zu zahlen. Der Gesetzgeber wollte hieroffensichtlich ganz bewusst die wirtschaftlichenInteressen des ausscheidenden Vertragspsychotherapeutennur maximal in Höhedes „Verkehrswertes“, nicht aber in Höheeines davon ggf. stark abweichenden „Marktwertes“schützen. Leider hat es der Gesetzgeberbislang versäumt, konkrete Festlegungendazu vorzunehmen, wie dieser „Verkehrswert“zu ermitteln ist, sodass es hierzuin der Praxis immer wieder Konflikte zwischenKammermitgliedern gibt.Strittig ist dabei i. d. R. nur der sogenannte„ideelle Wert“ einer Praxis, nicht hingegender „Sachwert“, d. h. der Wert von eventuellübernommenen Räumlichkeiten, Inventaretc. Aus Sicht der jüngeren Psychotherapeutengeneration,die gern irgendwannin eigener Praxis tätig werden möchte, habensich in den vergangenen Jahren –wohl doch eher nach marktwirtschaftlichenMechanismen – z. T. deutlich überhöhtePreise etabliert.Nun ist es aber eine der zentralen gesetzlichenAufgaben von Kammern, hinzuwirkenauf ein gedeihliches Verhältnis der Kammermitgliederuntereinander. In diesemSinne gab es zuletzt auf Bundesebene imLänderrat der Psychotherapeutenkammernwieder Anstrengungen, sich auf einheitlicheEmpfehlungen zur Ermittlung des Verkehrswerteseiner Praxis zu verständigen. Aufdem letzten DPT war dazu explizit beschlossenworden, dass auch Vertreter der Psychotherapeutenin Ausbildung (PiA) in denProzess mit einzubeziehen seien. Dabeiwurde wohl davon ausgegangen, dass siedie Interessen potenzieller Praxiskäufer ambesten kennen und vertreten könnten.Der Vorstand der PKSH hat in seiner Stellungnahmein dem Abstimmungsprozessdeutlich gemacht, dass nach seiner Überzeugungfür die Bewertung des Verfahrensin erster Priorität wichtig sein müsse, dasses für alle inhaltlich nachvollziehbar tatsächlichdas messe, was im Kern den „veräußerlichenWert der Praxis“ ausmache (Stichwort:Validität des Verfahrens). KomplexeFormeln, die zwar zu exakten Ergebnissenführen, bei denen aber nicht oder nur teilweisenachvollziehbar sei, was eigentlichwarum gemessen werde, sehe er hingegenals nicht geeignet an. Aus diesen Gründenlehnte der PKSH-Vorstand ein konkretesPräsidentin im Gesprächmit der Ministerin AlheitAm 5. Dezember 2012 kam es auf Einladungder Sozialministerin Kristin Alheit zueinem persönlichen Gespräch im Ministerium.Dabei hatte Juliane Dürkop alsPräsidentin der PKSH die Gelegenheit,der Ministerin die aktuell unter den Nägelnbrennenden Probleme für den Berufsstandund für die psychisch krankenMenschen im Land darzulegen. Schwerpunktewaren neben der unzureichendenambulanten psychotherapeutischenVersorgung aufgrund fehlerhafter Versorgungsplanungdie Probleme in der Psychotherapie-Ausbildungund ihrer Reformbedürftigkeit.Die Ministerin zeigtesich gut informiert und außerdem sehrinteressiert, sodass weitere Gesprächefolgen werden.Beispiel eines sogenannten „modifiziertenErtragswertverfahrens“ ab, auf das sich dieDiskussion zuletzt zunehmend eingeengthatte. Der Vorstand der PKSH machte inseiner ausführlichen Stellungnahme aufverschiedene kritisch erscheinende Aspekteaufmerksam. Er lehnte das Verfahren abervorrangig deshalb ab, weil es im Kern denideellen Praxiswert einerseits herleitet ausdem Zeitraum, in dem mit einer übernommenenPraxis höhere Erträge zu erwirtschaftenseien als mit einer neu gegründetenPraxis, diesen Zeitraum dann aber ohnenähere Begründung mit mindestens zwei,in der Regel sogar drei Jahren festschreibt,und dann diesen Zeitraum multipliziert mitder Höhe eines fiktiv definierten Ertragsunterschiedeszwischen einer Vertragspsychotherapeutenpraxisund einer Angestelltentätigkeit.Weil der so rechnerisch resultierendeWert inhaltlich nicht mehr sinnvoll interpretierbarerscheint, d. h. auch keinesfallsein valides Maß für den „ideellen Wert“ einerPraxis darstellen kann, hat der Vorstanddieses Modell als ungeeignet abgelehnt.Er plädierte alternativ dafür, ein Modell alsweitere Diskussionsgrundlage zu verwenden,das davon ausgeht, dass sich der „veräußerlicheWert einer Praxis“ der Höhe nachergibt aus dem zu erwartenden Ertragsunterschiedzwischen einer übernommenen undeiner unter gleichen Bedingungen neu gegründetenPraxis. Denn genau hierin bestehtinhaltlich nachvollziehbar der wirtschaftlicheWert eines Praxiskaufes. Dieser Ansatz hältkonsequent die Zulassung, die ja geradenicht veräußerlich ist, aus der Berechnungheraus. Dieses Modell ließe sich sogar anHand der den KVen vorliegenden Zahlen inzwischenteilweise empirisch überprüfen. ImKJP-Bereich wurden bereits neue Zulassungenausgesprochen. Die Ertragsentwicklungkönnte ins Verhältnis gesetzt werden zu jenervon Praxen, die unter ähnlichen Bedingungenim gleichen Zeitraum übernommenwurden. Mit neuen Zulassungen im PP-Bereichwerden auch hier bald entsprechendbelastbare Zahlen vorliegen.Schleswig-Holstein<strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>111


Mitteilungen der PsychotherapeutenkammerEin entsprechendes Verfahren wurde 2011von Herrn Dr. W. Bürger veröffentlicht unterder Bezeichnung „Differenzwertmethode“(In: Aktuelles aus der psychosozialenFach- und Berufspolitik, Supplement zuVPP 2/2011, S. 14-19). Inzwischen wurdevon dem Autor ein weiterer lesenswerterBeitrag veröffentlicht, in dem er mit seinerKoautorin, Frau K. Burgdorf, Hintergründeund Probleme zu diesem komplexenSachverhalt sehr sachlich und umfassenddarstellt und dabei auch auf verschiedenerechtliche Aspekte eingeht (In: Aktuellesaus der psychosozialen Fach und Berufspolitik,Supplement zu VPP 1/<strong>2013</strong>, S.15-29).Der Vorstand der PKSH strebt hier weiterhineine Empfehlung zur Praxiswertermittlungan, die im Sinne eines fairen Interessenausgleichesgleichermaßen von beidenInteressengruppen als inhaltlich begründetnachvollzogen und akzeptiert werdenkann. Nur so lassen sich nach seiner Überzeugungzukünftig unnötige, ggf. auch gerichtlicheAuseinandersetzungen unterKammermitgliedern vermeiden. Da es hierum das „liebe Geld“ geht, handelt es sichbei diesem Thema bisweilen um ein ziemlich„Heißes Eisen“.Detlef DeutschmannVorstandsmitgliedLandeskrankenhausgesetz – Psychotherapeutenkammer gefragtDie neue Landesregierung hat in ihrem Koalitionsvertragvereinbart, für Schleswig-Holstein ein Landeskrankenhausgesetz aufden Weg zu bringen und im Januar mitdiesem Vorhaben auch begonnen. Bishergibt es in Schleswig-Holstein nur ein Gesetzzur Ausführung des Krankenhausfinanzierungsgesetzes(KHG). Dieses Gesetzenthält keine für unseren Berufsstandrelevanten Bestimmungen. Jetzt liegt einerster Referentenentwurf für ein Landeskrankenhausgesetzvor, in dem auchPflichten der Krankenhäuser, z. T. mit derBeschreibung von Aufgaben und Kompetenzenverschiedener Berufsgruppen, geregeltwerden.Die PKSH wurde hier in das Stellungnahmeverfahrenzu diesem Referentenentwurfeingebunden, was deutlich macht, dass diePsychotherapeutenschaft in der schleswigholsteinischenPolitik deutlich an Präsenzgewonnen hat. Mit einer ausführlichen Stellungnahmeverfolgten wir das Ziel, Psychotherapeutinnenund Psychotherapeuten indiesem Gesetz facharztanalog zu verankern.Inwieweit unsere Änderungsvorschläge ineinem nächsten Gesetzesentwurf berücksichtigtwerden, stand bei Redaktionsschlussdieser Ausgabe noch nicht fest.Zur Orientierung: Ein Referentenentwurfstellt einen ersten Schritt im Verfahrendar. Es wird weitere Entwürfe und weitereStellungnahmerunden geben. Mit einemersten Kabinettsentwurf ist dem Vernehmennach ca. im Herbst <strong>2013</strong> zu rechnen.Die PKSH betrachtet dieses Gesetzgebungsverfahrenals Chance, die im ambulantenSektor realisierte Gleichstellungder Psychotherapeutenschaft mit denFachärzten auch im stationären und teilstationärenKontext auf gesetzlicher Ebeneherzustellen. Entsprechend werdenwir uns einbringen und fortlaufend berichten.Bernhard SchäferVizepräsidentBeschwerdemanagement in 2012Schleswig-HolsteinIm Jahre 2012 hatte die Kammer bezogenauf dieses zentrale Aufgabengebiet erfreulicherweiserelativ wenig zu tun. Insgesamtwurden zehn Beschwerden von PatientInnengegen praktizierende Kammermitgliedereingereicht. Im Vergleich zu 2011 waren dasnur halb so viele Beschwerden, was sichaber noch innerhalb der Schwankungsbreiteder vergangenen Jahre bewegt. GravierendeVorwürfe gab es nicht, die meisten bezogensich auf das Verhalten von Kammermitgliedern,das von PatientInnen als unangemessen,verletzend etc. empfunden wurde. Relativhäufig sind dabei aus Patientensicht unschöneBeendigungen der Therapie Anlassfür Beschwerdebriefe gewesen. Die meistendieser Beschwerden konnten nach Stellungnahmeder beschwerten Mitglieder zügigeingestellt werden, da sich berufsrechtlicheVerstöße nicht feststellen ließen.Insgesamt wurden in 2012 zehn Beschwerdefälle,darunter auch ältere, abgeschlossen.Neun Mal ergaben sich keine Hinweise aufberufsrechtliches Fehlverhalten. In einem Fallwurde das Verfahren gegen Zahlung einesGeldbetrages eingestellt. Letzteres beziehtsich auf den sogenannten berufsrechtlichenÜberhang nach strafrechtlichen Ermittlungen.In dem Fall wurde dem Bruder einesPatienten von einem Kammermitglied einePackung eines Antidepressivums zugeschickt,mit der Empfehlung, diese einzu-112 <strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>


Schleswig-Holsteinnehmen. Hier sah die Kammer deshalb einenberufsrechtlichen Überhang gegeben,da mit dem Bruder des Patienten eine drittePerson involviert war und somit das Ansehendes Berufstandes in der Öffentlichkeit Schadengenommen hat.Ein weiteres strafrechtliches Verfahren wurdein 2012 abgeschlossen. Einem Kammermitgliedwurde vorgeworfen, noch innerhalbeiner laufenden Behandlung eine sexuelleBeziehung zu einer Patientin aufgenommenzu haben. Sexuelle Handlungenin Behandlungsverhältnissen stehen nach§ 174c StGB auch dann unter Strafe, wennsie mit Zustimmung von PatientInnen zustandegekommen sind. Im vorliegendenFall war der Sachverhalt unter den Beteiligtenunstrittig, das Kammermitglied nichtvorbestraft und die Staatsanwaltschaft gingdavon aus, dass eine Wiederholungsgefahrnicht bestehe. Sie erhob deshalb keine Anklage,sondern stellte das Verfahren gegenZahlung von 10.000 € Schmerzensgeld andie Patientin und die Auflage einer Entschuldigungein. Das Kammermitglied ließsich hierauf ein und der Vorgang ist strafrechtlichdamit abgeschlossen. Die Prüfungeines möglichen berufsrechtlichen Überhangesdauert noch an.Auch wenn aktuell gegen ein weiteresKammermitglied wegen möglicher Verstößegegen § 174c StGB ermittelt wird, dürftensolche Vorgänge nach Kenntnis derKammer absolute Ausnahmen sein. Auchist die Gesamtzahl der Beschwerden erfreulichniedrig, tatsächliche berufsrechtlicheVergehen noch seltener. Wir freuenuns auch darüber, dass immer wieder Mitgliederein geplantes Vorgehen bei derKammer berufsrechtlich prüfen lassen, bevorsie es umsetzen. Dies ist im Zweifelsfallaus unserer Sicht ein guter Weg, berufsrechtlichenVerfahren vorzubeugen.Bernhard SchäferVizepräsidentHaushaltsplan und Beitragssätze <strong>2013</strong> sowie Jahresabschluss 2012Haushalts- und Beitragsentscheidungensind regelmäßig ein zentrales Thema derletzten Kammerversammlung des Jahres,so auch im November 2012. Im Zusammenhangmit der Vorstellung des Haushaltsplanesfür <strong>2013</strong> wurde vom Finanzausschusszunächst die wirtschaftlicheEntwicklung in 2012 dargestellt. Zu diesemZeitpunkt wurde prognostisch von einergeringfügigen Ausgabenüberschreitungzum Jahresende ausgegangen. Maßgeblichhierfür waren in erster Linie überplanmäßigeAusgaben für das 10-Jahres-Jubiläumder PKSH in Folge der unerwartet hohenResonanz bei den Mitgliedern sowieNachzahlungen für das <strong>Psychotherapeutenjournal</strong>(PTJ) für Vorjahre, erhöhte Aufwendungenfür Öffentlichkeitsarbeit imZusammenhang mit den zentralen ThemenBedarfsplanung und Wartezeiten-Studie, aber auch ungeplante EDV-Kostenim Rahmen der Optimierung der Online-Akkreditierung von Fortbildungen bzw. verschiedenenotwendig erscheinende Anpassungenim Mitgliederverwaltungsprogramm.Durch im Verhältnis zum Haushaltsplangeringere Ausgaben in einerganzen Reihe von Haushaltspositionensowie abermals leicht gestiegene Mitgliederzahlenund damit Mitgliedsbeiträgekonnte zum Jahresende inzwischen realsogar ein geringer Einnahmeüberschuss inHöhe von ca. 9.000 € festgestellt werden.In der Haushaltsplanung für <strong>2013</strong> wurde imVergleich zum Vorjahr insbesondere vonMehrausgaben für Gehälter der Geschäftsstellenmitarbeiter(auf Grund von Tarifanpassungen)sowie Miete und Nebenkostenfür die Räumlichkeiten der Geschäftsstelle,aber auch in <strong>2013</strong> notwendige Investitionenin die Erneuerung der Serverstruktur ausgegangen.Zusätzlich mussten durch vomDeutschen Psychotherapeutentag beschlosseneErhöhungen der BPtK-Beiträgepro Kammermitglied um 7 €/Jahr auch hiererhöhte Ausgaben eingestellt werden. Dadie Höhe des Mindestbeitrages in der 2008eingeführten Beitragsstruktur wesentlichhergeleitet wurde aus der Summe derdurch jedes Mitglied unmittelbar entstehendenKosten pro Jahr, hier stellen dieKosten für den BPtK-Beitrag und das PTJ diegrößten Teilbeträge dar, wurde im Sinne einerAufrechterhaltung dieser Beitragssystematikvon der Kammerversammlung einstimmigeine Erhöhung aller Beitragssätzeum genau diese 7 € beschlossen.Aufgrund der vorgelegten Haushaltsplanungen,die auch einstimmig verabschiedetwurden, wird auch für <strong>2013</strong> damit wiedervon einem ungefähr ausgeglichenenHaushalt zum Jahresende ausgegangen.Die Beitragssätze liegen, wie entsprechendeVergleiche mit den übrigen Kammernzeigen, damit trotz der geringen Mitgliederzahlweiter eher im unteren Bereich.GeschäftsstelleDetlef DeutschmannVorstandsmitgliedAlter Markt 1 – 2, 24103 KielTel. 0431/66 11 990Fax 0431/66 11 995Mo bis Fr: 09 – 12 Uhr, Do: 13 – 16 UhrE-Mail: info@pksh.deHomepage: www.pksh.deSchleswig-Holstein<strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>113


Impressum <strong>Psychotherapeutenjournal</strong>Das <strong>Psychotherapeutenjournal</strong> publiziertBeiträge, die sich auf die Prävention, Therapieund Rehabilitation psychischer Störungenund auf psychische Aspekte somatischerErkrankungen sowie auf wissenschaftliche,gesundheitspolitische, berufs- und sozialrechtlicheAspekte der Aus-, Fort- undWeiterbildung und der Berufspraxis von PsychologischenPsychotherapeuten und Kinder-und Jugendlichenpsychotherapeutenbeziehen. Die Zeitschrift ist der Methodenvielfaltin der Psychotherapie und ihren wissenschaftlichenGrundlagendisziplinen sowieder Heterogenität der Tätigkeitsfelderder Psychotherapeuten verpflichtet.Das <strong>Psychotherapeutenjournal</strong> erscheintviermal jährlich für die Mitglieder der PsychotherapeutenkammernBaden-Württemberg,Bayern, Berlin, Bremen, Hamburg,Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen,Rheinland-Pfalz, Saarland, Schleswig-Holstein und der Ostdeutschen Psychotherapeutenkammer.12. Jahrgang, Ausgabe 1/<strong>2013</strong>HerausgeberinBayerische Landeskammer derPsychologischen Psychotherapeutenund der Kinder- und JugendlichenpsychotherapeutenSt.-Paul-Str. 980336 Münchenrea Dinger-Broda (Rheinland-Pfalz), BernhardMorsch (Saarland), Juliane Dürkop (Schleswig-Holstein),Bernhard Schäfer (Schleswig-Holstein).RedaktionRedakteurin Dipl.-Psych. Nina Rehbach(V.i.S.d.P.)Bayerische Landeskammer derPsychologischen Psychotherapeutenund der Kinder- und JugendlichenpsychotherapeutenSt.-Paul-Str. 980336 MünchenTel.: 089/515555-19Fax: 089/515555-25redaktion@psychotherapeutenjournal.dewww.psychotherapeutenjournal.deDie Verantwortlichkeiten (V.i.S.d.P.) für den Inhaltdes Anzeigenteils des Verlages und vomVerlag beigefügte Werbebeilagen ergeben sichaus dem gesonderten Impressum des Anzeigenteilsbzw. der jeweiligen Beilage.Der Bezug der Zeitschrift ist im Mitgliedsbeitragder Psychotherapeutenkammern Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Bremen, Hamburg,Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Schleswig-Holsteinund der Ostdeutschen Psychotherapeutenkammerenthalten.Verlagmedhochzwei Verlag GmbH, Alte EppelheimerStr. 42/1, 69115 HeidelbergSatzStrassner ComputerSatz69126 HeidelbergDruckwestermann druck38104 BraunschweigManuskripteRedaktionsschluss für Ausgabe 3/<strong>2013</strong> istder 27. Juni <strong>2013</strong>, für Ausgabe 4/<strong>2013</strong> der20. September <strong>2013</strong>. Manuskripte sind elekt-RedaktionsbeiratDr. Dietrich Munz (Baden-Württemberg),Mareke de Brito Santos-Dodt (Baden-Württemberg),Dr. Nikolaus Melcop (Bayern), Dr.Heiner Vogel (Bayern), Anne Springer (Berlin),Dr. Manfred Thielen (Berlin), Dr. SylviaHelbig-Lang (Bremen), Hans Schindler (Bremen),Ulrich Wirth (Hamburg), Dr. RenateFrank (Hessen), Jürgen Hardt (Hessen), GertrudCorman-Bergau (Niedersachsen), JörgHermann (Niedersachsen), Cornelia Beeking(Nordrhein-Westfalen), Dr. Samia Härtling(OPK), Andrea Mrazek (OPK), Dr. Andronisch(CD, E-Mail) im Word- oder rtf-Formatan die Redaktion (s.o.) zu senden. Abbildungensind jeweils zusätzlich als Originaldatei(jpg-Format, mind. 300 dpi), Tabellenin getrennten Dateien einzureichen.Der Umfang des Manuskripts sollte im Regelfall35.000 Zeichen nicht überschreiten,während der Titel des Beitrages nicht längerals 70 Zeichen sein sollte. Buchrezensionensollten nicht mehr als 4.500 Zeichen betragen(jeweils inkl. Leerzeichen).Die verwendete Literatur ist nach den„Richtlinien zur Manuskriptgestaltung“, herausgegebenvon der Deutschen Gesellschaftfür Psychologie (Göttingen: HogrefeVerlag, 1997), im Text zu zitieren und amSchluss des Manuskripts zu einem Literaturverzeichniszusammenzustellen. JedemManuskript ist eine Zusammenfassung vonmaximal 120 Worten und eine Kurzbeschreibungmit bis zu 50 Worten (für dasInhaltsverzeichnis) beizulegen. Die Redaktionbehält sich das Recht auf Kürzungen vor.Weitere Hinweise für Autorinnen und Autorenfinden Sie auf www.psychotherapeutenjournal.de.Autoren erhalten jeweils zwei Belegexemplareder Ausgabe des <strong>Psychotherapeutenjournal</strong>s,in der ihr Beitrag erschienen ist.Die Zeitschrift und alle in ihr enthaltenen Beiträgeund Abbildungen sind urheberrechtlichgeschützt. Jede Verwertung außerhalbder engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzesist ohne Zustimmung der BayerischenLandeskammer der Psychologischen Psychotherapeutenund der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutenunzulässigund strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen,Übersetzungen, Mikroverfilmungenund die Einspeicherung und Verarbeitungin elektronischen Systemen. AlleRechte, auch das der Übersetzung, bleibenvorbehalten. Namentlich gekennzeichneteBeiträge geben nicht unbedingt die Meinungder Herausgeberin wieder.114 <strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 1/<strong>2013</strong>


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