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KDA-Themenheft_BBB-2015_150519_ok_Web

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THEMA<br />

spiel räume und vergrößern die Möglichkeiten<br />

ihres Rollenwechsels. In den Worten von<br />

Niklas Luhmann lässt sich ihr Tun und Lassen<br />

als „Selbstfestlegung im Unbestimmten“ beschreiben.<br />

Unbestimmt, offen, flexibel ist die<br />

Wahl der Zeitmuster. Takt und Taktlosigkeit<br />

stehen ebenso zur Wahl wie die breite Vielfalt<br />

der Rhythmen.<br />

Die sich im Ordnungsmuster des Netzes aufhaltenden<br />

und bewegenden spätmodernen<br />

Zeit ge nossinnen und Zeitgenossen, die „Digital<br />

Natives“, dürfen und müssen selbst entscheiden,<br />

welchem Zeitmuster sie in welcher<br />

Situation folgen. Sie haben die Wahl – und die<br />

Qual. Zuweilen nur wundert man sich, wa rum<br />

dieser Zustand „Zeitfreiheit“ genannt wird.<br />

Die Auflösung der institutionellen Grenzziehun<br />

gen zwischen den arbeits- und lebensweltlichen<br />

Zeitstrukturen und Zeitregeln führt<br />

dazu, dass die Belastungen wachsen, dass<br />

der Entscheidungsbedarf ansteigt, sich der<br />

Entscheidungsdruck intensiviert und sich die<br />

Zeitnöte multiplizieren. Diese Auf- und Zu dringlichkeiten<br />

haben die private Lebenswelt mehr<br />

und mehr dem Zugriff von ökonomi schen<br />

Imperativen ausgesetzt. Das gilt vor allem für<br />

Familien. Ihnen wird durch die räumliche und<br />

zeitliche Entgrenzung eine aufwendigere und<br />

kompliziertere Balance zwischen den Zeitansprüchen<br />

ihrer Mitglieder und den Zeitansprüchen<br />

externer Personen und Institutionen<br />

aufgebürdet. Die verlangte Koordination von<br />

Berufs-, Privat- und sozialem Leben erfordert<br />

eine hohe Virtuosität des Jonglierens mit widersprüchlichen<br />

und zum Teil unvereinbaren<br />

Anforderungen. Der Mensch jedoch ist ein begrenztes<br />

Wesen. Erst Grenzen schaffen Identität,<br />

sie unterteilen den Raum in ein Diesseits<br />

und ein Jenseits, in ein „Mein“ und „Dein“.<br />

Die Zeitgrenzen unterscheiden das Heute<br />

vom Gestern und vom Morgen.<br />

Grenzen schaffen Ordnung, Übersicht und<br />

Verhaltenssicherheit. Menschen bedienen sich<br />

abgrenzender Zeitmarker, um die eigenen<br />

Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten zu<br />

kennzeichnen. Die Grenzen entlasten, die<br />

Grenzenlosigkeit des „wann Sie wollen, wo<br />

Sie wollen“ hingegen verunsichert. Entgrenzungen<br />

führen zu erhöhtem Zeit-, Energie-<br />

und Orientierungs aufwand. Zeit, Energie und<br />

Orientierung, die dann an anderer Stelle fehlen.<br />

In der Mehrzahl der Fälle ist es die Familie,<br />

die unter den belastenden und überfordern den<br />

Folgen der Ent grenzungen zu leiden hat.<br />

Ein zufrieden machendes Zeitleben verlangt die<br />

Kunst, Grenzen zu setzen und zu achten, sie aber<br />

auch hin und wieder überschreiten zu können.<br />

Kurzum, Entgrenzung braucht Grenzen:<br />

Grenzen der zeitlichen und der räumlichen<br />

Er reichbarkeit, Grenzen der Zeitverdichtung<br />

und der Dauerbelastung, Grenzen zwischen<br />

Be ruf lichem und Privatem, Grenzen eigener<br />

Zeit an sprüche und Grenzen fremder Zeit ansprü<br />

che, Grenzen für Störungen und Unterbrechungen.<br />

„WIRD’S BESSER?<br />

WIRD’S SCHLIMMER?<br />

… Fragt man alljährlich. Seien wir ehrlich:<br />

Leben ist immer lebensgefährlich!“ Fragen und<br />

Ant worten von Erich Kästner, die immer dann<br />

zitiert werden, wenn sich Veränderungen dramatisieren<br />

und es unklar bleibt, ob die Zumutungen<br />

am Ende eventuell größer sind als die<br />

Hoffnungen, die man mit den neuen Entwicklungen<br />

verbindet. „Besser“ und „schlechter“,<br />

das sind im Zusammenhang mit historischen<br />

Wandlungsprozessen keine allzu brauchbaren<br />

Kategorien. Trotzdem, auf zwei Dinge kann<br />

man sich verlassen. Erstens: Es wird weitergehen.<br />

Die Geschichte der Menschheit endet<br />

nicht mit dem Smartphone, und sie endet<br />

auch nicht mit dem Computerhandel vom<br />

eigenen Wohnzimmer aus. Und zweitens:<br />

Es wird anders. Ob’s besser oder schlechter<br />

anders wird, das kommt, wie so oft, auch in<br />

diesem Fall auf die Perspektive und den Standpunkt<br />

an. Man tut gut daran, hinter solche<br />

Fragen nicht nur ein, sondern gleich mehrere<br />

Fragezeichen zu setzen. Für die Mehrzahl<br />

der Zeitgenossinnen und Zeitgenossen wird’s<br />

wahrscheinlich besser und schlechter zugleich,<br />

von beidem etwas, in je unterschiedlicher<br />

Dosis. Alle aber wer den wir demnächst<br />

staunen, wie wenig wir heute zu ahnen in<br />

der Lage sind, was wir bald hinter uns haben<br />

werden. ■<br />

KARLHEINZ GEISSLER<br />

12 THEMENHEFT: DER ARBEIT EIN GESUNDES MASS GEBEN<br />

ZUBRINGEN UND HANDEL TREIBEN UND GEWINN MACHEN. +++ SPRÜCHE 15, 22: DIE PLÄNE WERDEN

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