1. Mai - Stadtgespräche Rostock
1. Mai - Stadtgespräche Rostock
1. Mai - Stadtgespräche Rostock
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�Magazin<br />
für Bewegung, Motivation und die nachhaltige Kultivierung der Region <strong>Rostock</strong><br />
<strong>1.</strong> MAI<br />
Peter Köppen: Der <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong> 2006 in <strong>Rostock</strong> >>> Ernst Helmut Qualmann im Interview „...das<br />
verlangt die Regierung von uns“ >>> Gedächtnisprotokolle von „in Gewahrsam genommenen“<br />
Teilnehmern >>> Tilman Jeremias: Einige Beobachtungen zum Polizeieinsatz<br />
>>> Nachgefragt bei Hans-Joachim Engster: „Ein Prozess auf der Suche nach dem richtigen<br />
Maß“ >>> Steffen Bockhahn: Verhinderer verhindern! >>> Sybille Bachmann: Neu nachdenken<br />
>>> Cornelia Mannewitz: Warum sind wir nicht nervös? u.v.m.<br />
12. Jahrgang<br />
Gründung: 1994<br />
ISSN 0948-8839<br />
Einzelverkaufspreis: 2,50 €<br />
Jahresabo (4 Ausgaben): 10,00 €<br />
www.stadtgespraeche-rostock.de<br />
Ausgabe Nr.
Kommentiert<br />
Damit Sie verstehen, was andere meinen.<br />
www.fahrradregion-rostock.de?
EDITORIAL / INHALT<br />
Liebe Leserinnen und Leser,<br />
wohl Niemandem, der am <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong> 2006 in <strong>Rostock</strong><br />
war, braucht man zu erklären, warum<br />
wir uns entschlossen haben, aus diesem Anlass<br />
ein Sonderheft herauszugeben – eine solche Form von Ausnahmezustand<br />
haben die meisten von uns bisher noch nicht erlebt und viele denken seit dem<br />
besorgt darüber nach, was uns dann erst im kommenden Jahr, zum G8-Gipfel<br />
erwartet.<br />
Viele Einwohner <strong>Rostock</strong>s haben ganz persönliche Eindrücke und Erlebnisse<br />
vom <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong> zu berichten – ein Teil des Heftes trägt Einzelschilderungen zusammen,<br />
die in der Summe ein vollständigeres Bild ergeben. Darüber hinaus haben<br />
wir Verantwortliche befragt, den Kriminaldirektor der Polizeidirektion <strong>Rostock</strong>,<br />
Ernst Helmut Qualmann, und den Vorsitzenden der Versammlungsbehörde<br />
und Leiter des Stadtamtes, Hans-Joachim Engster, aber auch Tilman Jeremias<br />
als Mitglied des Deeskalationsteams und den aus Anlass des <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong> gebildeten<br />
Ermittlungsausschusses der Organisatoren der Antifa-Demo… und viele andere<br />
mehr…<br />
Bedauerlich ist in diesem Zusammenhang, dass unsere an die <strong>Rostock</strong>er Bürgerschaftsfraktionen<br />
gerichtete Anfragen zum <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong> vollständig unbeantwortet<br />
blieben, obwohl doch die <strong>Mai</strong>-Sitzung der Bürgerschaft deutlich zeigte, dass das<br />
Thema in allen Parteien diskutiert wurde bzw. wird.<br />
Trotz aller Eile war die Arbeit an diesem Heft zeitaufwändig – und so erscheint<br />
es erst einen Monat nach dem Ereignis und hat doch nichts von seiner Aktualität<br />
verloren, gerade angesichts des kommenden G8-Gipfels, gerade angesichts<br />
des bevorstehenden Besuchs des Amerikanischen Präsidenten in Stralsund. Umso<br />
wichtiger ist es, das Nachdenken über „was ist sinnvoll und wie könnte es anders<br />
laufen“ wachzuhalten, weshalb ich Ihnen vor allem eine dazu anregende<br />
Lektüre wünsche<br />
Ihre Kristina Koebe<br />
Inhalt dieses Heftes<br />
Editorial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1<br />
Briefe an die Leser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2<br />
Impressum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5<br />
Titelthema: <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong> in <strong>Rostock</strong><br />
P. Köppen: Der <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong> 2006 in <strong>Rostock</strong> . . . . . .3<br />
JM: Wo - Wo - Wo bleibt Euer Widerstand? . .7<br />
E. Qualmann im Interview: „...das verlangt die<br />
Regierung von uns“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .11<br />
Informationen des Ermittlungsausschusses . .14<br />
Gedächtnisprotokolle von „in Gewahrsam genommenen“<br />
Teilnehmern . . . . . . . . . . . . . . . .16<br />
T. Jeremias: Einige Beobachtungen zum Polizeieinsatz<br />
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .19<br />
H.-J. Engster: „Ein Prozess auf der Suche nach<br />
dem richtigen Maß“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .20<br />
kai-uwe jurasinski: erlebnisbericht . . . . . . . . . .22<br />
St. Bockhahn: Verhinderer verhindern! . . . . . .24<br />
S. Bachmann: Neu nachdenken . . . . . . . . . . . .26<br />
C. Mannewitz: Warum sind wir nicht nervös? 28<br />
D. Schütz: Beitrag auf dem Tag der Fachbereiche<br />
von ver.di . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .29<br />
P. Geitmann: <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong> - Tag der Arbeit - Unser<br />
Tag! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .30<br />
T. Schultze: Was für eine Botschaft!? . . . . . . .30<br />
B. Kluger: Französisch-deutscher Jugendaustausch<br />
in M-V . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .32<br />
Rezensionen/Charlatanische Wissenschaft<br />
J. Langer: Rezension/Gelesen . . . . . . . . . . . . .34<br />
H. Blauhut: Im Vatikan gibt es zwei Päpste! . .36<br />
Gefahr: Schwarzer Block!<br />
1
FOTO: TOM MAERCKER
TITELTHEMA: INTRO<br />
Der <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong> 2006<br />
in <strong>Rostock</strong><br />
PETER KÖPPEN, REDAKTIONSMITGLIED<br />
Es ist der Nachmittag des <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong> 2006. In<br />
der Kröpeliner Strasse und auf dem Marktplatz<br />
der Hansestadt <strong>Rostock</strong> herrscht buntes<br />
Treiben. Viele Stände, flanierende Besucher,<br />
Frauen und Männer, die auf dem<br />
Markt den Rednern mehr oder weniger aufmerksam<br />
zuhören. Von der großen Tribüne<br />
sind markige Worte zu vernehmen. Ministerpräsident<br />
Ringstorff: „Wir dürfen die Augen<br />
nicht verschließen vor den menschenverachtenden<br />
Aktionen und Parolen der Rechtsextremisten<br />
[...]Wir wollen sie nicht im Land<br />
und nicht im Landtag [...]Rechtsextremisten<br />
schaden dem Zusammenhalt unserer Gesellschaft,<br />
säen Neid und Verachtung.“ Von allen<br />
Rednern die Aufforderung an die Bürgerinnen<br />
und Bürger des Landes und der Stadt:<br />
„Zeigt Zivilcourage im Kampf gegen den<br />
Rechtsextremismus!“ Und immer wieder:<br />
„Rechtsextremisten gehören nicht in unser<br />
Land!“<br />
- Die sind aber bereits da, in ganz Mecklenburg-Vorpommern.<br />
Und heute, am <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong>,<br />
marschieren sie durch <strong>Rostock</strong>.<br />
Ein Blick zurück<br />
Angemeldet beim Ordnungsamt der Hansestadt<br />
war die NPD-Demonstration bereits<br />
Ende November letzten Jahres. Sie wurde<br />
mit einer Reihe von Auflagen genehmigt<br />
und im Januar auf den rechtsradikalen Webseiten<br />
angekündigt. <strong>Rostock</strong>er Einwohner<br />
aus dem antinazistischen Spektrum in <strong>Rostock</strong><br />
reagierten. Auf ihre Initiative hin er-<br />
ging der Mahnruf „Für einen <strong>1.</strong><strong>Mai</strong> ohne<br />
Nazis“, den bis zum <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong> über 4000 Frauen<br />
und Männer unterschrieben. Der Mahnruf<br />
verstand sich als Willensbekundung zu<br />
vielfältigem Handeln. Er rief die Menschen<br />
auf, den Aufmarsch zu verhindern, sich aktiv<br />
an den unterschiedlichen Protesten gegen<br />
den Nazi-Aufmarsch zu beteiligen und einer<br />
Kriminalisierung des antifaschistischen Protestes<br />
entgegenzutreten (zum Mahnruf vgl.<br />
Beitrag von Cornelia Mannewitz).<br />
Nach einem Dementi des Vereins „Bunt<br />
statt braun“, dass dieser Aufruf vom Verein<br />
ausging, erschien dann der Aufruf von<br />
„Bunt statt braun“, DGB und Hansestadt<br />
<strong>Rostock</strong> „<strong>1.</strong> <strong>Mai</strong> 2006: <strong>Rostock</strong> bleibt bunt!“,<br />
den eine nicht näher genannte Zahl von Bürgerinnen<br />
und Bürgern unterschrieb. Die Organisationen<br />
bereiteten außerdem eine <strong>Mai</strong>kundgebung<br />
und Demo ab Werft-Dreieck,<br />
eine Demokratiemeile und ein Bürgerfest<br />
auf dem Neuen Markt vor. Das antifaschistische<br />
Aktionsbündnis „No Nazis, anywhere!“<br />
– nicht identisch mit den Initiatoren des<br />
Mahnrufes – rief zu einer Demonstration ab<br />
Holbeinplatz auf. Die Kirchen, der Verein<br />
VVdN-BdA und andere kündigten ebenfalls<br />
Aktionen an.<br />
Eine große Vielfalt unterschiedlicher Kräfte<br />
wollte sich dem NPD-Aufmarsch entgegenstellen.<br />
Ihr Erfolg hing davon ab, wieweit alle,<br />
„die an diesem Tag quer durch die Par-<br />
teien, Bündnisse, Gruppierungen und Vereine<br />
hinweg Position gegen die NPD beziehen,<br />
... sich in ihrem Ziel einig (sind) und<br />
sich nicht durch unterschiedliche Inhalte<br />
oder Aktionsformen trennen lassen, sondern<br />
sich vielmehr mit den verschiedensten<br />
Aktivitäten solidarisieren.“ (Vertreter des<br />
Antifaschistischen Aktionsbündnisses auf<br />
den Webseiten des Mahnrufs www.erstermai-nazifrei.de.vu.<br />
Die gleichfalls an die Organisatoren<br />
von „<strong>Rostock</strong> bleibt bunt“ gestellten<br />
Fragen wurden von diesen leider<br />
nicht beantwortet). Viele Beispiele im Vorfeld<br />
deuteten bereits an, dass ein gemeinsames<br />
Vorgehen für manchen nicht selbstverständlich<br />
war. Noch deutlicher wurde es am<br />
Tag des <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong>.<br />
Kampf um die Straße, die Köpfe<br />
und die Parlamente<br />
Am <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong> 2006 versammeln sich ab 10.00<br />
Uhr bis zu 2000 NPD-Anhänger auf dem<br />
Platz der Freundschaft hinter dem Hauptbahnhof,<br />
um nach einer Auftaktkundgebung<br />
gegen 13.30 mit Fahnen und Transparenten<br />
und unter dem Motto „Arbeitsplätze zuerst<br />
für Deutsche“ über Südring, Am Vögenteich,<br />
August-Bebel-Str., Richard-Wagner-<br />
Str., Rosa-Luxemburg-Str. zurück zum<br />
Hauptbahnhof zu marschieren. Sie führen<br />
Wahlkampf für den Einzug der NPD am 17.<br />
September 2006 in den Landtag und rufen<br />
auf den Zwischen- und Abschlusskundge-<br />
3
4<br />
TITELTHEMA: INTRO<br />
bungen vor der DGB-Zentrale<br />
und auf dem Leibnizplatz zum<br />
nationalen Widerstand auf (vgl.<br />
dazu den Beitrag „Wo – Wo -<br />
Wo bleibt Euer Widerstand?“).<br />
Es sind politische Aktivisten<br />
und Mitläufer, Enttäuschte und<br />
Gutgläubige, Manipulierende<br />
und Ausgenutzte, disziplinierte<br />
Marschierer oder auf gewalttätige<br />
Aktion Orientierende, Unzufriedene,<br />
Fanatisierte und<br />
Hasserfüllte. Es sind Skinhead-<br />
Schlägertypen und kritische Intellektuelle,<br />
Harz IV-Geschädigte und gut situierte<br />
Bürger, Hitleranhänger und Initiatoren<br />
von Bürgerinitiativen, Mitglieder von<br />
Kameradschaften und/ oder Mitglieder der<br />
NPD.<br />
Die einen setzen auf soziale Arbeit, die anderen<br />
auf brutale Gewalt. Die einen wollen<br />
eine antikapitalistische Zukunft für Deutschland<br />
oder treten ein für einen „internationalen<br />
und antikapitalistischen Nationalismus“,<br />
die anderen wollen der „menschenverachtenden<br />
Globalisierung... das Konzept einer<br />
am Menschen, dem Volk und seinem Lebensraum<br />
orientierten nationalen Volkswirtschaft<br />
durch Nationalisierung der Betriebe<br />
und Entflechtung des raumfremden Spekulations-<br />
und Einflusskapitals entgegensetzen.“<br />
Sie alle eint die Ablehnung demokratischer<br />
Strukturen, die Einschränkung von Grundrechten<br />
und die Befürwortung einer rechtsautoritären<br />
Diktatur, eint Ausländer- und<br />
Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und<br />
Verharmlosung oder gar Verherrlichung des<br />
NS-Regimes. Zentrale Kategorien ihres<br />
Denkens sind das „deutsche Volk“ und der<br />
Aufbau eines völkischen Staates, verbunden<br />
mit dem Gedanken der Volksgemeinschaft<br />
aller Deutschen.<br />
Diese bunte braune Szene hat sich – regional<br />
unterschiedlich stark - in ganz Deutschland<br />
als soziale Bewegung formiert, die weit in<br />
die politische Mitte der Gesellschaft hinein<br />
ausstrahlt und dort Sympathisanten, Unterstützer<br />
und Wähler besitzt. Sie stützt sich auf<br />
in der Gesellschaft weit verbreitete Verhaltensweisen<br />
wie Intoleranz, starres Festhalten<br />
an Vorurteilen, Ablehnung von Fremdem,<br />
oberflächliches und leichtfertiges Herangehen<br />
an komplizierte Probleme und regelrechte<br />
Scheu vor anstrengender intellektueller<br />
Arbeit oder gar Unvermögen dazu. Nur<br />
eine differenzierte Sicht auf die Unterschiedlichkeit<br />
der Strömungen und Gruppen<br />
und einen ganzen Komplex von Ursachen<br />
lässt die unterschiedlichen Motive für rechtsextremistisches<br />
Denken und Handeln erkennen<br />
und die Chancen, erfolgreicher auf viele<br />
der Anhänger einzuwirken.<br />
Wie wird man Neonazi?<br />
Um gar nicht erst mit den immer wieder genannten<br />
Ursachen anzufangen (zerrüttete<br />
Jugend, soziale Unsicherheit, Hereinfallen<br />
auf demagogische Rattenfänger, kluge Taktik<br />
der aus dem Westen importierten Führungskräfte,<br />
pure Dummheit vorpommerscher<br />
Glatzen und anderes), von dem so<br />
Manches auch irgendwie und irgendwo zutrifft:<br />
Rechtsextremismus bzw. Neonazismus<br />
als politische Strömung hat tieferreichende<br />
Ursachen, die in unserem gesellschaftlichen<br />
System, in dessen Schwächen, Fehlern und<br />
großen Defiziten und Defekten zu finden<br />
sind. Es ist deshalb auch kein Problem des<br />
Rechtsextremismus allein sondern ein sehr<br />
viel weiter reichendes, gesellschaftliches.<br />
Viele Menschen in unserer Gesellschaft haben<br />
auf Grund eigener Erfahrungen das<br />
Vertrauen in Parteien, in die politische Elite<br />
und in die augenblicklich praktizierte Form<br />
der parlamentarischen Demokratie sowie in<br />
die derzeitige Funktionsweise der Marktwirtschaft<br />
verloren. Viele soziologische Studien<br />
belegen das. Laut einer Langzeitstudie des<br />
Leipziger Soziologen Peter Förster vertrauen<br />
drei Viertel der jungen Ostdeutschen keiner<br />
etablierten Partei mehr und kaum noch jemand<br />
ist bereit zu gesellschaftlicher Partizipation.<br />
Zum jetzigen Gesellschaftssystem<br />
verhalten sich die jungen Leute mehrheitlich<br />
kritisch, skeptisch und distanziert. Eine große<br />
Zahl sympathisiert mit der Idee eines Sozialismus,<br />
ohne die DDR wiederhaben zu<br />
wollen.<br />
Hier können viele Varianten einer<br />
Entscheidung gefunden werden.<br />
Sie reichen vom Nihilismus und<br />
Anarchismus als Nur-Protest gegen<br />
diese Welt und ihre Werte<br />
über verschieden ausgeprägte linke<br />
Sozialismusauffassungen bis<br />
hin zum „Nationalen Sozialismus“.<br />
Die scheinbar nicht<br />
mehr zu lösenden sozialen Konflikte<br />
wie Arbeitslosigkeit mit all<br />
ihren Folgen, die Rasanz und die<br />
scheinbare Undurchschaubarkeit<br />
der Entwicklung in der Welt, ja<br />
selbst in der Region, erzeugen<br />
Angst und Unbehagen.<br />
FOTO: TOM MAERCKER<br />
Die Studie der Universität Bielefeld „Gruppenbezogene<br />
Menschenfeindlichkeit“<br />
spricht von Unsicherheit in einer Unordnung<br />
der Welt, verbunden mit Orientierungslosigkeit.<br />
Sie führt dazu, dass nun auch<br />
die politische Mitte, die weitaus größte<br />
Gruppe in Deutschland, immer stärker<br />
schrumpft und insgesamt feindseliger wird.<br />
40 Prozent der in der Studie Befragten befürchten<br />
für die Zukunft eine Verschlechterung<br />
ihrer finanziellen Situation, ein Drittel<br />
die eigene Arbeitslosigkeit. Immer öfter wird<br />
versucht, das „Gefühl der Bedrohtheit“<br />
durch Überlegenheitsgefühl insbesondere<br />
durch Betonung des Nationalstolzes sowie<br />
durch die Ablehnung der vermeintlich noch<br />
Schwächeren, z.B. der Ausländer, zu kompensieren.<br />
Es fehlt in dieser Gesellschaft eine von der<br />
Masse der Menschen annehmbare und verständliche<br />
politische und gesellschaftliche<br />
Alternative. Schon viel zu Viele meinen, sie<br />
in der „nationalen Bewegung“ zu finden.<br />
Untersuchungen sagen aus, dass in Mecklenburg-Vorpommern<br />
etwa 30 % eine rechtsradikale<br />
Einstellung haben (1998 = etwa 15<br />
Prozent). Aber nur unter 4 % wählten (bisher)<br />
die NPD. Der Rest wählt entweder gar<br />
nicht oder befindet sich bei den etablierten<br />
Parteien. Wie lange noch? Der Göttinger<br />
Parteienforscher Franz Walter befürchtet,<br />
dass die Parteien ihren Bedeutungsverlust<br />
gar nicht wahrnehmen, da sie nichts an<br />
Macht verlieren. So machen sie weiter wie<br />
bisher. Innerlich hohl in ihrer Organisation,<br />
ohne sicheres inhaltlich-politisches Selbstbewusstsein,<br />
setzen sie an die Stelle von Politik<br />
Slogans, kurzlebige Images und Marketing.<br />
Die von vielen geteilte Einschätzung des Politologen<br />
ist eine kaum noch zu überbietende<br />
Kritik am Agieren sowohl der etablierten po-
litischen als auch der linksalternativen Kräfte.<br />
Beider Vorstellungen werden nicht mehr<br />
oder nicht mehr ausreichend akzeptiert, man<br />
glaubt nicht daran, dass durch sie Veränderungen<br />
erreichbar sind. Da richtet sich so<br />
mancher Blick dann auf andere politische<br />
Kräfte. Also: „Kampf um die Straße, die<br />
Köpfe und die Parlamente“.<br />
Rechtsextremismus als eine politische Strömung,<br />
die die Grundlagen einer demokratischen<br />
Gesellschaft bedroht und als soziale<br />
Bewegung, die weit in die Bevölkerung hineinwirkt,<br />
kann nur überwunden werden,<br />
wenn sich die derzeitige Gesellschaft grundlegend<br />
verändert. Anzustreben ist eine Gesellschaft,<br />
mit größerer sozialer Sicherheit,<br />
mehr sozialer Gleichheit und größerer Gerechtigkeit<br />
in allen Lebensbereichen, mit<br />
sehr viel mehr demokratischer Partizipation,<br />
einer deutlich höheren politischen Kultur<br />
und wirksameren politischen Bildung für erlebbare<br />
Demokratie, für Toleranz und Weltoffenheit,<br />
mit unbedingter Orientierung auf<br />
Friedenspolitik und vielen anderen Elementen,<br />
die alle durchaus im Rahmen des<br />
Grundgesetzes umsetzbar sind. Das Dilemma<br />
ist, dass dabei an die politische Elite Anforderungen<br />
gestellt werden, die diese mit<br />
ihrem bisherigen Denken und ihren fest verankerten<br />
Ritualen und Vorstellungen politischen<br />
Handelns wohl kaum erfüllen kann.<br />
Und so müssen wir wohl feststellen: Der<br />
Rechtsextremismus und Neonazismus wird<br />
uns auch in Zukunft begleiten, es ist nur die<br />
Frage, in welchem Umfang und in welcher<br />
Qualität. Das hängt wesentlich vom zivilgesellschaftlichen<br />
Engagement der demokratischen<br />
Kräfte ab, ihrem Zusammengehen<br />
trotz unterschiedlicher Vorstellungen ( was<br />
selbstverständlich oft sehr schwer, aber unabdingbar<br />
ist), ihrem offensiven Vorgehen,<br />
einer differenzierten Sicht auf den Rechtsextremismus<br />
und einem dementsprechend<br />
unterschiedlichen Reagieren, einem konkreten<br />
und auch materiell und finanziell abgesicherten<br />
Handeln statt nichtssagender Phrasendrescherei.<br />
Es wird auch dann und wohl<br />
immer Menschen geben mit rechtsextremistischen<br />
Auffassungen, was zu zwischenmenschlichen<br />
Problemen, aber nicht zu gesellschaftspolitisch<br />
existentiellen führen<br />
kann.<br />
Das Beispiel <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong><br />
Am <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong> ging es nicht um Diskussion, um<br />
Ursachenforschung und Differenzierung,<br />
sondern ganz einfach darum, den „Kampf<br />
um die Straße“ aufzunehmen. Nicht erst auf<br />
der Kundgebung auf dem Marktplatz, schon<br />
im Vorfeld hörte man starke Worte von so<br />
manchem Politiker und Funktionär. Die<br />
Landtagspräsidentin schloss einen Sitzstreik<br />
nicht aus, der DGB plante verschiedene Aktionen<br />
und der Vorsitzende des DGB Nord,<br />
Peter Deutschland, erklärte noch auf der<br />
Kundgebung: „Wir demonstrieren heute<br />
hier auf verschiedene Weise: Hier auf diesem<br />
Platz mit Musik, Kabarett und Diskussionsrunden<br />
und ganz in der Nähe auf den<br />
Straßen. Die einen zeigen ihre Ablehnung<br />
stumm, die anderen stellen sich den Neonazis<br />
in den Weg, indem sie friedlich Straßen<br />
blockieren. Alle Formen des Protests, so sie<br />
denn gewaltlos ablaufen, sind in meinen Augen<br />
legitim.“<br />
Das war zu einem Zeitpunkt, als die über<br />
4000 Polizisten (einschl. einer Reiterstaffel<br />
mit 26 Pferden) die Stadt bereits in den nicht<br />
offiziell erklärten Belagerungszustand versetzt,<br />
Straßen gesperrt und den öffentlichen<br />
und privaten Nahverkehr nahezu lahmgelegt<br />
hatten. Der etwa 2000 zumeist junge Leute<br />
umfassende Zug der Antifa unter dem Motto<br />
„No Nazis, anywhere! Weder auf der<br />
Straße noch im Parlament. <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong> bleibt<br />
links!“ hatte sich nach dem Verbot der ursprünglichen<br />
Route dem Weg der offiziellen<br />
Gewerkschaftsdemo – ebenfalls etwa 2000<br />
Teilnehmer, bis zu 20.000 waren im Vorfeld<br />
erwartet - angeschlossen.<br />
Nach offizieller Auflösung der Antifa-Demo<br />
in der Langen Straße/Breiten Straße versuchten<br />
verschiedene Trupps, an die Demostrecke<br />
der NPD in der August-Bebel-Str.<br />
heranzukommen. Polizeikräfte verhinderten<br />
es sofort und mit aller Schärfe. Auch der<br />
Versuch, am Steintor durchzukommen,<br />
scheiterte am Polizeikordon. Etwa 40 bis 50<br />
Demonstranten wurden bis zu zweieinhalb<br />
Stunden im Polizeikessel in „Gewahrsam“<br />
genommen, mit Kabelbindern gefesselt „zugeführt“,<br />
viele Stunden in entwürdigenden<br />
Verhältnissen festgehalten, erkennungsdienstlich<br />
behandelt und zum Teil erst spät<br />
in der Nacht Kilometer von <strong>Rostock</strong> entfernt<br />
wieder freigelassen (vgl. Bericht des<br />
Ermittlungsausschusses der Organisatoren<br />
der Antifa-Demo und die Auszüge aus den<br />
Gedächtnisprotokollen von Demonstrationsteilnehmern,<br />
die während des <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong><br />
durch die Polizeikräfte in Gewahrsam genommen<br />
wurden).<br />
Ganz augenscheinlich gab es zwei unterschiedliche<br />
Auffassungen in den politischen<br />
Impressum<br />
<strong>Stadtgespräche</strong> Heft 43:<br />
„<strong>1.</strong> <strong>Mai</strong>”<br />
Ausgabe Juni 2006<br />
(Redaktionsschluss: 07. Juni 2006)<br />
Herausgeber:<br />
Bürgerinitiative für eine solidarische Gesellschaft e.V.<br />
<strong>Rostock</strong> in Zusammenarbeit mit der Geschichtswerkstatt<br />
<strong>Rostock</strong> e.V.<br />
Redaktion und Abonnement:<br />
Redaktion »<strong>Stadtgespräche</strong>«<br />
Kröpeliner Tor<br />
18055 <strong>Rostock</strong><br />
Tel. 0381-1216413<br />
Fax 0381-1216413<br />
E-<strong>Mai</strong>l: redaktion@stadtgespraeche-rostock.de<br />
Internet: www.stadtgespraeche-rostock.de<br />
Verantwortlich (V.i.S.d.P.):<br />
Tom Maercker<br />
Dr. Kristina Koebe<br />
Redaktion:<br />
Dr. Kristina Koebe<br />
Tom Maercker<br />
Dr. Peter Koeppen<br />
Dr. Jens Langer<br />
Björn Kluger<br />
Die einzelnen Beiträge sind namentlich gekennzeichnet<br />
und werden von den Autorinnen und Autoren selbst<br />
verantwortet.<br />
Layout:<br />
Tom Maercker, be:deuten.de<br />
Mediadaten:<br />
Gründung: 1994<br />
Erscheinung: 12. Jahrgang<br />
ISSN: 0948-8839<br />
Auflage: 250 Exemplare<br />
Erscheinung: quartalsweise<br />
Einzelheftpreis: 2,50 EUR<br />
Herstellung: durch Kopieren (Copy-Team <strong>Rostock</strong>)<br />
Kopie auf 100% Recycling-Papier<br />
Anzeigenpreise (Kurzfassung):<br />
(ermäßigt / gültig für 2006)<br />
3. Umschlagseite (Spalten-Millimeter-Preis): 0,25 EUR<br />
4. Umschlagseite (nur komplett): 145,00 EUR<br />
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6<br />
TITELTHEMA: INTRO/BERICHT<br />
Führungsetagen. Die einen (Vertreter des<br />
DGB und einige Landtagsabgeordnete) waren<br />
für einen Protest, der sich auch als<br />
Gegendemonstration verstand, der den Teilnehmern<br />
der NPD-Demo gewaltfrei gegenübertrat<br />
und Sitzblockaden einschloss. Die<br />
anderen wollten das um jeden Preis verhindern.<br />
Dieser Preis hieß Polizeieinsatz gegen<br />
alle Gegendemonstranten, die sich dem Zug<br />
der Neonazis auch nur aus der Ferne näherten.<br />
Da die Polizei dies durchzusetzen hatte,<br />
kann diese Weisung nur vom Innenministerium<br />
des Landes und wohl auch des Bundes<br />
gekommen sein. Die politische Haltung, die<br />
dahinter steht, hat die Vorsitzende des Vereins<br />
„Bunt statt braun“, Britta Volle, besonders<br />
klar zum Ausdruck gebracht und erhielt<br />
dafür in den rechtsradikalen Internetseiten<br />
ausdrücklich ein dickes Lob. Sie sagte:<br />
„Wir respektieren das Recht der NPD, ihre<br />
verfassungsgemäßen Rechte auf Demonstration<br />
und freie Meinungsäußerung auszuleben.“<br />
Es gehe nicht darum, gegen die<br />
NPD zu demonstrieren, sondern für Toleranz<br />
und Menschenwürde.<br />
Die wurde derweil an der Steintorkreuzung<br />
Ecke Richard-Wagner-Straße durch die polizeilichen<br />
Einsatzkräfte auf ihre Weise praktiziert.<br />
Hier regierten nicht Toleranz und<br />
Menschenwürde, Jobparade und Friedensfest,<br />
sondern der Gummiknüppel. Nachdem<br />
aus den Reihen der Neonazi-Gegner Flaschen<br />
in Richtung der NPD-Demo geworfen<br />
wurden, setzte die Polizei massive Gewalt<br />
unter Schlagstockeinsatz gegen die 300 -<br />
500 Demonstranten ein, die es geschafft hatten,<br />
näher an die NPD-Demo-Route heranzukommen.<br />
Oder denen es – sollte das ganze<br />
als eine Polizeiübung an Menschen geplant<br />
gewesen sein – gerade an dieser Stelle<br />
ermöglicht wurde.<br />
Man wäre lebensfremd zu bestreiten, dass es<br />
bei den Gegendemonstranten keine gewaltbereiten<br />
Krawallmacher gäbe und auch immer<br />
geben wird. Ebenfalls werden Emotionen<br />
hochkochen, wenn viele Nazigegner<br />
durch die bürgerkriegsähnliche Präsenz der<br />
Polizei provoziert werden und es nicht möglich<br />
ist, dem politischen Gegner den Protest<br />
hörbar zu vermitteln. All dem kann man –<br />
sofern der Wille vorhanden ist– vor und<br />
während der Demonstrationen anders als<br />
mit Gewalt und Polizeiknüppel begegnen,<br />
auch gemeinsam mit den Demonstranten<br />
und dem anwesenden Deeskalations-Team<br />
aus Vertretern von DGB, Kirche und Lan-<br />
desvertretern. Allerdings nicht dann, wenn<br />
die Demonstranten als eine einzige Horde<br />
von wilden Chaoten angesehen werden, wie<br />
mit dem Blick auf den G8-Gipfel in Heiligendamm<br />
durch den Landtagsabgeordneten<br />
und Kreisvorsitzenden der CDU Bad Doberan,<br />
Dr. Henning von Storch:<br />
06.05.2006: Bad Doberan/MVr Der Landtagsabgeordnete<br />
und Kreisvorsitzende der<br />
CDU Bad Doberan, Dr. Henning von<br />
Storch, der den Wahlkreis im Landtag vertritt,fordert<br />
ein hartes Vorgehen gegen randalierende<br />
Gipfelgegner<br />
„Kritische Meinungen und alternative Gedanken<br />
zu dem Gipfel sind gerne willkommen,<br />
jedoch zeigen die vorherigen Gipfel,<br />
dass blinde Zerstörungswut und extremistische<br />
Parolen die Demonstrationen der Gegner<br />
kennzeichneten.“ Die Erfahrungen der<br />
<strong>Mai</strong>veranstaltung am vergangenen Montag<br />
in <strong>Rostock</strong> seien ein Beleg für die hohe Gewaltbereitschaft<br />
linksextremistischer Teilnehmer.<br />
„Gewaltbereite dürfen auch nicht<br />
von Politikern in Schutz genommen werden<br />
und im Gegenzug Polizeikräfte für konsequentes<br />
Vorgehen kritisiert werden. Dass<br />
sich nun auch ein <strong>Rostock</strong>er Senator mit<br />
Autonomen ablichten lässt, ist eine Verhöhnung<br />
unserer mutigen Ordnungskräfte.“<br />
(MVregio vom 6.5.06)<br />
Wolfgang Nitzsche, Senator für Umwelt, Soziales,<br />
Jugend und Gesundheit in der Hansestadt<br />
<strong>Rostock</strong>, PDS, bewies neben vielen<br />
anderen <strong>Rostock</strong>erinnen und <strong>Rostock</strong>ern,<br />
dass er Zivilcourage nicht nur als verbale<br />
Floskel und eisleckenden Bummel über die<br />
Demokratiemeile verstand. Von Storchs<br />
Scharfmacherei verhindert nicht Gewalttätigkeit,<br />
sondern befördert sie. Wenn – wie<br />
befürchtet – der Polizeieinsatz am <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong> so<br />
etwas wie eine Großübung und Einschüchterungsveranstaltung<br />
für den G8-Gipfel war,<br />
kann für den diesjährigen Besuch des amerikanischen<br />
Kriegshäuptlings in Stralsund und<br />
für den G8-Gipfel 2007 Schlimmes erwartet<br />
werden.<br />
Neben von Storch lobte auch die NPD die<br />
„mutigen Ordnungskräfte“. Im Dankesgruß<br />
des NPD-Landesvorstandes vom 2. <strong>Mai</strong><br />
hieß es: „Hiermit bedankt sich der Landesvorstand<br />
der NPD in M-V bei allen Kameraden,<br />
welche durch Organisation, Unterstützung,<br />
Mitarbeit und Teilnahme zum guten<br />
Gelingen der Veranstaltung am <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong>, dem<br />
Kampftag des deutschen Arbeiters, in <strong>Rostock</strong><br />
beigetragen haben. Auch das korrekte<br />
Verhalten der Polizeikräfte soll hier lobend<br />
erwähnt werden...“ Na also. Von Seiten der<br />
NPD gibt es also keinen Klärungsbedarf,<br />
allerdings bei vielen Gegendemonstranten.<br />
So möchten viele gerne darüber sprechen,<br />
wie an einem solchen Tag Zivilcourage wirksam<br />
werden kann außer beim braven Zuhören<br />
der Politikerreden und den musikalischen<br />
Einlagen. Und wie einer Einladung<br />
zur <strong>1.</strong><strong>Mai</strong>-Demonstration nachzukommen<br />
ist, wenn man faktisch ausgesperrt wird oder<br />
wie sie zu verlassen ist, wenn man – zunächst<br />
doch reingekommen - nicht mehr<br />
rauskommt aus der Polizeiabsperrung. Viele<br />
möchten wissen, wann junge, (noch) sehr<br />
engagierte, ihre Unabhängigkeit behauptende,<br />
sicher auch nicht „pflegeleichte“ Leute<br />
mit anderen Auffassungen endlich als gleichwertige<br />
Partner der Zusammenarbeit angenommen<br />
werden, ohne sie mit einem Alleinvertretungsanspruch<br />
der Bunt statt braun -<br />
Organisatoren faktisch auszugrenzen usw.<br />
Wie der vielen noch aus den Wendemonaten<br />
1989/90 her bekannte Bürgerrechtler Heiko<br />
Lietz mitteilte, lehnte es die Stadt <strong>Rostock</strong><br />
allerdings ab, als Mitveranstalter an einer<br />
durch die Evangelische Akademie Mecklenburg-Vorpommern<br />
angeregten Veranstaltung<br />
am 12.Juni 2006 in <strong>Rostock</strong> mit Innenminister<br />
Timm über die Ereignisse des<strong>1.</strong><strong>Mai</strong><br />
und ihre Auswirkungen aufzutreten. Da es<br />
inzwischen auch ein klärendes Gespräch<br />
zwischen dem DGB und dem Innenminister<br />
gegeben habe, gäbe es auch beim DGB keinen<br />
weiteren Klärungsbedarf. Keine der im<br />
Landtag und der <strong>Rostock</strong>er Bürgerschaft tätigen<br />
Parteien vertritt mit Nachdruck die<br />
Forderung nach eindeutiger Untersuchung<br />
der Ereignisse am <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong> in <strong>Rostock</strong>, auch<br />
nicht die PDS. So bleibt wohl, was Heiko<br />
Lietz abschließend erklärte: „So müssen wir<br />
selber zusehen, wie wir mit unseren offenen<br />
Fragen umgehen.“ ¬
„Wo - Wo - Wo<br />
bleibt<br />
Euer<br />
Widerstand?“<br />
JM<br />
Um 1<strong>1.</strong>00 Uhr zum vorgesehenen Beginn des Aufmarsches der NPD haben sich nur etwa 500 bis 700 Neonazis am Südausgang<br />
des <strong>Rostock</strong>er Hauptbahnhofes versammelt. Viele Neonazis befinden sich zu diesem Zeitpunkt noch auf der Anreise bzw. stekken<br />
in Vorkontrollen der Polizei fest. Unter den bereits Anwesenden befindet sich Stefan Köster, NPD-Bundesgeschäftsführer<br />
und Landesvorsitzender des NPD-Landesverbandes Mecklenburg-Vorpommern aus Lübtheen. Am Rande einer Wahlkampfveranstaltung<br />
am 4. Dezember 2004 in Schleswig-Holstein griff er zusammen mit weiteren führenden NPD-Funktionären und<br />
dem parteieigenen so genannten „Ordnungsdienst“ antifaschistische Demonstrant/innen an. Ein Fernsehteam der ARD dokumentierte<br />
unter anderem, wie Stefan Köster auf eine am Boden liegende Frau eintritt. Wenige Tage nach dem Aufmarsch in <strong>Rostock</strong><br />
wird er deshalb vom Amtsgericht Itzehoe zu 6 Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung wegen gemeinschaftlicher Körperverletzung<br />
verurteilt. Am <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong> fungiert er gegenüber dem Ordnungsamt als Anmelder des Neonaziaufmarsches.<br />
Am Rande des Platzes der Freundschaft werden Ordnerkräfte der NPD eingewiesen: Diese haben sich in militärischer Formation zum Appell<br />
aufgestellt, werden über Megaphon auf ihre Aufgaben eingeschworen. Dabei werden auch die umfangreichen versammlungsrechtlichen<br />
Auflagen der Hansestadt <strong>Rostock</strong> für den Aufmarsch der NPD verlesen. So sind unter anderem jegliche den NS-Faschismus verherrlichende<br />
Parolen, das geschlossene Marschieren in Blöcken und das Mitführen der sogenannten Reichskriegsflagge verboten. Was diese Auflagen<br />
wert sind, zeigt sich ein paar Meter weiter auf der für die Auftaktkundgebung aufgebauten Bühne. Die neonazistischen Liedermacher „Annett<br />
und Michael“ bieten ihre rassistischen, den deutschen Faschismus verherrlichenden Machwerke dem wartenden Publikum dar. Dabei<br />
nimmt das musizierende Ehepaar Müller mehrfach auf die Parole „Die Straße frei dem nationalen Widerstand“ Bezug, deren Benutzung die<br />
Hansestadtstadt <strong>Rostock</strong> per Auflage in „allen Varianten“ untersagt hatte. Erkennbare Konsequenzen hat dieser Verstoß gegen die Auflagen<br />
keine, genauso wenig wie unzählige Tattoos und insbesondere T-Shirts mit z.T. eindeutig untersagten Inhalten. Mindestens eine Reichskriegsflagge<br />
(siehe Foto) kann bis zum Ende des Aufzuges unbehelligt mitgeführt werden.<br />
Die Straßen rund um die Route der Neonazis sind an diesem Tag aus Sicht der Neonazis allerdings tatsächlich „frei“; freigehalten durch ein<br />
massives Polizeiaufgebot: Rund um den Platz der Freundschaft befinden sich neben einigen Journalist/innen kaum Schaulustige, Protestierende<br />
sind gar nicht auszumachen. Wer weder Glück noch Presseausweis hat, kommt gar nicht erst zum Kundgebungsplatz, sondern wird<br />
an den Polizeisperren mehrere hundert Meter entfernt gestoppt. Ärgerlich insbesondere für viele Bahnreisende, die nicht zum Bahnhof<br />
durchkommen. An einigen Absperrungen werden selbst Menschen mit Bahnfahrkarte nicht durchgelassen, an anderen nur mit Fahrkarte, an<br />
7
TITELTHEMA: FAKTEN<br />
wiederum anderen nur, wenn den anwesenden<br />
Polizist/innen die Nasen der Durchlass<br />
begehrenden Reisenden passen. Willkür total.<br />
Eine Momentaufnahme zur Mittagsstunde:<br />
Ein 40-50 jähriger Mann steht einsam und<br />
alleine mit einem offensichtlich – vielleicht<br />
spontan – selbstgefertigten Schild mit einer<br />
antifaschistischen Parole in ungefähr 150–<br />
200 Meter Entfernung zur Auftaktkundgebung<br />
der NPD. Zwischen ihm und den Neonazis<br />
befindet sich eine martialisch ausgerüstete<br />
Kette von Polizist/innen und eine Straße.<br />
Weder für den Mann, noch gar für die<br />
Versammlung der NPD ist eine „Gefahr“ zu<br />
erkennen. Kurz nachdem er seinen stillen<br />
Protest begonnen und sein Schild ausgepakkt<br />
hat, wird er von einem Polizisten aufgefordert,<br />
dieses wieder einzupacken und sich<br />
zu entfernen. Der Mann bleibt stehen und<br />
protestiert gegen diese Einschränkung seiner<br />
Grundrechte. Als Reaktion erhält er einen<br />
mündlichen Platzverweis für die Innenstadtregion<br />
und wird von 3 Polizisten in<br />
Richtung Südstadt wegbegleitet. Einige Neonazis,<br />
die diese Szene vom Rande ihrer<br />
Kundgebung aus beobachten, reagieren mit<br />
spontanem Beifall für die Maßnahme der<br />
Polizei. Ähnliche Situationen wiederholen<br />
sich später während des Aufmarsches.<br />
Nach und nach treffen von Polizeifahrzeugen<br />
begleitete Kleinkonvois aus Bussen und<br />
PKW mit Teilnehmer/innen des Aufmarsches<br />
ein. Die Kennzeichnen verraten, dass<br />
Teilnehmer/innen aus der ganzen BRD<br />
nach <strong>Rostock</strong> gekommen sind. Auf dem<br />
sich füllenden Kundgebungsplatz wird aus<br />
einer Gulaschkanone Suppe gereicht.<br />
8<br />
FOTO: JM<br />
Als Höhepunkt der Auftaktkundgebung war<br />
schon im Vorfeld der erste öffentliche Auftritt<br />
eines in den Tagen zuvor in die Schlagzeilen<br />
geratenen Neuzugangs der NPD angekündigt<br />
worden. Andreas Wagner, ehemaliges<br />
Mitglied des WASG-Bundesvorstands<br />
aus Sachsen, hatte sich durch die Landtagsfraktion<br />
der NPD Sachsen als „Sozialreferent“<br />
anstellen lassen. Der medial geschickt<br />
inszenierte Höhepunkt verläuft dann jedoch<br />
auffällig sensationslos: Ein paar Plattitüden<br />
zum „Zusammenhang zwischen nationaler<br />
und sozialer Frage“, zum „Verrat an den<br />
Interessen des kleinen Mannes“ durch<br />
Linkspartei.PDS und DGB – mehr war<br />
nicht zu hören. Insbesondere auch nicht<br />
zum persönlichen Hintergrund seines auch<br />
in Neonazikreisen kritisch hinterfragten<br />
plötzlichen Wechsels von der linken – sich<br />
antifaschistisch positionierenden – WASG<br />
hin zur NPD. Unmittelbar vor dem Start der<br />
Demonstration werden „Grußbotschaften“<br />
ausländischer neonazistischer Gruppierungen<br />
– zum Teil auch von anwesenden Vertretern,<br />
so zum Beispiel aus Griechenland –<br />
verlesen.<br />
Erst mit fast zweieinhalbstündiger Verspätung<br />
setzt sich um 13.20 Uhr schließlich, angeführt<br />
durch ein Leittransparent mit dem<br />
Motto der Demonstration: „Fremdarbeiter<br />
stoppen – Arbeit für Deutsche“, der Zug der<br />
inzwischen etwa <strong>1.</strong>500 Neonazis vom Platz<br />
der Freundschaft in Richtung Innenstadt in<br />
Bewegung. Der Marsch führt über Südring,<br />
Am Vögenteich, Vögenteich, August-Bebel-<br />
Straße, Steintor, Richard-Wagner-Straße, Rosa-Luxemburg-Straße,<br />
Konrad-Adenauer-<br />
Platz, Goethestraße, Goetheplatz und Südring<br />
zurück zum Platz der Freundschaft.<br />
Eine beim Aufmarsch der Neonazis entgegen den<br />
Auflagen der Hansestadt <strong>Rostock</strong> mitgeführte Reichskriegsflagge<br />
(in der von 1933-1935 gebräuchlichen<br />
Version)<br />
Zwischenkundgebungen finden in der August-Bebel-Straße<br />
auf der Straßenkreuzung<br />
vor dem DGB-Haus und am Leibnizplatz<br />
statt.<br />
Mit höhnischen Parolen wie „Wo - Wo - Wo<br />
bleibt Euer Widerstand?“ kommentierten<br />
die Neonazis das fast vollkommene Fehlen<br />
eines an ihrer Marschroute sicht- oder hörbaren<br />
antifaschistischen Protestes. Aufgrund<br />
der massiven Polizeiabsperrungen ist abgesehen<br />
von den an der gesamten Route der<br />
NPD aufgehängten DGB-Plakaten bis auf<br />
die Kundgebung am DGB Haus und die<br />
Kreuzung am Steintor tatsächlich wenig vom<br />
vielfältigen Protest in der Stadt zu vernehmen.<br />
Polizei und politische Verantwortliche<br />
haben es sich allem Anschein nach zur Aufgabe<br />
gemacht, die gesamte Route der Neonazis<br />
zur temporären „national befreiten<br />
Zone“ zu erklären und jede abweichende<br />
Meinungsäußerung zu unterbinden. Geduldet<br />
wird nur, wer die Nazis mit neutraler<br />
Miene vorbeimarschieren zu ertragen bereit<br />
ist. Ein klarer Bruch von elementaren<br />
Grundsätzen des Versammlungsrechts und<br />
eine quasi Privatisierung von öffentlichem<br />
Raum zugunsten der NPD.<br />
Auf der Straßenkreuzung vor dem DGB-<br />
Haus sprechen Udo Voigt, Parteivorsitzender<br />
der NPD (Bayern), Udo Pastörs (Spitzenkandidat<br />
der NPD-MV zur Landtagswahl<br />
am 17. September) und Stefan Köster.<br />
Auf dem Dach des mit zwei riesigen antifaschistischen<br />
Transparenten verhüllten Gewerkschaftshauses<br />
stehen der stellvertretende<br />
DGB-Nord Vorsitzende Ingo Schlüter,<br />
Konstantin Wecker und viele Gewerkschafts(jugend)mitglieder<br />
und gucken hilflos
der Kundgebung der Neonazis zu. Eine von<br />
der DGB-Jugend geplante Protestaktion fällt<br />
kurzfristig aus. Die Polizei hat untersagt, eine<br />
auf dem Dach befindliche Musikanlage<br />
in Betrieb zu nehmen, mit deren Hilfe die<br />
Provokation der NPD vor dem Gewerkschaftshaus<br />
gestört werden soll. Die Neonazis<br />
verhöhnen und provozieren die Gewerkschafter/innen<br />
mit Rufen wie „Arbeiterverräter“<br />
und „kommt doch runter“. Genüsslich<br />
wird in den Redebeiträgen auf den <strong>1.</strong><br />
<strong>Mai</strong> 1933 angespielt und gedroht, der DGB<br />
hätte seine „Daseinsbestimmung“ längst<br />
verraten. Inhaltlich überschneiden sich die<br />
Redebeiträge zum Teil stark. Vorgetragen<br />
werden neben sozialdemagogischen Parolen<br />
zentrale Versatzstücke des Programms der<br />
NPD, wie die Forderung nach einer „raumorientierten<br />
Volkswirtschaft“, der „Förderung<br />
des deutschen Mittelstandes“ und ein<br />
„Gesetz zur Ausländerheimführung“. Insbesondere<br />
im Zusammenhang mit einem propagierten<br />
„nationalen Kampf gegen Globalisierung“<br />
wird auch antisemitisch konnotiert<br />
gegen ein „raumfremdes Spekulationsund<br />
Einflusskapital“ („die Globalisierer“)<br />
gehetzt. Für die am 17.September stattfindenden<br />
Landtagswahlen in Mecklenburg-<br />
Vorpommern wird als Ziel 7 plus X Prozent<br />
ausgegeben und ein „heißer Wahlkampf mit<br />
bundesweiter Unterstützung“ angekündigt.<br />
Nach kein Ende nehmen wollenden Reden<br />
geht es weiter. In Höhe Schifffahrtsmuseum/Steintor<br />
sind lautstarke „Nazis raus!“<br />
Rufe und andere antifaschistische Parolen zu<br />
hören. Zu sehen sind die Rufenden nicht,<br />
Polizeifahrzeuge versperren die Sicht. 2-3<br />
Flaschen fliegen über Polizei -ketten und -<br />
fahrzeuge hinweg in den Aufzug der NPD.<br />
Getroffen wird niemand. Ordner der NPD<br />
reagieren, indem sie mitgebrachte Plakate als<br />
Schilde einsetzen, um mögliche weitere<br />
Wurfgeschosse abzuwehren. Dazu kommt<br />
es jedoch nicht. Die Polizei rückt unter dem<br />
Beifall der Neonazis gegen die Protestierenden<br />
vor.<br />
Am Leibnizplatz folgt eine weitere lange<br />
Kundgebung mit Beiträgen von Holger Apfel<br />
(NPD Multifunktionär, u.a. Vorsitzender<br />
der NPD-Fraktion im sächsischen Landtag),<br />
Thorsten Heise (führender Aktivist der sogenannten<br />
„Freien Kameradschaften“, Mitglied<br />
im Bundesvorstand der NPD) und Patrick<br />
Wieschke (Funktionär der NPD an der<br />
Schnittstelle zur Kameradschaftszene). Die<br />
Reden überschneiden sich mit bereits gesagtem<br />
und sind z.T. aus bereits im sächsischem<br />
Landtag und auf anderen Aufmärschen gehaltenen<br />
Reden wörtlich übernommen. Langeweile<br />
macht sich unter den Neonazis breit.<br />
Viele unterhalten sich, einige setzen sich in<br />
die Frühlingssonne. Es geht offensichtlich<br />
weniger um Inhalte, sondern darum, alle<br />
Flügel der NPD zu berücksichtigen und den<br />
Aufmarsch im Sinne des „Kampfes um die<br />
Straße“ möglichst in die Länge zu ziehen,<br />
um öffentlichen Raum besetzt zu halten.<br />
Gegen 17.15 Uhr trifft der Zug der NPD<br />
wieder am Platz der Freundschaft ein und<br />
wird dort beendet. ¬<br />
Auszug aus dem Auflagenbescheid der<br />
Hansestadt <strong>Rostock</strong> (Ordnungsamt) zur<br />
Versammlung der NPD:<br />
...<br />
3. Die Verwendung von Fahnen – außer der<br />
Bundesflagge und der Flaggen der beste-<br />
henden deutschen Bundesländer und der<br />
Flagge der europäischen Union, deren Ein-<br />
satz unbeschränkt bleibt - wird mit der<br />
Maßgabe gestattet, daß eine Fahne pro 50<br />
Teilnehmer verwendet werden darf und die<br />
Fahnen über den gesamten Aufzug gleich-<br />
mäßig zu verteilen sind. Nicht mitgeführt<br />
werden dürfen die Reichskriegsflagge und<br />
Fahnen, die gesetzlich verboten sind<br />
...
FOTO: TOM MAERCKER
TITELTHEMA: INTERVIEW<br />
„…das verlangt die Regie-<br />
rung von uns, das verlangt<br />
das Gesetz von uns“<br />
Interview mit dem Leiter der Polizeidirektion <strong>Rostock</strong>,<br />
Kriminaldirektor Ernst Helmut Qualmann<br />
DAS INTERVIEW FÜHRTE KRISTINA KOEBE, REDAKTIONSMITGLIED<br />
E. Qualmann: Ein paar Worte vielleicht schon vorab. Eigentlich ist für<br />
mich nach dem Gespräch mit dem DGB der <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong> abgehakt. Es hat<br />
ja Gespräche mit Herrn Schlüter und Herrn Klein gegeben, in denen<br />
diese sich für die Attacken in der Presse entschuldigt haben, die<br />
schon an diesem Tag, aber auch in den Stellungnahmen danach erschienen<br />
sind. Nichtsdestotrotz – wenn es da noch offene Fragen<br />
gibt, sehe ich das auch als sinnvoll an darüber noch mal zu sprechen.<br />
Außerdem möchte ich noch einmal betonen, dass wir einen Gesetzesauftrag<br />
zu befolgen haben. Ob uns das also passt oder nicht, das<br />
sei dahingestellt. Auch unsere persönlichen Befindlichkeiten stehen<br />
da hinten an – ich persönlich möchte auch keine Nazis in <strong>Rostock</strong><br />
haben. Und die jungen Leute, die sie schützen müssen, auch nicht.<br />
Mindestens ebenso wenig, wie diejenigen die dort draußen stehen<br />
und deren Aufmarsch verhindern wollen. Und trotzdem müssen sie<br />
dort ihren Job machen und ihren Dienst – das verlangt die Regierung<br />
von uns, das verlangt das Gesetz von uns. So eindeutig ist die Position.<br />
Das wird immer missverstanden, wenn es heißt, die Polizei<br />
würde Rechte beschützen – das ist eine Unterstellung, die ist in der<br />
Tat schon ein Stück weit beleidigend.<br />
Der Redaktion liegen Fotos vor, die ein Mitführen der Reichskriegsflagge<br />
während der NPD-Demonstration am <strong>1.</strong>5. dokumentieren. Wie erklären<br />
Sie sich, dass die NPD-Demonstration trotz Nichterfüllung der durch die<br />
Hansestadt <strong>Rostock</strong> bzw. die Landespolizei verhängten Auflagen fortgeführt<br />
werden konnte?<br />
E. Qualmann: Grundsätzlich ist es so, dass Auflagen durch die Versammlungsbehörde<br />
erteilt werden. Versammlungsbehörde ist die<br />
Stadt. Bei jedem Aufmarsch, bei jeder Kundgebung und Versammlung<br />
sind Mitarbeiter dieser Versammlungsbehörde zugegen. Schon<br />
beim Veranstaltungsbeginn wird seitens der Polizei darauf geachtet,<br />
dass die Auflagen eingehalten werden, das betrifft Bekleidung, Fahnen,<br />
Transparente, Ordner werden überprüft und ausgeschlossen,<br />
wenn nötig. Das ist ein ganzer Komplex von Maßnahmen – der läuft<br />
im Beisein der Versammlungsbehörde ab, die also die Polizei autorisiert,<br />
diese Auflagen durchzusetzen.<br />
Mir ist auch nicht bekannt geworden, dass eine verbotene Flagge<br />
mitgeführt worden wäre. Es gibt hier eine weit verbreitete Irritation<br />
– es gibt eine Reichskriegsflagge die verboten ist, eine andere ist es<br />
nicht. Die verbotene Flagge hat ein Hakenkreuz in der Mitte, das übliche<br />
Eiserne Kreuz ist eben nicht verboten.<br />
11
12<br />
TITELTHEMA: INTERVIEW<br />
Was würde denn passieren, wenn verbotene Insignien auftauchen würden?<br />
Was passiert, wenn gegen die Auflagen verstoßen wird?<br />
E. Qualmann: Der Verantwortliche würde in jedem Fall aufgefordert,<br />
den Verstoß einzustellen. Und er hat auch in jedem Fall mit einer<br />
Sanktion zu rechnen. Aber es würde im Einzelfall nicht zur Auflösung<br />
der Versammlung führen. Man muss immer die Verhältnismäßigkeit<br />
eines Verstoßes sehen: Ist es der Verstoß eines Einzelnen<br />
oder einer Gruppe oder eine durch einen Versammlungsleiter geduldete<br />
Maßnahme größeren Ausmaßes. Da hat der Gesetzgeber die<br />
Hürde auch ein Stück höher gehängt – nicht jede Aktion Einzelner<br />
oder kleinerer Gruppen führt zwangsläufig dazu, dass die Polizei die<br />
Versammlung auflösen darf. Das Ganze ist also ein sehr komplizierter<br />
und komplexer Prozess – genau deshalb ist ja die Versammlungsbehörde<br />
immer mit vor Ort. Verschwörungen oder organisierte<br />
Hetzparolen oder ähnliches – dann selbstverständlich, aber die Polizei<br />
kann so etwas nicht im Ansatz unterbinden.<br />
Warum wurde das Abspielen von Lautsprechern vom Dach des DGB-Hauses<br />
unterbunden? Solche Restriktionen erzeugen doch den Eindruck, es<br />
würde mit zweierlei Maß gemessen?<br />
E. Qualmann: Nein, das Abspielen wurde nicht unterbunden, das<br />
muss ich ganz klar verneinen. Der DGB hat angekündigt, dass auf<br />
dem Dach des DGB-Hauses ein buntes Volksfest stattfinden soll –<br />
das haben wir auch toleriert. Aber, und da gibt es auch eine eindeutige<br />
Auslegung: Unangemeldete Zwischenkundgebungen und Störungen<br />
von Kundgebungen haben wir zu unterbinden. In der Auslegung<br />
spricht man von 10 bis 15 Minuten Duldung, danach gibt es eine<br />
klare Ansage der Polizei und dann möglicherweise Sanktionen gegen<br />
den Störer. Hier hatten wir aber den Fall, dass es im Vorfeld gar<br />
keine Musik gab – sie sollte angestellt werden, wenn die Zwischenkundgebung<br />
beginnt, und das haben wir zu untersagen. Das wäre<br />
nämlich ein Straftatbestand. Wenn man so will, haben wir die jungen<br />
Leute davor bewahrt, dass gegen sie ein Verfahren eingeleitet wird..<br />
Störabsicht ist nach §21 des Versammlungsgesetzes eine Straftat, die<br />
mit bis zu 2 Jahren bestraft werden kann.<br />
Es ist also schon verboten, an einem vorbeiziehenden Demonstrationszug<br />
seinen Protest zum Ausdruck zu bringen?<br />
E. Qualmann: Nein, das kann man machen. Aber wenn eine<br />
Zwischenkundgebung durch laute Musik o.ä. nicht durchführbar ist<br />
– auch hier geht es wieder um die Verhältnismäßigkeit. Wenn ein<br />
Einzelner an der Strecke steht und „Buh“ oder „Nazis raus“ ruft,<br />
werden sie sehen, dass die Polizei darauf keineswegs reagiert. Reagierten<br />
wird sie erst, wenn Gewalttätigkeiten von dieser Gruppe ausgehen<br />
oder die Störungen so ein Ausmaß annehmen, dass der andere<br />
seine angemeldete Kundgebung nicht durchführen kann. Hier<br />
greift wieder schützend das Versammlungsrecht, ob uns die Inhalte<br />
passen oder nicht.<br />
Wie ist es zur Einkesselung am Steintor gekommen?<br />
E. Qualmann: Eine Einkesselung sieht anders aus – das war keine<br />
Einkesselung. Es gab Lücken. Das Eingreifen der Polizei von der unteren<br />
Barlachstrasse aus reagierte darauf, dass gegen die Kräfte, die<br />
am Steintor in der Barlachstrasse standen, zum Teil auch massiv vorgegangen<br />
wurde. Die Einsatzkräfte sind ja nicht aufgerückt. Wenn<br />
ich kessele, dann klemme ich die betroffenen Personen ein.<br />
Aber es standen Wasserwerfer da und es wurden Personen vor Ort festgehalten<br />
– bis zu drei Stunden.<br />
E. Qualmann: Es wurde jedem angeboten, nach hinten rauszugehen.<br />
Es gibt aber Zeugenbericht, die aussagen, sie seien dort festgehalten worden.<br />
E. Qualmann: Für mich als arbeitenden Polizisten ist der, als störend<br />
empfundene, Hubschrauber mein Auge, mit dem ich das Geschehen<br />
von oben zu betrachten. Sie können also davon ausgehen, dass man<br />
von oben einen sehr guten Blick auf das Gesamtgeschehen hat. Jede<br />
eingesetzte Abteilung, jede Hundertschaft, hat einen Beweissicherungstrupp,<br />
der das Geschehen videographiert. Damit man hinterher<br />
feststellen kann, ob das polizeiliche Handeln in Ordnung war<br />
bzw. Beweissicherung im Sinne von Straftätern vornehmen.<br />
Wir haben festgestellt, dass es am Steintor Stein- und Flaschenwürfe<br />
gegen Polizisten gab – wenn man dazwischen oder weiter hinten<br />
steht, in friedlicher Absicht, wie es bei der überwiegenden Mehrheit<br />
der Fall war, sieht man das oft gar nicht. Es war der gewaltbereite<br />
Teil, gegen den wir vorgegangen sind, und das haben wir auch angekündigt.<br />
Wir haben gesagt: wir gewährleisten jedem eine friedliche<br />
Versammlung, um sich zu artikulieren. Aber bei Angriffen gegen die<br />
Polizei oder Gewaltanwendungen werden wir konsequent sein. Die<br />
Wasserwerfer wurden ja nicht eingesetzt sondern nur so aufgestellt,<br />
dass sie Angriffen standhalten können.<br />
Und noch etwas: Die ersten Angriffe gegen die Polizei gab es am<br />
Steintor bereits, als der NPD-Aufmarsch noch gar nicht begonnen<br />
hatte. Das hatte zur Folge, dass ich kurzzeitig den Schlagstock habe<br />
einsetzen lassen, damit wir die Situation beherrschen konnten, weil<br />
wir dort nicht genug Kräfte vor Ort hatten. Bereits zu diesem Zeitpunkt<br />
haben wir 40 Randalierer festgenommen, deren Angriffsziel<br />
die Polizei und nicht die Nazis waren. In der Folge wiederholte sich<br />
dies am Kröpeliner Tor. Das haben wir alles aus der Luft beurteilt<br />
und auch entsprechend reagiert. Allerdings trifft die Einsatzleitung<br />
hier nur Grundsatzentscheidungen, wir können uns natürlich nicht<br />
in jede Entscheidung eines Polizeiführers vor Ort einmischen. Aber<br />
aus der Luft hat man natürlich eine viel bessere Sicht auf die Gemengelage,<br />
darauf wo die Störer sind etc. Oft bekommt man schon<br />
hundert Meter weiter gar nicht mit, dass die Polizei massiv angegriffen<br />
wird.<br />
Wir wussten schon im Vorfeld, dass aus Berlin und Hamburg Gruppen<br />
anreisen würden – die ja dann auch hier waren – die in Störabsicht<br />
gekommen sind, nicht in der Absicht, gegen Nazismus und<br />
Rassismus zu demonstrieren. Die hergekommen sind, um einen Test<br />
mit der Polizei zu machen.<br />
Mit Blick auf G8?<br />
E. Qualmann: Mit Blick auf G8.<br />
Was aber daraus resultierte war, dass wir eine fast komplett abgesperrte<br />
Innenstadt hatten. Das wir einen Ausnahmezustand hatten, der vielen Menschen<br />
gar nicht ermöglichte, an den Gegendemonstrationen gegen die<br />
NPD teilzunehmen.<br />
E. Qualmann: Das ist so falsch, da hat sich der DGB auch korrigiert.<br />
Wir haben bis 9.55 Uhr das Warnowtor offengehalten. Danach war<br />
der Stadthafen vollbesetzt. Wenn wir jetzt noch weiter Fahrzeuge<br />
hätten passieren lassen, wäre es zu Staus gekommen. Der Umzug des<br />
DGB, der um 10 Uhr dort beginnen sollte, wäre durch Fahrzeuge<br />
blockiert gewesen. Sie müssen ja immer sehen, dass wir den Verkehr
auch weiträumig ableiten müssen – der Bürger erwartet von uns,<br />
dass wir ihn nicht in Sackgassen fahren lassen.<br />
Aber es ging ja auch um Passanten, die z.T. nicht in die Innenstadt gelassen<br />
wurden, am Bahnhof nicht zu ihren Zügen gelangen konnten oder nicht<br />
in ihre Wohnungen in der Südstadt gekommen sind, teilweise sogar ältere<br />
Leute - ?<br />
E. Qualmann: Auch dem mag ich nicht folgen. Im Bereich Verkehr<br />
gab es nirgendwo Stauerscheinungen. Alle Aufzugsteilnehmer konnten<br />
zu ihrer Veranstaltung hingehen oder hinfahren. Zu diesem Zeitpunkt<br />
fuhren die S-Bahnen, die Busse von außerhalb haben wir direkt<br />
zum Kundgebungsort geleitet. In der Innenstadt waren Umgehungswege<br />
möglich. Die Trennlinie war einseitig – wir haben sehr<br />
lange den Weg zum Bahnhof für Kundgebungsteilnehmer offen gehalten,<br />
d.h. bis der Aufzug der NPD begann. Erst dann haben wir<br />
mit Sperrmaßnahmen begonnen. Wenn Sie aus dem Bahnhof herauskamen,<br />
waren die Absperrungen nur linksseitig, wie mit der Versammlungsbehörde<br />
vereinbart. Wir haben lediglich die Aufzugsstrecken<br />
freigehalten.<br />
Ich habe persönlich erlebt, wie ein junger Mann in der Doberaner Strasse<br />
/ Ecke Reuterstrasse angehalten und zurückgeschickt wurde.<br />
E. Qualmann: Auch das war Aufzugsstrecke.<br />
Aber die NPD ist doch von der Südstadt durch die Bebelstrasse marschiert<br />
- ?<br />
E. Qualmann: Ja, aber wir halten ja nicht nur die Aufzugsstrecken für<br />
die NPD frei. Wir hatten ja mehrere angekündigte Kundgebungen,<br />
Antifa 1, Antifa 2 usw. – die Routen führten auch über die Dethardingstrasse<br />
bis in die Südstadt hinein. Damit sind wir natürlich verpflichtet,<br />
entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Aber es ist es<br />
doch so: Wenn Sie 4000 Polizisten in den Einsatz führen:; bis das also<br />
wirklich bei dem letzten ankommt – Stichworte Toleranz, Abwägen,<br />
Einzelentscheidung, wo will jemand hin usw. - das ist gerade<br />
auch mit Fremdkräften sehr schlecht vermittelbar. Der Beamte vor<br />
Ort sieht seinen Auftrag, den er bestmöglich erfüllen will. Da ist der<br />
eine ein bisschen flexibler, der andere weniger.<br />
Also hat jeder Beamte gewisse Spielräume?<br />
E. Qualmann: Natürlich gibt es Spielräume, die lassen wir ihm auch.<br />
Ich gebe Leitlinien vor. Und nun sagen Sie „Stadt abgeriegelt“ – was<br />
hätten Sie lieber gehabt, eine zerstörte Innenstadt, zerschlagene<br />
Schaufensterscheiben? Wie in Lübeck, brennende Autos?<br />
Haben Sie den Eindruck, dass das die Alternative gewesen wäre?<br />
E. Qualmann: Das wäre die Alternative. Wie in Göttingen – 200 Nazis,<br />
7000 Gegendemonstranten. Die Göttinger waren hier und haben<br />
uns über die Schulter gesehen, weil sie das Dilemma ja 14 Tage später<br />
vor Ort hatten, und haben gesagt: Okay, das Konzept funktioniert.<br />
Die Stadt ist sauber geblieben. Das habe ich auch dem DGB<br />
gesagt: Was wäre die Alternative gewesen? 100 Gewaltbereite zerstören<br />
in kurzer Zeit die Innenstadt. Wenn die einmal losgelassen werden,<br />
dann haben Sie ein Problem – und das Problem sollte <strong>Rostock</strong><br />
nicht haben. Das habe ich eindeutig klargemacht und es hat auch 14<br />
Tage später funktioniert, bei dem Spiel gegen Dynamo. Auch da waren<br />
5000 hier, darunter mit Sicherheit 4500 begeisterte Dynamo-<br />
Fans. Aber 500 sind in der Absicht gekommen - obwohl sie keine<br />
Karten hatten –: „wir machen hier Ballett“. Und gegen diese Min-<br />
derheit hat die Polizei den Bürger zu schützen.<br />
Die Festgenommenen gehörten also zu diesem radikalen Teil?<br />
E. Qualmann: Ja, wir haben die Steinewerfer festgenommen, aber<br />
auch NPD-Anhänger. Dort eher eine Minderheit, weil die Störer, die<br />
bereits angetrunken erschienen, schon vorher ausgeschlossen wurden,<br />
aber wer gegen Auflagen verstößt, wird auch hier in Gewahrsam<br />
genommen.<br />
Der Ermittlungsausschuss berichtet davon, dass Festgenommene stundenlang<br />
in Einsatzwagen sitzen musste, nichts zu Essen und zu Trinken bekamen,<br />
in ihren Zellen gefesselt sitzen mussten etc.<br />
E. Qualmann: Auch hier hat der Gesetzgeber ein Stück nachgebessert:<br />
Früher mussten wir die in Gewahrsam genommenen Personen<br />
zum Richter bringen, jetzt haben wir Staatsanwälte und Richter in<br />
unseren Gefangenensammelstellen, die ganz genau darauf achten,<br />
dass Zeiten eingehalten werden, dass die Leute zur Toilette können,<br />
verpflegt werden, dass der Vorwurf zügig geprüft wird. Nur: wenn<br />
Sie 100 Leute haben, dann ist der hundertste vielleicht erst in vier<br />
oder fünf Stunden dran – das kann schon sein.<br />
Wir haben der Antifa, die mit Bussen hier war, sogar angeboten, die<br />
Busse ans Steintor zu holen – aber da haben sich die Busfahrer geweigert.<br />
Dann haben wir Leute durchgelassen, damit sie dort hingehen<br />
konnte, wo die Busse warteten. Denn natürlich wollten wir so<br />
schnell wie möglich alles wieder in geordneten Gleisen haben. „Erfolg“<br />
ist für mich immer das verkehrte Wort, weil sicherlich die<br />
Rechte von Einzelnen beschnitten werden, aber es geht doch wohl<br />
um die Gesamtheit. Setzen Sie die Zahl der Anmeldungen und Teilnehmer<br />
in Beziehung zu den Schäden – drei im Frust angebrannte<br />
Mülltonnen in der Grubenstrasse, keine zerstörten Bushaltestellen,<br />
Schaufenster, Straßenbahnen oder was sonst noch beliebte Objekte<br />
von Zerstörungen sind, die ja immer ein Stück weit unter dem Dekkmantel<br />
„wir sind gegen Nazis“ stattfinden.<br />
Noch eine Verständnisfrage zum Schluss: War die Polizeidirektion hauptverantwortlich<br />
für den Einsatz?<br />
E. Qualmann: Ja. Wir sind als Direktion ja die zuständige Behörde, also<br />
läuft der Einsatz auch in solchen Größenordnungen über meinen<br />
Tisch bzw. über meinen Stab.<br />
Wie wird das beim G8-Gipfel aussehen? Es gibt ja Befürchtungen, dass die<br />
Abläufe <strong>Rostock</strong> dann komplett aus der Hand genommen werden.<br />
E. Qualmann: Nein. Auch für den G8-Gipfel gelten die Gesetze –<br />
und die sind zu beachten. ¬<br />
13
14<br />
TITELTHEMA: FAKTENSAMMLUNG<br />
Informationen des aus Anlass der<br />
NPD-Demo und der Gegendemonstrationen<br />
vom <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong> in <strong>Rostock</strong> gebildeten<br />
Ermittlungsausschusses (ea)<br />
<strong>Rostock</strong><br />
DER ERMITTLUNGSAUSSCHUSS (EA) ROSTOCK IST ERREICHBAR UNTER FOLGENDER MAILADRESSE EA-ROSTOCK@GMX.DE.<br />
AUF NACHFRAGE KANN DIE KOMMUNIKATION AUCH VERSCHLÜSSELT LAUFEN.<br />
<strong>1.</strong> Der Polizeieinsatz war aus unserer Sicht durch den unbedingten<br />
Willen geprägt, den NPD-Aufmarsch ohne jegliche Behinderungen<br />
durchzusetzen. Woher dieser Wille kam, ist uns nicht<br />
eindeutig klar. Jedenfalls lässt sich das massive Einschränken der<br />
Bewegungsfreiheit „normaler“ Bürger, die zum bunt statt braun<br />
Demokratiefest wollten, wohl kaum ausreichend mit einem Training<br />
der Polizei gegen Anti-G8-Chaoten erklären.<br />
Zu beobachten war, dass die Polizei wesentlich härter vorging, je<br />
näher der NPD-Aufmarsch kam. D.h. in den Vormittagstunden<br />
(solange die Nazis hinter dem Bahnhof standen) war ein Passieren<br />
der Polizeisperren noch relativ unkompliziert. Als die Nazis<br />
dann in der August-Bebel-Straße waren, wurden sogar Personen<br />
mit Presseausweis abgewiesen.<br />
2. Der Einsatz von Einheiten aus dem gesamten Bundesland – so<br />
aus Berlin, NRW, Rheinland-Pfalz, Baden- Württemberg, Brandenburg<br />
und Sachsen - hatte aus unserer Sicht zwei Folgen:<br />
- sehr unterschiedlicher Umgang mit Protestierenden durch<br />
einzelne Polizeieinheiten<br />
- teilweise chaotische Zustände auf der mittleren und oberen<br />
Kommandoebene (z.B. widersprüchliche Befehle zur Verbringung<br />
und Behandlung von Festgenommenen oder planlos<br />
hin und her eilende Polizeieinheiten in der Innenstadt)<br />
3. Die Polizei hatte nach unserer Einschätzung den Plan, die Antifa-Demo<br />
einzukesseln, wenn diese ihre ursprüngliche Route behalten<br />
hätte. Zumindest gab es das Vorhaben, möglichst wenige<br />
Teilnehmerinnen in die Innenstadt oder anderswo in die Nähe<br />
des Aufmarsches kommen zu lassen. Dass dies kaum ohne große<br />
Festnahmen möglich ist, muss der Einsatzleitung klar gewesen<br />
sein. Dennoch gab es angeblich in der Stadt zu wenige Kapazitäten,<br />
so dass ein Grossteil der Festgenommenen zur Bereitschaftspolizei<br />
nach Waldeck verbracht und dort in die Turnhalle<br />
gesperrt wurde.<br />
4. In <strong>Rostock</strong> waren 4 getrennte Gefangenensammelstellen, sogenannte<br />
„gesa“, eingerichtet:<br />
- weiblich links – Möllnerstraße<br />
- männlich links – Ulmenstraße<br />
- weiblich rechts – nicht bekannt<br />
- männlich rechts – beim Ostseestadion<br />
5. Insgesamt gab es nach unserer Information 96 Festgenommene/<br />
in Gewahrsam genommene Antifaschisten. Nazis wurden<br />
wohl 4-5 festgenommen.<br />
6. Es gab zwei größere Festnahmesituationen:<br />
- etwa 1<strong>1.</strong>30 Uhr in der Steinstraße – ca. 40 Personen. Fast alle<br />
wurden in Gewahrsam genommen, die meisten männlichen<br />
Personen kamen nach Waldeck. Zum Ablauf: die Personen<br />
werden bis zu 2,5 Stunden im Kessel festgehalten und<br />
in dieser Zeit alle einzeln nacheinander in die Gefangenentransporter<br />
gebracht. Die meisten von ihnen kommen ca. 15<br />
Uhr/ 15.30 Uhr in Waldeck an. Viele von ihnen müssen auch<br />
danach in den Zellen der Transporter (weniger als 0,5 qm<br />
groß) bleiben. Verschiedene Personen berichten, dass sie bis<br />
zu 8 Stunden (!) in den Transportern aushalten mussten.<br />
- ca. 14.30 Uhr nähert sich der Naziaufmarsch der Steintorkreuzung.<br />
Es war mehreren hundert Personen gelungen, zu<br />
diesem Bereich zu gelangen. Sie werden zunächst von der<br />
Kreuzung abgedrängt. Viele von ihnen werden anschließend<br />
eingekesselt. In dieser Situation kommt es immer wieder zu<br />
Übergriffen durch die Polizei und zu Verletzungen.<br />
7. Zur Behandlung der Festgenommenen laut den dem ea vorliegenden<br />
Gedächtnisprotokollen:<br />
- Stundenlanges Festhalten in den Kesseln ohne jegliche juristische<br />
Begründung<br />
- Ärztliche Versorgung wurde erst nach mehrmaligem heftigen<br />
Einfordern gewährt
- Auf dem Hof von Waldeck mussten viele weiter im Gefangenentransporter<br />
bleiben - ohne essen und trinken zu können,<br />
teilweise wurden über Stunden sogar Toilettengänge verwehrt<br />
- Die letzten kamen um 2<strong>1.</strong>30 Uhr aus den Autos – sie waren<br />
gegen13 Uhr in die Busse gekommen (!)<br />
- Viele Personen waren dabei gefesselt (ohne jeden Grund, sie<br />
waren ja in den Zellen).<br />
- In Waldeck angekommen, mussten viele Personen weiterhin<br />
die Handfesseln (Kabelbinder aus Plaste) tragen. Es war ein<br />
beliebtes Mittel gegen Personen, die gegen die Behandlung<br />
protestierten und ihre Rechte einforderten, diese Kabelbinder<br />
fester zu ziehen, so dass die Hände taub wurden.<br />
- Viele der gegen 1<strong>1.</strong>30 Uhr Festgenommenen erhielten um 23<br />
Uhr das erste Mal etwas zu trinken, zu essen gab es gar<br />
nichts.<br />
- Einzelne Personen durften ihre Fesseln nicht einmal ablegen,<br />
um auf Toilette zu gehen.<br />
- Telefonate wurden regelmäßig verweigert.<br />
- Eltern von Minderjährigen wurden über den Verbleib ihrer<br />
Kinder auf Nachfrage gar nicht oder falsch informiert<br />
- Einzelne Polizeibeamte sagten zu Festgenommenen, dass sie<br />
gegen die Behandlung (vor allem) in Waldeck unbedingt juristisch<br />
vorgehen sollten.<br />
- Gegen 3.00 wurden die letzten Personen freigelassen. Da viele<br />
von ihnen nicht festgenommen, sondern lediglich in Gewahrsam<br />
genommen wurden, hätten sie eigentlich sofort<br />
nach Ende des Grundes der Gewahrsamsnahme (Naziaufmarsch)<br />
freigelassen werden müssen.<br />
Der ea bereitet momentan mit Anwälten aus verschiedenen<br />
Städten juristische Schritte gegen den Polizeieinsatz im Allgemeinen<br />
und die unglaubliche Behandlung der Festgenommenen<br />
im Speziellen vor. Weitere dem ea zugeschickte Gedächtnisprotokolle,<br />
Fotos von Festnahmesituationen, Berichte von Zeugen<br />
usw. könnten die Arbeit der Anwälte unterstützen. ¬<br />
FOTO: TOM MAERCKER<br />
15
16<br />
TITELTHEMA: PROTOKOLLE<br />
Auszüge aus Gedächtnisprotokollen<br />
von „in Gewahrsam genommenen“<br />
Teilnehmern an der <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong>- Demon-<br />
stration gegen den NPD-Aufmarsch<br />
DOKUMENTIERT VOM ERMITTLUNGSAUSSCHUSS DER ANTIFA-DEMO, ROSTOCK<br />
<strong>1.</strong> Beispiel<br />
11:30uhr, in den kessel am steintor gelangt.<br />
etwa 41 personen waren dort drin...<br />
14:30uhr, die zuweisung in die knastwagen<br />
endet. uns wurde auf anfrage gesagt, dass<br />
die frauen in rostock bleiben und die männlichen<br />
gefangenen nach waldeck transportiert<br />
werden.<br />
15:00uhr, abfahrt mit deutlich überhöhter<br />
geschwindigkeit und horn nach waldeck.<br />
15:20uhr, ankunft auf dem hof der bereitschaftspolizei.<br />
erste unmutsäußerungen unseres<br />
fahrers über die eigene organisatorische<br />
lage. über funk erfahren wir, dass mindestens<br />
drei ingewahrsamnahmen, aus mangel<br />
an knastbussen, von den polizeieinheiten<br />
selbst in die gesas gebracht werden mussten.<br />
uns wird versichert, dass alles ganz schnell<br />
gehe und wir unverzüglich in die turnhalle<br />
kommen. ein beamter bezeichnete seinen<br />
polzeichef als „m ö c h t eg e r n g a u l e i t<br />
e r“. ein weiterer beamter in zivil (vielleicht<br />
kripo) sagte so etwas wie: „ich weiß auch<br />
nicht, warum das hier so lange dauern soll.<br />
laden wir d a s z e u g doch einfach in die<br />
turnhalle und gut.“<br />
17:30uhr, ich werde in die turnhalle gebracht.<br />
meine sachen werden protokolliert.<br />
Ich verweigere die aussage. zunächst leibesvisitation<br />
bis auf die unterwäsche. (später<br />
höre ich, dass leute sich komplett ausziehen<br />
mussten), dann bekam ich plastikfessel und<br />
wurde in die halle verbracht... nach meiner<br />
erkenntnis kamen die letzten gefangenen<br />
sichtlich erschöpft gegen 2<strong>1.</strong>00 - 22.00 uhr<br />
aus den noch verbliebenen knastbussen.<br />
die fenster der turnhalle waren geöffnet, es<br />
war latent kalt und zog. Auf mehrfache anfrage<br />
hin wurden diese aber nicht geschlossen.<br />
wir wurden abgewimmelt mit dem satz:<br />
„die leiter ist unterwegs“.<br />
beim raus und rein von der ea behandlung<br />
und der vernehmung wurden uns die fesseln<br />
für die zeit der abfertigung abgenommen. es<br />
kam etwa fünf mal vor, dass leute (darunter<br />
ich selbst) die fesseln so fest angebunden bekamen,<br />
dass sich nach wenigen sekunden die<br />
hände blau färbten. nur auf eindringliches<br />
bitten wurden diese gelockert. die handfesseln<br />
wurden den gefangenen erst bei ihrer<br />
entlassung aus der gesa abgenommen.<br />
die beamten, die uns in der turnhalle bewachten,<br />
wurden in regelmäßigen abständen<br />
von etwa einer halben stunde darauf aufmerksam<br />
gemacht, dass wir das recht auf essen<br />
und trinken besitzen. dieser bitte sind die<br />
beamten aber erst gegen etwa 23:00uhr<br />
nachgekommen, in dem sie für jeden ein glas<br />
schlechtes leitungswasser servierten.<br />
ebenfalls in regelmäßigen abständen baten<br />
wir um ein telefonat. dieses wurde den ersten<br />
schließlich beim verhör gestattet. allerdings<br />
nur denjenigen, die selbst ein handy<br />
besaßen, von dem aus dieses gespräch geführt<br />
werden musste. in gesprächen fand ich<br />
heraus, dass selbst diese möglichkeit nicht allen<br />
zugestanden wurde. ich selbst konnte<br />
erst gegen 23:00uhr telefonieren...<br />
meine ea behandlung fand gegen 22:00uhr<br />
statt. ich verweigerte zuerst meine mitarbeit<br />
unter der bitte, ein telefonat führen zu dürfen.<br />
daraufhin wurde ich gewaltsam auf den<br />
stuhl zum fotografieren gesetzt und von<br />
mehreren beamten verbal attackiert. „wir<br />
können auch anders“, „das kriegen wir auch<br />
gewaltsam durchgesetzt“ waren einige aussagen.<br />
als ich schließlich bei den fingerabdrükken<br />
angelangt war, meinte der beamte zu<br />
mir: „wenn du hier weiterhin faxen machst,<br />
kann ich die tür hinter dir auch schließen –<br />
dann sind wir hier beide alleine“...<br />
gegen 23:00uhr wurde ich zum verhör ins<br />
nebengebäude gebracht. ein provisorisch<br />
eingerichteter speisesaal musste für diesen<br />
vorgang herhalten. es wurden ungefähr 8<br />
leute gleichzeitig vernommen. jeder bekam<br />
zwei beamte vorgesetzt. mir wurde der tatvorwurf<br />
vorgelesen, der sich mit allen anderen<br />
glich. „mit der demospitze in der langen<br />
strasse durch eine polizeiabsperrung hindurch,<br />
in richtung der nazidemo. durch mehrere<br />
strassen. eine barrikade errichtet und<br />
polizeikette mit steinen angegriffen.dann in<br />
richtung steintor, um die nächste kette zu<br />
überrollen.“ Schwerer landfriedensbruch. ich<br />
verweigerte die aussage. 0:30uhr wurde ich<br />
entlassen.
2. Beispiel<br />
...nach 30-40 Minuten Fahrt Ankunft auf<br />
dem Gelände der Bereitschaftspolizei bei<br />
Waldeck, das Radio wird eingeschaltet auf<br />
NDR<strong>1.</strong><br />
ca. 15.30 Uhr ein den Bus begleitender Polizist<br />
geht nach zahlreichen Anfragen nach<br />
Getränken mit seinem privaten 0,3l-Mineralwasserpäckchen<br />
durch den Bus, für jeden<br />
bleibt nur ein Schluck<br />
ca 17.15 Uhr erste offizielle Gabe (nach 5<br />
1/2h seit Beginn des Kessels!) von Leitungswasser<br />
(0.2l)<br />
ca. 19.05 Uhr endlich Verbringung aus Einzelzelle<br />
im Bus (nach etwa 6 Stunden!) in die<br />
Vorräume der Turnhalle. Am Anfang macht<br />
eine zivil gekleidete Frau ein Polaroidfoto<br />
gegen meinen erklärten Willen.<br />
Bei der Durchsuchung (lt. Protokoll 19.07-<br />
19.14 Uhr) erneute Bitte, den Widerspruch<br />
gegen das Einzelporträt zu Protokoll zu<br />
nehmen, wird verweigert mit der Begründung,<br />
dass nachher noch mal Leute mir zuhören<br />
würden. Frage nach Essen, 2 Telefonaten<br />
wird mit „nachher” beantwortet. Erlaubnis,<br />
vor Verwahrung noch aus der eigenen<br />
Wasserflasche trinken zu dürfen. Während<br />
der Durchsuchung bis auf die Unterhose<br />
wird mir von einem anderen zivil gekleideten<br />
Herrn erklärt, dass ich des Landfriedensbruchs<br />
verdächtig sei.<br />
Von einem uniformierten Polizisten werden<br />
mir kabelbinder-ähnliche Plastikhandschellen<br />
angelegt. Zwar wird gesagt, ich solle sagen,<br />
wenn es zu eng wird, dennoch werden<br />
die Innenseiten der Handgelenke ganz eng<br />
aneinander gelegt und dann so stark zugezogen,<br />
dass die Haut darunter in Falten liegt.<br />
Die Fesseln werden nicht wieder gelockert<br />
(meine Hausärztin dokumentierte in der Patientenakte<br />
am 2.<strong>Mai</strong> gegen 16 Uhr noch<br />
Strangulationsmarken an den Handgelenken).<br />
Auch an dieser Station frage ich nach<br />
Essen und 2 Telefonaten, jedoch ohne Antwort.<br />
In der Halle sind schon etwa 30 weitere junge<br />
männliche Gefangene (insgesamt dann<br />
etwas über 40), zum allergrößten Teil auch<br />
aus dem Kessel vor dem Schuhladen in der<br />
Steinstr. Es liegen ca. 10 Turnmatten bereit,<br />
es ist relativ kühl in der Halle. Die einzige<br />
Tür wird immer von vier uniformierten Polizisten<br />
(zumeist ein silberner Stern auf dem<br />
Schulterstück) mit Tonfas bewacht. Ich<br />
möchte in der Halle umherlaufen, werde von<br />
den Wachposten aber sehr schnell zurück<br />
auf das „Mattenlager” geschickt. Immer<br />
wieder fragen Gefangene nach Essen, Trinken<br />
und 2 Telefonaten, die verweigert werden,<br />
oft mit der Bemerkung, es wäre in Arbeit.<br />
Die Benutzung der Toiletten wird unter<br />
Bewachung gestattet. Später wird mehrfach<br />
gebeten, die Fenster zu schließen, was nie erfolgt.<br />
Mehrfach werden einzelne Gefangene,<br />
die ihren Unmut äußern, einzeln herausgeholt<br />
und die Handfesseln enger gezogen,<br />
z.T. so weit, dass die gesamten Hände innerhalb<br />
von Minuten rot anlaufen.<br />
Nach etwa zwei Stunden, nachdem alle uniformierten<br />
Polizisten und Polizistinnen und<br />
alle zivil gekleideten Herren (die immer mal<br />
wieder in die Turnhalle kommen, um Einzelne<br />
zur erkennungsdienstlichen Behandlung<br />
oder zur Anhörung zu holen) behaupten,<br />
entweder für unsere vielfach vorgetragenen<br />
Bitten bzw. Grundrechte nicht zuständig zu<br />
sein oder aber, dass es in Arbeit wäre, frage<br />
ich nach dem Vorgesetzten, der die Verantwortung<br />
für die Behandlung der Gefangenen<br />
hat. Dieser wird nach einigen Minuten<br />
geholt.<br />
Ein zivil gekleideter Herr fragt mich als erstes<br />
nach meinem Namen, den ich ihm sage<br />
und sagt mir auf Nachfrage seinen Namen -<br />
Barthels (KHK, lt. Durchsuchungsprotokoll).<br />
Zu dem Gespräch kommen noch einige<br />
weitere Gefangene und auch einige uniformierte<br />
Polizisten hören zu (das Gespräch<br />
findet in der Turnhalle am Eingang, in der<br />
Nähe der die Gefangenen bewachenden Polizisten<br />
statt). Herr Barthels erklärt mir, dass<br />
meine Mutter von mir angerufen werden<br />
möchte. Ich sage ihm, dass ich das schon<br />
längst getan hätte, wenn uns unsere je 2 Telefonate<br />
zugestanden worden wären. Er sagt,<br />
ich könne telefonieren. Ich frage, ob das für<br />
alle gilt. Er sagt, dass sie unsere Entlassung<br />
vorbereiten und dass sich das noch weiter<br />
hinauszögern würde, wenn jetzt alle noch telefonierten.<br />
Ich frage ihn, wann wir Getränke<br />
und Essen bekommen würden. Er gibt<br />
keine klare Antwort. Ein uniformierter Polizist<br />
informiert ihn, dass Wasser sofort zur<br />
Verfügung gestellt werden könnte. Ich frage<br />
ihn weiter, wann wir etwas zu Essen bekommen<br />
würden und wann die Entlassung wäre.<br />
Er sagt, „die” hätten ihnen hier eine große<br />
Zahl von Leuten vor die Tür gestellt und sie<br />
(die Polizei vor Ort) müssten damit klarkommen.<br />
Essen könne er nicht beschaffen. Zum<br />
Entlassungszeitpunkt könne er noch keine<br />
Angaben machen, ich müsste zuvor noch<br />
zur Anhörung.<br />
Kurz danach werden 0,2l-Becher mit Leitungswasser<br />
zur Verfügung gestellt. Gegen<br />
2<strong>1.</strong>30 Uhr (lt. Zeitansage meiner Mutter)<br />
darf ich meine Mutter anrufen. Die Handfesseln<br />
bleiben dabei angelegt, ein zivil gekleideter<br />
Herr steht immer neben mir. Gegen<br />
2<strong>1.</strong>45 Uhr komme ich zur Anhörung in<br />
ein anderes Gebäude, begleitet von zwei zivil<br />
gekleideten Herren, die diese auch durchführen.<br />
Am Ausgang der Turnhalle werden mir<br />
die Handfesseln abgenommen. Ich frage<br />
nach einem Arzt, um die Einschnürungen an<br />
meinen Handgelenken dokumentieren zu<br />
lassen. Die Antwort lautet, dass ich jetzt erst<br />
mal zur Anhörung käme.<br />
In dem Raum, der an einen Essensaal erinnert,<br />
finden gleichzeitig mehrere weitere<br />
Anhörungen statt.<br />
Als erstes wird der Bogen zu Persönlichen<br />
Angaben ausgefüllt. Ich erkläre, dass ich genau<br />
wissen will, zu welchen Angaben ich gesetzlich<br />
verpflichtet bin, und dass ich keine<br />
freiwilligen Angaben machen werde. Auf<br />
Nachfrage wird erklärt, dass u.a. der Familienstand,<br />
meine Einkünfte und auch meine<br />
Universität/Institut angegeben werden müssen,<br />
worauf ich die Angaben mache.<br />
Erst anschließend wird mir der Bogen über<br />
meine Rechte in Bezug auf diese Anhörung<br />
verlesen. Ich gebe an, keine Angaben zum<br />
Tatvorwurf zu machen, aber einiges zu meiner<br />
bisherigen Behandlung unter Obhut der<br />
Polizei zu Protokoll geben zu wollen. Mir<br />
wird der Tatvorwurf Landfriedensbruch gemacht<br />
und erklärt, was das allgemein heißt.<br />
Wann, wo, wie oder andere Einzelheiten<br />
meiner angeblichen Tat werden mir nicht genannt...<br />
Ich werde in die Turnhalle zurückgebracht.<br />
Diesmal legt ein anderer Uniformierter die<br />
Plaste-Handschellen an. Sie werden nicht<br />
mehr so weit zugezogen wie zuvor. Auch andere<br />
in der Turnhalle haben die Fesseln jetzt<br />
lockerer. Nach einiger Zeit werden etwa 10<br />
Leute aufgerufen, die nach <strong>Rostock</strong> zur erkennungsdienstlichen<br />
Behandlung gebracht<br />
werden sollen. Ich werde noch in Waldeck<br />
erkennungsdienstlich behandelt... Gegen<br />
<strong>1.</strong>50 Uhr am 02.05.2006, nach etwas mehr<br />
als 13 Stunden ohne Bewegungsfreiheit, werde<br />
ich als vorletzter aus der Turnhalle freigelassen...<br />
17
18<br />
TITELTHEMA: PROTOKOLLE/BEOBACHTUNGEN<br />
3. Beispiel<br />
...Ich wurde in den Polizeiwagen gebracht,<br />
nicht ohne vorher durchsucht zu werden.<br />
Dort kamen weitere 6 Mädchen/Frauen hinzu<br />
und wir wurden u.a. unter Begleitung eines<br />
Polizisten, der eine der Festgenommenen<br />
wegen ihre Figur beleidigte und uns<br />
grinsend-verständnislos fragte, weshalb wir<br />
überhaupt bei der Demo waren, in die Möllnerstraße<br />
gefahren. Wir sind dann angekommen<br />
bei der Gefangenensammelstelle in<br />
Lichtenhagen, was für uns ein ziemlicher<br />
Schock war, da wir alles junge Frauen waren<br />
und bei einer gegebenenfalls folgenden Freilassung<br />
laut der Polizisten auf uns allein gestellt<br />
wären - in Lichtenhagen, am Tag der<br />
angemeldeten Nazi-Demo, z.T., so war es<br />
bei mir, nur mit Handy und Ausweis ausgestattet...<br />
Ich erhielt auf die Frage, warum ich<br />
festgehalten werde, nur mehrmals die Antwort<br />
„Das musst du schon selbst wissen.“<br />
Entsprechend unterzeichnete ich auch weder<br />
Untersuchungsprotokoll, da auf diesem<br />
nicht die Art des Betroffenen (Verdächtiger,<br />
andere Person, Betroffener) und auch nicht<br />
die eigentliche Straftat bzw. Ermittlungssache<br />
bezeichnet waren, sondern man diese<br />
Angaben freigelassen hatte, noch leistete ich<br />
die Unterschrift, als mir Fingerabdrücke<br />
(bzw. Handabdrücke) abgenommen wurden<br />
und man mich wie einen Schwerverbrecher<br />
von allen Seiten mit Karte fotografierte.<br />
Während der ganzen Zeit habe ich still vor<br />
mich hingeweint, weil es eine absolut schrekkliche<br />
Situation war.<br />
Neben der ED-Untersuchung musste ich<br />
mich auch bis auf die Unterwäsche ausziehen;<br />
dabei wurde meine Kleidung missachtend<br />
angesehen und über einen Teils meines<br />
Besitzes (Halsband) abwertend gelacht. Auf<br />
die Toilette durfte ich trotz ausführlicher<br />
Untersuchung nur in Begleitung einer Polizeibeamtin,<br />
die neben der offenen Tür stehen<br />
blieb und mir zusah. Wir alle erhielten<br />
während des „Aufenthalts“ in der Gefangenensammelstelle<br />
Möllnerstraße weder etwas<br />
zu trinken noch etwas zu essen (Ausnahme<br />
siehe unten) und wurden insgesamt zum Teil<br />
bis 21 Uhr festgehalten (alle von etwa 12<br />
Uhr an). Meine Anfrage auf ein Telefonat<br />
wurde zunächst abgewiesen, erst nach nochmaliger<br />
Bitte wurde es mir dann im Beisein<br />
von 4 Beamten gestattet.<br />
In der Turnhalle, in der wir untergebracht<br />
waren, befanden sich im Verhältnis zu uns<br />
anfangs 7 und später etwa 10 Mädchen circa<br />
30 bewaffnete Beamte. Nachdem wir im<br />
Verlauf des Gewahrsams getrennt voneinander<br />
auf die Turnhalle verteilt wurden (mit<br />
jeweils 2 zugeordneten Beamten), äußerte einer<br />
der Polizisten, wir sollen uns am besten<br />
gleich „mit dem Kopf zur Wand stellen“.<br />
Ein anderer fasste eine junge Frau grob an,<br />
worauf diese forderte, er solle das unterlassen.<br />
Der Mann meinte darauf: „Deine Titten<br />
sind ja wohl gegen meine Hand gelaufen.“<br />
Mehrmals wurde uns gesagt: „Helden habt<br />
ihr ja heute schon genug gespielt“ (in Bezug<br />
auf unsere Teilnahme an der Demonstration).<br />
Ich wusste, wie erwähnt, bis circa 19<br />
Uhr nicht, weshalb ich festgehalten wurde<br />
und bat mehrmals, da ich nur mit dem Zug<br />
nach Hause fahren konnte, um eine frühe<br />
Vernehmung beim Haftrichter. Man tat auch<br />
so, als würde man meine Bitte beachten, reagierte<br />
jedoch gar nicht bzw. erst kurz vor 19<br />
Uhr...<br />
4. Beispiel<br />
Ich wohne noch nicht lange bei <strong>Rostock</strong> und<br />
habe zum ersten Mal in dieser Stadt zusammen<br />
mit einigen meiner Schulfreundinnen<br />
und -Freunden an einer <strong>Mai</strong>-Demonstration<br />
teilgenommen. Wir gingen vom Holbeinplatz<br />
mit dem Demo-Zug bis zur Langen<br />
Straße und wurden bereits hier in Höhe<br />
Kaufhof am Weitergehen behindert.<br />
Schließlich kamen wir durch eine andere<br />
Gasse doch noch zum Neuen Markt.<br />
Dort nahmen wir an dem Bürgerfest teil.<br />
Nach einigen Stunden wollten wir auf dem<br />
Nachhausewege zum Bahnhof mal beobachten,<br />
welche Leute die Neonazis sind und<br />
was sie an Losungen verkünden. Daher warteten<br />
wir in der Nähe der Ostsee-Zeitung.<br />
Dort befand sich eine Gruppe in Rosa-Kleidung,<br />
die mit lustigen Sprüchen Stimmung<br />
machte. Weder ich noch meine Freunde<br />
wollten die Polizeisperre durchbrechen.<br />
Später hörte ich, dass jemand eine Flasche<br />
geworfen haben soll. Gesehen habe ich das<br />
nicht. Dann sprachen die Polizisten Warnungen<br />
aus und wir sollten uns aus dem Gebiet<br />
entfernen. Wir wollten der Aufforderung<br />
auch Folge leisten, aber wir wurden beim<br />
Weggehen behindert, - 2 Sekunden vorher<br />
wäre es noch möglich gewesen. Kurz vor<br />
uns schloss sich der Kreis von Polizisten.<br />
Wir wurden nun immer mehr nach Innen<br />
gedrängt und dadurch entstand in unserer<br />
Nähe Panik. Wir standen dort, wo eigentlich<br />
der Ausgang hätte sein müssen. Dorthin<br />
rannten plötzlich viele Menschen auf uns zu.<br />
Dadurch begannen die Mädchen zu heulen.<br />
Die Polizisten haben uns trotzdem nicht aus<br />
dem Ring gelassen. Wir sahen, dass sich drei<br />
Reihen hingesetzt hatten. Plötzlich rückten<br />
Wasserwerfer an, die diejenigen, die sich hingesetzt<br />
hatten bespritzten.<br />
Wir standen von ½ 3 Uhr an bis mindestens<br />
5 Uhr in dem Kessel. Es wurde uns trotz<br />
unserer Bitte nicht erlaubt, auf Toilette zu<br />
gehen. Wir standen in der Sonne und hatten<br />
Durst und Hunger. Außerdem wussten wir<br />
nicht, wie lange wir noch stehen müssten.<br />
Ich verstehe es nicht, dass einfach unschuldige<br />
Leute, die nicht die Absicht hatten, gewalttätig<br />
zu werden und es auch nicht waren,<br />
eingekesselt wurden. Einige ältere Leute, die<br />
auch mit im Kessel waren, sagten zu mir,<br />
wir finden es unerhört, dass man uns hier<br />
einsperrt und nicht nach Hause gehen lässt.<br />
Als wir endlich gehen durften, mussten wir<br />
am Güterbahnhof lang gehen. Ich wollte<br />
zum Zug ... – aber wir durften eine halbe<br />
Stunde lang den Bahnhof nicht betreten. In<br />
letzter Minute erreichte ich erst meinen Zug.<br />
Mein Vater musste mich vom Zug abholen,<br />
weil ich Angst hatte und erschöpft war.<br />
Ich hatte den Eindruck, dass die Polizei<br />
nicht die Neonazis, sondern die Linken bedrängen<br />
wollte, denn die jungen Leute haben<br />
nichts gemacht, sie wurden erst wütend,<br />
als die Polizei in dieser Art gegen sie vorging.<br />
¬
Einige Beobachtungen<br />
zum Polizeieinsatz am<br />
<strong>1.</strong> <strong>Mai</strong> in <strong>Rostock</strong><br />
TILMAN JEREMIAS<br />
IST PASTOR AN ST. MARIEN.<br />
KONTAKT: GEMEINDE@MARIENKIRCHE-ROSTOCK.DE<br />
Als Verantwortlicher für die kirchliche Aktion „Unser Kreuz hat keine<br />
Haken“ mit den Friedensgebeten in der Marienkirche und der Eröffnung<br />
der Kundgebung um 12.00 Uhr durch die Bläser und als<br />
Mitglied des Deeskalationsteams möchte ich einige Beobachtungen<br />
zum Polizeieinsatz am l. <strong>Mai</strong> festhalten.<br />
Die gesamte Stadt war weiträumig abgesperrt. Viele <strong>Rostock</strong>erinnen<br />
und <strong>Rostock</strong>er hatten keine Möglichkeit, am von der Stadt (!) mitorganisierten<br />
Fest „<strong>Rostock</strong> bleibt bunt“ teilzunehmen. Auch in der<br />
Stadt wurden viele an den Barrieren aufgehalten; Pflegekräfte gelangten<br />
nicht zu ihren Patienten, das öffentliche Leben war lahm gelegt.<br />
Wer in die Innenstadt wollte, musste zum Teil kilometerlange Fußwege<br />
auf sich nehmen. Ein absolut unhaltbarer Zustand. Wenn ich<br />
zu einem Fest einlade und zu Aktionen gegen den Aufmarsch der<br />
Rechten aufrufe, kann ich die Aufgerufenen nicht gleichzeitig mit<br />
tausenden von Sondereinsatzkräften einschüchtern und an der freien<br />
Bewegung in die Stadt hindern. Wenn die Abriegelung denn nötig<br />
war, hätte die Stadt mit allem Einsatz für Ersatzverkehr sorgen müssen.<br />
Die Polizeitaktik war auf die Generalprobe des G8- Gipfels im<br />
kommenden Jahr abgestellt.<br />
Es ist ausdrücklich zu begrüßen, dass der Weg der Neonazis weiträumig<br />
gesichert war, um ein Aufeinandertreffen rechter und linker<br />
Gruppen zu vermeiden. Umso fataler war es, Gewaltakte an der<br />
Steintorkreuzung förmlich zu provozieren, indem hier der zweite<br />
Polizeiriegel fehlte. Der anschließende Kessel war also geplant. Es<br />
wären keine Steine und Flaschen geflogen, hätte die Polizei sich von<br />
vorneherein 50 Meter weiter in die Ernst-Barlach-Straße gestellt. Es<br />
war unnötig, alle 800 Eingekesselten über drei Stunden festzuhalten.<br />
Der Einsatz der Gummiknüppel war nicht angemessen. Zu begrü-<br />
ßen ist allerdings, dass die Wasserwerfer nicht zum Einsatz kamen.<br />
Es ist nicht zu verstehen, warum die Aktion des DGB unterbunden<br />
wurde, die Zwischenkundgebung der NPD vor dem DGB-Haus zu<br />
stören, eine Kundgebung, die die Stadt zuvor vergeblich beim Verwaltungsgericht<br />
und Oberverwaltungsgericht zu verbieten versucht<br />
hatte. Warum wurde die zuvor gegebene Zustimmung von Stadt und<br />
Polizei zu lauter Musik des DGB in letzter Minute zurückgezogen?<br />
Eine ganze Reihe festgenommener Demonstranten wurde stundenlang<br />
in Waldeck festgehalten und nicht wieder nach <strong>Rostock</strong> zurükkgebracht.<br />
Diese und viele Vorkommnisse mehr hinterlassen bei der<br />
Mehrzahl der <strong>Rostock</strong>erinnen und <strong>Rostock</strong>er einen fatalen Eindruck:<br />
<strong>Rostock</strong> wurde für einen Tag in den Kriegszustand versetzt, um der<br />
Welt zu zeigen: Globalisierungsgegner werden hier nächstes Jahr mit<br />
aller Macht ruhig gestellt. Und: Die Polizei agiert, um Rechtsradikalen<br />
lang fünf Stunden die Möglichkeit zu sichern, ihr unsägliches<br />
Gedankengut durch die Megaphone zu brüllen und ungescholtene<br />
Bürgerinnen und Bürger werden gehindert, ihre Meinung kundzutun.<br />
Ähnliche fatale Eindrücke sind in Zukunft dringend zu vermeiden!<br />
¬<br />
FOTO: ANTJE UCKLEYA<br />
19
20<br />
TITELTHEMA: NACHGEFRAGT<br />
„Ein Prozess auf der Suche nach<br />
dem richtigen Maß“<br />
Fragen an Hans-Joachim Engster vom Stadtamt <strong>Rostock</strong><br />
DIE FRAGEN STELLTE KRISTINA KOEBE, REDAKTIONSMITGLIED<br />
Welche Rolle hat die Stadt bzw. Ihr Amt bei der Vorbereitung des diesjährigen<br />
<strong>1.</strong> <strong>Mai</strong> gespielt? Inwieweit hatten Sie Einflussmöglichkeiten auf den<br />
Polizeieinsatz, sowohl in Bezug auf den Umfang als auch auf die Vorgehensweise?<br />
Inwieweit kam dieser Einfluss tatsächlich zum Tragen?<br />
H.-J. Engster: Der Grundsatz der Versammlungsfreiheit ist im Artikel<br />
8 des Grundgesetzes festgeschrieben. Die Rolle der Versammlungsbehörde<br />
ist im Versammlungsgesetz, einem Bundesgesetz, definiert<br />
und bezieht sich auf die möglichen Einschränkungen des Grundrechtes,<br />
sich zu jeder Zeitz und an jedem Ort (mit wenigen Ausnahmen)<br />
zu versammeln. Konkret können aus objektiven und rechtlichen<br />
Gründen Art und Maß von Versammlungen in einem eingeschränkten<br />
Rahmen gelenkt werden. Beispiele für versammlungsrechtliche<br />
Beschränkungen können Auflagen zu mitgeführten<br />
Gegenständen sein bis hin zu einem Verbot als ultima ratio.<br />
In Mecklenburg-Vorpommern sind ebenso wie in Schleswig-Holstein<br />
und Rheinland-Pfalz ein oder mehrere Vertreter der Versammlungsbehörde<br />
vor Ort, falls im Verlauf einer Versammlung rechtliche<br />
Verfügungen zu treffen sind. In den nicht genannten Bundesländern<br />
werden auch diese Verfügungen, wie beispielsweise die Auflösung einer<br />
Versammlung wegen des Mitführens von Waffen, von der Polizei<br />
getroffen.<br />
Bei Vorkommnissen, die Situationen nach dem Polizeirecht beschreiben,<br />
besteht keine Einflussmöglichkeit für die Versammlungsbehörde,<br />
da es hier es eines umfangreichen Wissens über die polizeiliche<br />
Einsatzlehre bedarf, das bei einer zivilen Verwaltungsbehörde<br />
aus gutem Grund selbstverständlich nicht besteht.<br />
Für den <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong> 2006 lagen bei der Versammlungsbehörde der Hansestadt<br />
<strong>Rostock</strong> insgesamt 13 Anmeldungen für Versammlungen<br />
nach dem Versammlungsrecht vor. Letztlich fanden zwei größere<br />
Veranstaltungen statt. Wir haben im Vorfeld sehr intensiv die rechtliche<br />
Lage geprüft. Selbst ein derzeit laufendes Gerichtsverfahren gegen<br />
den Anmelder als führenden Vertreter der Neonazi-Szene bot<br />
kein hinreichendes Argument für ein Verbot. Wir haben strenge Auflagen<br />
erteilt und die Zwischenkundgebung vor dem Gewerkschaftshaus<br />
in der August-Bebel-Straße verboten. Leider teilte das Verwal-<br />
FOTO: TOM MAERCKER
tungsgericht Schwerin unsere Auffassung nicht, dass mit Blick auf<br />
die Zerschlagung der freien Gewerkschaften am 2. <strong>Mai</strong> 1933 dies eine<br />
ganz besondere Provokation sei, und hob unser Verbot der<br />
Zwischenkundgebung auf. Auch unsere Beschwerde dagegen vor<br />
dem Oberverwaltungsgericht Greifswald blieb leider erfolglos.<br />
Wie Ihnen sicher zu Ohren gekommen ist, haben viele <strong>Rostock</strong>er Bürger<br />
auf den Ablauf des <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong>s mit großem Unmut reagiert, die Rede war u. a.<br />
von „Polizeiwillkür“, „Ausgesperrt werden“ etc. - Glauben Sie, dass ein<br />
Aufmarsch von <strong>1.</strong>200 Rechtsextremen einen solchen Ausnahmezustand<br />
rechtfertigt?<br />
H.-J. Engster: Dies einzuschätzen ist nicht Aufgabe der Stadtverwaltung<br />
und übersteigt ihre Kompetenz. Daher hier nur ein Vergleich:<br />
Anlässlich einer Demonstration in Göttingen Mitte <strong>Mai</strong> 2006, bei<br />
der sich 200 Anhänger der NPD versammelt hatten, hat die Polizei<br />
6.700 Beamte zusammengezogen, <strong>1.</strong>400 Identitätsfeststellungen<br />
durchgeführt, mehr als 300 Personen durchsucht, 84 Platzverweise<br />
ausgesprochen und 24 Strafverfahren eingeleitet. Hierzu wurde vom<br />
dortigen Polizeipräsidenten eingeschätzt, dass das „Konzept der<br />
Stärke“ sich bewährt habe und nur wenige Leichtverletzte konstatiert<br />
werden mussten – anders als bei Demonstrationen in Leipzig und<br />
Lübeck vor wenigen Wochen.<br />
Die Väter des Grundgesetzes haben bei der Formulierung der Freiheitsartikel<br />
des Grundgesetzes durchaus bewusst einen weiten Raum<br />
gelassen. Carlo Schmidt sprach wiederholt von der „Generosität“<br />
des Staates bei der Ausgestaltung bürgerlicher Freiheiten. Wie diese<br />
Freiheiten gelebt werden, ist, da wir unsere Demokratie permanent<br />
organisieren, ein Prozess auf der Suche nach dem richtigen Maß.<br />
Um hier austarieren zu können, Bedarf es eines kritischen Dialogs<br />
mit den Beteiligten und um ein hohes Maß an Verbindlichkeit.<br />
Wie bewerten Sie bzw. die Hansestadt <strong>Rostock</strong> die mehrstündige Einkesselung<br />
von ca. 300 Personen am Steintor? Selbst das Deeskalationsteam<br />
berichtet von martialischem Auftreten der Polizei - halten Sie dies für eine<br />
gute Botschaft, vor allem an Jugendliche, die sich durch Teilnahme an solchen<br />
Demonstrationen in Demokratie üben? Ist es nicht eher so, dass hier<br />
Vertrauen in die Demokratie zerstört wird?<br />
H.-J. Engster: Zu der Situation in der Ernst-Barlach-Straße haben wir<br />
wenig verifizierbare Informationen, deren Wertung sich zum Teil<br />
auch widersprechen. Ich bezweifle, dass sich „Demokratie“ an einem<br />
Tag üben lässt, denn die „Erfolge“ und „Misserfolge“ zählen im politischen<br />
Diskurs einer Selbstorganisation wenig, auch wenn Gedächtnisspuren<br />
bei den einzelnen verbleiben mögen. Richtig ist, genau<br />
die Frage zur Demokratie, ihrer Belastbarkeit und ihrer Zukunft<br />
in gesellschaftlichen Gremien, aber auch in Elternhäusern und Schulen<br />
zu stellen, auch aus verschiedenen Blickwinkeln der unterschiedlichen<br />
beteiligten Protagonisten. Wichtig ist das Gespräch, weil wir<br />
nicht die Vergangenheit, sondern nur die Zukunft gestalten können.<br />
Diese Gespräche sollten nicht zu stark mit Emotionen verknüpft<br />
werden, wie es die Frage nach der Schuld oft impliziert. Seitens der<br />
Stadt haben wir umfangreiche Gespräche geführt mit Veranstaltern,<br />
zahlreichen Gremien und Institutionen und dadurch so manche<br />
Schräglage gerade rücken können.<br />
Welche Möglichkeiten sehen Sie, dass die Sicherungskräfte den berechtigten<br />
Protest gegen die Rechtsextremen nicht mit der Begründung unterbinden,<br />
gegen einige gewaltbereite Protestierer vorgehen zu müssen?<br />
H.-J. Engster: Die Frage ist suggestiv. Eines ist klar: Sicherheitskräfte<br />
können und dürfen Gewalt nicht ignorieren. Viel hängt von der Art<br />
und dem Maß in der jeweiligen konkreten Situation ab. Am <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong><br />
scheint es besonnenen Bürgerinnen und Bürgern und dem so genannten<br />
Deeskalationsteam gelungen zu sein, Gewalt durch Gespräche<br />
zu unterbinden. Hier besteht sicherlich eine konkrete Chance, einen<br />
Geschehensablauf, der eskaliert oder zu eskalieren droht, zu<br />
unterbrechen.<br />
Auch eine Spontanversammlung – um eine solche könnte es sich<br />
möglicherweise gehandelt haben - steht zumindest eine gewisse Zeit<br />
unter dem Schutz des Grundgesetzes. Über die Bedeutung und über<br />
die Grenzen einer „Spontanversammlung“ wird unter den Veranstaltern<br />
noch viel Informationsbedarf zu befriedigen sein. Hierzu<br />
gibt es leider noch viele Mythen.<br />
Es ist zwar richtig, dass eine Sitzblockade nicht schlechthin strafrechtlich<br />
relevant ist, wenn sie friedlich ist und ihr Hauptziel nicht<br />
die Verhinderung des nicht verbotenen Aufzugs ist, allerdings dürfte<br />
nur eine Unterbrechung des Aufzugs – die Rechtsprechung geht hier<br />
von einer Duldungsfrist von 10 – 20 Minuten bis zur notwendigen<br />
Auflösungsverfügung aus – sanktionslos sein.<br />
Wurden mit den bereits vor dem <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong> verbreiteten Warnungen vor erwarteten<br />
mehreren hundert „ linken Chaoten“ und mit dem Einsatz der Polizeikräfte<br />
(weiträumige Absperrungen, Kesselbildung usw.) die auch von<br />
der Stadtverwaltung unterstützten antinazistischen Demonstrationen befördert<br />
oder behindert?<br />
H.-J. Engster: Es ist sicher schwer, hier eine seriöse Motivforschung<br />
aufzustellen. Auffällig war, dass unter den Demonstranten sehr viel<br />
junge Menschen waren, also eine Gruppe, die bis zur bevorstehenden<br />
Adoleszenz (besser: Erwachsenwerden?) ihre Welt fest definiert.<br />
Weniger auffällig war die Zahl erwachsener Bürgerinnen und Bürger<br />
und sehr wenig sah man m. E. Familien mit Kindern. Gerade letzte<br />
Gruppe reagiert wahrscheinlich seismographisch auf jede Art von<br />
„Warnungen“.<br />
Welche Schlussfolgerungen lassen sich, auch mit Blick auf den G8-Gipfel<br />
im kommenden Jahr, aus dem <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong> ziehen? Sieht die Stadt Möglichkeiten,<br />
beim nächsten Mal anders vorzugehen?<br />
H.-J. Engster: Welchen Einfluss eine Stadt bei einem internationalen<br />
Politereignis hat, haben wir beim Besuch des amerikanischen Präsidenten<br />
in <strong>Mai</strong>nz gesehen, und aus großer Nähe werden wir den Einfluss<br />
beim avisierten Präsidentenabend in Stralsund erleben. Die<br />
Einflussmöglichkeiten in der Zusammenarbeit mit nationalen und<br />
internationalen Behörden sind eher marginal und wahrscheinlich<br />
eher informell.<br />
Gestaltungsmöglichkeiten bestehen aber in einem kulturellen und<br />
intellektuellen Diskurs während des Ereignisses. Die Planung und<br />
Kommunikation wird sehr früh stattfinden müssen, um den Kurs zu<br />
bestimmen und um eine Verbindlichkeit zu erreichen. Eine kulturell<br />
interessante, bunte, offene Begleitung kann dem Ansehen unserer<br />
Stadt nachhaltig – und dieser Begriff aus der Ökologie lässt sich auf<br />
den Organismus Stadt anwenden – über viele Jahre nutzen. ¬<br />
21
22<br />
TITELTHEMA: BERICHT<br />
erlebnisbericht -<br />
<strong>1.</strong> mai 2006 in rostock<br />
KAI-UWE JURASINSKI<br />
es war sonnig und recht kuehl, als ich mich<br />
an diesem morgen gegen 10.00 uhr auf den<br />
weg in das stadtzentrum machte, ueber dem<br />
unueberhoerbar ein helikopter der polizei<br />
kreiszte.<br />
mein weg fuehrte am steintor vorbei. dort<br />
fielen mir zum ersten mal starke polizeikraefte<br />
auf, martialisch ausgeruestet mit<br />
helm und schutzanzug, postiert hinter sogenannten<br />
„hamburger gittern“. die aus der lokalen<br />
presse bekannte route der npd-demonstration<br />
war hier ca. 200 m von den absperrungen<br />
entfernt und kaum einsehbar.<br />
ich begann nun an den absperrungen entlang<br />
zu laufen um etwas naeher an die demonstrationsstrecke<br />
heranzukommen. doch<br />
sehr bald muszte ich feststellen ,das es aufgrund<br />
der weitraeumigen<br />
absperrungen fast unmoeglich war ,der demonstration<br />
der neunationalsozialisten ausreichend<br />
nahe zu kommen um ihnen und ihrer<br />
kruden weltanschauung verbal ein klares<br />
signal der ablehnung entgegenbringen zu<br />
koennen.<br />
an fast allen straszensperren standen passanten,<br />
gegendemonstranten, neugierige und diskutierten<br />
mit den beamten ueber die situation,<br />
meist ueber eine moegliche passage der<br />
sperren. spuerbare anspannung lag in der<br />
luft, haeufig wurde deutliches unverstaendnis<br />
ueber die polizeimasznahmen, insbesondere<br />
die stark eingeschraenkte bewegungsfreiheit<br />
geaeuszert. meist wurden anfragen<br />
abschlaegig beschieden, offensichtlich auch<br />
aus voelliger unkenntnis der jeweiligen oertlichkeiten.<br />
jetzt wurde bekannt dass die npd-demo<br />
nicht wie geplant um 1<strong>1.</strong>00 uhr beginnen<br />
sollte. ungefaehr 700 nazis wuerden am<br />
suedausgang des hauptbahnhofs von der polizei<br />
blockiert. nach weitem umweg ueber<br />
kroepeliner tor, buszebart, gertrudenstrasze<br />
und doberaner platz kam ich am voegenteich<br />
an. auch hier groszraeumige absperrungen,<br />
unzaehlige polizisten zu fusz und beritten,<br />
wasserwerfer, raeumpanzer. fast ununterbrochen<br />
fuhren scheinbar ziellos einsatzfahrzeuge<br />
der polizei auf der demonstrationsroute<br />
auf und ab. vielleicht 200 menschen<br />
hatten sich oberhalb des voegenteichs in der<br />
a.-bernhard-strasze eingefunden. sie saszen<br />
in der sonne und betrachteten das spektakel.<br />
am goetheplatz einmuendung borenweg ergab<br />
sich ueberraschenderweise eine gelegenheit<br />
sich bis auf 50m an die demo-route heranzupirschen.<br />
auch hier wurde die passage<br />
willkuerlich gewaehrt. mit koffern bepackte<br />
reisende durften den platz nicht in richtung<br />
hbf ueberqueren. schon nach kurzer zeit<br />
wurde allen anwesenden, einem bunt gemischten<br />
voelkchen aus anliegern und passanten,<br />
aelteren und jugendlichen ein platzverweis<br />
erteilt. begruendet mit einer angeblich<br />
von uns ausgehenden gefaehrdung fuer<br />
die geplante demonstration. von den neonazis<br />
war weit und breit nichts zu sehen.<br />
ich ging zurueck ins zentrum. auf dem neuen<br />
markt traf ich einige freunde. waehrend<br />
der letzten lieder des konstantin wecker konzerts<br />
erfuhren wir, das die ndp schon auf<br />
dem weg sei und bald das gewerkschaftshaus<br />
in der bebelstrasze erreichen wuerde. nun<br />
wurde auch die teilnehmerzahl der nazidemo<br />
intern nach oben korrigiert. nicht 700, nein<br />
knapp 1200 dieser ueblen gesellen waren in<br />
rostock unterwegs. meine entaeuschung ueber<br />
die maessig besuchte veranstaltung<br />
mischte sich mit aerger ueber die veranstalter,<br />
die mit keinem wort auf den marschierenden<br />
braunen mob eingingen. und das obwohl<br />
nun ihre zwischenkundgebung am gewerkschaftshaus<br />
(in 400m luftlinie entfernung)<br />
stattfand. im ganzen zentrum konnte<br />
man ihren parolen lauschen. warum wurde<br />
die leistungsstarke musikanlage auf dem<br />
neuen markt nicht genutzt um zu stoeren?<br />
mit diesen gedanken im kopf, aufgeregt und<br />
einer gehoerigen portion wut im bauch ueber<br />
diese katastrophale situation trafen wir,<br />
ueber die barlachstrasze kommend, auf dem<br />
platz vorm oz-gebaeude ein. hier waren ca.<br />
1500 demonstranten versammelt, sehr viele<br />
junge leute, schueler und eltern, aeltere menschen<br />
und etwa 100 radikale antifaschisten.<br />
dem entgegen stand ein imposantes aufgebot<br />
der polizei in vierer-fuenfer kordon und<br />
riegelte den kreuzungsbereich wiederum<br />
weitraeumig ab.<br />
die meisten beamten standen uns in ihren<br />
vollschutzanzuegen direkt gegenueber, hinter<br />
ihnen 2 wasserwerfer. in erwartung der<br />
nazidemo die nach abschlusz der kundgebung<br />
in der bebelstrasze die kreuzung passieren<br />
wuerde, erhitzte sich die atmosphaere<br />
zunehmend. dabei fiel auf, dass einige polizisten<br />
sich mit gegendemonstranten provozierende<br />
wortgefechte lieferten. zudem konnte<br />
es sich der einsatzleiter nicht nehmen lassen,<br />
die demonstranten mit ebenfalls sehr provokanten<br />
aufforderungen zu konfrontieren. in<br />
einer ansage forderte er die freiwillige trennung<br />
friedlicher von unfriedlichen demonstranten.<br />
irritierenderweise war aber bisher<br />
alles friedlich verlaufen. auszerdem bestand<br />
die einsatzleitung auf der einhaltung des vermummungsverbots<br />
und drohte bei zuwiderhandlung<br />
mehrfach zugriff an.
eine sehr fragwuerdige strategie, weit davon<br />
entfernt deeskalierend zu wirken. jetzt marschierte<br />
die npd wieder. unsere demonstration<br />
machte sich lautstark bemerkbar. als die<br />
neonazis die kurve vorm schiffahrtsmuseum<br />
erreichten, ging alles sehr schnell. voellig ueberraschend<br />
begann die polizei unter einsatz<br />
von schlagstoecken den bereich vor dem ozgebaeude<br />
zu raeumen. der von uns mehrfach<br />
vorgebrachte hinweis auf das demonstrationsrecht<br />
wurde einfach durch die schilde<br />
und leiber der bereitschaftspolizei beseitegeschoben.<br />
wiederum forderte der einsatzleiter<br />
die demonstration zur friedfertigkeit auf, was<br />
angesichts dieser szenen nur absurd erschien.<br />
immer wieder gingen schwarz uniformierte<br />
„greifer“ in die menge und zerrten<br />
gegendemonstranten heraus. einige der attackierten<br />
wehrten sich. die demonstration<br />
wurde weiter und weiter zusammengedraengt<br />
und war nun nicht mehr in der lage<br />
gegen die npd-demonstration protest auszuueben.<br />
wir befanden uns mit ca. 1000 weiteren<br />
gegendemonstranten in einem kessel. erst<br />
nach etwa 5 minuten lieszen die polizisten in<br />
ihrem rabiaten einsatz nach und sehr langsam<br />
konnte sich die situation etwas beruhigen.<br />
das ganze geschah ca. 15.00 uhr. die<br />
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naechsten 2 stunden sollten wir in diesem<br />
polizeikessel verbringen. und warum? waren<br />
wir zur falschen zeit am falschen ort? waren<br />
wir kriminell? nein, wir hatten das recht auf<br />
demonstration unserer meinung eingefordert.<br />
doch warum dann diese reaktion? warum<br />
wurde zuvor die bewegungsfreiheit so<br />
drastisch eingeschraenkt? wozu diese machtdemonstrationen?<br />
warum wurden ca. 90 personen<br />
zum teil brutal „zugefuehrt“? warum<br />
muszten 1000 demonstranten knapp 2 stunden<br />
in einem „kessel“ verbringen? warum<br />
muszte jeder einzelne beim verlassen des<br />
kessels durch eine enge gasse, um sich fotographieren<br />
zu lassen? zum schutz der (eigenen)<br />
inneren sicherheit? dieser polizeieinsatz<br />
war in den mitteln ueberzogen und im einsatz<br />
unverhaeltnismaessig. eine generalprobe<br />
fuer den kommenden g8- gipfel(?)-moeglich.<br />
vielleicht auch kuenftiger normalzustand bei<br />
demonstrationen. ¬<br />
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Widerrufsrecht: Die Bestellung kann innerhalb von 10 Tagen bei der Bestelladresse<br />
widerrufen werden. Zur Fristwahrung genügt die rechtzeitige<br />
Absendung des Widerrufs.<br />
Datum/Unterschrift: ....................................................................<br />
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24<br />
TITELTHEMA: AUSBLICK<br />
Verhinderer verhindern!<br />
Konsequenzen nach dem <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong><br />
STEFFEN BOCKHAHN<br />
Der <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong> hat in diesem Jahr bereits Tage<br />
vorher angefangen.<br />
Schon seit dem vorangegangenen Samstag<br />
war in der ganzen Stadt ein massives Polizeiaufgebot<br />
zu beobachten. Am Sonntagnachmittag<br />
dann Hundertschaften der Polizei auf<br />
der A19 - und der gesamte Parkplatz eines<br />
großen Ferienkomplexes an der Autobahn<br />
„erstrahlte“ in einem beängstigenden paramilitärischen<br />
Grün. Spätestens jetzt war klar,<br />
dass es an diesem <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong> alles andere als einfach<br />
sein würde, sich in der Stadt frei zu bewegen.<br />
Wo soviel Polizei zusammengezogen<br />
wird, ist eine freie Entfaltung des Einzelnen<br />
kaum noch vorstellbar.<br />
Schon die öffentliche Debatte im Vorfeld<br />
machte deutlich, dass sich <strong>Rostock</strong> am <strong>1.</strong><br />
<strong>Mai</strong> im Ausnahmezustand befinden würde.<br />
Der Innenminister begrüßte mehr oder weniger<br />
glaubwürdig, dass es Proteste gegen<br />
die NPD geben sollte. Auf der anderen Seite<br />
forderte er sehr überzeugend dazu auf,<br />
<strong>Rostock</strong> weiträumig zu umfahren und zu<br />
meiden. Die Angst vor gewaltsamen Auseinandersetzungen<br />
wurde geschürt und teilweise<br />
auch suggeriert, dass alle, die gegen die<br />
NPD demonstrieren wollten, potentielle<br />
linksextremistische Krawallmacher seien.<br />
Nun mag es einige Menschen geben, denen<br />
das als Anreiz dient. Die große Mehrheit<br />
wird sich jedoch durch solche Panikmache<br />
abgeschreckt fühlen.<br />
Die, die sich nicht abschrecken ließen, mussten<br />
lernen, dass der Aufstand der Anständigen<br />
an diesem Tag in <strong>Rostock</strong> eine körperliche,<br />
logistische und psychologische Herausforderung<br />
sein würde. Es begann mit den<br />
Straßensperren der Polizei, die man in den<br />
seltensten Fällen ohne Personalausweis passieren<br />
konnte und auch dann nur, wenn man<br />
glaubhaft machen konnte, dass der Weg hinter<br />
der Absperrung zum direkten Weg nach<br />
Hause gehört. Selbst das half nicht immer.<br />
Senioren, die mehr als zwei Stunden lang<br />
nicht vom Neuen Markt zu ihren Wohnungen<br />
in der Südstadt gelangten, hat es genauso<br />
gegeben, wie einen gehbehinderten<br />
Mann, der in der August-Bebel-Straße<br />
wohnt und das mit seinem Ausweis nachweisen<br />
konnte, aber dennoch nicht durch die<br />
Schwaansche Straße durfte!<br />
Es war ein eigentümliches Gefühl zu bemerken,<br />
dass der Demonstrationszug, in dem<br />
sich auch der Ministerpräsident, sein Stellvertreter<br />
und weitere Mitglieder des Kabinetts<br />
befanden, permanent und ohne Angabe<br />
von Gründen durch die Polizei gefilmt<br />
wurde. Zudem waren die Demonstrationsteilnehmer<br />
eingekesselt und durften den Demonstrationszug<br />
nicht einmal in die Richtung<br />
verlassen, die sie noch weiter von der<br />
NPD entfernt hätte. Verstehen kann man<br />
das nicht. Akzeptieren darf man das nicht.<br />
Wenn die polizeilichen Maßnahmen so weit<br />
gehen, dass man sich einfach wegen der Teilnahme<br />
an einer Demonstration kriminell<br />
vorkommen muss, dann wird das zur Gefahr<br />
für die immer wieder beschworene wehrhafte<br />
Demokratie. Wie soll man gegen Rassismus,<br />
Fremdenhass und Ignoranz vorgehen,<br />
wenn dieses Engagement kriminalisiert<br />
wird? Wer soll sich dann an solchen Maßnahmen<br />
beteiligen?<br />
Das oben genannte Beispiel war mit Sicherheit<br />
nicht das erstaunlichste, vermutlich aber<br />
das, was die meisten an diesem <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong> erlebt<br />
haben. Ein anderes soll hier lediglich kurz<br />
genannt sein: Zwei junge Männer machen<br />
sich um Mitternacht auf den Weg, um in der<br />
Goethestraße, der Rosa-Luxemburg-Straße<br />
und der August-Bebel-Straße Plakate aufzuhängen.<br />
Darauf steht nur ein Wort: „PRO-<br />
TEST“, befestigt werden sollen sie an Straßenschildern.<br />
Wie fast zu befürchten war,<br />
ging das nicht lange gut. Die Polizei setzte<br />
beide fest, zog die Personalausweise ein und<br />
erst nach knapp zwei Stunden konnten beide<br />
nach Aufnahme einer Anzeige wegen angeblichen<br />
Verstoßes gegen geltendes Recht<br />
wieder gehen. Die Plakate wurden eingezogen.<br />
Die Begründung war, dass diese Plakate<br />
dazu dienen sollten, die Demonstrationsteilnehmer<br />
(also die NPD-Anhänger) zu provozieren<br />
und damit Eskalation zu befördern.<br />
Als ob das nicht reichen würde, waren die<br />
ganze Zeit über aus einer nicht sehr großen<br />
Entfernung die Gesänge von Neonazis zu<br />
hören. Mal das Heß-Lied und mal das<br />
Deutschlandlied mit allen drei Strophen. An<br />
welcher Stelle ist diese Demokratie noch<br />
wehrhaft? Und wenn sie es ist, wer wehrt<br />
sich an dieser Stelle denn gegen wen?<br />
All das passt leider viel zu gut in eine ganze<br />
Reihe von Beobachtungen, die man in den<br />
letzten Jahren im politischen <strong>Rostock</strong> machen<br />
musste. Zum einen ist es die Art, wie<br />
große Teile der Bürgerschaft sich mit dem<br />
Thema Rechtsextremismus auseinandersetzen<br />
– nämlich in dem sie es einfach totzuschweigen<br />
versuchen. Das ist aber eindeutig<br />
der falsche Weg, daran haben Sachsen und<br />
auch die Ergebnisse zu den Kommunal- und<br />
Bundestagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern<br />
keinen Zweifel gelassen.
Und auch der <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong> hat dies offenbart.<br />
Wenn sich so viele finden – und, um mit<br />
dem Unsinn aufzuräumen, es handele sich<br />
nur um Jugendliche: es waren alle Altersgruppen<br />
dabei –, die unter dem Banner der<br />
Nazis marschieren, dann kann es sich nicht<br />
um eine Randerscheinung handeln. Und<br />
wenn in Mecklenburg-Vorpommern, das die<br />
wenigsten Ausländer der Bundesrepublik<br />
beherbergt, darüber geschimpft wird, dass<br />
die Ausländer ja alles geschenkt bekämen<br />
und den Deutschen dann auch noch die Arbeit<br />
wegnähmen, kann ebenfalls nicht von<br />
Randerscheinung die Rede sein. Es war die<br />
große Mehrheit der Bürgerschaft, die nicht<br />
wollte, dass man den Oberbürgermeister<br />
auffordert, mit allen ihm zur Verfügung stehenden<br />
Mittel gegen den Aufmarsch vorzugehen.<br />
Der hat es denn dann auch nicht für<br />
nötig gehalten, bezeichnete die NPD im<br />
Einklang mit der Vorsitzenden von „Bunt<br />
statt Braun“ als von Demokraten zu akzeptierende<br />
Partei. Man müsse mit ihr leben<br />
und reden, weil sie nicht verboten sei. Vielleicht<br />
muss man mit Leuten aus der NPD<br />
reden. Aber auf keinen Fall muss man mit<br />
der NPD leben. Man muss sie bekämpfen.<br />
Man muss ihr die Grundlage entziehen. Wo<br />
sie die Gelegenheit bekommt, mit platten<br />
Parolen aufzutreten und nicht in die Pflicht<br />
genommen zu werden, ihre eigentliche, den<br />
Menschen verachtende Ideologie klar offen<br />
zu legen, da wird sie sich ausbreiten.<br />
Wer das verhindern will, der muss sich seiner<br />
ganzen Verantwortung bewusst sein, wenn<br />
er einen Beschluss unterstützt, der zur<br />
Schließung von Freizeitangeboten führt, der<br />
zum Wegfall von Unterstützung der<br />
Schwächsten beiträgt und der unreflektiert<br />
mit der Geschichte umgeht. Denn wenn<br />
man ein Flughafenterminal nach einem<br />
Mann benennt, der mit Sicherheit große<br />
technische Erfindungen machte, ohne dabei<br />
zu beachten, unter welchen Umständen und<br />
mit welcher und wessen Hilfe; wenn man alle,<br />
die Kritik an dieser Entscheidung anmelden,<br />
wieder nur als Nörgler abtut, dann bereitet<br />
man den Boden dafür, dass es wieder<br />
Aufmärsche der NPD geben wird. Und sie<br />
werden größer werden. Sie werden noch lauter<br />
werden. Sie werden noch brutaler werden.<br />
Und sie werden noch mehr zu einer<br />
Gefahr werden. Ja, man kann Probleme<br />
auch groß reden. Aber es gibt Dinge, vor denen<br />
man nicht genug warnen kann. Wenn<br />
ein Oberbürgermeister nicht mehr zu Veranstaltungen<br />
erscheint, bei denen der Befreiung<br />
der Stadt vom Faschismus gedacht wird,<br />
dann ist das ein Warnsignal. Wenn den Men-<br />
schen Angst gemacht wird, so sie sich mit<br />
dem Gedanken tragen zu protestieren, dann<br />
ist die Demokratie in Gefahr. Dann gibt es<br />
ein Problem, das man nicht mehr groß reden<br />
kann, denn dieses Stadium hat es längst<br />
überschritten.<br />
Die Tatsache, dass die Polizeieinsatzleitung,<br />
das Innenministerium und diverse geheimdienstliche<br />
Organisationen verschiedener<br />
Staaten den Aufmarsch der NPD und den<br />
damit verbundenen Protest nutzten, um zu<br />
üben und Planspiele durchzuspielen, zeigt<br />
aber überdeutlich, dass es Menschen in verantwortungsvoller<br />
Position gibt, die ohne jede<br />
Verantwortung handeln. Hoffentlich wird<br />
man sie nicht eines Tages für Dinge verantwortlich<br />
machen müssen, die man sich heute<br />
noch gar nicht vorstellen kann. Dann wird<br />
es nämlich nicht mehr möglich sein zu protestieren.<br />
Dann wird auch keiner mehr da<br />
sein und Freiheit schlägt man im Wörterbuch<br />
nach. Dort findet man es aber nicht,<br />
weil das Wort gestrichen wurde. Hoffen wir,<br />
dass man sich besinnt und endlich offensiv<br />
mit dem Thema umgeht und es nicht mehr<br />
hinnimmt, dass der Protest mit der scheinheiligen<br />
Angst vor Krawallmachern derartig<br />
behindert wird. Selbst wenn man zu den<br />
Menschen, die am Steintor eingekesselt waren,<br />
unterschiedlicher Meinung sein kann, so<br />
muss man ihnen eines attestieren: Sie wollte<br />
etwas gegen Nazis und für Demokratie tun.<br />
Das finde ich eine lobenswerte Sache. ¬<br />
FOTO: ANTJE UCKLEYA<br />
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26<br />
TITELTHEMA: NACHDENKEN<br />
Neu nachdenken über<br />
Widerstand und <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong><br />
DR. SYBILLE BACHMANN<br />
Die Welt ist nicht braun, sondern bunt – das ist eine Binsenweisheit,<br />
die man sich wohl kaum gegenseitig bestätigen muss. In <strong>Rostock</strong> hat<br />
sich die Stadt mit den Organisatoren des <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong> (Gewerkschaft) und<br />
dem Verein „Bunt statt braun“ zusammen getan gegen den Aufmarsch<br />
der NPD, der zugleich Beginn des Landtagswahlkampfes<br />
sein sollte. Das war gut so – und einmalig in der Bundesrepublik,<br />
dass sich eine Stadtverwaltung am <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong> offiziell beteiligte. Weitere<br />
Interessenten hätten aber ebenfalls offiziell mit eingebunden werden<br />
sollen, wie z.B. die Unterzeichner des „Mahnrufs“, damit jeder Anschein<br />
einer neuen Art von „staatlichem Antifaschismus“ vermieden<br />
wird.<br />
Die NPD wollte das Stadtzentrum, am liebsten die Kröpeliner und<br />
Lange Straße und den Neuen Markt mit Rathaus. Die Straße als Ort<br />
der politischen Meinungsäußerung zu wählen – das trägt in erster Linie<br />
symbolische Züge. Das Recht darauf wurde in Jahrzehnten erkämpft<br />
und seit dem 18. Jh. in Verfassungen weltweit verankert.<br />
Die Demonstration als „Versammlung unter freiem Himmel“ ist eine<br />
grundlegende, ur-demokratische Form kollektiver Meinungsäußerung.<br />
Wird dieses Symbol durch braune Gesinnung „gebraucht“, ertönt<br />
sehr schnell der Ruf nach einem Verbot, so auch in <strong>Rostock</strong>. Er<br />
wird um so lauter, je symbolischer die Orte politischer Propaganda<br />
sind, seien sie historischer Art oder der Lebensnerv einer Stadt.<br />
Doch als nach einem Neonazi-Marsch mitten durch das Brandenburger<br />
Tor im November 2000 die Innenminister der Länder laut<br />
überlegten, Demonstrationen an „historisch oder kulturell bedeutsamen<br />
Orten“ nur noch in Ausnahmefällen zuzulassen, erhob sich ein<br />
Aufschrei gerade unter Umweltschützern, Bürgerinitiativen und ähnlichen<br />
als „links“ eingestuften Bewegungen. Die Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg<br />
(Atomkraftgegner) stellte damals, meines Erachtens<br />
zu Recht, fest: „So widerwärtig auch Naziaufmärsche generell<br />
und an bestimmten Orten ganz besonders sind, das Grundrecht auf<br />
Versammlungsfreiheit darf nicht angetastet werden.“ Unter dem<br />
Vorwand polizeilicher Prävention dürfe nicht in Bürgerrechte eingegriffen<br />
werden.<br />
Grundrechte wie Meinungs- und Versammlungsfreiheit sowie Demonstrationsrecht<br />
sind keine Exklusivrechte, sie gelten für alle. Ihre<br />
Einschränkung oder Abschaffung würde ebenfalls alle treffen. Diese<br />
Rechte bewähren sich gerade dort, wo der offiziellen Politik, dem<br />
Staat oder der Mehrheit einer Gesellschaft die freie Meinungsäußerung<br />
nicht genehm ist. In Zeiten zunehmender sozialer und politischer<br />
Auseinandersetzungen, sowohl national als auch international,<br />
wäre ein Angriff auf diese Rechte fatal.<br />
Das Versammlungsrecht gestattet lediglich, Demonstrationsrouten<br />
durch Auflagen zu verändern. Dies darf nach den grundgesetzlichen<br />
Vorgaben jedoch nur zum Schutz von Rechtsgütern erfolgen, die<br />
dem Demonstrationsrecht gleichwertig sind, wie z. B. Leib und Leben<br />
oder Eigentum anderer. Dabei muss der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit<br />
gewahrt bleiben. Eine Lärmbelästigung, die Beeinträchtigung<br />
des Straßenverkehrs oder der Gewerbeausübung reichen<br />
für eine Auflagenerteilung nicht aus. Die Rechtsprechung der letzten<br />
Jahre hat dies deutlich bestätigt.<br />
Daher ist zu fragen: Konnte die Stadtverwaltung am 0<strong>1.</strong> <strong>Mai</strong> 2006<br />
anders handeln? Wohl kaum. Sie hat erreicht, dass die Demonstrationsroute<br />
geändert wurde, die Innenstadt den Bunten gehörte. Und<br />
der Oberbürgermeister war in der ersten Reihe der Gegenaktion auf<br />
dem Neuen Markt zu finden. Ein Verbot zu erreichen, war von vorn<br />
herein illusorisch, wenn auch eine politisch legitime Forderung.<br />
Fragen ganz anderer Art tun sich inzwischen auf, zum Beispiel: Warum<br />
ist generell eine hohe Polizeipräsenz erforderlich, wenn Braune<br />
marschieren, nicht aber Bunte? Sollten Bunte etwa gewaltbereiter<br />
sein als Braune? Oder hat das vielleicht damit zu tun, dass Braune so<br />
gut wie keine Gegendemos gegen Bunte anmelden? Sollten Braune<br />
etwa längst erkannt haben, dass Gegendemos genau jene Aufmerksamkeit<br />
erzeugen, die man der anderen Seite gar nicht zugestehen<br />
will?<br />
Am <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong> kam in <strong>Rostock</strong> allerdings erschwerend die „Probe“ der<br />
Staatsmacht für den G8- Gipfel hinzu. Da wurde nicht nur unverhältnismäßige<br />
Präsenz gezeigt, sondern auch gleich einmal ein ver-
meidbarer Kessel inszeniert. Was diese Erfahrung bei jungen Leuten,<br />
die friedlich ihr Recht auf Meinungsäußerung wahrgenommen haben,<br />
dauerhaft bewirkt, wäre sogar eine soziologische Studie wert.<br />
Eine weitere Frage: Liegt das braune Problem nicht noch tiefer? Wer<br />
demonstriert eigentlich gegen alltäglichen Rassismus, am Arbeitsplatz,<br />
in der Kneipe etc.? Sind braune Demos wirklich ein rechtliches<br />
Problem oder ist diese Sicht nur ein Zeichen für Hilflosigkeit?<br />
Gerade diejenigen, die an dieser Stelle laut Ja zum Rechtsproblem<br />
und Nein zur Hilflosigkeit sagen, vertreten oftmals das Mittel der<br />
Gegendemo als einzige politische Antwort – womit wir wieder im<br />
beschriebenen Dilemma wären. Das wird umso größer, je kleiner die<br />
Teilnehmerzahl ist.<br />
In <strong>Rostock</strong> blieben die Gegendemonstranten zwar nicht aus, aber<br />
doch weit unter den Erwartungen. Das lag sicherlich sowohl an der<br />
Unerreichbarkeit einer komplett abgeriegelten Innenstadt, womit das<br />
Recht auf Demonstrationsfreiheit stark eingeschränkt wurde, als<br />
auch an den im Vorfeld geschürten Ängsten möglicher Krawalle.<br />
Aber die einzige Erklärung ist dies wohl nicht. Damit eröffnen sich<br />
Fragen sowohl an die Sicherheitskräfte als auch die Gewerkschaften.<br />
Wenn nicht mehr Menschen Farbe bekennen wollen als üblicherweise<br />
zu einem ersten <strong>Mai</strong> kommen, dann ist vielleicht auch die Art<br />
der <strong>Mai</strong>feier zu überdenken.<br />
Wie man auch immer im Einzelnen die Sache bewertet, eines dürfte<br />
klar sein: Einstellungen zeigen sich in erster Linie alltäglich, in einer<br />
konkreten Lebensweise. Die Teilnahme an Demos im Sinne einer<br />
political correctness kann hingegen auch zur bloßen Selbstbestätigung<br />
werden, insbesondere dann, wenn sie noch unter einem Wahlkampfstern<br />
steht. Den einzigen tatsächlichen Gegenpol auf dem<br />
Neuen Markt stellte das Konzert von Konstantin Wecker dar.<br />
Erfreulich ist, dass in <strong>Rostock</strong> gegen Braune inzwischen auch Phantasie<br />
am Werke ist und viele kreative Wege gefunden hat: Fotoaktionen,<br />
eine Nacht der Kulturen, Theaterstücke, Diskussionsforen und<br />
Ähnliches.<br />
Greift man den Ausgangsgedanken von der Symbolhaftigkeit politischer<br />
Meinungsäußerung auf, so sind vielleicht keine Gegendemos<br />
gegen braune Gesinnung erforderlich, die erhöhten Polizeieinsatz<br />
und damit erhöhte Kosten zur Freude der Braunen zur Folge haben,<br />
sondern vielmehr symbolische Handlungen. Zum Beispiel das Beflaggen<br />
der Stadt mit den Fahnen von „Bunt statt braun“, das<br />
„Schützen“ des Rathauses durch den Oberbürgermeister und die<br />
sechs Fraktionsvorsitzenden (insgesamt <strong>Rostock</strong>er Siebenzahl) während<br />
der Aufmärsche durch die Innenstadt - für alle sichtbar unter<br />
den Säulen.<br />
Die Antwort auf braunes Gedankengut muss politische Aufklärung,<br />
inhaltliche Auseinandersetzung und Beseitigung sozialökonomischer<br />
Probleme sein. Die Antwort auf braune Demos sollten symbolische<br />
Handlungen sein. In Abwandlung eines Spruches wünschte ich mir:<br />
Stellt Euch vor es ist Braunen-Demo und niemand geht hin! ¬<br />
FOTO: ANTJE UCKLEYA<br />
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TITELTHEMA: RÜCKBLICK/APPELL<br />
Warum sind wir nicht nervös?<br />
CORNELIA MANNEWITZ<br />
Dies ist – das sei ausdrücklich betont - eine persönliche Sicht der<br />
Dinge. Widerspruch wäre nicht o.k., sondern sogar außerordentlich<br />
wünschenswert. Denn diese Sicht kann erschrecken.<br />
Der Arbeitskreis Mahnruf hatte schon vor Wochen erklärt, dass er<br />
die Unterschriften unter „Für einen <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong> ohne Nazis!“ im April auf<br />
einer Pressekonferenz an den Oberbürgermeister übergeben wolle.<br />
Bei der Terminfindung im Büro des OB entstand der Gedanke, auf<br />
dieser Konferenz auch DGB und Bunt statt braun ihre Planungen<br />
für den <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong> vorstellen zu lassen. Daraus resultierte, unschwer zu<br />
erkennen, ein Angebot des Mahnrufs, die Eröffnung einer Chance,<br />
die allerdings auch im Arbeitskreis sowohl Befürworter als auch<br />
Gegner fand: Letztere fürchteten, die Ideen des Mahnruf könnten<br />
untergehen und seine Vertreter an den Rand gedrängt werden; Erstere<br />
hielten das für kaum möglich. Im Nachhinein Hut ab vor den<br />
Gegnern: Es war möglich.<br />
Aber man hatte sich nicht vorstellen können, zu welchen Mitteln gegriffen<br />
werden würde. Uralte Trickkiste, unterstes Fach: Behaupten,<br />
die Pressekonferenz sei schon lange geplant gewesen und der Mahnruf<br />
dränge sich nachträglich hinein; Zusammenbrüllen eines jungen<br />
Mannes am Telefon; keine (in Worten: keine) Zeile zur Übergabe der<br />
Mahnruf-Unterschriften in der Presse, obwohl es auf der Konferenz<br />
sogar Beifall gab. So viel zum Umgang mit Personen, die sich präzise<br />
gegen die Nazidemonstration positioniert hatten. Wollte man mit<br />
ihnen nicht reden? Oder, noch schlimmer: Konnte man nicht? Oder<br />
auch: Wollte man jemandem damit gefallen?<br />
„The authorities are nervous,” sprach ein Reporter am Ü-Wagen der<br />
BBC vor der Geräuschkulisse einer sich formierenden Gegendemo<br />
ins Mikrofon. „Sie fürchten für das Bild ihrer Stadt in der internationalen<br />
Öffentlichkeit, wenn hier am Tag der Befreiung Rechtsextreme<br />
marschieren.“ Das war am 8. <strong>Mai</strong> 2005 am Brandenburger Tor in<br />
Berlin zu beobachten. In <strong>Rostock</strong> ganz das Gegenteil: Der Vize einer<br />
Bürgerschaftsfraktion, mit deren Namen sich Begriffe wie Demokratie<br />
und politische Wende im Osten verbinden, warnt vor einer<br />
Blamage für <strong>Rostock</strong> durch mögliche Medienberichte über ein nicht<br />
geglücktes Verbot der Nazidemonstration, und überhaupt sei das ja<br />
ein Problem für die Verwaltung (darauffolgend frenetischer Applaus<br />
mindestens zweier Sitzreihen). Am <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong> 2006 marschieren Nazis<br />
durch <strong>Rostock</strong>; die Gewerkschaften, zu deren historischer Erfahrung<br />
es gehört, dass die Nazis am Morgen nach dem ersten „nationalen“<br />
<strong>1.</strong> <strong>Mai</strong>, 1933, nichts Eiligeres zu tun hatten, als die freien Gewerkschaften<br />
zu zerschlagen, organisieren eine bunte Volksbelustigung<br />
mit VIP-Lounge und ideologisch wenig wählerischem Musikprogramm.<br />
Und was hat es gebracht?<br />
- Die Äußerung der Vorsitzenden einer diese Veranstaltung mit tragenden<br />
<strong>Rostock</strong>er Organisation zu Verfassungsmäßigkeit der<br />
NPD, getätigt auf einer öffentlichen Zusammenkunft zur Vorbereitung<br />
des <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong>, wird vom Vorsitzenden des NPD-Landesverbandes<br />
und Anmelder der Demonstration als Aufhänger für einen<br />
Offenen Brief mit einem Kooperationsangebot an den Oberbürgermeister<br />
benutzt.<br />
- Die Nazidemonstration marschiert, dafür erreichen viele Besucher<br />
der Veranstaltung auf dem Neuen Markt nur unter größten<br />
Schwierigkeiten die Innenstadt; die Diskussionen darüber schwelen<br />
noch immer.<br />
- Eine phantasievolle Störaktion der Gewerkschaften wird kurzfristig<br />
abgeblasen (gut, dass offiziell kaum jemand von ihr wusste).<br />
Natürlich ist Ruhe in der Stadt angenehm. Aber Streben nach Ruhe<br />
um jeden Preis ist Politik für Wendehälse, Spießer, Mitläufer. Die<br />
Landtagspräsidentin war die Einzige im Podium der Pressekonferenz,<br />
die öffentlich zu politischen Aussagen fand. Sie verwies auf das<br />
Vorankommen der Nazis im Kampf um die Parlamente. Ihre Frage<br />
danach, was die Stadt tun werde, blieb im Raum stehen. Für dieses<br />
Mal. In allernächster Zeit wird man sie beantworten müssen. Mir<br />
persönlich flatterte neulich ein Angebot für ein Probeabo der „Jungen<br />
Freiheit“ ins Haus. Wer möchte? ¬
Beitrag auf dem Tag der Fachbereiche von<br />
ver.di am 20.05.06 in <strong>Rostock</strong><br />
DETLEF SCHÜTZ, MITGLIED IM VER.DI-BEZIRKSVORSTAND (FACHBEREICH 8)<br />
Liebe Kolleginnen und Kollegen,<br />
war der <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong> 2006 ein ganz gewöhnlicher <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong>? Meine Erlebnisse an diesem Tag sagen NEIN! Es war kein<br />
gewöhnlicher <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong>!<br />
Allein den Ausgangspunkt der <strong>Mai</strong>demonstration am Werftdreieck zu erreichen, war ein abenteuerliches und<br />
deshalb schwieriges Unterfangen. An allen Ausfall- und Zugangsstrassen standen die Vertreter der Staatsmacht<br />
und machten Personenkontrollen. Ohne die entsprechenden Ausweise und Zugangsutensilien war es sehr<br />
schwierig, den Sammelpunkt am Werftdreieck zu erreichen. Deshalb dauerte es auch eine Zeit, bis eine größere<br />
Menge an Demonstrationswilligen zusammengekommen war. Aber irgendwann ging es los.<br />
Einige tausende <strong>Mai</strong>marschierer waren durchgekommen. Im Vergleich zu den Vorjahren - mehr als sonst. Das<br />
hatte diesmal aber seinen Grund. Immerhin war die größte Neonazi-Demonstration für den Norden angekündigt<br />
worden. Ein Affront gegen die Demokratie und ein Missbrauch des <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong> als Tag der Arbeit aller aufrechten<br />
Menschen. Der Marsch zum Neuen Markt, nach Jahren der Bedeutungslosigkeit – ein Quantensprung.<br />
Die zahlreich angebotenen Programme von der Haupttribüne und die vielen Stände auf dem Neuen Markt und<br />
in der Kröpeliner Strasse sorgten für Abwechselung. Das absolute Highlight für mich, der Auftritt von Konstantin<br />
Wecker. Mit ihm sollte ich nach seinem Konzert noch mehrmals zusammentreffen.<br />
Zusammentreffen wo? - Als erstes auf dem Dach des Gewerkschaftshauses, vor dem sich die braune Brut gerade<br />
zusammenrottete. Der Weg dorthin durch Polizeiabsperrungen fast unmöglich. Ihr könnt mir glauben,<br />
selbst Menschen wie Wecker, die ihr Leben dem Kampf gegen RECHTS verschrieben haben, waren erschüttert.<br />
Immerhin hatten sich gut 1500 Neonazis aus der gesamten Bundesrepublik vor unser DGB-Haus begeben.<br />
Was da an Hass und Parolen aus den Lautsprechern der Braunen floss, wie aus der Büchse der Pandora, nichts<br />
Schlimmeres habe ich in meinem Leben gehört. Erspart mir bitte dazu nähere Ausführungen. Aber was ebenso<br />
schwer wog, war für mich die durch die Polizei verordnete Untätigkeit und die Verhinderung des Einsatzes<br />
unserer Musikanlage auf dem Dach des Gewerkschaftshauses. Die Ohnmacht auf den Gesichtern der Anwesenden<br />
sprach Bände.<br />
Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Vorfälle gilt es aufzuarbeiten und an den entsprechenden Stellen mit<br />
großem Nachdruck für die Zukunft zu verhindern. Denn eines lasst mich feststellen, es wird bestimmt nicht das<br />
letzte Mal sein, dass es zu einer solchen Konstellation kommen wird, dass Braune gut beschützt durch unsere<br />
Stadt marschieren dürfen.<br />
Deshalb mein Aufruf an alle Anwesenden – Wehrt euch jetzt und nicht erst dann, wenn es wieder einmal zu<br />
spät ist! ¬<br />
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30<br />
TITELTHEMA: STANDPUNKT<br />
<strong>1.</strong> <strong>Mai</strong> – Tag der Arbeit – Unser Tag!<br />
PETER GEITMANN<br />
Ja, wenn ich schon sage, der <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong> ist unser Tag, dann meine ich angesichts<br />
der Erlebnisse dieses Tages in diesem Jahr in <strong>Rostock</strong>: „Den<br />
Nazis darf der <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong> nicht gehören.“ Dass sie dennoch eine Plattform<br />
erhielten und durch einen Teil unserer Stadt marschieren durften,<br />
war schon frustrierend. Aber wütend machen konnte mich vor<br />
allem, dass sie auch noch das Recht erhielten, am Gewerkschaftshaus<br />
und in der Rosa-Luxemburg-Straße Kundgebungen abzuhalten.<br />
Als ein Mitglied des Deeskalationsteams war ich mit in der Nähe und<br />
konnte hören, was dort verbreitet wurde. Die Redner der Nazis besetzten<br />
Themen wie „Sozialstaat“, „Arbeitsmarktpolitik“ und „Familie“<br />
– also Themen, die den Bürgern wichtig sind und die auch Inhalt<br />
unserer Gewerkschaftspolitik sind. Aber die Lösungen, die sie<br />
anbieten, sind weit entfernt von unseren. Hier geht es gar nicht um<br />
mehr Gerechtigkeit, sondern um gute und schlechte Deutsche. Die<br />
Ausländer müssen nur raus – dann haben wir wieder eine „heile<br />
Welt“.<br />
Mein Gott, wessen Geistes Kind sind die? Auf Berlinerisch würde<br />
ich sagen: „Nachtigall ik hör dir trapsen.“ Wir müssen aufpassen,<br />
dass wir nicht die Zeiten eines von denen gewünschten 4. Reiches erleben.<br />
Angesichts so umfassender Ablehnung von demokratischen<br />
Grundwerten meine ich, dass die NPD verboten werden muss und<br />
wünschte mir, unser Staat hätte den Mut dazu.<br />
Was für eine Botschaft !?<br />
TOM SCHULTZE<br />
Der <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong> in <strong>Rostock</strong> war geprägt von einem völlig übertriebenen<br />
Polizeieinsatz. Schätzungsweise 6000 Polizisten, eine eigens antransportierte<br />
Reiterstaffel sowie Unmengen an leichtem und mittlerem<br />
Gerät sorgten dafür, dass das öffentliche Leben in der Innenstadt der<br />
Hansestadt völlig lahm gelegt wurde. Zahlreiche Bürger hatten Mühe,<br />
sich in ihrer Stadt von A nach B zu bewegen. Auch die Teilnahme<br />
an den Kundgebungen für ein menschenfreundliches und offenes,<br />
eben buntes, <strong>Rostock</strong> war vielen Bürgern gar nicht bzw. nur unter<br />
erschwerten Bedingungen möglich. Ca. 3 Millionen Euro kostete<br />
unser Land dieser „Spaß“! Davon entfallen auf jeden Erwerbstätigen<br />
in diesem Bundesland 2,5 €.<br />
Welche Botschaften ergeben sich für die Bevölkerung dieses Landes<br />
aus diesen Fakten?<br />
Möglicherweise sind es folgende:<br />
<strong>1.</strong> Als Neonazi in Deutschland bin ich während einer Demonstration<br />
besser geschützt und durch die Polizei von anders denkenden Bür-<br />
Das Polizeiaufgebot war unangemessen groß. Ob es eine Probe für<br />
den bevorstehenden G8-Gipfel sein sollte, lasse ich mal dahingestellt.<br />
Aber was nicht akzeptabel ist und sein kann, ist die Tatsache,<br />
dass das öffentliche Leben in <strong>Rostock</strong> nur noch eingeschränkt funktionieren<br />
durfte. Es gab de facto keinen ÖPNV mehr und durch eine<br />
fast komplette Abschottung der Marschroute der NPD konnte<br />
auch der <strong>Rostock</strong>er/die <strong>Rostock</strong>erin nicht mehr auf gewohnten<br />
Wegen nach Hause gehen; kilometerlange (Um-)Wege mussten in<br />
Kauf genommen werden.<br />
Die Demo des Bündnisses DGB - Hansestadt <strong>Rostock</strong> - „Bunt statt<br />
braun“ stand im Zeichen: „<strong>Rostock</strong> bleibt bunt“ – gegen Rassismus<br />
und Gewalt. Das ist klar vermittelt worden und hat auf dem Neuen<br />
Markt, der Kröpi und dem Uni-Platz auch für eine gute Atmosphäre<br />
gesorgt. Sehr viele Menschen haben deutlich gemacht: Wir sind<br />
ein offenes, tolerantes und freundliches <strong>Rostock</strong>. ¬<br />
gern abgeschirmt, als jeder Staatsgast und kann außerdem ohne<br />
Hemmungen menschenverachtende Parolen schreien.<br />
2. Als Patient verweist man mich der Praxis, wenn ich pro Quartal<br />
nicht 10,- € bezahlen kann. Darüber hinaus ist sich unser Land<br />
nicht zu schade, 2,5 € von meinem Geld dafür auszugeben, meine<br />
Heimatstadt für einen Tag quasi unter Kriegsrecht zu stellen.<br />
3. Da in Deutschland mittlerweile mehrere Veranstaltungen, unter<br />
anderem in Halberstadt, die gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit<br />
gerichtet waren, abgesagt wurden, weil Neonazis mit ihrem<br />
Erscheinen drohten, entsteht bei mir der Eindruck einer Ungleichbehandlung.<br />
Anscheinend war in diesen Fällen keine Polizei verfügbar. Wahrscheinlich<br />
mussten die Beamten gerade die Überstunden vom letzten<br />
NPD – Aufmarsch abfeiern?<br />
Wat `ne Botschaft…!? ¬
FOTO: ANTJE UCKLEYA<br />
31
32<br />
TITELTHEMA: PRAXIS<br />
Französisch-deutscher<br />
Jugendaustausch in M-V<br />
Erfahrungen, Eindrücke und Erlebnisse im <strong>Mai</strong><br />
FRAGEN AN JULIANE SEIFERT, TEAMERIN DES „ARBEIT UND LEBEN“ E.V. IN M-V,<br />
BJÖRN KLUGER, REDAKTIONSMITGLIED<br />
Aus welchem Anlass hielten sich die französischen Jugendlichen in M-V<br />
auf? Wer war Partner, Organisation?<br />
Die neun französischen Jugendlichen im Alter von 13 bis 18 Jahren<br />
kamen alle aus dem Ort Aimargues, welcher zwischen Nîmes und<br />
Montpellier in Südfrankreich, unweit des Mittelmeeres liegt. Sie nutzen<br />
dort regelmäßig die Angebote eines Kinder- und Jugendtreffs,<br />
der vom französischen Verband Léo Lagrange unterhalten wird. Gemeinsam<br />
mit Arbeit und Leben Mecklenburg-Vorpommern organisierte<br />
die Regionalstelle von Léo Lagrange in Nîmes diesen Austausch.<br />
Das Deutsch-Französische Jugendwerk (DFJW) unterstützt<br />
Jugendbegegnungen dieser Art mit einem finanziellen Zuschuss, einen<br />
Eigenanteil leisten jeweils die Teilnehmenden.<br />
Die Gruppe wurde begleitet von einer Betreuerin des Jugendtreffs<br />
und einer deutsch-französischen Teamerin, die derzeit in Nîmes lebt<br />
und bei Léo Lagrange arbeitet. Zu diesen gesellte sich eine weitere<br />
Teamerin, die im Auftrag von Arbeit und Leben vor Ort die Begleitung<br />
der Gruppe übernahm.<br />
Eine Woche, vom 30. April bis 06. <strong>Mai</strong> 2006, weilte die Gruppe in<br />
Stralsund, war in der Jugendherberge untergebracht und unternahm<br />
von dort Ausflüge (z.B. Rügen, Hiddensee), Besuche (im Herder-<br />
Gymnasium in Stralsund, dem Meereskundemuseum in Stralsund)<br />
und machte sich auch am <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong> auf den Weg nach <strong>Rostock</strong> zur Veranstaltung<br />
„<strong>Rostock</strong> bleibt bunt“. Dabei waren wir an den meisten<br />
Tagen als deutsch-französische Gruppe unterwegs, einige Schülerin-<br />
FOTO: TOM MAERCKER
nen und Schüler aus Stralsund nahmen am Programm teil und werden<br />
voraussichtlich im Herbst diesen Jahres zum Rückbesuch nach<br />
Frankreich fahren, um dort von den französischen Jugendlichen<br />
empfangen zu werden und eine gemeinsame Woche zu verbringen.<br />
Aus welcher Perspektive erfolgte Programmgestaltung?<br />
Im Rahmen der Jugendaustausche, die vom DFJW unterstützt werden<br />
und die in nun schon langjähriger Kooperation zwischen Léo<br />
Lagrange und den verschiedensten regionalen Arbeitsgruppen von<br />
Arbeit und Leben organisiert werden, stehen folgende Programmpunkte<br />
im Vordergrund und waren auch Grundlage dieser Begegnung:<br />
- Treffen und Austausch mit Jugendlichen vor Ort, Besuch ihrer<br />
Ausbildungsstätte<br />
- Erkundung und Kennen lernen der Region, der Sprache, der Kultur,<br />
Begegnung mit Menschen und deren Traditionen<br />
- Informationen und Austausch über die Sprache (Sprachanimation),<br />
über das Schulsystem, über politische, gesellschaftliche und<br />
historische Ereignisse<br />
Wie war die Gruppe zusammengesetzt, hatten sie eigene Vorstellungen<br />
von Deutschland bzw. Mecklenburg-Vorpommern?<br />
Einige der 9 französischen Jugendlichen (alles Jungs) waren schon<br />
einmal in Deutschland, keiner von ihnen jedoch in Mecklenburg-<br />
Vorpommern. Ihre Vorstellung von Land und Leuten war daher sehr<br />
allgemein, im Laufe dieser Woche hatten sie jedoch die Gelegenheit,<br />
viele Orte kennen zu lernen, begeistert waren sie von unserem Ausflug<br />
mit dem Schiff von Stralsund auf die Insel Hiddensee, beeindruckt<br />
vom ehemaligen KdF-Bad Prora und seiner Entstehungsgeschichte.<br />
Auch die Begegnung mit den verschiedensten Menschen<br />
hat intensive Eindrücke hinterlassen, so z. B. der Tag in <strong>Rostock</strong> - sicher<br />
auch für <strong>Rostock</strong> kein Tag wie jeder andere – die Teilnahme an<br />
der Demonstration und das anschließende Fest in der Innenstadt<br />
war ein Thema, welches wir auch danach noch diskutiert haben.<br />
Ebenso erfuhren wir durch den Austausch mit den deutschen Jugendlichen,<br />
der anfangs sehr zögerlich angenommen wurde, viel<br />
über das Leben junger Leute in Deutschland und speziell in Mekklenburg-Vorpommern.<br />
Gemeinsame Momente wurden auch immer<br />
von den Begleiterinnen der Gruppe genutzt, um die Jugendlichen<br />
auf wichtige und interessante Informationen zu Kultur, Geschichte<br />
und aktuellen Anlässen aufmerksam zu machen.<br />
Ein Großteil der Familien, aus denen die französischen Jugendlichen<br />
stammen, hat maghrebinische Wurzeln, was mit großer Sicherheit einen<br />
Einfluss auf die eigene Wahrnehmung der Jugendlichen, in ihrem<br />
Heimatort und noch stärker an einem unbekannten Ort, und<br />
auf ihre Fremdwahrnehmung durch andere hat. Einige unangenehme<br />
Situationen, in denen sie schon im Vorfeld besondere Aufmerksamkeit<br />
erregten (wenn z.B. in Geschäften ein ganz „besonderes Auge“<br />
auf sie geworfen wird, Blicke von Buspassagieren und Passanten)<br />
haben auch wir erleben müssen. Sicher spielt dabei auch ihr eigenes<br />
Auftreten, v.a. in der Gruppe mit ihren eigenen Umgangsregeln,<br />
eine Rolle, die versteckte Konfrontation mit Vorurteilen gegenüber<br />
Fremden und augenscheinlich „Anderen“ bekamen wir jedoch<br />
während dieser Woche auch deutlich zu spüren.<br />
Wie war die Bewegungsfreiheit der Gruppe, gab es neben den Programmpunkten,<br />
öffentliche Räume, die nicht betreten wurden?<br />
Durch ein gut organisiertes Programm und die Unterkunft etwas<br />
außerhalb der Stralsunder Innenstadt in der Jugendherberge Devin,<br />
gab es wenig „spontane“ Ausflüge. Zudem war allein schon das Alter<br />
der Jugendlichen (13 – 18 Jahre) Grund dafür, genaue Vereinbarungen<br />
zu treffen und größtenteils in der Gruppe und an den vorgesehenen<br />
Orten unterwegs zu sein.<br />
Das Programm war sehr abwechslungsreich und führte uns natürlich<br />
vor allem zu den bekannten und touristisch erschlossenen Plätzen,<br />
so dass es in dieser Hinsicht keine Einschränkungen bzw. Probleme<br />
gab.<br />
Wie verlief der <strong>1.</strong><strong>Mai</strong> in <strong>Rostock</strong>? Gab es Eindrücke? Wenn ja welcher Art<br />
bzw. gab es Reaktionen? Wussten die Jugendlichen, was in <strong>Rostock</strong> los<br />
war?<br />
Eine Vorbereitung der Jugendlichen auf die Veranstaltung des <strong>1.</strong><br />
<strong>Mai</strong> in <strong>Rostock</strong> erfolgte von Beginn an. Dies reichte von Erläuterungen<br />
zum konkreten Anlass in <strong>Rostock</strong> über Informationen zur Problematik<br />
des Rechtsextremismus allgemein und in Deutschland bis<br />
hin zu genauen Verabredungen mit der Gruppe und gemeinsamen<br />
Regeln für diesen Ausflug nach <strong>Rostock</strong>.<br />
Zu unserem ersten Anlaufpunkt, dem IG-Metall-Truck, gelangten<br />
wir ohne Probleme und konnten mit bzw. auf diesem bis in die<br />
Innenstadt ziehen. Auch einen anschließenden Rundgang im <strong>Rostock</strong>er<br />
Zentrum und inmitten des Stadtfestes unternahmen wir. Als<br />
wir jedoch, nicht wie geplant erst gegen 17 Uhr, sondern schon um<br />
14 Uhr unseren Rückweg zum Bahnhof antreten wollten, konnten<br />
wir diesen nur nach vergeblichen Versuchen, den normalen und kürzesten<br />
Weg einzuschlagen, und einem immensen Umweg erreichen.<br />
Die Rückfahrt war dann aber wieder unproblematisch.<br />
Beeindruckt zeigten sich die Jugendlichen vor allem von der Vielfalt<br />
der an der Demonstration teilnehmenden Menschen und die Vielzahl<br />
alternativer Jugendlicher, die mit ihren ausgefallenen Frisuren<br />
und Kleidungen und ihrer starken Präsenz so anders als ihr gewohntes<br />
Umfeld und damit für einige schon befremdlich wirkten. Ein<br />
weiterer bleibender Eindruck war das große Polizeiaufgebot und eine<br />
Situation, die sich kurz nach unserer Ankunft mit dem Truck in<br />
der Innenstadt ereignete, als sich eine Gruppe aus der Menge der<br />
Demonstranten löste und auf den Truck zu- bzw. an ihm vorbeirannte,<br />
um eine dahinterliegende Polizeiblockade zu stürmen.<br />
Mit unserer Gruppe haben wir natürlich versucht, jede Eskalation<br />
bzw. unvorhersehbare Orte und Situationen so weit wie möglich zu<br />
vermeiden, und von den Jugendlichen selbst ging dazu auch keinerlei<br />
Initiative aus. Für mich persönlich war die Teilnahme an der Veranstaltung<br />
„<strong>Rostock</strong> bleibt bunt“ eine wichtige Sache und auch, dass<br />
wir daran mit den französischen Jugendlichen teilgenommen haben,<br />
hat deren Aufenthalt in Deutschland enorm bereichert. Dieser Tag<br />
war jedoch auch einer der Angespanntesten. Einerseits durch die<br />
Verantwortung und Aufmerksamkeit für die Gruppe, die mir in dieser<br />
Situation besonders präsent waren und andererseits durch meinen<br />
eigenen Eindruck, an einer solchen Veranstaltung teilzunehmen<br />
und mich in einem gewissen Rahmen frei bewegen zu können, an<br />
der nächsten Straßenecke jedoch alle Einschränkungen und Unfreiheiten<br />
spüren zu müssen. ¬<br />
33
34<br />
REZENSION: GELESEN<br />
Erneuerung von den Rändern her<br />
Rezensionen<br />
JENS LANGER, REDAKTIONSMITGLIED<br />
Annemarie Türk (Hg.): Grenzverkehr, Literarische<br />
Streifzüge zwischen Ost und West. Drava,<br />
Klagenfurt 2006, 320 S., 21 Euro.<br />
Helga Rabenstein et al. (Hgg.): kultur.räume.<br />
Universitäten Klagenfurt, Koper, Ljubljana, Maribor,<br />
Trieste, Udine. Drava, Klagenfurt 2005, 160 S., 16<br />
Euro.<br />
Werner Wintersteiner: Poetik der Verschiedenheit.<br />
Literatur, Bildung, Globalisierung. Drava,<br />
Klagenfurt 2006, 322 S., 29,50 Euro.<br />
Während ein nicht mehr ganz junger Eurozentrismus<br />
Ablehnung und im Einzelnen<br />
auch schon einmal Erschrecken zeitigt, finden<br />
sich in den vorzustellenden 3 Bänden<br />
eminent Zukunft eröffnende Zugänge zu einem<br />
Europa, das Grenzen auch kennt und<br />
transformiert. Dabei gilt das Interesse den<br />
marginalisierten Literaturen, Ethnien und<br />
Regionen, und zwar in ihrer verwandelnden<br />
Kraft. Die voneinander unabhängigen Darstellungen<br />
widmen sich dabei literarischer<br />
Gestaltung in praxi, institutionellem universitärem<br />
Engagement und theoretischer<br />
Durchdringung der Materie. Der erste Band<br />
bildet die literarische Basis für dieses ganzheitliche<br />
Europa mit allen seinen Rändern.<br />
Ausgesprochen oft findet sich in diesem<br />
Sammelband das Wort „Grenze“, solo und<br />
in Zusammensetzungen etwa mit „Erfahrungen“<br />
und „Überschreitungen“. Daneben<br />
taucht häufig Wien als Ziel- oder Ausgangsort<br />
auf. Beides ergibt sich daraus, dass ein<br />
österreichisches Projekt Künstler und<br />
Künstlerinnen zu Studienaufenthalten einlädt<br />
und diese 2004 für die Anthologie literarische<br />
Streifzüge zwischen Ost und West<br />
unternahmen. Zugleich hat „KulturKontakt<br />
Austria“ für dieses Unterfangen die Übersetzer/innen<br />
ins Deutsche eingeladen. Wenn<br />
die Leserschaft also zu dem Buch greift, ist<br />
mit demselben längst etwas geschehen, zwar<br />
öffentlich und doch für die Lektüre üblicherweise<br />
eine verborgene Grenzgängerei: Die<br />
Beiträge sind allesamt übersetzt worden, und<br />
die Originale in 12 Sprachen können im<br />
zweiten Teil aufgeschlagen werden. 21 Männer<br />
und Frauen haben Essays, Skizzen, Gedichte<br />
und Tagebuch-Notizen geschrieben,<br />
von 15 Dolmetscher/innen übertragen. Von<br />
Lettland über Rumänien und Albanien bis<br />
Russland und Serbien sind Literaturen im<br />
kleinen und großen Grenzverkehr vertreten.<br />
Damit leistet der Band einen Brücken-<br />
Dienst, ohne den das vielbeschworene Europa<br />
eine Bürokratenidee bliebe.<br />
Der ukrainische Schriftsteller Jurij Andruchowytsch<br />
z.B. ist gerade auf der Leipziger<br />
Buchmesse mit dem Preis für europäische<br />
Verständigung ausgezeichnet worden und<br />
hat bei seiner Ehrung in einer fulminanten<br />
Rede versichert, er werde nie mehr ins EU-<br />
Europa einreisen, solange Visa-Zwang bestünde.<br />
In dieser Anthologie verlangt er entsprechend,<br />
als Europäer und nicht als Fremder<br />
behandelt zu werden. Nelly Bekus aus<br />
Weißrussland beschreibt analoge bittere Erfahrungen<br />
auf dem „Territorium des Visums“.<br />
Die Lektüre verdeutlicht jedenfalls<br />
nicht allein mittels dieser Beispiele, dass es<br />
aus der Perspektive der Betroffenen noch eine<br />
andere Visa-Affäre gibt als die, die politisch<br />
2005 vorgeführt wurde. Die Orte, von<br />
denen aus hier geschrieben wird, können<br />
nicht einfach als Peripherie abgetan werden.<br />
Auch so herabgesetzt, könnte Südosteuropa<br />
stärker ins Zentrum des Geschehens rücken,<br />
als jetzt vorstellbar. Somit wird insgesamt<br />
auf unkonventionelle und einladende Weise<br />
Aufklärung und Weiterbildung in Sachen<br />
Europa für Menschen geleistet, die noch andere<br />
Stimmen hören möchten als die aus der<br />
europäischen Verwaltung.<br />
Der zweite vorzustellende Band versammelt<br />
Vorträge auf der Konferenz kultur.räume,<br />
zu der die Universität Klagenfurt / Celovec<br />
ihre Nachbaruniversitäten Triest, Ljubljana,<br />
Udine, Maribor u. Koper im November<br />
2003 eingeladen hatte – der Alpen-Adria-<br />
Raum synchron als Herberge von Regionalität<br />
und Labor der Internationalität. Dabei<br />
beherrscht nicht Euphorie die Szene, sondern<br />
Einfühlung in die Notwendigkeit. Fortschritte<br />
und Hemmnisse im Forschungsund<br />
Wirtschaftsraum z. B. werden deutlich<br />
benannt (H.-J. Bodenhöfer), Erfolge und<br />
Defizite der akademischen Kooperation<br />
kommen zur Sprache samt Mangel an Finanzen<br />
sowie hilfreichen Netzwerken und Lobbies<br />
(C. Benussi) nebst Bescheidenheit als<br />
Meisterin des akademisch Möglichen (P.-H.<br />
Kucher). Regionen mit ihren Kulturen und<br />
Literaturen im Dialog decken bei unterschiedlicher<br />
Methodik der Beiträge blinde<br />
Flecken in der Wahrnehmung der Fremden<br />
auf (z. B. N. Slibar). Die Mehrsprachigkeit<br />
des Bandes mit englischen Resümees liefert<br />
ein Exempel für die Transformation vielfach<br />
genannter Grenzen.
„Diese Arbeit ist gegen einen bildungspolitischen<br />
Zeitgeist gerichtet, der das Bildungswesen<br />
den Wünschen der Wirtschaftsmächtigen<br />
unterordnet und den Anspruch auf<br />
Emanzipation durch Bildung längst aufgegeben<br />
hat“ (226), beschreibt der Autor dieser<br />
theoretischen Grundlegung seine Position in<br />
schöner Offenheit. Er will der Reduktion<br />
und Aushöhlung der Bildungsidee mit einem<br />
neuen Programm entgegentreten, nicht mit<br />
Nostalgie und Larmoyanz. Eine Poetik der<br />
Verschiedenheit wird von ihm in zahlreichen<br />
Facetten als Theorie vorgestellt. (Ausführlicher<br />
und praktisch entwickelt W. sie in einem<br />
angekündigten Band „Transkulturelle<br />
literarische Bildung. Die Poetik der Verschiedenheit<br />
in der literaturdidaktischen Praxis“,<br />
das im Innsbrucker Studienverlag erscheinen<br />
soll.)<br />
Wer von der Kritik an der Wirkungslosigkeit<br />
der Germanistik beeinflusst ist, bekommt<br />
durch W. vermittelt, wie der „Diskurs der<br />
Diversität“ einen innovativen Sprung in die<br />
Anforderungen der Zeitlage ermöglicht.<br />
Grenzen, Immigration, Exil und Asyl werden<br />
als Züge ständig mehr und mehr allgemeingültig<br />
werdender Welterfahrung auf ihre<br />
erneuernde Wirkung auf die Literaturwissenschaft<br />
untersucht. „Die globale Solidarität<br />
wird nicht als Errungenschaft der westlichen<br />
Zivilisation dargestellt, sondern als<br />
zeitgemäße Erneuerung einer Erfahrung<br />
und Tradition, deren Existenz von der westlichen<br />
Zivilisation bedroht ist.“ (39) W. erläutert<br />
das an einem Text John Bergers, eines<br />
Engländers, der seit Jahrzehnten in Frankreich<br />
lebt, und zieht das Fazit: „Es gibt kei-<br />
nen Weg mehr zurück, zum alten Heim, nur<br />
nach vorne, zu einer noch ungewissen gemeinsamen<br />
Heimat für die gesamte Menschheit.“<br />
(38) Ein konkreter Kosmopolitismus,<br />
der von aktiver Zugehörigkeit zu einer bestimmten<br />
Region, der Durchlässigkeit von<br />
Grenzen und dem Tanz der Kulturen inspiriert<br />
ist, transformiert die nationale Bildung<br />
und beendet langfristig die Vorherrschaft<br />
des Nordens über den Süden. Lokale Verankerung<br />
und globale Perspektive bestimmen<br />
eine Kultur des Friedens, die W. beschreibt<br />
als transnationale Solidarität der Marginalisierten<br />
für eine gewaltfreie Transformation<br />
eines ungerechten Weltsystems. Die Rede<br />
von der Bedeutungslosigkeit der Literatur<br />
wird als eine Fehleinschätzung enthüllt, weil<br />
Literatur immer noch das Potential zur<br />
Überschreitung des Nationalen in Richtung<br />
Beheimatung in der Welt enthält.<br />
Die sogenannten kleinen Literaturen mit ihrer<br />
Transparenz für Mehrsprachigkeit und<br />
Multikulturalität tragen wesentlich zu dieser<br />
Grenzüberschreitung bei und bewahren<br />
nicht allein Tradition, sondern kreieren<br />
durch Kreolisierung und Hybridisierung eine<br />
neue Weltsicht. Das Universale spricht<br />
gewissermaßen Dialekt, und das Regionale<br />
wirkt in die Weite. Die Literatur der Ränder<br />
beeinflusst Mitteleuropa, und dieses bedarf<br />
solcher Einflüsse, soll es nicht zur Idylle herunterkommen.<br />
Die Anwesenheit dieser kleinen<br />
Literaturen vor und auch in den Grenzen<br />
der Dominanzkulturen durch Schriftstellerindividuen<br />
ist wahrzunehmen, sollen<br />
nicht „Medien-Bastarde“ den „mitteleuropäischen<br />
Kitsch-Konsumenten“ (D. Dedovic)<br />
FOTO: TOM MAERCKER<br />
in seinen Vorstellungen von fremder Literatur<br />
und Kultur prägen. Literarische Bildung<br />
wird in diesem Konzept repolitisiert und<br />
aufgewertet als Orientierung in Fremdheit,<br />
an Grenzen, in kulturellen Mischformen<br />
zwischen Kulturen, also in Kreolisierung,<br />
Hybridisierung und Synkretismus.<br />
In spannenden Exkursen, die an je einem<br />
exemplarischen Literaturtext die Theorie<br />
sichtbar machen, und mit wechselnden Zugängen<br />
in Kontinuität des theoretischen Ansatzes<br />
zeigt W., wie Literatur als fremdes<br />
Wort, fremder Blick auf die Gesellschaft<br />
und als fremdes Gefühl inmitten dominierender<br />
Emotionen in kulturellem Gewande<br />
den vorherrschenden Meinungen Paroli bietet.<br />
Eine andere Nachricht vom globalen<br />
Markt mit lebenswichtiger Information für<br />
das Europa von Verfestigung und Übergang,<br />
nicht zuletzt für die Literaturwissenschaft!<br />
¬<br />
35
36<br />
CHARLATANISCHE WISSENSCHAFTEN<br />
Im Vatikan gibt es zwei Päpste!<br />
VON HOLGER BLAUHUT Santa Statistika<br />
glühende Sonne der Soziologie –<br />
nur was sich zählen lässt,<br />
das ist auch wahr, Santa Statistik<br />
Die Überschrift wird korrekt, wenn man die<br />
Aussage ergänzt: Im Vatikan gibt es zwei<br />
Päpste pro Quadratkilometer. Da der Vatikan<br />
nur etwa einen halben Quadratkilometer<br />
groß ist, ist die Aussage zwar in Ordnung<br />
aber unsinnig.<br />
Die Hansestadt <strong>Rostock</strong> hat nun – der Tradition<br />
folgend, wie es im Vorwort heißt –<br />
bereits zum vierzehnten Mal ein statistisches<br />
Jahrbuch vorgelegt. Wegen der Unmenge<br />
der Daten kann auf 350 Seiten und etwa<br />
ebenso vielen Tabellen nur ein Überblick<br />
über das in Zahlen gepresste Leben der<br />
Stadt <strong>Rostock</strong> gegeben werden.<br />
Der geneigte Leser wird vergebens Hinweise<br />
auf die schöne Lage, das Meer oder die historische<br />
Altstadt suchen. Dafür kann er sich<br />
an den unterschiedlichsten Arten von Diagrammen,<br />
Zahlen in allen Größen und seltsamen<br />
Wortschöpfungen, wie Gestorbenenüberschuss<br />
erfreuen.<br />
Das Buch gibt darüber Auskunft, dass sich<br />
im Jahre 2000 die Anzahl der Ärzte und<br />
Apotheker gegenüber dem Vorjahr praktisch<br />
nicht verändert hat, während die Anzahl der<br />
Zahnärzte um 20 % zurückging. Die Trauer<br />
über das ‚große Zahnarztsterben’ hält sich<br />
aber nicht lange, da auf der gleichen Seite eine<br />
weitere Tabelle für das Jahr 2000 steigende<br />
Zahlen vermeldet. Unter der Überschrift<br />
„Überwachung der Prostitution“ wird die<br />
Anzahl der Personen angegeben, die medizinische<br />
Hilfe in Anspruch genommen haben.<br />
Die aktuellsten Daten des Buches beziehen<br />
sich auf das Jahr 2004 und so beginnt das<br />
Werk zur Erinnerung des Lesers mit einer<br />
zweiseitigen Chronik. Dort kann man noch<br />
einmal nachlesen, dass im Jahre 2004 die<br />
Olympiaträume und der Oberbürgermeister<br />
Arno Pöker gingen, die Deutsche Med und<br />
die neue Universitätsbibliothek kamen, Hansa<br />
gegen Middlesbrough 3:1 gewann und die<br />
Einwohner von Groß Klein das 25-jährige<br />
Bestehen ihres Ortsteils mit einem bunten<br />
Mix aus Musik und Sport feierten.<br />
Die offizielle Einwohnerzahl <strong>Rostock</strong>s für<br />
das Jahr 2004 betrug 198.993. Von diesen<br />
sind 909 Paare die Ehe eingegangen, während<br />
603 Ehen wieder geschieden wurden.<br />
Von den geschiedenen Paaren waren 87 länger<br />
als 26 Jahre verheiratet.<br />
Die Stadtbereiche Kröpeliner-Tor-Vorstadt<br />
und Stadtmitte haben mit 691 bzw. 670 die<br />
meisten Einwohner dazugewonnen, während<br />
Toitenwinkel mit 472 Personen den<br />
größten Abgang zu verzeichnen hatte. Einen<br />
Teil der Abgänge machen die Gestorbenen<br />
aus. Diesen werden auf zwei Seiten ausführlich<br />
die Todesursachen zugeordnet mit Ausnahme<br />
von 4 Frauen und 8 Männern, die<br />
durch ein Ereignis starben, dessen nähere<br />
Umstände unbestimmt sind.<br />
Die verbliebenen Einwohner waren sehr aktiv<br />
und meldeten u. a. 2.238 neue Einzelunternehmen<br />
an. Die Freude über diese stolze<br />
Zahl wird etwas getrübt durch die <strong>1.</strong>966<br />
Abmeldungen von Einzelunternehmen im<br />
gleichen Jahr. Da scheint sich noch kein großer<br />
Erfolg der so genannten „ICH AG“ abzuzeichnen.<br />
Das bestätigt auch die Zahl der<br />
Arbeitslosen, die mit einem kräftigen Sprung<br />
im Jahre 2004 das erste Mal die 25.000 überschritten<br />
hat. Dazu kommen noch über<br />
8.000 Arbeitssuchende, die nicht als Arbeitslose<br />
registriert sind. Damit keine Langeweile<br />
aufkommt, ist die Zahl der in <strong>Rostock</strong> veranstalteten<br />
Spezial- und Jahrmärkte um 50%<br />
zum Vorjahr gestiegen.<br />
Im Kapitel „Öffentliche Sicherheit kann sich<br />
der interessierte Leser anhand ausführlicher<br />
Hans-Eckardt Wenzel<br />
Statistiken informieren, welche Straftat in<br />
welchem Stadtteil die größte Aufklärungsquote<br />
hatte. Bei ganz speziellem Interesse<br />
kann auch genau das Gegenteil ermittelt<br />
werden.<br />
Die Delikthäufigkeit in der Jugendgerichtshilfe<br />
verzeichnet einen erfreulichen Rükkgang<br />
der Sexualstraftaten auf gerade einmal<br />
20 % des Vorjahres. Dafür sind aber die<br />
Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz<br />
und Diebstähle (im umfassenden Sinn) signifikant<br />
gestiegen. Fast unmerklich gestiegen<br />
sind dagegen die übertragbaren, meldepflichtigen<br />
Krankheiten.<br />
Im Jahre 2004 sahen 115.996 Theaterbesucher<br />
669 Vorstellungen, liehen 35.911 Bibliotheksnutzer<br />
1,2 Millionen Einheiten aus<br />
und bestaunten 47<strong>1.</strong>617 Zoobesucher <strong>1.</strong>527<br />
Tiere. Die Zahl der Kleingartenanlagen<br />
wuchs von 155 auf 157 und die der Parzellen<br />
nahm von 15.788 auf 15.745 ab.<br />
Bevor das Buch mit einer Aufschlüsselung<br />
der Wahlergebnisse endet, erfährt der <strong>Rostock</strong>er<br />
noch, dass er mit <strong>1.</strong>109 Euro pro<br />
Kopf an der Verschuldung der Stadt beteiligt<br />
ist. In dieser Tabelle, Nr. 1104 auf Seite<br />
316, hat man die Einwohnerzahl <strong>Rostock</strong>s<br />
etwas euphorisch mit 2 Millionen angegeben.<br />
Dieser Fehler scheint aber eine Ausnahme<br />
zu sein und das Werk kann uneingeschränkt<br />
empfohlen werden, zumal es durch<br />
das Überkleben zweier Seiten zu einer bibliophilen<br />
Kostbarkeit wurde. ¬<br />
Das Statistische Jahrbuch der Hansestadt <strong>Rostock</strong><br />
kostet 15,00 Euro und kann in der Kommunalen<br />
Statistikstelle bezogen werden: E-<strong>Mai</strong>l: statistik@rostock.de,<br />
Telefon: (0381) 381 11 90.
Wussten Sie eigentlich, dass ...<br />
Reklame<br />
aus Ihrer Umgebung<br />
es in <strong>Rostock</strong> 6.700 registrierte Hunde gibt?<br />
auf <strong>Rostock</strong>s Straßen täglich ca. 6,4 Tonnen(!) Hundekot liegen?<br />
es eine gesetzliche Reinigungspflicht für Hundebesitzer gibt?<br />
ansonsten ein Bußgeld in Höhe von 50 bis zu <strong>1.</strong>250 Euro erhoben werden kann?<br />
tägliche Routinekontrollen stattfinden?<br />
durch Hundekot Krankheits- und Allergieerreger auf Menschen und andere Hunde übertragen werden können?<br />
es ein fragwürdiges Vergnügen ist, beim Laufen permanent auf Hundekot achten zu müssen.<br />
Kinder die Welt entdecken, indem sie Dinge anfassen oder in den Mund nehmen?<br />
Hundekot als Rechtfertigung für weiteren Müll auf den Straßen gilt?<br />
Mehr: www.rebellentaktik.de
Bush in Deutschland: „Er ist nicht unser Gast!“<br />
Kriege beenden - Kriegsplanungen stoppen!<br />
Wir empfangen US-Präsident Bush bei seinem Besuch am 14. Juli 2006 in Stralsund mit gebührend breitem Protest.<br />
Seine arrogante Machtpolitik wird mittlerweile von einem Großteil der Gesellschaft in den USA abgelehnt.<br />
Auch hier muss ihm deutlich gemacht werden, dass er nicht willkommen ist.<br />
Von der Gastgeberin, Bundeskanzlerin Merkel, verlangen wir, dass sie keine Kriegsaktionen gegen den Iran<br />
unterstützt. Alle bisherigen Versuche, politische Probleme militärisch zu lösen, sind opferreich gescheitert.<br />
Krieg darf kein Mittel der Politik mehr sein! Ein Krieg gegen Iran würde nicht nur viele Menschenleben<br />
kosten und die Infrastruktur des Landes zerstören. Die Zivilgesellschaft, die in Frieden und frei von Unterdrückung,<br />
solidarisch und demokratisch leben will, würde zerschlagen werden.<br />
Dennoch lässt die US-Regierung keinen Zweifel daran, den Iran militärisch angreifen zu wollen. Selbst den<br />
Einsatz eigener Atomwaffen will sie nicht ausschließen. Widerspruch aus Europa kann diese Pläne verhindern.<br />
Die Bundesregierung leistete bereits beträchtliche Hilfe für den Kriegskurs der USA: durch die Nutzung der<br />
hier gelegenen Militärflughäfen, durch die Bewachung der US-Militäreinrichtungen; durch den Bundeswehreinsatz<br />
in Afghanistan und am Horn von Afrika sowie durch die Ausbildungs- und Materialhilfe für irakische<br />
Truppen. Diese Komplizenschaft muss beendet werden!<br />
Die Bundesregierung hat erstmals im Krieg gegen Jugoslawien 1999 das völkerrechtlich verbindliche und im<br />
Grundgesetz verankerte Verbot des Angriffskrieges gebrochen. Sie betreibt zielstrebig den Umbau der Bundeswehr<br />
zu einer weltweit einsetzbaren Interventionsarmee. Mit dem angekündigten neuen „Weißbuch“ des Verteidigungsministers<br />
Jung sollen der „Verteidigungsfall“ umdefiniert und weltweite Kampfeinsätze der Bundeswehr<br />
gerechtfertigt und zum Normalfall erklärt werden.<br />
Innenpolitisch begleitet den sog. „Kampf gegen den Terror“ ein zunehmender Abbau sozialer Leistungen und demokratischer<br />
Rechte. Bald soll die Bundeswehr auch im Inneren eingesetzt werden. Die Fußballweltmeisterschaft<br />
dient als erster Probelauf. Dann soll das weltweite Folterverbot durchlöchert werden: Innenminister<br />
Schäuble will durch Folter beschaffte Informationen verwerten und so das weltweite Folterverbot durchlöchern.<br />
Die US-Regierung braucht die europäischen Staaten als enge Verbündete für ihre „Koalition der Willigen“, um<br />
weitere „Kriege gegen den Terror“<br />
führen zu können. Aber die Kriege der USA sind selbst Terror und Quelle immer neuer Gewalt. Tatsächlich geht<br />
es ihnen um die Kontrolle der wichtigsten Öl- und anderer Energiequellen im Nahen und Mittleren Osten bis<br />
nach Zentralasien.<br />
Wir fordern:<br />
- Kein Krieg gegen den Iran<br />
- Abzug der Besatzungstruppen aus Irak und Afghanistan<br />
- Schluss mit der Beteiligung von NATO, EU und Bundeswehr an den Kriegen weltweit<br />
- Bestrafung aller Verantwortlichen für Folter, Misshandlung von Gefangenen und Angriffen gegen Zivilisten<br />
- Eine Atomwaffenfreie Zone in der Region des Nahen und Mittleren Ostens<br />
- Eine neue internationale Initiative zu weltweiter systematischer atomarer Abrüstung, wie im Atomwaffensperrvertrag<br />
festgelegt<br />
- Einrichtung einer ständigen Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit im Mittleren und Nahen Osten<br />
- Keine Kriege um Öl oder andere Ressourcen: Ausstieg aus Atom- und fossiler Energie, Einstieg in erneuerbare<br />
Energien<br />
Dafür treten wir ein:<br />
Um die drängenden Probleme der Menschen global friedlich lösen zu können, braucht die Welt keine Kriegsallianzen,<br />
wie sie z.B. bei den G8-Gipfeln geschmiedet werden, sondern Abrüstung und solidarische Zusammenarbeit.<br />
Wir wollen die Respektierung des Völkerrechts, staatlicher Souveränität und Grenzen sowie ein ziviles<br />
und soziales Europa mit der Verpflichtung zur Abrüstung. Wir brauchen vorrangig öffentlich geförderte Arbeitsplätze<br />
und Investitionen in Kinderbetreuung, Bildung, Gesundheit und Umweltschutz.<br />
Dafür werden wir gemeinsam am 14. Juli in Stralsund, und am 13. bzw. 15.<br />
Juli überall im Land demonstrieren!<br />
Kein Blut für Öl!