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1. Mai - Stadtgespräche Rostock

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�Magazin<br />

für Bewegung, Motivation und die nachhaltige Kultivierung der Region <strong>Rostock</strong><br />

<strong>1.</strong> MAI<br />

Peter Köppen: Der <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong> 2006 in <strong>Rostock</strong> >>> Ernst Helmut Qualmann im Interview „...das<br />

verlangt die Regierung von uns“ >>> Gedächtnisprotokolle von „in Gewahrsam genommenen“<br />

Teilnehmern >>> Tilman Jeremias: Einige Beobachtungen zum Polizeieinsatz<br />

>>> Nachgefragt bei Hans-Joachim Engster: „Ein Prozess auf der Suche nach dem richtigen<br />

Maß“ >>> Steffen Bockhahn: Verhinderer verhindern! >>> Sybille Bachmann: Neu nachdenken<br />

>>> Cornelia Mannewitz: Warum sind wir nicht nervös? u.v.m.<br />

12. Jahrgang<br />

Gründung: 1994<br />

ISSN 0948-8839<br />

Einzelverkaufspreis: 2,50 €<br />

Jahresabo (4 Ausgaben): 10,00 €<br />

www.stadtgespraeche-rostock.de<br />

Ausgabe Nr.


Kommentiert<br />

Damit Sie verstehen, was andere meinen.<br />

www.fahrradregion-rostock.de?


EDITORIAL / INHALT<br />

Liebe Leserinnen und Leser,<br />

wohl Niemandem, der am <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong> 2006 in <strong>Rostock</strong><br />

war, braucht man zu erklären, warum<br />

wir uns entschlossen haben, aus diesem Anlass<br />

ein Sonderheft herauszugeben – eine solche Form von Ausnahmezustand<br />

haben die meisten von uns bisher noch nicht erlebt und viele denken seit dem<br />

besorgt darüber nach, was uns dann erst im kommenden Jahr, zum G8-Gipfel<br />

erwartet.<br />

Viele Einwohner <strong>Rostock</strong>s haben ganz persönliche Eindrücke und Erlebnisse<br />

vom <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong> zu berichten – ein Teil des Heftes trägt Einzelschilderungen zusammen,<br />

die in der Summe ein vollständigeres Bild ergeben. Darüber hinaus haben<br />

wir Verantwortliche befragt, den Kriminaldirektor der Polizeidirektion <strong>Rostock</strong>,<br />

Ernst Helmut Qualmann, und den Vorsitzenden der Versammlungsbehörde<br />

und Leiter des Stadtamtes, Hans-Joachim Engster, aber auch Tilman Jeremias<br />

als Mitglied des Deeskalationsteams und den aus Anlass des <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong> gebildeten<br />

Ermittlungsausschusses der Organisatoren der Antifa-Demo… und viele andere<br />

mehr…<br />

Bedauerlich ist in diesem Zusammenhang, dass unsere an die <strong>Rostock</strong>er Bürgerschaftsfraktionen<br />

gerichtete Anfragen zum <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong> vollständig unbeantwortet<br />

blieben, obwohl doch die <strong>Mai</strong>-Sitzung der Bürgerschaft deutlich zeigte, dass das<br />

Thema in allen Parteien diskutiert wurde bzw. wird.<br />

Trotz aller Eile war die Arbeit an diesem Heft zeitaufwändig – und so erscheint<br />

es erst einen Monat nach dem Ereignis und hat doch nichts von seiner Aktualität<br />

verloren, gerade angesichts des kommenden G8-Gipfels, gerade angesichts<br />

des bevorstehenden Besuchs des Amerikanischen Präsidenten in Stralsund. Umso<br />

wichtiger ist es, das Nachdenken über „was ist sinnvoll und wie könnte es anders<br />

laufen“ wachzuhalten, weshalb ich Ihnen vor allem eine dazu anregende<br />

Lektüre wünsche<br />

Ihre Kristina Koebe<br />

Inhalt dieses Heftes<br />

Editorial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1<br />

Briefe an die Leser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2<br />

Impressum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5<br />

Titelthema: <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong> in <strong>Rostock</strong><br />

P. Köppen: Der <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong> 2006 in <strong>Rostock</strong> . . . . . .3<br />

JM: Wo - Wo - Wo bleibt Euer Widerstand? . .7<br />

E. Qualmann im Interview: „...das verlangt die<br />

Regierung von uns“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .11<br />

Informationen des Ermittlungsausschusses . .14<br />

Gedächtnisprotokolle von „in Gewahrsam genommenen“<br />

Teilnehmern . . . . . . . . . . . . . . . .16<br />

T. Jeremias: Einige Beobachtungen zum Polizeieinsatz<br />

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .19<br />

H.-J. Engster: „Ein Prozess auf der Suche nach<br />

dem richtigen Maß“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .20<br />

kai-uwe jurasinski: erlebnisbericht . . . . . . . . . .22<br />

St. Bockhahn: Verhinderer verhindern! . . . . . .24<br />

S. Bachmann: Neu nachdenken . . . . . . . . . . . .26<br />

C. Mannewitz: Warum sind wir nicht nervös? 28<br />

D. Schütz: Beitrag auf dem Tag der Fachbereiche<br />

von ver.di . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .29<br />

P. Geitmann: <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong> - Tag der Arbeit - Unser<br />

Tag! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .30<br />

T. Schultze: Was für eine Botschaft!? . . . . . . .30<br />

B. Kluger: Französisch-deutscher Jugendaustausch<br />

in M-V . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .32<br />

Rezensionen/Charlatanische Wissenschaft<br />

J. Langer: Rezension/Gelesen . . . . . . . . . . . . .34<br />

H. Blauhut: Im Vatikan gibt es zwei Päpste! . .36<br />

Gefahr: Schwarzer Block!<br />

1


FOTO: TOM MAERCKER


TITELTHEMA: INTRO<br />

Der <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong> 2006<br />

in <strong>Rostock</strong><br />

PETER KÖPPEN, REDAKTIONSMITGLIED<br />

Es ist der Nachmittag des <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong> 2006. In<br />

der Kröpeliner Strasse und auf dem Marktplatz<br />

der Hansestadt <strong>Rostock</strong> herrscht buntes<br />

Treiben. Viele Stände, flanierende Besucher,<br />

Frauen und Männer, die auf dem<br />

Markt den Rednern mehr oder weniger aufmerksam<br />

zuhören. Von der großen Tribüne<br />

sind markige Worte zu vernehmen. Ministerpräsident<br />

Ringstorff: „Wir dürfen die Augen<br />

nicht verschließen vor den menschenverachtenden<br />

Aktionen und Parolen der Rechtsextremisten<br />

[...]Wir wollen sie nicht im Land<br />

und nicht im Landtag [...]Rechtsextremisten<br />

schaden dem Zusammenhalt unserer Gesellschaft,<br />

säen Neid und Verachtung.“ Von allen<br />

Rednern die Aufforderung an die Bürgerinnen<br />

und Bürger des Landes und der Stadt:<br />

„Zeigt Zivilcourage im Kampf gegen den<br />

Rechtsextremismus!“ Und immer wieder:<br />

„Rechtsextremisten gehören nicht in unser<br />

Land!“<br />

- Die sind aber bereits da, in ganz Mecklenburg-Vorpommern.<br />

Und heute, am <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong>,<br />

marschieren sie durch <strong>Rostock</strong>.<br />

Ein Blick zurück<br />

Angemeldet beim Ordnungsamt der Hansestadt<br />

war die NPD-Demonstration bereits<br />

Ende November letzten Jahres. Sie wurde<br />

mit einer Reihe von Auflagen genehmigt<br />

und im Januar auf den rechtsradikalen Webseiten<br />

angekündigt. <strong>Rostock</strong>er Einwohner<br />

aus dem antinazistischen Spektrum in <strong>Rostock</strong><br />

reagierten. Auf ihre Initiative hin er-<br />

ging der Mahnruf „Für einen <strong>1.</strong><strong>Mai</strong> ohne<br />

Nazis“, den bis zum <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong> über 4000 Frauen<br />

und Männer unterschrieben. Der Mahnruf<br />

verstand sich als Willensbekundung zu<br />

vielfältigem Handeln. Er rief die Menschen<br />

auf, den Aufmarsch zu verhindern, sich aktiv<br />

an den unterschiedlichen Protesten gegen<br />

den Nazi-Aufmarsch zu beteiligen und einer<br />

Kriminalisierung des antifaschistischen Protestes<br />

entgegenzutreten (zum Mahnruf vgl.<br />

Beitrag von Cornelia Mannewitz).<br />

Nach einem Dementi des Vereins „Bunt<br />

statt braun“, dass dieser Aufruf vom Verein<br />

ausging, erschien dann der Aufruf von<br />

„Bunt statt braun“, DGB und Hansestadt<br />

<strong>Rostock</strong> „<strong>1.</strong> <strong>Mai</strong> 2006: <strong>Rostock</strong> bleibt bunt!“,<br />

den eine nicht näher genannte Zahl von Bürgerinnen<br />

und Bürgern unterschrieb. Die Organisationen<br />

bereiteten außerdem eine <strong>Mai</strong>kundgebung<br />

und Demo ab Werft-Dreieck,<br />

eine Demokratiemeile und ein Bürgerfest<br />

auf dem Neuen Markt vor. Das antifaschistische<br />

Aktionsbündnis „No Nazis, anywhere!“<br />

– nicht identisch mit den Initiatoren des<br />

Mahnrufes – rief zu einer Demonstration ab<br />

Holbeinplatz auf. Die Kirchen, der Verein<br />

VVdN-BdA und andere kündigten ebenfalls<br />

Aktionen an.<br />

Eine große Vielfalt unterschiedlicher Kräfte<br />

wollte sich dem NPD-Aufmarsch entgegenstellen.<br />

Ihr Erfolg hing davon ab, wieweit alle,<br />

„die an diesem Tag quer durch die Par-<br />

teien, Bündnisse, Gruppierungen und Vereine<br />

hinweg Position gegen die NPD beziehen,<br />

... sich in ihrem Ziel einig (sind) und<br />

sich nicht durch unterschiedliche Inhalte<br />

oder Aktionsformen trennen lassen, sondern<br />

sich vielmehr mit den verschiedensten<br />

Aktivitäten solidarisieren.“ (Vertreter des<br />

Antifaschistischen Aktionsbündnisses auf<br />

den Webseiten des Mahnrufs www.erstermai-nazifrei.de.vu.<br />

Die gleichfalls an die Organisatoren<br />

von „<strong>Rostock</strong> bleibt bunt“ gestellten<br />

Fragen wurden von diesen leider<br />

nicht beantwortet). Viele Beispiele im Vorfeld<br />

deuteten bereits an, dass ein gemeinsames<br />

Vorgehen für manchen nicht selbstverständlich<br />

war. Noch deutlicher wurde es am<br />

Tag des <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong>.<br />

Kampf um die Straße, die Köpfe<br />

und die Parlamente<br />

Am <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong> 2006 versammeln sich ab 10.00<br />

Uhr bis zu 2000 NPD-Anhänger auf dem<br />

Platz der Freundschaft hinter dem Hauptbahnhof,<br />

um nach einer Auftaktkundgebung<br />

gegen 13.30 mit Fahnen und Transparenten<br />

und unter dem Motto „Arbeitsplätze zuerst<br />

für Deutsche“ über Südring, Am Vögenteich,<br />

August-Bebel-Str., Richard-Wagner-<br />

Str., Rosa-Luxemburg-Str. zurück zum<br />

Hauptbahnhof zu marschieren. Sie führen<br />

Wahlkampf für den Einzug der NPD am 17.<br />

September 2006 in den Landtag und rufen<br />

auf den Zwischen- und Abschlusskundge-<br />

3


4<br />

TITELTHEMA: INTRO<br />

bungen vor der DGB-Zentrale<br />

und auf dem Leibnizplatz zum<br />

nationalen Widerstand auf (vgl.<br />

dazu den Beitrag „Wo – Wo -<br />

Wo bleibt Euer Widerstand?“).<br />

Es sind politische Aktivisten<br />

und Mitläufer, Enttäuschte und<br />

Gutgläubige, Manipulierende<br />

und Ausgenutzte, disziplinierte<br />

Marschierer oder auf gewalttätige<br />

Aktion Orientierende, Unzufriedene,<br />

Fanatisierte und<br />

Hasserfüllte. Es sind Skinhead-<br />

Schlägertypen und kritische Intellektuelle,<br />

Harz IV-Geschädigte und gut situierte<br />

Bürger, Hitleranhänger und Initiatoren<br />

von Bürgerinitiativen, Mitglieder von<br />

Kameradschaften und/ oder Mitglieder der<br />

NPD.<br />

Die einen setzen auf soziale Arbeit, die anderen<br />

auf brutale Gewalt. Die einen wollen<br />

eine antikapitalistische Zukunft für Deutschland<br />

oder treten ein für einen „internationalen<br />

und antikapitalistischen Nationalismus“,<br />

die anderen wollen der „menschenverachtenden<br />

Globalisierung... das Konzept einer<br />

am Menschen, dem Volk und seinem Lebensraum<br />

orientierten nationalen Volkswirtschaft<br />

durch Nationalisierung der Betriebe<br />

und Entflechtung des raumfremden Spekulations-<br />

und Einflusskapitals entgegensetzen.“<br />

Sie alle eint die Ablehnung demokratischer<br />

Strukturen, die Einschränkung von Grundrechten<br />

und die Befürwortung einer rechtsautoritären<br />

Diktatur, eint Ausländer- und<br />

Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und<br />

Verharmlosung oder gar Verherrlichung des<br />

NS-Regimes. Zentrale Kategorien ihres<br />

Denkens sind das „deutsche Volk“ und der<br />

Aufbau eines völkischen Staates, verbunden<br />

mit dem Gedanken der Volksgemeinschaft<br />

aller Deutschen.<br />

Diese bunte braune Szene hat sich – regional<br />

unterschiedlich stark - in ganz Deutschland<br />

als soziale Bewegung formiert, die weit in<br />

die politische Mitte der Gesellschaft hinein<br />

ausstrahlt und dort Sympathisanten, Unterstützer<br />

und Wähler besitzt. Sie stützt sich auf<br />

in der Gesellschaft weit verbreitete Verhaltensweisen<br />

wie Intoleranz, starres Festhalten<br />

an Vorurteilen, Ablehnung von Fremdem,<br />

oberflächliches und leichtfertiges Herangehen<br />

an komplizierte Probleme und regelrechte<br />

Scheu vor anstrengender intellektueller<br />

Arbeit oder gar Unvermögen dazu. Nur<br />

eine differenzierte Sicht auf die Unterschiedlichkeit<br />

der Strömungen und Gruppen<br />

und einen ganzen Komplex von Ursachen<br />

lässt die unterschiedlichen Motive für rechtsextremistisches<br />

Denken und Handeln erkennen<br />

und die Chancen, erfolgreicher auf viele<br />

der Anhänger einzuwirken.<br />

Wie wird man Neonazi?<br />

Um gar nicht erst mit den immer wieder genannten<br />

Ursachen anzufangen (zerrüttete<br />

Jugend, soziale Unsicherheit, Hereinfallen<br />

auf demagogische Rattenfänger, kluge Taktik<br />

der aus dem Westen importierten Führungskräfte,<br />

pure Dummheit vorpommerscher<br />

Glatzen und anderes), von dem so<br />

Manches auch irgendwie und irgendwo zutrifft:<br />

Rechtsextremismus bzw. Neonazismus<br />

als politische Strömung hat tieferreichende<br />

Ursachen, die in unserem gesellschaftlichen<br />

System, in dessen Schwächen, Fehlern und<br />

großen Defiziten und Defekten zu finden<br />

sind. Es ist deshalb auch kein Problem des<br />

Rechtsextremismus allein sondern ein sehr<br />

viel weiter reichendes, gesellschaftliches.<br />

Viele Menschen in unserer Gesellschaft haben<br />

auf Grund eigener Erfahrungen das<br />

Vertrauen in Parteien, in die politische Elite<br />

und in die augenblicklich praktizierte Form<br />

der parlamentarischen Demokratie sowie in<br />

die derzeitige Funktionsweise der Marktwirtschaft<br />

verloren. Viele soziologische Studien<br />

belegen das. Laut einer Langzeitstudie des<br />

Leipziger Soziologen Peter Förster vertrauen<br />

drei Viertel der jungen Ostdeutschen keiner<br />

etablierten Partei mehr und kaum noch jemand<br />

ist bereit zu gesellschaftlicher Partizipation.<br />

Zum jetzigen Gesellschaftssystem<br />

verhalten sich die jungen Leute mehrheitlich<br />

kritisch, skeptisch und distanziert. Eine große<br />

Zahl sympathisiert mit der Idee eines Sozialismus,<br />

ohne die DDR wiederhaben zu<br />

wollen.<br />

Hier können viele Varianten einer<br />

Entscheidung gefunden werden.<br />

Sie reichen vom Nihilismus und<br />

Anarchismus als Nur-Protest gegen<br />

diese Welt und ihre Werte<br />

über verschieden ausgeprägte linke<br />

Sozialismusauffassungen bis<br />

hin zum „Nationalen Sozialismus“.<br />

Die scheinbar nicht<br />

mehr zu lösenden sozialen Konflikte<br />

wie Arbeitslosigkeit mit all<br />

ihren Folgen, die Rasanz und die<br />

scheinbare Undurchschaubarkeit<br />

der Entwicklung in der Welt, ja<br />

selbst in der Region, erzeugen<br />

Angst und Unbehagen.<br />

FOTO: TOM MAERCKER<br />

Die Studie der Universität Bielefeld „Gruppenbezogene<br />

Menschenfeindlichkeit“<br />

spricht von Unsicherheit in einer Unordnung<br />

der Welt, verbunden mit Orientierungslosigkeit.<br />

Sie führt dazu, dass nun auch<br />

die politische Mitte, die weitaus größte<br />

Gruppe in Deutschland, immer stärker<br />

schrumpft und insgesamt feindseliger wird.<br />

40 Prozent der in der Studie Befragten befürchten<br />

für die Zukunft eine Verschlechterung<br />

ihrer finanziellen Situation, ein Drittel<br />

die eigene Arbeitslosigkeit. Immer öfter wird<br />

versucht, das „Gefühl der Bedrohtheit“<br />

durch Überlegenheitsgefühl insbesondere<br />

durch Betonung des Nationalstolzes sowie<br />

durch die Ablehnung der vermeintlich noch<br />

Schwächeren, z.B. der Ausländer, zu kompensieren.<br />

Es fehlt in dieser Gesellschaft eine von der<br />

Masse der Menschen annehmbare und verständliche<br />

politische und gesellschaftliche<br />

Alternative. Schon viel zu Viele meinen, sie<br />

in der „nationalen Bewegung“ zu finden.<br />

Untersuchungen sagen aus, dass in Mecklenburg-Vorpommern<br />

etwa 30 % eine rechtsradikale<br />

Einstellung haben (1998 = etwa 15<br />

Prozent). Aber nur unter 4 % wählten (bisher)<br />

die NPD. Der Rest wählt entweder gar<br />

nicht oder befindet sich bei den etablierten<br />

Parteien. Wie lange noch? Der Göttinger<br />

Parteienforscher Franz Walter befürchtet,<br />

dass die Parteien ihren Bedeutungsverlust<br />

gar nicht wahrnehmen, da sie nichts an<br />

Macht verlieren. So machen sie weiter wie<br />

bisher. Innerlich hohl in ihrer Organisation,<br />

ohne sicheres inhaltlich-politisches Selbstbewusstsein,<br />

setzen sie an die Stelle von Politik<br />

Slogans, kurzlebige Images und Marketing.<br />

Die von vielen geteilte Einschätzung des Politologen<br />

ist eine kaum noch zu überbietende<br />

Kritik am Agieren sowohl der etablierten po-


litischen als auch der linksalternativen Kräfte.<br />

Beider Vorstellungen werden nicht mehr<br />

oder nicht mehr ausreichend akzeptiert, man<br />

glaubt nicht daran, dass durch sie Veränderungen<br />

erreichbar sind. Da richtet sich so<br />

mancher Blick dann auf andere politische<br />

Kräfte. Also: „Kampf um die Straße, die<br />

Köpfe und die Parlamente“.<br />

Rechtsextremismus als eine politische Strömung,<br />

die die Grundlagen einer demokratischen<br />

Gesellschaft bedroht und als soziale<br />

Bewegung, die weit in die Bevölkerung hineinwirkt,<br />

kann nur überwunden werden,<br />

wenn sich die derzeitige Gesellschaft grundlegend<br />

verändert. Anzustreben ist eine Gesellschaft,<br />

mit größerer sozialer Sicherheit,<br />

mehr sozialer Gleichheit und größerer Gerechtigkeit<br />

in allen Lebensbereichen, mit<br />

sehr viel mehr demokratischer Partizipation,<br />

einer deutlich höheren politischen Kultur<br />

und wirksameren politischen Bildung für erlebbare<br />

Demokratie, für Toleranz und Weltoffenheit,<br />

mit unbedingter Orientierung auf<br />

Friedenspolitik und vielen anderen Elementen,<br />

die alle durchaus im Rahmen des<br />

Grundgesetzes umsetzbar sind. Das Dilemma<br />

ist, dass dabei an die politische Elite Anforderungen<br />

gestellt werden, die diese mit<br />

ihrem bisherigen Denken und ihren fest verankerten<br />

Ritualen und Vorstellungen politischen<br />

Handelns wohl kaum erfüllen kann.<br />

Und so müssen wir wohl feststellen: Der<br />

Rechtsextremismus und Neonazismus wird<br />

uns auch in Zukunft begleiten, es ist nur die<br />

Frage, in welchem Umfang und in welcher<br />

Qualität. Das hängt wesentlich vom zivilgesellschaftlichen<br />

Engagement der demokratischen<br />

Kräfte ab, ihrem Zusammengehen<br />

trotz unterschiedlicher Vorstellungen ( was<br />

selbstverständlich oft sehr schwer, aber unabdingbar<br />

ist), ihrem offensiven Vorgehen,<br />

einer differenzierten Sicht auf den Rechtsextremismus<br />

und einem dementsprechend<br />

unterschiedlichen Reagieren, einem konkreten<br />

und auch materiell und finanziell abgesicherten<br />

Handeln statt nichtssagender Phrasendrescherei.<br />

Es wird auch dann und wohl<br />

immer Menschen geben mit rechtsextremistischen<br />

Auffassungen, was zu zwischenmenschlichen<br />

Problemen, aber nicht zu gesellschaftspolitisch<br />

existentiellen führen<br />

kann.<br />

Das Beispiel <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong><br />

Am <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong> ging es nicht um Diskussion, um<br />

Ursachenforschung und Differenzierung,<br />

sondern ganz einfach darum, den „Kampf<br />

um die Straße“ aufzunehmen. Nicht erst auf<br />

der Kundgebung auf dem Marktplatz, schon<br />

im Vorfeld hörte man starke Worte von so<br />

manchem Politiker und Funktionär. Die<br />

Landtagspräsidentin schloss einen Sitzstreik<br />

nicht aus, der DGB plante verschiedene Aktionen<br />

und der Vorsitzende des DGB Nord,<br />

Peter Deutschland, erklärte noch auf der<br />

Kundgebung: „Wir demonstrieren heute<br />

hier auf verschiedene Weise: Hier auf diesem<br />

Platz mit Musik, Kabarett und Diskussionsrunden<br />

und ganz in der Nähe auf den<br />

Straßen. Die einen zeigen ihre Ablehnung<br />

stumm, die anderen stellen sich den Neonazis<br />

in den Weg, indem sie friedlich Straßen<br />

blockieren. Alle Formen des Protests, so sie<br />

denn gewaltlos ablaufen, sind in meinen Augen<br />

legitim.“<br />

Das war zu einem Zeitpunkt, als die über<br />

4000 Polizisten (einschl. einer Reiterstaffel<br />

mit 26 Pferden) die Stadt bereits in den nicht<br />

offiziell erklärten Belagerungszustand versetzt,<br />

Straßen gesperrt und den öffentlichen<br />

und privaten Nahverkehr nahezu lahmgelegt<br />

hatten. Der etwa 2000 zumeist junge Leute<br />

umfassende Zug der Antifa unter dem Motto<br />

„No Nazis, anywhere! Weder auf der<br />

Straße noch im Parlament. <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong> bleibt<br />

links!“ hatte sich nach dem Verbot der ursprünglichen<br />

Route dem Weg der offiziellen<br />

Gewerkschaftsdemo – ebenfalls etwa 2000<br />

Teilnehmer, bis zu 20.000 waren im Vorfeld<br />

erwartet - angeschlossen.<br />

Nach offizieller Auflösung der Antifa-Demo<br />

in der Langen Straße/Breiten Straße versuchten<br />

verschiedene Trupps, an die Demostrecke<br />

der NPD in der August-Bebel-Str.<br />

heranzukommen. Polizeikräfte verhinderten<br />

es sofort und mit aller Schärfe. Auch der<br />

Versuch, am Steintor durchzukommen,<br />

scheiterte am Polizeikordon. Etwa 40 bis 50<br />

Demonstranten wurden bis zu zweieinhalb<br />

Stunden im Polizeikessel in „Gewahrsam“<br />

genommen, mit Kabelbindern gefesselt „zugeführt“,<br />

viele Stunden in entwürdigenden<br />

Verhältnissen festgehalten, erkennungsdienstlich<br />

behandelt und zum Teil erst spät<br />

in der Nacht Kilometer von <strong>Rostock</strong> entfernt<br />

wieder freigelassen (vgl. Bericht des<br />

Ermittlungsausschusses der Organisatoren<br />

der Antifa-Demo und die Auszüge aus den<br />

Gedächtnisprotokollen von Demonstrationsteilnehmern,<br />

die während des <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong><br />

durch die Polizeikräfte in Gewahrsam genommen<br />

wurden).<br />

Ganz augenscheinlich gab es zwei unterschiedliche<br />

Auffassungen in den politischen<br />

Impressum<br />

<strong>Stadtgespräche</strong> Heft 43:<br />

„<strong>1.</strong> <strong>Mai</strong>”<br />

Ausgabe Juni 2006<br />

(Redaktionsschluss: 07. Juni 2006)<br />

Herausgeber:<br />

Bürgerinitiative für eine solidarische Gesellschaft e.V.<br />

<strong>Rostock</strong> in Zusammenarbeit mit der Geschichtswerkstatt<br />

<strong>Rostock</strong> e.V.<br />

Redaktion und Abonnement:<br />

Redaktion »<strong>Stadtgespräche</strong>«<br />

Kröpeliner Tor<br />

18055 <strong>Rostock</strong><br />

Tel. 0381-1216413<br />

Fax 0381-1216413<br />

E-<strong>Mai</strong>l: redaktion@stadtgespraeche-rostock.de<br />

Internet: www.stadtgespraeche-rostock.de<br />

Verantwortlich (V.i.S.d.P.):<br />

Tom Maercker<br />

Dr. Kristina Koebe<br />

Redaktion:<br />

Dr. Kristina Koebe<br />

Tom Maercker<br />

Dr. Peter Koeppen<br />

Dr. Jens Langer<br />

Björn Kluger<br />

Die einzelnen Beiträge sind namentlich gekennzeichnet<br />

und werden von den Autorinnen und Autoren selbst<br />

verantwortet.<br />

Layout:<br />

Tom Maercker, be:deuten.de<br />

Mediadaten:<br />

Gründung: 1994<br />

Erscheinung: 12. Jahrgang<br />

ISSN: 0948-8839<br />

Auflage: 250 Exemplare<br />

Erscheinung: quartalsweise<br />

Einzelheftpreis: 2,50 EUR<br />

Herstellung: durch Kopieren (Copy-Team <strong>Rostock</strong>)<br />

Kopie auf 100% Recycling-Papier<br />

Anzeigenpreise (Kurzfassung):<br />

(ermäßigt / gültig für 2006)<br />

3. Umschlagseite (Spalten-Millimeter-Preis): 0,25 EUR<br />

4. Umschlagseite (nur komplett): 145,00 EUR<br />

Details auf unserer Website im Internet<br />

Verkausstellen:<br />

Unibuchhandlung Thalia, Breite Str. 15-17<br />

Unibuchhandlung Weiland, Kröpeliner Str. 80<br />

die andere Buchhandlung, Ulmenmarkt 1<br />

Evangelische Buchhandlung. Am Ziegenmarkt 4<br />

Kröpeliner Tor, Kröpeliner Str.<br />

KaffeeLager<strong>Rostock</strong>, Margaretenstraße 47<br />

Bankverbindung<br />

(für Abo-Überweisungen und Spenden)<br />

Kto.: 207350082<br />

BLZ: 76060561<br />

bei der ACREDOBANK e.G. Nürnberg<br />

Abonnement:<br />

Jahresabonnement (4 Ausgaben): 10,00 EUR<br />

Einen Aboantrag finden Sie auf S. 23 (bzw. als<br />

PDF-Datei zum Ausdrucken und Ausfüllen auf<br />

unserer Website im Internet).<br />

5


6<br />

TITELTHEMA: INTRO/BERICHT<br />

Führungsetagen. Die einen (Vertreter des<br />

DGB und einige Landtagsabgeordnete) waren<br />

für einen Protest, der sich auch als<br />

Gegendemonstration verstand, der den Teilnehmern<br />

der NPD-Demo gewaltfrei gegenübertrat<br />

und Sitzblockaden einschloss. Die<br />

anderen wollten das um jeden Preis verhindern.<br />

Dieser Preis hieß Polizeieinsatz gegen<br />

alle Gegendemonstranten, die sich dem Zug<br />

der Neonazis auch nur aus der Ferne näherten.<br />

Da die Polizei dies durchzusetzen hatte,<br />

kann diese Weisung nur vom Innenministerium<br />

des Landes und wohl auch des Bundes<br />

gekommen sein. Die politische Haltung, die<br />

dahinter steht, hat die Vorsitzende des Vereins<br />

„Bunt statt braun“, Britta Volle, besonders<br />

klar zum Ausdruck gebracht und erhielt<br />

dafür in den rechtsradikalen Internetseiten<br />

ausdrücklich ein dickes Lob. Sie sagte:<br />

„Wir respektieren das Recht der NPD, ihre<br />

verfassungsgemäßen Rechte auf Demonstration<br />

und freie Meinungsäußerung auszuleben.“<br />

Es gehe nicht darum, gegen die<br />

NPD zu demonstrieren, sondern für Toleranz<br />

und Menschenwürde.<br />

Die wurde derweil an der Steintorkreuzung<br />

Ecke Richard-Wagner-Straße durch die polizeilichen<br />

Einsatzkräfte auf ihre Weise praktiziert.<br />

Hier regierten nicht Toleranz und<br />

Menschenwürde, Jobparade und Friedensfest,<br />

sondern der Gummiknüppel. Nachdem<br />

aus den Reihen der Neonazi-Gegner Flaschen<br />

in Richtung der NPD-Demo geworfen<br />

wurden, setzte die Polizei massive Gewalt<br />

unter Schlagstockeinsatz gegen die 300 -<br />

500 Demonstranten ein, die es geschafft hatten,<br />

näher an die NPD-Demo-Route heranzukommen.<br />

Oder denen es – sollte das ganze<br />

als eine Polizeiübung an Menschen geplant<br />

gewesen sein – gerade an dieser Stelle<br />

ermöglicht wurde.<br />

Man wäre lebensfremd zu bestreiten, dass es<br />

bei den Gegendemonstranten keine gewaltbereiten<br />

Krawallmacher gäbe und auch immer<br />

geben wird. Ebenfalls werden Emotionen<br />

hochkochen, wenn viele Nazigegner<br />

durch die bürgerkriegsähnliche Präsenz der<br />

Polizei provoziert werden und es nicht möglich<br />

ist, dem politischen Gegner den Protest<br />

hörbar zu vermitteln. All dem kann man –<br />

sofern der Wille vorhanden ist– vor und<br />

während der Demonstrationen anders als<br />

mit Gewalt und Polizeiknüppel begegnen,<br />

auch gemeinsam mit den Demonstranten<br />

und dem anwesenden Deeskalations-Team<br />

aus Vertretern von DGB, Kirche und Lan-<br />

desvertretern. Allerdings nicht dann, wenn<br />

die Demonstranten als eine einzige Horde<br />

von wilden Chaoten angesehen werden, wie<br />

mit dem Blick auf den G8-Gipfel in Heiligendamm<br />

durch den Landtagsabgeordneten<br />

und Kreisvorsitzenden der CDU Bad Doberan,<br />

Dr. Henning von Storch:<br />

06.05.2006: Bad Doberan/MVr Der Landtagsabgeordnete<br />

und Kreisvorsitzende der<br />

CDU Bad Doberan, Dr. Henning von<br />

Storch, der den Wahlkreis im Landtag vertritt,fordert<br />

ein hartes Vorgehen gegen randalierende<br />

Gipfelgegner<br />

„Kritische Meinungen und alternative Gedanken<br />

zu dem Gipfel sind gerne willkommen,<br />

jedoch zeigen die vorherigen Gipfel,<br />

dass blinde Zerstörungswut und extremistische<br />

Parolen die Demonstrationen der Gegner<br />

kennzeichneten.“ Die Erfahrungen der<br />

<strong>Mai</strong>veranstaltung am vergangenen Montag<br />

in <strong>Rostock</strong> seien ein Beleg für die hohe Gewaltbereitschaft<br />

linksextremistischer Teilnehmer.<br />

„Gewaltbereite dürfen auch nicht<br />

von Politikern in Schutz genommen werden<br />

und im Gegenzug Polizeikräfte für konsequentes<br />

Vorgehen kritisiert werden. Dass<br />

sich nun auch ein <strong>Rostock</strong>er Senator mit<br />

Autonomen ablichten lässt, ist eine Verhöhnung<br />

unserer mutigen Ordnungskräfte.“<br />

(MVregio vom 6.5.06)<br />

Wolfgang Nitzsche, Senator für Umwelt, Soziales,<br />

Jugend und Gesundheit in der Hansestadt<br />

<strong>Rostock</strong>, PDS, bewies neben vielen<br />

anderen <strong>Rostock</strong>erinnen und <strong>Rostock</strong>ern,<br />

dass er Zivilcourage nicht nur als verbale<br />

Floskel und eisleckenden Bummel über die<br />

Demokratiemeile verstand. Von Storchs<br />

Scharfmacherei verhindert nicht Gewalttätigkeit,<br />

sondern befördert sie. Wenn – wie<br />

befürchtet – der Polizeieinsatz am <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong> so<br />

etwas wie eine Großübung und Einschüchterungsveranstaltung<br />

für den G8-Gipfel war,<br />

kann für den diesjährigen Besuch des amerikanischen<br />

Kriegshäuptlings in Stralsund und<br />

für den G8-Gipfel 2007 Schlimmes erwartet<br />

werden.<br />

Neben von Storch lobte auch die NPD die<br />

„mutigen Ordnungskräfte“. Im Dankesgruß<br />

des NPD-Landesvorstandes vom 2. <strong>Mai</strong><br />

hieß es: „Hiermit bedankt sich der Landesvorstand<br />

der NPD in M-V bei allen Kameraden,<br />

welche durch Organisation, Unterstützung,<br />

Mitarbeit und Teilnahme zum guten<br />

Gelingen der Veranstaltung am <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong>, dem<br />

Kampftag des deutschen Arbeiters, in <strong>Rostock</strong><br />

beigetragen haben. Auch das korrekte<br />

Verhalten der Polizeikräfte soll hier lobend<br />

erwähnt werden...“ Na also. Von Seiten der<br />

NPD gibt es also keinen Klärungsbedarf,<br />

allerdings bei vielen Gegendemonstranten.<br />

So möchten viele gerne darüber sprechen,<br />

wie an einem solchen Tag Zivilcourage wirksam<br />

werden kann außer beim braven Zuhören<br />

der Politikerreden und den musikalischen<br />

Einlagen. Und wie einer Einladung<br />

zur <strong>1.</strong><strong>Mai</strong>-Demonstration nachzukommen<br />

ist, wenn man faktisch ausgesperrt wird oder<br />

wie sie zu verlassen ist, wenn man – zunächst<br />

doch reingekommen - nicht mehr<br />

rauskommt aus der Polizeiabsperrung. Viele<br />

möchten wissen, wann junge, (noch) sehr<br />

engagierte, ihre Unabhängigkeit behauptende,<br />

sicher auch nicht „pflegeleichte“ Leute<br />

mit anderen Auffassungen endlich als gleichwertige<br />

Partner der Zusammenarbeit angenommen<br />

werden, ohne sie mit einem Alleinvertretungsanspruch<br />

der Bunt statt braun -<br />

Organisatoren faktisch auszugrenzen usw.<br />

Wie der vielen noch aus den Wendemonaten<br />

1989/90 her bekannte Bürgerrechtler Heiko<br />

Lietz mitteilte, lehnte es die Stadt <strong>Rostock</strong><br />

allerdings ab, als Mitveranstalter an einer<br />

durch die Evangelische Akademie Mecklenburg-Vorpommern<br />

angeregten Veranstaltung<br />

am 12.Juni 2006 in <strong>Rostock</strong> mit Innenminister<br />

Timm über die Ereignisse des<strong>1.</strong><strong>Mai</strong><br />

und ihre Auswirkungen aufzutreten. Da es<br />

inzwischen auch ein klärendes Gespräch<br />

zwischen dem DGB und dem Innenminister<br />

gegeben habe, gäbe es auch beim DGB keinen<br />

weiteren Klärungsbedarf. Keine der im<br />

Landtag und der <strong>Rostock</strong>er Bürgerschaft tätigen<br />

Parteien vertritt mit Nachdruck die<br />

Forderung nach eindeutiger Untersuchung<br />

der Ereignisse am <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong> in <strong>Rostock</strong>, auch<br />

nicht die PDS. So bleibt wohl, was Heiko<br />

Lietz abschließend erklärte: „So müssen wir<br />

selber zusehen, wie wir mit unseren offenen<br />

Fragen umgehen.“ ¬


„Wo - Wo - Wo<br />

bleibt<br />

Euer<br />

Widerstand?“<br />

JM<br />

Um 1<strong>1.</strong>00 Uhr zum vorgesehenen Beginn des Aufmarsches der NPD haben sich nur etwa 500 bis 700 Neonazis am Südausgang<br />

des <strong>Rostock</strong>er Hauptbahnhofes versammelt. Viele Neonazis befinden sich zu diesem Zeitpunkt noch auf der Anreise bzw. stekken<br />

in Vorkontrollen der Polizei fest. Unter den bereits Anwesenden befindet sich Stefan Köster, NPD-Bundesgeschäftsführer<br />

und Landesvorsitzender des NPD-Landesverbandes Mecklenburg-Vorpommern aus Lübtheen. Am Rande einer Wahlkampfveranstaltung<br />

am 4. Dezember 2004 in Schleswig-Holstein griff er zusammen mit weiteren führenden NPD-Funktionären und<br />

dem parteieigenen so genannten „Ordnungsdienst“ antifaschistische Demonstrant/innen an. Ein Fernsehteam der ARD dokumentierte<br />

unter anderem, wie Stefan Köster auf eine am Boden liegende Frau eintritt. Wenige Tage nach dem Aufmarsch in <strong>Rostock</strong><br />

wird er deshalb vom Amtsgericht Itzehoe zu 6 Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung wegen gemeinschaftlicher Körperverletzung<br />

verurteilt. Am <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong> fungiert er gegenüber dem Ordnungsamt als Anmelder des Neonaziaufmarsches.<br />

Am Rande des Platzes der Freundschaft werden Ordnerkräfte der NPD eingewiesen: Diese haben sich in militärischer Formation zum Appell<br />

aufgestellt, werden über Megaphon auf ihre Aufgaben eingeschworen. Dabei werden auch die umfangreichen versammlungsrechtlichen<br />

Auflagen der Hansestadt <strong>Rostock</strong> für den Aufmarsch der NPD verlesen. So sind unter anderem jegliche den NS-Faschismus verherrlichende<br />

Parolen, das geschlossene Marschieren in Blöcken und das Mitführen der sogenannten Reichskriegsflagge verboten. Was diese Auflagen<br />

wert sind, zeigt sich ein paar Meter weiter auf der für die Auftaktkundgebung aufgebauten Bühne. Die neonazistischen Liedermacher „Annett<br />

und Michael“ bieten ihre rassistischen, den deutschen Faschismus verherrlichenden Machwerke dem wartenden Publikum dar. Dabei<br />

nimmt das musizierende Ehepaar Müller mehrfach auf die Parole „Die Straße frei dem nationalen Widerstand“ Bezug, deren Benutzung die<br />

Hansestadtstadt <strong>Rostock</strong> per Auflage in „allen Varianten“ untersagt hatte. Erkennbare Konsequenzen hat dieser Verstoß gegen die Auflagen<br />

keine, genauso wenig wie unzählige Tattoos und insbesondere T-Shirts mit z.T. eindeutig untersagten Inhalten. Mindestens eine Reichskriegsflagge<br />

(siehe Foto) kann bis zum Ende des Aufzuges unbehelligt mitgeführt werden.<br />

Die Straßen rund um die Route der Neonazis sind an diesem Tag aus Sicht der Neonazis allerdings tatsächlich „frei“; freigehalten durch ein<br />

massives Polizeiaufgebot: Rund um den Platz der Freundschaft befinden sich neben einigen Journalist/innen kaum Schaulustige, Protestierende<br />

sind gar nicht auszumachen. Wer weder Glück noch Presseausweis hat, kommt gar nicht erst zum Kundgebungsplatz, sondern wird<br />

an den Polizeisperren mehrere hundert Meter entfernt gestoppt. Ärgerlich insbesondere für viele Bahnreisende, die nicht zum Bahnhof<br />

durchkommen. An einigen Absperrungen werden selbst Menschen mit Bahnfahrkarte nicht durchgelassen, an anderen nur mit Fahrkarte, an<br />

7


TITELTHEMA: FAKTEN<br />

wiederum anderen nur, wenn den anwesenden<br />

Polizist/innen die Nasen der Durchlass<br />

begehrenden Reisenden passen. Willkür total.<br />

Eine Momentaufnahme zur Mittagsstunde:<br />

Ein 40-50 jähriger Mann steht einsam und<br />

alleine mit einem offensichtlich – vielleicht<br />

spontan – selbstgefertigten Schild mit einer<br />

antifaschistischen Parole in ungefähr 150–<br />

200 Meter Entfernung zur Auftaktkundgebung<br />

der NPD. Zwischen ihm und den Neonazis<br />

befindet sich eine martialisch ausgerüstete<br />

Kette von Polizist/innen und eine Straße.<br />

Weder für den Mann, noch gar für die<br />

Versammlung der NPD ist eine „Gefahr“ zu<br />

erkennen. Kurz nachdem er seinen stillen<br />

Protest begonnen und sein Schild ausgepakkt<br />

hat, wird er von einem Polizisten aufgefordert,<br />

dieses wieder einzupacken und sich<br />

zu entfernen. Der Mann bleibt stehen und<br />

protestiert gegen diese Einschränkung seiner<br />

Grundrechte. Als Reaktion erhält er einen<br />

mündlichen Platzverweis für die Innenstadtregion<br />

und wird von 3 Polizisten in<br />

Richtung Südstadt wegbegleitet. Einige Neonazis,<br />

die diese Szene vom Rande ihrer<br />

Kundgebung aus beobachten, reagieren mit<br />

spontanem Beifall für die Maßnahme der<br />

Polizei. Ähnliche Situationen wiederholen<br />

sich später während des Aufmarsches.<br />

Nach und nach treffen von Polizeifahrzeugen<br />

begleitete Kleinkonvois aus Bussen und<br />

PKW mit Teilnehmer/innen des Aufmarsches<br />

ein. Die Kennzeichnen verraten, dass<br />

Teilnehmer/innen aus der ganzen BRD<br />

nach <strong>Rostock</strong> gekommen sind. Auf dem<br />

sich füllenden Kundgebungsplatz wird aus<br />

einer Gulaschkanone Suppe gereicht.<br />

8<br />

FOTO: JM<br />

Als Höhepunkt der Auftaktkundgebung war<br />

schon im Vorfeld der erste öffentliche Auftritt<br />

eines in den Tagen zuvor in die Schlagzeilen<br />

geratenen Neuzugangs der NPD angekündigt<br />

worden. Andreas Wagner, ehemaliges<br />

Mitglied des WASG-Bundesvorstands<br />

aus Sachsen, hatte sich durch die Landtagsfraktion<br />

der NPD Sachsen als „Sozialreferent“<br />

anstellen lassen. Der medial geschickt<br />

inszenierte Höhepunkt verläuft dann jedoch<br />

auffällig sensationslos: Ein paar Plattitüden<br />

zum „Zusammenhang zwischen nationaler<br />

und sozialer Frage“, zum „Verrat an den<br />

Interessen des kleinen Mannes“ durch<br />

Linkspartei.PDS und DGB – mehr war<br />

nicht zu hören. Insbesondere auch nicht<br />

zum persönlichen Hintergrund seines auch<br />

in Neonazikreisen kritisch hinterfragten<br />

plötzlichen Wechsels von der linken – sich<br />

antifaschistisch positionierenden – WASG<br />

hin zur NPD. Unmittelbar vor dem Start der<br />

Demonstration werden „Grußbotschaften“<br />

ausländischer neonazistischer Gruppierungen<br />

– zum Teil auch von anwesenden Vertretern,<br />

so zum Beispiel aus Griechenland –<br />

verlesen.<br />

Erst mit fast zweieinhalbstündiger Verspätung<br />

setzt sich um 13.20 Uhr schließlich, angeführt<br />

durch ein Leittransparent mit dem<br />

Motto der Demonstration: „Fremdarbeiter<br />

stoppen – Arbeit für Deutsche“, der Zug der<br />

inzwischen etwa <strong>1.</strong>500 Neonazis vom Platz<br />

der Freundschaft in Richtung Innenstadt in<br />

Bewegung. Der Marsch führt über Südring,<br />

Am Vögenteich, Vögenteich, August-Bebel-<br />

Straße, Steintor, Richard-Wagner-Straße, Rosa-Luxemburg-Straße,<br />

Konrad-Adenauer-<br />

Platz, Goethestraße, Goetheplatz und Südring<br />

zurück zum Platz der Freundschaft.<br />

Eine beim Aufmarsch der Neonazis entgegen den<br />

Auflagen der Hansestadt <strong>Rostock</strong> mitgeführte Reichskriegsflagge<br />

(in der von 1933-1935 gebräuchlichen<br />

Version)<br />

Zwischenkundgebungen finden in der August-Bebel-Straße<br />

auf der Straßenkreuzung<br />

vor dem DGB-Haus und am Leibnizplatz<br />

statt.<br />

Mit höhnischen Parolen wie „Wo - Wo - Wo<br />

bleibt Euer Widerstand?“ kommentierten<br />

die Neonazis das fast vollkommene Fehlen<br />

eines an ihrer Marschroute sicht- oder hörbaren<br />

antifaschistischen Protestes. Aufgrund<br />

der massiven Polizeiabsperrungen ist abgesehen<br />

von den an der gesamten Route der<br />

NPD aufgehängten DGB-Plakaten bis auf<br />

die Kundgebung am DGB Haus und die<br />

Kreuzung am Steintor tatsächlich wenig vom<br />

vielfältigen Protest in der Stadt zu vernehmen.<br />

Polizei und politische Verantwortliche<br />

haben es sich allem Anschein nach zur Aufgabe<br />

gemacht, die gesamte Route der Neonazis<br />

zur temporären „national befreiten<br />

Zone“ zu erklären und jede abweichende<br />

Meinungsäußerung zu unterbinden. Geduldet<br />

wird nur, wer die Nazis mit neutraler<br />

Miene vorbeimarschieren zu ertragen bereit<br />

ist. Ein klarer Bruch von elementaren<br />

Grundsätzen des Versammlungsrechts und<br />

eine quasi Privatisierung von öffentlichem<br />

Raum zugunsten der NPD.<br />

Auf der Straßenkreuzung vor dem DGB-<br />

Haus sprechen Udo Voigt, Parteivorsitzender<br />

der NPD (Bayern), Udo Pastörs (Spitzenkandidat<br />

der NPD-MV zur Landtagswahl<br />

am 17. September) und Stefan Köster.<br />

Auf dem Dach des mit zwei riesigen antifaschistischen<br />

Transparenten verhüllten Gewerkschaftshauses<br />

stehen der stellvertretende<br />

DGB-Nord Vorsitzende Ingo Schlüter,<br />

Konstantin Wecker und viele Gewerkschafts(jugend)mitglieder<br />

und gucken hilflos


der Kundgebung der Neonazis zu. Eine von<br />

der DGB-Jugend geplante Protestaktion fällt<br />

kurzfristig aus. Die Polizei hat untersagt, eine<br />

auf dem Dach befindliche Musikanlage<br />

in Betrieb zu nehmen, mit deren Hilfe die<br />

Provokation der NPD vor dem Gewerkschaftshaus<br />

gestört werden soll. Die Neonazis<br />

verhöhnen und provozieren die Gewerkschafter/innen<br />

mit Rufen wie „Arbeiterverräter“<br />

und „kommt doch runter“. Genüsslich<br />

wird in den Redebeiträgen auf den <strong>1.</strong><br />

<strong>Mai</strong> 1933 angespielt und gedroht, der DGB<br />

hätte seine „Daseinsbestimmung“ längst<br />

verraten. Inhaltlich überschneiden sich die<br />

Redebeiträge zum Teil stark. Vorgetragen<br />

werden neben sozialdemagogischen Parolen<br />

zentrale Versatzstücke des Programms der<br />

NPD, wie die Forderung nach einer „raumorientierten<br />

Volkswirtschaft“, der „Förderung<br />

des deutschen Mittelstandes“ und ein<br />

„Gesetz zur Ausländerheimführung“. Insbesondere<br />

im Zusammenhang mit einem propagierten<br />

„nationalen Kampf gegen Globalisierung“<br />

wird auch antisemitisch konnotiert<br />

gegen ein „raumfremdes Spekulationsund<br />

Einflusskapital“ („die Globalisierer“)<br />

gehetzt. Für die am 17.September stattfindenden<br />

Landtagswahlen in Mecklenburg-<br />

Vorpommern wird als Ziel 7 plus X Prozent<br />

ausgegeben und ein „heißer Wahlkampf mit<br />

bundesweiter Unterstützung“ angekündigt.<br />

Nach kein Ende nehmen wollenden Reden<br />

geht es weiter. In Höhe Schifffahrtsmuseum/Steintor<br />

sind lautstarke „Nazis raus!“<br />

Rufe und andere antifaschistische Parolen zu<br />

hören. Zu sehen sind die Rufenden nicht,<br />

Polizeifahrzeuge versperren die Sicht. 2-3<br />

Flaschen fliegen über Polizei -ketten und -<br />

fahrzeuge hinweg in den Aufzug der NPD.<br />

Getroffen wird niemand. Ordner der NPD<br />

reagieren, indem sie mitgebrachte Plakate als<br />

Schilde einsetzen, um mögliche weitere<br />

Wurfgeschosse abzuwehren. Dazu kommt<br />

es jedoch nicht. Die Polizei rückt unter dem<br />

Beifall der Neonazis gegen die Protestierenden<br />

vor.<br />

Am Leibnizplatz folgt eine weitere lange<br />

Kundgebung mit Beiträgen von Holger Apfel<br />

(NPD Multifunktionär, u.a. Vorsitzender<br />

der NPD-Fraktion im sächsischen Landtag),<br />

Thorsten Heise (führender Aktivist der sogenannten<br />

„Freien Kameradschaften“, Mitglied<br />

im Bundesvorstand der NPD) und Patrick<br />

Wieschke (Funktionär der NPD an der<br />

Schnittstelle zur Kameradschaftszene). Die<br />

Reden überschneiden sich mit bereits gesagtem<br />

und sind z.T. aus bereits im sächsischem<br />

Landtag und auf anderen Aufmärschen gehaltenen<br />

Reden wörtlich übernommen. Langeweile<br />

macht sich unter den Neonazis breit.<br />

Viele unterhalten sich, einige setzen sich in<br />

die Frühlingssonne. Es geht offensichtlich<br />

weniger um Inhalte, sondern darum, alle<br />

Flügel der NPD zu berücksichtigen und den<br />

Aufmarsch im Sinne des „Kampfes um die<br />

Straße“ möglichst in die Länge zu ziehen,<br />

um öffentlichen Raum besetzt zu halten.<br />

Gegen 17.15 Uhr trifft der Zug der NPD<br />

wieder am Platz der Freundschaft ein und<br />

wird dort beendet. ¬<br />

Auszug aus dem Auflagenbescheid der<br />

Hansestadt <strong>Rostock</strong> (Ordnungsamt) zur<br />

Versammlung der NPD:<br />

...<br />

3. Die Verwendung von Fahnen – außer der<br />

Bundesflagge und der Flaggen der beste-<br />

henden deutschen Bundesländer und der<br />

Flagge der europäischen Union, deren Ein-<br />

satz unbeschränkt bleibt - wird mit der<br />

Maßgabe gestattet, daß eine Fahne pro 50<br />

Teilnehmer verwendet werden darf und die<br />

Fahnen über den gesamten Aufzug gleich-<br />

mäßig zu verteilen sind. Nicht mitgeführt<br />

werden dürfen die Reichskriegsflagge und<br />

Fahnen, die gesetzlich verboten sind<br />

...


FOTO: TOM MAERCKER


TITELTHEMA: INTERVIEW<br />

„…das verlangt die Regie-<br />

rung von uns, das verlangt<br />

das Gesetz von uns“<br />

Interview mit dem Leiter der Polizeidirektion <strong>Rostock</strong>,<br />

Kriminaldirektor Ernst Helmut Qualmann<br />

DAS INTERVIEW FÜHRTE KRISTINA KOEBE, REDAKTIONSMITGLIED<br />

E. Qualmann: Ein paar Worte vielleicht schon vorab. Eigentlich ist für<br />

mich nach dem Gespräch mit dem DGB der <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong> abgehakt. Es hat<br />

ja Gespräche mit Herrn Schlüter und Herrn Klein gegeben, in denen<br />

diese sich für die Attacken in der Presse entschuldigt haben, die<br />

schon an diesem Tag, aber auch in den Stellungnahmen danach erschienen<br />

sind. Nichtsdestotrotz – wenn es da noch offene Fragen<br />

gibt, sehe ich das auch als sinnvoll an darüber noch mal zu sprechen.<br />

Außerdem möchte ich noch einmal betonen, dass wir einen Gesetzesauftrag<br />

zu befolgen haben. Ob uns das also passt oder nicht, das<br />

sei dahingestellt. Auch unsere persönlichen Befindlichkeiten stehen<br />

da hinten an – ich persönlich möchte auch keine Nazis in <strong>Rostock</strong><br />

haben. Und die jungen Leute, die sie schützen müssen, auch nicht.<br />

Mindestens ebenso wenig, wie diejenigen die dort draußen stehen<br />

und deren Aufmarsch verhindern wollen. Und trotzdem müssen sie<br />

dort ihren Job machen und ihren Dienst – das verlangt die Regierung<br />

von uns, das verlangt das Gesetz von uns. So eindeutig ist die Position.<br />

Das wird immer missverstanden, wenn es heißt, die Polizei<br />

würde Rechte beschützen – das ist eine Unterstellung, die ist in der<br />

Tat schon ein Stück weit beleidigend.<br />

Der Redaktion liegen Fotos vor, die ein Mitführen der Reichskriegsflagge<br />

während der NPD-Demonstration am <strong>1.</strong>5. dokumentieren. Wie erklären<br />

Sie sich, dass die NPD-Demonstration trotz Nichterfüllung der durch die<br />

Hansestadt <strong>Rostock</strong> bzw. die Landespolizei verhängten Auflagen fortgeführt<br />

werden konnte?<br />

E. Qualmann: Grundsätzlich ist es so, dass Auflagen durch die Versammlungsbehörde<br />

erteilt werden. Versammlungsbehörde ist die<br />

Stadt. Bei jedem Aufmarsch, bei jeder Kundgebung und Versammlung<br />

sind Mitarbeiter dieser Versammlungsbehörde zugegen. Schon<br />

beim Veranstaltungsbeginn wird seitens der Polizei darauf geachtet,<br />

dass die Auflagen eingehalten werden, das betrifft Bekleidung, Fahnen,<br />

Transparente, Ordner werden überprüft und ausgeschlossen,<br />

wenn nötig. Das ist ein ganzer Komplex von Maßnahmen – der läuft<br />

im Beisein der Versammlungsbehörde ab, die also die Polizei autorisiert,<br />

diese Auflagen durchzusetzen.<br />

Mir ist auch nicht bekannt geworden, dass eine verbotene Flagge<br />

mitgeführt worden wäre. Es gibt hier eine weit verbreitete Irritation<br />

– es gibt eine Reichskriegsflagge die verboten ist, eine andere ist es<br />

nicht. Die verbotene Flagge hat ein Hakenkreuz in der Mitte, das übliche<br />

Eiserne Kreuz ist eben nicht verboten.<br />

11


12<br />

TITELTHEMA: INTERVIEW<br />

Was würde denn passieren, wenn verbotene Insignien auftauchen würden?<br />

Was passiert, wenn gegen die Auflagen verstoßen wird?<br />

E. Qualmann: Der Verantwortliche würde in jedem Fall aufgefordert,<br />

den Verstoß einzustellen. Und er hat auch in jedem Fall mit einer<br />

Sanktion zu rechnen. Aber es würde im Einzelfall nicht zur Auflösung<br />

der Versammlung führen. Man muss immer die Verhältnismäßigkeit<br />

eines Verstoßes sehen: Ist es der Verstoß eines Einzelnen<br />

oder einer Gruppe oder eine durch einen Versammlungsleiter geduldete<br />

Maßnahme größeren Ausmaßes. Da hat der Gesetzgeber die<br />

Hürde auch ein Stück höher gehängt – nicht jede Aktion Einzelner<br />

oder kleinerer Gruppen führt zwangsläufig dazu, dass die Polizei die<br />

Versammlung auflösen darf. Das Ganze ist also ein sehr komplizierter<br />

und komplexer Prozess – genau deshalb ist ja die Versammlungsbehörde<br />

immer mit vor Ort. Verschwörungen oder organisierte<br />

Hetzparolen oder ähnliches – dann selbstverständlich, aber die Polizei<br />

kann so etwas nicht im Ansatz unterbinden.<br />

Warum wurde das Abspielen von Lautsprechern vom Dach des DGB-Hauses<br />

unterbunden? Solche Restriktionen erzeugen doch den Eindruck, es<br />

würde mit zweierlei Maß gemessen?<br />

E. Qualmann: Nein, das Abspielen wurde nicht unterbunden, das<br />

muss ich ganz klar verneinen. Der DGB hat angekündigt, dass auf<br />

dem Dach des DGB-Hauses ein buntes Volksfest stattfinden soll –<br />

das haben wir auch toleriert. Aber, und da gibt es auch eine eindeutige<br />

Auslegung: Unangemeldete Zwischenkundgebungen und Störungen<br />

von Kundgebungen haben wir zu unterbinden. In der Auslegung<br />

spricht man von 10 bis 15 Minuten Duldung, danach gibt es eine<br />

klare Ansage der Polizei und dann möglicherweise Sanktionen gegen<br />

den Störer. Hier hatten wir aber den Fall, dass es im Vorfeld gar<br />

keine Musik gab – sie sollte angestellt werden, wenn die Zwischenkundgebung<br />

beginnt, und das haben wir zu untersagen. Das wäre<br />

nämlich ein Straftatbestand. Wenn man so will, haben wir die jungen<br />

Leute davor bewahrt, dass gegen sie ein Verfahren eingeleitet wird..<br />

Störabsicht ist nach §21 des Versammlungsgesetzes eine Straftat, die<br />

mit bis zu 2 Jahren bestraft werden kann.<br />

Es ist also schon verboten, an einem vorbeiziehenden Demonstrationszug<br />

seinen Protest zum Ausdruck zu bringen?<br />

E. Qualmann: Nein, das kann man machen. Aber wenn eine<br />

Zwischenkundgebung durch laute Musik o.ä. nicht durchführbar ist<br />

– auch hier geht es wieder um die Verhältnismäßigkeit. Wenn ein<br />

Einzelner an der Strecke steht und „Buh“ oder „Nazis raus“ ruft,<br />

werden sie sehen, dass die Polizei darauf keineswegs reagiert. Reagierten<br />

wird sie erst, wenn Gewalttätigkeiten von dieser Gruppe ausgehen<br />

oder die Störungen so ein Ausmaß annehmen, dass der andere<br />

seine angemeldete Kundgebung nicht durchführen kann. Hier<br />

greift wieder schützend das Versammlungsrecht, ob uns die Inhalte<br />

passen oder nicht.<br />

Wie ist es zur Einkesselung am Steintor gekommen?<br />

E. Qualmann: Eine Einkesselung sieht anders aus – das war keine<br />

Einkesselung. Es gab Lücken. Das Eingreifen der Polizei von der unteren<br />

Barlachstrasse aus reagierte darauf, dass gegen die Kräfte, die<br />

am Steintor in der Barlachstrasse standen, zum Teil auch massiv vorgegangen<br />

wurde. Die Einsatzkräfte sind ja nicht aufgerückt. Wenn<br />

ich kessele, dann klemme ich die betroffenen Personen ein.<br />

Aber es standen Wasserwerfer da und es wurden Personen vor Ort festgehalten<br />

– bis zu drei Stunden.<br />

E. Qualmann: Es wurde jedem angeboten, nach hinten rauszugehen.<br />

Es gibt aber Zeugenbericht, die aussagen, sie seien dort festgehalten worden.<br />

E. Qualmann: Für mich als arbeitenden Polizisten ist der, als störend<br />

empfundene, Hubschrauber mein Auge, mit dem ich das Geschehen<br />

von oben zu betrachten. Sie können also davon ausgehen, dass man<br />

von oben einen sehr guten Blick auf das Gesamtgeschehen hat. Jede<br />

eingesetzte Abteilung, jede Hundertschaft, hat einen Beweissicherungstrupp,<br />

der das Geschehen videographiert. Damit man hinterher<br />

feststellen kann, ob das polizeiliche Handeln in Ordnung war<br />

bzw. Beweissicherung im Sinne von Straftätern vornehmen.<br />

Wir haben festgestellt, dass es am Steintor Stein- und Flaschenwürfe<br />

gegen Polizisten gab – wenn man dazwischen oder weiter hinten<br />

steht, in friedlicher Absicht, wie es bei der überwiegenden Mehrheit<br />

der Fall war, sieht man das oft gar nicht. Es war der gewaltbereite<br />

Teil, gegen den wir vorgegangen sind, und das haben wir auch angekündigt.<br />

Wir haben gesagt: wir gewährleisten jedem eine friedliche<br />

Versammlung, um sich zu artikulieren. Aber bei Angriffen gegen die<br />

Polizei oder Gewaltanwendungen werden wir konsequent sein. Die<br />

Wasserwerfer wurden ja nicht eingesetzt sondern nur so aufgestellt,<br />

dass sie Angriffen standhalten können.<br />

Und noch etwas: Die ersten Angriffe gegen die Polizei gab es am<br />

Steintor bereits, als der NPD-Aufmarsch noch gar nicht begonnen<br />

hatte. Das hatte zur Folge, dass ich kurzzeitig den Schlagstock habe<br />

einsetzen lassen, damit wir die Situation beherrschen konnten, weil<br />

wir dort nicht genug Kräfte vor Ort hatten. Bereits zu diesem Zeitpunkt<br />

haben wir 40 Randalierer festgenommen, deren Angriffsziel<br />

die Polizei und nicht die Nazis waren. In der Folge wiederholte sich<br />

dies am Kröpeliner Tor. Das haben wir alles aus der Luft beurteilt<br />

und auch entsprechend reagiert. Allerdings trifft die Einsatzleitung<br />

hier nur Grundsatzentscheidungen, wir können uns natürlich nicht<br />

in jede Entscheidung eines Polizeiführers vor Ort einmischen. Aber<br />

aus der Luft hat man natürlich eine viel bessere Sicht auf die Gemengelage,<br />

darauf wo die Störer sind etc. Oft bekommt man schon<br />

hundert Meter weiter gar nicht mit, dass die Polizei massiv angegriffen<br />

wird.<br />

Wir wussten schon im Vorfeld, dass aus Berlin und Hamburg Gruppen<br />

anreisen würden – die ja dann auch hier waren – die in Störabsicht<br />

gekommen sind, nicht in der Absicht, gegen Nazismus und<br />

Rassismus zu demonstrieren. Die hergekommen sind, um einen Test<br />

mit der Polizei zu machen.<br />

Mit Blick auf G8?<br />

E. Qualmann: Mit Blick auf G8.<br />

Was aber daraus resultierte war, dass wir eine fast komplett abgesperrte<br />

Innenstadt hatten. Das wir einen Ausnahmezustand hatten, der vielen Menschen<br />

gar nicht ermöglichte, an den Gegendemonstrationen gegen die<br />

NPD teilzunehmen.<br />

E. Qualmann: Das ist so falsch, da hat sich der DGB auch korrigiert.<br />

Wir haben bis 9.55 Uhr das Warnowtor offengehalten. Danach war<br />

der Stadthafen vollbesetzt. Wenn wir jetzt noch weiter Fahrzeuge<br />

hätten passieren lassen, wäre es zu Staus gekommen. Der Umzug des<br />

DGB, der um 10 Uhr dort beginnen sollte, wäre durch Fahrzeuge<br />

blockiert gewesen. Sie müssen ja immer sehen, dass wir den Verkehr


auch weiträumig ableiten müssen – der Bürger erwartet von uns,<br />

dass wir ihn nicht in Sackgassen fahren lassen.<br />

Aber es ging ja auch um Passanten, die z.T. nicht in die Innenstadt gelassen<br />

wurden, am Bahnhof nicht zu ihren Zügen gelangen konnten oder nicht<br />

in ihre Wohnungen in der Südstadt gekommen sind, teilweise sogar ältere<br />

Leute - ?<br />

E. Qualmann: Auch dem mag ich nicht folgen. Im Bereich Verkehr<br />

gab es nirgendwo Stauerscheinungen. Alle Aufzugsteilnehmer konnten<br />

zu ihrer Veranstaltung hingehen oder hinfahren. Zu diesem Zeitpunkt<br />

fuhren die S-Bahnen, die Busse von außerhalb haben wir direkt<br />

zum Kundgebungsort geleitet. In der Innenstadt waren Umgehungswege<br />

möglich. Die Trennlinie war einseitig – wir haben sehr<br />

lange den Weg zum Bahnhof für Kundgebungsteilnehmer offen gehalten,<br />

d.h. bis der Aufzug der NPD begann. Erst dann haben wir<br />

mit Sperrmaßnahmen begonnen. Wenn Sie aus dem Bahnhof herauskamen,<br />

waren die Absperrungen nur linksseitig, wie mit der Versammlungsbehörde<br />

vereinbart. Wir haben lediglich die Aufzugsstrecken<br />

freigehalten.<br />

Ich habe persönlich erlebt, wie ein junger Mann in der Doberaner Strasse<br />

/ Ecke Reuterstrasse angehalten und zurückgeschickt wurde.<br />

E. Qualmann: Auch das war Aufzugsstrecke.<br />

Aber die NPD ist doch von der Südstadt durch die Bebelstrasse marschiert<br />

- ?<br />

E. Qualmann: Ja, aber wir halten ja nicht nur die Aufzugsstrecken für<br />

die NPD frei. Wir hatten ja mehrere angekündigte Kundgebungen,<br />

Antifa 1, Antifa 2 usw. – die Routen führten auch über die Dethardingstrasse<br />

bis in die Südstadt hinein. Damit sind wir natürlich verpflichtet,<br />

entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Aber es ist es<br />

doch so: Wenn Sie 4000 Polizisten in den Einsatz führen:; bis das also<br />

wirklich bei dem letzten ankommt – Stichworte Toleranz, Abwägen,<br />

Einzelentscheidung, wo will jemand hin usw. - das ist gerade<br />

auch mit Fremdkräften sehr schlecht vermittelbar. Der Beamte vor<br />

Ort sieht seinen Auftrag, den er bestmöglich erfüllen will. Da ist der<br />

eine ein bisschen flexibler, der andere weniger.<br />

Also hat jeder Beamte gewisse Spielräume?<br />

E. Qualmann: Natürlich gibt es Spielräume, die lassen wir ihm auch.<br />

Ich gebe Leitlinien vor. Und nun sagen Sie „Stadt abgeriegelt“ – was<br />

hätten Sie lieber gehabt, eine zerstörte Innenstadt, zerschlagene<br />

Schaufensterscheiben? Wie in Lübeck, brennende Autos?<br />

Haben Sie den Eindruck, dass das die Alternative gewesen wäre?<br />

E. Qualmann: Das wäre die Alternative. Wie in Göttingen – 200 Nazis,<br />

7000 Gegendemonstranten. Die Göttinger waren hier und haben<br />

uns über die Schulter gesehen, weil sie das Dilemma ja 14 Tage später<br />

vor Ort hatten, und haben gesagt: Okay, das Konzept funktioniert.<br />

Die Stadt ist sauber geblieben. Das habe ich auch dem DGB<br />

gesagt: Was wäre die Alternative gewesen? 100 Gewaltbereite zerstören<br />

in kurzer Zeit die Innenstadt. Wenn die einmal losgelassen werden,<br />

dann haben Sie ein Problem – und das Problem sollte <strong>Rostock</strong><br />

nicht haben. Das habe ich eindeutig klargemacht und es hat auch 14<br />

Tage später funktioniert, bei dem Spiel gegen Dynamo. Auch da waren<br />

5000 hier, darunter mit Sicherheit 4500 begeisterte Dynamo-<br />

Fans. Aber 500 sind in der Absicht gekommen - obwohl sie keine<br />

Karten hatten –: „wir machen hier Ballett“. Und gegen diese Min-<br />

derheit hat die Polizei den Bürger zu schützen.<br />

Die Festgenommenen gehörten also zu diesem radikalen Teil?<br />

E. Qualmann: Ja, wir haben die Steinewerfer festgenommen, aber<br />

auch NPD-Anhänger. Dort eher eine Minderheit, weil die Störer, die<br />

bereits angetrunken erschienen, schon vorher ausgeschlossen wurden,<br />

aber wer gegen Auflagen verstößt, wird auch hier in Gewahrsam<br />

genommen.<br />

Der Ermittlungsausschuss berichtet davon, dass Festgenommene stundenlang<br />

in Einsatzwagen sitzen musste, nichts zu Essen und zu Trinken bekamen,<br />

in ihren Zellen gefesselt sitzen mussten etc.<br />

E. Qualmann: Auch hier hat der Gesetzgeber ein Stück nachgebessert:<br />

Früher mussten wir die in Gewahrsam genommenen Personen<br />

zum Richter bringen, jetzt haben wir Staatsanwälte und Richter in<br />

unseren Gefangenensammelstellen, die ganz genau darauf achten,<br />

dass Zeiten eingehalten werden, dass die Leute zur Toilette können,<br />

verpflegt werden, dass der Vorwurf zügig geprüft wird. Nur: wenn<br />

Sie 100 Leute haben, dann ist der hundertste vielleicht erst in vier<br />

oder fünf Stunden dran – das kann schon sein.<br />

Wir haben der Antifa, die mit Bussen hier war, sogar angeboten, die<br />

Busse ans Steintor zu holen – aber da haben sich die Busfahrer geweigert.<br />

Dann haben wir Leute durchgelassen, damit sie dort hingehen<br />

konnte, wo die Busse warteten. Denn natürlich wollten wir so<br />

schnell wie möglich alles wieder in geordneten Gleisen haben. „Erfolg“<br />

ist für mich immer das verkehrte Wort, weil sicherlich die<br />

Rechte von Einzelnen beschnitten werden, aber es geht doch wohl<br />

um die Gesamtheit. Setzen Sie die Zahl der Anmeldungen und Teilnehmer<br />

in Beziehung zu den Schäden – drei im Frust angebrannte<br />

Mülltonnen in der Grubenstrasse, keine zerstörten Bushaltestellen,<br />

Schaufenster, Straßenbahnen oder was sonst noch beliebte Objekte<br />

von Zerstörungen sind, die ja immer ein Stück weit unter dem Dekkmantel<br />

„wir sind gegen Nazis“ stattfinden.<br />

Noch eine Verständnisfrage zum Schluss: War die Polizeidirektion hauptverantwortlich<br />

für den Einsatz?<br />

E. Qualmann: Ja. Wir sind als Direktion ja die zuständige Behörde, also<br />

läuft der Einsatz auch in solchen Größenordnungen über meinen<br />

Tisch bzw. über meinen Stab.<br />

Wie wird das beim G8-Gipfel aussehen? Es gibt ja Befürchtungen, dass die<br />

Abläufe <strong>Rostock</strong> dann komplett aus der Hand genommen werden.<br />

E. Qualmann: Nein. Auch für den G8-Gipfel gelten die Gesetze –<br />

und die sind zu beachten. ¬<br />

13


14<br />

TITELTHEMA: FAKTENSAMMLUNG<br />

Informationen des aus Anlass der<br />

NPD-Demo und der Gegendemonstrationen<br />

vom <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong> in <strong>Rostock</strong> gebildeten<br />

Ermittlungsausschusses (ea)<br />

<strong>Rostock</strong><br />

DER ERMITTLUNGSAUSSCHUSS (EA) ROSTOCK IST ERREICHBAR UNTER FOLGENDER MAILADRESSE EA-ROSTOCK@GMX.DE.<br />

AUF NACHFRAGE KANN DIE KOMMUNIKATION AUCH VERSCHLÜSSELT LAUFEN.<br />

<strong>1.</strong> Der Polizeieinsatz war aus unserer Sicht durch den unbedingten<br />

Willen geprägt, den NPD-Aufmarsch ohne jegliche Behinderungen<br />

durchzusetzen. Woher dieser Wille kam, ist uns nicht<br />

eindeutig klar. Jedenfalls lässt sich das massive Einschränken der<br />

Bewegungsfreiheit „normaler“ Bürger, die zum bunt statt braun<br />

Demokratiefest wollten, wohl kaum ausreichend mit einem Training<br />

der Polizei gegen Anti-G8-Chaoten erklären.<br />

Zu beobachten war, dass die Polizei wesentlich härter vorging, je<br />

näher der NPD-Aufmarsch kam. D.h. in den Vormittagstunden<br />

(solange die Nazis hinter dem Bahnhof standen) war ein Passieren<br />

der Polizeisperren noch relativ unkompliziert. Als die Nazis<br />

dann in der August-Bebel-Straße waren, wurden sogar Personen<br />

mit Presseausweis abgewiesen.<br />

2. Der Einsatz von Einheiten aus dem gesamten Bundesland – so<br />

aus Berlin, NRW, Rheinland-Pfalz, Baden- Württemberg, Brandenburg<br />

und Sachsen - hatte aus unserer Sicht zwei Folgen:<br />

- sehr unterschiedlicher Umgang mit Protestierenden durch<br />

einzelne Polizeieinheiten<br />

- teilweise chaotische Zustände auf der mittleren und oberen<br />

Kommandoebene (z.B. widersprüchliche Befehle zur Verbringung<br />

und Behandlung von Festgenommenen oder planlos<br />

hin und her eilende Polizeieinheiten in der Innenstadt)<br />

3. Die Polizei hatte nach unserer Einschätzung den Plan, die Antifa-Demo<br />

einzukesseln, wenn diese ihre ursprüngliche Route behalten<br />

hätte. Zumindest gab es das Vorhaben, möglichst wenige<br />

Teilnehmerinnen in die Innenstadt oder anderswo in die Nähe<br />

des Aufmarsches kommen zu lassen. Dass dies kaum ohne große<br />

Festnahmen möglich ist, muss der Einsatzleitung klar gewesen<br />

sein. Dennoch gab es angeblich in der Stadt zu wenige Kapazitäten,<br />

so dass ein Grossteil der Festgenommenen zur Bereitschaftspolizei<br />

nach Waldeck verbracht und dort in die Turnhalle<br />

gesperrt wurde.<br />

4. In <strong>Rostock</strong> waren 4 getrennte Gefangenensammelstellen, sogenannte<br />

„gesa“, eingerichtet:<br />

- weiblich links – Möllnerstraße<br />

- männlich links – Ulmenstraße<br />

- weiblich rechts – nicht bekannt<br />

- männlich rechts – beim Ostseestadion<br />

5. Insgesamt gab es nach unserer Information 96 Festgenommene/<br />

in Gewahrsam genommene Antifaschisten. Nazis wurden<br />

wohl 4-5 festgenommen.<br />

6. Es gab zwei größere Festnahmesituationen:<br />

- etwa 1<strong>1.</strong>30 Uhr in der Steinstraße – ca. 40 Personen. Fast alle<br />

wurden in Gewahrsam genommen, die meisten männlichen<br />

Personen kamen nach Waldeck. Zum Ablauf: die Personen<br />

werden bis zu 2,5 Stunden im Kessel festgehalten und<br />

in dieser Zeit alle einzeln nacheinander in die Gefangenentransporter<br />

gebracht. Die meisten von ihnen kommen ca. 15<br />

Uhr/ 15.30 Uhr in Waldeck an. Viele von ihnen müssen auch<br />

danach in den Zellen der Transporter (weniger als 0,5 qm<br />

groß) bleiben. Verschiedene Personen berichten, dass sie bis<br />

zu 8 Stunden (!) in den Transportern aushalten mussten.<br />

- ca. 14.30 Uhr nähert sich der Naziaufmarsch der Steintorkreuzung.<br />

Es war mehreren hundert Personen gelungen, zu<br />

diesem Bereich zu gelangen. Sie werden zunächst von der<br />

Kreuzung abgedrängt. Viele von ihnen werden anschließend<br />

eingekesselt. In dieser Situation kommt es immer wieder zu<br />

Übergriffen durch die Polizei und zu Verletzungen.<br />

7. Zur Behandlung der Festgenommenen laut den dem ea vorliegenden<br />

Gedächtnisprotokollen:<br />

- Stundenlanges Festhalten in den Kesseln ohne jegliche juristische<br />

Begründung<br />

- Ärztliche Versorgung wurde erst nach mehrmaligem heftigen<br />

Einfordern gewährt


- Auf dem Hof von Waldeck mussten viele weiter im Gefangenentransporter<br />

bleiben - ohne essen und trinken zu können,<br />

teilweise wurden über Stunden sogar Toilettengänge verwehrt<br />

- Die letzten kamen um 2<strong>1.</strong>30 Uhr aus den Autos – sie waren<br />

gegen13 Uhr in die Busse gekommen (!)<br />

- Viele Personen waren dabei gefesselt (ohne jeden Grund, sie<br />

waren ja in den Zellen).<br />

- In Waldeck angekommen, mussten viele Personen weiterhin<br />

die Handfesseln (Kabelbinder aus Plaste) tragen. Es war ein<br />

beliebtes Mittel gegen Personen, die gegen die Behandlung<br />

protestierten und ihre Rechte einforderten, diese Kabelbinder<br />

fester zu ziehen, so dass die Hände taub wurden.<br />

- Viele der gegen 1<strong>1.</strong>30 Uhr Festgenommenen erhielten um 23<br />

Uhr das erste Mal etwas zu trinken, zu essen gab es gar<br />

nichts.<br />

- Einzelne Personen durften ihre Fesseln nicht einmal ablegen,<br />

um auf Toilette zu gehen.<br />

- Telefonate wurden regelmäßig verweigert.<br />

- Eltern von Minderjährigen wurden über den Verbleib ihrer<br />

Kinder auf Nachfrage gar nicht oder falsch informiert<br />

- Einzelne Polizeibeamte sagten zu Festgenommenen, dass sie<br />

gegen die Behandlung (vor allem) in Waldeck unbedingt juristisch<br />

vorgehen sollten.<br />

- Gegen 3.00 wurden die letzten Personen freigelassen. Da viele<br />

von ihnen nicht festgenommen, sondern lediglich in Gewahrsam<br />

genommen wurden, hätten sie eigentlich sofort<br />

nach Ende des Grundes der Gewahrsamsnahme (Naziaufmarsch)<br />

freigelassen werden müssen.<br />

Der ea bereitet momentan mit Anwälten aus verschiedenen<br />

Städten juristische Schritte gegen den Polizeieinsatz im Allgemeinen<br />

und die unglaubliche Behandlung der Festgenommenen<br />

im Speziellen vor. Weitere dem ea zugeschickte Gedächtnisprotokolle,<br />

Fotos von Festnahmesituationen, Berichte von Zeugen<br />

usw. könnten die Arbeit der Anwälte unterstützen. ¬<br />

FOTO: TOM MAERCKER<br />

15


16<br />

TITELTHEMA: PROTOKOLLE<br />

Auszüge aus Gedächtnisprotokollen<br />

von „in Gewahrsam genommenen“<br />

Teilnehmern an der <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong>- Demon-<br />

stration gegen den NPD-Aufmarsch<br />

DOKUMENTIERT VOM ERMITTLUNGSAUSSCHUSS DER ANTIFA-DEMO, ROSTOCK<br />

<strong>1.</strong> Beispiel<br />

11:30uhr, in den kessel am steintor gelangt.<br />

etwa 41 personen waren dort drin...<br />

14:30uhr, die zuweisung in die knastwagen<br />

endet. uns wurde auf anfrage gesagt, dass<br />

die frauen in rostock bleiben und die männlichen<br />

gefangenen nach waldeck transportiert<br />

werden.<br />

15:00uhr, abfahrt mit deutlich überhöhter<br />

geschwindigkeit und horn nach waldeck.<br />

15:20uhr, ankunft auf dem hof der bereitschaftspolizei.<br />

erste unmutsäußerungen unseres<br />

fahrers über die eigene organisatorische<br />

lage. über funk erfahren wir, dass mindestens<br />

drei ingewahrsamnahmen, aus mangel<br />

an knastbussen, von den polizeieinheiten<br />

selbst in die gesas gebracht werden mussten.<br />

uns wird versichert, dass alles ganz schnell<br />

gehe und wir unverzüglich in die turnhalle<br />

kommen. ein beamter bezeichnete seinen<br />

polzeichef als „m ö c h t eg e r n g a u l e i t<br />

e r“. ein weiterer beamter in zivil (vielleicht<br />

kripo) sagte so etwas wie: „ich weiß auch<br />

nicht, warum das hier so lange dauern soll.<br />

laden wir d a s z e u g doch einfach in die<br />

turnhalle und gut.“<br />

17:30uhr, ich werde in die turnhalle gebracht.<br />

meine sachen werden protokolliert.<br />

Ich verweigere die aussage. zunächst leibesvisitation<br />

bis auf die unterwäsche. (später<br />

höre ich, dass leute sich komplett ausziehen<br />

mussten), dann bekam ich plastikfessel und<br />

wurde in die halle verbracht... nach meiner<br />

erkenntnis kamen die letzten gefangenen<br />

sichtlich erschöpft gegen 2<strong>1.</strong>00 - 22.00 uhr<br />

aus den noch verbliebenen knastbussen.<br />

die fenster der turnhalle waren geöffnet, es<br />

war latent kalt und zog. Auf mehrfache anfrage<br />

hin wurden diese aber nicht geschlossen.<br />

wir wurden abgewimmelt mit dem satz:<br />

„die leiter ist unterwegs“.<br />

beim raus und rein von der ea behandlung<br />

und der vernehmung wurden uns die fesseln<br />

für die zeit der abfertigung abgenommen. es<br />

kam etwa fünf mal vor, dass leute (darunter<br />

ich selbst) die fesseln so fest angebunden bekamen,<br />

dass sich nach wenigen sekunden die<br />

hände blau färbten. nur auf eindringliches<br />

bitten wurden diese gelockert. die handfesseln<br />

wurden den gefangenen erst bei ihrer<br />

entlassung aus der gesa abgenommen.<br />

die beamten, die uns in der turnhalle bewachten,<br />

wurden in regelmäßigen abständen<br />

von etwa einer halben stunde darauf aufmerksam<br />

gemacht, dass wir das recht auf essen<br />

und trinken besitzen. dieser bitte sind die<br />

beamten aber erst gegen etwa 23:00uhr<br />

nachgekommen, in dem sie für jeden ein glas<br />

schlechtes leitungswasser servierten.<br />

ebenfalls in regelmäßigen abständen baten<br />

wir um ein telefonat. dieses wurde den ersten<br />

schließlich beim verhör gestattet. allerdings<br />

nur denjenigen, die selbst ein handy<br />

besaßen, von dem aus dieses gespräch geführt<br />

werden musste. in gesprächen fand ich<br />

heraus, dass selbst diese möglichkeit nicht allen<br />

zugestanden wurde. ich selbst konnte<br />

erst gegen 23:00uhr telefonieren...<br />

meine ea behandlung fand gegen 22:00uhr<br />

statt. ich verweigerte zuerst meine mitarbeit<br />

unter der bitte, ein telefonat führen zu dürfen.<br />

daraufhin wurde ich gewaltsam auf den<br />

stuhl zum fotografieren gesetzt und von<br />

mehreren beamten verbal attackiert. „wir<br />

können auch anders“, „das kriegen wir auch<br />

gewaltsam durchgesetzt“ waren einige aussagen.<br />

als ich schließlich bei den fingerabdrükken<br />

angelangt war, meinte der beamte zu<br />

mir: „wenn du hier weiterhin faxen machst,<br />

kann ich die tür hinter dir auch schließen –<br />

dann sind wir hier beide alleine“...<br />

gegen 23:00uhr wurde ich zum verhör ins<br />

nebengebäude gebracht. ein provisorisch<br />

eingerichteter speisesaal musste für diesen<br />

vorgang herhalten. es wurden ungefähr 8<br />

leute gleichzeitig vernommen. jeder bekam<br />

zwei beamte vorgesetzt. mir wurde der tatvorwurf<br />

vorgelesen, der sich mit allen anderen<br />

glich. „mit der demospitze in der langen<br />

strasse durch eine polizeiabsperrung hindurch,<br />

in richtung der nazidemo. durch mehrere<br />

strassen. eine barrikade errichtet und<br />

polizeikette mit steinen angegriffen.dann in<br />

richtung steintor, um die nächste kette zu<br />

überrollen.“ Schwerer landfriedensbruch. ich<br />

verweigerte die aussage. 0:30uhr wurde ich<br />

entlassen.


2. Beispiel<br />

...nach 30-40 Minuten Fahrt Ankunft auf<br />

dem Gelände der Bereitschaftspolizei bei<br />

Waldeck, das Radio wird eingeschaltet auf<br />

NDR<strong>1.</strong><br />

ca. 15.30 Uhr ein den Bus begleitender Polizist<br />

geht nach zahlreichen Anfragen nach<br />

Getränken mit seinem privaten 0,3l-Mineralwasserpäckchen<br />

durch den Bus, für jeden<br />

bleibt nur ein Schluck<br />

ca 17.15 Uhr erste offizielle Gabe (nach 5<br />

1/2h seit Beginn des Kessels!) von Leitungswasser<br />

(0.2l)<br />

ca. 19.05 Uhr endlich Verbringung aus Einzelzelle<br />

im Bus (nach etwa 6 Stunden!) in die<br />

Vorräume der Turnhalle. Am Anfang macht<br />

eine zivil gekleidete Frau ein Polaroidfoto<br />

gegen meinen erklärten Willen.<br />

Bei der Durchsuchung (lt. Protokoll 19.07-<br />

19.14 Uhr) erneute Bitte, den Widerspruch<br />

gegen das Einzelporträt zu Protokoll zu<br />

nehmen, wird verweigert mit der Begründung,<br />

dass nachher noch mal Leute mir zuhören<br />

würden. Frage nach Essen, 2 Telefonaten<br />

wird mit „nachher” beantwortet. Erlaubnis,<br />

vor Verwahrung noch aus der eigenen<br />

Wasserflasche trinken zu dürfen. Während<br />

der Durchsuchung bis auf die Unterhose<br />

wird mir von einem anderen zivil gekleideten<br />

Herrn erklärt, dass ich des Landfriedensbruchs<br />

verdächtig sei.<br />

Von einem uniformierten Polizisten werden<br />

mir kabelbinder-ähnliche Plastikhandschellen<br />

angelegt. Zwar wird gesagt, ich solle sagen,<br />

wenn es zu eng wird, dennoch werden<br />

die Innenseiten der Handgelenke ganz eng<br />

aneinander gelegt und dann so stark zugezogen,<br />

dass die Haut darunter in Falten liegt.<br />

Die Fesseln werden nicht wieder gelockert<br />

(meine Hausärztin dokumentierte in der Patientenakte<br />

am 2.<strong>Mai</strong> gegen 16 Uhr noch<br />

Strangulationsmarken an den Handgelenken).<br />

Auch an dieser Station frage ich nach<br />

Essen und 2 Telefonaten, jedoch ohne Antwort.<br />

In der Halle sind schon etwa 30 weitere junge<br />

männliche Gefangene (insgesamt dann<br />

etwas über 40), zum allergrößten Teil auch<br />

aus dem Kessel vor dem Schuhladen in der<br />

Steinstr. Es liegen ca. 10 Turnmatten bereit,<br />

es ist relativ kühl in der Halle. Die einzige<br />

Tür wird immer von vier uniformierten Polizisten<br />

(zumeist ein silberner Stern auf dem<br />

Schulterstück) mit Tonfas bewacht. Ich<br />

möchte in der Halle umherlaufen, werde von<br />

den Wachposten aber sehr schnell zurück<br />

auf das „Mattenlager” geschickt. Immer<br />

wieder fragen Gefangene nach Essen, Trinken<br />

und 2 Telefonaten, die verweigert werden,<br />

oft mit der Bemerkung, es wäre in Arbeit.<br />

Die Benutzung der Toiletten wird unter<br />

Bewachung gestattet. Später wird mehrfach<br />

gebeten, die Fenster zu schließen, was nie erfolgt.<br />

Mehrfach werden einzelne Gefangene,<br />

die ihren Unmut äußern, einzeln herausgeholt<br />

und die Handfesseln enger gezogen,<br />

z.T. so weit, dass die gesamten Hände innerhalb<br />

von Minuten rot anlaufen.<br />

Nach etwa zwei Stunden, nachdem alle uniformierten<br />

Polizisten und Polizistinnen und<br />

alle zivil gekleideten Herren (die immer mal<br />

wieder in die Turnhalle kommen, um Einzelne<br />

zur erkennungsdienstlichen Behandlung<br />

oder zur Anhörung zu holen) behaupten,<br />

entweder für unsere vielfach vorgetragenen<br />

Bitten bzw. Grundrechte nicht zuständig zu<br />

sein oder aber, dass es in Arbeit wäre, frage<br />

ich nach dem Vorgesetzten, der die Verantwortung<br />

für die Behandlung der Gefangenen<br />

hat. Dieser wird nach einigen Minuten<br />

geholt.<br />

Ein zivil gekleideter Herr fragt mich als erstes<br />

nach meinem Namen, den ich ihm sage<br />

und sagt mir auf Nachfrage seinen Namen -<br />

Barthels (KHK, lt. Durchsuchungsprotokoll).<br />

Zu dem Gespräch kommen noch einige<br />

weitere Gefangene und auch einige uniformierte<br />

Polizisten hören zu (das Gespräch<br />

findet in der Turnhalle am Eingang, in der<br />

Nähe der die Gefangenen bewachenden Polizisten<br />

statt). Herr Barthels erklärt mir, dass<br />

meine Mutter von mir angerufen werden<br />

möchte. Ich sage ihm, dass ich das schon<br />

längst getan hätte, wenn uns unsere je 2 Telefonate<br />

zugestanden worden wären. Er sagt,<br />

ich könne telefonieren. Ich frage, ob das für<br />

alle gilt. Er sagt, dass sie unsere Entlassung<br />

vorbereiten und dass sich das noch weiter<br />

hinauszögern würde, wenn jetzt alle noch telefonierten.<br />

Ich frage ihn, wann wir Getränke<br />

und Essen bekommen würden. Er gibt<br />

keine klare Antwort. Ein uniformierter Polizist<br />

informiert ihn, dass Wasser sofort zur<br />

Verfügung gestellt werden könnte. Ich frage<br />

ihn weiter, wann wir etwas zu Essen bekommen<br />

würden und wann die Entlassung wäre.<br />

Er sagt, „die” hätten ihnen hier eine große<br />

Zahl von Leuten vor die Tür gestellt und sie<br />

(die Polizei vor Ort) müssten damit klarkommen.<br />

Essen könne er nicht beschaffen. Zum<br />

Entlassungszeitpunkt könne er noch keine<br />

Angaben machen, ich müsste zuvor noch<br />

zur Anhörung.<br />

Kurz danach werden 0,2l-Becher mit Leitungswasser<br />

zur Verfügung gestellt. Gegen<br />

2<strong>1.</strong>30 Uhr (lt. Zeitansage meiner Mutter)<br />

darf ich meine Mutter anrufen. Die Handfesseln<br />

bleiben dabei angelegt, ein zivil gekleideter<br />

Herr steht immer neben mir. Gegen<br />

2<strong>1.</strong>45 Uhr komme ich zur Anhörung in<br />

ein anderes Gebäude, begleitet von zwei zivil<br />

gekleideten Herren, die diese auch durchführen.<br />

Am Ausgang der Turnhalle werden mir<br />

die Handfesseln abgenommen. Ich frage<br />

nach einem Arzt, um die Einschnürungen an<br />

meinen Handgelenken dokumentieren zu<br />

lassen. Die Antwort lautet, dass ich jetzt erst<br />

mal zur Anhörung käme.<br />

In dem Raum, der an einen Essensaal erinnert,<br />

finden gleichzeitig mehrere weitere<br />

Anhörungen statt.<br />

Als erstes wird der Bogen zu Persönlichen<br />

Angaben ausgefüllt. Ich erkläre, dass ich genau<br />

wissen will, zu welchen Angaben ich gesetzlich<br />

verpflichtet bin, und dass ich keine<br />

freiwilligen Angaben machen werde. Auf<br />

Nachfrage wird erklärt, dass u.a. der Familienstand,<br />

meine Einkünfte und auch meine<br />

Universität/Institut angegeben werden müssen,<br />

worauf ich die Angaben mache.<br />

Erst anschließend wird mir der Bogen über<br />

meine Rechte in Bezug auf diese Anhörung<br />

verlesen. Ich gebe an, keine Angaben zum<br />

Tatvorwurf zu machen, aber einiges zu meiner<br />

bisherigen Behandlung unter Obhut der<br />

Polizei zu Protokoll geben zu wollen. Mir<br />

wird der Tatvorwurf Landfriedensbruch gemacht<br />

und erklärt, was das allgemein heißt.<br />

Wann, wo, wie oder andere Einzelheiten<br />

meiner angeblichen Tat werden mir nicht genannt...<br />

Ich werde in die Turnhalle zurückgebracht.<br />

Diesmal legt ein anderer Uniformierter die<br />

Plaste-Handschellen an. Sie werden nicht<br />

mehr so weit zugezogen wie zuvor. Auch andere<br />

in der Turnhalle haben die Fesseln jetzt<br />

lockerer. Nach einiger Zeit werden etwa 10<br />

Leute aufgerufen, die nach <strong>Rostock</strong> zur erkennungsdienstlichen<br />

Behandlung gebracht<br />

werden sollen. Ich werde noch in Waldeck<br />

erkennungsdienstlich behandelt... Gegen<br />

<strong>1.</strong>50 Uhr am 02.05.2006, nach etwas mehr<br />

als 13 Stunden ohne Bewegungsfreiheit, werde<br />

ich als vorletzter aus der Turnhalle freigelassen...<br />

17


18<br />

TITELTHEMA: PROTOKOLLE/BEOBACHTUNGEN<br />

3. Beispiel<br />

...Ich wurde in den Polizeiwagen gebracht,<br />

nicht ohne vorher durchsucht zu werden.<br />

Dort kamen weitere 6 Mädchen/Frauen hinzu<br />

und wir wurden u.a. unter Begleitung eines<br />

Polizisten, der eine der Festgenommenen<br />

wegen ihre Figur beleidigte und uns<br />

grinsend-verständnislos fragte, weshalb wir<br />

überhaupt bei der Demo waren, in die Möllnerstraße<br />

gefahren. Wir sind dann angekommen<br />

bei der Gefangenensammelstelle in<br />

Lichtenhagen, was für uns ein ziemlicher<br />

Schock war, da wir alles junge Frauen waren<br />

und bei einer gegebenenfalls folgenden Freilassung<br />

laut der Polizisten auf uns allein gestellt<br />

wären - in Lichtenhagen, am Tag der<br />

angemeldeten Nazi-Demo, z.T., so war es<br />

bei mir, nur mit Handy und Ausweis ausgestattet...<br />

Ich erhielt auf die Frage, warum ich<br />

festgehalten werde, nur mehrmals die Antwort<br />

„Das musst du schon selbst wissen.“<br />

Entsprechend unterzeichnete ich auch weder<br />

Untersuchungsprotokoll, da auf diesem<br />

nicht die Art des Betroffenen (Verdächtiger,<br />

andere Person, Betroffener) und auch nicht<br />

die eigentliche Straftat bzw. Ermittlungssache<br />

bezeichnet waren, sondern man diese<br />

Angaben freigelassen hatte, noch leistete ich<br />

die Unterschrift, als mir Fingerabdrücke<br />

(bzw. Handabdrücke) abgenommen wurden<br />

und man mich wie einen Schwerverbrecher<br />

von allen Seiten mit Karte fotografierte.<br />

Während der ganzen Zeit habe ich still vor<br />

mich hingeweint, weil es eine absolut schrekkliche<br />

Situation war.<br />

Neben der ED-Untersuchung musste ich<br />

mich auch bis auf die Unterwäsche ausziehen;<br />

dabei wurde meine Kleidung missachtend<br />

angesehen und über einen Teils meines<br />

Besitzes (Halsband) abwertend gelacht. Auf<br />

die Toilette durfte ich trotz ausführlicher<br />

Untersuchung nur in Begleitung einer Polizeibeamtin,<br />

die neben der offenen Tür stehen<br />

blieb und mir zusah. Wir alle erhielten<br />

während des „Aufenthalts“ in der Gefangenensammelstelle<br />

Möllnerstraße weder etwas<br />

zu trinken noch etwas zu essen (Ausnahme<br />

siehe unten) und wurden insgesamt zum Teil<br />

bis 21 Uhr festgehalten (alle von etwa 12<br />

Uhr an). Meine Anfrage auf ein Telefonat<br />

wurde zunächst abgewiesen, erst nach nochmaliger<br />

Bitte wurde es mir dann im Beisein<br />

von 4 Beamten gestattet.<br />

In der Turnhalle, in der wir untergebracht<br />

waren, befanden sich im Verhältnis zu uns<br />

anfangs 7 und später etwa 10 Mädchen circa<br />

30 bewaffnete Beamte. Nachdem wir im<br />

Verlauf des Gewahrsams getrennt voneinander<br />

auf die Turnhalle verteilt wurden (mit<br />

jeweils 2 zugeordneten Beamten), äußerte einer<br />

der Polizisten, wir sollen uns am besten<br />

gleich „mit dem Kopf zur Wand stellen“.<br />

Ein anderer fasste eine junge Frau grob an,<br />

worauf diese forderte, er solle das unterlassen.<br />

Der Mann meinte darauf: „Deine Titten<br />

sind ja wohl gegen meine Hand gelaufen.“<br />

Mehrmals wurde uns gesagt: „Helden habt<br />

ihr ja heute schon genug gespielt“ (in Bezug<br />

auf unsere Teilnahme an der Demonstration).<br />

Ich wusste, wie erwähnt, bis circa 19<br />

Uhr nicht, weshalb ich festgehalten wurde<br />

und bat mehrmals, da ich nur mit dem Zug<br />

nach Hause fahren konnte, um eine frühe<br />

Vernehmung beim Haftrichter. Man tat auch<br />

so, als würde man meine Bitte beachten, reagierte<br />

jedoch gar nicht bzw. erst kurz vor 19<br />

Uhr...<br />

4. Beispiel<br />

Ich wohne noch nicht lange bei <strong>Rostock</strong> und<br />

habe zum ersten Mal in dieser Stadt zusammen<br />

mit einigen meiner Schulfreundinnen<br />

und -Freunden an einer <strong>Mai</strong>-Demonstration<br />

teilgenommen. Wir gingen vom Holbeinplatz<br />

mit dem Demo-Zug bis zur Langen<br />

Straße und wurden bereits hier in Höhe<br />

Kaufhof am Weitergehen behindert.<br />

Schließlich kamen wir durch eine andere<br />

Gasse doch noch zum Neuen Markt.<br />

Dort nahmen wir an dem Bürgerfest teil.<br />

Nach einigen Stunden wollten wir auf dem<br />

Nachhausewege zum Bahnhof mal beobachten,<br />

welche Leute die Neonazis sind und<br />

was sie an Losungen verkünden. Daher warteten<br />

wir in der Nähe der Ostsee-Zeitung.<br />

Dort befand sich eine Gruppe in Rosa-Kleidung,<br />

die mit lustigen Sprüchen Stimmung<br />

machte. Weder ich noch meine Freunde<br />

wollten die Polizeisperre durchbrechen.<br />

Später hörte ich, dass jemand eine Flasche<br />

geworfen haben soll. Gesehen habe ich das<br />

nicht. Dann sprachen die Polizisten Warnungen<br />

aus und wir sollten uns aus dem Gebiet<br />

entfernen. Wir wollten der Aufforderung<br />

auch Folge leisten, aber wir wurden beim<br />

Weggehen behindert, - 2 Sekunden vorher<br />

wäre es noch möglich gewesen. Kurz vor<br />

uns schloss sich der Kreis von Polizisten.<br />

Wir wurden nun immer mehr nach Innen<br />

gedrängt und dadurch entstand in unserer<br />

Nähe Panik. Wir standen dort, wo eigentlich<br />

der Ausgang hätte sein müssen. Dorthin<br />

rannten plötzlich viele Menschen auf uns zu.<br />

Dadurch begannen die Mädchen zu heulen.<br />

Die Polizisten haben uns trotzdem nicht aus<br />

dem Ring gelassen. Wir sahen, dass sich drei<br />

Reihen hingesetzt hatten. Plötzlich rückten<br />

Wasserwerfer an, die diejenigen, die sich hingesetzt<br />

hatten bespritzten.<br />

Wir standen von ½ 3 Uhr an bis mindestens<br />

5 Uhr in dem Kessel. Es wurde uns trotz<br />

unserer Bitte nicht erlaubt, auf Toilette zu<br />

gehen. Wir standen in der Sonne und hatten<br />

Durst und Hunger. Außerdem wussten wir<br />

nicht, wie lange wir noch stehen müssten.<br />

Ich verstehe es nicht, dass einfach unschuldige<br />

Leute, die nicht die Absicht hatten, gewalttätig<br />

zu werden und es auch nicht waren,<br />

eingekesselt wurden. Einige ältere Leute, die<br />

auch mit im Kessel waren, sagten zu mir,<br />

wir finden es unerhört, dass man uns hier<br />

einsperrt und nicht nach Hause gehen lässt.<br />

Als wir endlich gehen durften, mussten wir<br />

am Güterbahnhof lang gehen. Ich wollte<br />

zum Zug ... – aber wir durften eine halbe<br />

Stunde lang den Bahnhof nicht betreten. In<br />

letzter Minute erreichte ich erst meinen Zug.<br />

Mein Vater musste mich vom Zug abholen,<br />

weil ich Angst hatte und erschöpft war.<br />

Ich hatte den Eindruck, dass die Polizei<br />

nicht die Neonazis, sondern die Linken bedrängen<br />

wollte, denn die jungen Leute haben<br />

nichts gemacht, sie wurden erst wütend,<br />

als die Polizei in dieser Art gegen sie vorging.<br />

¬


Einige Beobachtungen<br />

zum Polizeieinsatz am<br />

<strong>1.</strong> <strong>Mai</strong> in <strong>Rostock</strong><br />

TILMAN JEREMIAS<br />

IST PASTOR AN ST. MARIEN.<br />

KONTAKT: GEMEINDE@MARIENKIRCHE-ROSTOCK.DE<br />

Als Verantwortlicher für die kirchliche Aktion „Unser Kreuz hat keine<br />

Haken“ mit den Friedensgebeten in der Marienkirche und der Eröffnung<br />

der Kundgebung um 12.00 Uhr durch die Bläser und als<br />

Mitglied des Deeskalationsteams möchte ich einige Beobachtungen<br />

zum Polizeieinsatz am l. <strong>Mai</strong> festhalten.<br />

Die gesamte Stadt war weiträumig abgesperrt. Viele <strong>Rostock</strong>erinnen<br />

und <strong>Rostock</strong>er hatten keine Möglichkeit, am von der Stadt (!) mitorganisierten<br />

Fest „<strong>Rostock</strong> bleibt bunt“ teilzunehmen. Auch in der<br />

Stadt wurden viele an den Barrieren aufgehalten; Pflegekräfte gelangten<br />

nicht zu ihren Patienten, das öffentliche Leben war lahm gelegt.<br />

Wer in die Innenstadt wollte, musste zum Teil kilometerlange Fußwege<br />

auf sich nehmen. Ein absolut unhaltbarer Zustand. Wenn ich<br />

zu einem Fest einlade und zu Aktionen gegen den Aufmarsch der<br />

Rechten aufrufe, kann ich die Aufgerufenen nicht gleichzeitig mit<br />

tausenden von Sondereinsatzkräften einschüchtern und an der freien<br />

Bewegung in die Stadt hindern. Wenn die Abriegelung denn nötig<br />

war, hätte die Stadt mit allem Einsatz für Ersatzverkehr sorgen müssen.<br />

Die Polizeitaktik war auf die Generalprobe des G8- Gipfels im<br />

kommenden Jahr abgestellt.<br />

Es ist ausdrücklich zu begrüßen, dass der Weg der Neonazis weiträumig<br />

gesichert war, um ein Aufeinandertreffen rechter und linker<br />

Gruppen zu vermeiden. Umso fataler war es, Gewaltakte an der<br />

Steintorkreuzung förmlich zu provozieren, indem hier der zweite<br />

Polizeiriegel fehlte. Der anschließende Kessel war also geplant. Es<br />

wären keine Steine und Flaschen geflogen, hätte die Polizei sich von<br />

vorneherein 50 Meter weiter in die Ernst-Barlach-Straße gestellt. Es<br />

war unnötig, alle 800 Eingekesselten über drei Stunden festzuhalten.<br />

Der Einsatz der Gummiknüppel war nicht angemessen. Zu begrü-<br />

ßen ist allerdings, dass die Wasserwerfer nicht zum Einsatz kamen.<br />

Es ist nicht zu verstehen, warum die Aktion des DGB unterbunden<br />

wurde, die Zwischenkundgebung der NPD vor dem DGB-Haus zu<br />

stören, eine Kundgebung, die die Stadt zuvor vergeblich beim Verwaltungsgericht<br />

und Oberverwaltungsgericht zu verbieten versucht<br />

hatte. Warum wurde die zuvor gegebene Zustimmung von Stadt und<br />

Polizei zu lauter Musik des DGB in letzter Minute zurückgezogen?<br />

Eine ganze Reihe festgenommener Demonstranten wurde stundenlang<br />

in Waldeck festgehalten und nicht wieder nach <strong>Rostock</strong> zurükkgebracht.<br />

Diese und viele Vorkommnisse mehr hinterlassen bei der<br />

Mehrzahl der <strong>Rostock</strong>erinnen und <strong>Rostock</strong>er einen fatalen Eindruck:<br />

<strong>Rostock</strong> wurde für einen Tag in den Kriegszustand versetzt, um der<br />

Welt zu zeigen: Globalisierungsgegner werden hier nächstes Jahr mit<br />

aller Macht ruhig gestellt. Und: Die Polizei agiert, um Rechtsradikalen<br />

lang fünf Stunden die Möglichkeit zu sichern, ihr unsägliches<br />

Gedankengut durch die Megaphone zu brüllen und ungescholtene<br />

Bürgerinnen und Bürger werden gehindert, ihre Meinung kundzutun.<br />

Ähnliche fatale Eindrücke sind in Zukunft dringend zu vermeiden!<br />

¬<br />

FOTO: ANTJE UCKLEYA<br />

19


20<br />

TITELTHEMA: NACHGEFRAGT<br />

„Ein Prozess auf der Suche nach<br />

dem richtigen Maß“<br />

Fragen an Hans-Joachim Engster vom Stadtamt <strong>Rostock</strong><br />

DIE FRAGEN STELLTE KRISTINA KOEBE, REDAKTIONSMITGLIED<br />

Welche Rolle hat die Stadt bzw. Ihr Amt bei der Vorbereitung des diesjährigen<br />

<strong>1.</strong> <strong>Mai</strong> gespielt? Inwieweit hatten Sie Einflussmöglichkeiten auf den<br />

Polizeieinsatz, sowohl in Bezug auf den Umfang als auch auf die Vorgehensweise?<br />

Inwieweit kam dieser Einfluss tatsächlich zum Tragen?<br />

H.-J. Engster: Der Grundsatz der Versammlungsfreiheit ist im Artikel<br />

8 des Grundgesetzes festgeschrieben. Die Rolle der Versammlungsbehörde<br />

ist im Versammlungsgesetz, einem Bundesgesetz, definiert<br />

und bezieht sich auf die möglichen Einschränkungen des Grundrechtes,<br />

sich zu jeder Zeitz und an jedem Ort (mit wenigen Ausnahmen)<br />

zu versammeln. Konkret können aus objektiven und rechtlichen<br />

Gründen Art und Maß von Versammlungen in einem eingeschränkten<br />

Rahmen gelenkt werden. Beispiele für versammlungsrechtliche<br />

Beschränkungen können Auflagen zu mitgeführten<br />

Gegenständen sein bis hin zu einem Verbot als ultima ratio.<br />

In Mecklenburg-Vorpommern sind ebenso wie in Schleswig-Holstein<br />

und Rheinland-Pfalz ein oder mehrere Vertreter der Versammlungsbehörde<br />

vor Ort, falls im Verlauf einer Versammlung rechtliche<br />

Verfügungen zu treffen sind. In den nicht genannten Bundesländern<br />

werden auch diese Verfügungen, wie beispielsweise die Auflösung einer<br />

Versammlung wegen des Mitführens von Waffen, von der Polizei<br />

getroffen.<br />

Bei Vorkommnissen, die Situationen nach dem Polizeirecht beschreiben,<br />

besteht keine Einflussmöglichkeit für die Versammlungsbehörde,<br />

da es hier es eines umfangreichen Wissens über die polizeiliche<br />

Einsatzlehre bedarf, das bei einer zivilen Verwaltungsbehörde<br />

aus gutem Grund selbstverständlich nicht besteht.<br />

Für den <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong> 2006 lagen bei der Versammlungsbehörde der Hansestadt<br />

<strong>Rostock</strong> insgesamt 13 Anmeldungen für Versammlungen<br />

nach dem Versammlungsrecht vor. Letztlich fanden zwei größere<br />

Veranstaltungen statt. Wir haben im Vorfeld sehr intensiv die rechtliche<br />

Lage geprüft. Selbst ein derzeit laufendes Gerichtsverfahren gegen<br />

den Anmelder als führenden Vertreter der Neonazi-Szene bot<br />

kein hinreichendes Argument für ein Verbot. Wir haben strenge Auflagen<br />

erteilt und die Zwischenkundgebung vor dem Gewerkschaftshaus<br />

in der August-Bebel-Straße verboten. Leider teilte das Verwal-<br />

FOTO: TOM MAERCKER


tungsgericht Schwerin unsere Auffassung nicht, dass mit Blick auf<br />

die Zerschlagung der freien Gewerkschaften am 2. <strong>Mai</strong> 1933 dies eine<br />

ganz besondere Provokation sei, und hob unser Verbot der<br />

Zwischenkundgebung auf. Auch unsere Beschwerde dagegen vor<br />

dem Oberverwaltungsgericht Greifswald blieb leider erfolglos.<br />

Wie Ihnen sicher zu Ohren gekommen ist, haben viele <strong>Rostock</strong>er Bürger<br />

auf den Ablauf des <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong>s mit großem Unmut reagiert, die Rede war u. a.<br />

von „Polizeiwillkür“, „Ausgesperrt werden“ etc. - Glauben Sie, dass ein<br />

Aufmarsch von <strong>1.</strong>200 Rechtsextremen einen solchen Ausnahmezustand<br />

rechtfertigt?<br />

H.-J. Engster: Dies einzuschätzen ist nicht Aufgabe der Stadtverwaltung<br />

und übersteigt ihre Kompetenz. Daher hier nur ein Vergleich:<br />

Anlässlich einer Demonstration in Göttingen Mitte <strong>Mai</strong> 2006, bei<br />

der sich 200 Anhänger der NPD versammelt hatten, hat die Polizei<br />

6.700 Beamte zusammengezogen, <strong>1.</strong>400 Identitätsfeststellungen<br />

durchgeführt, mehr als 300 Personen durchsucht, 84 Platzverweise<br />

ausgesprochen und 24 Strafverfahren eingeleitet. Hierzu wurde vom<br />

dortigen Polizeipräsidenten eingeschätzt, dass das „Konzept der<br />

Stärke“ sich bewährt habe und nur wenige Leichtverletzte konstatiert<br />

werden mussten – anders als bei Demonstrationen in Leipzig und<br />

Lübeck vor wenigen Wochen.<br />

Die Väter des Grundgesetzes haben bei der Formulierung der Freiheitsartikel<br />

des Grundgesetzes durchaus bewusst einen weiten Raum<br />

gelassen. Carlo Schmidt sprach wiederholt von der „Generosität“<br />

des Staates bei der Ausgestaltung bürgerlicher Freiheiten. Wie diese<br />

Freiheiten gelebt werden, ist, da wir unsere Demokratie permanent<br />

organisieren, ein Prozess auf der Suche nach dem richtigen Maß.<br />

Um hier austarieren zu können, Bedarf es eines kritischen Dialogs<br />

mit den Beteiligten und um ein hohes Maß an Verbindlichkeit.<br />

Wie bewerten Sie bzw. die Hansestadt <strong>Rostock</strong> die mehrstündige Einkesselung<br />

von ca. 300 Personen am Steintor? Selbst das Deeskalationsteam<br />

berichtet von martialischem Auftreten der Polizei - halten Sie dies für eine<br />

gute Botschaft, vor allem an Jugendliche, die sich durch Teilnahme an solchen<br />

Demonstrationen in Demokratie üben? Ist es nicht eher so, dass hier<br />

Vertrauen in die Demokratie zerstört wird?<br />

H.-J. Engster: Zu der Situation in der Ernst-Barlach-Straße haben wir<br />

wenig verifizierbare Informationen, deren Wertung sich zum Teil<br />

auch widersprechen. Ich bezweifle, dass sich „Demokratie“ an einem<br />

Tag üben lässt, denn die „Erfolge“ und „Misserfolge“ zählen im politischen<br />

Diskurs einer Selbstorganisation wenig, auch wenn Gedächtnisspuren<br />

bei den einzelnen verbleiben mögen. Richtig ist, genau<br />

die Frage zur Demokratie, ihrer Belastbarkeit und ihrer Zukunft<br />

in gesellschaftlichen Gremien, aber auch in Elternhäusern und Schulen<br />

zu stellen, auch aus verschiedenen Blickwinkeln der unterschiedlichen<br />

beteiligten Protagonisten. Wichtig ist das Gespräch, weil wir<br />

nicht die Vergangenheit, sondern nur die Zukunft gestalten können.<br />

Diese Gespräche sollten nicht zu stark mit Emotionen verknüpft<br />

werden, wie es die Frage nach der Schuld oft impliziert. Seitens der<br />

Stadt haben wir umfangreiche Gespräche geführt mit Veranstaltern,<br />

zahlreichen Gremien und Institutionen und dadurch so manche<br />

Schräglage gerade rücken können.<br />

Welche Möglichkeiten sehen Sie, dass die Sicherungskräfte den berechtigten<br />

Protest gegen die Rechtsextremen nicht mit der Begründung unterbinden,<br />

gegen einige gewaltbereite Protestierer vorgehen zu müssen?<br />

H.-J. Engster: Die Frage ist suggestiv. Eines ist klar: Sicherheitskräfte<br />

können und dürfen Gewalt nicht ignorieren. Viel hängt von der Art<br />

und dem Maß in der jeweiligen konkreten Situation ab. Am <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong><br />

scheint es besonnenen Bürgerinnen und Bürgern und dem so genannten<br />

Deeskalationsteam gelungen zu sein, Gewalt durch Gespräche<br />

zu unterbinden. Hier besteht sicherlich eine konkrete Chance, einen<br />

Geschehensablauf, der eskaliert oder zu eskalieren droht, zu<br />

unterbrechen.<br />

Auch eine Spontanversammlung – um eine solche könnte es sich<br />

möglicherweise gehandelt haben - steht zumindest eine gewisse Zeit<br />

unter dem Schutz des Grundgesetzes. Über die Bedeutung und über<br />

die Grenzen einer „Spontanversammlung“ wird unter den Veranstaltern<br />

noch viel Informationsbedarf zu befriedigen sein. Hierzu<br />

gibt es leider noch viele Mythen.<br />

Es ist zwar richtig, dass eine Sitzblockade nicht schlechthin strafrechtlich<br />

relevant ist, wenn sie friedlich ist und ihr Hauptziel nicht<br />

die Verhinderung des nicht verbotenen Aufzugs ist, allerdings dürfte<br />

nur eine Unterbrechung des Aufzugs – die Rechtsprechung geht hier<br />

von einer Duldungsfrist von 10 – 20 Minuten bis zur notwendigen<br />

Auflösungsverfügung aus – sanktionslos sein.<br />

Wurden mit den bereits vor dem <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong> verbreiteten Warnungen vor erwarteten<br />

mehreren hundert „ linken Chaoten“ und mit dem Einsatz der Polizeikräfte<br />

(weiträumige Absperrungen, Kesselbildung usw.) die auch von<br />

der Stadtverwaltung unterstützten antinazistischen Demonstrationen befördert<br />

oder behindert?<br />

H.-J. Engster: Es ist sicher schwer, hier eine seriöse Motivforschung<br />

aufzustellen. Auffällig war, dass unter den Demonstranten sehr viel<br />

junge Menschen waren, also eine Gruppe, die bis zur bevorstehenden<br />

Adoleszenz (besser: Erwachsenwerden?) ihre Welt fest definiert.<br />

Weniger auffällig war die Zahl erwachsener Bürgerinnen und Bürger<br />

und sehr wenig sah man m. E. Familien mit Kindern. Gerade letzte<br />

Gruppe reagiert wahrscheinlich seismographisch auf jede Art von<br />

„Warnungen“.<br />

Welche Schlussfolgerungen lassen sich, auch mit Blick auf den G8-Gipfel<br />

im kommenden Jahr, aus dem <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong> ziehen? Sieht die Stadt Möglichkeiten,<br />

beim nächsten Mal anders vorzugehen?<br />

H.-J. Engster: Welchen Einfluss eine Stadt bei einem internationalen<br />

Politereignis hat, haben wir beim Besuch des amerikanischen Präsidenten<br />

in <strong>Mai</strong>nz gesehen, und aus großer Nähe werden wir den Einfluss<br />

beim avisierten Präsidentenabend in Stralsund erleben. Die<br />

Einflussmöglichkeiten in der Zusammenarbeit mit nationalen und<br />

internationalen Behörden sind eher marginal und wahrscheinlich<br />

eher informell.<br />

Gestaltungsmöglichkeiten bestehen aber in einem kulturellen und<br />

intellektuellen Diskurs während des Ereignisses. Die Planung und<br />

Kommunikation wird sehr früh stattfinden müssen, um den Kurs zu<br />

bestimmen und um eine Verbindlichkeit zu erreichen. Eine kulturell<br />

interessante, bunte, offene Begleitung kann dem Ansehen unserer<br />

Stadt nachhaltig – und dieser Begriff aus der Ökologie lässt sich auf<br />

den Organismus Stadt anwenden – über viele Jahre nutzen. ¬<br />

21


22<br />

TITELTHEMA: BERICHT<br />

erlebnisbericht -<br />

<strong>1.</strong> mai 2006 in rostock<br />

KAI-UWE JURASINSKI<br />

es war sonnig und recht kuehl, als ich mich<br />

an diesem morgen gegen 10.00 uhr auf den<br />

weg in das stadtzentrum machte, ueber dem<br />

unueberhoerbar ein helikopter der polizei<br />

kreiszte.<br />

mein weg fuehrte am steintor vorbei. dort<br />

fielen mir zum ersten mal starke polizeikraefte<br />

auf, martialisch ausgeruestet mit<br />

helm und schutzanzug, postiert hinter sogenannten<br />

„hamburger gittern“. die aus der lokalen<br />

presse bekannte route der npd-demonstration<br />

war hier ca. 200 m von den absperrungen<br />

entfernt und kaum einsehbar.<br />

ich begann nun an den absperrungen entlang<br />

zu laufen um etwas naeher an die demonstrationsstrecke<br />

heranzukommen. doch<br />

sehr bald muszte ich feststellen ,das es aufgrund<br />

der weitraeumigen<br />

absperrungen fast unmoeglich war ,der demonstration<br />

der neunationalsozialisten ausreichend<br />

nahe zu kommen um ihnen und ihrer<br />

kruden weltanschauung verbal ein klares<br />

signal der ablehnung entgegenbringen zu<br />

koennen.<br />

an fast allen straszensperren standen passanten,<br />

gegendemonstranten, neugierige und diskutierten<br />

mit den beamten ueber die situation,<br />

meist ueber eine moegliche passage der<br />

sperren. spuerbare anspannung lag in der<br />

luft, haeufig wurde deutliches unverstaendnis<br />

ueber die polizeimasznahmen, insbesondere<br />

die stark eingeschraenkte bewegungsfreiheit<br />

geaeuszert. meist wurden anfragen<br />

abschlaegig beschieden, offensichtlich auch<br />

aus voelliger unkenntnis der jeweiligen oertlichkeiten.<br />

jetzt wurde bekannt dass die npd-demo<br />

nicht wie geplant um 1<strong>1.</strong>00 uhr beginnen<br />

sollte. ungefaehr 700 nazis wuerden am<br />

suedausgang des hauptbahnhofs von der polizei<br />

blockiert. nach weitem umweg ueber<br />

kroepeliner tor, buszebart, gertrudenstrasze<br />

und doberaner platz kam ich am voegenteich<br />

an. auch hier groszraeumige absperrungen,<br />

unzaehlige polizisten zu fusz und beritten,<br />

wasserwerfer, raeumpanzer. fast ununterbrochen<br />

fuhren scheinbar ziellos einsatzfahrzeuge<br />

der polizei auf der demonstrationsroute<br />

auf und ab. vielleicht 200 menschen<br />

hatten sich oberhalb des voegenteichs in der<br />

a.-bernhard-strasze eingefunden. sie saszen<br />

in der sonne und betrachteten das spektakel.<br />

am goetheplatz einmuendung borenweg ergab<br />

sich ueberraschenderweise eine gelegenheit<br />

sich bis auf 50m an die demo-route heranzupirschen.<br />

auch hier wurde die passage<br />

willkuerlich gewaehrt. mit koffern bepackte<br />

reisende durften den platz nicht in richtung<br />

hbf ueberqueren. schon nach kurzer zeit<br />

wurde allen anwesenden, einem bunt gemischten<br />

voelkchen aus anliegern und passanten,<br />

aelteren und jugendlichen ein platzverweis<br />

erteilt. begruendet mit einer angeblich<br />

von uns ausgehenden gefaehrdung fuer<br />

die geplante demonstration. von den neonazis<br />

war weit und breit nichts zu sehen.<br />

ich ging zurueck ins zentrum. auf dem neuen<br />

markt traf ich einige freunde. waehrend<br />

der letzten lieder des konstantin wecker konzerts<br />

erfuhren wir, das die ndp schon auf<br />

dem weg sei und bald das gewerkschaftshaus<br />

in der bebelstrasze erreichen wuerde. nun<br />

wurde auch die teilnehmerzahl der nazidemo<br />

intern nach oben korrigiert. nicht 700, nein<br />

knapp 1200 dieser ueblen gesellen waren in<br />

rostock unterwegs. meine entaeuschung ueber<br />

die maessig besuchte veranstaltung<br />

mischte sich mit aerger ueber die veranstalter,<br />

die mit keinem wort auf den marschierenden<br />

braunen mob eingingen. und das obwohl<br />

nun ihre zwischenkundgebung am gewerkschaftshaus<br />

(in 400m luftlinie entfernung)<br />

stattfand. im ganzen zentrum konnte<br />

man ihren parolen lauschen. warum wurde<br />

die leistungsstarke musikanlage auf dem<br />

neuen markt nicht genutzt um zu stoeren?<br />

mit diesen gedanken im kopf, aufgeregt und<br />

einer gehoerigen portion wut im bauch ueber<br />

diese katastrophale situation trafen wir,<br />

ueber die barlachstrasze kommend, auf dem<br />

platz vorm oz-gebaeude ein. hier waren ca.<br />

1500 demonstranten versammelt, sehr viele<br />

junge leute, schueler und eltern, aeltere menschen<br />

und etwa 100 radikale antifaschisten.<br />

dem entgegen stand ein imposantes aufgebot<br />

der polizei in vierer-fuenfer kordon und<br />

riegelte den kreuzungsbereich wiederum<br />

weitraeumig ab.<br />

die meisten beamten standen uns in ihren<br />

vollschutzanzuegen direkt gegenueber, hinter<br />

ihnen 2 wasserwerfer. in erwartung der<br />

nazidemo die nach abschlusz der kundgebung<br />

in der bebelstrasze die kreuzung passieren<br />

wuerde, erhitzte sich die atmosphaere<br />

zunehmend. dabei fiel auf, dass einige polizisten<br />

sich mit gegendemonstranten provozierende<br />

wortgefechte lieferten. zudem konnte<br />

es sich der einsatzleiter nicht nehmen lassen,<br />

die demonstranten mit ebenfalls sehr provokanten<br />

aufforderungen zu konfrontieren. in<br />

einer ansage forderte er die freiwillige trennung<br />

friedlicher von unfriedlichen demonstranten.<br />

irritierenderweise war aber bisher<br />

alles friedlich verlaufen. auszerdem bestand<br />

die einsatzleitung auf der einhaltung des vermummungsverbots<br />

und drohte bei zuwiderhandlung<br />

mehrfach zugriff an.


eine sehr fragwuerdige strategie, weit davon<br />

entfernt deeskalierend zu wirken. jetzt marschierte<br />

die npd wieder. unsere demonstration<br />

machte sich lautstark bemerkbar. als die<br />

neonazis die kurve vorm schiffahrtsmuseum<br />

erreichten, ging alles sehr schnell. voellig ueberraschend<br />

begann die polizei unter einsatz<br />

von schlagstoecken den bereich vor dem ozgebaeude<br />

zu raeumen. der von uns mehrfach<br />

vorgebrachte hinweis auf das demonstrationsrecht<br />

wurde einfach durch die schilde<br />

und leiber der bereitschaftspolizei beseitegeschoben.<br />

wiederum forderte der einsatzleiter<br />

die demonstration zur friedfertigkeit auf, was<br />

angesichts dieser szenen nur absurd erschien.<br />

immer wieder gingen schwarz uniformierte<br />

„greifer“ in die menge und zerrten<br />

gegendemonstranten heraus. einige der attackierten<br />

wehrten sich. die demonstration<br />

wurde weiter und weiter zusammengedraengt<br />

und war nun nicht mehr in der lage<br />

gegen die npd-demonstration protest auszuueben.<br />

wir befanden uns mit ca. 1000 weiteren<br />

gegendemonstranten in einem kessel. erst<br />

nach etwa 5 minuten lieszen die polizisten in<br />

ihrem rabiaten einsatz nach und sehr langsam<br />

konnte sich die situation etwas beruhigen.<br />

das ganze geschah ca. 15.00 uhr. die<br />

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E-<strong>Mai</strong>l: ....................................................................<br />

naechsten 2 stunden sollten wir in diesem<br />

polizeikessel verbringen. und warum? waren<br />

wir zur falschen zeit am falschen ort? waren<br />

wir kriminell? nein, wir hatten das recht auf<br />

demonstration unserer meinung eingefordert.<br />

doch warum dann diese reaktion? warum<br />

wurde zuvor die bewegungsfreiheit so<br />

drastisch eingeschraenkt? wozu diese machtdemonstrationen?<br />

warum wurden ca. 90 personen<br />

zum teil brutal „zugefuehrt“? warum<br />

muszten 1000 demonstranten knapp 2 stunden<br />

in einem „kessel“ verbringen? warum<br />

muszte jeder einzelne beim verlassen des<br />

kessels durch eine enge gasse, um sich fotographieren<br />

zu lassen? zum schutz der (eigenen)<br />

inneren sicherheit? dieser polizeieinsatz<br />

war in den mitteln ueberzogen und im einsatz<br />

unverhaeltnismaessig. eine generalprobe<br />

fuer den kommenden g8- gipfel(?)-moeglich.<br />

vielleicht auch kuenftiger normalzustand bei<br />

demonstrationen. ¬<br />

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Anschrift: ....................................................................<br />

Land, PLZ, Ort: ....................................................................<br />

Widerrufsrecht: Die Bestellung kann innerhalb von 10 Tagen bei der Bestelladresse<br />

widerrufen werden. Zur Fristwahrung genügt die rechtzeitige<br />

Absendung des Widerrufs.<br />

Datum/Unterschrift: ....................................................................<br />

23


24<br />

TITELTHEMA: AUSBLICK<br />

Verhinderer verhindern!<br />

Konsequenzen nach dem <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong><br />

STEFFEN BOCKHAHN<br />

Der <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong> hat in diesem Jahr bereits Tage<br />

vorher angefangen.<br />

Schon seit dem vorangegangenen Samstag<br />

war in der ganzen Stadt ein massives Polizeiaufgebot<br />

zu beobachten. Am Sonntagnachmittag<br />

dann Hundertschaften der Polizei auf<br />

der A19 - und der gesamte Parkplatz eines<br />

großen Ferienkomplexes an der Autobahn<br />

„erstrahlte“ in einem beängstigenden paramilitärischen<br />

Grün. Spätestens jetzt war klar,<br />

dass es an diesem <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong> alles andere als einfach<br />

sein würde, sich in der Stadt frei zu bewegen.<br />

Wo soviel Polizei zusammengezogen<br />

wird, ist eine freie Entfaltung des Einzelnen<br />

kaum noch vorstellbar.<br />

Schon die öffentliche Debatte im Vorfeld<br />

machte deutlich, dass sich <strong>Rostock</strong> am <strong>1.</strong><br />

<strong>Mai</strong> im Ausnahmezustand befinden würde.<br />

Der Innenminister begrüßte mehr oder weniger<br />

glaubwürdig, dass es Proteste gegen<br />

die NPD geben sollte. Auf der anderen Seite<br />

forderte er sehr überzeugend dazu auf,<br />

<strong>Rostock</strong> weiträumig zu umfahren und zu<br />

meiden. Die Angst vor gewaltsamen Auseinandersetzungen<br />

wurde geschürt und teilweise<br />

auch suggeriert, dass alle, die gegen die<br />

NPD demonstrieren wollten, potentielle<br />

linksextremistische Krawallmacher seien.<br />

Nun mag es einige Menschen geben, denen<br />

das als Anreiz dient. Die große Mehrheit<br />

wird sich jedoch durch solche Panikmache<br />

abgeschreckt fühlen.<br />

Die, die sich nicht abschrecken ließen, mussten<br />

lernen, dass der Aufstand der Anständigen<br />

an diesem Tag in <strong>Rostock</strong> eine körperliche,<br />

logistische und psychologische Herausforderung<br />

sein würde. Es begann mit den<br />

Straßensperren der Polizei, die man in den<br />

seltensten Fällen ohne Personalausweis passieren<br />

konnte und auch dann nur, wenn man<br />

glaubhaft machen konnte, dass der Weg hinter<br />

der Absperrung zum direkten Weg nach<br />

Hause gehört. Selbst das half nicht immer.<br />

Senioren, die mehr als zwei Stunden lang<br />

nicht vom Neuen Markt zu ihren Wohnungen<br />

in der Südstadt gelangten, hat es genauso<br />

gegeben, wie einen gehbehinderten<br />

Mann, der in der August-Bebel-Straße<br />

wohnt und das mit seinem Ausweis nachweisen<br />

konnte, aber dennoch nicht durch die<br />

Schwaansche Straße durfte!<br />

Es war ein eigentümliches Gefühl zu bemerken,<br />

dass der Demonstrationszug, in dem<br />

sich auch der Ministerpräsident, sein Stellvertreter<br />

und weitere Mitglieder des Kabinetts<br />

befanden, permanent und ohne Angabe<br />

von Gründen durch die Polizei gefilmt<br />

wurde. Zudem waren die Demonstrationsteilnehmer<br />

eingekesselt und durften den Demonstrationszug<br />

nicht einmal in die Richtung<br />

verlassen, die sie noch weiter von der<br />

NPD entfernt hätte. Verstehen kann man<br />

das nicht. Akzeptieren darf man das nicht.<br />

Wenn die polizeilichen Maßnahmen so weit<br />

gehen, dass man sich einfach wegen der Teilnahme<br />

an einer Demonstration kriminell<br />

vorkommen muss, dann wird das zur Gefahr<br />

für die immer wieder beschworene wehrhafte<br />

Demokratie. Wie soll man gegen Rassismus,<br />

Fremdenhass und Ignoranz vorgehen,<br />

wenn dieses Engagement kriminalisiert<br />

wird? Wer soll sich dann an solchen Maßnahmen<br />

beteiligen?<br />

Das oben genannte Beispiel war mit Sicherheit<br />

nicht das erstaunlichste, vermutlich aber<br />

das, was die meisten an diesem <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong> erlebt<br />

haben. Ein anderes soll hier lediglich kurz<br />

genannt sein: Zwei junge Männer machen<br />

sich um Mitternacht auf den Weg, um in der<br />

Goethestraße, der Rosa-Luxemburg-Straße<br />

und der August-Bebel-Straße Plakate aufzuhängen.<br />

Darauf steht nur ein Wort: „PRO-<br />

TEST“, befestigt werden sollen sie an Straßenschildern.<br />

Wie fast zu befürchten war,<br />

ging das nicht lange gut. Die Polizei setzte<br />

beide fest, zog die Personalausweise ein und<br />

erst nach knapp zwei Stunden konnten beide<br />

nach Aufnahme einer Anzeige wegen angeblichen<br />

Verstoßes gegen geltendes Recht<br />

wieder gehen. Die Plakate wurden eingezogen.<br />

Die Begründung war, dass diese Plakate<br />

dazu dienen sollten, die Demonstrationsteilnehmer<br />

(also die NPD-Anhänger) zu provozieren<br />

und damit Eskalation zu befördern.<br />

Als ob das nicht reichen würde, waren die<br />

ganze Zeit über aus einer nicht sehr großen<br />

Entfernung die Gesänge von Neonazis zu<br />

hören. Mal das Heß-Lied und mal das<br />

Deutschlandlied mit allen drei Strophen. An<br />

welcher Stelle ist diese Demokratie noch<br />

wehrhaft? Und wenn sie es ist, wer wehrt<br />

sich an dieser Stelle denn gegen wen?<br />

All das passt leider viel zu gut in eine ganze<br />

Reihe von Beobachtungen, die man in den<br />

letzten Jahren im politischen <strong>Rostock</strong> machen<br />

musste. Zum einen ist es die Art, wie<br />

große Teile der Bürgerschaft sich mit dem<br />

Thema Rechtsextremismus auseinandersetzen<br />

– nämlich in dem sie es einfach totzuschweigen<br />

versuchen. Das ist aber eindeutig<br />

der falsche Weg, daran haben Sachsen und<br />

auch die Ergebnisse zu den Kommunal- und<br />

Bundestagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern<br />

keinen Zweifel gelassen.


Und auch der <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong> hat dies offenbart.<br />

Wenn sich so viele finden – und, um mit<br />

dem Unsinn aufzuräumen, es handele sich<br />

nur um Jugendliche: es waren alle Altersgruppen<br />

dabei –, die unter dem Banner der<br />

Nazis marschieren, dann kann es sich nicht<br />

um eine Randerscheinung handeln. Und<br />

wenn in Mecklenburg-Vorpommern, das die<br />

wenigsten Ausländer der Bundesrepublik<br />

beherbergt, darüber geschimpft wird, dass<br />

die Ausländer ja alles geschenkt bekämen<br />

und den Deutschen dann auch noch die Arbeit<br />

wegnähmen, kann ebenfalls nicht von<br />

Randerscheinung die Rede sein. Es war die<br />

große Mehrheit der Bürgerschaft, die nicht<br />

wollte, dass man den Oberbürgermeister<br />

auffordert, mit allen ihm zur Verfügung stehenden<br />

Mittel gegen den Aufmarsch vorzugehen.<br />

Der hat es denn dann auch nicht für<br />

nötig gehalten, bezeichnete die NPD im<br />

Einklang mit der Vorsitzenden von „Bunt<br />

statt Braun“ als von Demokraten zu akzeptierende<br />

Partei. Man müsse mit ihr leben<br />

und reden, weil sie nicht verboten sei. Vielleicht<br />

muss man mit Leuten aus der NPD<br />

reden. Aber auf keinen Fall muss man mit<br />

der NPD leben. Man muss sie bekämpfen.<br />

Man muss ihr die Grundlage entziehen. Wo<br />

sie die Gelegenheit bekommt, mit platten<br />

Parolen aufzutreten und nicht in die Pflicht<br />

genommen zu werden, ihre eigentliche, den<br />

Menschen verachtende Ideologie klar offen<br />

zu legen, da wird sie sich ausbreiten.<br />

Wer das verhindern will, der muss sich seiner<br />

ganzen Verantwortung bewusst sein, wenn<br />

er einen Beschluss unterstützt, der zur<br />

Schließung von Freizeitangeboten führt, der<br />

zum Wegfall von Unterstützung der<br />

Schwächsten beiträgt und der unreflektiert<br />

mit der Geschichte umgeht. Denn wenn<br />

man ein Flughafenterminal nach einem<br />

Mann benennt, der mit Sicherheit große<br />

technische Erfindungen machte, ohne dabei<br />

zu beachten, unter welchen Umständen und<br />

mit welcher und wessen Hilfe; wenn man alle,<br />

die Kritik an dieser Entscheidung anmelden,<br />

wieder nur als Nörgler abtut, dann bereitet<br />

man den Boden dafür, dass es wieder<br />

Aufmärsche der NPD geben wird. Und sie<br />

werden größer werden. Sie werden noch lauter<br />

werden. Sie werden noch brutaler werden.<br />

Und sie werden noch mehr zu einer<br />

Gefahr werden. Ja, man kann Probleme<br />

auch groß reden. Aber es gibt Dinge, vor denen<br />

man nicht genug warnen kann. Wenn<br />

ein Oberbürgermeister nicht mehr zu Veranstaltungen<br />

erscheint, bei denen der Befreiung<br />

der Stadt vom Faschismus gedacht wird,<br />

dann ist das ein Warnsignal. Wenn den Men-<br />

schen Angst gemacht wird, so sie sich mit<br />

dem Gedanken tragen zu protestieren, dann<br />

ist die Demokratie in Gefahr. Dann gibt es<br />

ein Problem, das man nicht mehr groß reden<br />

kann, denn dieses Stadium hat es längst<br />

überschritten.<br />

Die Tatsache, dass die Polizeieinsatzleitung,<br />

das Innenministerium und diverse geheimdienstliche<br />

Organisationen verschiedener<br />

Staaten den Aufmarsch der NPD und den<br />

damit verbundenen Protest nutzten, um zu<br />

üben und Planspiele durchzuspielen, zeigt<br />

aber überdeutlich, dass es Menschen in verantwortungsvoller<br />

Position gibt, die ohne jede<br />

Verantwortung handeln. Hoffentlich wird<br />

man sie nicht eines Tages für Dinge verantwortlich<br />

machen müssen, die man sich heute<br />

noch gar nicht vorstellen kann. Dann wird<br />

es nämlich nicht mehr möglich sein zu protestieren.<br />

Dann wird auch keiner mehr da<br />

sein und Freiheit schlägt man im Wörterbuch<br />

nach. Dort findet man es aber nicht,<br />

weil das Wort gestrichen wurde. Hoffen wir,<br />

dass man sich besinnt und endlich offensiv<br />

mit dem Thema umgeht und es nicht mehr<br />

hinnimmt, dass der Protest mit der scheinheiligen<br />

Angst vor Krawallmachern derartig<br />

behindert wird. Selbst wenn man zu den<br />

Menschen, die am Steintor eingekesselt waren,<br />

unterschiedlicher Meinung sein kann, so<br />

muss man ihnen eines attestieren: Sie wollte<br />

etwas gegen Nazis und für Demokratie tun.<br />

Das finde ich eine lobenswerte Sache. ¬<br />

FOTO: ANTJE UCKLEYA<br />

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26<br />

TITELTHEMA: NACHDENKEN<br />

Neu nachdenken über<br />

Widerstand und <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong><br />

DR. SYBILLE BACHMANN<br />

Die Welt ist nicht braun, sondern bunt – das ist eine Binsenweisheit,<br />

die man sich wohl kaum gegenseitig bestätigen muss. In <strong>Rostock</strong> hat<br />

sich die Stadt mit den Organisatoren des <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong> (Gewerkschaft) und<br />

dem Verein „Bunt statt braun“ zusammen getan gegen den Aufmarsch<br />

der NPD, der zugleich Beginn des Landtagswahlkampfes<br />

sein sollte. Das war gut so – und einmalig in der Bundesrepublik,<br />

dass sich eine Stadtverwaltung am <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong> offiziell beteiligte. Weitere<br />

Interessenten hätten aber ebenfalls offiziell mit eingebunden werden<br />

sollen, wie z.B. die Unterzeichner des „Mahnrufs“, damit jeder Anschein<br />

einer neuen Art von „staatlichem Antifaschismus“ vermieden<br />

wird.<br />

Die NPD wollte das Stadtzentrum, am liebsten die Kröpeliner und<br />

Lange Straße und den Neuen Markt mit Rathaus. Die Straße als Ort<br />

der politischen Meinungsäußerung zu wählen – das trägt in erster Linie<br />

symbolische Züge. Das Recht darauf wurde in Jahrzehnten erkämpft<br />

und seit dem 18. Jh. in Verfassungen weltweit verankert.<br />

Die Demonstration als „Versammlung unter freiem Himmel“ ist eine<br />

grundlegende, ur-demokratische Form kollektiver Meinungsäußerung.<br />

Wird dieses Symbol durch braune Gesinnung „gebraucht“, ertönt<br />

sehr schnell der Ruf nach einem Verbot, so auch in <strong>Rostock</strong>. Er<br />

wird um so lauter, je symbolischer die Orte politischer Propaganda<br />

sind, seien sie historischer Art oder der Lebensnerv einer Stadt.<br />

Doch als nach einem Neonazi-Marsch mitten durch das Brandenburger<br />

Tor im November 2000 die Innenminister der Länder laut<br />

überlegten, Demonstrationen an „historisch oder kulturell bedeutsamen<br />

Orten“ nur noch in Ausnahmefällen zuzulassen, erhob sich ein<br />

Aufschrei gerade unter Umweltschützern, Bürgerinitiativen und ähnlichen<br />

als „links“ eingestuften Bewegungen. Die Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg<br />

(Atomkraftgegner) stellte damals, meines Erachtens<br />

zu Recht, fest: „So widerwärtig auch Naziaufmärsche generell<br />

und an bestimmten Orten ganz besonders sind, das Grundrecht auf<br />

Versammlungsfreiheit darf nicht angetastet werden.“ Unter dem<br />

Vorwand polizeilicher Prävention dürfe nicht in Bürgerrechte eingegriffen<br />

werden.<br />

Grundrechte wie Meinungs- und Versammlungsfreiheit sowie Demonstrationsrecht<br />

sind keine Exklusivrechte, sie gelten für alle. Ihre<br />

Einschränkung oder Abschaffung würde ebenfalls alle treffen. Diese<br />

Rechte bewähren sich gerade dort, wo der offiziellen Politik, dem<br />

Staat oder der Mehrheit einer Gesellschaft die freie Meinungsäußerung<br />

nicht genehm ist. In Zeiten zunehmender sozialer und politischer<br />

Auseinandersetzungen, sowohl national als auch international,<br />

wäre ein Angriff auf diese Rechte fatal.<br />

Das Versammlungsrecht gestattet lediglich, Demonstrationsrouten<br />

durch Auflagen zu verändern. Dies darf nach den grundgesetzlichen<br />

Vorgaben jedoch nur zum Schutz von Rechtsgütern erfolgen, die<br />

dem Demonstrationsrecht gleichwertig sind, wie z. B. Leib und Leben<br />

oder Eigentum anderer. Dabei muss der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit<br />

gewahrt bleiben. Eine Lärmbelästigung, die Beeinträchtigung<br />

des Straßenverkehrs oder der Gewerbeausübung reichen<br />

für eine Auflagenerteilung nicht aus. Die Rechtsprechung der letzten<br />

Jahre hat dies deutlich bestätigt.<br />

Daher ist zu fragen: Konnte die Stadtverwaltung am 0<strong>1.</strong> <strong>Mai</strong> 2006<br />

anders handeln? Wohl kaum. Sie hat erreicht, dass die Demonstrationsroute<br />

geändert wurde, die Innenstadt den Bunten gehörte. Und<br />

der Oberbürgermeister war in der ersten Reihe der Gegenaktion auf<br />

dem Neuen Markt zu finden. Ein Verbot zu erreichen, war von vorn<br />

herein illusorisch, wenn auch eine politisch legitime Forderung.<br />

Fragen ganz anderer Art tun sich inzwischen auf, zum Beispiel: Warum<br />

ist generell eine hohe Polizeipräsenz erforderlich, wenn Braune<br />

marschieren, nicht aber Bunte? Sollten Bunte etwa gewaltbereiter<br />

sein als Braune? Oder hat das vielleicht damit zu tun, dass Braune so<br />

gut wie keine Gegendemos gegen Bunte anmelden? Sollten Braune<br />

etwa längst erkannt haben, dass Gegendemos genau jene Aufmerksamkeit<br />

erzeugen, die man der anderen Seite gar nicht zugestehen<br />

will?<br />

Am <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong> kam in <strong>Rostock</strong> allerdings erschwerend die „Probe“ der<br />

Staatsmacht für den G8- Gipfel hinzu. Da wurde nicht nur unverhältnismäßige<br />

Präsenz gezeigt, sondern auch gleich einmal ein ver-


meidbarer Kessel inszeniert. Was diese Erfahrung bei jungen Leuten,<br />

die friedlich ihr Recht auf Meinungsäußerung wahrgenommen haben,<br />

dauerhaft bewirkt, wäre sogar eine soziologische Studie wert.<br />

Eine weitere Frage: Liegt das braune Problem nicht noch tiefer? Wer<br />

demonstriert eigentlich gegen alltäglichen Rassismus, am Arbeitsplatz,<br />

in der Kneipe etc.? Sind braune Demos wirklich ein rechtliches<br />

Problem oder ist diese Sicht nur ein Zeichen für Hilflosigkeit?<br />

Gerade diejenigen, die an dieser Stelle laut Ja zum Rechtsproblem<br />

und Nein zur Hilflosigkeit sagen, vertreten oftmals das Mittel der<br />

Gegendemo als einzige politische Antwort – womit wir wieder im<br />

beschriebenen Dilemma wären. Das wird umso größer, je kleiner die<br />

Teilnehmerzahl ist.<br />

In <strong>Rostock</strong> blieben die Gegendemonstranten zwar nicht aus, aber<br />

doch weit unter den Erwartungen. Das lag sicherlich sowohl an der<br />

Unerreichbarkeit einer komplett abgeriegelten Innenstadt, womit das<br />

Recht auf Demonstrationsfreiheit stark eingeschränkt wurde, als<br />

auch an den im Vorfeld geschürten Ängsten möglicher Krawalle.<br />

Aber die einzige Erklärung ist dies wohl nicht. Damit eröffnen sich<br />

Fragen sowohl an die Sicherheitskräfte als auch die Gewerkschaften.<br />

Wenn nicht mehr Menschen Farbe bekennen wollen als üblicherweise<br />

zu einem ersten <strong>Mai</strong> kommen, dann ist vielleicht auch die Art<br />

der <strong>Mai</strong>feier zu überdenken.<br />

Wie man auch immer im Einzelnen die Sache bewertet, eines dürfte<br />

klar sein: Einstellungen zeigen sich in erster Linie alltäglich, in einer<br />

konkreten Lebensweise. Die Teilnahme an Demos im Sinne einer<br />

political correctness kann hingegen auch zur bloßen Selbstbestätigung<br />

werden, insbesondere dann, wenn sie noch unter einem Wahlkampfstern<br />

steht. Den einzigen tatsächlichen Gegenpol auf dem<br />

Neuen Markt stellte das Konzert von Konstantin Wecker dar.<br />

Erfreulich ist, dass in <strong>Rostock</strong> gegen Braune inzwischen auch Phantasie<br />

am Werke ist und viele kreative Wege gefunden hat: Fotoaktionen,<br />

eine Nacht der Kulturen, Theaterstücke, Diskussionsforen und<br />

Ähnliches.<br />

Greift man den Ausgangsgedanken von der Symbolhaftigkeit politischer<br />

Meinungsäußerung auf, so sind vielleicht keine Gegendemos<br />

gegen braune Gesinnung erforderlich, die erhöhten Polizeieinsatz<br />

und damit erhöhte Kosten zur Freude der Braunen zur Folge haben,<br />

sondern vielmehr symbolische Handlungen. Zum Beispiel das Beflaggen<br />

der Stadt mit den Fahnen von „Bunt statt braun“, das<br />

„Schützen“ des Rathauses durch den Oberbürgermeister und die<br />

sechs Fraktionsvorsitzenden (insgesamt <strong>Rostock</strong>er Siebenzahl) während<br />

der Aufmärsche durch die Innenstadt - für alle sichtbar unter<br />

den Säulen.<br />

Die Antwort auf braunes Gedankengut muss politische Aufklärung,<br />

inhaltliche Auseinandersetzung und Beseitigung sozialökonomischer<br />

Probleme sein. Die Antwort auf braune Demos sollten symbolische<br />

Handlungen sein. In Abwandlung eines Spruches wünschte ich mir:<br />

Stellt Euch vor es ist Braunen-Demo und niemand geht hin! ¬<br />

FOTO: ANTJE UCKLEYA<br />

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28<br />

TITELTHEMA: RÜCKBLICK/APPELL<br />

Warum sind wir nicht nervös?<br />

CORNELIA MANNEWITZ<br />

Dies ist – das sei ausdrücklich betont - eine persönliche Sicht der<br />

Dinge. Widerspruch wäre nicht o.k., sondern sogar außerordentlich<br />

wünschenswert. Denn diese Sicht kann erschrecken.<br />

Der Arbeitskreis Mahnruf hatte schon vor Wochen erklärt, dass er<br />

die Unterschriften unter „Für einen <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong> ohne Nazis!“ im April auf<br />

einer Pressekonferenz an den Oberbürgermeister übergeben wolle.<br />

Bei der Terminfindung im Büro des OB entstand der Gedanke, auf<br />

dieser Konferenz auch DGB und Bunt statt braun ihre Planungen<br />

für den <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong> vorstellen zu lassen. Daraus resultierte, unschwer zu<br />

erkennen, ein Angebot des Mahnrufs, die Eröffnung einer Chance,<br />

die allerdings auch im Arbeitskreis sowohl Befürworter als auch<br />

Gegner fand: Letztere fürchteten, die Ideen des Mahnruf könnten<br />

untergehen und seine Vertreter an den Rand gedrängt werden; Erstere<br />

hielten das für kaum möglich. Im Nachhinein Hut ab vor den<br />

Gegnern: Es war möglich.<br />

Aber man hatte sich nicht vorstellen können, zu welchen Mitteln gegriffen<br />

werden würde. Uralte Trickkiste, unterstes Fach: Behaupten,<br />

die Pressekonferenz sei schon lange geplant gewesen und der Mahnruf<br />

dränge sich nachträglich hinein; Zusammenbrüllen eines jungen<br />

Mannes am Telefon; keine (in Worten: keine) Zeile zur Übergabe der<br />

Mahnruf-Unterschriften in der Presse, obwohl es auf der Konferenz<br />

sogar Beifall gab. So viel zum Umgang mit Personen, die sich präzise<br />

gegen die Nazidemonstration positioniert hatten. Wollte man mit<br />

ihnen nicht reden? Oder, noch schlimmer: Konnte man nicht? Oder<br />

auch: Wollte man jemandem damit gefallen?<br />

„The authorities are nervous,” sprach ein Reporter am Ü-Wagen der<br />

BBC vor der Geräuschkulisse einer sich formierenden Gegendemo<br />

ins Mikrofon. „Sie fürchten für das Bild ihrer Stadt in der internationalen<br />

Öffentlichkeit, wenn hier am Tag der Befreiung Rechtsextreme<br />

marschieren.“ Das war am 8. <strong>Mai</strong> 2005 am Brandenburger Tor in<br />

Berlin zu beobachten. In <strong>Rostock</strong> ganz das Gegenteil: Der Vize einer<br />

Bürgerschaftsfraktion, mit deren Namen sich Begriffe wie Demokratie<br />

und politische Wende im Osten verbinden, warnt vor einer<br />

Blamage für <strong>Rostock</strong> durch mögliche Medienberichte über ein nicht<br />

geglücktes Verbot der Nazidemonstration, und überhaupt sei das ja<br />

ein Problem für die Verwaltung (darauffolgend frenetischer Applaus<br />

mindestens zweier Sitzreihen). Am <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong> 2006 marschieren Nazis<br />

durch <strong>Rostock</strong>; die Gewerkschaften, zu deren historischer Erfahrung<br />

es gehört, dass die Nazis am Morgen nach dem ersten „nationalen“<br />

<strong>1.</strong> <strong>Mai</strong>, 1933, nichts Eiligeres zu tun hatten, als die freien Gewerkschaften<br />

zu zerschlagen, organisieren eine bunte Volksbelustigung<br />

mit VIP-Lounge und ideologisch wenig wählerischem Musikprogramm.<br />

Und was hat es gebracht?<br />

- Die Äußerung der Vorsitzenden einer diese Veranstaltung mit tragenden<br />

<strong>Rostock</strong>er Organisation zu Verfassungsmäßigkeit der<br />

NPD, getätigt auf einer öffentlichen Zusammenkunft zur Vorbereitung<br />

des <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong>, wird vom Vorsitzenden des NPD-Landesverbandes<br />

und Anmelder der Demonstration als Aufhänger für einen<br />

Offenen Brief mit einem Kooperationsangebot an den Oberbürgermeister<br />

benutzt.<br />

- Die Nazidemonstration marschiert, dafür erreichen viele Besucher<br />

der Veranstaltung auf dem Neuen Markt nur unter größten<br />

Schwierigkeiten die Innenstadt; die Diskussionen darüber schwelen<br />

noch immer.<br />

- Eine phantasievolle Störaktion der Gewerkschaften wird kurzfristig<br />

abgeblasen (gut, dass offiziell kaum jemand von ihr wusste).<br />

Natürlich ist Ruhe in der Stadt angenehm. Aber Streben nach Ruhe<br />

um jeden Preis ist Politik für Wendehälse, Spießer, Mitläufer. Die<br />

Landtagspräsidentin war die Einzige im Podium der Pressekonferenz,<br />

die öffentlich zu politischen Aussagen fand. Sie verwies auf das<br />

Vorankommen der Nazis im Kampf um die Parlamente. Ihre Frage<br />

danach, was die Stadt tun werde, blieb im Raum stehen. Für dieses<br />

Mal. In allernächster Zeit wird man sie beantworten müssen. Mir<br />

persönlich flatterte neulich ein Angebot für ein Probeabo der „Jungen<br />

Freiheit“ ins Haus. Wer möchte? ¬


Beitrag auf dem Tag der Fachbereiche von<br />

ver.di am 20.05.06 in <strong>Rostock</strong><br />

DETLEF SCHÜTZ, MITGLIED IM VER.DI-BEZIRKSVORSTAND (FACHBEREICH 8)<br />

Liebe Kolleginnen und Kollegen,<br />

war der <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong> 2006 ein ganz gewöhnlicher <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong>? Meine Erlebnisse an diesem Tag sagen NEIN! Es war kein<br />

gewöhnlicher <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong>!<br />

Allein den Ausgangspunkt der <strong>Mai</strong>demonstration am Werftdreieck zu erreichen, war ein abenteuerliches und<br />

deshalb schwieriges Unterfangen. An allen Ausfall- und Zugangsstrassen standen die Vertreter der Staatsmacht<br />

und machten Personenkontrollen. Ohne die entsprechenden Ausweise und Zugangsutensilien war es sehr<br />

schwierig, den Sammelpunkt am Werftdreieck zu erreichen. Deshalb dauerte es auch eine Zeit, bis eine größere<br />

Menge an Demonstrationswilligen zusammengekommen war. Aber irgendwann ging es los.<br />

Einige tausende <strong>Mai</strong>marschierer waren durchgekommen. Im Vergleich zu den Vorjahren - mehr als sonst. Das<br />

hatte diesmal aber seinen Grund. Immerhin war die größte Neonazi-Demonstration für den Norden angekündigt<br />

worden. Ein Affront gegen die Demokratie und ein Missbrauch des <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong> als Tag der Arbeit aller aufrechten<br />

Menschen. Der Marsch zum Neuen Markt, nach Jahren der Bedeutungslosigkeit – ein Quantensprung.<br />

Die zahlreich angebotenen Programme von der Haupttribüne und die vielen Stände auf dem Neuen Markt und<br />

in der Kröpeliner Strasse sorgten für Abwechselung. Das absolute Highlight für mich, der Auftritt von Konstantin<br />

Wecker. Mit ihm sollte ich nach seinem Konzert noch mehrmals zusammentreffen.<br />

Zusammentreffen wo? - Als erstes auf dem Dach des Gewerkschaftshauses, vor dem sich die braune Brut gerade<br />

zusammenrottete. Der Weg dorthin durch Polizeiabsperrungen fast unmöglich. Ihr könnt mir glauben,<br />

selbst Menschen wie Wecker, die ihr Leben dem Kampf gegen RECHTS verschrieben haben, waren erschüttert.<br />

Immerhin hatten sich gut 1500 Neonazis aus der gesamten Bundesrepublik vor unser DGB-Haus begeben.<br />

Was da an Hass und Parolen aus den Lautsprechern der Braunen floss, wie aus der Büchse der Pandora, nichts<br />

Schlimmeres habe ich in meinem Leben gehört. Erspart mir bitte dazu nähere Ausführungen. Aber was ebenso<br />

schwer wog, war für mich die durch die Polizei verordnete Untätigkeit und die Verhinderung des Einsatzes<br />

unserer Musikanlage auf dem Dach des Gewerkschaftshauses. Die Ohnmacht auf den Gesichtern der Anwesenden<br />

sprach Bände.<br />

Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Vorfälle gilt es aufzuarbeiten und an den entsprechenden Stellen mit<br />

großem Nachdruck für die Zukunft zu verhindern. Denn eines lasst mich feststellen, es wird bestimmt nicht das<br />

letzte Mal sein, dass es zu einer solchen Konstellation kommen wird, dass Braune gut beschützt durch unsere<br />

Stadt marschieren dürfen.<br />

Deshalb mein Aufruf an alle Anwesenden – Wehrt euch jetzt und nicht erst dann, wenn es wieder einmal zu<br />

spät ist! ¬<br />

29


30<br />

TITELTHEMA: STANDPUNKT<br />

<strong>1.</strong> <strong>Mai</strong> – Tag der Arbeit – Unser Tag!<br />

PETER GEITMANN<br />

Ja, wenn ich schon sage, der <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong> ist unser Tag, dann meine ich angesichts<br />

der Erlebnisse dieses Tages in diesem Jahr in <strong>Rostock</strong>: „Den<br />

Nazis darf der <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong> nicht gehören.“ Dass sie dennoch eine Plattform<br />

erhielten und durch einen Teil unserer Stadt marschieren durften,<br />

war schon frustrierend. Aber wütend machen konnte mich vor<br />

allem, dass sie auch noch das Recht erhielten, am Gewerkschaftshaus<br />

und in der Rosa-Luxemburg-Straße Kundgebungen abzuhalten.<br />

Als ein Mitglied des Deeskalationsteams war ich mit in der Nähe und<br />

konnte hören, was dort verbreitet wurde. Die Redner der Nazis besetzten<br />

Themen wie „Sozialstaat“, „Arbeitsmarktpolitik“ und „Familie“<br />

– also Themen, die den Bürgern wichtig sind und die auch Inhalt<br />

unserer Gewerkschaftspolitik sind. Aber die Lösungen, die sie<br />

anbieten, sind weit entfernt von unseren. Hier geht es gar nicht um<br />

mehr Gerechtigkeit, sondern um gute und schlechte Deutsche. Die<br />

Ausländer müssen nur raus – dann haben wir wieder eine „heile<br />

Welt“.<br />

Mein Gott, wessen Geistes Kind sind die? Auf Berlinerisch würde<br />

ich sagen: „Nachtigall ik hör dir trapsen.“ Wir müssen aufpassen,<br />

dass wir nicht die Zeiten eines von denen gewünschten 4. Reiches erleben.<br />

Angesichts so umfassender Ablehnung von demokratischen<br />

Grundwerten meine ich, dass die NPD verboten werden muss und<br />

wünschte mir, unser Staat hätte den Mut dazu.<br />

Was für eine Botschaft !?<br />

TOM SCHULTZE<br />

Der <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong> in <strong>Rostock</strong> war geprägt von einem völlig übertriebenen<br />

Polizeieinsatz. Schätzungsweise 6000 Polizisten, eine eigens antransportierte<br />

Reiterstaffel sowie Unmengen an leichtem und mittlerem<br />

Gerät sorgten dafür, dass das öffentliche Leben in der Innenstadt der<br />

Hansestadt völlig lahm gelegt wurde. Zahlreiche Bürger hatten Mühe,<br />

sich in ihrer Stadt von A nach B zu bewegen. Auch die Teilnahme<br />

an den Kundgebungen für ein menschenfreundliches und offenes,<br />

eben buntes, <strong>Rostock</strong> war vielen Bürgern gar nicht bzw. nur unter<br />

erschwerten Bedingungen möglich. Ca. 3 Millionen Euro kostete<br />

unser Land dieser „Spaß“! Davon entfallen auf jeden Erwerbstätigen<br />

in diesem Bundesland 2,5 €.<br />

Welche Botschaften ergeben sich für die Bevölkerung dieses Landes<br />

aus diesen Fakten?<br />

Möglicherweise sind es folgende:<br />

<strong>1.</strong> Als Neonazi in Deutschland bin ich während einer Demonstration<br />

besser geschützt und durch die Polizei von anders denkenden Bür-<br />

Das Polizeiaufgebot war unangemessen groß. Ob es eine Probe für<br />

den bevorstehenden G8-Gipfel sein sollte, lasse ich mal dahingestellt.<br />

Aber was nicht akzeptabel ist und sein kann, ist die Tatsache,<br />

dass das öffentliche Leben in <strong>Rostock</strong> nur noch eingeschränkt funktionieren<br />

durfte. Es gab de facto keinen ÖPNV mehr und durch eine<br />

fast komplette Abschottung der Marschroute der NPD konnte<br />

auch der <strong>Rostock</strong>er/die <strong>Rostock</strong>erin nicht mehr auf gewohnten<br />

Wegen nach Hause gehen; kilometerlange (Um-)Wege mussten in<br />

Kauf genommen werden.<br />

Die Demo des Bündnisses DGB - Hansestadt <strong>Rostock</strong> - „Bunt statt<br />

braun“ stand im Zeichen: „<strong>Rostock</strong> bleibt bunt“ – gegen Rassismus<br />

und Gewalt. Das ist klar vermittelt worden und hat auf dem Neuen<br />

Markt, der Kröpi und dem Uni-Platz auch für eine gute Atmosphäre<br />

gesorgt. Sehr viele Menschen haben deutlich gemacht: Wir sind<br />

ein offenes, tolerantes und freundliches <strong>Rostock</strong>. ¬<br />

gern abgeschirmt, als jeder Staatsgast und kann außerdem ohne<br />

Hemmungen menschenverachtende Parolen schreien.<br />

2. Als Patient verweist man mich der Praxis, wenn ich pro Quartal<br />

nicht 10,- € bezahlen kann. Darüber hinaus ist sich unser Land<br />

nicht zu schade, 2,5 € von meinem Geld dafür auszugeben, meine<br />

Heimatstadt für einen Tag quasi unter Kriegsrecht zu stellen.<br />

3. Da in Deutschland mittlerweile mehrere Veranstaltungen, unter<br />

anderem in Halberstadt, die gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit<br />

gerichtet waren, abgesagt wurden, weil Neonazis mit ihrem<br />

Erscheinen drohten, entsteht bei mir der Eindruck einer Ungleichbehandlung.<br />

Anscheinend war in diesen Fällen keine Polizei verfügbar. Wahrscheinlich<br />

mussten die Beamten gerade die Überstunden vom letzten<br />

NPD – Aufmarsch abfeiern?<br />

Wat `ne Botschaft…!? ¬


FOTO: ANTJE UCKLEYA<br />

31


32<br />

TITELTHEMA: PRAXIS<br />

Französisch-deutscher<br />

Jugendaustausch in M-V<br />

Erfahrungen, Eindrücke und Erlebnisse im <strong>Mai</strong><br />

FRAGEN AN JULIANE SEIFERT, TEAMERIN DES „ARBEIT UND LEBEN“ E.V. IN M-V,<br />

BJÖRN KLUGER, REDAKTIONSMITGLIED<br />

Aus welchem Anlass hielten sich die französischen Jugendlichen in M-V<br />

auf? Wer war Partner, Organisation?<br />

Die neun französischen Jugendlichen im Alter von 13 bis 18 Jahren<br />

kamen alle aus dem Ort Aimargues, welcher zwischen Nîmes und<br />

Montpellier in Südfrankreich, unweit des Mittelmeeres liegt. Sie nutzen<br />

dort regelmäßig die Angebote eines Kinder- und Jugendtreffs,<br />

der vom französischen Verband Léo Lagrange unterhalten wird. Gemeinsam<br />

mit Arbeit und Leben Mecklenburg-Vorpommern organisierte<br />

die Regionalstelle von Léo Lagrange in Nîmes diesen Austausch.<br />

Das Deutsch-Französische Jugendwerk (DFJW) unterstützt<br />

Jugendbegegnungen dieser Art mit einem finanziellen Zuschuss, einen<br />

Eigenanteil leisten jeweils die Teilnehmenden.<br />

Die Gruppe wurde begleitet von einer Betreuerin des Jugendtreffs<br />

und einer deutsch-französischen Teamerin, die derzeit in Nîmes lebt<br />

und bei Léo Lagrange arbeitet. Zu diesen gesellte sich eine weitere<br />

Teamerin, die im Auftrag von Arbeit und Leben vor Ort die Begleitung<br />

der Gruppe übernahm.<br />

Eine Woche, vom 30. April bis 06. <strong>Mai</strong> 2006, weilte die Gruppe in<br />

Stralsund, war in der Jugendherberge untergebracht und unternahm<br />

von dort Ausflüge (z.B. Rügen, Hiddensee), Besuche (im Herder-<br />

Gymnasium in Stralsund, dem Meereskundemuseum in Stralsund)<br />

und machte sich auch am <strong>1.</strong> <strong>Mai</strong> auf den Weg nach <strong>Rostock</strong> zur Veranstaltung<br />

„<strong>Rostock</strong> bleibt bunt“. Dabei waren wir an den meisten<br />

Tagen als deutsch-französische Gruppe unterwegs, einige Schülerin-<br />

FOTO: TOM MAERCKER


nen und Schüler aus Stralsund nahmen am Programm teil und werden<br />

voraussichtlich im Herbst diesen Jahres zum Rückbesuch nach<br />

Frankreich fahren, um dort von den französischen Jugendlichen<br />

empfangen zu werden und eine gemeinsame Woche zu verbringen.<br />

Aus welcher Perspektive erfolgte Programmgestaltung?<br />

Im Rahmen der Jugendaustausche, die vom DFJW unterstützt werden<br />

und die in nun schon langjähriger Kooperation zwischen Léo<br />

Lagrange und den verschiedensten regionalen Arbeitsgruppen von<br />

Arbeit und Leben organisiert werden, stehen folgende Programmpunkte<br />

im Vordergrund und waren auch Grundlage dieser Begegnung:<br />

- Treffen und Austausch mit Jugendlichen vor Ort, Besuch ihrer<br />

Ausbildungsstätte<br />

- Erkundung und Kennen lernen der Region, der Sprache, der Kultur,<br />

Begegnung mit Menschen und deren Traditionen<br />

- Informationen und Austausch über die Sprache (Sprachanimation),<br />

über das Schulsystem, über politische, gesellschaftliche und<br />

historische Ereignisse<br />

Wie war die Gruppe zusammengesetzt, hatten sie eigene Vorstellungen<br />

von Deutschland bzw. Mecklenburg-Vorpommern?<br />

Einige der 9 französischen Jugendlichen (alles Jungs) waren schon<br />

einmal in Deutschland, keiner von ihnen jedoch in Mecklenburg-<br />

Vorpommern. Ihre Vorstellung von Land und Leuten war daher sehr<br />

allgemein, im Laufe dieser Woche hatten sie jedoch die Gelegenheit,<br />

viele Orte kennen zu lernen, begeistert waren sie von unserem Ausflug<br />

mit dem Schiff von Stralsund auf die Insel Hiddensee, beeindruckt<br />

vom ehemaligen KdF-Bad Prora und seiner Entstehungsgeschichte.<br />

Auch die Begegnung mit den verschiedensten Menschen<br />

hat intensive Eindrücke hinterlassen, so z. B. der Tag in <strong>Rostock</strong> - sicher<br />

auch für <strong>Rostock</strong> kein Tag wie jeder andere – die Teilnahme an<br />

der Demonstration und das anschließende Fest in der Innenstadt<br />

war ein Thema, welches wir auch danach noch diskutiert haben.<br />

Ebenso erfuhren wir durch den Austausch mit den deutschen Jugendlichen,<br />

der anfangs sehr zögerlich angenommen wurde, viel<br />

über das Leben junger Leute in Deutschland und speziell in Mekklenburg-Vorpommern.<br />

Gemeinsame Momente wurden auch immer<br />

von den Begleiterinnen der Gruppe genutzt, um die Jugendlichen<br />

auf wichtige und interessante Informationen zu Kultur, Geschichte<br />

und aktuellen Anlässen aufmerksam zu machen.<br />

Ein Großteil der Familien, aus denen die französischen Jugendlichen<br />

stammen, hat maghrebinische Wurzeln, was mit großer Sicherheit einen<br />

Einfluss auf die eigene Wahrnehmung der Jugendlichen, in ihrem<br />

Heimatort und noch stärker an einem unbekannten Ort, und<br />

auf ihre Fremdwahrnehmung durch andere hat. Einige unangenehme<br />

Situationen, in denen sie schon im Vorfeld besondere Aufmerksamkeit<br />

erregten (wenn z.B. in Geschäften ein ganz „besonderes Auge“<br />

auf sie geworfen wird, Blicke von Buspassagieren und Passanten)<br />

haben auch wir erleben müssen. Sicher spielt dabei auch ihr eigenes<br />

Auftreten, v.a. in der Gruppe mit ihren eigenen Umgangsregeln,<br />

eine Rolle, die versteckte Konfrontation mit Vorurteilen gegenüber<br />

Fremden und augenscheinlich „Anderen“ bekamen wir jedoch<br />

während dieser Woche auch deutlich zu spüren.<br />

Wie war die Bewegungsfreiheit der Gruppe, gab es neben den Programmpunkten,<br />

öffentliche Räume, die nicht betreten wurden?<br />

Durch ein gut organisiertes Programm und die Unterkunft etwas<br />

außerhalb der Stralsunder Innenstadt in der Jugendherberge Devin,<br />

gab es wenig „spontane“ Ausflüge. Zudem war allein schon das Alter<br />

der Jugendlichen (13 – 18 Jahre) Grund dafür, genaue Vereinbarungen<br />

zu treffen und größtenteils in der Gruppe und an den vorgesehenen<br />

Orten unterwegs zu sein.<br />

Das Programm war sehr abwechslungsreich und führte uns natürlich<br />

vor allem zu den bekannten und touristisch erschlossenen Plätzen,<br />

so dass es in dieser Hinsicht keine Einschränkungen bzw. Probleme<br />

gab.<br />

Wie verlief der <strong>1.</strong><strong>Mai</strong> in <strong>Rostock</strong>? Gab es Eindrücke? Wenn ja welcher Art<br />

bzw. gab es Reaktionen? Wussten die Jugendlichen, was in <strong>Rostock</strong> los<br />

war?<br />

Eine Vorbereitung der Jugendlichen auf die Veranstaltung des <strong>1.</strong><br />

<strong>Mai</strong> in <strong>Rostock</strong> erfolgte von Beginn an. Dies reichte von Erläuterungen<br />

zum konkreten Anlass in <strong>Rostock</strong> über Informationen zur Problematik<br />

des Rechtsextremismus allgemein und in Deutschland bis<br />

hin zu genauen Verabredungen mit der Gruppe und gemeinsamen<br />

Regeln für diesen Ausflug nach <strong>Rostock</strong>.<br />

Zu unserem ersten Anlaufpunkt, dem IG-Metall-Truck, gelangten<br />

wir ohne Probleme und konnten mit bzw. auf diesem bis in die<br />

Innenstadt ziehen. Auch einen anschließenden Rundgang im <strong>Rostock</strong>er<br />

Zentrum und inmitten des Stadtfestes unternahmen wir. Als<br />

wir jedoch, nicht wie geplant erst gegen 17 Uhr, sondern schon um<br />

14 Uhr unseren Rückweg zum Bahnhof antreten wollten, konnten<br />

wir diesen nur nach vergeblichen Versuchen, den normalen und kürzesten<br />

Weg einzuschlagen, und einem immensen Umweg erreichen.<br />

Die Rückfahrt war dann aber wieder unproblematisch.<br />

Beeindruckt zeigten sich die Jugendlichen vor allem von der Vielfalt<br />

der an der Demonstration teilnehmenden Menschen und die Vielzahl<br />

alternativer Jugendlicher, die mit ihren ausgefallenen Frisuren<br />

und Kleidungen und ihrer starken Präsenz so anders als ihr gewohntes<br />

Umfeld und damit für einige schon befremdlich wirkten. Ein<br />

weiterer bleibender Eindruck war das große Polizeiaufgebot und eine<br />

Situation, die sich kurz nach unserer Ankunft mit dem Truck in<br />

der Innenstadt ereignete, als sich eine Gruppe aus der Menge der<br />

Demonstranten löste und auf den Truck zu- bzw. an ihm vorbeirannte,<br />

um eine dahinterliegende Polizeiblockade zu stürmen.<br />

Mit unserer Gruppe haben wir natürlich versucht, jede Eskalation<br />

bzw. unvorhersehbare Orte und Situationen so weit wie möglich zu<br />

vermeiden, und von den Jugendlichen selbst ging dazu auch keinerlei<br />

Initiative aus. Für mich persönlich war die Teilnahme an der Veranstaltung<br />

„<strong>Rostock</strong> bleibt bunt“ eine wichtige Sache und auch, dass<br />

wir daran mit den französischen Jugendlichen teilgenommen haben,<br />

hat deren Aufenthalt in Deutschland enorm bereichert. Dieser Tag<br />

war jedoch auch einer der Angespanntesten. Einerseits durch die<br />

Verantwortung und Aufmerksamkeit für die Gruppe, die mir in dieser<br />

Situation besonders präsent waren und andererseits durch meinen<br />

eigenen Eindruck, an einer solchen Veranstaltung teilzunehmen<br />

und mich in einem gewissen Rahmen frei bewegen zu können, an<br />

der nächsten Straßenecke jedoch alle Einschränkungen und Unfreiheiten<br />

spüren zu müssen. ¬<br />

33


34<br />

REZENSION: GELESEN<br />

Erneuerung von den Rändern her<br />

Rezensionen<br />

JENS LANGER, REDAKTIONSMITGLIED<br />

Annemarie Türk (Hg.): Grenzverkehr, Literarische<br />

Streifzüge zwischen Ost und West. Drava,<br />

Klagenfurt 2006, 320 S., 21 Euro.<br />

Helga Rabenstein et al. (Hgg.): kultur.räume.<br />

Universitäten Klagenfurt, Koper, Ljubljana, Maribor,<br />

Trieste, Udine. Drava, Klagenfurt 2005, 160 S., 16<br />

Euro.<br />

Werner Wintersteiner: Poetik der Verschiedenheit.<br />

Literatur, Bildung, Globalisierung. Drava,<br />

Klagenfurt 2006, 322 S., 29,50 Euro.<br />

Während ein nicht mehr ganz junger Eurozentrismus<br />

Ablehnung und im Einzelnen<br />

auch schon einmal Erschrecken zeitigt, finden<br />

sich in den vorzustellenden 3 Bänden<br />

eminent Zukunft eröffnende Zugänge zu einem<br />

Europa, das Grenzen auch kennt und<br />

transformiert. Dabei gilt das Interesse den<br />

marginalisierten Literaturen, Ethnien und<br />

Regionen, und zwar in ihrer verwandelnden<br />

Kraft. Die voneinander unabhängigen Darstellungen<br />

widmen sich dabei literarischer<br />

Gestaltung in praxi, institutionellem universitärem<br />

Engagement und theoretischer<br />

Durchdringung der Materie. Der erste Band<br />

bildet die literarische Basis für dieses ganzheitliche<br />

Europa mit allen seinen Rändern.<br />

Ausgesprochen oft findet sich in diesem<br />

Sammelband das Wort „Grenze“, solo und<br />

in Zusammensetzungen etwa mit „Erfahrungen“<br />

und „Überschreitungen“. Daneben<br />

taucht häufig Wien als Ziel- oder Ausgangsort<br />

auf. Beides ergibt sich daraus, dass ein<br />

österreichisches Projekt Künstler und<br />

Künstlerinnen zu Studienaufenthalten einlädt<br />

und diese 2004 für die Anthologie literarische<br />

Streifzüge zwischen Ost und West<br />

unternahmen. Zugleich hat „KulturKontakt<br />

Austria“ für dieses Unterfangen die Übersetzer/innen<br />

ins Deutsche eingeladen. Wenn<br />

die Leserschaft also zu dem Buch greift, ist<br />

mit demselben längst etwas geschehen, zwar<br />

öffentlich und doch für die Lektüre üblicherweise<br />

eine verborgene Grenzgängerei: Die<br />

Beiträge sind allesamt übersetzt worden, und<br />

die Originale in 12 Sprachen können im<br />

zweiten Teil aufgeschlagen werden. 21 Männer<br />

und Frauen haben Essays, Skizzen, Gedichte<br />

und Tagebuch-Notizen geschrieben,<br />

von 15 Dolmetscher/innen übertragen. Von<br />

Lettland über Rumänien und Albanien bis<br />

Russland und Serbien sind Literaturen im<br />

kleinen und großen Grenzverkehr vertreten.<br />

Damit leistet der Band einen Brücken-<br />

Dienst, ohne den das vielbeschworene Europa<br />

eine Bürokratenidee bliebe.<br />

Der ukrainische Schriftsteller Jurij Andruchowytsch<br />

z.B. ist gerade auf der Leipziger<br />

Buchmesse mit dem Preis für europäische<br />

Verständigung ausgezeichnet worden und<br />

hat bei seiner Ehrung in einer fulminanten<br />

Rede versichert, er werde nie mehr ins EU-<br />

Europa einreisen, solange Visa-Zwang bestünde.<br />

In dieser Anthologie verlangt er entsprechend,<br />

als Europäer und nicht als Fremder<br />

behandelt zu werden. Nelly Bekus aus<br />

Weißrussland beschreibt analoge bittere Erfahrungen<br />

auf dem „Territorium des Visums“.<br />

Die Lektüre verdeutlicht jedenfalls<br />

nicht allein mittels dieser Beispiele, dass es<br />

aus der Perspektive der Betroffenen noch eine<br />

andere Visa-Affäre gibt als die, die politisch<br />

2005 vorgeführt wurde. Die Orte, von<br />

denen aus hier geschrieben wird, können<br />

nicht einfach als Peripherie abgetan werden.<br />

Auch so herabgesetzt, könnte Südosteuropa<br />

stärker ins Zentrum des Geschehens rücken,<br />

als jetzt vorstellbar. Somit wird insgesamt<br />

auf unkonventionelle und einladende Weise<br />

Aufklärung und Weiterbildung in Sachen<br />

Europa für Menschen geleistet, die noch andere<br />

Stimmen hören möchten als die aus der<br />

europäischen Verwaltung.<br />

Der zweite vorzustellende Band versammelt<br />

Vorträge auf der Konferenz kultur.räume,<br />

zu der die Universität Klagenfurt / Celovec<br />

ihre Nachbaruniversitäten Triest, Ljubljana,<br />

Udine, Maribor u. Koper im November<br />

2003 eingeladen hatte – der Alpen-Adria-<br />

Raum synchron als Herberge von Regionalität<br />

und Labor der Internationalität. Dabei<br />

beherrscht nicht Euphorie die Szene, sondern<br />

Einfühlung in die Notwendigkeit. Fortschritte<br />

und Hemmnisse im Forschungsund<br />

Wirtschaftsraum z. B. werden deutlich<br />

benannt (H.-J. Bodenhöfer), Erfolge und<br />

Defizite der akademischen Kooperation<br />

kommen zur Sprache samt Mangel an Finanzen<br />

sowie hilfreichen Netzwerken und Lobbies<br />

(C. Benussi) nebst Bescheidenheit als<br />

Meisterin des akademisch Möglichen (P.-H.<br />

Kucher). Regionen mit ihren Kulturen und<br />

Literaturen im Dialog decken bei unterschiedlicher<br />

Methodik der Beiträge blinde<br />

Flecken in der Wahrnehmung der Fremden<br />

auf (z. B. N. Slibar). Die Mehrsprachigkeit<br />

des Bandes mit englischen Resümees liefert<br />

ein Exempel für die Transformation vielfach<br />

genannter Grenzen.


„Diese Arbeit ist gegen einen bildungspolitischen<br />

Zeitgeist gerichtet, der das Bildungswesen<br />

den Wünschen der Wirtschaftsmächtigen<br />

unterordnet und den Anspruch auf<br />

Emanzipation durch Bildung längst aufgegeben<br />

hat“ (226), beschreibt der Autor dieser<br />

theoretischen Grundlegung seine Position in<br />

schöner Offenheit. Er will der Reduktion<br />

und Aushöhlung der Bildungsidee mit einem<br />

neuen Programm entgegentreten, nicht mit<br />

Nostalgie und Larmoyanz. Eine Poetik der<br />

Verschiedenheit wird von ihm in zahlreichen<br />

Facetten als Theorie vorgestellt. (Ausführlicher<br />

und praktisch entwickelt W. sie in einem<br />

angekündigten Band „Transkulturelle<br />

literarische Bildung. Die Poetik der Verschiedenheit<br />

in der literaturdidaktischen Praxis“,<br />

das im Innsbrucker Studienverlag erscheinen<br />

soll.)<br />

Wer von der Kritik an der Wirkungslosigkeit<br />

der Germanistik beeinflusst ist, bekommt<br />

durch W. vermittelt, wie der „Diskurs der<br />

Diversität“ einen innovativen Sprung in die<br />

Anforderungen der Zeitlage ermöglicht.<br />

Grenzen, Immigration, Exil und Asyl werden<br />

als Züge ständig mehr und mehr allgemeingültig<br />

werdender Welterfahrung auf ihre<br />

erneuernde Wirkung auf die Literaturwissenschaft<br />

untersucht. „Die globale Solidarität<br />

wird nicht als Errungenschaft der westlichen<br />

Zivilisation dargestellt, sondern als<br />

zeitgemäße Erneuerung einer Erfahrung<br />

und Tradition, deren Existenz von der westlichen<br />

Zivilisation bedroht ist.“ (39) W. erläutert<br />

das an einem Text John Bergers, eines<br />

Engländers, der seit Jahrzehnten in Frankreich<br />

lebt, und zieht das Fazit: „Es gibt kei-<br />

nen Weg mehr zurück, zum alten Heim, nur<br />

nach vorne, zu einer noch ungewissen gemeinsamen<br />

Heimat für die gesamte Menschheit.“<br />

(38) Ein konkreter Kosmopolitismus,<br />

der von aktiver Zugehörigkeit zu einer bestimmten<br />

Region, der Durchlässigkeit von<br />

Grenzen und dem Tanz der Kulturen inspiriert<br />

ist, transformiert die nationale Bildung<br />

und beendet langfristig die Vorherrschaft<br />

des Nordens über den Süden. Lokale Verankerung<br />

und globale Perspektive bestimmen<br />

eine Kultur des Friedens, die W. beschreibt<br />

als transnationale Solidarität der Marginalisierten<br />

für eine gewaltfreie Transformation<br />

eines ungerechten Weltsystems. Die Rede<br />

von der Bedeutungslosigkeit der Literatur<br />

wird als eine Fehleinschätzung enthüllt, weil<br />

Literatur immer noch das Potential zur<br />

Überschreitung des Nationalen in Richtung<br />

Beheimatung in der Welt enthält.<br />

Die sogenannten kleinen Literaturen mit ihrer<br />

Transparenz für Mehrsprachigkeit und<br />

Multikulturalität tragen wesentlich zu dieser<br />

Grenzüberschreitung bei und bewahren<br />

nicht allein Tradition, sondern kreieren<br />

durch Kreolisierung und Hybridisierung eine<br />

neue Weltsicht. Das Universale spricht<br />

gewissermaßen Dialekt, und das Regionale<br />

wirkt in die Weite. Die Literatur der Ränder<br />

beeinflusst Mitteleuropa, und dieses bedarf<br />

solcher Einflüsse, soll es nicht zur Idylle herunterkommen.<br />

Die Anwesenheit dieser kleinen<br />

Literaturen vor und auch in den Grenzen<br />

der Dominanzkulturen durch Schriftstellerindividuen<br />

ist wahrzunehmen, sollen<br />

nicht „Medien-Bastarde“ den „mitteleuropäischen<br />

Kitsch-Konsumenten“ (D. Dedovic)<br />

FOTO: TOM MAERCKER<br />

in seinen Vorstellungen von fremder Literatur<br />

und Kultur prägen. Literarische Bildung<br />

wird in diesem Konzept repolitisiert und<br />

aufgewertet als Orientierung in Fremdheit,<br />

an Grenzen, in kulturellen Mischformen<br />

zwischen Kulturen, also in Kreolisierung,<br />

Hybridisierung und Synkretismus.<br />

In spannenden Exkursen, die an je einem<br />

exemplarischen Literaturtext die Theorie<br />

sichtbar machen, und mit wechselnden Zugängen<br />

in Kontinuität des theoretischen Ansatzes<br />

zeigt W., wie Literatur als fremdes<br />

Wort, fremder Blick auf die Gesellschaft<br />

und als fremdes Gefühl inmitten dominierender<br />

Emotionen in kulturellem Gewande<br />

den vorherrschenden Meinungen Paroli bietet.<br />

Eine andere Nachricht vom globalen<br />

Markt mit lebenswichtiger Information für<br />

das Europa von Verfestigung und Übergang,<br />

nicht zuletzt für die Literaturwissenschaft!<br />

¬<br />

35


36<br />

CHARLATANISCHE WISSENSCHAFTEN<br />

Im Vatikan gibt es zwei Päpste!<br />

VON HOLGER BLAUHUT Santa Statistika<br />

glühende Sonne der Soziologie –<br />

nur was sich zählen lässt,<br />

das ist auch wahr, Santa Statistik<br />

Die Überschrift wird korrekt, wenn man die<br />

Aussage ergänzt: Im Vatikan gibt es zwei<br />

Päpste pro Quadratkilometer. Da der Vatikan<br />

nur etwa einen halben Quadratkilometer<br />

groß ist, ist die Aussage zwar in Ordnung<br />

aber unsinnig.<br />

Die Hansestadt <strong>Rostock</strong> hat nun – der Tradition<br />

folgend, wie es im Vorwort heißt –<br />

bereits zum vierzehnten Mal ein statistisches<br />

Jahrbuch vorgelegt. Wegen der Unmenge<br />

der Daten kann auf 350 Seiten und etwa<br />

ebenso vielen Tabellen nur ein Überblick<br />

über das in Zahlen gepresste Leben der<br />

Stadt <strong>Rostock</strong> gegeben werden.<br />

Der geneigte Leser wird vergebens Hinweise<br />

auf die schöne Lage, das Meer oder die historische<br />

Altstadt suchen. Dafür kann er sich<br />

an den unterschiedlichsten Arten von Diagrammen,<br />

Zahlen in allen Größen und seltsamen<br />

Wortschöpfungen, wie Gestorbenenüberschuss<br />

erfreuen.<br />

Das Buch gibt darüber Auskunft, dass sich<br />

im Jahre 2000 die Anzahl der Ärzte und<br />

Apotheker gegenüber dem Vorjahr praktisch<br />

nicht verändert hat, während die Anzahl der<br />

Zahnärzte um 20 % zurückging. Die Trauer<br />

über das ‚große Zahnarztsterben’ hält sich<br />

aber nicht lange, da auf der gleichen Seite eine<br />

weitere Tabelle für das Jahr 2000 steigende<br />

Zahlen vermeldet. Unter der Überschrift<br />

„Überwachung der Prostitution“ wird die<br />

Anzahl der Personen angegeben, die medizinische<br />

Hilfe in Anspruch genommen haben.<br />

Die aktuellsten Daten des Buches beziehen<br />

sich auf das Jahr 2004 und so beginnt das<br />

Werk zur Erinnerung des Lesers mit einer<br />

zweiseitigen Chronik. Dort kann man noch<br />

einmal nachlesen, dass im Jahre 2004 die<br />

Olympiaträume und der Oberbürgermeister<br />

Arno Pöker gingen, die Deutsche Med und<br />

die neue Universitätsbibliothek kamen, Hansa<br />

gegen Middlesbrough 3:1 gewann und die<br />

Einwohner von Groß Klein das 25-jährige<br />

Bestehen ihres Ortsteils mit einem bunten<br />

Mix aus Musik und Sport feierten.<br />

Die offizielle Einwohnerzahl <strong>Rostock</strong>s für<br />

das Jahr 2004 betrug 198.993. Von diesen<br />

sind 909 Paare die Ehe eingegangen, während<br />

603 Ehen wieder geschieden wurden.<br />

Von den geschiedenen Paaren waren 87 länger<br />

als 26 Jahre verheiratet.<br />

Die Stadtbereiche Kröpeliner-Tor-Vorstadt<br />

und Stadtmitte haben mit 691 bzw. 670 die<br />

meisten Einwohner dazugewonnen, während<br />

Toitenwinkel mit 472 Personen den<br />

größten Abgang zu verzeichnen hatte. Einen<br />

Teil der Abgänge machen die Gestorbenen<br />

aus. Diesen werden auf zwei Seiten ausführlich<br />

die Todesursachen zugeordnet mit Ausnahme<br />

von 4 Frauen und 8 Männern, die<br />

durch ein Ereignis starben, dessen nähere<br />

Umstände unbestimmt sind.<br />

Die verbliebenen Einwohner waren sehr aktiv<br />

und meldeten u. a. 2.238 neue Einzelunternehmen<br />

an. Die Freude über diese stolze<br />

Zahl wird etwas getrübt durch die <strong>1.</strong>966<br />

Abmeldungen von Einzelunternehmen im<br />

gleichen Jahr. Da scheint sich noch kein großer<br />

Erfolg der so genannten „ICH AG“ abzuzeichnen.<br />

Das bestätigt auch die Zahl der<br />

Arbeitslosen, die mit einem kräftigen Sprung<br />

im Jahre 2004 das erste Mal die 25.000 überschritten<br />

hat. Dazu kommen noch über<br />

8.000 Arbeitssuchende, die nicht als Arbeitslose<br />

registriert sind. Damit keine Langeweile<br />

aufkommt, ist die Zahl der in <strong>Rostock</strong> veranstalteten<br />

Spezial- und Jahrmärkte um 50%<br />

zum Vorjahr gestiegen.<br />

Im Kapitel „Öffentliche Sicherheit kann sich<br />

der interessierte Leser anhand ausführlicher<br />

Hans-Eckardt Wenzel<br />

Statistiken informieren, welche Straftat in<br />

welchem Stadtteil die größte Aufklärungsquote<br />

hatte. Bei ganz speziellem Interesse<br />

kann auch genau das Gegenteil ermittelt<br />

werden.<br />

Die Delikthäufigkeit in der Jugendgerichtshilfe<br />

verzeichnet einen erfreulichen Rükkgang<br />

der Sexualstraftaten auf gerade einmal<br />

20 % des Vorjahres. Dafür sind aber die<br />

Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz<br />

und Diebstähle (im umfassenden Sinn) signifikant<br />

gestiegen. Fast unmerklich gestiegen<br />

sind dagegen die übertragbaren, meldepflichtigen<br />

Krankheiten.<br />

Im Jahre 2004 sahen 115.996 Theaterbesucher<br />

669 Vorstellungen, liehen 35.911 Bibliotheksnutzer<br />

1,2 Millionen Einheiten aus<br />

und bestaunten 47<strong>1.</strong>617 Zoobesucher <strong>1.</strong>527<br />

Tiere. Die Zahl der Kleingartenanlagen<br />

wuchs von 155 auf 157 und die der Parzellen<br />

nahm von 15.788 auf 15.745 ab.<br />

Bevor das Buch mit einer Aufschlüsselung<br />

der Wahlergebnisse endet, erfährt der <strong>Rostock</strong>er<br />

noch, dass er mit <strong>1.</strong>109 Euro pro<br />

Kopf an der Verschuldung der Stadt beteiligt<br />

ist. In dieser Tabelle, Nr. 1104 auf Seite<br />

316, hat man die Einwohnerzahl <strong>Rostock</strong>s<br />

etwas euphorisch mit 2 Millionen angegeben.<br />

Dieser Fehler scheint aber eine Ausnahme<br />

zu sein und das Werk kann uneingeschränkt<br />

empfohlen werden, zumal es durch<br />

das Überkleben zweier Seiten zu einer bibliophilen<br />

Kostbarkeit wurde. ¬<br />

Das Statistische Jahrbuch der Hansestadt <strong>Rostock</strong><br />

kostet 15,00 Euro und kann in der Kommunalen<br />

Statistikstelle bezogen werden: E-<strong>Mai</strong>l: statistik@rostock.de,<br />

Telefon: (0381) 381 11 90.


Wussten Sie eigentlich, dass ...<br />

Reklame<br />

aus Ihrer Umgebung<br />

es in <strong>Rostock</strong> 6.700 registrierte Hunde gibt?<br />

auf <strong>Rostock</strong>s Straßen täglich ca. 6,4 Tonnen(!) Hundekot liegen?<br />

es eine gesetzliche Reinigungspflicht für Hundebesitzer gibt?<br />

ansonsten ein Bußgeld in Höhe von 50 bis zu <strong>1.</strong>250 Euro erhoben werden kann?<br />

tägliche Routinekontrollen stattfinden?<br />

durch Hundekot Krankheits- und Allergieerreger auf Menschen und andere Hunde übertragen werden können?<br />

es ein fragwürdiges Vergnügen ist, beim Laufen permanent auf Hundekot achten zu müssen.<br />

Kinder die Welt entdecken, indem sie Dinge anfassen oder in den Mund nehmen?<br />

Hundekot als Rechtfertigung für weiteren Müll auf den Straßen gilt?<br />

Mehr: www.rebellentaktik.de


Bush in Deutschland: „Er ist nicht unser Gast!“<br />

Kriege beenden - Kriegsplanungen stoppen!<br />

Wir empfangen US-Präsident Bush bei seinem Besuch am 14. Juli 2006 in Stralsund mit gebührend breitem Protest.<br />

Seine arrogante Machtpolitik wird mittlerweile von einem Großteil der Gesellschaft in den USA abgelehnt.<br />

Auch hier muss ihm deutlich gemacht werden, dass er nicht willkommen ist.<br />

Von der Gastgeberin, Bundeskanzlerin Merkel, verlangen wir, dass sie keine Kriegsaktionen gegen den Iran<br />

unterstützt. Alle bisherigen Versuche, politische Probleme militärisch zu lösen, sind opferreich gescheitert.<br />

Krieg darf kein Mittel der Politik mehr sein! Ein Krieg gegen Iran würde nicht nur viele Menschenleben<br />

kosten und die Infrastruktur des Landes zerstören. Die Zivilgesellschaft, die in Frieden und frei von Unterdrückung,<br />

solidarisch und demokratisch leben will, würde zerschlagen werden.<br />

Dennoch lässt die US-Regierung keinen Zweifel daran, den Iran militärisch angreifen zu wollen. Selbst den<br />

Einsatz eigener Atomwaffen will sie nicht ausschließen. Widerspruch aus Europa kann diese Pläne verhindern.<br />

Die Bundesregierung leistete bereits beträchtliche Hilfe für den Kriegskurs der USA: durch die Nutzung der<br />

hier gelegenen Militärflughäfen, durch die Bewachung der US-Militäreinrichtungen; durch den Bundeswehreinsatz<br />

in Afghanistan und am Horn von Afrika sowie durch die Ausbildungs- und Materialhilfe für irakische<br />

Truppen. Diese Komplizenschaft muss beendet werden!<br />

Die Bundesregierung hat erstmals im Krieg gegen Jugoslawien 1999 das völkerrechtlich verbindliche und im<br />

Grundgesetz verankerte Verbot des Angriffskrieges gebrochen. Sie betreibt zielstrebig den Umbau der Bundeswehr<br />

zu einer weltweit einsetzbaren Interventionsarmee. Mit dem angekündigten neuen „Weißbuch“ des Verteidigungsministers<br />

Jung sollen der „Verteidigungsfall“ umdefiniert und weltweite Kampfeinsätze der Bundeswehr<br />

gerechtfertigt und zum Normalfall erklärt werden.<br />

Innenpolitisch begleitet den sog. „Kampf gegen den Terror“ ein zunehmender Abbau sozialer Leistungen und demokratischer<br />

Rechte. Bald soll die Bundeswehr auch im Inneren eingesetzt werden. Die Fußballweltmeisterschaft<br />

dient als erster Probelauf. Dann soll das weltweite Folterverbot durchlöchert werden: Innenminister<br />

Schäuble will durch Folter beschaffte Informationen verwerten und so das weltweite Folterverbot durchlöchern.<br />

Die US-Regierung braucht die europäischen Staaten als enge Verbündete für ihre „Koalition der Willigen“, um<br />

weitere „Kriege gegen den Terror“<br />

führen zu können. Aber die Kriege der USA sind selbst Terror und Quelle immer neuer Gewalt. Tatsächlich geht<br />

es ihnen um die Kontrolle der wichtigsten Öl- und anderer Energiequellen im Nahen und Mittleren Osten bis<br />

nach Zentralasien.<br />

Wir fordern:<br />

- Kein Krieg gegen den Iran<br />

- Abzug der Besatzungstruppen aus Irak und Afghanistan<br />

- Schluss mit der Beteiligung von NATO, EU und Bundeswehr an den Kriegen weltweit<br />

- Bestrafung aller Verantwortlichen für Folter, Misshandlung von Gefangenen und Angriffen gegen Zivilisten<br />

- Eine Atomwaffenfreie Zone in der Region des Nahen und Mittleren Ostens<br />

- Eine neue internationale Initiative zu weltweiter systematischer atomarer Abrüstung, wie im Atomwaffensperrvertrag<br />

festgelegt<br />

- Einrichtung einer ständigen Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit im Mittleren und Nahen Osten<br />

- Keine Kriege um Öl oder andere Ressourcen: Ausstieg aus Atom- und fossiler Energie, Einstieg in erneuerbare<br />

Energien<br />

Dafür treten wir ein:<br />

Um die drängenden Probleme der Menschen global friedlich lösen zu können, braucht die Welt keine Kriegsallianzen,<br />

wie sie z.B. bei den G8-Gipfeln geschmiedet werden, sondern Abrüstung und solidarische Zusammenarbeit.<br />

Wir wollen die Respektierung des Völkerrechts, staatlicher Souveränität und Grenzen sowie ein ziviles<br />

und soziales Europa mit der Verpflichtung zur Abrüstung. Wir brauchen vorrangig öffentlich geförderte Arbeitsplätze<br />

und Investitionen in Kinderbetreuung, Bildung, Gesundheit und Umweltschutz.<br />

Dafür werden wir gemeinsam am 14. Juli in Stralsund, und am 13. bzw. 15.<br />

Juli überall im Land demonstrieren!<br />

Kein Blut für Öl!

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