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Indikationen und Kontraindikationen

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PRAXISÜbersichtsartikel Praxis 2005; 94: 1555–1560 1555Vizepräsident der Eidgenössischen Kommission für Alkoholfragen, Forel Klinik, Ellikon 1Psychiatrische Universitätsklinik Zürich 21Th. Meyer, 2 R. StohlerDer ambulante AlkoholentzugOutpatient Alcohol WithdrawalZusammenfassungEs werden <strong>Indikationen</strong> <strong>und</strong> <strong>Kontraindikationen</strong>des ambulanten Alkoholentzugsdargestellt. Im Besonderen wirdauf die Symptomatik <strong>und</strong> die Diagnostikdes Alkoholentzugssyndroms eingegangen<strong>und</strong> die Rahmenbedingungen sowiedie praktische Durchführung des ambulantenAlkoholentzugs dargestellt. Dabeiwerden auch Fragen der Medikationzur Linderung des Entzugssyndroms behandelt.Schlüsselwörter: Ambulanter Alkoholentzug– Alkoholabhängigkeit – Alkoholbehandlungin der PraxisEinleitungBis Ende der 80er Jahre des letzten Jahrh<strong>und</strong>ertsbestand im deutschsprachigenRaum ein Konsens darüber, dass der Alkoholentzugwegen seiner Gefährlichkeitnicht ambulant durchgeführt werden dürfe[1]. Nur im stationären internistischen oderpsychiatrischen Bereich sei genügend Sicherheitfür die Patienten geboten.Gr<strong>und</strong>versorger mit hausärztlicher Praxissahen sich allerdings immer wieder mitdem fast ultimativen Wunsch von alko-holabhängigenPatienten konfrontiert, denAlkoholentzug ausschliesslich ambulantdurchführen zu wollen [2]. Die Alternativelautete: Entweder ambulanter Entzug mitmedikamentöser Unterstützung durch denHausarzt oder Weitertrinken mit den bekanntenkörperlichen, psychischen <strong>und</strong> sozialenFolgen [3]. Entsprechend hat sich inder Schweiz entgegen der damaligen Lehrmeinungendenn auch durchaus eine Praxisdes ambulanten Entzugs etabliert; bisvor kurzem fehlten aber Behandlungsleitlinienin deutscher Sprache.Mittlerweile hat sich aufgr<strong>und</strong> zwischenzeitlichpublizierter komparativer Verlaufsstudien[4] <strong>und</strong> nicht zuletzt unterdem Einfluss einer verschärften Kostendiskussionim Ges<strong>und</strong>heitswesen auch imdeutschsprachigen Europa ein Paradigmenwechselbezüglich des ambulantenAlkoholentzugs ergeben [5], für dessenDurchführung nun auch hier Behandlungsleitlinienpubliziert wurden [6]. Dennochfällt auf, dass die Indikation zur ambulantenEntzugsbehandlung viel zurückhaltendergestellt wird als beispielsweise inGrossbritannien oder den USA, wo mehrErfahrung mit ambulanten Entzugsbehandlungenvorliegt.Im Folgenden sollen die Rahmenbedingungen<strong>und</strong> Modalitäten des ambulantenAlkoholentzugs nach den derzeit gültigenKenntnissen dargestellt werden, wobei einemittlere Position, die Indikationsstellungbetreffend, eingenommen wird.Ziele des ambulantenEntzugsDie Entgiftung oder der einfache Entzugist häufig nur ein Element in einer ganzenReihe von therapeutischen Massnahmenbei übermässigem Alkoholkonsum, zu denenausserdem Motivationsarbeit für weiteretherapeutische Schritte, die ambulanteoder stationäre fachspezifische Behandlung(in Deutschland auch Entwöhnunggenannt), falls notwendig die soziale Rehabilitation<strong>und</strong> schliesslich die langfristigeStabilisierung gehören. Da es sich beider Alkoholabhängigkeit um eine chronisch-rezidivierendeStörung mit fluktuierendemVerlauf handelt, kann eine langfristigeStabilisierung in der Regel nur inmehreren Schritten erreicht werden. Zudemist auch in der Alkoholismusbehandlungeine Hierarchie der Dringlichkeit jeweiligerTherapieziele zu beachten. Diesereichen von der Sicherung des Überlebens,der Behandlung von Begleit- <strong>und</strong> Folgeerkrankungen,der Förderung von Krankheitseinsicht<strong>und</strong> Motivation zur Veränderung,dem Aufbau alkoholfreier Phasen,der Verbesserung der psychosozialen Situationmit angemessener Lebensqualitätbis hin zur dauerhaften Abstinenz. Zieleder Entgiftung sind v.a. die Sicherung desÜberlebens, die Stabilisierung des oft bedrohlichenGes<strong>und</strong>heitszustandes, die Behandlungvon Folge- <strong>und</strong> Begleiterkrankungen<strong>und</strong> – falls im Hinblick auf einelangdauernde Stabilisierung nötig – dasErreichen einer (ersten) abstinenten Phase.Die blosse Entgiftung beinhaltet zudemfolgende Risiken [5]:● Wegen der abklingenden Entzugserscheinungenkann die Einsicht in dieweitere Behandlungsnotwendigkeit abnehmen.● Entzugssymptome wie Schlafstörungen<strong>und</strong> Befindlichkeitsschwankungen bestehenweit über die Entgiftungsphasehinaus, sind oft belastend <strong>und</strong> führen ohnetherapeutische Hilfe ebenfalls zu einemerheblichen Rückfallrisiko.● Kognitive Beeinträchtigungen werdenhäufig erst nach einem Entzug offensichtlich<strong>und</strong> können den Entschluss zueiner längerfristigen Veränderung desTrinkverhaltens untergraben.● Eventuell vorliegende andere psychischeStörungen treten oft erst unter Abstinenzin den Vordergr<strong>und</strong> <strong>und</strong> entfalten ihreDynamik.Allein schon aus diesen Gründen ist eineWeiterbetreuung der Patienten nach Abschlussder Entzugsbehandlung nötig.© 2005 by Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, BernDOI 10.1024/0369-8394.94.40.1555


PRAXISÜbersichtsartikel Praxis 2005; 94: 1555–1560 1556Ärztliche Gr<strong>und</strong>versorger sollten sich deshalbvon Anfang an im Klaren darübersein, dass die Behandlung auch nach korrekterDurchführung eines ambulanten Alkoholentzugesmeist nicht abgeschlossenwerden sollte [19].Indikation <strong>und</strong> Kontraindikationfür den ambulantenEntzugViele Patienten mit lange dauernden ernsthaftenAlkoholproblemen entwickeln keineAbhängigkeit <strong>und</strong> leiden auch nicht unterEntzugserscheinungen im Falle einesKonsumverzichts. Eine weitere bedeutendeGruppe ist nur schwach oder mässig abhängig<strong>und</strong> wird ebenfalls kein Entzugssyndromerleben, das eine medizinischpharmakologischeIntervention erfordert.Eine dritte Gruppe schliesslich wird unterAlkoholabstinenz physiologisch stark beeinträchtigt,aber nur eine kleine Minderheitist vital gefährdet <strong>und</strong> auf eine stationäreBehandlung angewiesen [6]. Patienten,die meinen, nur im Spital mit demTrinken aufhören zu können, aber keinenentsprechenden Schweregrad ihrer Störungentwickelt haben, sollten überzeugtwerden, zuhause zu entziehen; einerseitsum die Erfahrung machen zu können, dasssie selbst in der Lage sind, an ihrem Trinkverhaltenetwas zu verändern, anderseitsum tendenziell invalidisierende, stigmatisierende<strong>und</strong> kostspielige Interventionenzu vermeiden [7]. Meist ist ein Entscheiddarüber, ob im konkreten Fall ambulantoder stationär entzogen werden sollte,leicht zu treffen. Schwierig sind – wieüberall – Grenzfälle. Hier kann Tabelle 1,zusammen mit der noch zu besprechendenDiagnostik, Unterstützung bieten.Zur Risikoeinschätzung eignet sich z. B.auch die Lübecker Alkoholentzugs-Risiko-Skala(LARS [8]), deren Anwendungv.a. im deutschsprachigen Raum empfohlenwird [9].DiagnostikTab. 1: Voraussetzungen <strong>und</strong> <strong>Kontraindikationen</strong> für den ambulanten EntzugDie Durchführung des ambulanten Entzugssetzt eine Eingangsdiagnostik <strong>und</strong> imweiteren Verlauf ein Monitoring voraus.Dabei ist unbedingt zu beachten, dass Störungendurch Alkohol häufig verschwiegenoder zumindest beschönigt werden.Patienten stehen einer Behandlung meistambivalent gegenüber, vielfach schämensie sich. Von ärztlicher Seite deutlich zumAusdruck gebrachte Empathie <strong>und</strong> Interesse(es muss davon ausgegangen werden,dass Wohlwollen von diesen Patientennicht als selbstverständlich vorausgesetztwird) beeinflussen nicht nur den Erfolg einerEntzugsbehandlung, sondern könnenfür den ganzen Therapieverlauf entscheidendsein [10]. Wenn möglich sollte eineVertrauensperson, z. B. ein Ehepartner, mitin das Gespräch <strong>und</strong> die Entzugsplanungeinbezogen werden. In einem zweitenSchritt sind Untersuchungen mit Skalenvielfach nützlich. Auch einige Laboruntersuchungenerleichtern die Entscheidungüber den einzuschlagenden Weg. Empfohlenwerden folgende diagnostische Massnahmen[11,12].Anfangsdiagnostik● Sorgfältige Anamneseerhebung● Körperliche Untersuchung (auch neurologischeAspekte miteinbeziehen)● Standardisierte Alkoholismusdiagnostik(z.B. Münchner Alkoholismus-TestMALT [13])● Risikoeinschätzung des ambulanten Entzugs(z.B. LARS-Skala [8])● Rating der Entzugserscheinungen (z.B.AES-Skala) [14])● EKG● Drogenscreening● Labor: Glukose, Amylase, Gamma-GT,Kreatinin, Na, K, Cl, rotes BB (MCV),Quick, evtl. CDTVerlaufskontrolle (täglich)● Rating der Entzugserscheinungen (zurAnpassung einer ev. Medikation)● AtemluftkontrolleVerlaufskontrolle (nach einerWoche)● Rating der Entzugserscheinungen (zudiesem Zeitpunkt i.d.R. ohne Medikation)● Atemluftkontrolle● Gamma-GT, CDT, Kontrolle aller pathologischenWerte der AnfangsdiagnostikMittelfristige Verlaufskontrolle(i.d.R. in monatlichen Abständen)● Gamma-GT, CDT, MCVVoraussetzungen für den ambulanten Entzug• Fähigkeit zur aktiven Mitarbeit• Bereitschaft zur Einhaltung des Therapieplans• Ordentlicher Allgemeinzustand• Stabiles <strong>und</strong> stützendes soziales Umfeld,ev. mit Bezugsperson, die in die Behandlungmiteinbezogen werden kann<strong>Kontraindikationen</strong> für den ambulanten Entzug• Zu erwartendes schweres Entzugssyndrom(z.B. anamnestisch bekannter Krampfanfall<strong>und</strong>/oder Delir)• Akute körperliche Erkrankung, v.a. wenn sie mitdem Risiko von Elektrolytentgleisungen verb<strong>und</strong>enist (speziell bei schwerem Erbrechen)• Bereits vorliegende schwere Entzugssymptome,ev. mit prädeliranten Symptomen• Begleitmedikation mit krampfschwellensenkendenMedikamenten• Suizidalität (kann im Entzug dramatischzunehmen)• Schwere kognitive Defizite• SchwangerschaftDas EntzugssyndromDas Alkoholentzugssyndrom wird teilweisein drei sich gegenseitig überlappendePhasen aufgegliedert [15] (s. Tab. 2). Dabeisei darauf hingewiesen, dass sich die drittePhase erst ab der zweiten bis dritten Wochenach Trinkstopp etabliert <strong>und</strong> bis zirka 3Monaten dauern kann. Es ist deshalb wesentlich,die engmaschige ärztliche Betreuungauch nach Abschluss der ersten beidenPhasen nach zirka einer Woche aufrecht zuerhalten, da andernfalls das Rückfallrisikounnötigerweise erhöht wird.


PRAXISÜbersichtsartikel Praxis 2005; 94: 1555–1560 1557Tab. 2: Phasen <strong>und</strong> Symptome des Alkoholentzugssyndroms [27]Akuter Alkoholentzug 0–48 St<strong>und</strong>en • Milde AgitationFrüher oder milder Entzug• Angst• Anorexie• Insomnie• Psychomotorische Unruhe• Zittern• KrampfanfälleSpäter oder schwerer Entzug 24–150 St<strong>und</strong>en • Extreme Hyperaktivität• Verwirrtheit• Desorientiertheit• Gestörte SinneswahrnehmungPost-Alkoholentzug 3–12 Wochen • Angst, Depression, Ermüdung• Reizbarkeit, Feindseligkeit• Schlafstörungen, Alpträume• Schwitzen, Zittern, Herzklopfen, Verstopfung• Kopfschmerzen, SchwindelDiese protrahierte Entzugsperiode ist behandlungsbedürftig<strong>und</strong> beruht u.a. auf folgendenFakten [16]:● Ängstlich-depressive Symptome bildensich als psychopathologische Entzugssymptomeoft erst zwischen dem 10. <strong>und</strong>24. Tag nach Trinkende deutlich zurück[17].● Wochen nach Entzug zeigen Alkoholkrankenoch erhebliche Veränderungender Schlafarchitektur [18].● Kognitive Leistungsminderungen sindnoch nach Wochen <strong>und</strong> Monaten nachweisbar[19,20].● Es besteht während Wochen eine erhöhteStressanfälligkeit [21].● Die Normalisierung pathologischer Laborparameterdauert nach Trinkendei.d.R. 2–5 Wochen [22].● Zirka 2 Wochen nach Alkoholentzug beginntsich ein erhöhter systolischer Blutdruckzu normalisieren [23].● Noch 3 Wochen nach Entzug bestehteine Störung der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrindenachse[24].● Auch Störungen der Hypothalamus-Hypophysen-Gonaden-Achsesind nochnach 3 Wochen vorhanden [25].● Der Glukosestoffwechsel im Hirn bessertsich erst 16–30 Tage nach Konsumstopp[26].● Bei später rückfälligen Patienten ist gegenüberAbstinenten noch 8 Tage nacheiner Entgiftung eine verzögerte Anpassungder dopaminergen Reizübermittlungnachweisbar [25].Die Durchführung desambulanten EntzugsVoraussetzungen <strong>und</strong> RahmenbedingungenVerschiedene Voraussetzungen müssen inder hausärztlichen Praxis erfüllt sein, damitein ambulanter Alkoholentzug durchgeführtwerden kann <strong>und</strong> darf. Dazu gehören:● Genügend Zeitreserven, die es demHausarzt erlauben, den Patienten in derersten Woche bei Bedarf auch täglich zusehen.● Möglichkeit, therapeutische Gesprächezu führen. Gespräche dienen einerseitsdem gegenseitigen Informationsaustauschzwischen Arzt <strong>und</strong> Patient. Siesollen anderseits auch stets der Motivationdes Patienten zur Einleitung weiterführenderMassnahmen dienen. In derPraxis bewähren sich dabei die Gr<strong>und</strong>prinzipiendes Motivational Interviewing[27].● Möglichkeit zu Hausbesuchen für denFall, dass sich der Allgemeinzustand desPatienten so drastisch verschlechtert,dass dieser sich nicht mehr in die Praxisbegeben kann.● Kontakt des Hausarztes zu einer verlässlichenBezugsperson des Patienten. DieseBezugsperson sollte über die getroffenenAbmachungen, insbesondere dieMedikation <strong>und</strong> die Konsultationstermine,informiert sein. Sie sollte eineminimale Überwachung, v.a. nachts, gewährleistenkönnen.● Die oben beschriebenen Screening-Instrumente(LARS, MALT, AES) solltenvorhanden sein.● Die Möglichkeit von Atemluftkontrollenmuss gegeben sein. Wo ein entsprechendesGerät in der Praxis nicht vorhandenist, muss die Zusammenarbeit mit einerregionalen Fachberatungsstelle gesuchtwerden.● Das geplante Procedere sollte wenn immermöglich schriftlich festgehaltenwerden <strong>und</strong> der Patient sollte sich mitUnterschrift zur Einhaltung der Vereinbarungenbereit erklären.● Es bewährt sich, mit dem Alkoholentzugzu Wochenbeginn anzufangen. Damitkann eine Häufung von Komplikationen<strong>und</strong> Notfalleinsätzen am Wochenendevermieden werden [14].KontrollenAn Kontrollen sind anlässlich der täglichenKonsultationen im Wesentlichenzwei Bereiche wichtig:● Atemluftkontrolle: Mit der Atemluftkontrollekann zumindest ein massiver Alkoholkonsumnachgewiesen beziehungsweiseausgeschlossen werden. Völlige Sicherheitist allerdings nicht gegeben, damöglicherweise konsumierter Alkohol bereitswieder ausgeschieden worden seinkann. (Die Atemluftkontrolle wird vermutlichin Zukunft an Bedeutung verlieren,da in Bälde mit der Einführung einesTests zur Bestimmung des Ethylglucuronids,eines mit dem Urin ausgeschiedenenAlkoholmetaboliten, gerechnet werdenkann [28]. Dieser Marker soll 12–50 St<strong>und</strong>ennach Alkoholkonsum positiv sein).Die Bedeutung eines möglichen Alkoholkonsumsist wegen möglicher Interaktionen(v.a. Atemdepression, hypotoneKrisen) mit Entzugsmedikamentenbesonders gross.● Kontrolle <strong>und</strong> Rating der Entzugssymptome:Am besten wird dafür die AES-Skalaeingesetzt. Die standardisierte Erfassungder Entzugssymptomatik ist für dietägliche Anpassung der Medikation notwendig,eventuell aber auch für den Entscheid,den ambulanten Entzug abzubrechen<strong>und</strong> den Patienten in einen stationärenEntzug zu überweisen.


PRAXISÜbersichtsartikel Praxis 2005; 94: 1555–1560 1558MedikationDer medikamentösen Behandlung sind inder hausärztlichen Praxis engere Grenzengesetzt als im stationären Rahmen. Gründedafür sind die geringere Compliance, diegeringeren Überwachungsmöglichkeiten,das höhere Risiko für intermittierenden Alkoholkonsum<strong>und</strong> das schwächere Abgabemanagement.Derzeit stehen für den ambulantenAlkoholentzug folgende Medikamente(<strong>und</strong> deren Verwandte) im Vordergr<strong>und</strong>[5] (Tabelle 3).Im Gegensatz zum stationären Entzug eignetsich Clomethiazol zum ambulantenEinsatz nicht [5,22]. Als Gründe dafürwerden v.a. die geringe therapeutischeBreite, die erheblichen Nebenwirkungen(v.a. bronchiale Hypersekretion, d.h. absoluteKontraindikation bei Patienten mitCOPD), der additive Effekt mit Alkohol(Atemdepression) <strong>und</strong> das Abhängigkeitspotentialangegeben.Als Medikamentengruppe der ersten Wahlfür den ambulanten Entzug werden trotzihres erheblichen Abhängigkeitspotentialsdie Benzodiazepine empfohlen. Dem Abhängigkeitsrisikokann durch eine täglicheDosisanpassung <strong>und</strong> Abgabe von Tagesportionenweitgehend begegnet werden.Carbamazepin wird ebenfalls als Entzugsmedikamenterster Wahl eingestuft, wobeiaber seine Wirksamkeit bei schweren Entzugssyndromen<strong>und</strong> beim Delir unzureichendsein kann. Positiv ist dagegen dieTatsache, dass Carbamazepin kein Abhängigkeitspotentialhat. Auch bei fortgeschrittenerLebererkrankung ist sein Metabolismusunverändert. Es gibt Hinweisedarauf, dass durch die Verabreichung vonCarbamazepin die Zeit der Arbeitsunfähigkeitim Vergleich zur Anwendung andererEntgiftungsmedikationen gesenkt werdenkann [29], was vermutlich auf den wenigersedierenden Effekt zurückzuführen seindürfte.In jüngster Zeit wird die Kombination vonCarbamazepin mit Tiaprid vorgeschlagen[30, 31]. Bei Tiaprid handelt es sich um einBenzamid-Derivat, das als selektiver D2-Antagonist (also am dopaminergen System)wirkt. Es bewirkt eine gute Dämpfungpsychomotorischer Unruhe <strong>und</strong>beeinflusst die vegetative SymptomatikTab. 3: Wirkungsspektrum der im Alkoholentzug hauptsächlich eingesetzten Medikamenteantiepileptisch sedierend atemdepressiv antidelirant vegetativregulierendTiaprid nein nein nein ja jaCarbamazepin ja (ja) nein ja neinDiazepam ja ja ja (ja) neinClomethiazol ja ja ja ja (nein)Haloperidol epileptogen nein (ja) (ja) neinKey messagesgünstig. Die Nebenwirkungen sollen geringsein. Da Tiaprid selbst keine antikonvulsiveWirkung besitzt, wird die Kombinationmit Carbamazepin empfohlen.Diese neuere Entwicklung ist bisher nochwenig untersucht, eröffnet aber eine vielversprechendePerspektive. In der Schweizist Tiaprid derzeit für den Alkoholentzug(noch) nicht zugelassen.Alkoholabhängige Patienten zeigen oft einVitamin-B-Defizit <strong>und</strong> gleichzeitig einenerhöhten Bedarf. Dies kann in der Entzugssituationzu dramatischen neurologischenFolgestörungen (Wernicke-Hirnschädigung,Korsakow-Psychose) führen.Deshalb ist eine hochdosierte Vitamin-B-Substitution in der Entzugssituation <strong>und</strong>Wochen darüber hinaus zu empfehlen [32].ZusammenfassendeBemerkungenDie ambulante Entgiftung stellt häufig einegute Alternative zur stationären Entgiftungdar. Da es sich dabei aber nach wievor um eine Massnahme mit beträchtlichemRisiko <strong>und</strong> potentieller Letalitäthandeln kann, sollten im Zweifelsfalle die● Ein anamnestisch bekannter Krampfanfall <strong>und</strong>/oder ein Delir sind <strong>Kontraindikationen</strong>für den ambulanten Entzug.● Die Suizidalität kann im Rahmen des Entzuges oft überraschend zunehmen. Suizidalitätist deshalb ebenfalls eine Kontraindikation für den ambulanten Entzug.● Der ambulante Alkoholentzug ist für den Hausarzt zeitaufwändig wegen der täglichenKontrollen während der eigentlichen Entzugsphase, aber auch wegen der Notwendigkeitder engmaschigen Weiterbetreuung in der Postalkoholentzugsphase.● Die Medikamentengruppe der Wahl beim ambulanten Alkoholentzug sind dieBenzodiazepine.Lernfragen1. Mit welchem Untersuchunginstrument kann die Risikoeinschätzung beim ambulantenAlkoholentzug vorgenommen werden?a) MALTb) LARSc) AESd) a) oder b)2. Welche Aussage über Clomethiazol (Distraneurin ® ) ist falsch?a) Clomethiazol kann zu einer bronchialen Hypersekretion führen.b) Clomethiazol kann mit Alkohol einen additiven Effekt haben.c) Clomethiazol hat eine grosse therapeutische Breite.d) Clomethiazol hat ein Abhängigkeitspotenzial.


PRAXISÜbersichtsartikel Praxis 2005; 94: 1555–1560 1559skizzierten Indikationskriterien <strong>und</strong> diediagnostischen Empfehlungen eingehaltenwerden.Gerade wegen des hohen Zeitaufwandes,der den Rahmen der hausärztlichen Praxisoft sprengt, aber auch wegen der hohen Bedeutungder Motivationsarbeit, die durchspezielle Kenntnisse erleichtert wird, <strong>und</strong>wegen der häufig multidisziplinären Fragestellung,wäre es wünschenswert, dassvon Seiten der institutionellen Psychiatrie<strong>und</strong> der Fachberatungs- (Alkoholberatungs-)stellenentsprechende Hilfestellungenfür die niedergelassene Ärzteschaft bereitgestelltwürden. Diese könnten ambulanteoder halbstationäre Entgiftungsangeboteumfassen, aber auch Übernahme vonTeilaufgaben wie Motivationsarbeit odersozialarbeiterische Betreuung.SummaryIndications and contraindications for analcohol withdrawal treatment of outpatientsare presented, with particular referenceto the symptoms and the diagnosisof the withdrawal syndrome. Thegeneral conditions and the practicalprocess of outpatient detoxification areoutlined. At the same time the questionof medication of the withdrawal syndromeis addressed.Key words: alcohol dependence –treatment of alcoholism in the (doctor’s)practiceAntworten zu den Lernfragen1. b)2. c)RésuméCe travail présente les indications et lescontre-indications à un sevrage alcooliqueambulatoire. Il s’intéresse particulièrementaux symptômes et aux problèmesdiagnostiques du syndrome desevrage alcoolique ainsi qu’aux conditions-cadreset aux aspects pratiques dusevrage ambulatoire. Il traite aussi desquestions de médicaments qui peuventtraiter le syndrome de sevrageMots-clés: sevrage alcoolique ambulatoire– dépendance à l’alcool – traitementde l’alcoolisme au cabinetKorrespondenzadresseDr. Th. MeyerDirektor Forel Klinik8548 EllikonE-Mail: thomas.meyer@forel-klinik.chBibliographie1. Küfner H, Feuerlein W.: In-Patient Treatment forAlcoholism. A Multi-Centre Evaluation Study. Berlin,Heidelberg, New York, Toronto: Springer;1989.2. Wienberg G. Die vergessene Mehrheit. Zur Realitätder Versorgung alkohol- <strong>und</strong> medikamentenabhängigerMenschen. Bonn: Psychiatrie Verlag;1992.3. Schwoon D. Der qualifizierte Entzug für Alkoholabhängige- Domäne der Psychiatrie oder der InnerenMedizin? In: Wienberg, G. Die vergesseneMehrheit. Zur Realität der Versorgung alkohol<strong>und</strong>medikamentenabhängiger Menschen. Bonn:Psychiatrie Verlag; 1992. p.221-237.4. Hayashida M, Alterman AI, McLellan AT, O’BrienCP, Purtill JJ, Volpicelli JR, et al. Comparativeeffectiveness and costs of inpatient and outpatientdetoxification of patients with mild-to-moderatealcohol withdrawal syndrome. N Engl J Med1989;320: 358-65.5. Scherle, T, Croissant, B, Heinz, A, Mann, K. AmbulanteAlkoholentgiftung. Nervenarzt, 2003;74:219-25.6. Edwards G, Marshall EJ, Cook C. The Treatmentof Drinking Problems. 4th ed. Cambridge: CambridgeUniversity Press; 2003.7. Stockwell T, Bolt L, Milner I, Russell G, BolderstoneH, Pugh P. Home detoxification from alcohol:its safety and efficacy in comparison with inpatientcare. Alcohol Alcohol 1991;26: 645-50.8. Wetterling T. Lübecker-Alkoholentzugs-Risiko-Skala (LARS). Lübeck: Medizinische Universität;1994.9. Soyka M, Horak M, Morhart V, Möller HJ. ModellprojektQualifizierte ambulante Entgiftung.Nervenarzt 2001;72: 565-69.10. Thom B, Brown C, Drummond C, Edwards G,Mullan M, Taylor C. Engaging patients with alcoholproblems in treatment: the first consultation.Br J Addiction 1992;87: 601-11.11. M<strong>und</strong>le G, Banger M, Mugele B, Stetter F, SoykaM, Veltrup C, Schmidt LG. AWMF-Behandlungsleitlinie:Akutbehandlung alkoholbezogenerStörungen. Sucht 2003;49: 147-67.12. Inselspital Bern. Sprechst<strong>und</strong>e für alkoholkrankePatienten (www.insel.ch; 10.6.04).13. Feuerlein W, Küfner H, Ringer Ch, Anthons K.Münchner Alkoholismustest MALT. Weinheim: ManualBeltz; 1979.14. Wetterling T, Kanitz R, Besters B, Spei G. Skalazur Erfassung des Schweregrades eines Alkoholentzugssyndroms(AES-Scale) – Erste klinischeErfahrungen. Sucht (Sonderband 1) 1995: 41-3.


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