Sparkassen im Hochsauerlandkreis - Sauerländer Heimatbund e.V.
Sparkassen im Hochsauerlandkreis - Sauerländer Heimatbund e.V.
Sparkassen im Hochsauerlandkreis - Sauerländer Heimatbund e.V.
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
ISSN 0177 - 8110 K 2767<br />
Nr. 4/Dezember 2009 Zeitschrift<br />
des <strong>Sauerländer</strong><br />
He<strong>im</strong>atbundes<br />
SAUERLAND<br />
Winter bei<br />
Altastenberg
Sauerland-Museum des <strong>Hochsauerlandkreis</strong>es<br />
Alter Markt 24 - 26 · 59821 Arnsberg<br />
Tel. (0 29 31) 40 98 · Fax (0 29 31) 41 14<br />
sauerlandmuseum@hochsauerlandkreis.de<br />
www.sauerland-museum.de<br />
Sonderausstellung <strong>im</strong><br />
Sauerland-Museum des <strong>Hochsauerlandkreis</strong>es<br />
25.10.2009 – 28.02.2010<br />
Ausstellungskatalog<br />
Erhältlich ab dem 25. Oktober 2009 be<strong>im</strong> Sauerland-Museum<br />
des <strong>Hochsauerlandkreis</strong>es zum Preis von 14,90 €<br />
Öffnungszeiten:<br />
Di-Fr 9.00-17.00 Uhr<br />
Sa 14.00-17.00 Uhr<br />
So 10.00-18.00 Uhr<br />
Feiertags wie sonntags geöffnet.<br />
Willkommen <strong>im</strong><br />
Museums-Café<br />
Café-Haus-Tradition<br />
neu interpretiert<br />
Wo Freundlichkeit<br />
zuhause ist<br />
Sauerland -museum<br />
des HSK<br />
täglich 09:00h bis 20:00h
SAUERLAND NR. 4/2009 163<br />
SAUERLAND Nr. 4/Dezember 2009<br />
Zeitschrift des<br />
<strong>Sauerländer</strong> He<strong>im</strong>atbundes<br />
A D V E N T<br />
Eine stille Heiterkeit<br />
liegt über allen<br />
Dingen<br />
und ein Hauch<br />
Melancholie<br />
Über leerem Land<br />
reichen Glaube<br />
und Hoffnung<br />
einander die Hände<br />
Sie bereiten den Weg<br />
für die alles -<br />
gewährende Liebe<br />
<strong>im</strong> Licht<br />
einer<br />
Heiligen Nacht<br />
Carola Matthiesen, Advent 97<br />
Vorstand<br />
und Redaktionsausschuss<br />
wünschen allen<br />
Abonnenten und Lesern<br />
ein gesegnetes Weihnachtsfest<br />
und ein gutes Jahr<br />
2010 Unser<br />
Aus dem Inhalt<br />
Geschichte<br />
Eröffnungsfeierlichkeiten zur Sonderausstellung<br />
„Kurfürst, Adel, Bürger“ S. 192<br />
Natur • Landschaft • Siedlung<br />
Seltener Stationsweg „7-Schmerzen-<br />
Mariens" in Allendorf restauriert S. 194<br />
... und in kalten Winternächten S. 206<br />
Sprache und Literatur<br />
„Herzogtum Westfalen“, Band 1,<br />
des <strong>Sauerländer</strong> He<strong>im</strong>atbundes<br />
erschienen S. 185<br />
Erinnerungskultur – Nostalgie –<br />
Identifikationsmittel – kulturpolitische<br />
Pflichtübung? S. 187<br />
Pater Manfred Ruhrmann zum<br />
100. Geburtstag S. 196<br />
Laudatio Herbert Somplatzki S. 198<br />
He<strong>im</strong>at • Kultur<br />
Ein steinernes Archiv mit<br />
weltweitem Zugang S. 175<br />
Schwerspatmuseum Dreislar<br />
6. Werkstattgespräch<br />
S. 179<br />
„Bergbau <strong>im</strong> Sauerland“ S. 201<br />
Sehnsucht nach dem Sauerland S. 202<br />
Religion und Glaube<br />
Die Kirche <strong>im</strong> Dorf lassen? S. 164<br />
Die Lebenden und die Toten S. 167<br />
Rezensionen • Personalien<br />
BÜCHER · SCHRIFTTUM S. 206<br />
PERSONALIEN S. 210<br />
Titelbild<br />
fotografierte Georg Hennecke bei Altastenberg
164 SAUERLAND NR. 4/2009<br />
Die Kirche <strong>im</strong> Dorf lassen?<br />
Gedanken zum Traditionsabbruch <strong>im</strong> ländlichen Katholizismus<br />
Das Werk des – zeitweilig exkommunizierten<br />
– Priesters und Dichter theo -<br />
logen Joseph Wittig, der in Meschede<br />
begraben liegt, lässt sich ohne den Hintergrund<br />
seiner schlesischen Kleine -<br />
leutehe<strong>im</strong>at nicht verstehen. Als Vertriebener<br />
musste Wittig jedoch, wie sein<br />
Aufsatz „Die Revision des He<strong>im</strong>at -<br />
glaubens“ von 1948 zeigt, früh die Trauer<br />
um eine verlorene „katholische He<strong>im</strong>at“<br />
bewältigen. Der Tenor dieses Textes,<br />
den man heute mit ganz anderen<br />
Augen lesen kann: Wer die alte Glaubenshe<strong>im</strong>at<br />
wie einen Götzen halten<br />
will, der wird Gott verlieren.<br />
Der Verfasser dieses Beitrages (geboren<br />
1961) ist groß geworden, kurz bevor<br />
der katholische H<strong>im</strong>mel auch <strong>im</strong> Sauerland<br />
ganz abzubröckeln begann und die<br />
Weitergabe lokaler Legen denstoffe zum<br />
Erliegen kam. Das ist wirklich eine andere<br />
Zeitepoche gewesen. Im Dorf waren<br />
das ganze Leben und alle Jahreszeiten<br />
von wichtigen Dingen, die alle irgendwie<br />
mit der Kirche zu tun hatten, mitbest<strong>im</strong>mt.<br />
Das kölnische Sauerland galt zumindest<br />
früher als eine der katholischs -<br />
ten Landschaften weit und breit. Der<br />
nach dem Horror des Ersten Weltkrieges<br />
gegründete Sauer länder He<strong>im</strong>atbund<br />
war katholischer als jedes andere<br />
Vergleichsprojekt in West falen. Man<br />
hatte durchaus den Vorsatz, über den<br />
Gemeinschaftsgedanken noch einmal<br />
eine ganze Region christlich zu formen.<br />
Im sozialen Leben der Land schaft wirken<br />
die Traditionen des katholischen Milieus<br />
noch allerorten nach. Aber muss<br />
man nicht fragen: Wie lange noch?<br />
Kirchgang von Henninghausen nach Cobbenrode, 1950<br />
Quelle: Archiv Museum Eslohe<br />
Hubertus Halbfas hat innerhalb der<br />
<strong>Sauerländer</strong> He<strong>im</strong>atbewegung frühzeitig<br />
auf den Traditionsabbruch aufmerksam<br />
gemacht. Der Bruch mit einer sozial<br />
vermittelten und regional geprägten<br />
Christ lichkeit kann in der gegenwärtigen<br />
Schüler-, Auszubildenden- und Studen<br />
ten generation als vollzogen betrachtet<br />
werden. Den Eltern hatte die Kirche<br />
die Pflicht zur Glaubensweitergabe eingeschärft.<br />
Da dies auf herkömmliche<br />
Weise gar nicht mehr zu bewerkstelligen<br />
war, kam es zwangsläufig zu großen<br />
Schuld gefühlen. (Ich wüsste nicht, dass<br />
sich die Seelsorge großartig darum<br />
gekümmert hätte). Bei einem regionalen<br />
Sprachtod sind es manchmal nur fünf<br />
Jahre, die über alles entscheiden. Hinsichtlich<br />
der Weitergabe der religiösen<br />
Sprache sind diese „fünf Jahre“ längst<br />
abgelaufen.<br />
Durch meine Kontakte zu Mundart -<br />
autoren oder deren Angehörigen <strong>im</strong><br />
Sauerland bekomme ich mit, welche<br />
Probleme sich aus dem Umbruch ergeben.<br />
Es wird zum Beispiel ein Jungpries -<br />
ter in eine Ge -<br />
meinde geschickt,<br />
der eine ganz auf<br />
das Sakrale abgestellte<br />
Ausbildung<br />
durchlaufen hat<br />
und sich vielleicht<br />
aufgrund des Priester<br />
man gels – viel<br />
mehr als frühere<br />
Pastöre – für etwas<br />
Beson deres hält.<br />
Die große Ent täu -<br />
von Peter Bürger<br />
schung kann gar nicht ausbleiben. Er findet<br />
nämlich nicht mehr jenen geschlossenen<br />
katholischen Kosmos vor, auf den<br />
er sich so gefreut hatte. Da er selbst seit<br />
Jahren – Tag für Tag – ein heiliges Leben<br />
führt, kommt ihm ein Dorf, das vergleichsweise<br />
noch sehr katholisch ist,<br />
auf einmal ganz unfromm vor. (Der<br />
Pries ter nachwuchs wird seit längerem<br />
<strong>im</strong>mer konservativer, das verschärft Probleme<br />
dieser Art). In der Folge kann es<br />
zwischen Pfarrer und Gemeinde zur<br />
Fehde kommen. Der Priester fühlt sich<br />
<strong>im</strong>mer mehr unverstanden. Die Gemeinde<br />
ist verbittert, weil dieser sie von<br />
oben herab wie „Heiden“ behandelt.<br />
Im amtskirchlichen Bereich überwiegen<br />
leider Projekte, mit denen die Überreste<br />
einer Priesterkirche irgendwie<br />
konserviert werden sollen. Ohne die<br />
Frauen wäre die Kirche in vielen Dörfern<br />
wohl nur noch ein überkommenes<br />
Bauwerk aus Stein. Die nahe Kirche in<br />
der direkten Nachbarschaft von Haus zu<br />
Haus, die jetzt noch auf dem Land so<br />
viele Reichtümer an Menschlichkeit,<br />
Dreifaltigkeitsprozession Eslohe 1926<br />
Quelle: Archiv Museum Eslohe
SAUERLAND NR. 4/2009 165<br />
Kommunionkind in Schliprüthen<br />
(April 1924)<br />
Quelle: Archiv Museum Eslohe<br />
Herzens wärme und Frömmigkeit birgt,<br />
wird überfahren. Das Problem sind bisweilen<br />
nicht die Priester, die fehlen, sondern<br />
die, die nach neuen Konzepten als<br />
überörtliche Kirchenmanager (bzw. mobile<br />
Sakramentenspender) ihren Dienst<br />
versehen und zwangsläufig in eine <strong>im</strong>mer<br />
größere Überlastung geraten. Unglückliche<br />
Seelsorger kann sich eine Kirche<br />
<strong>im</strong> Traditionsabbruch aber am allerwenigsten<br />
leisten. Die große Macht -<br />
konzentration be<strong>im</strong> Pfarrer, der überall<br />
das letzte Wort hat, wird von vielen Getauften<br />
außerdem als nicht mehr angemessen<br />
betrachtet.<br />
Gegen die Zerstörung der ortsnahen<br />
Gemeinde zugunsten von „Pastoral -<br />
plänen“, die eigentlich nichts anderes<br />
als Priestermangel-Anpassungspläne<br />
sind, protestieren <strong>im</strong> ganzen Land engagierte<br />
Gläubige. Im Erzbistum Freiburg,<br />
so berichtet das Konradsblatt vom 12.<br />
April 2009, fordern sie z.B., „dass jede<br />
Ge meinde einen eigenen Gemeindeleiter<br />
erhält – sei es einer der hauptamt -<br />
lichen Laien, ein Diakon oder aber ein<br />
bewährter Mann oder eine bewährte<br />
Frau“, und „setzen sich … für die Weihe<br />
von verheirateten Männern zu Priestern<br />
ein“. Sie können<br />
sich sogar auf Joseph<br />
Ratzinger beziehen,<br />
der 1970<br />
in seinem Buch<br />
„Glaube und Zukunft“<br />
meinte, die<br />
Kirche der Zukunft<br />
werde „neue Formen<br />
des Amtes<br />
kennen und bewährte<br />
Christen,<br />
die <strong>im</strong> Beruf stehen,<br />
zu Prie stern<br />
weihen“.<br />
Die Ortsbischöfe<br />
sind gut beraten,<br />
wenn sie auf die unermesslichenReichtümer<br />
der Men -<br />
schen schauen und<br />
nicht auf den Priestermangel.<br />
Im 19.<br />
Jahrhundert ka -<br />
men viele Saue r -<br />
länder Gemeinden<br />
während des Kul -<br />
tur kampfes auch<br />
ohne Priester aus.<br />
Es gab weiterhin<br />
Prozessionen und<br />
Gottesdienste. (Die<br />
zahllosen Kapellen gemeinden hatten<br />
ohnehin <strong>im</strong>mer ein eigenes Gebets -<br />
leben). Das Fest klammern an priesterzentrierten<br />
Kon zepten ist der dickste<br />
Brems klotz, der dem Wirken des Heiligen<br />
Geistes und dem Glück vieler Ge -<br />
meinden entgegensteht. Ein Bischof,<br />
der von diesem Irrweg ablässt, wird seinem<br />
Nachfolger vielleicht auch wieder<br />
mehr Priester bescheren. So oder so<br />
muss aber der Grundsatz walten: „Das<br />
Amt ist für die Menschen da, nicht die<br />
Menschen für das Amt.“<br />
Es kann also nicht darum gehen, dass<br />
den Gemeinden gnädig von oben zentralisierte<br />
Eucharistiefeiern am Sonntag<br />
in „zumutbarer Entfernung“ gewährt<br />
werden. Auf diese Weise würde die letzte<br />
Chance vertan, aus dem reichhaltigen<br />
Fundus des Überkommenen etwas Zukunftsträchtiges<br />
wachsen zu lassen. Die<br />
Kirche vor Ort lebt durch diejenigen, die<br />
den Kindern von Jesus erzählen, Menschen<br />
zusammenbringen, Einsame besuchen,<br />
für Krankenbetreuung Sorge tra-<br />
Deckblatt des <strong>Sauerländer</strong> He<strong>im</strong>atkalenders für 1924<br />
gen, Gotteslob und Hauskommunion<br />
feiern, Konflikte wahrnehmen und<br />
Schei ternden helfen, eine soziale Kom -<br />
munalpolitik mitgestalten, gemeinschaftliche<br />
Freude an der Musik ermöglichen …<br />
In die Hände dieser Christen – zumeist<br />
sind es Frauen – gehört auch die Gemeindeleitung.<br />
Die Kirche muss <strong>im</strong> Dorf<br />
bleiben. Sie ist keine Verwal tungs einheit.<br />
Der Umbruch erfordert, das gemeinsame<br />
Priestertum aller Getauften <strong>im</strong><br />
Sinne des II. Vaticanums endlich ernst<br />
zu nehmen. Der vermutlich letzten Gene<br />
ration der Milieukatholiken kommt<br />
aufgrund ihrer gefühlsmäßigen Behei -<br />
matung <strong>im</strong> Glauben der Früheren eine<br />
wichtige Rolle zu. In ihr gibt es eine gewisse<br />
Resistenz gegen fundamentalistische<br />
Versuchungen und ebenso das Bewusstsein,<br />
dass Kirche von unten lebt.<br />
Heute kommt es darauf an, dass die sogenannten<br />
„Laien“ wirklich einen eigenen<br />
– mündigen – Standort in der Glau -<br />
bensbezeugung einnehmen und als Ge-
166 SAUERLAND NR. 4/2009<br />
burtshelfer anderen Erfahrungen von<br />
Gottes Gegenwart ermöglichen. Theo -<br />
logische Werkstätten nicht nur für auserwählte<br />
Fachleute wären dringend nötig.<br />
Alltagsfrömmigkeit und Pastoral müssen<br />
in der – nicht mehr bäuerlich geprägten<br />
Gegenwart ankommen. Diejenigen, die<br />
mitten <strong>im</strong> nahen Leben stehen, benötigen<br />
Freiräume zur Gestaltung von Kirche,<br />
um aus der Verwurzelung heraus<br />
Neues zu wagen.<br />
Altüberkommene Formen lassen sich<br />
dabei nicht einfach konservieren. Wenn<br />
ich heute in meinem He<strong>im</strong>atdorf einen<br />
Jugendlichen, der aus genauso einem<br />
„katholischen Stall“ wie ich kommt, z. B.<br />
nach alt vertrauten Prozessionsliedern<br />
befrage, lautet die Antwort: „Das kenne<br />
ich gar nicht, und das sagt mir auch<br />
nichts.“ Wenn er dann mal den Weg in<br />
die Kirche finden sollte, hat er doch<br />
wohl ein Recht, statt der mir lieb gewordenen<br />
alten Ohrwürmer neue geistliche<br />
Lieder singen zu dürfen. Theologisch<br />
sind nicht wenige neue Lieder ja entschieden<br />
glaubwürdiger als vieles aus<br />
den Bi s tumsanhängen. Das Beispiel<br />
mag nebensächlich erscheinen. Das<br />
nötige Problembewusstsein erfordert in<br />
diesem Zusammenhang jedoch oft eine<br />
sehr schwere Geburt. Die alten Formen<br />
sind deshalb heilige Kühe, weil sie für<br />
viele (auch für mich) <strong>im</strong>mer wieder den<br />
Glauben der Kinderzeit wahr werden<br />
lassen. Doch unversehens können sie zu<br />
etwas Nostalgischem bzw. Folklo -<br />
ristischem werden, das für die Zukunft<br />
der Kirchen rein gar nichts bedeutet.<br />
Auch <strong>im</strong> Kontext der stark konfessionell<br />
geprägten He<strong>im</strong>atbewegung sind<br />
neue Perspektiven gefragt. Traditionell<br />
hat sich das katholische Milieu bei der eigenen<br />
Geschichtsschreibung zumeist als<br />
ein Selbstlobkollektiv betätigt. Bei der<br />
Erkundung zeitgemäßer Wege zur Weitergabe<br />
des Glaubens sind aber gerade<br />
auch die Schatten der Vergan genheit<br />
und die weniger erfreulichen Seiten des<br />
nahen Kirchenlebens zu bedenken. Die<br />
soziale Kontrolle, der selbstgerechte<br />
Moralismus, der lieblose Um gang mit<br />
Außenseitern und nicht angepassten<br />
Dorfgenossen, eine oft von Angst geprägte<br />
Religiosität … all das gehörte ja<br />
mit zur vermeintlich heilen Welt früherer<br />
Tage. So glorreich, wie man es gerne<br />
hätte, ist die nahe Geschichte des<br />
Milieus auch zur<br />
Zeit des Faschismus<br />
keineswegs<br />
gewesen. Die Geschichte,<br />
so meinte<br />
Papst Johannes<br />
XXIII., ist eine<br />
große Lehrmeisterin.<br />
Wer sie <strong>im</strong><br />
Dienste des Selbstlobes<br />
schönfärbt,<br />
kann aus ihr nicht<br />
lernen.<br />
Natürlich sind die<br />
geglückten Sei ten<br />
des nahen Chris -<br />
tentums nicht minder<br />
von Interesse.<br />
Hilfreich wäre es<br />
jedoch, wenn Hei -<br />
mat forscher die<br />
O r t s k i r c h e n g e -<br />
schichte nicht vornehmlich<br />
aus der Per s pektive der Pfarr -<br />
herren-Register und Kirchspiel ver -<br />
waltung schreiben und ihre Fragen stattdessen<br />
unten ansetzen. Wie haben die<br />
Menschen ihre Sehn süchte, ihre Leiden<br />
und Pla ge rei en, ihr Glücken und Versagen,<br />
ihre Freuden und Hoff nungen in<br />
die Kul tur des Kleinrau mes eingebracht?<br />
Welche Orte hatten Glaubensvorstellungen<br />
und religiöse Praxis <strong>im</strong> Leben der<br />
kleinen Leute? An welche Alltagsheiligen<br />
wäre jenseits der frommen Priesterlegenden<br />
zu erinnern? Wie hat sich der<br />
Katholizismus vor Ort seit dem letzten<br />
Konzil durch ökumenische Geschwisterlichkeit<br />
mit der evangelischen Kirche be-<br />
Weihbischof Franz Hengsbach bei der<br />
Glockenweihe in Eslohe 1954<br />
Quelle: Archiv Museum Eslohe<br />
Sternsinger in Eslohe (um 1970)<br />
Quelle: Archiv P. Bürger<br />
schenken lassen? Ist es schließlich nicht<br />
leichtfertig, die Erin nerung an einen entschiedenen<br />
Sozial katholizismus <strong>im</strong> Sauerland<br />
zu vernachlässigen? In nicht allzu<br />
ferner Zukunft sitzen vielleicht in den<br />
Kom munal parlamenten nur noch Politiker,<br />
die vom Gemeinschaftssinn ihrer<br />
Vorfahren nichts mehr wissen und unter<br />
Kultur politik vornehmlich „Wirtschafts -<br />
förde rung“ verstehen.<br />
In einer vernetzten Welt ist weltoffene<br />
Regionalität von großer Bedeutung,<br />
denn ohne sie käme es zur kulturellen<br />
Gleichschaltung auf dem Globus <strong>im</strong> Interesse<br />
mächtiger Wirtschaftskom plexe.<br />
Auch die drängenden Überlebensfragen<br />
des Planeten erfordern global-lokale<br />
Strategien und eine Ökumene aller Konfessionen,<br />
Religionen, Weltan -<br />
schauungen und Kulturen. Eine Kirche<br />
der Zukunft wird sich weder dem zivilisatorischen<br />
Ernst, der an erster Stelle vom<br />
Kl<strong>im</strong>awandel angezeigt wird, noch den<br />
Herausforderungen eines gleichberechtigten<br />
Dialoges der Weltgesellschaft verschließen.<br />
Bei einer Kirche, in der den<br />
Menschen vor Ort zugehört wird und die<br />
Zukunft des Lebens auf Gottes Erde <strong>im</strong><br />
Mittelpunkt steht, werden auch die Jungen<br />
wieder aufhorchen.<br />
Literaturhinweis: Unter dem Titel „Die fromme Revolte<br />
– Katholiken brechen auf“ hat der Verfasser in diesem<br />
Jahr ein Buch in der „Publik-Forum Edition“ veröffentlicht.<br />
Dieses Werk enthält auch ein Kapitel über<br />
den sauerländischen Katholizismus.
SAUERLAND NR. 4/2009 167<br />
Die<br />
Lebenden und die<br />
Toten<br />
Friedhöfe<br />
in<br />
Geschichte<br />
und<br />
Gegenwart<br />
is vor rund hunderttausend Jahren<br />
haben die Menschen – archäologischer<br />
Kenntnis zufolge –<br />
in ihren Toten kaum anderes gesehen<br />
als „ganz normale Kadaver“. Man fand<br />
ihre Knochen verstreut zwischen den<br />
Abfällen ihrer Lagerplätze. Das entspricht<br />
noch der Art, wie auch Pr<strong>im</strong>aten<br />
ihre Toten unbeachtet lassen. Aber bereits<br />
bei den Neandertalern differenziert<br />
sich das Verhalten. In der Regel begruben<br />
sie ihre Toten vollständig, doch<br />
kann daraus noch nicht geschlossen<br />
werden, dass sich mit diesen frühen Begräbnissen<br />
bereits ein Glaube an ein Leben<br />
nach dem Tode verbunden hat. Dazu<br />
gehört ein Abstraktionsvermögen,<br />
das Vergangen heit und Zukunft übergreift.<br />
Das archäologische Material erlaubt<br />
keine zweifelsfreien Schlüsse auf<br />
transzendente Vorstellungen.<br />
Vorgeschichtliche Bestattung<br />
Hinweise auf regelmäßige Beisetzun -<br />
gen stammen erst aus dem oberen<br />
Palä o li thikum. Bei Sungir, 200 Kilo -<br />
meter nordöstlich von Moskau, wurden<br />
vier gut erhaltene Gräber entdeckt, nach<br />
den Radiokarbon-Messungen zwischen<br />
25 500 bis 22 000 Jahre alt. Die Lei-<br />
chen, mit rotem Ocker bestreut, waren<br />
in sehr aufwendiger Kleidung und mit<br />
reichem Schmuck beerdigt worden, ein<br />
Mann, eine Frau und zwei heranwachsende<br />
Kinder. Diese und andere Gräber<br />
belegen zum ersten Mal den Wunsch,<br />
den sozialen Rang von Toten zu demons -<br />
trieren. Die Kindergräber lassen diesen<br />
Rang bereits erblich verstehen, so dass<br />
vermutlich damals schon die vollständig<br />
gleichberechtigte Gesellschaft ihr Ende<br />
gefunden hatte. Vor allem aber zeigt der<br />
Befund ein Denken über den Tod hinaus<br />
und die symbolische Ausstattung der Toten<br />
für ein jenseitiges Leben.<br />
Steinzeit<br />
Auch die gewaltigen Steingräber des<br />
Neolithikums bezeugen einen Totenkult,<br />
ohne dass wir sagen können, welche<br />
Rolle sie in ihren Gesellschaften einnahmen<br />
und welche Vorstellungen über ein<br />
Jenseits sich mit ihnen verbanden. Die<br />
Steingräber Nordeuropas enthielten reiche<br />
Grabbeigaben mit dekorierter Töp -<br />
ferware, Bernstein-Amuletten und wohl<br />
auch Speiseopfern. Natürlich waren diese<br />
Megalithgräber in ausgedehnte Kulte<br />
eingebunden. Dass der darin gefeierte<br />
Glaube sich auf Leben und Tod bezog,<br />
von Prof. Dr. Hubertus Halbfas<br />
darf unterstellt werden, aber keine St<strong>im</strong>me<br />
berichtet über nähere Inhalte. Welche<br />
Symbolik dem Stein zugehörte, der<br />
mit ungeheuren Anstrengungen über<br />
große Entfernungen herbeigeschafft<br />
wurde, wird in der Religionsgeschichte<br />
unterschiedlich beantwortet; mal werden<br />
ihm Dauer und majestätische Macht<br />
zugeschrieben, mal erscheint er, wie in<br />
Gen. 28, 17.19 oder in der Kaaba von<br />
Mekka als „Haus Gottes“, mal soll er<br />
Ahnenkraft verkörpern. Auch können<br />
sich Opferkulte damit verbunden haben,<br />
etwa um die Lebenskraft auf der Erde zu<br />
erneuern.<br />
Ägypten<br />
Die megalithische Kultur endete in<br />
Europa <strong>im</strong> 3. vorchristlichen Jahrtau -<br />
send. Seit 2800 v. Chr. wurden hier keine<br />
neuen Steinmonumente mehr errichtet.<br />
Um diese Zeit hatte die Frühzeit<br />
Ägyptens bereits begonnen (3100–<br />
2670), das Alte Reich schloss sich von<br />
2670 bis 2150 an. Mit der Geschichte<br />
Ägyptens beginnt ein Totenkult, der monumentale<br />
Grabbauten, die Schrift und<br />
die Idee der Unsterblichkeit verbindet.<br />
Nirgendwo sonst repräsentiert das Grab<br />
das Ganze einer Kultur, Diesseits und
168 SAUERLAND NR. 4/2009<br />
Jenseits, Berufsleben und Totenkult.<br />
Diese Einheit ist schon antiken<br />
Rei senden aufgefallen. So schrieb<br />
Heka teios von Abdera, der 320–305 in<br />
Alexandria lebte und Ägypten bereiste:<br />
Die Einhe<strong>im</strong>ischen geben der <strong>im</strong><br />
Leben verbrachten Zeit einen ganz geringen<br />
Wert. Dagegen legen sie das<br />
größte Gewicht auf die Zeit nach<br />
ihrem Tode, während der man durch<br />
die Erinnerung an die Tugend <strong>im</strong> Gedächt<br />
nis bewahrt wird. Die Behausungen<br />
der Lebenden nennen sie „Absteigen“,<br />
da wir nur kurze Zeit in ihnen<br />
wohnten. Die Gräber der Verstorbenen<br />
bezeichnen sie als „ewige Häuser“,<br />
da sie die unendliche Zeit <strong>im</strong> Hades<br />
verbrächten. Entsprechend verwenden<br />
sie wenig Gedanken auf die<br />
Ausrüstung ihrer Häuser, wohingegen<br />
ihnen für die Gräber kein Aufwand zu<br />
hoch erscheint.<br />
Jan Assman interpretiert den ägyptischen<br />
Steinbau, der während der 3.<br />
Dynastie (2670–2600) an die Spitze des<br />
kulturellen Wertesystems rückt:<br />
Der Staat beschäftigt ganze Armeen<br />
von Steinbruchexpeditionen,<br />
Hand wer kern und Fronarbeitern und<br />
investiert in architektonische, plastische,<br />
epigraphische und sonstige Kon -<br />
struktionen von Ewigkeit mindestens<br />
so viel Energie wie andere in Er -<br />
o berung und Verteidigung. In der 4. Dynastie<br />
n<strong>im</strong>mt diese Bautätigkeit Formen<br />
an, die den Eindruck erwecken,<br />
der gesamte Staat wäre um der Einrichtung<br />
von Riesenbauten wegen geschaffen<br />
worden. Der Steinbau dient<br />
ausschließlich der Konstruktion sakraler<br />
Räume und der Abbildung von<br />
Ewigkeit. Alle Gebrauchs funk tionen<br />
wie Wohnen, Verwalten, Maga zinieren<br />
Es gibt (nicht wenige) Dorffriedhöfe <strong>im</strong> Sauerland,<br />
auf denen die Bäume fehlen. Jüngst<br />
musste noch eine ganze Baumallee dran<br />
glauben, weil der Kirchenvorstand den<br />
Klagen über „das lästige Laub“ nicht<br />
standhalten konnte. Aber welche Würde<br />
kennzeichnet diesen dörflichen<br />
Waldfriedhof von Hunswinkel!
SAUERLAND NR. 4/2009 169<br />
usw. werden in Lehm ziegel bauweise<br />
realisiert … Die Sehnsucht, die sich in<br />
diesen gewaltigen Kulturanstrengungen<br />
ausdrückt, zielt auf Erlösung aus<br />
der Vergänglichkeit der Lehmwelt und<br />
auf eine durch den Stein vermittelte<br />
Teilhabe an der kosmischen Ewigkeit.<br />
Das Schicksal jener, die das jenseitige<br />
Gericht bestehen, vertritt der König,<br />
dessen Grabanlagen von den Pyramiden<br />
bis zu den spätzeitlichen Bauten vielgestaltig<br />
zeigen, wie er, der exemplarische<br />
Mensch, in dem alles in höchster Potenz<br />
erscheint – bis hin zur Gottessohnschaft<br />
– den Weg vom Tod ins neue Leben vollzieht.<br />
Das Medium, in dem sich dieses<br />
Geschehen vermittelt, ist der Osiris-Mythos,<br />
in dem auch der spätere christliche<br />
Auferstehungsglaube seine Vor weg -<br />
nahme gefunden hat. Die ägyptischen<br />
Großbauten, zumal die ins Gigan tische<br />
erhobenen Pyramiden, demonstrieren<br />
als Grabanlagen, dass der Tote nicht ins<br />
Chaos versinkt, sondern dass gerade die<br />
Sicherung äußerer Fortdauer zu seiner<br />
Rettung beiträgt. Nicht passives Verhalten,<br />
nicht Vertrauen allein auf einen<br />
gnädigen Gott, sondern eigenes Mitgestalten<br />
gewährt dem Menschen Anteil<br />
an seiner „Auferstehung“.<br />
Römische Antike<br />
Im 4. Jahrhundert v. Chr. best<strong>im</strong>mte<br />
das römische Zwölftafelgesetz: Einen toten<br />
Menschen dürft ihr in der Stadt weder<br />
begraben noch verbrennen! Tote<br />
sollten außerhalb der Städte beigesetzt<br />
werden. Das galt auch für die römischen<br />
Kaiser von Hadrian über Diokletian, beide<br />
„heidnisch“, bis zu Justinian, dem<br />
christlichen Gesetzgeber. Aus praktischen<br />
Gründen lagen die Begräbnis -<br />
plätze gewöhnlich zu beiden Seiten der<br />
Ausfallstraßen, etwa an der Via Appia.<br />
Die zwei oberen Fotos zeigen einen<br />
„baumfreien“ Friedhof. Trostloses Gelände,<br />
abgezirkelte Spießigkeit!<br />
Positiv das untere Bild:<br />
Ohne trennende Randsteine bilden die Grabreihen<br />
einen blühenden Zusammenhang.
170 SAUERLAND NR. 4/2009<br />
In Rom und einigen anderen Städten erweiterte<br />
man diese Begräbnisorte seit<br />
dem frühen 3. Jahrhundert durch unterirdische<br />
Gang- und Kammersysteme<br />
(Katakomben). Zunächst erfolgte hier<br />
noch die gemeinsame Bestattung von<br />
Christen und Heiden, bis sich hier eine<br />
Trennung durchsetzte. Die antiken Re -<br />
geln von der Unverletzlichkeit des Gra -<br />
bes und des Grabbezirks galten weiter.<br />
Singulär blieb die Zerstörung eines<br />
Friedhofs heidnischer und christlicher<br />
Gräber durch Kaiser Konstantin für den<br />
Bau der römischen Peterskirche.<br />
Mittelalterliche Friedhöfe<br />
Der deutsche „Friedhof“ bezeichnet<br />
einen umfriedeten, unter erhöhten<br />
Rechts schutz gestellten Bezirk. Im Grie -<br />
chischen ist es die Nekropole, „Stadt der<br />
Toten“; c<strong>im</strong>etière <strong>im</strong> Französischen,<br />
vom lateinischen coemeterium, abgeleitet<br />
von gr. ko<strong>im</strong>asthai, „schlafen“. Diese<br />
Vorstellung kam der christlichen Lehre<br />
von der Unsterblichkeit der Seele und<br />
der Auferstehung von den Toten entgegen.<br />
Der italienische Name camposanto,<br />
„heiliges Feld“, süddeutsch vielleicht<br />
mit „Gottesacker“ wiederzugeben, bezieht<br />
sich noch auf außerhalb der Wohn -<br />
bezirke liegende Grabfelder. Die biblische<br />
Gleichnisrede vom Weizenkorn,<br />
„das reiche Frucht bringt, wenn es<br />
stirbt“ (Joh 12,24), und die Hoffnung<br />
des Paulus: „Gesät wird ein irdischer<br />
Leib, auferweckt ein überirdischer Leib“<br />
(1 Kor 15,44) knüpfen daran an.<br />
Mit Ausgang der Antike und <strong>im</strong><br />
frühen Mittelalter wollten viele „bei den<br />
Heiligen“ bestattet sein, um sie als Für -<br />
sprecher <strong>im</strong> Jenseits zu haben. Davon<br />
zeugt noch der Name Xanten, abgeleitet<br />
von ad sanctos, „bei den Heiligen“.<br />
Als „Heilige“ galten zu dieser Zeit Frauen<br />
und Männer, deren Leben Vorbild -<br />
funk tion gewonnen hatte. War über<br />
ihrem Grab eine Kapelle oder Kirche errichtet,<br />
so wollte man ihnen <strong>im</strong> eigenen<br />
Tode so nah wie möglich sein. Über<br />
Jahrhun derte wurde um einen solch privilegierten<br />
Platz mit allen verfügbaren<br />
Mitteln gekämpft. Heute gestattet das<br />
Recht der katholischen Kirche lediglich,<br />
den Papst, Kardinäle und Diöze san -<br />
bischöfe innerhalb „ihrer“ jeweiligen<br />
Kirche beizusetzen.<br />
Im Jahre 563 erlaubte eine in Braga,<br />
<strong>im</strong> heutigen Portugal, tagende Synode,<br />
Tote auch innerhalb von Städten beizusetzen.<br />
Seitdem lief die von Christen<br />
geübte Praxis darauf hinaus, die bis dahin<br />
den Mittelmeerraum kennzeichnende<br />
Trennung der Bereiche der Lebenden<br />
und Toten aufzuheben.<br />
Im Zuge der mittelalterlichen Besied -<br />
lung wurden Dörfer und später Städte<br />
gegründet, bei denen bereits während<br />
der Planung der Platz für Pfarrkirche<br />
und Friedhof reserviert wurde, soweit<br />
man nicht an vorchristliche Opferstätten<br />
anknüpfte. In den Städten hatten die<br />
Pfarreien und die als Personalpfarreien<br />
verstandenen Klöster und Spitäler <strong>im</strong> allgemeinen<br />
ihren eigenen Friedhof. Auch<br />
wenn hier nie ein „Heiliger“ beigesetzt<br />
wurde, übertrug die Segnung der Gräber<br />
und der Glaube der Menschen auch auf<br />
diese Orte die Rechte der geheiligten<br />
Stätten. Freilich benutzte die Kirche bald<br />
auch Begräbnis und Friedhof als Diszi -<br />
plinierungsmittel: Ungetaufte sollten<br />
hier ausgeschlossen bleiben. Da die Juden<br />
ihre eigenen Friedhöfe hatten, richtete<br />
sich die Einschränkung am meisten<br />
gegen ungetauft verstorbene Kinder.<br />
Noch um die Mitte des letzten Jahrhunderts<br />
wurden ungetaufte Kinder auf einem<br />
angrenzenden „nicht geweihtem“<br />
Stück, etwa „hinter der Hecke“, begra-<br />
ben. Aber erst 2007 hat Papst Benedikt<br />
XVI. erklärt, die „ältere theologische<br />
Mei nung“ vom L<strong>im</strong>bus puerorum, jenem<br />
Ort „ohne Gottesschau“ <strong>im</strong> Halbdunkel<br />
zwischen H<strong>im</strong>mel und Hölle, der<br />
den ungetauften Kindern vorbehalten<br />
war, solle seitens des kirchlichen Lehramts<br />
nicht mehr unterstützt werden.<br />
Eine zweite Einschränkung: der<br />
Friedhof sollte jenen vorbehalten bleiben,<br />
die zeitlebens am katholischen<br />
Glauben festgehalten haben. Häretiker<br />
und Gebannte waren von einem kirchlichen<br />
Begräbnis ausgeschlossen, ebenso<br />
„Selbstmörder“, weil sie sich anmaßten,
SAUERLAND NR. 4/2009 171<br />
dem Herrn über Leben und Tod vorgreifen<br />
zu können.<br />
Da der Friedhof nun <strong>im</strong> Regelfall nahe<br />
bei der Pfarrkirche lag oder die Pfarrkirche<br />
umgab – wie etwa in Helden und<br />
Wormbach – wurde er auch „Kirch hof“,<br />
<strong>im</strong> Englischen churchyard genannt. Er<br />
umklammerte Lebende und Tote und<br />
empfahl in diesem Verbund angelegentlich<br />
die Pflege des Grabes und das Gebet<br />
für die Toten. Zaun, Hecke oder<br />
Mauer grenzten den Friedhof von seiner<br />
Umgebung ab. Zudem galt für ihn (fast)<br />
derselbe Friede wie für die Kirche. Bis in<br />
die Neuzeit erstreckte sich das Asylrecht<br />
auch auf Friedhöfe. Wer gelyncht zu<br />
werden drohte, sah sich zunächst einmal<br />
gerettet, wenn er einen Friedhof erreicht<br />
hatte.<br />
Die Auslagerung der Friedhöfe<br />
Gegen Ende des 18. Jahrhunderts<br />
wurden die Friedhöfe inmitten der Städte<br />
zum Problem. Sie wurden zu klein<br />
oder unterlagen hygienischen Vorstellungen.<br />
Die kommunalen Verwaltungen<br />
kamen mehr und mehr überein, zur antiken<br />
Situation zurückzukehren, eine<br />
„erregende und komplizierte Geschichte,<br />
die eine ganz entscheidende Seite<br />
der zeitgenössischen Sensibilität zu erkennen<br />
gibt“ (Philippe Ariès).<br />
Nun liegt der Friedhof außerhalb der<br />
Stadt (jedenfalls in ihren damaligen<br />
Grenzen). Er wird als Park oder öffentli-<br />
cher Garten entworfen. Ein Beispiel<br />
dafür ist der Melaten-Friedhof in Köln.<br />
Im Jahr 1804 hatte ein Dekret Napo -<br />
leons zum Entsetzen der Kölner die Beerdigung<br />
in Städten, Dörfern und geschlossenen<br />
Gebäuden verboten. Damit<br />
war die Zeit der Bestattung auf dem<br />
Kirchhof vorbei – ein großer Schritt <strong>im</strong><br />
Säkularisierungsprozess. Melaten wurde<br />
nach dem Vorbild des Pariser Friedhofs<br />
Père Lachaise zugleich als Erholungs -<br />
stätte und öffentliche Grünanlage geplant.<br />
Mit seiner Einweihung 1810 wurden<br />
die Kirchhöfe innerhalb der Stadt<br />
geschlossen.<br />
Berühmter noch ist der Parkfriedhof<br />
in Hamburg-Ohlsdorf, eine Anlage, die<br />
historische Bauten und Gartendenk -<br />
mäler verbindet, mit 391 ha der größte<br />
Parkfriedhof der Welt, den zahlreiche<br />
Touristen jährlich besuchen, besonders<br />
zur Zeit der Rhododendronblüte.<br />
Die ursprüngliche Planung dieser<br />
Friedhöfe sah die Gräber verstreut <strong>im</strong><br />
Rasen vor. Das bringt eine ganz andere<br />
Bewertung des Todes zur Geltung, die<br />
weniger mit Religion und Glaube als mit<br />
dem privaten und öffentlichen Leben zu<br />
tun hat: Die Hinterbliebenen machen<br />
sich die vorher unbekannte Gewohnheit<br />
zu eigen, regelmäßig die Gräber ihrer<br />
Angehörigen zu besuchen. Deren Ein -<br />
bet tung in die Natur wird als tröstend<br />
empfunden.<br />
Dieses Leitbild hat sich seitdem nicht<br />
gewandelt, ist in seiner Ästhetik jedoch<br />
nicht intakt geblieben, denn in den meis -<br />
ten Fällen sind <strong>im</strong> Friedhofspark die<br />
Grünflächen geschwunden und bis zum<br />
letzten Fleck mit Gräbern besetzt worden.<br />
Der alte Friedhof in Attendorn<br />
kommt in seinem heutigen Zustand der<br />
ursprünglichen Idee wieder näher, wäh -<br />
rend der neue Waldfriedhof dort mit seinen<br />
Bäumen zwar „etwas Park“ s<strong>im</strong>uliert,<br />
aber ansonsten ein dicht an dicht<br />
besetztes Gräberfeld darstellt, dessen<br />
noch vorhandene Freifläche jedoch der<br />
gleichen Belegung zugedacht ist.<br />
Erhalten blieben die rund um die<br />
Pfarrkirche gelegenen Friedhöfe <strong>im</strong><br />
Sauerland nur in kleineren Dörfern. So<br />
in Wormbach, einer der „Urpfarreien“<br />
des Sauerlandes, in Helden oder in<br />
Kohlhagen …<br />
Neue Entwicklungen<br />
Die den Zeitgenossen oft unbewusst<br />
bleibenden Veränderungen ihrer eigenen<br />
Denkweisen und Glaubenshal tun g -<br />
en als auch der allgemeine Werte wandel<br />
in der Gesellschaft sowie die damit verbundenen<br />
Änderungen der Trau erkultur<br />
stellen sich auch auf den Friedhöfen<br />
dar. Der Anteil der Feuer bestattungen<br />
hat erheblich zugenommen; er liegt in<br />
Deutschland zwischen der Hälfte und<br />
zwei Dritteln aller Bestattungen. Auch<br />
werden pflegefreie Grabstätten und kür-
172 SAUERLAND NR. 4/2009<br />
zere Pachtzeiten <strong>im</strong>mer häufiger nachgefragt.<br />
Diesem Wandel versuchen sich<br />
Friedhofs be treiber anzupassen, indem<br />
sie beispielsweise Urnenwände, Rasenreihen<br />
gräber oder Grabkammern anbieten.<br />
Letztere werden auch als „Turbograb“<br />
bezeichnet, weil die aus Beton errichtete<br />
Kam mer den Verwesungsprozess<br />
beschleunigen und damit die Belegzeit<br />
verringern soll. Bisher realisierte Lösungen<br />
werden derzeit sowohl unter<br />
ökonomischen als auch ethischen Kriterien<br />
heftig diskutiert.<br />
Eine weitere Tendenz führt zu den<br />
„Friedwäldern“. Die Individualisierung<br />
der Gesellschaft trägt dazu bei. Das He<strong>im</strong>atgefühl,<br />
einer Gemeinde, einem Dorf<br />
zuzugehören, einer Gemeinschaft der<br />
Lebenden und Toten, ist für viele Menschen<br />
nicht mehr gegeben. Auch wenn<br />
man lange an einem Ort wohnt, fühlen<br />
sich viele seinen Menschen und seiner<br />
Geschichte nicht unbedingt zugehörig.<br />
Auch wohnen junge Menschen nicht<br />
mehr dort, wo ihre Eltern beerdigt werden,<br />
und ältere Menschen denken darüber<br />
nach, wer ihr Grab pflegen<br />
wird. Das alles fördert den Wunsch<br />
nach Friedwäldern, die keine Grabpflege<br />
verlangen. In der Gemeinde Möhnesee<br />
war zu hören, man wolle seinen Ange<br />
hörigen einen Platz zum Trauern hinterlassen,<br />
aber keinen Kleinstgarten mit<br />
Pflegeverpflichtung. Hier wurde <strong>im</strong> Februar<br />
2007 über einen Friedwald abgest<strong>im</strong>mt,<br />
wobei die erforderliche St<strong>im</strong> -<br />
menzahl nur knapp verfehlt wurde. 27<br />
St<strong>im</strong>men fehlten für das erforderliche<br />
Quorum von 20 Prozent.<br />
Die christlichen Kirchen lehnen diese<br />
Form der Bestattung nicht rundweg ab.<br />
Wenn man sagt, es widerspreche dem<br />
Verständnis eines christlichen Friedhofs,<br />
Menschen ohne Namen beizusetzen, so<br />
muss der Friedwald nicht darunter fallen.<br />
Das Konzept Pro-Friedwald sieht<br />
vor, jeden Baum zu kennzeichnen, jede<br />
Grab stelle zu registrieren, um möglicher<br />
Anonymität auszuweichen. „Um jeden<br />
Baum gibt es ca. 10 Grabstellen. Es<br />
gibt Einzelgräber, Familienbäume und<br />
Freund schaftsbäume. Jeder kann an<br />
‚seinem‘ Baum eine Tafel mit Namen<br />
oder auch mit einem Inschriftspruch anbringen<br />
lassen.“ Insgesamt führt die Ent -<br />
wicklung zu Bestattungen zurück, wie<br />
sie in vorchristlicher Zeit möglich waren,<br />
jedoch erheblich individualistischer,<br />
denn das Gräberfeld der Völkerwande -<br />
rungszeit spiegelte die soziale Gliederung<br />
der Lebenden.<br />
Die Grabmale<br />
Die Friedhöfe des 19. Jahrhunderts<br />
sind wahre Museen liebevoller Fami -<br />
lienbeziehungen, wobei die Denkmale,<br />
Der grüne Rasen, der hier alle Kriegsgräber<br />
gleichmäßig deckt, wäre eine gute Lösung<br />
für manchen Friedhofsbereich.<br />
Stattdessen möglichst viel Grab unter<br />
poliertem Stein zu halten,<br />
um nur min<strong>im</strong>alen Pflegeaufwand zu haben,<br />
führt zum Ende einer Friedhofskultur.<br />
welche die Trauer um den Tod der Angehörigen<br />
schildern, augenscheinlich zu<br />
den Grabmälern der Reichen gehö ren.<br />
Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts<br />
spiegeln sich auch auf unseren<br />
Friedhöfen, zumal jenen des katholischen<br />
Sauerlandes, die Geschichten der<br />
tonangebenden Familien. Die Gruf ten<br />
haben ungewöhnlich große Aus maße,<br />
bis zu acht und mehr Grabbreiten. Die<br />
Denkmalwand verzeichnet bis zum heutigen<br />
Tag die Abfolge der Gene ration, oft<br />
auch Verzweigungen in die weitere Verwandtschaft.<br />
Während sich in stärker<br />
entkirchlichten Gegenden eine Skulpturen-Szene<br />
entfaltete, die mit trauernden<br />
Engeln oder sonstigen allegorischen Motiven<br />
einer pathetischen Trauer Ausdruck<br />
gibt, greifen die aufwändigen<br />
Grabmale sauerländischer Friedhöfe<br />
durchweg auf christliche Szenen zurück:<br />
Da untersteht das Familiengrab dem Bild<br />
der Schmerz haften Mutter mit dem toten<br />
Jesus auf ihrem Schoß, oder es wird ein<br />
Auferstehungssymbol gewählt.<br />
Auf den meisten Friedhöfen sind diese<br />
Familiengruften verschiedener Ge -<br />
nera tionenfolgen <strong>im</strong> Schwinden. Viele<br />
sind bereits aufgegeben oder auf die Gräber<br />
der letzten Generation reduziert worden.<br />
Damit verliert der Friedhof seine<br />
Geschichtlichkeit, zumal die alten Grabdenkmäler<br />
verschwinden. Wenn es nur<br />
noch die Gräber der letzten dreißig Jahre<br />
gibt, und die Erinnerung an voraus -<br />
gegangene Generationen sich ganz verliert,<br />
verbindet sich mit dem Friedhof ein<br />
permanentes Abräumen. Auf diesem<br />
Wege sind großartige Denkmale, welche<br />
die Stilrichtungen der letzten zweihundert<br />
Jahre vertraten, vernichtet worden.<br />
Nur in seltenen Fällen hat der Zufall oder<br />
der besondere Standort einige Grab -<br />
steine aus Sandstein aus dem 18. Jahrhundert<br />
bewahren helfen. Was sich heute<br />
als Grabmal darstellt, ist in der Mehrheit<br />
polierter Granit. Die allgemeine<br />
Tendenz zielt darauf hin, mit liegenden<br />
Platten möglichst viel Grabfläche abzudecken,<br />
um nur sehr geringen Pflegeaufwand<br />
zu haben.<br />
Um der Tendenz zu wehren, die Gräber<br />
nur noch als lästige Aufgabe zu sehen<br />
und Arbeit und Kosten zu sparen, könnte<br />
die Friedhofsordnung – wie etwa in<br />
Drolshagen – folgende Best<strong>im</strong>mung aufnehmen:
SAUERLAND NR. 4/2009 173<br />
• Auf den Grabstätten dürfen keine liegenden<br />
Grabplatten errichtet werden.<br />
• Um eine weitere Versiegelung von<br />
Flächen zu vermeiden und eine möglichst<br />
naturnahe Gestaltung des Fried hofs zu<br />
erhalten, ist eine Abdeckung auch von<br />
Teilen der Grabstätte mit Kies, Granulat<br />
oder ähnlichen Materialien nicht gestattet.<br />
Die mit den Grabmälern verbundene<br />
Symbolik verdient kaum diesen Namen.<br />
Wenn in billigem Bronzeguss ein Kreuz,<br />
die „betenden Hände“ oder die „Im -<br />
maculata“ auf den polierten Stein montiert<br />
werden, ist das eher Klischee zu nennen<br />
als Symbol, denn ein Symbol „gibt zu<br />
denken“, ein Klischee wiederholt nur das<br />
längst Verblasste und Abgegriffene.<br />
Neben den kommerziellen Produkten<br />
finden sich nur hin und wieder noch einzelne<br />
künstlerisch gestaltete Grabsteine,<br />
die unbedingten Wert haben, über die Ruhezeit<br />
hinaus erhalten zu werden. In Dänemark<br />
haben viele Friedhöfe dafür einen<br />
eigenen Ort reserviert, eher <strong>im</strong> Abseits.<br />
Es lässt sich aber auch denken, für<br />
solche Grabmale an hervorgehobenen<br />
Orten, sogar außerhalb des Fried hofs, einen<br />
sinnvollen Platz zu suchen.<br />
Der Friedhof von Marienthal<br />
An dieser Stelle ist allen, die sich für eine<br />
lebendige Friedhofskultur verantwortlich<br />
sehen, eine Fahrt nach Marien thal in<br />
der Gemeinde Hamminkeln, Landkreis<br />
Wesel zu empfehlen. Im Jahr 1924 wurde<br />
dorthin Augustinus Winkel mann<br />
(1881-1954) als Pfarrer versetzt. Bereits<br />
an seiner vorigen Stelle in Kleve suchte er<br />
Kontakt zu jungen Künstlern, wie auch<br />
mit Dichtern und anderen kreativen Menschen.<br />
Der kirchlichen Schein kunst von<br />
damals wollte er mit einer „von innen<br />
heraus geformten Kunst“ begegnen. Er<br />
fand nicht nur Künstler für die Ausgestaltung<br />
der Marienthaler Klo sterkirche, den<br />
Kreuzgang und die Mönchszellen, sondern<br />
auch für den Friedhof, der heute eine<br />
singuläre Er schei nung ist. Die Darstellung<br />
auf den Grabsteinen bevorzugt meistens<br />
die Namenspatrone der Verstorbenen,<br />
oder es wird ein Gleichnis dargestellt,<br />
das dem bäuerlichen und christlichen<br />
Leben vertraut ist. Ein großes Schieferrelief<br />
des <strong>Sauerländer</strong> Künstlers Eugen<br />
Senge-Platten zeigt die Szene Offb 11:<br />
Christus erscheint auf weißem Ross zum<br />
Gericht. Wir finden eine Pietà von Kurt<br />
Schwip pert aus dunkel glasierter Keramik,<br />
daneben an der Nordwand der Kirche<br />
ein Mosaik aus he<strong>im</strong>ischem Rheinkiesel<br />
von Franz Dinnendahl, Christus als<br />
Welten könig. Karl van Ackern ist vertreten<br />
mit einem in Kupfer getriebenem<br />
Lamm der Apokalypse, Eberhard Kahl<br />
zeigt den auferstehenden Christus. Die<br />
Figur des Sämanns verweist auf Sterben<br />
und Auferstehen; auch die „Jünglinge <strong>im</strong><br />
Feuerofen“ erzählen von österlicher<br />
Hoffnung. Die Emmaus szene gestaltet<br />
die Mahlgemeinschaft als Bild des Reiches<br />
Gottes. Die Heilung des Blinden verbindet<br />
sich mit der Bitte „Lass mich sehend<br />
werden“. Auch der Fisch, der Jonas<br />
aus dem Meeresgrab wieder ausspeit, ist<br />
ein Hoffnungs zeugnis. Die Erweckung<br />
des Jünglings von Na<strong>im</strong>, die Kundschafter,<br />
die mit einer großen Traube aus dem<br />
Gelobten Land zurückkehren – <strong>im</strong>merfort<br />
neue symbolische Geschichten, die<br />
zu denken geben, fern jeder leeren Konventionalität.<br />
Gegenüber diesem Friedhof, stecken<br />
die meisten heutigen Friedhöfe in einem<br />
Zustand klischeehafter religiöser Verarmung.<br />
Einerseits sind sie Ausdruck für<br />
das tragische Miss verhältnis zwischen<br />
moderner Kunst und Kirche, andererseits<br />
belegen sie, dass auch hier „der Glaube<br />
verdunstet“. Es wird nicht genügen, gärtnerische<br />
Pflege zu leisten und eine Friedhofsordnung<br />
zu haben, die der Unordnung<br />
wehrt, sowenig es genügt, Osterpredigten<br />
zu halten, wenn dies alles nicht<br />
zu einer neuen Sprache des Glaubens<br />
führt, die auf den Friedhöfen das Leben<br />
deutet.<br />
Die Inschriften<br />
Alles dies gilt auch für die Inschriften<br />
auf Grabmälern. So wie die Totenzettel<br />
<strong>im</strong> letzten Jahrhundert <strong>im</strong>mer dürftiger<br />
wurden und heute <strong>im</strong> Normalfall mit dem<br />
Namen nur noch Geburts- und Todestag<br />
verbinden, aber jede persönliche Gestal -<br />
tung vermissen lassen – sowohl in der<br />
Auswahl der vorgelegten Motive als auch<br />
<strong>im</strong> vielleicht noch abgedruckten Gebet – ,<br />
finden sich die Grabinschriften auf Name<br />
und Lebensdaten reduziert. Kaum noch<br />
ein Wort des Glaubens darüber hinaus.<br />
Auf dem Friedhof von Keitum auf Sylt bestehen<br />
noch die Grabmale der Familie
174 SAUERLAND NR. 4/2009<br />
Teunis aus dem frühen 19. Jahr hundert,<br />
die dem jeweiligen Verstorbe nen ein<br />
biographisches Gedenken bewahren.<br />
Etwa dieses:<br />
Hier Ruhet<br />
Seelig<br />
Hans Hanssen Teunis<br />
gebohren auf Röm d. 9. Octbr. 1746,<br />
gestorben in Altona d. 9. July 1803.<br />
Sein Alter 56 Jahr 9 Monath.<br />
In seiner frühen Jugend wurde<br />
er zur Grönländischen Seefahrt<br />
angeführt, wor auf er 47 Reisen<br />
davon 37 als Commandeur<br />
und die mehrsten mit glücklichem<br />
Erfolg gethan, Strebsam<br />
war er als Versorger für<br />
die Seinen. Dabei lag ihm<br />
die Erziehung seiner längst<br />
Mutter-Lose-Kinder<br />
Sehr am hertzen.<br />
Für beides danken selbige ihm<br />
noch <strong>im</strong> grabe.<br />
Wo wirklich alte Friedhöfe noch bestehen,<br />
etwa an einigen Orten in Bayern,<br />
lassen sich ähnliche individuelle<br />
Schicksale bedenken. Das ist inzwischen<br />
wohl endgültig vorbei und mit den heutigen<br />
Grabsteinen auch nicht mehr zu<br />
verbinden. Aber muss deswegen jedes<br />
Wort verstummen? Der Totenzettel<br />
könnte nach wie vor dem Verstorbenen<br />
ein individuelles Gedenken widmen. Die<br />
dafür angebotenen Bilder aber sind bei<br />
den Bestattern und Druckereien solange<br />
künstlerisch anspruchslos und inhaltlich<br />
platt, als die Menschen dafür keine Ansprüche<br />
stellen, seitens der Kirchen keine<br />
Hilfestellung erfolgt und nicht einmal<br />
von einzelnen Persönlichkeiten neue<br />
Maßstäbe gesetzt werden. Die Theolo -<br />
genschaft und das kirchliche Schrifttum<br />
fallen auf diesem Praxisfeld leider gänzlich<br />
aus.<br />
Auf Grabsteinen in Marienthal<br />
kann man lesen: „Unsere Zeit in Unruhe,<br />
unsere Ruhe in Gott“ –<br />
während der Nazi-Jahre. „Die Liebe<br />
hört n<strong>im</strong>mer auf“ – nach 1 Kor 13,8.<br />
Auf dem Grabstein von Pfarrer Winkelmann<br />
steht: „Mein Leben war ein<br />
beständiger Triumph der Gnade über<br />
meinen Undank. So scheide ich <strong>im</strong><br />
Vertrauen auf ihren ewigen Triumph.“<br />
Der Friedhof als Garten oder Wald<br />
Der Paradigmenwechsel, der vom<br />
Friedhof <strong>im</strong> Umfeld der Kirche zurück<br />
Dem Kitsch ist wohl kein Rat und keine<br />
Satzung gewachsen.<br />
Aber wer fühlt sich für die Kultur der<br />
Friedhöfe noch verantwortlich?<br />
vor die Stadt führte, brachte den Fried -<br />
hof <strong>im</strong> Grünen. Damit verbanden sich<br />
Baum alleen, ausgedehnte Rasen flächen<br />
mit blühenden Sträuchern. Die inzwischen<br />
majestätischen Baumriesen auf<br />
den Parkfriedhöfen Melaten in Köln und<br />
Hamburg Ohlsdorf ziehen das Jahr hindurch<br />
viele Besucher an, die dort spazieren<br />
gehen, die Natur genießen und die<br />
Erinnerung an bekannte wie unbekannte<br />
Namen schätzen. Das Grün der Bäume<br />
und ihr Laub auf den Gräbern stört<br />
sie nicht, es gehört dazu.<br />
Anders auf vielen Dorffriedhöfen. Da<br />
gibt es einen, dessen Baumallee ließ der<br />
Kirchenvorstand fällen, nachdem sich<br />
<strong>im</strong>mer wieder Menschen über das<br />
störende Laub auf den Gräbern beschwerten;<br />
einen anderen, dessen Lin -<br />
den alle paar Jahre grausam zurück geschnitten<br />
werden, weil auch hier „das<br />
viele Laub“ nicht toleriert wird. Natürlich<br />
sehen diese Friedhöfe, deren Namen<br />
verschwiegen seien, ziemlich trostlos<br />
aus, denn große alte Bäume geben<br />
jedem Friedhof Würde.<br />
Die Churchyards in England mögen<br />
heute nicht mehr belegt werden, aber<br />
die alten Gräber auf kurz gehaltenem<br />
Rasen sind vielen teuren Gräbern vorzuziehen,<br />
wenn Steinfassungen, polierte<br />
Platten und geharkter Kies nur noch<br />
kleinbürgerliche Enge verraten. Einige<br />
unserer Fotos zeigen einen lichten Waldfriedhof<br />
mit Gräbern zwischen grünem<br />
Gras. Wenn auch nicht überall ein Waldfried<br />
hof sein kann, so kann doch jeder<br />
noch so bescheidene Friedhof ein gärtnerisches<br />
Konzept entwickeln, etwa mit<br />
welchen Bäumen der Eingangsbereich<br />
flankiert wird, welche Wege eine Baum -<br />
allee begleiten, mit welchen Hecken das<br />
Gräberfeld gegliedert und in Zonen eingeteilt<br />
werden kann.<br />
„Unsere Friedhöfe mit ihren Zeichen<br />
der Anhänglichkeit und Treue<br />
sind eigentlich Versuche der Liebe,<br />
den anderen irgendwie festzuhalten,<br />
ihm noch ein Stück Leben zu geben.<br />
Und ein wenig lebt er ja auch wirklich<br />
noch in uns fort - nicht er selbst, aber<br />
etwas von ihm. Gott kann mehr festhalten<br />
– nicht nur Gedan ken, Erinnerungen,<br />
Nachwirkungen, sondern einen<br />
jeden als ihn selbst.“ (Joseph Ratzinger)
SAUERLAND NR. 4/2009 175<br />
Ein steinernes Archiv mit weltweitem Zugang<br />
Die Online-Edtion der jüdischen Friedhöfe in Rüthen<br />
Als erste Kommune in NRW und damit<br />
auch <strong>im</strong> Bereich des kurkölnischen<br />
Sauerlandes hat die Stadt Rüthen in Zusammenarbeit<br />
mit dem Salomon Lud -<br />
wig Steinhe<strong>im</strong>-Institut für deutsch-jüdische<br />
Geschichte in Duisburg die wissenschaftliche<br />
Verzeichnung und Erschlie -<br />
ßung der Grabmale auf den örtlichen jüdischen<br />
Friedhöfen (Rüthen: 80 Grab -<br />
steine, Rüthen-Oestereiden: 4 Grabstei -<br />
ne) mit dem Ziel einer (zunächst) digitalen<br />
Edition der Forschungsergebnisse<br />
durchgeführt. Diese wurden unmittelbar<br />
nach dem Abschluss der Unter suchun -<br />
gen herausgegeben, indem sie über die<br />
Homepage der Stadt Rüthen (www.rue -<br />
then.de) unter dem Kapitel „Bildung &<br />
Kultur“ u. dem Abschnitt „Friedhöfe“<br />
oder direkt erreichbar auf dem Haupt -<br />
por tal der Homepage unter dem dort<br />
einzugebenden Suchwort „Jüdische<br />
Friedhöfe“ ab Anfang November 2009<br />
veröffentlicht und allgemein zugänglich<br />
gemacht wurden, d. h. weltweit online<br />
gestellt und somit für jeden Internetbe -<br />
nutzer verfügbar gemacht worden sind.<br />
Für dieses seit Jahren geplante, nunmehr<br />
mit Hilfe innovativer Technologie<br />
realisierte Projekt leistete auch der<br />
Rüthener He<strong>im</strong>atverein e.V. u. a. durch<br />
die Herstellung detailgenauer Fotos der<br />
Grabsteine wertvolle Vorarbeit.<br />
Der jüdische Friedhof in Rüthen ist als<br />
solcher der älteste, in seinem Ursprungs<br />
zustand original erhalten gebliebene<br />
Begräbnisplatz in Westfalen. Am<br />
8. Ok tober 1625 wurde den ortsansässigen<br />
Juden durch den Rat der Stadt<br />
Rüthen der Befestigungsgraben am<br />
Rand der erhalten gebliebenen nördlichen<br />
Stadt mau er, östlich des bis heute<br />
an dieser Stelle ebenfalls noch vorhandenen<br />
Hachtores als dauerhafter Bestattungs<br />
bereich für ihre Verstorbenen<br />
überlassen, nachdem dort schon in<br />
früheren Zeiten (vermutlich seit dem<br />
Spätmittel alter) vereinzelte jüdische<br />
Grabstätten angelegt worden waren. Im<br />
Originaltext des zeitgenössischen Rats -<br />
protokolls heißt es nämlich dazu:<br />
„Der juden begrebnißede betreffent:<br />
Am 8. Octobris anno 1625 haben<br />
Philips, Kumpe undt Gottschalck,<br />
die juden, vor sich undt ihr haußgesinne<br />
mit dem burgermeister Hunolt von<br />
Loen darhin accordiert [=sich geeinigt],<br />
also dass sie ihre abgestorbene in<br />
kunfftigh ohne einige verhinderungh<br />
in den graben, allernegst der alten begrebnieß,<br />
begräben undt hinlegen<br />
konnen undt muegen, undt soll innen<br />
darzu der ganck durch den graben gestattet<br />
werden.“ (StA Rüthen, Stadt<br />
Rüthen Akten A/X, I a 4, S. 173).<br />
Dieser kurze Quellenhinweis auf die<br />
damals bereits hier vorhandenen jüdischen<br />
Grabstätten stützt <strong>im</strong> übrigen die<br />
berechtigte Annahme, dass es schon<br />
sehr viel früher jüdisches Leben in der<br />
Stadt Rüthen gegeben hat, wozu auch<br />
schriftliche Erwähnungen aus dem Jahr<br />
1447 wie auch bereits 1279 als weitere<br />
Der jüdische Friedhof <strong>im</strong> Befestigungsgraben an der Stadtmauer. Die original erhaltene<br />
Rüthener Begräbnisstätte des Spätmittelalters ist die älteste u. eine Rarität in Westfalen.<br />
von Friedhelm Sommer<br />
Indizien dienen können. Eine kontinuierliche<br />
jüdische Ansiedlung ist seit<br />
1587 in Rüthen nachweisbar. 1942<br />
wurde diese alte jüdische Gemeinde<br />
durch die Nazis vernichtet.<br />
Seit der offiziellen und nachhaltigen<br />
Zuweisung eines Begräbnisplatzes durch<br />
die Stadtobrigkeit <strong>im</strong> Rüthener Pestjahr<br />
1625, in dem die gefürchtete Seuche<br />
zweifellos auch unter den ansässigen Juden<br />
die übliche Todesrate erheblich steigerte,<br />
wurden dann nachfolgend über<br />
mehr als 3 Jahrhunderte viele Genera -<br />
tionen jüdischer Bewohner und Bürger<br />
der Stadt Rüthen, aber vereinzelt auch<br />
auswärtige Juden dort beerdigt. Die letzte<br />
Bestattung auf dem <strong>im</strong>mer <strong>im</strong> Besitz<br />
der örtlichen jüdischen Gemeinde gestandenen,<br />
nunmehr <strong>im</strong> Eigentum ihres<br />
Rechtsnachfolgers, des Landesverban -<br />
des der jüd. Gemeinden in Westfalen u.<br />
Lippe befindlichen Begräbnisplatz wurde<br />
<strong>im</strong> Jahr 1958 vorgenommen, so dass<br />
von insgesamt mehr als 200 Gräbern<br />
auf dem insgesamt 1 821 qm großen<br />
Areal ausgegangen werden kann. Seitdem<br />
gilt dieser Friedhof nach jüdischem<br />
Kultus als geschlossen bzw. verwaist.<br />
Ein parallel zum Friedhof angelegter<br />
Fußweg bietet an vielen Stellen interessante<br />
Ein blicke auf die <strong>im</strong> ehem. Befestigungs<br />
graben angelegten Grabstellen.<br />
Die besondere, bis heute hier original<br />
erhalten und sichtbar gebliebene und<br />
daher nicht nur für NRW äußerst selten<br />
gewordene topografische Lage und au -<br />
thentische Situation eines aus dem urbanen<br />
Spätmittelalter überkommenen jüdischen<br />
Begräbnisplatzes mit seinen typischen<br />
Erscheinungsformen und Anlage<br />
strukturen sowie dem reichen konfessions-,<br />
kultur-, sozialgeschichtlichen Ge -<br />
halt seiner sepulkralhistorischen Ent -<br />
wick lungsabschnitte und Gestaltungsviel<br />
falt machen den jüdischen Friedhof<br />
in Rüthen schon seit vielen Jahren zu einem<br />
Kulturdenkmal von überregionaler<br />
Bedeutung, dessen vielfältige und aussagekräftige<br />
wissenschaftliche Verzeich -<br />
nungs- und Erschließungsergebnisse<br />
nunmehr in Form globaler Präsen -<br />
tations- und Nutzungsmöglichkeiten der<br />
interessierten Öffentlichkeit in aller Welt<br />
zur Verfügung gestellt worden sind. Dies<br />
war zudem ein dringendes denkmalpflegerisches<br />
Erfordernis, da der „Zahn der<br />
Zeit“, insbesondere schädliche Umwelt -
176 SAUERLAND NR. 4/2009<br />
einflüsse den Schriftbildern, der Sym -<br />
bolik und Ornamentik der Grabsteine<br />
verstärkt zusetzten und somit ihre archivische<br />
Bedeutung zu zerstören drohten.<br />
Hier wurde sich die Stadt Rüthen rechtzeitig<br />
ihrer kulturgeschichtlichen Ver -<br />
antwortung bewusst.<br />
Der „Zahn der Zeit“ nagt auch hier an den<br />
alten hebräischen Grabinschriften und<br />
macht ihre fachwissenschaftliche<br />
Übersetzung u. Deutung zu einem<br />
kulturellen Desiderat<br />
Die für das be<strong>im</strong> Rüthener Friedhof<br />
<strong>im</strong> Rahmen der Forschungsarbeiten angewandte<br />
innovative Editionsverfahren<br />
verantwortliche Mitarbeiterin des Duis -<br />
burger Steinhe<strong>im</strong>-Instituts, Nathanja<br />
Hüttenmeister M.A., sieht den jüdischen<br />
Begräbnisplatz vor allem als „komplex en<br />
wie lebendigen Ausdruck jüdischen<br />
historischen Selbstbewusstseins und<br />
dessen Kontinuität über Jahrhunderte.<br />
An dem ‚semiotischen Ensemble‘,<br />
an der Zeichenwelt eines Friedhofs,<br />
lässt sich weit mehr ablesen über<br />
die innere und äußere Verfasst heit<br />
einer Gemeinde, und sei sie noch so<br />
klein wie es viele der ländlichen Gemeinden<br />
in unserem Raum waren, als<br />
nur Daten u. Namen. So individuell<br />
und wichtig diese Namen u. Lebens -<br />
daten sind, so sind sie doch nur ein<br />
Element des über Jahrhunderte gewachsenen<br />
steinernen Archivs, der<br />
‚corporate identity‘ einer Gemeinde,<br />
deren Mitglieder die Kontinuität und<br />
die Brüche der eigenen Geschichte<br />
aufbewahren“.<br />
In der digitalen Edition ihrer wissenschaftlichen<br />
Analyse des Rüthener<br />
Fried hofes hat Nathanja Hüttenmeister<br />
insbesondere die seit 1654 vorhandenen<br />
hebräischen Inschriften übersetzt<br />
und kommentiert sowie auf frühere wie<br />
auch spätere Familienmitglieder, die auf<br />
demselben Friedhof begraben liegen,<br />
verwiesen. Gerade die biographischen<br />
und genealogischen Angaben können<br />
bei diesem Dokumentationsmedium in<br />
Zukunft unproblematisch und kontinuierlich<br />
durch zusätzliche bzw. neue Erkennt<br />
nisse, Hinweise und Informationen<br />
aus der (weltweiten) Forschung <strong>im</strong>mer<br />
wieder ergänzt und erweitert, aber<br />
auch korrigiert werden.<br />
In der Ausgangsedition des Instituts<br />
ist natürlich eine kurze Beschreibung jedes<br />
einzelnen Grabsteines, seines spezifischen<br />
Gestaltungsstils, der Bedeutung<br />
seiner Symbolik u. Ornamentik sowie<br />
seines zeitigen Zustandes – verdeutlicht<br />
durch Abbildungen – enthalten. Kom -<br />
plettiert werden diese Einzelanalysen<br />
durch orientierende Angaben zu Lage<br />
und Geschichte des Friedhofes sowie<br />
durch erläuternde Verweise auf weitere<br />
jüdische Begräbnisstätten bzw. ehemalige<br />
jüdische Gemeinden u. Wohnplätze<br />
<strong>im</strong> Raum Rüthen u. der näheren Umgebung.<br />
So wurde auch der kleine jüdische<br />
Restfriedhof in Rüthen-Oester eiden in<br />
das Verfahren einbezogen. Vom einstmals<br />
745 qm großen Totenhof, auf dem<br />
seit dem frühen 18. Jh. neben den Juden<br />
aus dem Ort selbst auch die jüdischen<br />
Verstorbenen aus den Dörfern<br />
Langenstraße, Heddinghausen u. Effeln<br />
des ehemaligen Gogerichts Rüthen<br />
bzw. des späteren Amtes Altenrüthen<br />
bestattet wurden, ist lediglich eine umzäunte<br />
Fläche von ca. 50 qm übrig geblieben,<br />
auf der 4 Grabsteine an die<br />
einstmals wesentlich zahlreichere Belegung<br />
erinnern. Die letzte Bestattung<br />
wurde hier <strong>im</strong> Jahr 1910 vorgenommen.<br />
Der in seiner Gesamtheit erhaltene<br />
jüdische Friedhof in Rüthen stand dagegen<br />
nahezu aus schließ lich den in der<br />
Stadt Rüthen und den <strong>im</strong> zugehörigen<br />
Stadtdorf Alten rüthen verstorbenen<br />
Juden zur Ver fügung.<br />
Zu Ergebnis u. Zielsetzung ihrer wissenschaftlichen<br />
Forschungs- u. digitalen<br />
Editionsarbeit schreibt Nathanja Hütten -<br />
meister: „Dank dieser Erfassung (…)<br />
ließ sich eine umfassende, weltweit zugängliche<br />
Zweitüberlieferung schaffen.<br />
Sie ist wichtig, einmal als Quelle<br />
für die jeweilige Lokalgeschichte und<br />
für die Disziplinen der Geistes- und<br />
Kul tur wissenschaften, zum anderen<br />
zur Bewahrung des Gedächtnisses jener<br />
meist nicht mehr existenten Gemein<br />
den. Es gilt, den kommenden Gene<br />
rationen diese Orte nach Möglichkeit<br />
sowohl physisch zu erhalten wie<br />
auch in Text und Bild zugänglich zu<br />
Für die nachhaltige Erschließung und weltweite Nutzung dieses „steinernen<br />
Archivs“ bietet sich die neue digitale Editionsform als ideales Medium an (Ausschnitt).
SAUERLAND NR. 4/2009 177<br />
machen und sie auszudeuten, bevor<br />
der Verfall ihre Zeichenwelt <strong>im</strong>mer<br />
weiter verringert, wenn nicht auslöscht.“<br />
Mittels der digitalen Edition ihrer wissenschaftlichen<br />
Analyse der jüdischen<br />
Begräbnisplätze in Rüthen will Nathanja<br />
Hüttenmeister, die ihre Ergebnisse <strong>im</strong><br />
Rahmen einer gemeinsamen VHS- u.<br />
Kulturringveranstaltung mit nachfolgender<br />
Exkursion am 4. und 5. November<br />
2009 einer großen Interessentenschar<br />
vorstellte, <strong>im</strong> Auftrag der Stadt Rüthen<br />
also der einhe<strong>im</strong>ischen Bevölkerung wie<br />
auch den weltweit interessierten Besuchern<br />
auf fachkundige und gut verständliche<br />
Weise den virtuellen Zugang zu einem<br />
überregional bedeutenden jüdischen<br />
Begräbnisplatz Westfalens zum<br />
Maschinen- und He<strong>im</strong>atmuseum<br />
Eslohe<br />
Homertstr. 27 · 59889 Eslohe<br />
Telefon: 0 29 73/24 55 und<br />
0 29 73/800 220<br />
info@museum-eslohe.de<br />
www.museum-eslohe.de<br />
Öffnungszeiten:<br />
Mittwoch, Freitag, Samstag: 15–17 Uhr<br />
Sonntag: 10–12 Uhr, vom 1. April bis<br />
31. Oktober von 10–16 Uhr<br />
Gruppen ab 10 Personen nach Vereinbarung.<br />
Bahnfahrten jeden 1. und 3.<br />
Samstag <strong>im</strong> Monat von 15–17 Uhr.<br />
Gruppenfahrten nach Anmeldung<br />
möglich.<br />
Zwecke des Gedenkens (u. a. durch die<br />
Angehörigen), des Forschens (u. a. durch<br />
die jüdische Genealogie) und des Lernens<br />
(u. a. durch die Schulen) überall und<br />
jederzeit ermöglichen und nachhaltig erleichtern.<br />
Eine konventionelle Edition in<br />
Buchform, ergänzt durch darstellende<br />
Forschungselemente zur Ge schichte der<br />
Juden in Rüthen soll folgen. Es wäre<br />
wünschenswert, wenn weitere Städte<br />
und Kommunen Westfalens, insbesondere<br />
des kurkölnischen Sauer landes,<br />
dem Beispiel der Stadt Rüthen hinsichtlich<br />
eigener digitaler Editionen ihrer jüdischen<br />
Friedhöfe folgen könnten, um<br />
so für eine auch auf diesem Sektor geschichtsträchtig<br />
verbundene Region ein<br />
effizientes archivisches Netzwerk des gemeinsamen<br />
Gedenkens, Forschens und<br />
Lernens für alle daran Interessierten vor<br />
Ort und weltweit entstehen zu lassen.<br />
Neue Mitglieder<br />
bzw. Abonnenten<br />
Auf über 2.000 qm erwarten Sie:<br />
• Historische Dampf-, Benzin-, Diesel- und Elektromaschinen<br />
• He<strong>im</strong>at- und Volkskunde der Region Eslohe<br />
• Traditionelle Handwerke und Landwirtschaft<br />
• Schmiede<br />
• Wechselausstellungen<br />
• Idyllische Freianlagen mit historischen Gebäuden,<br />
Wasserkraftanlagen und Energiespielplatz<br />
Karl Jochen Schulte, Sundern<br />
Ewald Hölscher, Schmallenberg<br />
He<strong>im</strong>at- und Förderverein<br />
Wenhotlhausen e. V., Eslohe<br />
Dr. Ferdinand Rudolphi, Olsberg<br />
Plattduitsken Frauluie, Stockum-<br />
Dörnholthausen<br />
Oliver Kaufhold, Medebach<br />
Bertram Brökelmann, Arnsberg<br />
Paul Schulte-Ebbert, Sundern<br />
Redaktionsschluss<br />
für die<br />
nächste Ausgabe<br />
ist der<br />
15. Februar 2010<br />
Maschinen- und He<strong>im</strong>atmuseum<br />
E s l o h e<br />
Besondere Angebote des Museums:<br />
• Fahrten mit der Werkbahn • Maschinenvorführung unter Dampf<br />
• zwe<strong>im</strong>al jährlich Dampftage • Museumsküche und Werkstattangebote
178 SAUERLAND NR. 4/2009<br />
Diese Aufnahme gelang Georg Hennecke unter schwierigsten Bedingungen bei einem heftigen Schneesturm <strong>im</strong> Sauerland<br />
Winterdage<br />
Et gnirret un gnacket,<br />
de ganze Welt scheynt in Watte verpacket.<br />
De Bäume in silvernem Filigran<br />
staken döüsend glitzerege Steernkes aan.<br />
Am Vuegelkästken <strong>im</strong>me Goaren<br />
iset Eys tau Fransen froaren.<br />
Jeder Busk un Dännentopp<br />
satt ne Pöüdelmüske op.<br />
Im Röühreyp blenker't ganze l.and.<br />
funkelnd, blitzend as Demant.<br />
Me kann sieck gar nit saat dran soihn.<br />
Winterdage. wunderschoin!<br />
Hedwig Jungbluth-Bergental • Aus „Reype Ähren“, Grobbel KG, Fredeburg
SAUERLAND NR. 4/2009 179<br />
Schwerspatmuseum Dreislar<br />
Es hämmert und es klopft, laute<br />
Maschinengeräusche sind zu<br />
hören, die Kumpel rufen sich zu<br />
Wir sind <strong>im</strong> Schwerspatmuseum<br />
Dreislar. Mit einem herzlichen „Glück<br />
Auf“ begrüßt uns Gerhard Brocke, Vorsitzender<br />
des Fördervereins Dreislar<br />
e.V. Dieser Verein ist Eigentümer und<br />
Betreiber dieses außergewöhnlichen<br />
Museums.<br />
„Alles begann, wie so oft mit einer<br />
Idee, wie man das leer stehende Gebäude<br />
der ehemaligen Schule Dreislar einer<br />
neuen, für das Dorf verträglichen Nutzung<br />
zuführen könnte“, erklärt Brocke.<br />
Zentral gelegen, in unmittelbarer Nähe<br />
der kath. Kirche, stand dieses Gebäude,<br />
nach der Verlagerung des Schulbetriebes,<br />
gezeichnet von den Narben der<br />
Vornutzer als Caritas-Er holungshe<strong>im</strong><br />
und als Übergangshe<strong>im</strong> für Asylbewerber,<br />
und wartete förmlich darauf, zu neuem<br />
Leben erweckt zu werden.<br />
Ab Spätsommer 2001 wurde in regelmäßigen<br />
Gesprächen mit den ortsansässigen<br />
Vereinen ein Konzept entwickelt,<br />
das Gebäude in Eigenbesitz eines<br />
Vereins mit mehreren Partnern gemeinschaftlich<br />
zu nutzen.<br />
Eine Idee war geboren, die jetzt<br />
mit Leben erfüllt werden wollte<br />
Auf Initiative des Ortshe<strong>im</strong>atpflegers,<br />
(ebenfalls Brocke) der bisher als Koor -<br />
dinator der Aktivitäten fungierte, wurde<br />
ein Konzept erarbeitet, mit Kommune,<br />
Behörden und Institutionen klärende<br />
Gespräche geführt, die Möglichkeit einer<br />
Förderung ausgelotet und dann, <strong>im</strong><br />
Mai 2003, der Förderverein Dreislar<br />
e.V. gegründet.<br />
Der Grundstein für das Projekt<br />
„Schwerspatmuseum Dreislar“ durch<br />
die Umnutzung der ehemaligen Schule<br />
in Mehrfachnutzung mit dem Musikverein<br />
und der Freiwilligen Feuerwehr war<br />
gelegt. Durch das europäische Förder -<br />
programm LEADER+ eröffneten sich finanzielle<br />
Möglichkeiten, und so konnte<br />
am 1. April 2005 mit den Arbeiten begonnen<br />
werden.<br />
Es erfüllt die Dreislarer auch heute<br />
noch mit Stolz, dass an diesem Projekt<br />
kein Fremdunternehmen <strong>im</strong> Einsatz<br />
war. Alle Arbeiten wurden in Eigenregie<br />
und natürlich ehrenamtlich durchge-<br />
Außenansicht des neuen Schwerspatmuseums.<br />
Links <strong>im</strong> Bild der Gebäudeteil der ehemaligen Schule<br />
führt. In mehr als dreijähriger Bautätigkeit<br />
engagierten sich rund 150 Mitbürger<br />
des 400-Seelen-Dorfes Dreislar, getrieben<br />
von dem Ehrgeiz, hier etwas Besonderes<br />
zu schaffen. „Hier wird Dorfgeschichte<br />
geschrieben, und wir sind dabei“,<br />
war ein geflügeltes Wort an der<br />
Baustelle. Ge schickt wurden die Vorteile<br />
einer kleinen, aber intakten Dorfgemeinschaft<br />
in Szene gesetzt. Vom Maurer,<br />
Klempner, Elektriker, Fliesenleger<br />
bis zum Z<strong>im</strong>mer mann und Dachdecker<br />
sind in Dreislar noch alle Handwerke<br />
vertreten, und alle waren unermüdlich<br />
Auf einer Zeitreise<br />
von Gerhard Brocke<br />
<strong>im</strong> Einsatz. So entstand in mehr als<br />
20 000 Arbeitsstunden ein Vorzeige -<br />
objekt, das seinesgleichen sucht. Nicht<br />
nur das Dorf, sondern die gesamte Region<br />
profitiert vom Image des Schwerspatmuseums.<br />
Wir stehen <strong>im</strong> Eingangsbereich, links<br />
der Kassenbereich und der Museums -<br />
shop mit reichhaltigem Angebot an Fossilien,<br />
Mineralien und modischem<br />
Schmuck und man ist versucht, jetzt<br />
schon das eine oder andere Souvenir zu<br />
erstehen.
180 SAUERLAND NR. 4/2009<br />
Doch unser Museumsführer n<strong>im</strong>mt<br />
uns mit auf eine Zeitreise, eine Reise<br />
durch 4,6 Milliarden Jahre Erdge -<br />
schichte. Dreislar und sein Schwerspat<br />
sind Teil einer Entwicklung der gesamten<br />
Erde. Wie konnten aus heißen Gasund<br />
Staubwolken das Sonnensystem<br />
und unsere Ur-Erde entstehen? Staunend<br />
betrachten wir Meteoriten und den<br />
sagenumwobenen Sternenstaub, Reste<br />
von Sternschnuppen die jedes Jahr<br />
noch in großer Zahl auf unsere Erde<br />
kommen. Leicht und allgemeinverständlich<br />
erfahren wir, wie aus Elementen die<br />
Minerale, und aus diesen dann durch<br />
Gesteins schmelze die Steine entstehen.<br />
Die Evolution der Erde, ein Zeitraffer<br />
über 600 Mio. Jahre zeigt uns, wie unbedeutend<br />
der Mensch vor dem Hintergrund<br />
der gesamten erdgeschichtlichen<br />
Ent wick lung ist.<br />
Leicht verständlich und autodidaktisch<br />
hervorragend bearbeitet ist der Einstieg<br />
in die Erdgeschichte und voller<br />
Spannung zieht man eine Schublade<br />
nach der anderen, um <strong>im</strong>mer wieder etwas<br />
Neues zu entdecken. Das Sauerland<br />
auch Dinosaurierland? Die Korbacher<br />
Spalte durch Fossile Funde weltbe -<br />
rühmt?<br />
Auf großen Schautafeln sehen wir,<br />
wie sich unsere Mutter Erde durch die<br />
Zeiten verändert hat, und sich weiter<br />
verändern wird. Die alpidische Gebirgs -<br />
bildung vor 50 Mio. Jahren mit all ihren<br />
Auswirkungen auf das Sauerland ist in<br />
direktem Zusammenhang mit der Ent -<br />
stehung der Dreislarer Schwerspat -<br />
lagerstätte dargestellt.<br />
Tiefe Bruchzonen, zum Teil bis in die<br />
magmaführenden Schichten, der Auf -<br />
stieg heißer Lösungen, die in Dreislar<br />
erst Kieselsäure, später dann Barium,<br />
Schwefel und Sauerstoff, die Elemente<br />
des Schwerspats, transportierten und<br />
auskristallisierten.<br />
Den ersten Zwischenstopp unserer<br />
Reise durch die Zeit legen wir bei der<br />
Kopie einer Urkunde ein. Der kurkölnische<br />
Richter Pape aus Meschede war <strong>im</strong><br />
Jahr 1777 der Erste, der sich in Dreislar<br />
die Schürfrechte sicherte.<br />
Auf einem Bildschirm sehen wir Bilder<br />
aus der Bauphase des Schwer -<br />
spatmuseums. Später werden hier alle<br />
touristisch erschlossenen Bergbauakti -<br />
Die alte Schmiede. Hier können sich Paare trauen lassen<br />
vitäten diesseits und<br />
jenseits der Landes -<br />
grenze dem Besucher<br />
vorgestellt.<br />
Das Schwerspat -<br />
mu seum Dreislar ist<br />
schon seit geraumer<br />
Zeit Mitglied des Geoparks<br />
Grenzwelten.<br />
Inzwi schen ist auch<br />
der gesamte Altkreis<br />
Brilon ebenfalls dem<br />
Geo park beigetreten.<br />
Nach der Zertifizierung<br />
durch die Alfred-Wegener-StiftungPotsdam<br />
vor wenigen Tagen kann der Besucher<br />
sicher sein dass da, wo Nationaler<br />
Geo park drauf steht, auch Qualität drin<br />
ist.<br />
Nur wenige Schritte und wir kommen<br />
durch den Türstock mit den Initialen<br />
„Glück Auf“ in die Schatzkammer des<br />
Museums.<br />
Im Halbdunkel, beschallt mit Original<br />
geräuschen der Grube können wir<br />
die Atmosphäre des Bergbaus regelrecht<br />
spüren. Hervorragend ausgeleuchtete<br />
Vitrinen mit den dreislarer Mineralen<br />
lassen unser Herz höher schlagen.<br />
Doch zu erst einen Blick auf die Geschichte<br />
der Bergbaubetreiber.<br />
Schwerspat ist, so erfahren wir, Eigentümermineral<br />
und darf nur mit Zust<strong>im</strong>mung<br />
der Grundstücks eigentü mer<br />
Hier treffen sich Vergangenheit und Gegenwart<br />
abgebaut werden. Ach ja, deshalb die<br />
Einträge der Schürfrechte.<br />
Zu erst treffen wir einen alten Be -<br />
kannten wieder, Richter Pape aus Meschede<br />
der seine Rechte an das Kloster<br />
Grafschaft abgetreten hat. Ab 1847 wurde<br />
Rudolf Graf von Spee in Dreislar aktiv,<br />
ab 1870 der Graf zu Stolberg. Alle<br />
diese Bergbaubetreiber mussten in Dreislar<br />
wirtschaftlich scheitern. Sie prospektierten<br />
und schürften auf Eisenstein und<br />
fanden Schwerspat. Für diesen gab es<br />
aber vor 1900 noch keine Verwendung.<br />
Erst Dr. Rudolf Alberti aus Bad Lauterberg<br />
<strong>im</strong> Harz brachte ab 1909 den geregelten<br />
Berg baubetrieb nach Dreislar.<br />
Er hatte die Zeichen der Zeit erkannt,<br />
denn die chemische Industrie war hungrig<br />
nach dem begehrten Mineral.
SAUERLAND NR. 4/2009 181<br />
Diese Förderwagen waren bis 1974 gebräuchlich<br />
Prof. Dr. Georg Unland, Finanzminister des Freistaates Sachsen<br />
nach der Festrede be<strong>im</strong> Museumsrundgang<br />
Jedoch hatte er für seine bergbaulichen<br />
Unternehmungen in Dreislar eine<br />
schlechte Zeit ausgesucht. Gerade <strong>im</strong><br />
Jahr 1912 begonnen, wurden die Arbeiten<br />
durch den Zweiten Weltkrieg unterbrochen.<br />
Erst 1920 wurde der Abbau<br />
von Schwerspat wieder aufgenommen<br />
und mit dem Bau einer Schmalspurbahn<br />
von Dreislar nach Liesen zur Aufbereitung<br />
begonnen. Mit der Weltwirtschaftskrise<br />
und der Wäh rungsreform war bei<br />
Tageszinsen von 2% kein wirtschaftliches<br />
Arbeiten mehr möglich.<br />
Schweren Herzens verkaufte Alberti<br />
seine Bergbaurechte und das gesamte<br />
dreislarer Eigentum für 250 000 RM an<br />
die IG Farben Frankfurt und die Ge -<br />
werkschaft Sachtleben in Meggen. Die<br />
Stolleneingänge wurden verschlossen,<br />
alle beweglichen Güter veräußert und<br />
auf bessere Zeiten gewartet.<br />
Diese kamen<br />
1956/57 durch die<br />
stark gestiegene<br />
Nach frage nach<br />
Schwerspat. Seit dieser<br />
Zeit wurde ununterbrochen<br />
gefördert.<br />
Sachtleben machte<br />
die Grube Dreislar<br />
zum modernsten<br />
Schwer spatbergwerk<br />
Euro pas. Ende 2008<br />
wurde die Förderung<br />
wegen Erschöpfung<br />
der Vor räte eingestellt.<br />
Somit geht für das Dorf Dreislar eine<br />
230-jährige Bergbaugeschichte zu Ende.<br />
Doch die Geschichte der Grube<br />
bleibt <strong>im</strong> Schwerspatmuseum lebendig.<br />
Mit viel Herzblut haben die Dreislarer<br />
„ihrem“ Bergbau ein würdiges Denkmal<br />
gesetzt.<br />
Wer aber waren die Bergleute, die<br />
über viele Generationen <strong>im</strong> Dunkel der<br />
Berge nach den begehrten Erzen geschürft<br />
haben?<br />
Bereits zur Zeitenwende zogen die<br />
Kelten durch das obere Sauerland auf<br />
der Suche nach Eisenstein, einem begehrten<br />
Erz für die Herstellung von Arbeitsgerät<br />
und Waffen. Oberflächen nah,<br />
in sog. Pingenzügen und Gräben wurde<br />
das Erz gewonnen und in der Regel auch<br />
ortsnah in den Rennöfen verhüttet. Viele<br />
Sagen und Erzählungen sind uns überliefert,<br />
die auf diesen urzeitlichen Bergbau<br />
schließen lassen.<br />
Im ausgehenden Mittelalter setzte ein<br />
Boom <strong>im</strong> Stollenbergbau ein, denn man<br />
brauchte Buntmetalle, um die Münz -<br />
stätten der neu entstandenen Städte zu<br />
versorgen.<br />
Über viele Jahrhunderte war das<br />
Schürfen nach Erz Arbeit der Tage -<br />
löhner mit einer eher mäßigen Aussicht<br />
auf auskömmliche Löhne.<br />
So musste man, um die, mit Kindern<br />
oft reich gesegneten Familien mit dem<br />
Lebensnotwendigen zu versorgen, die<br />
kleinen Höfe mehr schlecht als recht bewirtschaften.<br />
Die Bildergalerie über das Dorfleben<br />
zeigt uns lebendige Beispiele aus dem<br />
Alltagsleben der Dreislarer. Die Schaf -<br />
herde, das rote Höhenvieh, der Mist als<br />
einziger Dünger, irgendwie kommt uns<br />
doch einiges recht bekannt vor, ohne die<br />
Personen auf den Bildern zu kennen.<br />
Wir hören vom Leben der Handelsleute<br />
die mit Stoffen, Stahlwaren und irdener<br />
Ware bis ins Baltikum zogen. Irgendwie<br />
doch hochinteressant, diese Dorfge -<br />
schichte.<br />
Wir ahnen die Nöte und Entbeh -<br />
rungen der Bewohner eines kleinen<br />
Dorfes, weit ab, am Rande des Sauerlandes.<br />
Mit Hochachtung gegenüber den vergangenen<br />
Generationen, die ihren Weg<br />
in die Neuzeit fanden, verlassen wir dieses<br />
Thema und unsere Aufmerksamkeit<br />
wird auf den Hunt gelenkt. Der Hunt, so<br />
hören wir, wird mit „T“ geschrieben und<br />
ist der Förderwagen der Bergleute. In den<br />
Anfangsjahren des Schwerspat bergbaus<br />
musste jeder Arbeiter als Tagesration<br />
zwanzig dieser Wagen mit der Hand beladen<br />
und aus der Grube schieben.<br />
Ein Knochenjob<br />
Schwerspat hat ein spezifisches Gewicht<br />
von ca. 4,5 und, nachdem wir einen<br />
Brocken dieses Minerals in den<br />
Händen gehalten haben, können wir erahnen,<br />
welche Plackerei das gewesen<br />
sein muss.<br />
Immer wieder lässt unser Muse ums -<br />
führer die eine oder andere Anekdote
182 SAUERLAND NR. 4/2009<br />
einfließen und wir erfahren, dass man<br />
auch der schwersten Arbeit angenehme<br />
Seiten abgewinnen kann.<br />
In einer Nische, liebevoll aus kleinsten<br />
Schiefersteinen gefertigt, steht die<br />
Schutzpatronin der Bergleute, die Hl.<br />
Barbara. Unsere Ohren lauschen der<br />
Geschichte dieser Schutzheiligen, unsere<br />
Augen aber sind schon gefesselt vom<br />
Glanz der „Dreislarer Rosen“, wie sie<br />
von Mineralienliebhabern aus aller Welt<br />
genannt werden.<br />
Welche Pracht, welche Schönheit<br />
und Ästhetik verwöhnt unsere Augen<br />
und unsere Sinne. Kaum zu glauben,<br />
dass so etwas Einmaliges in absoluter<br />
Finsternis, tief in der Erde unter unseren<br />
Füßen entstehen konnte.<br />
Hier benötigt man keine erklärenden<br />
Worte, nein, man will einfach nur genießen.<br />
Und Freunde dieser edlen Mineralien<br />
haben durch ihre Sammelleidenschaft<br />
dieses kleine Sauerlanddorf weltweit bekannt<br />
gemacht. Alle geologischen, mineralogischen<br />
oder naturkundlichen<br />
Museen auf der ganzen Welt haben diese<br />
Mineralstufen erworben.<br />
So findet man diese „Botschafter“<br />
auch in den USA-Museen, z. B. <strong>im</strong> weltberühmten<br />
„Smithsonian“ in Washing -<br />
ton DC oder in der „Harvard Institut“ in<br />
Boston/ Mass.<br />
„Dreislarer Rosen“<br />
So schlendern wir von Vitrine zu Vitrine,<br />
dazwischen Bilder auf denen uns<br />
Bergleute vergangener Zeiten in Lebensgröße<br />
ansehen. Davor an Gitter -<br />
wänden div. Bergbauutensilien wie Grubenhelme,<br />
Geleuchte, Bohrgerät und<br />
Gezäh, und natürlich der „Henkel -<br />
mann“, das Essgeschirr der Bergleute.<br />
Im Verbau, verz<strong>im</strong>mert mit dem deutschen<br />
Türstock, biegen wir nach links in<br />
einen Stollennachbau. Auf einer Länge<br />
von ca. 15 Metern interessant und sehr<br />
authentisch gestaltet. Auf mehreren<br />
Bildschirmen können wir noch einmal<br />
die Kontinentalverschiebung <strong>im</strong> Zeitraf -<br />
fer erleben. Die schweißtreibende Arbeit<br />
der Bergleute um 1940, eine Gruben -<br />
fahrt und die Aufnahmen einer Spren -<br />
gung lassen uns <strong>im</strong>mer tiefer in die<br />
dunkle Welt unter Tage eintauchen.<br />
An der alten Schmiede, gemauert mit<br />
dem ortstypischen Kieselschiefer legen<br />
wir eine Pause ein. Hier gab sich erst vor<br />
wenigen Wochen ein Paar vor dem Standesbeamten<br />
das Ja-Wort. Traum hafte<br />
Atmosphäre, ins gehe<strong>im</strong> wünschen wir<br />
dem jungen Paar alles erdenklich Gute,<br />
schade, nicht dabei gewesen zu sein.<br />
Auf einer Bank nehmen wir Platz, um<br />
erst einmal die Gedanken zu sortieren.<br />
Ein Großbildschirm zeigt den modernen<br />
Bergbau, von der ersten Schicht bis zum<br />
fertigen Produkt. Rechts in der Eckvi -<br />
trine der absolute Hingucker, die größte<br />
Dreislarer Schwerspatstufe. Mit einem<br />
Gewicht von 1,5 Tonnen einfach gigantisch.<br />
Links der Nachbau einer Klüftung,<br />
ein Hohlraum <strong>im</strong> Gestein, in dem die<br />
Mine rale in vielen Mio. Jahren entstanden<br />
sind.<br />
Farbige Lichteffekte lassen die unterschiedlichen<br />
Minerale noch intensiver<br />
auf uns wirken. Hier kann man die Seele<br />
baumeln lassen, doch es gibt noch so<br />
vieles zu entdecken. Die schematische<br />
Darstellung der Aufbereitung in Liesen,<br />
der Transport des Roh-Erzes mit dem<br />
LKW, die Fahrer, <strong>im</strong> örtlichen Sprach -<br />
gebrauch auch die „Spatkutscher“ genannt.<br />
Eine kleine Anekdote klärt uns<br />
über den vermeintlichen „Mülle<strong>im</strong>er“<br />
auf, den Kübel, die Toilette der Bergleute<br />
unter Tage. Und <strong>im</strong>mer wieder:<br />
prachtvolle Mineralstufen, die sich in ihrer<br />
Ausstrahlung und Schönheit gegenseitig<br />
überbieten.<br />
Auf einer Wandtafel finden wir überraschend<br />
Zitate von Berthold Brecht,<br />
Novalis und weiteren Persönlichkeiten,<br />
die sich alle irgendwie dem Bergbau zugehörig<br />
fühlten.<br />
Wir haben heute ein Museum der besonderen<br />
Art kennen gelernt.<br />
Im gehobenen Ambiente wurden wir<br />
mult<strong>im</strong>edial in die Welt des Schwerspats<br />
entführt.
SAUERLAND NR. 4/2009 183<br />
Hier spürten wir Vergangenheit und<br />
Gegenwart hautnah. Wir durften selbst<br />
auf den Spuren der Bergleute wandeln<br />
und durch persönliches Erleben wurden<br />
wir ganz in den Bann der Welt unter Tage<br />
gezogen.<br />
Wir hörten von der Einmaligkeit der<br />
Dreislarer Mineralien.<br />
Genauso einmalig ist auch dieses Museum.<br />
Zum Abschluss unserer Exkursion<br />
sind wir in die He<strong>im</strong>atstube des Museums<br />
eingeladen.<br />
Auch hier viel Liebe zum Detail. Mit<br />
ca. 70 Sitzplätzen groß genug, um angemeldete<br />
Besuchergruppen auch zu bewirten.<br />
Bei einem rustikalen Imbiss lassen wir<br />
das Erlebte noch einmal Revue passieren.<br />
Die Gedanken schlagen Purzelbaum<br />
über all das, was wir erleben und erfahren<br />
durften.<br />
Hut ab, vor dem hohen, ehrenamtlichen<br />
Engagement der Dreislarer.<br />
Hier hat man der endenden Ära des<br />
Bergbaus wirklich ein würdiges Denkmal<br />
gesetzt. Diese „Macher“ sind mit<br />
ihrem Elan ein leuchtendes Beispiel für<br />
das, was eine intakte Dorfgemeinschaft<br />
bewegen kann.<br />
„Nichts ist so stark wie eine Idee, für<br />
die die Zeit gekommen ist.“<br />
Be<strong>im</strong> Abschied sind sich Alle einig:<br />
Wir kommen wieder.<br />
„Glück Auf“<br />
Die Steine bergen<br />
tiefe Gehe<strong>im</strong>nisse.<br />
Der Einsichtige mag erkennen,<br />
dass große Weisheit<br />
in ihnen beschlossen ist.<br />
(Aristoteles)<br />
Weitere Informationen:<br />
www.schwerspatmuseum.de<br />
Termine • Termine • Termine • Termine<br />
8.11.09 „Wir machen Musik“ Musik und Gesang <strong>im</strong> Sauerland.<br />
– 14.2.10 Große Sonderausstellung mit Begleitprogramm <strong>im</strong> Museum der<br />
Stadt Lennestadt in Grevenbrück.<br />
Information unter 0 27 23/60 84 01<br />
Führungen an der Sunderner He<strong>im</strong>at-Krippe<br />
in der Rochus-Kapelle (zu sehen vom 1. Advent 2009 bis 2. Februar 2010)<br />
und auf dem V. Sunderner Krippenweg mit dem Thema „Sein ist die Zeit“ –<br />
Sunderner Künstler sehen das Weihnachtsfest vom 13. Dezember 2009 bis<br />
zum 13. Januar 2010 (Treffpunkt Stadtmarketing, Rathausplatz 7)<br />
6.12. Führung an der He<strong>im</strong>atkrippe / Rochus-Kapelle, 15.00 Uhr<br />
13.12. Eucharistiefeier, anschließend Eröffnung des V. Sunderner<br />
Krippen weges „Sein ist die Zeit“ am Brunnen in der Fußgänger<br />
zone, 11.00 Uhr<br />
Führung auf dem Sunderner Krippenweg, 15.00 Uhr*<br />
20.12. Führung auf dem Sunderner Krippenweg, 15.00 Uhr*<br />
22.12. Abendführung auf dem Sunderner Krippenweg, 19.00 Uhr*<br />
29.12. Kinderführung auf dem Sunderner Krippenweg, 10.00 Uhr (1. Teil)<br />
27.12. Führung auf dem Sunderner Krippenweg, 15.00 Uhr*<br />
31.12. Führung an der He<strong>im</strong>atkrippe / Rochus-Kapelle, 15.00 Uhr<br />
3.1. Führung auf dem Sunderner Krippenweg, 15.00 Uhr*<br />
4.1. Abendführung auf dem Sunderner Krippenweg, 19.00 Uhr*<br />
6.1. Kinderführung auf dem Sunderner Krippenweg, 10.00 Uhr (2. Teil)<br />
10.1 Führung auf dem Sunderner Krippenweg, 15.00 Uhr*<br />
17.1. Führung an der He<strong>im</strong>atkrippe / Rochus-Kapelle, 15.00 Uhr<br />
Bei den mit * gekennzeichneten Führungen auf dem Sunderner Krippenweg ist eine Anmeldung be<strong>im</strong><br />
Stadtmarketing nötig! Bei Gruppenführungen Krippenweg wende man sich bitte ebenfalls an das Stadtmarketing,<br />
bei Führungsanfragen für die He<strong>im</strong>at-Krippe in der Rochus-Kapelle, an das Pfarramt<br />
St. Johannes Evangelist.<br />
An der Sunderner He<strong>im</strong>at-Krippe in der Rochus-Kapelle sind über 30 verstorbene Bürger der Großgemeinde<br />
Sundern um das biblische Geschehen dargestellt, u. a. der ehemalige Bundespräsident Heinrich<br />
Lübke. Ebenso findet durch Sundern vom 3. Adventsonntag, 13. Dezember 2009, bis zum Mittwoch,<br />
13. Januar 2010, der V. Sunderner Krippenweg mit über 30 Stationen und Krippen aus aller Welt sowie<br />
Werken he<strong>im</strong>ischer Künstler und Schulen statt. Er steht in diesem Jahr unter dem Leitwort „Sein ist<br />
die Zeit“ - Sunderner Künstler sehen das Weihnachtsfest. Ein Informationsheft dazu mit den weiteren Programmpunkten<br />
ist be<strong>im</strong> Stadtmarketing Sundern anzufordern.<br />
Termine für „700 Jahre Sundern – Freiheit und Kirche“<br />
27.12. Festgottesdienst mit Abt Dr. Dominicus Meier aus Anlass des Stadtund<br />
Pfarrpatrons in der Pfarrkirche St. Johannes zur Eröffnung des<br />
Jubiläumsjahres, 18.00 Uhr<br />
8.5. Tag der ersten Erwähnung <strong>im</strong> Jahr 1310<br />
Pontifikalamt mit dem Erzbischof von Paderborn Hans-Josef Becker in<br />
der Pfarrkirche St. Johannes, 18.00 Uhr<br />
anschließend gegen 19.30 Uhr<br />
Festakt in der Hubertushalle mit Eckhard Uhlenberg, Landesminister<br />
für Umwelt und Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz<br />
Fr - So, Großes Stadtfest unter dem Leitwort<br />
3. - 5.10. „Sundern gestern - heute - morgen“<br />
Die Redaktion bittet um Mitteilung weiterer Termine
184 SAUERLAND NR. 4/2009<br />
wasserdichtgrün und<br />
molligwarmrot<br />
��� �� � �� ��� �� � �� ��� �� �� �� �� �� �� �� ��� �� �� �� �� ��� �� �� �� �� ��� �� �� �� �� ���<br />
����� ����� ��� � ������� � ��� ������� ���� ������� ��������� ������� ����� ���� � ������ �� ����� �� ���� ������ ����� ������� � ��� ���������������� � � ��������� ������� � ������������ ������������<br />
14.12.2009 15:38:00 Uhr<br />
farbe bekennen mit becker-druck.de
SAUERLAND NR. 4/2009 185<br />
„Herzogtum Westfalen“, Band 1,<br />
des <strong>Sauerländer</strong> He<strong>im</strong>atbundes erschienen von Dr. Theo Bönemann<br />
Am 29. September 2009 konnte Dieter<br />
Wurm, Vorsitzender des Sauer länder<br />
He<strong>im</strong>atbundes, <strong>im</strong> Kreishaus Meschede<br />
das wohl bedeutendste Buch projekt der<br />
jüngsten Zeit über das Herzogtum Westfalen<br />
zahlreichen Gä sten vorstellen.<br />
Sichtlich zufrieden begrüßte er Autoren,<br />
Bürgermeister, Dr. Karl Schneider als<br />
Hausherrn, Prof. Dr. Dr. Harm Klueting<br />
als Herausgeber und Garanten für wissenschaftliche<br />
Arbeit, Dr. Jens Foken,<br />
Redaktionsassistent und Historiker, und<br />
Dr. Burkhard Beyer als Vertreter des<br />
Aschendorff Verlages in Münster.<br />
Der erste der beiden Bände nennt in<br />
seinem Untertitel „Das kurkölnische<br />
Herzogtum Westfalen von den Anfängen<br />
der kölnischen Herrschaft <strong>im</strong> südlichen<br />
Westfalen bis zur Säkularisation 1803“<br />
den thematischen Schwerpunkt der 24<br />
Fachleute, unter denen sich neben aktiven<br />
Hochschullehrern auch Nachwuchs -<br />
wissenschaftler und emeritierte Profes -<br />
soren befinden. Zu den Mitarbeitern<br />
gehören weiterhin mehrere Mitglieder<br />
aus dem Vorstand des He<strong>im</strong>atbundes.<br />
Das breite thematische Spektrum erfasst<br />
die Wurzeln des kurkölnischen Herzogtums<br />
Westfalen und trägt zur Findung<br />
regionaler Identität wesentlich bei, so<br />
Dieter Wurm. Die jahrelangen Forschungen<br />
der Autoren fußen auf seinem<br />
Wunsch vom Jahre 2003, ein umfassendes<br />
wissenschaftliches Werk über das<br />
kurkölnische Sauerland herauszugeben.<br />
Das Unterfangen schien ihm anfänglich<br />
aus Mangel an Geldmitteln und Autoren<br />
jedoch kaum realisierbar. Nach dem er <strong>im</strong><br />
Jahre 2005 Herrn Prof. Dr. Dr. Klueting<br />
als Herausgeber gewonnen hatte, dem<br />
sein ebenfalls langgehegter Wunsch<br />
nach einem ähnlichen Projekt nur in einem<br />
Gemeinschaftswerk realisierbar erschien,<br />
erklärten sich die Bür ger meister<br />
<strong>im</strong> kurkölnischen Sauerland in einer für<br />
Westfalen einzigartigen solidarischen<br />
Aktion bereit, mit 10 Cent pro Bürger<br />
den finanziellen Grundstein für das<br />
Buchprojekt zu legen. Die Spar kassen,<br />
die NRW-Stiftung, die LWL-Kulturstiftung,<br />
der Landschaftsverband Westfalen<br />
Lippe, der Westfälische und <strong>Sauerländer</strong><br />
He<strong>im</strong>atbund sowie der HSK schlossen<br />
sich als Sponsoren an, so dass die hohen<br />
Herstellungskosten der beiden Bände<br />
weitgehend gesichert waren. Daraus ergibt<br />
sich der trotz 927(!) Seiten niedrige<br />
Einbandtitelseite<br />
„Das Herzogtum Westfalen“<br />
mit dem Wappenstein am 1710<br />
erbauten Rathaus in Arnsberg<br />
Kaufpreis des mehrfarbig gedruckten<br />
Bandes in Höhe von 29,50 €. Zahlreiche<br />
Abbildungen und thematische Karten zu<br />
einzelnen Aufsätzen ergänzen das Werk<br />
wesentlich. Eine historische Karte von<br />
1757 in Origi nal größe ist als Orientierungshilfe<br />
für zahlreiche Aufsätze eine<br />
zusätzliche Berei cherung.<br />
Prof. Dr. Dr. Klueting verwies in seiner<br />
Ansprache auf den Juristen und His -<br />
toriker Johann Suibert Seibertz (1788–<br />
1871) und den Landeshistoriker Albert<br />
K. Hömberg (1905–1963), die sich als<br />
Dieter Wurm, Dr. Karl Schneider,<br />
Prof. Dr. Dr. Klueting<br />
und Dr. Burkhard Beyer, Aschendorff Verlag<br />
(v.r.n.l.)<br />
bei der Präsentation des ersten Bandes<br />
„Das Herzogtum Westfalen“<br />
<strong>im</strong> Kreishaus Meschede<br />
Alle Fotos: Hans Wevering<br />
Pioniere dem historischen und siedlungsgeografischen<br />
Kernbereich der westfälischen<br />
Forschung als Pioniere gewidmet<br />
und zahlreiche noch heute hoch geachtete<br />
wissenschaftliche Arbeiten hinterlassen<br />
haben. Das jüngste Buch projekt des<br />
<strong>Sauerländer</strong> He<strong>im</strong>atbundes deckt nun<br />
erstmals die frühe Geschichte einer zentralen<br />
Teillandschaft des Her zogtums<br />
Westfalens etwa von den Anfängen um<br />
777 (Reichstag in Pader born) bis zum<br />
Jahre 1803 (Säkula risation) in einer Gesamtdarstellung<br />
ab. Folgende Stichworte<br />
aus den Aufsatz überschriften deuten den<br />
facettenreichen Inhalt des Bandes an:<br />
Geogra phischer Raum, Christianisierung,<br />
Klo s terlandschaft, die Grafen von<br />
Werl und Arnsberg, Burgen und Städte,<br />
Ent stehung des Territoriums, Vemegericht,<br />
Hexenverfolgungen, Soester Feh-<br />
Prof. Dr. Dr. Klueting<br />
bei seinem Vortrag<br />
de, Kurköln in seinen Teilen, Städte und<br />
Freiheiten, Adel, geistliches Territorium,<br />
Klöster und Orden, Kunst, Schulwesen,<br />
Bibliotheken der Stifte/ Klöster/ Erbsäl -<br />
zer, Judentum, Münz- und Geldwesen,<br />
Salinen- und Bergwerke, Landwirt -<br />
schaft, Verkehrswesen, Säkularisation<br />
und Ende des Herzogtums. Regional umfasst<br />
das Werk einen Teil des Kölner Kurstaates,<br />
eines der bedeutendsten geistlichen<br />
Territorien des Heiligen Rö mischen<br />
Rei ches Deutscher Nation. Dazu ge -<br />
hören nach heutigen Grenzen der<br />
<strong>Hochsauerlandkreis</strong>, der Kreis Olpe, Teile<br />
des Kreises Soest und des östlichen<br />
Märkischen Kreises (Neuenrade, Men -
186 SAUERLAND NR. 4/2009<br />
den, Balve und Sümmern) sowie die Exklave<br />
Volkmarsen. Der zweite Band behandelt<br />
mit weiteren Schwerpunkten<br />
(Politik, Gemeinden, Wirtschaft, Ver -<br />
kehr, Energie, Kultur, Kunst, Schul -<br />
wesen, Kirchen) den Zeitraum bis heute<br />
und wird <strong>im</strong> Jahre 2011 erscheinen.<br />
Dr. Beyer bedankte sich für die Auf -<br />
trags vergabe und sieht in dem Werk eine<br />
Bereicherung für den Aschendorff Ver -<br />
lag. Als Standardwerk hebe es sich heraus<br />
aus der Masse der Hoch schul -<br />
schriften. Die Ansprüche an die Druckund<br />
Bindearbeiten, die grafische Ge -<br />
staltung und die Aufmachung des Buches<br />
entsprächen in ihrer äußeren Form<br />
dessen herausragendem Inhalt. Er<br />
wünschte dem Band eine Verbreitung<br />
über das Sauerland hinaus.<br />
Die Ausstellung „Kurfürst Adel Bürger<br />
– Das kurkölnische Herzogtum West -<br />
falen (1180 – 1803)“ in der Zeit vom<br />
25. Oktober 2009 bis zum 28. Februar<br />
2010 <strong>im</strong> Sauerland-Museum in Arns -<br />
berg ergänzt das Buchprojekt mit selten<br />
gezeigten Objekten.<br />
Das Herzogtum Westfalen.<br />
Herausgegeben von Harm Klüting<br />
unter Mitarbeit von Jens Foken<br />
Aschendorff Verlag Münster<br />
927 Seiten, umfangreich , z. T. farbig bebildert,<br />
Leinen, geb.<br />
ISBN 978-3-402-12827-5 29,50 EUR<br />
Autoren und zahlreiche Gäste bei der Buchvorstellung<br />
Kommentiert . . .<br />
Kolateralschäden . . .<br />
Im Zeitalter der Medien muß man mit allem rechnen. Besonders mit<br />
Vereinfachungen, die oft das Maß des Erträglichen überschreiten und deren<br />
Urheber häufig nicht merken, wie sehr sie danebenhauen.<br />
Schon mal was von der „Sauerland-Gruppe" gehört? Best<strong>im</strong>mt! Damit<br />
ist aber kein harmloser Wanderverein gemeint, sondern eine islamistische<br />
Terroristengruppe, die ausgerechnet <strong>im</strong> Sauerland einen Schlupf -<br />
winkel gefunden hatte und hier ausgehoben wurde. Schl<strong>im</strong>m genug, daß<br />
das bei uns passierte. Aber noch schl<strong>im</strong>mer, daß seitdem und nun vor<br />
allem <strong>im</strong> Zusammmenhang mit einem in Düsseldorf laufenden Prozess<br />
über all das Sauerland zur Kennzeichnung der Bande herhalten muß. Deren<br />
Mitglieder wurden sogar schon mal als „die <strong>Sauerländer</strong>" bezeichnet,<br />
auch von „Sauerland-Bombern“ war die Rede. Neueste Erfindung: „Sauerland-Verdächtige".<br />
Journalistische Meisterleistungen! Wir sind doch keine<br />
Terroristen! Natürlich brauchen die Medienleute griffige Formeln. Doch<br />
das ist wohl zuviel der Vereinfachung.<br />
Was lehrt uns das? Auch das Sauerland ist nicht mehr gefeit, in die<br />
großen Weltläufte verwickelt zu werden und dabei „Kolateralschäden" zu<br />
erleiden. Bat weste maken? Me kann siek nit iutsaiken, bat füör ne Lius<br />
o<strong>im</strong>e innet Fell kruipet. Ärgerlich bleibt es doch.<br />
Aussuchen konnte man sich was bei den letzten Wahlen: der Kommunalwahl<br />
am 30. August und der Bundestagswahl am 27. Sep tember. Nämlich,<br />
wem man seine St<strong>im</strong>me geben wollte, welchem Politiker und welcher<br />
Partei. Nur hingehen mußte man und die Chance wahrnehmen. Und was<br />
passierte? Viele, allzuviele gingen gar nicht hin. Aus Verdrossenheit, aus<br />
Gleichgültigkeit? Im HSK gaben bei der Kom munalwahl, wo es doch um<br />
die ganz eigene Sache ging, nur 57,7 % ihre St<strong>im</strong>me ab (in Arnsberg gar<br />
nur 50,6 %). Bei der Bundestagswahl waren es <strong>im</strong>merhin noch 72,7 %<br />
(Bundesdurchschnitt 70,8 %). Und das <strong>im</strong> Sauerland, wo früher hohe<br />
Wahlbeteiligung üblich war! Vielleicht sollten die nun Gewählten einmal<br />
überlegen, welchen Rückhalt sie eigentlich haben. Und mehr noch: ob sie<br />
einfach so weiterregieren und -opponieren können wie bisher. Sie kommen<br />
nicht darum herum, mehr politische Überzeugungsarbeit zu leisten<br />
und mehr für die politische Bildung zu tun.<br />
Denn: Van nicks kümmet nicks – äok nit <strong>im</strong>me Siuerland!<br />
Siegfried Kessemeier<br />
Besuchen<br />
Sie uns <strong>im</strong> Internet:<br />
www.sauerlaender-he<strong>im</strong>atbund.de
SAUERLAND NR. 4/2009 187<br />
Erinnerungskultur – Nostalgie – Identifikationsmittel –<br />
kulturpolitische Pflichtübung? Was geht uns <strong>im</strong> Zeitalter der Globalisierung die Geschichte<br />
einer Region wie des kurkölnischen Herzogtums Westfalen an?<br />
von Prof. Dr. theol. Dr. phil. Harm Klueting*<br />
Meine Damen und Herren!<br />
Warum machen wir das eigentlich?<br />
Warum investiert man viel Geld, und<br />
warum wendet man viel Arbeit auf, um<br />
eine Ausstellung über „Kurfürst, Adel<br />
und Bürger“ zustande zu bringen.<br />
Bürger – das mag noch angehen.<br />
Bürger sind wir ja selbst in unserer Bürgergesellschaft,<br />
die aber längst nicht<br />
mehr die Bürgerliche Gesellschaft ist,<br />
auch wenn wir noch <strong>im</strong>mer Bürger -<br />
rechte haben und Bürgerpflichten wahrnehmen<br />
und das Bürgerliche Gesetz -<br />
buch die Rechtsbeziehungen der Einzel -<br />
nen und ihrer Vereinigungen reguliert.<br />
Aber Adel? Den gibt es doch gar nicht<br />
mehr, seit die We<strong>im</strong>arer Reichsver -<br />
fassung 1919, also vor 90 Jahren, in<br />
ihrem Artikel 109 festsetzte, dass öffentlich-rechtliche<br />
Vorrechte oder Nachteile<br />
der Geburt oder des Standes aufzuheben<br />
seien und Adelsbezeichnungen<br />
wie der „Freiherr zu“ nur als Teil des Namens<br />
gelten und nicht mehr verliehen<br />
werden dürften. Und Kurfürsten gar?<br />
Wer kann mit diesem Titel noch etwas<br />
anfangen? Stammt der nicht aus vordemokratischen<br />
Zeiten, als nicht – wie<br />
heute – die Bundesversammlung oder –<br />
wie in der ersten deutschen Republik –<br />
das ganze Volk das Staatsoberhaupt,<br />
den Bundes- oder Reichspräsidenten,<br />
wählte, sondern in der die Wahl des Kaisers<br />
sieben, später acht und zeitweise<br />
neun Kur fürsten vorbehalten war? Da -<br />
runter drei hohe katholische Geistliche,<br />
die Erzbi schöfe von Mainz, Trier und<br />
Köln? Soll man daran überhaupt noch<br />
erinnern, wo wir doch die Trennung von<br />
Staat und Kirche haben? In Artikel 137<br />
der Wei marer Reichsverfassung, der als<br />
Be stand teil des Grundgesetzes (Art.<br />
140) auch heute geltendes Verfassungsrecht<br />
ist, lesen wir: „Es besteht keine<br />
Staats kirche.“ Und dann die Wahl des<br />
Staats oberhauptes durch drei katholische<br />
Kirchenführer? Ist die Erinnerung<br />
daran für unsere evangelischen, jüdischen,<br />
mus l<strong>im</strong>ischen, konfessionslosen<br />
oder atheistischen Mitbürger überhaupt<br />
zumutbar? Die letzte Kaiserwahl durch<br />
die Kurfürsten fand am 5. Juli 1792 in<br />
Frankfurt am Main statt. Wenige Wo -<br />
chen später, am 10. August 1792 wurde<br />
in Paris die königliche Familie ins Gefängnis<br />
geworfen und am 21. Sep -<br />
tember desselben Jahres die Monarchie<br />
abgeschafft, bevor das Leben König<br />
Leicht gekürzte Fassung des<br />
Vortrags zur<br />
Eröffnung der Ausstellung<br />
„Kurfürst – Adel – Bürger:<br />
Das kurkölnische Herzogtum<br />
Westfalen (1180–1803)“<br />
<strong>im</strong> Sauerland-Theater<br />
Arnsberg<br />
am 25. Oktober 2009<br />
in Arnsberg<br />
Ludwigs XVI. am 21. Januar 1793 auf<br />
dem Schafott auf der heutigen Place de<br />
la Concorde in Paris endete. Am 24. Juni<br />
1793 wurde die Verfassung der ers -<br />
ten französischen Republik erlassen.<br />
Vorangestellt war die Erklärung der<br />
Men schen- und Bürgerrechte, die<br />
„Décla ration des droits de l’homme et<br />
du citoyen“ vom 26. August 1789.<br />
Geht uns das – falls uns Geschichte<br />
überhaupt etwas angeht – nicht viel<br />
mehr an als die „ollen Kurfürsten“, Demokraten<br />
und Republikaner, für die wir<br />
uns halten?<br />
Vor wenigen Tagen, am 29. Sep tem -<br />
ber, wurde in Meschede das Buch „Das<br />
Herzogtum Westfalen“ vorgestellt. Auf<br />
fast 1000 Seiten schreiben 24 Au toren<br />
und Autorinnen über „Das kurkölnische<br />
Herzogtum Westfalen von den Anfängen<br />
der kölnischen Herrschaft <strong>im</strong> südlichen<br />
Westfalen bis zur Säkula risation<br />
1803“. Diese Anfänge, über die wir nur<br />
wenig wissen, verlieren sich <strong>im</strong> 8. und 9.<br />
Jahr hundert. Warum machen diese 24<br />
Leute das? Sicher nicht wegen des Geldes,<br />
das damit zu verdienen war. So gewaltig<br />
war das Honorar nicht. Dabei hat<br />
das Werk, dem in Kürze ein zweiter<br />
Band von ähnlichem Umfang folgen<br />
wird, viel Geld gekostet. Aufgebracht<br />
hat dieses Geld der Steuerzahler, der<br />
Sparer, der Anleger und der Beitragszahler<br />
– übrigens ohne danach gefragt<br />
zu werden. Es stammt aus einer „Zehn-<br />
Cent-pro-Bürger“-Um lage der Städte<br />
und Gemeinden des kurkölnischen Sauerlandes<br />
sowie aus Zu schüssen der<br />
<strong>Sparkassen</strong>, der Nord rhein-Westfalen-<br />
Stiftung, der Kulturstif tung des Landschaftsverbandes<br />
West falen-Lippe, des<br />
Landschaftsver bandes Westfalen-Lippe<br />
selbst, des Westfä li schen He<strong>im</strong>atbundes,<br />
des <strong>Sauerländer</strong> He<strong>im</strong>atbundes und<br />
des Hochsauer landkreises, also von Gemeinden<br />
und Kommunalverbänden, Gemeinnützigen<br />
Anstalten des öffentlichen<br />
Rechts, Stif tungen öffentlichen Rechts<br />
und eingetragenen Vereinen.<br />
Aber warum leisten diese Institutionen<br />
sich das? Und noch dazu für ein solches<br />
Objekt, für das kurkölnische Herzogtum<br />
Westfalen? Also für eine Region,<br />
die niemals <strong>im</strong> Mittelpunkt stand, in<br />
der es keine große Stadt gibt, keinen Sitz<br />
einer Landesregierung, keinen Bischofssitz,<br />
keine Universität, keine Festivals,<br />
keine Messen und auch keine ausländischen<br />
Touristen – sieht man ab von den<br />
Fe riengästen aus den Niederlanden –<br />
und nicht einmal eine Bahnstation, an<br />
der ICE-Züge halten, sondern nur eine<br />
nicht elektrifizierte Bahnstrecke durch<br />
das Ruhrtal und eine zur Regionalstrecke<br />
degradierte Bahnstrecke durch<br />
das Len netal, wobei wir vom Zustand<br />
der meisten Bahnhöfe lieber gar nicht<br />
reden wollen. Also „Provinz pur“!<br />
Bloße He<strong>im</strong>atliebe kann es nicht sein.<br />
Die Autoren des „dicken Buches“ stammen<br />
zum größeren Teil nicht aus dem<br />
kurkölnischen Sauerland. Und auch <strong>im</strong><br />
kurkölnischen Sauerland leben viele<br />
Menschen, die selbst oder deren Eltern<br />
oder Großeltern weit entfernt geboren<br />
wurden: In den östlichen Provinzen des
188 SAUERLAND NR. 4/2009<br />
ehemaligen Deutschen Reiches, in Po -<br />
len, in der ehemaligen Sowjetunion, in<br />
anderen Teilen des heutigen Deut sch -<br />
land, in Italien, Rumänien, der Türkei, in<br />
Indien oder in Afrika. Auch das sind<br />
Steuerzahler, deren Geld also auch in<br />
diesem Buch steckt. Andere stammen<br />
zwar aus dem kurkölnischen Sauerland<br />
und leben hier auch noch, verdienen ihr<br />
Geld aber in Dortmund oder in Düs -<br />
seldorf, in Köln, in Münster oder in Paderborn.<br />
Das sind die Pendler, die es<br />
auch in der Variante des Fernpendlers<br />
gibt, der in der Woche in Frankfurt am<br />
Main, in Berlin oder in München lebt<br />
und arbeitet und sich nur über das Wo -<br />
chenende an seinem Wohnsitz <strong>im</strong> Sau -<br />
erland aufhält. Auch ich bin ein solcher<br />
Fernpendler und fahre jede Woche mit<br />
der Bahn zwischen Köln und Fribourg in<br />
der französischen Schweiz hin und her.<br />
Unsere Lebensumstände haben sich<br />
in den sechzig Jahren, die mein eigenes<br />
Leben inzwischen zählt, stärker als jemals<br />
zuvor verändert. Pendlerexistenzen<br />
dieser Art gab es früher nicht. Unsere<br />
Raumbeziehun gen sind vollkommen anders<br />
als in meinen Kindertagen. Und<br />
auch <strong>im</strong> Sau erland stehen Computer.<br />
Wir alle sind, seit es das Internet gibt,<br />
weltweit vernetzt und erfahren „in Echtzeit“<br />
von dem Erdbeben in Japan, von<br />
der Terro r istentat in Pakistan oder von<br />
dem Amoklauf in einer Highschool in<br />
Ame rika. Was gehen uns die Anfänge<br />
der kölnischen Herrschaft <strong>im</strong> südlichen<br />
West falen <strong>im</strong> 8. und 9. Jahrhundert an?<br />
Was die Grafen von Werl oder die Veme<br />
in Westfalen? Die Soester Fehde? Oder<br />
die mittelalterlichen und frühneuzeitlichen<br />
Städte, von denen die größten kleiner<br />
waren als heutige Dörfer?<br />
Hat ein heutiger Bürgermeister von<br />
Arnsberg oder Olpe nicht ganz andere<br />
Aufgaben und ganz andere Probleme als<br />
ein Bürgermeister von Arnsberg oder<br />
Olpe <strong>im</strong> 15. oder <strong>im</strong> 17. Jahrhundert?<br />
Und haben wir nicht ganz andere Pro b -<br />
leme als jene Menschen, die unter<br />
Strohdächern lebten, ohne Elektrizität,<br />
ohne andere Verkehrsmittel als Pferd<br />
und Wagen und meistens nur die eigenen<br />
Füße?<br />
Wenn heute – <strong>im</strong> September 2008 –<br />
die Investmentbank Lehman Brothers<br />
an der Wall Street in New York in Konkurs<br />
geht, wenn General Motors in De-<br />
Prof. Dr. Dr. Harm Klueting<br />
bei seinem Vortrag<br />
Foto: Hans Wevering<br />
troit in Absatzschwierigkeiten gerät,<br />
wenn an den Börsen von Shanghai, Tokio<br />
oder Singapur die Aktienkurse fallen,<br />
geraten mittelständische Betriebe<br />
<strong>im</strong> kurkölnischen Sauerland in Absatzflauten<br />
oder Kreditklemmen oder in beides<br />
zugleich und geraten Arbeitsplätze<br />
in Gefahr. Wenn es <strong>im</strong> 15. oder <strong>im</strong> 17.<br />
Jahrhundert <strong>im</strong> Sommer zu lange und zu<br />
viel regnete, wenn späte Fröste auftraten,<br />
wenn Schädlinge das Getreide vor<br />
der Ernte auffrassen, dann gab es <strong>im</strong><br />
Jahr darauf eine Hungerkrise, die über<br />
ihre unmittelbaren Auswirkungen hinaus<br />
die Verbrei tung epidemischer<br />
Krankheiten förderte und zum Rückgang<br />
der Gebur tenzahlen führte. Die<br />
heutigen Probleme hängen mit der<br />
weiträumigen, ja weltweiten – globalen –<br />
Vernetzung zusammen; die damaligen<br />
Probleme waren Folge der Kleinräumigkeit.<br />
Die Missernte hier konnte durch<br />
Getreideüberschüsse einige hundert Kilometer<br />
entfernt nicht ausgeglichen werden,<br />
weil die gegenüber heute völlig unterentwickelten<br />
Tran sport mittel und<br />
Transportwege, aber auch Binnenzölle<br />
und behördliche Re strik tionen, dem entgegenstanden.<br />
Es waren keine paradiesischen<br />
Zustände, sondern Zeiten ständig<br />
drohender Krise und Not und insofern<br />
ganz ähnlich wie heute – aber doch<br />
wieder ganz anders. So anders, dass wir<br />
eigentlich doch alle überzeugt sind, dass<br />
mit den damaligen Kri senbewäl tigungs -<br />
strategien heute nichts mehr anzufangen<br />
ist. Noch schl<strong>im</strong> mer: Die damaligen<br />
Lösungen haben die heutigen Probleme<br />
in erheblichem Maße verursacht. Ich<br />
meine die weltweite Kl<strong>im</strong>akrise durch<br />
anthropogene Kl<strong>im</strong>a veränderung –<br />
Kohlendi oxi d-Emission, Temperaturanstieg,<br />
schmelzenden Pol kap pen und Alpengletscher<br />
–, die nur noch von<br />
Zweckopt<strong>im</strong>isten geleugnet wird.<br />
In Deutschland gab es die beiden letzten,<br />
für das Mittelalter und die frühe<br />
Neuzeit typischen großen Hungerkrisen,<br />
die durch Ernteschwankungen ausgelöst<br />
wurden, 1816/17 und 1847, wobei<br />
die Krise von 1816/17 in Westfalen<br />
noch schl<strong>im</strong>mer war als die von 1847.<br />
1846 gab es eine schwere Missernte.<br />
Der Ernteausfall be<strong>im</strong> Brotgetreide betrug<br />
in ganz Deutschland 41 % des normalen<br />
Ernteertrags. Hinzu kam infolge<br />
einer „Kartoffelfäule“ eine wesentliche<br />
Ein schränkung der Kartoffelernte. Die<br />
Brot preise stiegen 1846 um mehr als<br />
100 %, die Kartoffelpreise um 60 %.<br />
1847 setzte sich der Preisanstieg fort,<br />
der be<strong>im</strong> Getreide durchschnittlich 124 %<br />
und bei den Kartoffeln 130 % betrug.<br />
Durch mangelhafte Ernährung wurden<br />
die Menschen in den einkommensschwachen<br />
Schichten und somit in der<br />
Masse der Bevölkerung gesundheitlich<br />
geschwächt. Dadurch kam es <strong>im</strong> Krisenjahr<br />
1847 und <strong>im</strong> Frühjahr 1848 zur<br />
Ver breitung von Durchfall mit Kreis lauf -<br />
kollaps, Ruhr und Flecktyphus. Das waren<br />
„die guten alten Zeiten“. Die „Krisen<br />
vom ‚type ancien‘“, wie Histo riker das<br />
nennen, sind uns seit 1847 erspart geblieben.<br />
Warum? Weil es die Industri -<br />
alisierung gab, die in England <strong>im</strong> späteren<br />
18. Jahrhundert einsetzte und in<br />
Deutschland zwischen 1835 und 1870<br />
begann. Die Industrialisierung löste das<br />
Armuts- und Hungerproblem. Entschei -<br />
dend wurde der Arbeitskräftebedarf der<br />
entstehenden Großindustrie, besonders<br />
der Tiefbauzechen des Ruhrgebietes,<br />
der Hüttenwerke, der Maschinenbaufabri<br />
ken und der Eisenbahn. Zugleich löste<br />
der mit der Industri alisierung verbundene<br />
Eisenbahnbau eine Transportrevolution<br />
aus, während die Industrie Produkte<br />
erzeugte, die das Problem der Nah -<br />
rungs mittelknappheit bei steigender Bevöl<br />
kerung – die be rühmten Malthu sian<br />
scissors – lösten, sei es durch Indus -<br />
triegüter, die sich in getreideproduzierende<br />
Länder absetzen ließen, sei es<br />
durch den von der Che mieindustrie produzierten<br />
künstlichen Dünger. Natürlich
SAUERLAND NR. 4/2009 189<br />
waren die Zu sam menhänge viel komplizierter,<br />
als ich sie hier darstellen kann.<br />
Komplizierter als hier darstellbar waren<br />
auch die Folgen. Deutlich ist aber <strong>im</strong>merhin,<br />
dass die Industrialisierung nicht<br />
nur zuvor unlösbare Probleme löste,<br />
sondern auch neue Probleme schuf. Sie<br />
führte nicht nur in unsere anthropogene<br />
Kl<strong>im</strong>akrise; sie schuf den Zwang zum<br />
Wirtschafts wachstum, zum economic<br />
growth, dessen Problematik uns 1973<br />
mit der sog. ersten Ölkrise und mit den<br />
damals <strong>im</strong>mer deutlicher werdenden<br />
Umwelt proble men bewusst zu werden<br />
begann, was in jener Zeit Diskussionen<br />
über „Null-Wachstum“ und über „Grenzen<br />
des Wachs tums“ brachte. Aber die<br />
Indu strialisierung bewirkte noch mehr:<br />
Sie beseitigte zwar die alten, durch Ernte<br />
schwankungen verursachten Krisen,<br />
ließ an deren Stelle aber die durch Kon -<br />
junktur- und Wachs tumsschwankungen<br />
ausgelösten Wirt schaftskrisen des Indu s -<br />
triezeitalters treten, wie England das<br />
schon 1847/48 mit der Stagnation des<br />
Eisenbahnbaus, die zu Massenent las -<br />
sungen führte, und mit den Auswir -<br />
kungen des Börsen- und Finanzkrachs in<br />
London und New York und wie Deutsch -<br />
land es mit der zwanzig Jahre andauernden<br />
Depression der Jahre 1873 bis<br />
1893 erlebte.<br />
Wir leben heute also in einer ganz anderen<br />
Welt und haben ganz andere Probleme<br />
als die Menschen <strong>im</strong> 15. oder <strong>im</strong><br />
17. Jahrhundert in den Dörfern, Städten<br />
und Freiheiten des kurkölnischen<br />
Herzogtums Westfalen, die nichts<br />
wussten von Konjunktur- und Wachs -<br />
tumskrisen, nichts von Kl<strong>im</strong>akrisen,<br />
aber auch nichts von Hightech-Indus -<br />
trie. Menschen, die auf steinigen<br />
Äckern Gerste und Roggen anbauten,<br />
den Pflug hinter Pferde oder Ochsen<br />
spannten, das Plumpsklo benutzten und<br />
den Inhalt der Jauchengrube als Dünger<br />
verwendeten – was es übrigens hier und<br />
da und auch <strong>im</strong> Sauerland bis in die<br />
sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts<br />
gab.<br />
Also noch einmal die Frage: Warum<br />
geben wir Geld aus für die Beschäftigung<br />
mit der Vergangenheit, die doch<br />
mit unserer Gegenwart nichts mehr zu<br />
tun zu haben scheint, noch dazu mit der<br />
Ver gangenheit einer periphärer Region<br />
wie des kurkölnischen Sauerlandes?<br />
Die Städte und Gemeinden, die mit<br />
der erwähnten „Zehn-Cent-pro-Bürger“-<br />
Um l a ge das neue Buch über die Geschichte<br />
des Herzogtums Westfalen mitfinanziert<br />
haben, sind dazu nicht verpflichtet.<br />
Auch der <strong>Hochsauerlandkreis</strong><br />
ist nicht verpflichtet, das Sauerland-Museum<br />
zu unterhalten und Aus stellungen<br />
wie die zu ermöglichen, die heute eröffnet<br />
wird. Kommunalpolitiker sprechen<br />
von „freiwilligen Aufgaben“ – ein Begriff,<br />
für den es keine Legal definition<br />
gibt. Die Ge meindeordnung von Nordrhein-West<br />
falen kennt nur den Begriff<br />
der „Pflichtaufgaben“. Das sind nach § 3<br />
der Gemeindeordnung Auf gaben, die<br />
den Gemeinden durch Gesetz auferlegt<br />
werden. Freiwillige Aufgaben sind also<br />
solche, die eine Gemeinde übern<strong>im</strong>mt,<br />
ohne durch Gesetz dazu verpflichtet zu<br />
sein. Die Sorge für das Archivgut, also<br />
auch die Sorge für schriftliche Doku -<br />
mente aus längst vergangener Zeit, ist<br />
nach dem Archiv gesetz des Landes eine<br />
Pflichtaufgabe der Gemeinden, der sie<br />
aber nicht nur durch Errichtung und Unterhaltung<br />
eigener Archive nachkommen<br />
können, sondern auch durch Übergabe<br />
des Archiv guts zur Verwahrung an<br />
ein anderes öffentliches Archiv. Aber<br />
kein Gesetz verpflichtet Gemeinden zur<br />
Veranstaltung historischer Ausstellungen<br />
oder zur För derung der historischen<br />
Forschung.<br />
Warum machen Gemeinden und<br />
Kom munalverbände das dann aber<br />
doch? Und warum kommen Privatleute,<br />
die in der Welt der Hightech-Industrie zu<br />
Hause sind und sich täglich ihrer Pro -<br />
dukte bedienen, in eine historische Aus -<br />
stellung. Und warum lesen sie vielleicht<br />
sogar ein historisches Buch? Vielleicht<br />
sogar über die Geschichte einer periphären<br />
Region wie das kurkölnische<br />
Sauerland, in der sie aufgewachsen sind<br />
oder in der sie zufällig leben?<br />
Ist das bei den verantwortlichen Kom -<br />
munalpolitikern eine kulturpolitische<br />
Pflichtübung? Pflicht jetzt nicht <strong>im</strong> juris -<br />
tischen Sinne? Eine Pflichtübung, um<br />
den Eindruck des Banausentums zu vermeiden?<br />
Als Banausen bezeichnen wir<br />
einen Menschen ohne Sinn für Kunst<br />
und Kultur. Noch <strong>im</strong>mer macht es einen<br />
gu ten Eindruck, als kulturell aufgeschlossen<br />
zu gelten. Zum kulturellen Interesse<br />
wird auch der Sinn für Historisches ge-<br />
zählt. Es macht sich gut, in einer Stadt<br />
mit beachtlichen Bauwerken für Denk -<br />
mal pflege einzutreten. Wir wären blind,<br />
wenn wir bei den Entscheidungsträgern<br />
in Gemeinden und Kommunalverbänden<br />
in allen Fällen diese Form von kulturpolitischer<br />
Pflichtübung zur Image-<br />
Wah rung ausschließen wollten. Formen<br />
solcher Image-Wahrung gibt es auch bei<br />
Privatleuten.<br />
Ist es bei den Privatleuten Nostalgie,<br />
die sie mitunter in ein historisches Mu -<br />
seum gehen oder zu einem Buch über<br />
Geschichte, auch über Geschichte ihrer<br />
engeren Umgebung, greifen lässt? Das<br />
Wort Nostalgie kam in den späteren<br />
1970er und den 1980er Jahren zeitweise<br />
in Mode. Wer das Glück hat, ein Gymnasium<br />
besucht und dort auch noch Griechisch<br />
gelernt zu haben, der erinnert sich<br />
vielleicht an die griechischen Wörter<br />
he<strong>im</strong>kehren.<br />
Daher kommt „Nostalgie“. Nostalgie<br />
ist das Verlangen nach He<strong>im</strong>kehr. He<strong>im</strong>kehr<br />
an Orte eigener früherer Lebenszeit,<br />
wo möglich an Orte der Kindheit.<br />
Wir haben <strong>im</strong> Deutschen viele Lieder<br />
und Gedichte, die das ausdrücken. Wilhelm<br />
Müllers „Am Brunnen vor dem Tore<br />
/ da steht ein Lindenbaum“, vertont<br />
von Franz Schubert, ist ein solches Beispiel.<br />
Es endet mit den Worten: „Nun<br />
bin ich manche Stunde / entfernt von jenem<br />
Ort / und <strong>im</strong>mer hör ich’s rauschen:<br />
/ du fändest Ruhe dort.“ Nostalgie<br />
als Verlangen nach He<strong>im</strong>kehr und<br />
nach einem Ruhe punkt kann ihren <strong>im</strong>aginären<br />
Ort auch überindividuell in der<br />
„guten alte Zeit“ haben, als die Welt und<br />
das Leben scheinbar noch „in Ordnung“<br />
und die „Kirche noch <strong>im</strong> Dorf“ war.<br />
Nostalgie wird dann zur Butzenscheibenromantik,<br />
zur Verklärung der Vergangenheit.<br />
No stalgie schließt die Augen<br />
vor den Hun gerkrisen, von denen<br />
ich gesprochen habe. Nostalgie kann<br />
auch infantile Züge annehmen. Man begegnet<br />
ihnen neuerdings an Sommerwochenenden<br />
auf sogenannten Mittelaltermärkten<br />
oder an Orten, an denen<br />
sich erwachsene Män ner zu Ritterspielen<br />
aufmachen, wie das vor 50 Jahren<br />
mit Holz schwer tern bewaffnete Zehnjährige<br />
taten. Wir leben ja in einer teilweise<br />
infantilisierten Gesell schaft.<br />
,
190 SAUERLAND NR. 4/2009<br />
Oder dient Geschichte der Politik als<br />
Identifikationsmittel? So ist es in Monar -<br />
chien, in denen die Beschäftigung von<br />
Schulkindern mit der Geschichte des<br />
Königshauses den monarchischen Ge -<br />
dan ken stärken soll. So ist es in den Vereinigten<br />
Staaten von Amerika am Independence<br />
Day, dem 4. Juli, an dem man<br />
der Verkündung der Unabhän gigkeit der<br />
13 Kolonien an der Ostküste Nordamerikas<br />
von Großbritannien 1776 gedenkt,<br />
so ist es in Frankreich mit der<br />
Fête nationale, dem 14. Juli, an dem sich<br />
Frankreich des Sturmes auf die Bastille<br />
1789 und seiner republikanischen Tradition<br />
erinnert, so ist es in der Schweiz<br />
mit der „Bundesfeier“, dem 1. August,<br />
dem Tag der Erinnerung an den Rütlischwur<br />
von 1291. Geschichte als kommunalpolitisches<br />
Identifikations mittel<br />
erleben wir bei jedem Stadt jubi läum,<br />
dessen Anlass die runde Zahl der Wiederkehr<br />
der urkundlichen Erster -<br />
wähnung des Ortsnamens ist. Die deutschen<br />
Bundesländer hätten gern solche<br />
historischen Identifikationsmittel. Die<br />
meisten haben sie nicht, oder sie reichen<br />
– auch in Bayern – kaum vor das<br />
19. Jahr hundert zurück.<br />
Das ist anders in Österreich, wo die<br />
Erinnerung an die Urkunde Kaiser Ottos<br />
III. von 996, in der in althochdeutscher<br />
Form erstmals der Name „Österreich“<br />
erscheint, und die Erinnerung an die Babenbergerherzöge<br />
und ihr Privilegium<br />
minus von 1156 zur historischen Be -<br />
gründung österreichischer Eigenstaat -<br />
lichkeit gegenüber Deutschland beiträgt.<br />
In Österreich steht Erinnerungskultur<br />
unmittelbar <strong>im</strong> Dienst heutiger Politik.<br />
Deswegen leben Histo riker ganz gut und<br />
deshalb blüht das historische Aus stel -<br />
lungswesen in der Republik Österreich,<br />
die nach der Einwohnerzahl nicht<br />
größer ist als der Landesteil Westfalen in<br />
Nord rhein-West falen. Es gab auch die<br />
politische Erin nerungskultur der ehemaligen<br />
DDR. Hier wurden Martin Luther,<br />
die Refor mation und der Bauernkrieg<br />
von 1525 als „frühbürgerliche Revolution“<br />
bezeichnet, als Etappen der säkularisierten<br />
Heilsgeschichte des Marxismus-Leni<br />
nismus interpretiert und als<br />
„Erbe“ des sog. Arbeiter- und Bauernstaates<br />
in Anspruch genommen. Auch<br />
hier ging es um Traditionsstiftung aus<br />
Geschichte, hier <strong>im</strong> Sinne der sog. „Pro-<br />
gressiven Klassenlinie“ in der deutschen<br />
Ge schichte.<br />
Geschichte kann als Identifikations -<br />
mittel auch für Landesteile deutscher<br />
Bundesländer politisch nützlich sein –<br />
man denke an Franken in Bayern, an<br />
die Pfalz in Rheinland-Pfalz und selbstverständlich<br />
an Westfalen in Nordrhein-<br />
Westfalen, um von Lippe gar nicht erst<br />
zu reden. So kann es auch Erinne rungs -<br />
kultur <strong>im</strong> ehemaligen kurkölnischen<br />
Herzogtums Westfalen geben – oder<br />
besser: <strong>im</strong> kurkölnischen Sauer land,<br />
weil die kur köl nische Identität in den<br />
Hell wegstädten Werl oder Geseke, vom<br />
abtrünnigen Soest zu schweigen, fast<br />
gar nicht vorhanden ist. Es geht dann<br />
um die historische Untermauerung einer<br />
regionalen Identität einer gegenüber<br />
dem märkischen Sauerland kaum in<br />
geographischer, wohl aber in kultureller<br />
und vor allem in konfessioneller Hinsicht<br />
deutlich anders geprägten Region,<br />
die innerhalb Nordrhein-Westfalens<br />
eher periphär ist und sogar innerhalb<br />
des Re gierungs bezirks Arnsberg eher<br />
am Rande denn <strong>im</strong> Mittelpunkt steht.<br />
Zwar liegt der für den Regierungsbezirk<br />
Arns berg namengebende Verwaltungssitz<br />
<strong>im</strong> kurkölnischen Sauerland. Arnsberg<br />
ist die alte Hauptstadt des Herzogtums<br />
Westfalen. Doch ist die Legit<strong>im</strong>ität<br />
dieses Verwal tungssitzes nur historisch<br />
bedingt und nur durch Erinnerungskultur<br />
aufrechtzuerhalten.<br />
Historiker leben von dieser Erinne -<br />
rungskultur, wörtlich und <strong>im</strong> pekuniären<br />
Sinne. Aber sie stehen ihr oft kritisch gegenüber,<br />
weil die Wissenschaftlichkeit<br />
ihres Tuns und die Authentizität ihrer<br />
wissenschaftlichen Fragenstellungen unter<br />
den politischen Ansprüchen der Erin<br />
nerungskultur bisweilen leidet. Außer -<br />
dem ist Geschichte mehr als Erinne -<br />
rungskultur. Aber was ist sie denn?<br />
Die Kirche hat es bei der Antwort auf<br />
diese Frage leichter. Papst Benedikt<br />
XVI. schrieb <strong>im</strong> Frühjahr dieses Jahres,<br />
das zweite Vatikanische Konzil der Jahre<br />
1962 bis 1965 trage – bei allem Neuen,<br />
das es gebracht habe – „die ganze<br />
Lehr geschichte der Kirche in sich“. Und<br />
wenn Christen – katholische wie evangelische<br />
– <strong>im</strong> Apostolischen Glaubens -<br />
bekenntnis ihren Glauben an die „Kirche<br />
als Gemeinschaft der Heiligen“ bekennen,<br />
so meinen sie die Gemeinschaft<br />
aller Christen seit 2000 Jahren, also<br />
auch derer, die lange vor ihrer Zeit gelebt<br />
haben. Deshalb kommt kein Theologie<br />
student ohne Kirchengeschichte<br />
aus. Betriebswirtschaftlehre, Medizin<br />
oder Mathematik kann man studieren,<br />
ohne sich um Vergangenes zu kümmern.<br />
Jurastudenten nahmen die<br />
Rechtsge schichte zumeist nur als störendes<br />
Bei werk hin. Geschichtsstudenten<br />
haben es nur mit Vergangenem zu tun.<br />
Sie werden Spezialisten für das, was<br />
nicht mehr vorhanden ist. Aber Theologen<br />
haben sich – wenn die Theologie<br />
nicht <strong>im</strong> Prä sentistischen verkümmern<br />
soll – neben der Biblischen, der Systematischen<br />
und der Praktischen Theologie<br />
auch mit der Historischen Theologie<br />
zu befassen.<br />
So scheinbar einfach wie in der Kirche<br />
ist das sonst nicht. Und auch in der<br />
Kirche ist es tatsächlich viel komplizierter.<br />
Aber ich will jetzt keine weiteren<br />
Fragen mehr stellen, sondern zwei Ant -<br />
worten zu geben versuchen:<br />
Erste Antwort:<br />
Geschichte ist kollektives Gedächtnis.<br />
Ein Mensch, der kein Gedächtnis hat, ist<br />
psychisch krank und mit erheblichen Intelligenzdefekten<br />
behaftet. Er leidet unter<br />
einer an Idiotie grenzenden Form<br />
von erblichem, pränatal erworbenem,<br />
perinatal verursachtem oder postnatal<br />
entstandenem Schwachsinn. Ein<br />
Mensch, der sein früher aktives Gedächtnis<br />
verloren hat, ist dement. Er leidet<br />
unter einem altersbedingten Verfall<br />
seiner geistigen Fähigkeiten. Wir wissen,<br />
dass es viele solcher Schicksale<br />
gibt.<br />
Wenn ganze Gesellschaften, Völker<br />
oder Nationen kein Gedächtnis haben,<br />
so sind sie wie Alzhe<strong>im</strong>erkranke. Nur ist<br />
das dann kein pathologisch bedingter<br />
Verlust des Gedächtnisses, sondern bewusster<br />
Verzicht auf das Gedächtnis, bewusster<br />
Abschied von der Geschichte –<br />
und insofern auch pathologisch. Es gibt<br />
kein „Volk ohne Geschichte“, auch<br />
wenn der französische Staatspräsident<br />
Nicolas Sarkozy solches bei einem Be -<br />
such <strong>im</strong> Senegal 2007 mit dem Blick auf<br />
afrikanische Völker behauptete – zumindest<br />
wurde er mit seinen Worten<br />
„L’homme africaine n’est pas entré<br />
dans l’histoire“ so verstanden. Selbst aus
SAUERLAND NR. 4/2009 191<br />
pr<strong>im</strong>itiven Kulturen kennen wir Zeugnisse<br />
des Bewusstseins der eigenen Geschich<br />
te – in Gestalt von mündlich überlieferten<br />
Sagen oder Heldenliedern, die<br />
erst später schriftlich aufgezeichnet wurden.<br />
Aus unserem Bereich kann man<br />
das Nibe lungenlied nennen. Nur fragt<br />
sich, welche Kulturen tatsächlich die pr<strong>im</strong>itiven<br />
sind: Jene schriftlosen Völker,<br />
die sich ihrer Geschichte in Sagen oder<br />
Liedern vergewissern – oder wir, wenn<br />
wir unser kollektives Gedächtnis an<br />
Computer-Datenbanken delegieren und<br />
geschichtsvergessen nur in der Gegenwart<br />
leben?<br />
Gedächtnis haben, Geschichte haben,<br />
um Geschichte wissen, und dieses<br />
Wissen pflegen ist mehr und anderes als<br />
Nostalgie. Geschichte darf nicht als Erinnerungskultur<br />
vermarktet und als Identifikationsmittel<br />
missbraucht werden,<br />
obwohl Geschichte Identität stiftet. Gedächtnis<br />
haben ist zutiefst human. Und<br />
dieses Humanum muss auch – und vielleicht<br />
gerade auch – in der Region leben.<br />
Die Frage nach der Geschichte, nach<br />
der Vergangenheit des Ortes, an dem<br />
ich lebe – gleichgültig, ob ich dort geboren<br />
wurde und aufgewachsen bin oder<br />
nicht –, ist human. Es ist Verge -<br />
wisserung des Einzelnen über die historische<br />
Tiefend<strong>im</strong>ension des Ortes, an<br />
den das Leben ihn gestellt hat. Das hat<br />
nichts mit He<strong>im</strong>attümelei zu tun. Dieses<br />
Huma num unterdrücken, es nicht fördern<br />
zu wollen, wäre zutiefst inhuman –<br />
so inhuman wie das Verbot der Religion<br />
<strong>im</strong> Albanien Enver Hodschas. Denn der<br />
Mensch hat Geschichte, und er hat Religion<br />
in den verschiedensten Formen<br />
bis hin zu der Form, die er als Unglauben<br />
bezeichnet. Das unterscheidet ihn<br />
vom Tier. Mein Hund hat keine Religion,<br />
und er hat auch keine Geschichte.<br />
Er will nur sein Futter.<br />
Und dann – das ist die zweite Ant -<br />
wort – ist Geschichte ein Spiegel, der<br />
uns vorgehalten wird. In diesem Spiegel<br />
sehen wir uns als überhebliche Zwerge,<br />
die glauben, mit ihrer Aufklärung, mit<br />
ihrer Technik, mit ihren Hightech-Pro -<br />
dukten – so nützlich sie sind; auch ich sitze<br />
jeden Tag am Computer – die Welt<br />
beherrschen zu können. Dass wir das<br />
nicht können, zeigt sich in Naturkatas -<br />
trophen, nach denen die Boulevard -<br />
blätter die Theodizee-Frage stellen: „Wo<br />
Aus<br />
Ja, auch unsere Redaktionsmitglieder brauchen gelegentlich einen„Motiva -<br />
tions schub" - und den erhalten sie bei unseren alljährlichen Mitgliederversammlungen.<br />
Hier spüren sie, dass unsere He<strong>im</strong>atfreundinnen und He<strong>im</strong>atfreunde<br />
sich mit der Arbeit „unseres“ He<strong>im</strong>atbundes voll identifizieren, so wie<br />
diese Arbeit in den Beiträgen für unsere Zeitschrift ihren Niederschlag findet.<br />
Hans Wevering hat seinem Bericht über den Verlauf der Versammlung<br />
einige Photos beigefügt, auf dem sich viele Teilnehmer, wie wir den Telefonanrufen<br />
entnehmen konnten, zu ihrer Freude wiedergefunden haben.<br />
Was die Bebilderung unserer Zeitschrift angeht, so ist sie nach wie vor das<br />
Lieblingskind, aber manchmal auch das Sorgenkind der Redaktion. Einige Autoren<br />
möchten ihre Beiträge mit einer Vielzahl von Photos angereichert haben.<br />
Da bleibt nur, die Bilder auf Kleinformat schrumpfen zu lassen – was den<br />
Augen des Lesers nicht gut tut – oder aber das eine oder andere Photo wegzulassen<br />
- was den Autor bekümmert.<br />
Mancher wird es nicht glauben, aber zur Zeit ist auch Lyrik sehr gefragt. So<br />
haben die von unserem He<strong>im</strong>atfreund Prof. Dr. Hubertus Halbfas in der letzten<br />
Ausgabe unserer Zeitschrift vorgestellten Arbeiten der Literaturpreisträgerin<br />
Maria Sperling eine erfreuliche Resonanz gefunden.<br />
Man sieht an diesen Beispielen: in der Redaktionsarbeit ist <strong>im</strong>mer Bewegung.<br />
Dr. Adalbert Müllmann<br />
war Gott be<strong>im</strong> Tsunami?“ Nein! Die Frage<br />
ist falsch gestellt und muss richtig lauten:<br />
Wo waren wir mit unseren Fähigkeiten?<br />
Dasselbe zeigte sich auch in den<br />
Schockwellen der weltweiten Finanzund<br />
Wirtschaftskrise, die seit September<br />
2008 um den Globus gingen und von<br />
der manche uns jetzt weismachen wollen,<br />
dass sei bald alles wieder ausgestanden.<br />
Es ist nicht ausgestanden, weil das<br />
Verhalten – the human behavior – in vielen<br />
Vorstandsetagen ebenso wie in<br />
Shopping Malls unverändert ist: Hybris<br />
und Wahnwitz bei den einen – eine wirtschaftsnahe<br />
deutsche Tageszeitung<br />
sprach am 10. September von „Per ver -<br />
sion der Marktwirtschaft“ – und Kon su -<br />
mismus bei den anderen. Die „Boni“<br />
fließen ja schon wieder.<br />
Schaut man genau hin, so sind die<br />
Dinge eben doch nicht so ganz anders,<br />
die die Menschen <strong>im</strong> 15. oder <strong>im</strong> 17.<br />
Jahrhundert beschäftigten und die uns<br />
heute beschäftigen, die Hungerkrisen al-<br />
der Redaktion<br />
ter Art und die Konjunktur-, Wachstumsund<br />
Finanzkrisen von heute. Die Ge -<br />
schichte – gerade auch die Geschichte<br />
einer periphären, einer armen Region<br />
wie des kurkölnischen Sauerlandes,<br />
lehrt uns einige Dinge, die wir vergessen<br />
haben: Maßhalten, Nachhaltigkeit, sustainable<br />
development. Ich habe Papst<br />
Benedikt XVI. zitiert – ich kann auch<br />
Bundes kanzlerin Merkel zitieren. Sie<br />
sprach, als die jetzige Finanz- und Wirtschaftskrise<br />
Deutschland traf, von den<br />
Tugenden der schwäbischen Hausfrau.<br />
Dieselben Tu gen den fanden sich auch<br />
bei den Hausfrauen in den Dörfern,<br />
Städten und Freiheiten des kurkölnischen<br />
Herzog tums Westfalen. Schauen<br />
wir in die Geschichte. Mein Hund schaut<br />
nur aufs Fressen. Ich sorge für sein Futter.<br />
Aber wir sind keine Hunde. Herzlichen<br />
Dank!<br />
* Professor der Neueren Geschichte und der Katho -<br />
l i schen Theologie <strong>im</strong> Fach Mittlere und Neuere<br />
Kir chengeschichte an den Universitäten Köln und<br />
Fribourg (Schweiz)
192 SAUERLAND NR. 4/2009<br />
Und die Geschichte bewegt uns doch –<br />
Eröffnungsfeierlichkeiten zur Sonderausstellung<br />
„Kurfürst, Adel, Bürger” anlässlich der Sonderausstellung des Sauerland-Museums am 25. Oktober 2009<br />
von Kathrin Ueberholz<br />
Die eintrudelnden Anmeldungskarten<br />
zur Ausstellungseröffnung kündigten das<br />
rege Interesse an der Sonderausstellung<br />
des Sauerland-Museums bereits an und<br />
so war es nicht verwunderlich, dass mit<br />
rund 400 Gästen das Sauerland-Theater<br />
gut gefüllt war. Auf Grund der beengten<br />
räumlichen Verhältnisse wich man für<br />
die Festreden und Grußworte ins Sauer -<br />
land-Theater aus.<br />
Geschichtsinteressierte von Nah und<br />
Fern, ob wissensdurstige Laienforscher,<br />
die Autoren des zweibändigen Buchpro -<br />
jektes „Das kurkölnische Herzogtum<br />
Westfalen“, He<strong>im</strong>atpfleger und He<strong>im</strong>at -<br />
freunde, sie alle waren zusammengekommen,<br />
um den zahlreichen Begrü -<br />
ßungsworten der Schirmherren und der<br />
„ideellen Geburtshelfer“ sowie dem Festvortrag<br />
von Prof. Dr. Dr. Harm Klueting<br />
zu lauschen.<br />
Musikalisch eingebettet wurden die<br />
Redebeiträge durch das Kammer -<br />
orchester Olsberg der Musikschule<br />
Hoch sauerlandkreis unter der Leitung<br />
von Georg Scheuerlein. Die ausgewählten<br />
Musik- und Tanzmusikstücke des<br />
18., 20. und 21. Jahrhunderts bildeten<br />
eine musische Parallele zum Aus -<br />
stellungsthema „Kurfürst, Adel, Bürger“<br />
und ließen sowohl einen Ausblick in die<br />
höfische und bürgerliche als auch in die<br />
populäre filmische Klangwelt zu.<br />
Der Landrat des Hochsauerland -<br />
kreises, Dr. Karl Schneider, eröffnete<br />
den Rednerreigen, indem er auf die noch<br />
heute zu findenden kurkölnischen Spuren<br />
und Traditionen <strong>im</strong> ehemals kurkölnischen<br />
Herzogtum Westfalen verwies.<br />
Mit einem Dank an die zahlreichen Leihgeber,<br />
an die Sponsoren und die helfenden<br />
Hände endeten seine Grußworte.<br />
Als nächstes sprach Karl Peter Brendel,<br />
Staatssekretär <strong>im</strong> Innenmi ni s terium<br />
des Landes Nordrhein-West falen, seine<br />
Grußworte. In Vertretung des Ministerpräsidenten<br />
Dr. Jürgen Rütt gers dankte<br />
er dem <strong>Sauerländer</strong> Hei matbund, sowohl<br />
diese Sonderaus stel lung <strong>im</strong> Sauerland-Museum<br />
als auch das zweibändige<br />
Buchprojekt unter der Leitung des Westfalen-Kenners<br />
Prof. Dr. Dr. Harm Klueting<br />
initiiert und gefördert zu haben. Er<br />
bezeichnete beide Projekte als wichtigen<br />
Beitrag für das he<strong>im</strong>atbezogene Geschichtsbewusstsein<br />
und Selbstver -<br />
ständnis. Abschließend übermittelte er<br />
den Wunsch des Innen ministeriums, dass<br />
sowohl die rheinische als auch die westfälische<br />
Geschichtsschreibung in einer<br />
nordrheinwestfälischen Geschichts -<br />
schreibung aufgehen mögen.<br />
Der Direktor des Landschafts ver -<br />
bandes Westfalen-Lippe, Dr. Wolfgang<br />
Kirsch, griff diesen Punkt auf und betonte,<br />
dass die Geschichte des Herzogtums<br />
Westfalen aufs engste mit der Geschichte<br />
des übrigen Westfalen verbunden und<br />
deshalb ebenfalls für Nicht-<strong>Sauerländer</strong><br />
interessant sei. Der Landschaftsverband<br />
Westfalen-Lippe verstehe sich, so<br />
Kirsch, als westfälische Klammer, der<br />
über seine Satzungen hinaus Projekte<br />
wie diese unterstütze, sei es pekuniärer<br />
Art oder wie bei dieser Ausstellung durch<br />
das Ausleihen von Exponaten aus dem<br />
LWL-Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte<br />
in Münster.<br />
Der Vorsitzende des <strong>Sauerländer</strong> He<strong>im</strong>atbundes,<br />
Dieter Wurm, hob hervor,<br />
dass mit der zweibändigen Pub likation<br />
des Herausgebers Prof. Dr. Dr. Klueting<br />
ein lang ersehnter Wunsch endlich in Erfüllung<br />
ginge, die historische Landschaft<br />
des Herzogtums Westfalen in einem wissenschaftlichen<br />
Handbuch aufzuarbeiten.<br />
Der seit September käuflich zu<br />
erwerbende erste Band diente mit kleinen<br />
Einschränkungen als Grundlage sowohl<br />
für die Konzeption der Son derausstellung<br />
in Arnsberg und als auch für<br />
den reich bebilderten Ausstel lungs -<br />
katalog des Sauerland-Museums. Ab -<br />
schließend äußerte Dieter Wurm den<br />
Wunsch, dass durch den Besuch der Ausstellung<br />
die regionale Identität des kurkölnischen<br />
Sauerlandes vermittelt werde.<br />
Mit der Fragestellung „Was geht uns<br />
<strong>im</strong> Zeitalter der Globalisierung die Geschichte<br />
einer Region wie die des kölnischen<br />
Herzogtums Westfalen an?“<br />
schloss sich der Festvortrag von Prof. Dr.<br />
theol. Dr. phil. Harm Klueting an.<br />
Mit Hilfe der Skizzierung eines Art<br />
„geschichtlichen Zeitraffers“ verdeutlichte<br />
Harm Klueting die veränderte politische,<br />
soziale, ökologische und ökonomische<br />
Situation des ehemals kurkölnischen<br />
Herzogtums Westfalen. Kritisch<br />
fragte er das Auditorium, ob die wissenschaftliche<br />
Aufarbeitung dieser komplett<br />
andersartigen vergangenen Epoche nur<br />
aus einer bloßen He<strong>im</strong>atliebe resultiere.<br />
Warum Gelder aus den verschiedensten<br />
Quellen für ein solches Forschungs -<br />
projekt und eine Ausstellung ausgegeben<br />
werden, obwohl dieser Landstrich heutzutage<br />
nurmehr als idyllische Provinz<br />
wahrgenommen werde, die seine einstige<br />
politisch-historische Bedeutung verloren<br />
habe? Provokant hinterfragte er die<br />
Unterstützung der lokalen Geschichts -<br />
forschung als mögliche Angst vor einem<br />
Banausentum. Oder wird hier Ge schich -<br />
te missbraucht, um ein positives Image<br />
sowohl für Konzerne, lokale Firmen, politische<br />
Verbände oder Privatpersonen zu<br />
gewinnen?<br />
Harm Klueting fragte weiter, ob die<br />
Motivation aus einer Art Nostalgie heraus<br />
Die musikalische Umrahmung besorgte das<br />
Kammerorchester Olsberg der Musikschule des <strong>Hochsauerlandkreis</strong>es<br />
unter Leitung von Georg Scheuerlein
SAUERLAND NR. 4/2009 193<br />
resultiere, die, wie bei mittelalterlichen<br />
Ritterspielen auf vermeintlich his -<br />
torischen Märkten, ins Infantile abzurutschen<br />
drohe. Wird Geschichte zur<br />
bloßen „Erinnerungspolitik oder Erinne -<br />
rungs kultur“ verunstaltet, die sich politisch<br />
ausschlachten lässt, so eine weitere<br />
rhetorische Frage von ihm.<br />
Seine durchaus provokanten An -<br />
fragen endeten jedoch in der Bestär -<br />
kung, Geschichte sei wichtig für das Jetzt<br />
und Hier. Die Geschichte, so Klueting,<br />
lebe <strong>im</strong> kollektiven Gedächtnis weiter<br />
und bilde das kulturelle Gedächtnis, ohne<br />
dass die Menschheit krank oder gar<br />
zum Schwachsinn neigen würde. Das<br />
nur in der Gegenwart geführte Leben<br />
wäre eind<strong>im</strong>ensional und zum Scheitern<br />
verurteilt. Das Humane bedeute, Geschichte<br />
zu haben. Die Frage nach der<br />
Historie sei eine humane Verge -<br />
Eine gut besuchte Eröffnungsveranstaltung <strong>im</strong> Sauerlandttheater<br />
Grußworte sprachen Landrat Dr. Karl Schneider,<br />
Karl Peter Brendel, Staatssekretär <strong>im</strong> Innnenministerium des Landes NRW,<br />
Dr. Wolfgang Kirsch, Direktor des Landschaftsverbandes Westfalen Lippe und<br />
Dieter Wurm, Vorsitzender des <strong>Sauerländer</strong> He<strong>im</strong>atbundes<br />
wisserung des Einzel nen an dem Ort, an<br />
dem er lebe. Gerade das Menschliche<br />
zeichne sich dadurch aus, dass man eine<br />
Historie habe und eine wie auch <strong>im</strong>mer<br />
geartete Religion lebe.<br />
Mit Hilfe der Geschichtsschreibung<br />
wird dem Mensch gleichfalls ein Spiegel<br />
vorgehalten, so Klueting, der uns zeige,<br />
welch überhebliche Zwerge wir sind,<br />
trotz unseres Fortschritts und unserer<br />
Technik.<br />
Nach Abschluss dieser feierlichen<br />
Grußworte und der Festrede folgte der<br />
Rundgang durch die Räumlichkeiten des<br />
Sauerland-Museums. Die dort präsentierten<br />
wertvollen geschichtlichen und<br />
kunstgeschichtlichen Exponate legen<br />
wahrlich ein beeindruckendes Zeugnis<br />
dieses historischen Raums und seiner<br />
Geschichte ab.<br />
Fotos: Hans Wevering<br />
Mitarbeiter dieser Ausgabe:<br />
Peter Bürger, Eslohe<br />
Prof. Dr. Hubertus Halbfas, Drolshagen<br />
Friedhelm Sommer, Rüthen<br />
Gerhard Brocke, Dreislar<br />
Dr. Theo Böneman, Menden<br />
Prof. Dr. Dr. Harm Klueting, Köln und<br />
Friebourg (Schweiz)<br />
Dr. Adalbert Müllmann, Brilon<br />
Kathrin Ueberholz, Arnsberg<br />
Anton Lübke, Allendorf<br />
P. Michael Overmann, SDS<br />
Dr. Dr. Wolfgang Bürsgens, Arnsberg<br />
Prof. Dr. W. Reininghaus, Düsseldorf<br />
Thomas Weber und Franz Rosenkranz,<br />
Winterberg<br />
Wolfgang Frank, Arnsberg<br />
Martin Vorberg, Kirchhundem<br />
Norbert Föckeler, Brilon<br />
Dr. Erika Richter, Meschede
194 SAUERLAND NR. 4/2009<br />
Seltener Stationsweg „7-Schmerzen-Mariens" in Allendorf restauriert<br />
Es dürfte <strong>im</strong> kurkölnischen Sauerland<br />
wohl einmalig sein, dass in einer Ge -<br />
meinde zwei unterschiedliche Stations -<br />
wege angelegt sind. In Allendorf gibt es<br />
neben 14 neugotischen Stationen des<br />
Kreuzweges seit 1896 auch den seltenen<br />
Stationsweg von den „7-Schmerzen<br />
Mariens“.<br />
Die sieben Stationen wurden jetzt<br />
vom örtlichen Malermeister Friedhelm<br />
Freiburg aufwendig und „für Gottes<br />
Lohn“ kunstvoll restauriert. Bildlich dargestellt<br />
an den Stationen sind<br />
• Die Darstellung Jesu <strong>im</strong> Tempel mit<br />
der Weissagung des S<strong>im</strong>eon.<br />
• Die Flucht nach Ägypten.<br />
• Verlust des zwölfjährigen Jesu <strong>im</strong><br />
Tempel.<br />
• Begegnung zwischen Jesus und<br />
seiner Mutter am Kreuzweg.<br />
• Kreuzigung Jesu.<br />
• Kreuzabnahme und Übergabe des<br />
Leichnam am Maria (Pieta).<br />
• Grablegung Jesu.<br />
Den Abschluss des an der Pletten -<br />
berger Straße beginnenden Stationswe -<br />
ges bildet heute die Kapelle „Zum neuen<br />
Brünneken“, am Waldrand mit der<br />
Darstellung Marias als Identifikations -<br />
figur für alle Trauernden und Leidenden.<br />
Neben der Kapelle wurde 2006 – ebenfalls<br />
vom Malermeister Freiburg – ein<br />
neues Kreuz mit Corpus aufgestellt.<br />
Der Stationweg mit einer Länge von<br />
ca. 1,5 Kilometern verläuft auf geteertem<br />
Weg stetig leicht bergan und ist für<br />
Jedermann gut zu gehen. Er ist Be -<br />
standteil des „Olper Pilgerweges“ nach<br />
Werl sowie des „Allendorfer Geschichts -<br />
wanderweges“, der sich seit 2002 als<br />
Themenwanderweg mit 18 Kilometern<br />
Länge und mit 16 Stationen zu Allen -<br />
dorfs Geschichte bei vielen Wanderern<br />
von Anton Lübke<br />
großer Beliebtheit erfreut. Auch die<br />
Wanderer des neuen Premium wan -<br />
derweges „Sauerland Höhenflug“ passieren<br />
ein Stück des Stationsweges.<br />
Die Katholische Frauengemeinschaft<br />
betet diesen Stationsweg jährlich am<br />
15. September, dem Gedenktag an die<br />
Schmerzen Mariens. Ebenfalls wird jährlich<br />
am Sonntag nach Mariä H<strong>im</strong> -<br />
melfahrt an der Kapelle ein gemeinsamer<br />
Gottesdienst der Kirchengemeinden<br />
Allendorf und Hagen mit der Weihe<br />
der Krautpacken gefeiert.<br />
Trotz intensiver Recherchen ist mir<br />
bisher ein weiterer Stationsweg<br />
„7-Schmerzen-Mariens“ <strong>im</strong> Sauerland<br />
nur auf dem Weg zur Wallfahrtskirche<br />
„Kohl hagen“ (Lennestadt) bekannt. Es<br />
wäre schön, wenn die Leser von SAUER-<br />
LAND mich über eventuelle weitere<br />
Stationswege informieren würden.<br />
Meine Mailanschrift: anton-luebke@spk-mk.de
SAUERLAND NR. 4/2009 195<br />
Du armer Stall, wie bist du reich,<br />
nicht Königshallen sind dir gleich.<br />
Du birgst in deinem Strohgevelt<br />
den Herrn der H<strong>im</strong>mel und der Welt.<br />
Ihr Pforten von vermorschtem Holz<br />
geht über Marmor blank und stolz,<br />
da ihr in eurer Mitte hegt,<br />
den, der des H<strong>im</strong>mels Säulen trägt.<br />
Kein Fürstentor von Gold und Stahl<br />
gleicht dir, du Türlein schlicht und schmal:<br />
Der Stall von Bethlehem<br />
Du führest ja zu ihm hinein,<br />
durch den wir gehn zum H<strong>im</strong>mel ein.<br />
Kein Fürst, kein König Salomon<br />
hat also hocherhobenen Thron,<br />
wie du armselig Kripplein bist:<br />
Du trägst den Herrscher Jesu Christ.<br />
Ein Tempel ward der Stall fürwahr,<br />
das Kripplein ist der Hochaltar,<br />
Priester sind die Engel da<br />
und singen laut das Gloria.<br />
Foto: Georg Henneke<br />
(Friedrich-Wilhelm Gr<strong>im</strong>me 1827–1887). Schriftsteller aus Assinghausen, Aus „Die Sunderner He<strong>im</strong>at-Krippe“.
196 SAUERLAND NR. 4/2009<br />
„... und dass du so bist, wie du bist – ist, was uns fröhlich macht.“<br />
Pater Manfred Ruhrmann zum 100. Geburtstag<br />
GEDANKEN GOTTES<br />
SIND DIE MENSCHEN<br />
Gedanken Gottes sind die Menschen,<br />
und wie Dich einst der Herr gedacht,<br />
hat er mit Mutterglück begnadet,<br />
die dich ins Leben hat gebracht.<br />
Es war vor vielen, vielen Jahren,<br />
da kamst Du her in diese Welt,<br />
so klein und bis doch so gewachsen<br />
wie’s Hälmlein wächst <strong>im</strong> Ährenfeld<br />
Der Beginn eines Gedichtes, das<br />
Freunde P. Manfred Ruhrmann SDS<br />
1986 anlässlich eines Jubiläums widmeten,<br />
bezieht sich wiederum auf den Beginn<br />
seines Lebens. Als zweites von<br />
10 Kindern einer Arbeiterfamilie wurde<br />
er am 6. Februar 1910 in Stockum<br />
(Stadt Sundern) geboren und gleich am<br />
folgenden Tag auf den Namen Johannes<br />
in der Kirche St. Pankratius getauft.<br />
Der Anlass dieses Beitrags liegt also auf<br />
der Hand: Johannes Ruhrmann wäre<br />
am 6. Februar des kommenden Jahres<br />
100 Jahre alt geworden, und dieser Ge -<br />
burtstag des späteren Ordensmannes<br />
fällt damit in die Feier „700 Jahre Sundern<br />
– Freiheit und Kirche“. Der Beitrag<br />
selber ist aber ein Gedenken, denn der<br />
Ordensmann P. Manfred Ruhr mann<br />
verstarb in seiner He<strong>im</strong>atstadt am<br />
22. Oktober 1995 an den Folgen eines<br />
Sturzes. Dieses Gedenken aber dürfte<br />
durchaus von Interesse sein, ist doch<br />
P. Ruhrmann mit seinen Gedichten über<br />
die Grenzen seiner He<strong>im</strong>at hinaus bekannt<br />
und geschätzt worden.<br />
Johannes Ruhrmann wurde am<br />
1. April 1916 mit gerade 6 Jahren in die<br />
Sunderner Volksschule eingeschult und<br />
empfing 1920 die erste Hl. Kom -<br />
munion. Mit fünf Klassenkameraden<br />
wechselte er nach sechs Volksschul -<br />
klassen an das ‚Deutsche Auslands -<br />
gymnasium‘ in Lochau am Bodensee.<br />
1923 wurde er dort gefirmt; 1930 erhielt<br />
er dort sein Reifezeugnis. Am<br />
6. Juni 1930 formulierte er sein Aufnahme<br />
gesuch an die Ordens ge mein -<br />
schaft der Salvatorianer. – Diese dürfte<br />
in Sundern wohl bis heute nicht un -<br />
bekannt sein, gingen doch insgesamt<br />
38 Salvatori anerinnen und 13 Salvatorianer<br />
aus Sundern hervor; Johannes<br />
Ruhrmann war also einer von ihnen. –<br />
Er wurde aufgenommen, begann als<br />
Frater Manfred am 11. September<br />
1930 in Heinzendorf (Oberschlesien)<br />
sein Noviziat und nahm nach der ersten<br />
Ablegung seiner Ordens gelübde daselbst<br />
das Philosophiestudium auf. An<br />
der Hochschule in Passau setzte er dann<br />
das Theologiestudium fort. Nach der<br />
ewigen Profess und dem Studien -<br />
abschluss empfing er zunächst die Diakonatsweihe<br />
und am 29. Juni 1936 in<br />
Passau die Priester weihe.<br />
Dir wurde lieb die Stätte seines Hauses,<br />
der Ort, da seine Ehre wohnt,<br />
und dientest ihm beglückten Herzens,<br />
der unsre Liebe unsäglich lohnt.<br />
Und aus dem Kinde ward ein Priester,<br />
ein Bote Gottes, dem aus Gnad<br />
von Gott gegeben Kraft und Wirken<br />
auf seines Lebens buntem Pfad.<br />
Er gab Dir Glauben, Hoffnung, Liebe,<br />
von denen der Apostel sagt,<br />
dass Tod und Teufel kann bezwingen,<br />
wer es mit diesen dreien wagt.<br />
Nach der Ausbildung und Priester -<br />
weihe wurde er zunächst als Lehrer für<br />
Deutsch, Geschichte und Kunstge -<br />
schichte am Gymnasium der Salvato -<br />
rianer in Steinfeld eingesetzt. P. Manfred<br />
entdeckte aber mehr und mehr seine<br />
Liebe zum geschriebenen und gespielten<br />
Wort; so entstanden erste Gedichte<br />
und Gedichtswerke und so leitete<br />
er mit großem Engagement das Schüler-<br />
Theater in Steinfeld. Die Nationalsozialisten<br />
schlossen 1940/41 das Gymnasium,<br />
verfügten am 4. Juni 1941 gegen<br />
P. Ruhr mann ein Schreibverbot und zogen<br />
ihn zur Wehrmacht ein. Er erlitt den<br />
Krieg als Sanitäter unter den Soldaten<br />
und kam schließlich in amerikanische<br />
Kriegs gefangenschaft, von der wir wissen,<br />
dass er als ‚Lagergeistlicher’ für Gefangene<br />
und Soldaten die Hl. Messe feierte.<br />
Nach seiner Befreiung brachte er<br />
Anfang 1947 den ‚Deutschen Totentanz‘<br />
auf die Bühne, gerade <strong>im</strong> Blick auf den<br />
Krieg – als Mahnung und Warnung.<br />
Das weitere Leben von P. Manfred<br />
Ruhrmann hatte vier Wirkstätten, in denen<br />
er <strong>im</strong>mer, wenn auch in unterschiedlicher<br />
Intensität die Schriftstellerei<br />
mit der Seelsorge verband.<br />
• Von 1946–53 war er Aushilfs -<br />
seelsorger und Leiter des Schüler -<br />
theaters in Steinfeld, publizierte erste<br />
von P. Michael Overmann SDS<br />
Gedichte und Gedichtbände und organisierte<br />
mehrere Lieder- und Rezitations -<br />
abende.<br />
• Von 1954–65 war er Gemeinde -<br />
seelsorger der Pfarrgemeinde St. Antonius<br />
in Hagen-Kabel, schrieb und veröffentlichte<br />
aber weiterhin.<br />
• Von 1966–90 war er krankheitsbedingt<br />
Mitarbeiter in der Saarburger Wallfahrtsseelsorge,<br />
wurde aber des Denkens<br />
und Dichtens nicht müde. Nachdem<br />
sein Augenlicht durch eine Operation<br />
stark beeinträchtigt worden war,<br />
nannte er den Beichtstuhl und den<br />
Schreibtisch ‚seine Domäne‘. Hervor -<br />
heben möchte ich, dass P. Manfred<br />
1982/83 einen italienischen Litera -<br />
turpreis erhielt und in der Laudatio als<br />
‚stiller, unbequemer Mahner und gütiger<br />
Verfechter des Guten‘ beschrieben<br />
wwurde.<br />
• Aufgrund der Aufhebung der Or -<br />
dens niederlassung in Saarburg 1990<br />
und nach Absprache mit seinem Provinzial<br />
verbrachte P. Ruhrmann seinen<br />
Lebensabend in dem Altenhe<strong>im</strong> St.<br />
Franziskus <strong>im</strong> he<strong>im</strong>atlichen Sundern, in<br />
welchem er den Altersgenossen je nach<br />
seinen Möglichkeiten betreute und mit<br />
ihnen die Hl. Messe feierte und in welchem<br />
er 1995 starb.<br />
Eine Dokumentation seines Lebens -<br />
werkes wurde 2007 fertig und <strong>im</strong> Dezember<br />
des Jahres in der Stadt bücherei<br />
Sundern vorgestellt. Es konnten weit<br />
über 400 Gedichte entdeckt und festgehalten<br />
werden; damit ist die Sammlung<br />
sicher nicht vollständig, aber dennoch<br />
wichtig. Bei der Buchprä sentation <strong>im</strong><br />
Dezember 2007 in Sun dern erinnerte<br />
sich Friedel Kaiser an das Jahr 1942:<br />
P. Ruhrmann hielt „in der St.-Johannes-<br />
Kirche eine Predigt, in der er formulierte:<br />
‚Es sind aus den Amts stuben und<br />
Schulen die Kreuze entfernt worden und<br />
in Russland feiern wir Kreuzerhöhung.‘<br />
Damals war die Be troffenheit groß,<br />
denn viele dachten: ‚Wenn das der<br />
Falsche gehört hat, landete der Pater <strong>im</strong><br />
KZ.‘ Glücklicherweise geschah das jedoch<br />
nicht.“ Wir dürfen daraus folgern:<br />
P. Manfred rief in seinen Gedichten zur<br />
Konzentration auf das Wesentliche auf,<br />
was für ihn ohne jede Frage Gott war;<br />
darin war er konsequent, vielleicht sogar<br />
mutig, jedenfalls verlässlich.
SAUERLAND NR. 4/2009 197<br />
Das Wunder ohnegleichen<br />
Ob wir es je verstehen,<br />
was damals ist geschehen,<br />
als Gott den Gottessohn<br />
in Armut, wie zum Hohn,<br />
auf dieser Seiner Erden<br />
ein Menschenkind ließ werden?<br />
Es gibt kein Maß zu messen,<br />
kein Wissen, zu vergessen<br />
die Kindgeburt des Herrn,<br />
auch wenn kein Wunderstern<br />
vom Wunder ohnegleichen<br />
mehr zeugt als Gottes Zeichen.<br />
Wir sollten nichts als staunen<br />
und mit den Hirten raunen:<br />
O Kindlein, bist du arm;<br />
doch lass Dich von uns warm<br />
in unsern Atem hüllen<br />
gleich Ochs und Eselfüllen!<br />
Dann ziemt uns nur noch schweigen<br />
und unser Haupt zu neigen,<br />
Dir, Mutter – Magd Marie,<br />
und Deinem Kind die Knie,<br />
weil nie wir ganz verstehen<br />
das Wunder, uns geschehen.<br />
Gedicht von Pater Ruhrmann<br />
Anlässlich des großen Jubiläums der<br />
Stadt Sundern sollten wir besonders auch<br />
jener Gedenken, die unseren christlichen<br />
Glaubens- und Lebensweg begleitet und<br />
geprägt haben, damit auch wir wiederum<br />
eine solche Chance unseren Kindern und<br />
Jugendlichen geben können. Nur wenn<br />
Generationen weitergeben, was sie selbst<br />
erfahren haben, können wir Geschichte<br />
schreiben und Jubiläen feiern. P. Manfred<br />
Ruhrmann hat seinen Beitrag geleis -<br />
tet, auf lyrische Weise.<br />
Entsprechend passt auch das oben<br />
begonnene Gedicht mit seinem Schluss:<br />
Sie (die Freunde)<br />
danken Dir herzinniglich,<br />
dass er (Gott) Dich einst erdacht,<br />
und dass Du so bist, wie du bist –<br />
ist, was uns fröhlich macht.<br />
Friedensgruß<br />
und<br />
Schweinegrippe<br />
Der plattdeutsche Gottesdienst bildet alljährlich den eindrucksvollen Abschluss<br />
unserer Mitgliederversammlung. In diesem Jahr wurde der Gottesdienst<br />
von un serem He<strong>im</strong>atfreund Konrad Schmidt – genauer: Msgr. Prof.<br />
Dr. Konrad Schmidt – gehalten, bekanntlich seit vielen Jahren Rektor der<br />
Landvolkshoch schule in Hardehausen.<br />
Am Schluss der Feier ist es üblich, dass der Priester in Verbindung mit<br />
dem Friedensgebet die Gläubigen auffordert, einander „ein Zeichen des<br />
Friedens und der Versöhnung“ zu geben. Das bedeutet, dass man sich dem<br />
Banknachbarn zu wendet und ihm die Hand reicht.<br />
Wegen der zur Zeit grassierenden sog. Schweinegrippe vermeiden<br />
manche Zeit genossen körperliche Berührungen, um sich nicht anzustecken.<br />
Das war für un seren Monsignore Anlass, in schönstem <strong>Sauerländer</strong><br />
Platt – mit einem Augen zwinkern – den Gläubigen anhe<strong>im</strong> zu geben,<br />
auf den Händedruck zu verzichten und sich mit einem kleinen Lächeln gegenüber<br />
den Banknachbarn zu begnügen.<br />
Da ging ein fröhliches Geraune durch den weiten Raum, wie es die ehrwürdige<br />
Kirche St. Nikolaus in Olsberg wohl noch nicht erlebt hatte. Auf<br />
Hochdeutsch hätte man das wohl nicht so schön sagen können. Übrigens:<br />
die meisten Gläubi gen sah man dann doch die Hand des Nachbarn schütteln<br />
und ihn dabei beson ders freundlich anlächeln. Dr. A.M.
198 SAUERLAND NR. 4/2009<br />
Laudatio Herbert Somplatzki<br />
Am 27. Juni 2009 verlieh die Chris -<br />
tine-Koch-Gesellschaft auf dem<br />
Möhnesee den „Edel-Rabe-Literaturpreis“<br />
an unseren kulturpolitisch<br />
sehr aktiven He<strong>im</strong>at freund Herbert<br />
Somplatzki und Maria Sperling.<br />
Über die Ver leihung des Preises an<br />
Maria Sperling haben wir in der<br />
letzten Ausgabe berichtet.<br />
Nachstehend ein Auszug aus der<br />
Laudatio von Dr. Dr. Wolfgang<br />
Bürsgens zu dem Werk von Herbert<br />
Somplatzki:<br />
LIEBER, VEREHRTER<br />
HERBERT SOMPLATZKI!<br />
Gestatten Sie Ihrem Laudator ein Be -<br />
kenntnis vorweg: Ihm ging das Herz auf, als<br />
er in Ihrem halbbiographischen Roman<br />
„Muskelschrott“ (1974) ganz unverhofft auf<br />
ein Wort stieß, das er ungefähr 30 Jahre<br />
nicht mehr gehört und gelesen hatte – ein<br />
Wort, so vertraut wie schreckensvoll: das<br />
Wort „Köpper“! – „Köpper“ ist zwar auch<br />
<strong>im</strong> hiesigen Westfalen bekannt, aber zu -<br />
hause ist es für Sie ebenso wie für mich eigentlich<br />
<strong>im</strong> Ruhrgebiet (wo ich geboren<br />
bin).<br />
„Köpper“ war nicht irgendein Wort, o<br />
nein, „Köpper“ war eine ritualartige, heilige<br />
Handlung. „Köpper“ – das war der tollkühne<br />
Kopfsprung aus 3, besser: aus<br />
5 oder gar 10 Metern Höhe vom Sprungbrett<br />
des Freibades oder – wie in „Muskelschrott“<br />
– von der hochaufragenden Kanalbrücke.<br />
Seine erfolgreiche Absolvierung<br />
trug einem die grenzenlose Bewunderung<br />
der Zuschauer ein. Praktiziert wurde der<br />
„Ritual-Köpper“ vornehmlich in den Sommermonaten,<br />
in den brüllend heißen<br />
„Hundstagen“, wenn sich über dem „Revier“<br />
(wie das Ruhrgebiet ja eigentlich heißt)<br />
die berüchtigte Glocke aus Hitze und Dunst<br />
wölbte.<br />
Da saß ich nun, vertieft in die Lektüre<br />
von „Muskelschrott“, und sah mich versetzt<br />
unter all die jugendlichen Rauhbeine, die<br />
den Roman bevölkern, sozusagen auf<br />
Tuchfühlung mit dem Gerd, dem Josef,<br />
dem „Bulle“ und dem Horst, dem so übel<br />
mitgespielt wird auf diesen Seiten. Sie alle<br />
kamen mir irgendwie vertraut vor. „Tausch’<br />
nur die Namen aus“, durfte ich mir sagen,<br />
„und sie kommen alle wieder – die einstigen<br />
Gefährten“. Kurzum, die „Köpper“-Einlage<br />
war für mich, den „Muskelschrott“-Leser,<br />
eine Art „Initialzündung“ und hatte mich<br />
neugierig gemacht auf Ihr Werk und Ihr Leben.<br />
Ärgerlich war seinerzeit nur die dürftige,<br />
eigentlich völlig unzureichende Fünf-<br />
Zeilen Auskunft zu Ihrer Person auf dem<br />
Vorsatzblatt.<br />
Inzwischen bin ich aber etwas schlauer<br />
geworden, allerdings um den Preis, dass<br />
mir Hören und Sehen vergangen ist. angesichts<br />
des Facettenreichtums Ihres literarischen<br />
Schaffens, zu schweigen von der<br />
Vielzahl Ihrer Auszeichnungen und kulturpolitischen<br />
Aktivitäten.<br />
Zunächst einige Fakten<br />
zu Ihrer „Vita“<br />
Geboren sind Sie 1934 in Groß Piwnitz<br />
[dem heutigen Piwnice], Landkreis Ortelsburg<br />
in Ostpreußen, genauer gesagt in<br />
Masuren.<br />
Masuren ist das Land der (wie’s <strong>im</strong> „Ostpreußenlied“<br />
ja heißt) „dunklen Wälder und<br />
kristallnen Seen“. In Ihren Kindheits- und<br />
Jugendtagen war es aber auch das Land einer<br />
kargen, bäuerlichen Kultur. Masuren<br />
war zudem das Land mit einer wechselvollen,<br />
für Deutsche und Polen gleichermaßen<br />
bitteren Geschichte. All dies hat Sie geprägt<br />
– nicht bloß <strong>im</strong> trivialen Sinne (weil ja<br />
alle Herkunft irgendwie „prägend“ ist!),<br />
sondern dahingehend, dass Sie Ihre Herkunft<br />
als Vermächtnis erfahren haben.<br />
Mir scheint, dass Sie aus diesem Grund<br />
der Schilderung Ihrer Geburt einen gewissen<br />
Symbolwert zuerkannten. Ich darf aus<br />
der „Masurischen Gnadenhochzeit“ (2003;<br />
117) zitieren:<br />
Es war zehn Tage vor dem Weihnachtsfest<br />
des Jahres 1934, als man<br />
plötzlich Großvater Martin [mütterlicherseits]<br />
<strong>im</strong> Krankenwagen [...]<br />
nach Groß Piwnitz<br />
brachte. Er hatte<br />
unterwegs einen<br />
Schlaganfall erlitten,<br />
der ihn teilweise<br />
lähmte. Meine<br />
Mutter, hochschwanger,<br />
war einemNervenzusammenbruch<br />
sehr<br />
nahe. Sie weinte<br />
ohne Unterlass.<br />
Am drittenTag<br />
hielt ich diesen<br />
Stress-Orkan nicht<br />
mehr aus und kam<br />
schreiend zur<br />
Welt. [...] Zwischen<br />
drei und vier Uhr<br />
von Dr. Dr. Wolfgang Bürsgens<br />
am Morgen des 19. Dezember 1934<br />
erblickte ich zum ersten Mal das gedämpfte<br />
Winterlicht einer masurischen<br />
Nacht; ich war geboren und<br />
schrie ohne Unterlass, bei Tag und bei<br />
Nacht – es gab keine Möglichkeit,<br />
mich zu beruhigen. Selbst als mir Mutter<br />
in ihrer Hilflosigkeit meine Fußsohlen<br />
an die wunderbare Wärme des<br />
Kachelofens legte, weil sie glaubte,<br />
meine Füßchen seien zu kalt, schrie<br />
ich weiter. Mich hatte die große Angst<br />
meiner Mutter um ihren Vater vorzeitig<br />
auf diese Welt gebracht. Und ich<br />
wusste von keiner anderen Möglichkeit,<br />
die so erfahrene Angst zu kanalisieren,<br />
als sie in diese für mich neue<br />
und fremde Welt hinauszuschreien.<br />
Ist es abwegig zu vermuten, dass dieses<br />
Ereignis, noch bevor die Mutter davon erzählen<br />
konnte, sich Ihnen bereits tief eingeprägt<br />
hatte? Ist es abwegig zu vermuten,<br />
dass Sie etwas auf die Welt mitbrachten,<br />
das Sie besonders empfänglich machte für<br />
die Lebensnot der anderen?<br />
Sie entstammen einem Menschenschlag,<br />
der nichts weniger als homogen ist.<br />
„Europäisches Wurzelgeflecht“ haben Sie<br />
das genannt. Und in der Tat, ein Schmelztiegel<br />
war dieses Masuren, in das dank der<br />
liberalen preußischen Migrationspolitik<br />
Deutsche, Polen, französische Hugenotten,<br />
Salzburger Exulanten, Holländer und<br />
Menschen jüdischen Glaubens eine neue<br />
He<strong>im</strong>at fanden. Das he<strong>im</strong>atliche Idiom, das<br />
Masurische, war ein – wie Sie es charakterisieren<br />
– „archaisches Polnisch mit deutschen<br />
Einschüben“. Und über den Masuren<br />
selber sagt Siegfried Lenz (selber gebürtiger<br />
Masure!), dass er über eine Intelligenz verfüge,<br />
„die auf erhabene Weise unbegreiflich“<br />
sei; und nicht minder ungewöhnlich<br />
seien die Charaktereigenschaften des Ma-
SAUERLAND NR. 4/2009 199<br />
suren: „blitzhafte Schläue, schwerfällige<br />
Tücke, tapsige Zärtlichkeit und rührende<br />
Geduld“.<br />
Unter dem Druck der materiellen Not<br />
(das bäuerliche Dasein war hart, entbehrungsreich<br />
und lohnte kaum die Mühen),<br />
aber auch angelockt vom (vermeintlich)<br />
„Goldenen Westen“ mit seinen „schwarzen<br />
Diamanten“ (der Kohle) zogen schon Ihre<br />
Großväter und Anverwandten ins prosperierende<br />
Ruhrgebiet: nach Wanne-Eickel,<br />
nach Castrop-Rauxel, vor allem aber nach<br />
Gelsenkirchen, dem „Masuren-Zentrum“,<br />
wie es seinerzeit hieß.<br />
Ihre persönliche Geschichte wie auch<br />
die Ihrer Vorfahren war freilich gekennzeichnet<br />
durch tiefgreifende Verwerfungen.<br />
Es gab – bedingt durch das, was wir „Weltgeschichte“<br />
nennen – den ideologisch verordneten<br />
Hass, die künstlich gesäte Zwietracht,<br />
den abstrusen Rassenwahn und<br />
das große Völkermorden, das auch über<br />
Masuren hinwegzog.<br />
Es gab letztendlich – als bittere Frucht<br />
von alledem – den Verlust von He<strong>im</strong>at,<br />
Haus und Hof <strong>im</strong> Schreckenswinter 1945,<br />
auf der großen Flucht, „der dritten“, wie<br />
Sie akribisch vermerken (zwe<strong>im</strong>al zu Beginn<br />
des 1. WK und das dritte Mal in den<br />
Januartagen des Jahres 1945).<br />
Sie haben unter dem Eindruck des Grauens,<br />
das sie als 11-jähriger erlebten, den<br />
Frauen (den Müttern zumal und nicht zuletzt<br />
der eigenen Mutter) ein ergreifendes<br />
Denkmal gesetzt:<br />
Das waren die Stunden der Frauen,<br />
der Mütter in eisiger Nacht.<br />
Sie haben die Kinder durchs Grauen<br />
der Flucht und des Krieges gebracht.<br />
Schlafe mein Kind,<br />
ich halte dich warm,<br />
träume vom Sommerwind.<br />
Schlafe mein Kind,<br />
ich halt' dich <strong>im</strong> Arm,<br />
träume mein Kind,<br />
ich halte dich warm,<br />
bis wir <strong>im</strong> Frieden sind.<br />
Im Jahre 1946 „landeten“ – vielleicht<br />
besser: strandeten Sie <strong>im</strong> Ruhrgebiet, genauer<br />
gesagt: in Hüls (dem späteren Marl-<br />
Hüls). Mit 14 Jahren, also 1949, wurden<br />
Sie Berglehrling auf der dortigen Zeche<br />
„Auguste Victoria“. Sie arbeiteten dort unter<br />
Tage bis 1960. Ihr Gedicht „Schwarze<br />
Diamanten“ darf als eindringliches Zeugnis<br />
dieser Zeit gelten; mit ihm haben Sie zugleich<br />
der Knochenarbeit, der „Maloche“,<br />
aller masurischen Bergleuten <strong>im</strong> Ruhrgebiet<br />
die St<strong>im</strong>me des Dichters geliehen:<br />
Schwarze Diamanten<br />
lockten sie ins Land;<br />
wo die großen Feuer brannten,<br />
und <strong>im</strong> Schacht die sonnenfernen,<br />
staubbedeckten, unbekannten<br />
Männer, die sich Kumpel nannten,<br />
kämpften mit der Kohlenwand.<br />
Sie sind von Osten gekommen,<br />
dort wo die Sonne aufgeht.<br />
Sie haben Arbeit gesucht und<br />
bekommen,<br />
die ihnen das Licht ihrer Tage<br />
genommen,<br />
<strong>im</strong> Dunkel der Erde, <strong>im</strong> Streb.<br />
Sie sind nach Westen gegangen,<br />
dort wo der Abend verglüht.<br />
Doch sie blieben <strong>im</strong> Herzen vom<br />
Osten gefangen,<br />
wenn sie den Traum von der He<strong>im</strong>at<br />
einst sangen,<br />
dann war ihre Sehnsucht <strong>im</strong> Lied.<br />
Schwarze Diamanten<br />
lockten sie ins Land;<br />
wo die großen Feuer brannten,<br />
und <strong>im</strong> Schacht die sonnenfernen<br />
staubbedeckten, unbekannten<br />
Männer, die sich Kumpel nannten,<br />
kämpften mit der Kohlenwand.<br />
Masuren und Ruhrgebiet – zwei komplementäre<br />
Schlüsselbegriffe! Doch wenn<br />
ich’s recht verstanden habe, ist „Masuren“<br />
das Grundmotiv Ihrer „Lebensmelodie“!<br />
Und es scheint, als schlösse sich <strong>im</strong><br />
Alter der Kreis. Die Bibliographie Ihrer<br />
Werke legt diesen Schluss nahe: So haben<br />
Sie nach der „Gnadenhochzeit“ vor<br />
zwei Jahren, 2007, „Masuren – des<br />
Ruhrgebiets vergessener Osten“ veröffentlicht,<br />
und noch unlängst, 2008, erschien<br />
„Märchenland Masuren“ (Untertitel:<br />
,Märchen und Sagen aus dem Land<br />
der dunklen Wälder und kristallnen<br />
Seen’). Dazwischen, 1989 (Zweitauflage<br />
1990), liegt noch die Veröffentlichung<br />
des bilingualen, auf deutsch und<br />
polnisch erschienenen Romans „Morgenlicht<br />
und wilde Schwäne – ein Sommer<br />
in Masuren“.<br />
Wenn Sie das Bild gestatten: Um den<br />
Kern „Masuren“ legen sich wie konzentrische<br />
Kreise die Begriffe Ost-West,<br />
Polen-Deutschland. Was also mit der<br />
Schilderung der engeren masurischen<br />
He<strong>im</strong>at beginnt; was sich mit der der<br />
zweiten He<strong>im</strong>at, des Ruhrgebietes, fortsetzt,<br />
weitet sich aus zur Begegnung<br />
zweier Kulturnationen, Deutschland und<br />
Polen, und gipfelt in Versöhnung der<br />
einstigen Gegner.<br />
Ihnen, verehrter Herr Somplatzki, fällt<br />
das Verdienst zu, all dies in Werk und Tat<br />
geleistet zu haben. Sie haben hierfür etliche<br />
Opfer gebracht, ideelle wie materielle.<br />
Mit innerer Folgerichtigkeit sind Sie<br />
schließlich zum Grenzgänger und „Botschafter“<br />
zweier Welten geworden. Unter<br />
Ihren Händen wuchs das interkulturelle<br />
Gespräch zwischen Deutschen und<br />
Polen – die berühmten „Spotkania“-<br />
„Begegnungen“ – zu Ihrem Lebenswerk<br />
heran. Die Stationen Ihres Lebens und<br />
Schaffens (die wir hier der Zeitnot wegen<br />
leider nicht herzählen können) geben<br />
ein eindrucksvolles Zeugnis davon.<br />
Bekanntlich will die Tragödie auch ihre<br />
Komödie! – Die Begegnung der beiden<br />
so geschichtsbeladenen Welten in Ihrem<br />
Werk entbehrt nicht des warmherzig-humorvollen<br />
Lokalkolorits. Da gäbe es als<br />
Beispiel der „Schalker Kreisel“:<br />
Der Schalker Kreisel<br />
Masurische Hauptstadt<br />
<strong>im</strong> Kohlenrevier,<br />
das war Gelsenkirchen<br />
und Schalke-Null-Vier.<br />
Auf Zeche Bismark<br />
und Consolidation,<br />
verdienten Masuren<br />
sich kargen Lohn.<br />
Aber Kohle war nicht alles,<br />
wie man ja weiß:<br />
Nach der Arbeitswoche in Staub<br />
und in Schweiß,<br />
da zog sich mancher Kumpel<br />
die gute Jacke an<br />
und ging sonntags auf Schalke -<br />
inne Glückauf-Kampfbahn:<br />
Es geht der Sch<strong>im</strong>anski,<br />
Burkatzki, Somplatzki,<br />
Dombrowski, Milewski,<br />
Schikowski, Nowacki,<br />
Berzinski, Grabowski,<br />
Koslowski, Tilkowski,<br />
Abramczik und Braese gehen mit –<br />
und fünf Kostgänger der Witwe<br />
Schmitt!<br />
Denn <strong>im</strong> Stadion dreht sich der<br />
Schalker Kreisel,<br />
blau-weiß das Trikot<br />
und den Ball dicht am Fuß.
200 SAUERLAND NR. 4/2009<br />
Dann kommt schon die Flanke,<br />
ein Kopfstoß, ein Schuss.<br />
Der Torwart, der hechtet,<br />
er kriegt nicht die Nuss.<br />
Schon donnert ein Schrei<br />
durch das Stadionrund:<br />
„Tor!“ und „Tor!“ aus jubelndem<br />
Grund.<br />
Der Schalker Kreisel rückt wieder<br />
vor – mit Adolf Urban,<br />
und Klodt steht <strong>im</strong> Tor,<br />
mit Ernst Kalwitzki,<br />
Kuzorra und Tibulski.<br />
Fritz Szepan flankt zurück,<br />
---- und alles schreit vor Glück!<br />
Es schreit der Sch<strong>im</strong>anski,<br />
Burkatzki, Somplatzki,<br />
Dombrowski, Milewski,<br />
Schikowski, Nowacki,<br />
Berzinski, Grabowski,<br />
Koslowski, Tilkowski,<br />
Abramczik und Braese<br />
schreien mit –<br />
und fünf Kostgänger der Witwe<br />
Schmitt!<br />
Das Letzte, das mir zu sagen bleibt, betrifft<br />
nicht die <strong>im</strong>posante Fülle Ihrer<br />
Werke und Aktivitäten – dies wäre Gegenstand<br />
einer zweiten Laudatio –, dies<br />
Letzte greift das eben noch verwendete<br />
Wort „Vermächtnis“ auf. Denn als solches<br />
möchte ich das bezeichnen, womit<br />
Sie die „Masurische Gnadenhochzeit“<br />
beschließen: mit dem Hymnus auf die<br />
„schöne blaue Kugel“ – womit natürlich<br />
unser Planet gemeint ist. – Ich zitiere die<br />
erste und letzte Strophe:<br />
schöne blaue kugel<br />
rolle uns weiter<br />
um die glut der wärmenden sonne<br />
halte uns weiter umfangen<br />
mit deiner schützenden hülle<br />
aus atem und licht<br />
schöne blaue kugel<br />
schöne blaue kugel<br />
du gibst uns den raum<br />
SEIT 1928<br />
Lange Wende 94 – Mendener Straße 8<br />
Tel. 0 29 32/2 43 64 – Tel. 0 29 32/71 04<br />
59755 Arnsberg-Nehe<strong>im</strong><br />
zum weinen und denken<br />
zum hassen und streicheln<br />
und zum überleben<br />
auf jener traumschneise<br />
zwischen vaterland und mutter erde<br />
schöne blaue kugel.<br />
VIELEN DANK UND<br />
HERZLICHEN GLÜCKWUNSCH!<br />
Hat nicht schon das Wenige, das hier<br />
ausgebreitet wurde, eindeutig und rückhaltlos<br />
für Sie und die Zuerkennung des<br />
Edelraben-Preises gesprochen?<br />
Wer fände nicht, dass Ihr Werk die<br />
unterschiedlichsten Genres in sich vereint!<br />
Das virtuelle Lexikon des „Westfälischen<br />
Literaturbüros, Unna“ führt in lakonischer<br />
Kürze nur auf: „Prosa/Essay,<br />
Kinder- und Jugendbuch, Funk, Bühne,<br />
Sachbuch“. In Ihren „Bio-bibliographischen<br />
Informationen“ letzter Hand sind<br />
nicht weniger als 43 Titel aufgelistet<br />
(Übersetzungen ins Polnische und sogar<br />
Spanische einbezogen), die von Reise -<br />
erzählungen, Satiren, Biografien über<br />
Kinderbücher und Liedtexte bis hin zu<br />
Lyrik und Theaterstücken reichen.<br />
Nach der Arbeit <strong>im</strong> Untertagebau waren<br />
Sie Ausnahmestudent an der Deutschen<br />
Sporthochschule Köln. Nach dem<br />
Examen zum Diplomsportlehrer folgte<br />
ein Studium an der Akademie Remscheid<br />
für musische Bildung und Medienerziehung<br />
mit Schwerpunkt Theater<br />
und Literatur. Sodann absolvierten Sie<br />
an der Universität Essen das Studium<br />
der Medienpädagogik, Germa nistik,<br />
Kunst und Erziehungswissen schaften.<br />
Es folgte das Examen als Diplom-<br />
Pädagoge.<br />
Sie waren sieben Jahre stellvertretender<br />
Landesvorsitzender des Verbandes<br />
deutscher Schriftsteller (VS) in Nord -<br />
rhein-Westfalen und Initiator des Lite -<br />
raturpreises Ruhrgebiet. Sie waren maßgeblich<br />
beteiligt an der Gründung und<br />
dem Aufbau des Literatur-Büros Ruhr -<br />
gebiet und sind Gründungsmitglied des<br />
Literatur-Rates Nordrhein-West falen.<br />
Sie waren an der Gestaltung der Europäischen<br />
Literatur-Tage 1986, Spot -<br />
kania-Begegnungen, deutsch-polnische<br />
Kulturbegegnungen 1996, Poe tischer<br />
Frühling <strong>im</strong> Sauerland 2000 beteiligt.<br />
Mitglied <strong>im</strong> Verband deutscher<br />
Schriftsteller (VS) in der IG Medien, dem<br />
Literaturrat Nordrhein-Westfalen, Grün -<br />
dungsmitglied des Literaturbüros NRW<br />
Ruhrgebiet in Gladbeck e.V., Grün -<br />
dungsmitglied des Künstlerdorfes<br />
Schöppingen, des Förderkreises Gesell -<br />
schaft für Literatur in NRW, der Christine-Koch-Gesellschaft<br />
zur Förde rung der<br />
Literatur <strong>im</strong> Sauerland, des Friedrich-<br />
Bödecker-Preises NRW und Niedersachsen,<br />
der Landesarbeitsge mein -<br />
schaft Jugend und Literatur in NRW und<br />
der Europäischen Auto renvereinigung<br />
„Die Kogge“. Zudem sind Sie Mitglied<br />
des Internationalen P.E.N.-Clubs.<br />
Auszeichnungen:<br />
2001 Reisestipendium des Auswärtigen<br />
Amtes der Bundesrepublik Deutschland<br />
nach Polen<br />
1999 Förderung des zweisprachigen Buches<br />
„Die Frau mit dem Bernsteinhaar –<br />
Kobieta o bursztynowych wlosach“<br />
durch die Stiftung für deutschpolnische<br />
Zusammenarbeit<br />
1997 Förderung des zweisprachigen<br />
Romans „Morgenlicht und wilde<br />
Schwäne – Brzask i dzikie labedzie“<br />
durch die Alfried Krupp von Bohlen<br />
und Halbach-Stiftung<br />
1995 Förderung der CD „WortMusik“<br />
durch die Stiftung Kunst und Kultur<br />
des Landes Nordrhein-Westfalen<br />
1990 Stipendium des Kultusministers von<br />
NRW für einen Aufenthalt <strong>im</strong> Künstlerdorf<br />
Schöppingen<br />
1988 Arbeitsstipendium für Literatur des<br />
Kultusministeriums von NRW<br />
1988 Auslandsreisestipendium des<br />
Auswärtigen Amtes der Bundesrepu<br />
blik Deutschland nach Polen<br />
1982 Arbeitsstipendium des deutschen<br />
Literaturfonds<br />
1980 Arbeitsstipendium für Literatur des<br />
Kultusministeriums von NRW<br />
1980 Auslandsreisestipendium des<br />
Auswärtigen Amtes der Bundes -<br />
republik Deutschland nach Kanada<br />
1977 Arbeitsstipendium für Literatur des<br />
Kultusministeriums von NRW<br />
1976 1. Preis <strong>im</strong> Autorenwettbewerb des<br />
Verbandes deutscher Freilichtbühnen<br />
(Theaterstück „Auf einem anderen<br />
Stern“)<br />
1973 Arbeitsstipendium für Literatur des<br />
Kultusministeriums von NRW
SAUERLAND NR. 4/2009 201<br />
1972 Hörspielpreis der ARD für<br />
Minutenhörspiele (für das Hörspiel<br />
„Lernprozesse“)<br />
1968 Silbermedaille der Internationalen<br />
Sportfilmtage Duisburg ’68 (für den<br />
Film: sechs tage – vier f – und eine<br />
halbe stadt)<br />
Jetzt, da sie es hoch zu Jahren gebracht<br />
haben, scheint es, schließt sich<br />
der Kreis. Die „Bio-bibliografischen Informationen“<br />
– wie Sie Ihr Werkver -<br />
zeichnis nennen – legen diesen Schluss<br />
nahe: So haben Sie außer der 2003<br />
publizierten „Gnadenhochzeit“ vor zwei<br />
Jahren: „Masuren – des Ruhrgebiets<br />
vergessener Osten“ veröffentlicht, und<br />
noch unlängst, 2008, „Märchenland<br />
Masuren“ (Untertitel: Märchen und Sagen<br />
aus dem Land der dunklen Wälder<br />
und kristallnen Seen). Da zwischen,<br />
1989 (Zweitauflage 1990), liegt noch<br />
die Veröffentlichung des bilingualen, auf<br />
deutsch und polnisch erschienenen Romans<br />
„Morgenlicht und wilde Schwäne<br />
– ein Sommer in Masuren“.<br />
• Herbert Somplatzki stellte in einer<br />
Sendung des Westdeutschen Rundfunks<br />
(WDR) den in Masuren geborenen<br />
Schriftsteller Ernst Wiechert vor. Unser<br />
Freund hat eine neue Ausstellung über<br />
„Ost-West-Begegnungen in Krieg und<br />
Frieden“ zusammengestellt, die wieder<br />
bilingual ist, damit sie Deutsche und Polen<br />
verstehen können. Denn diese Ausstellung<br />
soll nicht nur <strong>im</strong> Ruhrgebiet,<br />
sondern auch in vielen Teilen Polens gezeigt<br />
werden. Außerdem hat er zum Kulturprogramm<br />
der „Kulturhauptstadt Europas<br />
2010“ Essen eine Konzeption<br />
„Masuren – des Ruhrgebiets vergessener<br />
Osten“ erarbeitet. Seine Ausstellung<br />
„Ernst Wiechert: Masuren - Wälder und<br />
Menschen“ hat in Polen ein gutes Echo<br />
gefunden. So konnte unser Freund vor<br />
Germanistikstudenten der Universitäten<br />
Danzig und Stettin über Ernst Wiechert<br />
lesen und aus seinen eigenen Werken<br />
vortragen. In Danzig hatte er anlässlich<br />
der Geburtstagsfeier für Günter Grass<br />
eine Begegnung mit dem Literatur -<br />
nobelpreisträger. Schriftsteller aus dem<br />
Sauerland waren unter der Leitung von<br />
Herbert Somplatzki in Ermland-Masu -<br />
ren, um sich mit polnischen Schrift -<br />
stellerkollegen zu treffen. Gazeta Ols -<br />
ztyns ka berichtete ausführlich über dieses<br />
Treffen unter der Überschrift:<br />
„Schriftsteller verstehen sich besser als<br />
Politiker.“<br />
6. Werkstattgespräch<br />
„Bergbau <strong>im</strong> Sauerland“<br />
Am Tag der Deutschen Einheit trafen<br />
sich in der Dorfhalle von Winterberg-Silbach<br />
120 Teilnehmer zum 6. Werk -<br />
stattgespräch über „Bergbau <strong>im</strong> Sauer -<br />
land“. Bürgermeister Werner Eickler<br />
zeigte sich bei seiner Begrüßung hoch<br />
erfreut über die große Resonanz der<br />
Ver an staltung. Er würdigte Silbach als<br />
einen Ortsteil, an dem die Bergbau-Tradition<br />
ein besonderes Gemeinschaftsgefühl<br />
gestiftet hat. 2009 stand ganz <strong>im</strong><br />
Zeichen der Feiern zum Jubiläum der<br />
Berg freiheit. Prof. Dr. Wilfried Reininghaus<br />
(Senden) ging in seiner Einführung<br />
für den Arbeitskreis „Bergbau <strong>im</strong> Sauer -<br />
land“, der gemeinsam von der Histo -<br />
rischen Kommission für Westfalen und<br />
vom Westfälischen He<strong>im</strong>atbund getragen<br />
wird, auf das Netzwerk der Montan -<br />
regionen in Deutschland ein. Da es ein<br />
Grafensohn aus Mansfeld, heute Sach -<br />
sen-Anhalt, auf dem Kölner Bischofs -<br />
stuhl war, der 1559 Silbach zur Berg -<br />
freiheit machte, sei der Zusammenhang<br />
zwischen den großen Bergrevieren in<br />
Deutschland besonders sinnfällig. Nach<br />
dem Fall der Mauer können sich Ar -<br />
beitsbeziehungen zwischen den Berg -<br />
bau forschern in allen deutschen Revieren<br />
entfalten. Große Anerkennung fand<br />
die perfekte Organisation durch den<br />
He<strong>im</strong>atverein Silbach und seinen Vorsit -<br />
zenden Jochen Z<strong>im</strong>mermann.<br />
Prof. Dr. Eckhard Westermann<br />
(Ran trum), der wie kaum ein anderer die<br />
Forschungen zum vorindustriellen Berg -<br />
bau in Mitteleuropa gefördert hat, stellte<br />
in seinem Vortrag den Zusammenhang<br />
zwischen den Montankonjunkturen<br />
und der Verleihung der Bergfreiheit<br />
an Sil bach her. In Silbach investierten<br />
Kauf leute aus Köln, Aachen, Antwerpen<br />
und Hamburg in den Bleibergbau.<br />
Sie waren Teil eines Netzwerks, das sich<br />
über die großen Messen in Frankfurt,<br />
Leipzig und Naumburg erstreckte. Die<br />
Grafschaft Mansfeld am Ostrand des<br />
Harz kam wegen der dortigen Kupferschieferflöze<br />
und des Saigerhandels ins<br />
Spiel. Preis schwankungen für Silber und<br />
Kupfer und ein Anstieg des Preises für<br />
Blei zu Beginn der 150er Jahre wegen<br />
rückläufiger Zufuhr aus England ließen<br />
die Gra fen von Mansfeld selbst die Beschaffung<br />
von Blei für den Saigerprozeß,<br />
d. h. für die Silbergewinnung, die<br />
Beschaffung in die Hand nehmen. Damit<br />
kamen die Eifel und das Sauerland in<br />
den Blick. Die Wahl von Johann Gebhard<br />
von Mansfeld zum Kölner Erzbischof<br />
führte zu einem direkten Eingriff<br />
in die kurkölnische Berg verwaltung -<br />
und zur Verleihung der Bergfreiheit in<br />
Silbach, einem der Standorte der Bleibergwerke<br />
<strong>im</strong> kölnischen Westfalen. Jan<br />
Ludwig (Deutsches Bergbaumuseum<br />
Bochum), der soeben eine Dissertation<br />
über das benachbarte Ramsbeck abschloss,<br />
zeigte den territorialpolitischen<br />
Hintergrund des Jahres 1559 auf. Lange<br />
stritten sich der Kölner Erzbischof als<br />
Landesherr des Herzogtums Westfalen<br />
und die Grafen von Waldeck um die<br />
Herrschaft <strong>im</strong> Assinghauser Grund. Die<br />
Verleihung der Bergfreiheit und die Bergordnung<br />
<strong>im</strong> Jahr 1559 stabilisierten<br />
die kölnische Herrschaft <strong>im</strong> Hochsauerland.<br />
Ludwig erläuterte die Rechte der<br />
Silbacher: die Zufuhr von Holz, die Möglichkeit,<br />
Hütten anzulegen, die Zehntfreiheit<br />
und die Selbstverwaltung. Freilich<br />
war der Boom in Silbach nicht von<br />
langer Dauer. Be reits um 1600 war nur<br />
noch die Grube „Zwölf Apostel" in Betrieb,<br />
hier wurden noch mehrere Anläufe<br />
zur Förderung von Blei und Eisenerz<br />
unternommen, doch sicherte vor allem<br />
der Schiefer bergbau bis 1940 die Kontinuität<br />
bergmännischer Arbeit in Silbach.<br />
1923 setzte der Abbau von Grünstein<br />
(Diabas) ein, der seit 1941 bis heute<br />
von der Basalt-AG fortgesetzt wird.<br />
Die intensive Diskussion kreiste vor<br />
allem um die Verhüttung des Blei, die<br />
vor Ort in Silbach stattfand und dann als<br />
Barren zu den Saigerhütten transportiert<br />
wurde. Betont wurde, dass für den<br />
Saigerhandel nur ganz best<strong>im</strong>mte Blei -<br />
arten in Frage kamen, u. a. die westfä -<br />
lischen aus Bönkhausen (Sundern), Sil -<br />
bach und Bleiwäsche (Wünnenberg).<br />
Selbst in Tirol sei 1545 schon westfälisches<br />
Blei verwendet worden, wie Prof.<br />
Westermann feststellte.<br />
Zum Werkstattgespräch war in der<br />
Dorfhalle eine umfangreiche Dokumen -<br />
tation zum Bergbau in und bei Silbach zu<br />
sehen. Der He<strong>im</strong>atverein Silbach bot<br />
abschließend gut besuchte Exkursionen<br />
in die Schiefergrube sowie auf den Silber<br />
berg zur Grube „Zwölf Apostel" an.<br />
Prof. Dr. W. Reininghaus
202 SAUERLAND NR. 4/2009<br />
Sehnsucht nach dem Sauerland<br />
Neues He<strong>im</strong>atgefühl für Bürger und Besucher<br />
Das Sauerland ist eine von vielen<br />
„Gegenden“. Abwechslungsreiche To -<br />
po graphie und Waldreichtum finden<br />
sich auch in anderen Mittelgebirgen. Die<br />
<strong>Sauerländer</strong> Landschaft ist zwar wunderschön<br />
und bietet Augen und Gemüt<br />
eine grüne Erholung – doch sie ist an<br />
sich nicht einzigartig.<br />
Industrie, Handel, Handwerk, Dienst -<br />
leistung und Tourismus haben jedoch inzwischen<br />
eine aus vielen Blickwinkeln<br />
betrachtet innovative Region geschaffen,<br />
und zwar auf natürlicher und bodenständiger<br />
Basis. Mit Firmen von Weltformat,<br />
einem starken Mittelstand, Tüftlern<br />
und Fucklern und sehr viel Ehrenamt ist<br />
dieses besondere Waldge birge längst am<br />
Puls der Zeit. Wenn es auch an allen<br />
Ecken und Enden insgesamt noch viel zu<br />
tun gibt, hat sich insbesondere die früher<br />
sogenannte Fremdenverkehrsbranche<br />
inzwischen modern aufgestellt und zwischen<br />
Küste und Alpen gut etabliert. Ein<br />
paar Bei spiele:<br />
Das Sauerland-Radnetz mit der Bike<br />
Arena hat gezeigt, wie ein vor kurzem<br />
noch fast unbekanntes Thema Furore<br />
macht. Mit den Touren für Mountain -<br />
biker, Rennradfahrer oder Genussradler<br />
wurden und werden neue Trends umgesetzt.<br />
Für die andere Jahreshälfte hat die<br />
Sauerland-Wintersportarena als größte,<br />
vernetzte Skiregion nördlich der Alpen<br />
gezeigt, wie man sich durch gemeinsame<br />
Kräftebündelung positionieren und<br />
zeitgemäß aufstellen kann. Der Verein<br />
inves tiert stetig in seine Entwicklung und<br />
modernste Infrastruktur. Schneekanonen,<br />
neue Lifte, Flutlichtfahren und be -<br />
rühmte Veranstaltungen wie das interna<br />
tionale Skispringen oder die Groß -<br />
veranstaltungen auf der Bobbahn sind<br />
nur Auszüge. Dazu kommt das <strong>im</strong>mer<br />
populärer werdende Langlaufen, denn<br />
„Langläufer leben länger!“. Auch das<br />
Winterwandern genießt eine neue Popularität.<br />
Diese zwei Beispiele sollen nur ausschnittsweise<br />
zeigen, was <strong>Sauerländer</strong><br />
können und wie man gemeinsam Land -<br />
schaft und Wirtschaft vernünftig bündelt.<br />
In den langen Listen der touristischen<br />
Druckerzeugnisse kommt man inzwischen<br />
ins Staunen und Schwärmen,<br />
was in dieser durchaus einmal riesig zu<br />
nennenden Region auf oft historischer<br />
Basis alles gemacht und neu inszeniert<br />
wurde. Mittelgebirge müssen also kein<br />
Mittel maß sein.<br />
Neue Sehnsucht nach dem<br />
Sauerland<br />
Gäste kommen vor allem wegen der<br />
vielfältigen Angebote ins Sauerland und<br />
suchen doch – jeder für sich – ihre individuelle<br />
und spezielle Erfüllung. Aber<br />
gute Hotels und bestens präparierte<br />
Wanderwege gibt es auch in anderen<br />
Regionen. Das Sauerland muss daher<br />
auch für entsprechende Emotionen sorgen,<br />
so dass sich unsere hochwertigen<br />
Angebote in einem riesigen Markt<br />
durchsetzen. Die Konkurrenz ist groß,<br />
so dass nur beste Qualität und starke Gefühle<br />
für Umsatz sorgen können. Niemand<br />
muss verreisen. In die (Kurz-)Fe -<br />
rien fährt man freiwillig. Reiseerfahrene<br />
Bundesbürger setzen jedoch in jeder Kategorie<br />
Qualität schlichtweg voraus. Dabei<br />
wird auch klar, dass es sich be<strong>im</strong> Sauerland<br />
um ein Gesamtkunstwerk handelt.<br />
Denn nur wenn alle Glieder dieser<br />
Dienstleistungs- und Servicekette <strong>im</strong> positiven<br />
Sinne mitmachen, funktioniert<br />
das Ganze.<br />
Wenn also Qualität und Angebot<br />
st<strong>im</strong>men, muss trotz einer eher angenehm<br />
– zurückhaltenden Grundmentalität<br />
eine gehörige Portion Emotion dazu<br />
gemixt werden. Ich muss als Kunde<br />
etwas haben wollen! Deshalb ist es wichtig,<br />
dass sich nicht nur Marketing-Fachleute,<br />
sondern vor Ort auch Busfahrer,<br />
von Thomas Weber und Frank Rosenkranz<br />
Rothaarsteig, Hängebrücke<br />
Bäckermeister und Bauern bewusst werden,<br />
dass sie alle zusammen in irgendeiner<br />
Form Gast geber und Botschafter<br />
dieser Landschaft sind. Und es ist durchaus<br />
ein Unter schied, ob ich als Tagesgast<br />
und Test besucher unbeachtet bleibe<br />
oder verblüffenderweise begrüßt und gegrüßt<br />
werde.<br />
He<strong>im</strong>at neu und frisch in Szene<br />
setzen<br />
Nicht nur Gäste des Sauerlandes,<br />
auch die Bürger selbst können für sich<br />
eine neue Sehnsucht entfachen.<br />
Schließ lich leben sie in einer Region, in<br />
der andere Urlaub machen und können<br />
alle hiesigen Vorteile praktisch jeden<br />
Tag für sich nutzen. Das, was andere suchen,<br />
ist für sie die He<strong>im</strong>at.<br />
Dabei sollte der Begriff He<strong>im</strong>at neu<br />
und frisch interpretiert werden. Bewähr -<br />
tes geht hier mit Neuem und Innova -<br />
tivem Hand in Hand. Ein modernes Verständnis<br />
von He<strong>im</strong>at kann einem gesunden<br />
Lokalpatriotismus dienen, der Bürger<br />
zu Botschaftern für ihr Sauerland<br />
macht.<br />
Wir leben <strong>im</strong> Grünen, doch wir wissen<br />
durch zahlreiche Marktführer, wie<br />
man die Märkte der Welt erobert. Wir<br />
pflegen unsere Fachwerkdörfer, doch<br />
hinter den Fassaden setzen wir auf moderne<br />
Aus stattung, Komfort und gutes<br />
Design. Wir schätzen die <strong>Sauerländer</strong><br />
He<strong>im</strong>at, weil sie Menschen Orientie-
SAUERLAND NR. 4/2009 203<br />
rung, Halt und Freundschaften schenken<br />
kann. Und das in einer Welt, in der<br />
<strong>im</strong>mer mehr Ein zelkämpfer die Ellenbogen<br />
ausfahren. Wir mögen die Ruhe und<br />
Weite der Landschaft, doch wir wissen<br />
auch, wie man sportlich und spaßig das<br />
Beste aus der Topographie herausholt.<br />
Dabei werden „Zeit und Platz haben“<br />
<strong>im</strong>mer mehr zu wahren Luxusfaktoren.<br />
Besseres Miteinander arrangieren<br />
und Kosten sparen<br />
Da der Ausbau und die Pflege der<br />
(touristischen) Infrastruktur zu allererst<br />
als Beitrag zur Lebensqualität der Menschen<br />
vor Ort verstanden wird, wird es<br />
auch bei enger werdenden Finanzen<br />
deutlich einfacher, branchenübergreifend<br />
Mitstreiter zu finden. Wir selbst<br />
wollen es uns ja auch schön machen in<br />
unserer Landschaft und gern hier leben.<br />
Daher kommt es wohl auch, dass die<br />
Menschen dieser Region weniger auf<br />
der Flucht sind und geerdeter erscheinen.<br />
Zusätzlich wirkt eine gut aufbereitete<br />
Landschaft natürlich auch be<strong>im</strong><br />
Kampf um Köpfe als wichtiges Argument.<br />
Wenn sich eine neue Fachkraft<br />
berufsbedingt hier niederlassen möchte,<br />
wird man andernorts vorher auch <strong>im</strong> Fami<br />
lienkreis abst<strong>im</strong>men, ob es dort denn<br />
auch „schön“ und attraktiv genug ist.<br />
Niemand will schließlich nur arbeiten.<br />
Die neue Wanderwelt Sauerland<br />
He<strong>im</strong>at zu erleben, das geht erfahrungsgemäß<br />
am Besten wandernd oder<br />
mit dem Rad. Das Sauerland hat dabei<br />
eine lange Tradition als Wanderland,<br />
schließlich war der 1891 gegründete<br />
Sauerländische Gebirgsverein die erste<br />
Tourismusorganisation der Region. Das<br />
Radfahren ist eine jüngere Disziplin,<br />
aber vor allem durch die Bike Arena<br />
Sauerland mit ihrem umfangreichen<br />
Streckennetz hat dieser Natursport <strong>im</strong><br />
letzten Jahrzehnt einen großen Auf -<br />
schwung erlebt. Heute bietet das sich<br />
entwickelnde, große Radnetz mit dem<br />
Ruhrtalradweg, dem Sauerland-Rad -<br />
ring, der Lenneroute und weiteren vielfältigen<br />
Tourenvorschlägen ein professionelles<br />
Angebot. Vom ambitionierten<br />
Mountainbiker bis zur radelnden Familie<br />
findet jeder seine Route. Wer hätte das<br />
noch vor wenigen Jahren gedacht und<br />
mit unserem Sauerland in Verbindung<br />
gebracht?<br />
Einheitliche Infotafeln hier am Kohlberg<br />
Doch zurück zum Wandern. Der<br />
Wan dermarkt hat sich seit Ende der<br />
90-er Jahre so dynamisch entwickelt, dass<br />
das Wort vom Wanderboom mehr als<br />
gerechtfertigt ist. Der <strong>im</strong>mer stärkere<br />
Wunsch der Bevölkerung, sich von den<br />
Belastungen <strong>im</strong> Arbeitsalltag und den<br />
städtischen Kunstwelten zu erholen,<br />
trieb die Menschen regelrecht zurück in<br />
die Natur. Diese Entwicklung wurde<br />
durch zahlreiche Studien belegt: Natur -<br />
genuss, Bewegung draußen und natürliche<br />
Stille sind die Hauptmotive der deutschen<br />
Wanderer. Mit diesem Wissen <strong>im</strong><br />
Einheitliche Wanderbeschilderung<br />
Hinterkopf wurde dann der bisher erfolg -<br />
reichste Wanderweg des Sauerlandes,<br />
der Rothaarsteig, <strong>im</strong> Jahr 2001 eröffnet.<br />
Angelegt als Weg der Sinne hat er<br />
sich die neue Motivlage der Wanderer zu<br />
Eigen gemacht. Durch bis dahin nicht<br />
gekannte, gezielte Inszenierung der<br />
Landschaft, durchgängige Gestaltung<br />
des Weges inklusive neuer Waldmöbel<br />
und Schutzhütten <strong>im</strong> eigenen Rothaar -<br />
steig-Design und die enge Einbindung<br />
der örtlichen Gastgeber, konnten neue<br />
Gäste für die Region Südwestfalen gewonnen<br />
werden. Nicht zuletzt hat auch<br />
eine tiefe Identifikation der he<strong>im</strong>ischen<br />
Bevölkerung mit „ihrem Rothaarsteig“<br />
zum großen Erfolg beigetragen. Der<br />
Rothaarsteig ist ein Stück Lebensqualität<br />
und er zeigt uns, was man partnerschaftlich<br />
aus dem Wandern machen kann.<br />
Qualitätswanderregion <strong>im</strong> Werden<br />
Aufgrund dieser positiven Erfah -<br />
rungen macht es Sinn, das Sauerland<br />
nach und nach zu einer flächigen Quali -<br />
tätswanderregion weiterzuentwickeln.<br />
Mit dem Sauerland-Höhenflug, der Sau -<br />
er land-Waldroute und dem Sauer land-<br />
Bergwanderpark wurden zwischen -<br />
zeitlich weitere Wanderprojekte initiiert,<br />
die den Anspruch der Region als eine der<br />
führenden deutschen sogenannten Wan -<br />
der destinationen untermauern. Insbe -<br />
sondere das Anlegen und Vermarkten<br />
der großen Wandermagistralen gibt dem<br />
Sauerland eine Struktur und hilft dem<br />
Gast, sich die sauerländische Landschaft<br />
Stück für Stück aktiv zu erschließen. Dabei<br />
ist wichtig, dass die großen Weitwanderwege<br />
nicht isoliert betrachtet werden.<br />
Sie müssen mit einem gut markierten, attraktiven<br />
Basiswander wege netz unterfüttert<br />
werden. Hier sind vor allem die Orte<br />
gefordert, zusammen mit ihren Gastgebern,<br />
Verkehrsvereinen und den so wichtigen<br />
und unentbehrlichen SGV-Abteilungen<br />
die entsprechende wandermäßige<br />
Grundversorgung sicherzustellen.<br />
Wanderwerkstatt für alle<br />
Bei dieser großen Aufgabe hilft die<br />
Sauerland-Wanderwerkstatt. Sie wurde<br />
Anfang 2009 als Projektstelle be<strong>im</strong> Sauerland-Tourismus<br />
e. V. eingerichtet und<br />
befasst sich mit allen Facetten eines modernen<br />
Wandermanagements. Die<br />
Überschrift der Gemeinschafts-/Partner<br />
schaftsaktion heißt „Professionalisie-
204 SAUERLAND NR. 4/2009<br />
rung des Wanderns <strong>im</strong> Sauerland“. Maßstab<br />
des Handelns ist der Grundsatz Qualität<br />
vor Quantität. Denn das über Jahrzehnte<br />
gewachsene Wanderwegenetz<br />
wird heute in vielen Bereichen nicht<br />
mehr den Anforderungen der Wanderer<br />
gerecht. Eine zu hohe Wanderwegedichte<br />
führt zudem zu Belastungen der Grund<br />
eigen tümer und der jagdlichen Nutzer.<br />
Weg brechendes ehrenamtliches Engagement<br />
verschärft die Problematik, da das<br />
umfangreiche Wanderwegenetz nicht<br />
mehr überall wandersicher unterhalten<br />
werden kann. Wanderwege sind heute<br />
aber mehr denn je Qualitätsprodukte, bei<br />
deren Anlage (Genehmigungsverfahren,<br />
Wegeformat, Abwechslungsreichtum)<br />
und Unterhaltung (Wegezustand, Orien -<br />
tierungssicherheit, Verkehrssicherungs -<br />
pflicht) best<strong>im</strong>mte Anforderungen eingehalten<br />
werden müssen. Damit ist die Opt<strong>im</strong>ierung<br />
vor allem der örtlichen Wanderwegenetze<br />
eine Gesamtaufgabe aller<br />
Beteiligten, der sich auch die He<strong>im</strong>atbünde<br />
als Träger verschiedener Wanderwegeprojekte<br />
stellen.<br />
Bei der Opt<strong>im</strong>ierung von Wander -<br />
wegen gilt es, sauerlandweit eine Ge -<br />
samtvorstellung und Dramaturgie für eine<br />
zeitgemäße touristische Infrastruktur<br />
zu entwickeln. Ganz oben stehen die<br />
langen Magistralen als Leuchtfeuer in<br />
der Angebotslandschaft, gefolgt von den<br />
regionalen und lokalen Routen. Aber<br />
auch die durchziehenden großen Fernwan<br />
derwege wollen beachtet sein und<br />
müssen sich in die entstehende General -<br />
stabskarte zur neuen Übersichtlichkeit<br />
und Bezahlbarkeit einbringen. Diese<br />
Wegehierarchie macht es sowohl unseren<br />
Gästen, als auch den <strong>Sauerländer</strong>n<br />
selbst leichter, sich zu orientieren und<br />
gezielt in der Landschaft zu bewegen.<br />
Daher geht auch hier die Einladung an<br />
alle Aktiven, die sich für ihre sauerländische<br />
He<strong>im</strong>at stark machen, sich mit eigenen<br />
Ideen, aber auch mit Verant -<br />
wortung in die Entwicklung der Wan -<br />
derwelt Sauerland einzubringen.<br />
Wie geht es weiter? Neueste Zahlen<br />
belegen, dass sich der generationen -<br />
übergreifende und erfrischte Wandermarkt<br />
auf hohem Niveau etabliert hat.<br />
Auch in Zukunft werden etwa 40 Millionen<br />
Deut sche wandern und 10% der<br />
Deutschen werden dies sogar regelmäßig<br />
tun. Dabei haben wir den enor-<br />
Neues Wander-Portal in Meinerzhagen am Höhenflug<br />
men Vorteil, dass mit den Ballungsgebieten<br />
an Ruhr, Rhein und Main mehr als<br />
20 Millionen potenzielle Gäste vor unserer<br />
Haustür und drum herum wohnen.<br />
Dazu kommen noch unsere angrenzenden<br />
Nachbar länder. Diesem großen<br />
Nachfrage po tenzial steht aber auch eine<br />
kaum noch zu überblickende Angebotsvielfalt<br />
der Mitbewerber entgegen. Das<br />
Sauerland wird somit vor der Aufgabe<br />
stehen, sich mit besonders attraktiven<br />
Angeboten <strong>im</strong> Wandermarkt zu behaupten.<br />
Dies wird mit großer Wahrscheinlichkeit<br />
aber nur dann gelingen, wenn<br />
wir es gemeinsam schaffen, das breite<br />
Thema Wandern inhaltlich weiter zu<br />
entwickeln und emotional aufzuladen.<br />
Wir müssen also wortwörtlich „den<br />
nächsten Schritt gehen“.<br />
Einer von vielen interessanten An -<br />
sätzen für diesen Wander-Mehrwert ist<br />
die Projektidee „Wege zum Leben“.<br />
Wege zum Leben<br />
Der Grundgedanke der „Wege zum<br />
Leben“ trägt der Tatsache Rechnung,<br />
dass in dieser schnelllebigen Zeit <strong>im</strong>mer<br />
mehr Menschen auf Sinnsuche sind. Sie<br />
ergründen ihr Leben, suchen nach Wur -<br />
zeln, Erklärungen und Zielen und wünschen<br />
sich Entschleunigung, Orien -<br />
tierung und Halt. Die idealerweise genau<br />
mit dem He<strong>im</strong>atbund und vielleicht<br />
auch mit den Kirchen zu entwickelnden<br />
„Wege zum Leben“ möchten eben die-<br />
sen vielen suchenden Menschen einen<br />
festen Grund geben, den sie beschreiten<br />
können. Dabei sollen Potenziale (Wege,<br />
Orte, Angebote, Geschichte und Kultur),<br />
die in der Region zu finden sind,<br />
zeitgemäß aufbereitet und zugleich neue<br />
Ideen entwickelt werden, um für Bürger<br />
aber auch für Gäste seriöse, überkonfessionelle<br />
Angebote zu schaffen. Das können<br />
beispielsweise (Wander-)Wege sein,<br />
die historische, spirituelle oder kulturelle<br />
Orte miteinander verbinden. Beispiele<br />
dafür sind Pilgerwege, Mythenwege,<br />
WaldSkulpturenWege, <strong>Sauerländer</strong> To -<br />
ten wege oder ein naturnaher „ökologischer“<br />
Kreuzweg. Es können aber auch<br />
Seminare, Ausstellungen oder Inszenie -<br />
rungen am Wegrand sein, die Sinn -<br />
suchenden neue Impulse geben oder<br />
neue Blickwinkel gewähren, z. B. Waldandachten<br />
oder Er zähl wander ungen.<br />
Auch Kirchen, Kapel len oder Bildstöcke<br />
könnten (vielleicht in einem energiesparenden<br />
Projekt mit der südwestfälischen<br />
Leuchtenindustrie) neu und anziehend<br />
„belichtet“ werden, so dass auch auf kirchenferne,<br />
aber kultur interessierte Besucher<br />
ein Schein fällt und dies eine<br />
neue Symbolik erhält.<br />
Wie ein „Weg zum Leben“ aussehen<br />
könnte, wurde bereits beispielhaft für<br />
den Mythenweg rund um Schmal len -<br />
berg-Wormbach erarbeitet. Erlebnis -<br />
pädagogische Stationen sollen den Mythenweg<br />
thematisch begleiten und dem
SAUERLAND NR. 4/2009 205<br />
Loermecketurm an der Wanderroute <strong>Sauerländer</strong> Landschaft – der ideale Raum zum Auszittern<br />
Wanderer über eine Zeit berichten, in<br />
der neue christliche Lehren das Leben<br />
der Menschen zu verändern begannen,<br />
die zuvor die Zukunft aus den Sternen<br />
gelesen und aus Naturgewalten auf den<br />
Zorn der Götter geschlossen hatten. Für<br />
die entsprechende Atmosphäre auf dem<br />
Mythenweg könnten Raststationen und<br />
Gastronomiekonzepte sorgen, die gestalterisch<br />
auf Elemente des Mittelalters<br />
zurückgreifen (Hexenhäuschen, Erd -<br />
höhlen, Schänken). Zudem sind Veran -<br />
staltungen denkbar, die das Konzept lebendig<br />
aber kitschfrei ergänzen (z. B.<br />
Mittelalterlicher Markt, Sonnenwend -<br />
feiern, Waldgottesdienste zu best<strong>im</strong>mten<br />
Namenstagen, Seminare zu Kräuterkü<br />
che und -heilkunst, Mythen- und<br />
Mär chenstunden <strong>im</strong> Freien).<br />
Die Projektidee „Wege zum Leben“<br />
ist eine Chance, einerseits dem einzelnen<br />
Menschen eine Lebenshilfe in und<br />
mit der Natur zu bieten. Andererseits<br />
können He<strong>im</strong>atbund, Kirchen, Tourismus<br />
und Wirtschaft wichtige Impulse geben,<br />
wie sich über eine gemeinschaftliche,<br />
seriöse Dachorganisation und Vermark<br />
tung neue Zielgruppen, Kompetenzen<br />
und Märkte erschließen lassen.<br />
Wenn sich ein Träger findet, der das da -<br />
rin schlummernde Potenzial erkennt,<br />
soll es als Projekt zur Regionale 2013<br />
eingereicht werden.<br />
Frisches Sauerland-Bild<br />
gemeinsam umsetzen<br />
Wenn es also insgesamt gelingt, alle<br />
möglichen Branchen und gesellschaftlich<br />
interessierten Gruppen an der einen<br />
Stelle zusammenzuführen, wo ein gemeinsames<br />
Lebensgefühl die Basis bildet,<br />
muss es gewisse Haltepunkte und<br />
Symbole geben. Dies werden sicher<br />
auch weiterhin historisch und traditionell<br />
gewachsene Anker wie Museen, geschichtliche<br />
Orte oder Denkmäler bleiben.<br />
Dazu kommt natürlich auch die<br />
über aus selten anzutreffende schöne<br />
Bau kultur in den Dörfern und Städten.<br />
Für die Zukunft brauchen wir jedoch<br />
auch neue eigene Symbole und Beziehungs<br />
punkte. Das können moderne,<br />
aber in Holz gebaute Hotels genau wie<br />
zeitgemäß inszenierte Wander strecken<br />
sein, bei denen man schon auf dem<br />
Wan derparkplatz (Portal) mit einem gewissen<br />
Schick empfangen wird. Es geht<br />
jedoch gedanklich weiter, auch über ei-<br />
gene Wohnkultur oder sogar Modelinien<br />
nach zudenken, die vor uns und Gästen<br />
zumindest eine <strong>Sauerländer</strong> Variante<br />
oder Accesoires erkennen lassen. Und<br />
wenn dann künftig eine bisher süddeutsch<br />
titulierte Jausenstation in Zukunft<br />
„Sauerland-Päusken“ heißt und<br />
auf ungewöhnliche Art eigene Produkte<br />
aus der Landwirtschaft anbietet, kommen<br />
wir dem Ziel schon näher. So gilt es<br />
hier, Architekten, Landschaftsgestalter<br />
und Designer aufzurufen, an möglichst<br />
vielen Pack-Enden mit denen, die das alte<br />
Sauerland präsentieren für die Zukunft<br />
zusammenzuarbeiten. Man muss<br />
einen neuen, frischen <strong>Sauerländer</strong> Stil<br />
an vielen Stellen drinnen wie draußen<br />
spüren können, um ein authentisches<br />
und lebendiges Gefühl für die Region zu<br />
wecken. Das, was wir in wenigen anderen<br />
Landschaften als so typisch empfinden,<br />
muss nicht <strong>im</strong>mer alt und tradiert<br />
sein. Von daher gibt es in dieser Zeit eine<br />
große Chance, auch aufgrund knapper<br />
werdender Resourcen und durch die<br />
demographische Entwicklung, sich alter<br />
und neuer Werte zu besinnen. Diese<br />
Werte und Ankerpunkte suchen wir.<br />
Am besten gemeinsam.
206 SAUERLAND NR. 4/2009<br />
... und in kalten Winternächten<br />
Wer einen etwas naturbelassenen<br />
Garten besitzt, wo auch ältere Obst -<br />
bäume, einige Ebereschen und vielleicht<br />
eine Früchte tragende Eibe sich wohlfühlen,<br />
der merkt bald, dass sich dort <strong>im</strong><br />
Herbst so viele Vogelarten zeigen wie<br />
sonst <strong>im</strong> ganzen Jahr nicht: Durch -<br />
ziehende nordische Drosseln und Finken<br />
oder umherstreifende Kernbeißer, Dom -<br />
pfaffen, Distelfinken, Spechte aus dem<br />
Umland und, nicht zu vergessen, die kleinen<br />
Gäste wie Schwanzmeisen, Winter -<br />
goldhähnchen oder Baumläufer. Letz tere<br />
sind Kletterkünstler, die besonders ältere,<br />
rauhborkige Bäume nach Insek ten und<br />
anderem Kleingetier absuchen. Fast <strong>im</strong>mer<br />
beginnen sie dabei am Fuße des<br />
Baumstammes und klettern dann ruckartig<br />
geradewegs oder auch in Spiralen hinauf.<br />
Mit dem verhältnismäßig langen, an<br />
der Spitze feinen und leicht gebogenen<br />
Schnabel gelangen sie in die engsten Rindenspalten.<br />
Dabei geben ihnen die starkbekrallten<br />
Zehen und ihr Schwanz, der<br />
dem Spechtschwanz ähnelt, einen festen<br />
Halt. Oben <strong>im</strong> Baum angekommen,<br />
schwingen sie sich elegant hinunter zum<br />
nächsten Baum.<br />
Nicht nur der Gartenbaumläufer zieht<br />
<strong>im</strong> Herbst durch unsere Gärten, sondern<br />
auch der Waidbaumläufer, der sein Brut -<br />
revier meist in größeren Waldungen hat.<br />
Die beiden sind nicht leicht zu unterscheiden.<br />
Am besten achtet man auf die Un-<br />
Waldbaumläufer<br />
von Wolfgang Frank<br />
Hausbaumläufer<br />
ter seite des Vogels. Die ist be<strong>im</strong> Wald -<br />
baumläufer vom Schnabel bis zum<br />
Schwanzansatz völlig weiß. Be<strong>im</strong> Gar -<br />
tenbaumläufer ist sie ebenfalls weiß, aber<br />
mit einem leichten Braungrau auf den<br />
Flan ken (also zum Schwanze hin).<br />
Baum läufer wiegen 7–11 g, Tannenmeisen,<br />
Schwanzmeisen, Zaunkönige<br />
9–10 g, Goldhähnchen etwa 7 g, Kohlmeisen<br />
16 –23 g. Sie sind Standvögel,<br />
d. h. sie bleiben <strong>im</strong> Winter hier. Wegen<br />
ihrer Klein heit sind sie in kalten Frostnächten<br />
besonders gefährdet. Einzeln,<br />
auf einem Zweig übernachtend, wären sie<br />
verloren. Deshalb dürfen sie den Nachbarn<br />
nicht wie gewöhnlich wegzanken,<br />
sondern sie müssen gemeinsam Schutz<br />
und Wärme suchen. Die Meisen schlafen<br />
dann in Baumhöhlen oder auch in dickwandigen<br />
Nistkästen und lassen dabei<br />
gern einige Artgenossen hinzukommen.<br />
Schwanz meisen und Wintergoldhähnchen<br />
kuscheln sich an einer windgeschützten<br />
Stelle <strong>im</strong> dichten Geäst bis zu<br />
zehn aneinander. Die Bäumläufer bilden<br />
ein Knäuel von vielen Tieren, das von<br />
den stärksten an der rissigen Borke eines<br />
Baumes gehalten wird. Der Zaunkönig<br />
baut <strong>im</strong> Sommer mehrere Nester, sogenannte<br />
Spielnester. Für seine geringe<br />
Größe sind das recht große Behau -<br />
sungen. Die beste polstert er vor dem<br />
Winter als Schlafnest aus. Weiß jemand,<br />
ob ihm dort in den kalten Winternächten<br />
ein oder zwei Kollegen willkommen sind?<br />
BÜCHER •<br />
SCHRIFTTUM<br />
Das Herzogtum Westfalen<br />
Band 1<br />
Am 29. Sep -<br />
tem ber 2009<br />
wurde <strong>im</strong> Kreis -<br />
haus Meschede<br />
der erste Band<br />
des Werkes<br />
„Das Herzog -<br />
tum Westfalen“<br />
vom Heraus -<br />
geber Prof. Dr.<br />
Dr. Harm Klue -<br />
ting der Öffentlichkeitvorgestellt.<br />
Das Buch entstand in enger Kooperation<br />
mit dem Sauer länder He<strong>im</strong>at -<br />
bund. In 26 Kapiteln auf 927 Seiten wer -<br />
den zahlreiche Facetten der Geschichte<br />
des kurkölnischen Sauerlan des dargestellt.<br />
Das Erscheinen wurde finanziell<br />
unterstützt durch die LWL-Kultur-<br />
Stiftung, die NRW-Stiftung, den Landschaftsverband<br />
Westfalen-Lippe, den<br />
Hochsauerland kreis, den Westfä lischen<br />
He<strong>im</strong>atbund, den <strong>Sauerländer</strong> He<strong>im</strong>atbund<br />
und nicht zuletzt durch einen<br />
10-Cent-Einwohner-Zuschuss der Kommunen<br />
des kurkölnischen Sauer landes.<br />
Erfreulicherweise konnte dadurch der<br />
Verkaufspreis unter 30 € gehalten werden.<br />
Nach einem Vorwort des Heraus -<br />
gebers beginnt der Band mit einem Beitrag<br />
von Günther Becker (Lenne stadt)<br />
zum geographischen Raum des Herzogtums<br />
Westfalen. Das Gebiet des Herzogtums<br />
wird heute <strong>im</strong> Wesentlichen durch<br />
den <strong>Hochsauerlandkreis</strong> und den Kreis<br />
Olpe abgedeckt. Zu ihm gehörten außerdem<br />
zwei Drittel der Fläche des heutigen<br />
Kreises Soest, die Gemeinden Balve und<br />
Menden <strong>im</strong> Märkischen Kreis und die<br />
kurkölnische Exklave Volkmar sen. Das<br />
Kirchspiel Valbert <strong>im</strong> heutigen Märkischen<br />
Kreis war ein märkisch-kölnisches<br />
Kondominat. Der Autor setzt sich mit<br />
den Raumbezeichnungen Her zog tum<br />
Westfalen, Kölnisches Sauer land, Sauerland<br />
und Hellweg auseinander, beleuchtet<br />
aber auch die erdgeschichtliche Vergangenheit<br />
und natur räumliche Gliederung<br />
und Höhenstufen, die zusammen<br />
Bedingungen für die Besiedlung und das<br />
Wirtschaften in diesem Raum sind.<br />
Es folgt ein Artikel von Paul Leidinger<br />
zur Christianisierung des kölnischen
SAUERLAND NR. 4/2009 207<br />
Westfalen. Unter Berücksichtigung jüngs -<br />
ter archäologischer Befunde ergibt sich<br />
hier der aktuelle wissenschaftliche Stand<br />
eines wegen fehlender schriftlicher Überlieferung<br />
<strong>im</strong>mer noch sehr <strong>im</strong> Dunkeln<br />
liegenden Kapitels. Kritisch setzt sich<br />
Leidinger mit den von Albert K. Hömberg<br />
geprägten Begriffen „Ur pfarr kiche“<br />
und „Stammpfarrei“ und seinen Forschungen<br />
zur Missionierung des kölnischen<br />
Sauerlandes auseinander. An den<br />
Beitrag schließt sich der von Edel traud<br />
Klueting über die Klosterlandschaft des<br />
Herzogtums Westfalen <strong>im</strong> Hoch -<br />
mittelalter an, in dem Informationen zur<br />
Gründung von Klöstern und Stiften sowie<br />
zum geistlichen Leben der Ordens -<br />
leute gegeben werden.<br />
Ein grundlegender Beitrag ist der<br />
dann folgende von Odilio Engels, der auf<br />
die Entstehung des Herzogtums Westfa -<br />
len durch die Entmachtung Heinrichs des<br />
Löwen 1180 eingeht. Paul Leidinger befasst<br />
sich daran anschließend mit der für<br />
das Herzogtum bedeutsamen Ge schich -<br />
te der Grafen von Werl und Werl-Arnsberg<br />
(980 – 1134), gefolgt von Mi chael<br />
Gosmanns Darstellung des Weges der<br />
Grafen von Arnsberg zur Lan -<br />
desherrschaft (1180 – 1371). Cor ne lia<br />
Kneppe stellt dann in ihrem Artikel „Burgen<br />
und Städte als Kristalli sati onspunkte<br />
von Herrschaft zwischen 1100 und<br />
1300“ die Geschichte des Ausbaus von<br />
Schutzanlagen und Herr schaftssitzen sowie<br />
der Stadtgründungen dar, und Wilhelm<br />
Janssen behandelt die Entstehung<br />
des Territoriums „Herzog tum Westfalen“,<br />
das erst durch den Zugewinn der<br />
Herrschaft Bilstein-Fre deburg 1444/45<br />
abgerundet werden konnte.<br />
Die Ausführungen von Eberhard<br />
Fricke beinhalten das interessante Thema<br />
der Vemege richtsbarkeit <strong>im</strong> kur -<br />
kölnischen Herzog tum Westfalen. Vemegerichtsbarkeit<br />
war aber nur ein Teil<br />
des Justizwesens dieses Raumes. Vermisst<br />
wird eine Ge samt darstellung dieses<br />
komplexen Be reiches, dessen Bedeutung<br />
für die Bewohner des Herzogtums<br />
<strong>im</strong>mens war. So gab es weltliche Gerichte<br />
und geistliche Gerichte, Lehngerichte<br />
und Pa tr<strong>im</strong>onialgerichte. Einen unrühmlichen<br />
Aspekt der Gerichtsbarkeit behandelt<br />
Tanja Gawlich in ihrem Artikel über<br />
den Hexenkommissar Heinrich von<br />
Schult heiß und die Hexenverfolgungen<br />
<strong>im</strong> Herzogtum Westfalen. Auf die Zer-<br />
split terung des sauerländischen Justizwesens<br />
gehen Tanja Gawlich sowie auch<br />
Jens Foken in seinem Beitrag über Städte<br />
und Freiheiten des Herzogtums in der<br />
Frühen Neuzeit zwar kurz ein, ohne aber<br />
<strong>im</strong> Rahmen ihrer Abhandlungen eine<br />
umfassende Darstellung dieser Thema -<br />
tik geben zu können. Im Beitrag von Wilhelm<br />
Janssen findet man außerdem Ausführungen<br />
zum Thema Gogerichts -<br />
barkeit und Gografschaften.<br />
Jens Foken stellt ausführlich die Stadt -<br />
gründungen seit dem Mittelalter dar und<br />
begründet, warum bis auf einzelne Aus -<br />
nahmen eine Entwicklung über kleinstädtischen<br />
Charakter hinaus nicht möglich<br />
war. Als eine wesentliche Ursache<br />
für eine Trendwende der städtischen Entwicklung<br />
<strong>im</strong> Herzogtum macht er die<br />
Soester Fehde (1444/45) aus, durch die<br />
überregionale ökonomische Anbindun -<br />
gen an das Ausland bzw. die Hanse abrissen.<br />
Seit der zweiten Hälfte des 17.<br />
Jhdts. waren es hohe Schuldenberge, eine<br />
innovations- und fortschrittsfeindliche<br />
Mentalität des ausschließlichen Bewah -<br />
rens sowie eine restriktive, auf Ab -<br />
schottung gerichtete Wirtschaftspolitik<br />
der Landesherrschaft, die zu einer weitgehenden<br />
Stagnation sämtlicher städtischer<br />
Entwicklungspotentiale führten.<br />
Jens Foken beleuchtet außerdem Aspek -<br />
te städtischen Lebens in der frühen Neuzeit,<br />
insbesondere zu Bürger ge meinde<br />
und Bürgerrecht, Stadtver fassung und<br />
bürgerlicher Mitbest<strong>im</strong> mung, städtischer<br />
Verwaltung, Sozial- und Berufsstrukturen<br />
sowie Zäsuren des Alltagslebens, bestehend<br />
aus Kriegen, Seuchen und Feuersbrünsten.<br />
Der vom Autor gewählte Titel<br />
„Erstarrtes Mittel alter“ wirkt etwas provokant<br />
und soll wohl die Aufmerksamkeit<br />
des Lesers wecken. Ob er allerdings<br />
den tatsächlichen Verhältnissen gerecht<br />
wird oder ob es sich gar um ein allgemeines<br />
Phä nomen der frühen Neuzeit handelt,<br />
hätte der Autor durch Vergleiche zu<br />
anderen Herrschaftsgebieten <strong>im</strong><br />
deutschsprachigen oder europäischen<br />
Raum durchaus noch beleuchten können.<br />
Eine zentrale Abhandlung liefert<br />
Harm Klueting über das Herzogtum<br />
Westfalen als geistliches Territorium <strong>im</strong><br />
16. bis 18. Jahrhundert. In einem Abschnitt<br />
widmet sich der Autor dem Thema<br />
„Landstände und Landtag“, für das<br />
eigentlich ein eigenständiger Beitrag vor-<br />
gesehen war, dessen Bearbeiter aber<br />
zum Bedauern des Herausgebers kurzfristig<br />
absagte. Umso wichtiger erscheint<br />
die Darstellung in Kluetings Artikel.<br />
Auch er stellt einen Teil des Justizwesens<br />
<strong>im</strong> Herzogtum dar, und zwar <strong>im</strong> Ab -<br />
schnitt über Ämter und Gerichte und die<br />
landesherrliche Lokalverwaltung. Von<br />
Interesse sind vor allem die Aus -<br />
führungen zur Religionsgeschichte (Reformation<br />
und Gegenreformation) sowie<br />
den damit in Zusammenhang stehenden<br />
Kriegen. Zu nennen sind hier der Kölnische<br />
und der Dreißigjährige Krieg. Eine<br />
wichtige Quellenpublikation hierzu, das<br />
Buch „Sterbzeiten – Der Dreißigjährige<br />
Krieg <strong>im</strong> Herzogtum Westfalen“ (Müns -<br />
ter 2000), erscheint allerdings bei den<br />
Quellenangaben zu diesem Beitrag bedauerlicherweise<br />
nicht. Der Einschätzung<br />
Kluetings, der Nieder l ändische<br />
Krieg von 1672 bis 1678 habe das Herzogtum<br />
Westfalen kaum berührt, kann<br />
nicht gefolgt werden. Umfang reiche<br />
Korrespondenz des Bilsteiner Gerichtsschreibers<br />
Georg Vasbach aus den Jahren<br />
1672/73 sowie Einquar tierungsund<br />
Kontributionslisten aus dem Amt Bilstein<br />
lassen hier durchaus auch eine andere<br />
Sichtweise zu (vgl. He<strong>im</strong>atst<strong>im</strong>men<br />
aus dem Kreis Olpe, 162. Folge, S. 2 ff).<br />
Erwähnenswert wären hier auch die<br />
Bemühungen der Landstände und Johann<br />
Adolfs von Fürstenberg am Hof in<br />
Wien zur Erreichung von Quartierbefreiung<br />
gewesen (vgl. Fürstenbergische Geschichte,<br />
3. Band. S 161 ff). Gegen die<br />
Aussage spricht auch der Bericht Jens<br />
Fokens von der zeitweisen Aberkennung<br />
der Stadtrechte Warsteins 1673 wegen<br />
der Weigerung zur Aufnahme von<br />
Schutz truppen (S. 405). Eine Korrektur<br />
ist zu den Fußnoten 312 und 315 (Sn.<br />
482 und 483) anzubringen. Die Pfarrei<br />
Kirch rarbach wurde in der zitierten Quelle<br />
nicht doppelt gezählt. Bei der für das<br />
Dekanat Meschede genannten Pfarrei<br />
handelt es sich um Rahrbach in der Gemeinde<br />
Kirchhundem (früher ztw. auch<br />
als Fernrahrbach bezeichnet), wäh rend<br />
Kirchrarbach (Dekanat Wormbach) heute<br />
ein Ort in der Stadt Schmallenberg ist.<br />
Der sich anschließende Artikel von<br />
Marina Cremer befasst sich mit dem<br />
Thema Kunst <strong>im</strong> Herzogtum Westfalen.<br />
Die Autorin zeigt, dass es sich hier um eine<br />
kurkölnisch geprägte Kunstlandschaft<br />
handelt, der <strong>im</strong> Mittelalter ein prägendes
208 SAUERLAND NR. 4/2009<br />
künstlerisches Zentrum fehlte. Die Au -<br />
torin befasst sich neben Malerei, Plastik,<br />
Kunsthandwerk und Goldschmiedekunst<br />
des Spätmittelalters auch mit dem Zeitalter<br />
des Barock und stellt dort insbesondere<br />
Schlossbauten des 17./18. Jahrhunderts<br />
sowie die zahlreichen Kir -<br />
chenbauten vor. Vor allem bei geschnitzten<br />
Holzwerken gab es <strong>im</strong> 17. und 18.<br />
Jhdt. bedeutsame Künstler und Werk -<br />
stätten <strong>im</strong> Sauerland. Landesherr und<br />
Adel taten sich bei der Auftragsvergabe<br />
von Kunstwerken als Mäzene hervor. Die<br />
Autorin grenzt den von ihr behandelten<br />
Kunstbegriff lediglich dahingehend ein,<br />
dass sie sich mit kirchlich geprägter<br />
Kunst vom Hochmittelalter bis zur Barockzeit<br />
befasst. Es fehlt leider eine Erläuterung<br />
dazu, warum sie nur auf die Bildende<br />
Kunst eingeht und Bereiche wie<br />
Literatur und Musik nicht behandelt.<br />
Abgerundet wird der Band mit Beiträgen<br />
zum Schulwesen (Erika Rich ter), zu<br />
Klöstern und Ordenswesen der frühen<br />
Neuzeit (Klaus Baulmann), Bi blio theken<br />
der Stifte und Klöster (Her mann-Josef<br />
Schmalor), den Büchern der Werler Erbsälzer<br />
(Iris Bunte), Juden (Diethard<br />
Aschoff), Münzprägung und Geld (Peter<br />
Ilisch), Salinen, Berg- und Hüttenwesen,<br />
Gewerbe und Handel (Wilfried Reininghaus),<br />
Landwirtschaft, Waldnutzung und<br />
Forstwesen (Bernward Selter), Wegen,<br />
Verkehr und Post (Theo Bönemann) und<br />
zur Säkularisation und dem Ende des<br />
Herzogtums Westfalen (Harm Klueting).<br />
Vermisst werden ein einleitender Ar -<br />
tikel zur Forschungsgeschichte und dem<br />
aktuellen Forschungsstand zum Her -<br />
zogtum Westfalen und ein Gesamt -<br />
verzeichnis der benutzten Literatur. Das<br />
vorhandene Personen- und Ortsna -<br />
menregister ist für den Leser sehr hilfreich.<br />
Vielleicht kann sich der Heraus -<br />
geber dazu entschließen, <strong>im</strong> nachfolgenden<br />
zweiten Band ein Sachregister für<br />
beide Bände aufzunehmen. Eine tiefere<br />
Untergliederung des Inhaltsverzeich -<br />
nisses hätte die Benutzbarkeit des jetzt<br />
vorliegenden Bandes wesentlich erleichtert.<br />
Vorteilhafter wäre es auch gewesen,<br />
die Überschriften der Abschnitte einzelner<br />
Beiträge durch Fettschrift hervorzuheben.<br />
Abbildungen <strong>im</strong> Text sind – mit<br />
Ausnahme verschiedener Karten und<br />
Diagramme – in Schwarz-Weiß gedruckt.<br />
Außerdem gibt es erfreulicherweise ei-<br />
140 Jahre<br />
H & F Schneider Holding<br />
Nuttlar a. d. Ruhr<br />
Am 13. Oktober 1869 schrieb Franz<br />
Schneider, der Gründer des heutigen Unternehmens<br />
die erste Rechnung das noch<br />
heute vorliegende Geschäfts buch. Die 1.<br />
Eintragung be<strong>im</strong> königlichen Amtsgericht<br />
zu Bigge ins Han delsregister liegt<br />
bereits 147 Jahre zurück.<br />
Der Grundstein wurde gelegt auf dem<br />
„Eisen-Hammer“ in Nuttlar. Die Firma<br />
befindet sich seit 5 Generationen <strong>im</strong> Familienbesitz.<br />
Heute, über 140 Jahre später,<br />
präsentiert sich das Unterneh men als<br />
Immobilienverwaltungs gesell schaft und<br />
als Handelsunternehmen mit einer breiten<br />
Produktpalette an Spiri tuosen und<br />
Weinen.<br />
Die besonderen Marken sind wie eh<br />
und je der Holzfass gelagerte „ Ganz Al-<br />
nen 14-seitigen Abbildungs anhang mit<br />
hervorragenden Darstel lungen unterschiedlicher<br />
Handschriften, Urkunden,<br />
Kunstwerke und Baudenk mäler. Als Beilage<br />
findet man ein farbiges Faks<strong>im</strong>ile<br />
der Karte „Ducatus West phaliae nova repraesentatio<br />
geographica“ von 1757 in<br />
Originalgröße (55 x 45 cm). Erläuterungen<br />
zur Karte auf S. 927 stammen von<br />
Klaus Baulmann.<br />
Insgesamt bleibt festzustellen, dass der<br />
Herausgeber mit dem nun erschienenen<br />
Band 1 ein Werk zur Geschichte des<br />
Herzogtums Westfalen vorlegt, das als<br />
Maßstab für die Erfor schung der Geschichte<br />
dieses Landes teils für die nächsten<br />
Jahrzehnte betrachtet werden kann.<br />
Mit Spannung darf deshalb auf Band 2<br />
des Werkes gewartet werden, der die jüngere<br />
Ge schichte des ehemals kurkölnischen<br />
Sau er landes darstellen wird.<br />
Martin Vormberg<br />
Das Herzogtum Westfalen. Band 1.<br />
Das kurkölnische Herzogtum Westfalen von<br />
den Anfängen der kölnischen Herrschaft <strong>im</strong><br />
südlichen Westfalen bis zur Säkularisation<br />
1803. Herausgegeben von Harm Klueting unter<br />
Mitarbeit von Jens Foken. Aschendorff, Münster<br />
2009. ISBN 978-3-402-12827-5. 29,50 EUR.<br />
Jahrbuch<br />
<strong>Hochsauerlandkreis</strong> 2010<br />
Berichte – Erzählungen – Aufsätze<br />
(26. Ausgabe)<br />
Paul Aust: Eine Schneekristall-Mons -<br />
tranz für Winterberg. Andreas Düppe:<br />
Integration gemeinsam gestalten. Integrationskonzept<br />
<strong>im</strong> Hochsau erlandkreis<br />
ter Schneider“ Edelkorn und der Gipfel -<br />
stürmer, der delikate Halbbitter „Kahler<br />
Asten“ diese werden in Oelde/West -<br />
falen fabriziert und wie es auf dem Etikett<br />
steht, von Nuttlar und Oelde aus<br />
vertrieben. Der Kreis der Freunde für<br />
diese Produkte geht über das Sauerland<br />
hinaus – von Bayern bis zur Nordsee,<br />
von Aachen bis Berlin. Schon seit einiger<br />
Zeit gibt es die Jubiläumsflasche, die<br />
nicht nur dem deutschen Korntrinker<br />
das Gehe<strong>im</strong>nis, den goldgelben Bernstein<br />
glanz, der durch die lange Holzfass -<br />
lagerung entstanden ist, in der klaren<br />
Flasche zeigt.<br />
Das Firmenjubiläum motiviert nicht<br />
zu großen Feiern, aber da wir in einer<br />
„fröhlichen Branche“ arbeiten, haben<br />
wir den Opt<strong>im</strong>ismus, die richtigen Wei -<br />
chen von der Produktion zum Handel<br />
gestellt zu haben. Im Handel soll der Segen<br />
liegen, darauf warten wir!<br />
trägt Früchte. Dr. Karl Schneider:<br />
Ideen, Konzepte, Impulse. Die Kreisverwaltung<br />
als Dienstleister einer lebenswerten<br />
Region. Bärbel Michels: „Durch<br />
Fleiß und Kraft man Großes schafft.“<br />
Das Familien unternehmen Ewers – von<br />
der Stell macherei zum Karosseriebau.<br />
Dr. Hubert Schmidt: 700 Jahre Freiheit<br />
Sundern. Von einer kleinen Acker -<br />
bürgersiedlung zum Zen tral ort. Werner<br />
Saure: 650 Jahre Freiheit Hüsten. Urpfarrei<br />
– Freiheit – Wirt schafts standort.<br />
Theo Hirnstein: Das sauerländische Leben<br />
in der Lokal zeitung. Ein spezieller<br />
Rückblick auf 25 Jahre „Jahrbuch<br />
<strong>Hochsauerlandkreis</strong>“. Dieter Wurm:<br />
Leiko Ikemura – Erste Preis trägerin des<br />
neu geschaffenen August-Macke-Preises.<br />
Wolfgang Meier, Michael Schaefer:<br />
August-Macke-För der preis 2009 an<br />
Marina Zwetzschler. Erste Preisträgerin<br />
des neu geschaffenen August-Macke-<br />
Förderpreises. Dr. Erika Richter: Die<br />
wiedergewonnene Freiheit <strong>im</strong> Blick der<br />
lokalen Presse. 1989/90: Zwanzig Jahre<br />
nach dem Fall der Mauer und der<br />
Wiedervereinigung Deutsch lands. Prof.<br />
Dr. Walter Fritzsch: Das Kreiselektrizitätswerk<br />
Arnsberg 1910 – 1928. Siegfried<br />
Raschke: 110 Jahre Berufsschule/Berufskolleg<br />
für Wirtschaft und Verwaltung<br />
Nehe<strong>im</strong>-Hüsten. Ein Beitrag<br />
zum beruflichen Schulwesen <strong>im</strong><br />
Hochsauerland. Jürgen Uhl: Trauer um<br />
Altlandrat Rolf Füllgräbe. Als einer der<br />
„Architekten“ des <strong>Hochsauerlandkreis</strong>es<br />
hat er bleibende Spuren hinterlassen.<br />
Msgr. Dr. Wilhelm Kuhne: „Es lebe<br />
Christus in deutscher Jugend.“ Tage -<br />
buch-Notizen eines Jugendseelsorgers
SAUERLAND NR. 4/2009 209<br />
in Brilon von 1952 bis 1960. Ann-Katrin<br />
Thomm: Von der Waldeinsamkeit<br />
zum Gemütswald. Ein Beitrag zum „Mythos<br />
Wald“ als romantische Sehnsuchts -<br />
landschaft und Werbemotiv. Werner<br />
Knoche: Die Kriegshandlungen <strong>im</strong><br />
Raum Arnsberg und Fredeburg. Aus<br />
den Erinnerungen eines Zeitzeugen. Dr.<br />
Johanna Junk: Wo Meister Papen den<br />
Alabaster holte. Exkursion des Kloster -<br />
museums Dalhe<strong>im</strong> in die Steinbrüche<br />
bei Giershagen – Drei neue Fundstücke<br />
für das Museum. Ursula Hennecke: Der<br />
Blutegel als Therapeut. Ein wiederentdecktes<br />
altherkömmliches Heilver fah -<br />
ren. Dr. Heike Plaß: Kirchenmalerei aus<br />
Oberschledorn. Das Familienunterneh -<br />
men Bergenthal. Herbert Somplatzki:<br />
Literarische Spurensuche zwischen He<strong>im</strong>at<br />
und Welt. Grenzüberschrei tungen<br />
<strong>im</strong> Wort. Anton Trippe: Von Braunshausen<br />
nach Wien. Die Erfolgs -<br />
geschichte der Brüder Knecht. Norbert<br />
Föckeler: Rückblick aus dem Kreis -<br />
archiv. Zahlen, Daten, Fakten. Ilse<br />
Schneider: Wunderbare Welt<br />
Herausgeber: Der Landrat des <strong>Hochsauerlandkreis</strong>es.<br />
Verlag und Vertrieb: Podszun-Verlag GmbH, Brilon<br />
2009, ISBN 978-3-86133-541-2<br />
Die Chronik eines<br />
Grafschafter Mönchs<br />
1772 – 1832<br />
Ein ganz besonderes<br />
Buch<br />
ist anzuzeigen:<br />
Der Benediktin<br />
e r m ö n c h<br />
Odilo Girsch<br />
hat die bewegte<br />
Zeit vom Ende<br />
des 18. bis<br />
in die ersten<br />
Jahr zehnte des<br />
19. Jahrhunderts<br />
ausführlich aufgezeichnet. Die Geschichte<br />
der Abtei Graf schaft und seine<br />
eigene Le bens geschichte als Geistlicher<br />
in verschiedenen Dörfern des Hochsauerlandes<br />
sind in seinem eng beschriebenen<br />
Tagebuch (467 S.) festgehalten,<br />
das <strong>im</strong> Pfarrarchiv von Kirch rarbach<br />
aufbewahrt wird. Nun hat Alfred Bruns,<br />
seit langem um die Erschließung von<br />
Quellen zur Geschichte des Sauer landes<br />
hochverdient, die Chronik des Odilo<br />
Girsch bearbeitet, und der He<strong>im</strong>at- und<br />
Geschichtsverein Schmallenberger<br />
Sauerland hat das schön gestaltete Buch<br />
für die historisch interessierte Leser -<br />
schaft zugänglich gemacht.<br />
Was zeichnet dieses einzigartige<br />
Werk aus? Zunächst bringt es Nachrichten<br />
über die Abtei Grafschaft, in die Odilo,<br />
1758 <strong>im</strong> hessischen Obertiefenbach<br />
bei L<strong>im</strong>burg geboren, achtzehnjährig<br />
eingetreten war und sich dort bald als<br />
Or gelspieler hervortat. Noch sind seine<br />
Eintragungen sehr knapp, aber sie werfen<br />
ein bezeichnendes Licht auf Span -<br />
nungen zwischen dem Kloster und Teilen<br />
der Schmallenberger Bevölkerung,<br />
die er „Canibalen“ nennt, aber auch auf<br />
die ersten Auseinandersetzungen in den<br />
Revolutionskriegen zwischen den kurkölnischen<br />
Truppen und den Franzosen,<br />
denn 1794 muss er notieren „Nun drohte<br />
auch der verderbliche Krieg mit den<br />
Franzosen den diesseits des Rheins gelegenen<br />
Ländern“ (S. 20). Seitdem ist<br />
seine Chronik ein fortlaufender Bericht<br />
über die Kriegsentwicklung in seiner<br />
Umwelt. Er zeichnet aber nicht nur die<br />
räuberischen, unaufhörlichen Belastungen<br />
der sauerländischen Bevölkerung<br />
durch die Truppen der Kriegführenden<br />
auf, sondern auch das allgemeine<br />
Kriegsge schehen, so dass man sich<br />
fragt, welche Zeitungen dieser aufmerksame,<br />
gut informierte Chronist jeweils<br />
heranziehen konnte. Schon 1797<br />
taucht auch der Name des „in Italien<br />
commandierenden Generals Bounaparte“<br />
auf und seine militärischen Aktionen<br />
gegen die Österreicher, denen Odilos<br />
ganze Sympathie gilt. Neben dem<br />
Kriegsgeschehen notiert er nun auch<br />
ständig die täglichen Wetter -<br />
nachrichten. Über Schnee und Frost lesen<br />
wir viel, auffallend sind besonders<br />
die häufigen Meldungen über außerordentliche<br />
oder schreckliche „Sturmwinde“,<br />
die damals das Sauerland offenbar<br />
<strong>im</strong>mer wieder he<strong>im</strong>gesucht haben. Seit<br />
1801 n<strong>im</strong>mt er eine Pfarrstelle in<br />
Kirchrarbach ein, wo er auch Schulunterricht<br />
erteilt und die Jugend für sich<br />
gewinnt. „Ich behandelte dieselbe so,<br />
wie man ein junges Bäumchen behandelt,<br />
wenn mans zu einem guten Baum<br />
haben will“ (S. 51). Sein Verhältnis zu<br />
den Erwachsenen, diesen „wiederspens -<br />
tigen Menschen“, ist offenbar schwieriger.<br />
1802 wechselt er nach Dorlar und<br />
amtiert dort als Pfarrer bis 1822. Große<br />
Ereignisse verändern in dieser Zeitspanne<br />
die Welt, vor allem das Ende der kurkölnischen<br />
und der Beginn der hessischen<br />
Herrschaft <strong>im</strong> Zuge der Säkularisation,<br />
in der die meisten sauerländischen<br />
Klöster aufgehoben wurden.<br />
Empört vermerkt der Chronist: „Diese<br />
grausame Art, Menschen ohnverdient<br />
von ihrem Eigentume zu verjagen, sich<br />
damit zu entschädigen, mögen jene nur<br />
gutheißen, welche öffentliche Diebstähle<br />
rechtfertigen können“ (S. 53). Auch<br />
den Auf- und Abstieg Kaiser Napoleons<br />
hält er ausführlich fest wie auch die Maß -<br />
nahmen der verhassten Hessen, die, wie<br />
er schreibt, bis zum Schluss die „West -<br />
phälinger“ durch ihre Besteuerung aussaugten.<br />
In einem eigenen Abschnitt<br />
„Bemerkung über das Benehmen der<br />
Hessen und des überhaupt angestellten<br />
Personals während der Besitznahme bis<br />
Ende 1816 den 15ten Julius“ schreibt er<br />
sich seinen Zorn über die herrschsüchtigen<br />
Hessen von der Seele, die nichts anderes<br />
bezweckten „als die Untertanen irre<br />
und die Advokaten gewissenlos zu<br />
machen“. Aber auch die neue preußische<br />
Regierung enttäuscht seine hoffnungsvollen<br />
Erwartungen, er erlebt<br />
nichts als Nachteile für die Geistlichkeit<br />
und die katholische Religion. Auch in<br />
Dorlar klagt er über das „widerspenstige<br />
Betragen des Kirchspiels“, so dass er<br />
von 1822 – 25 noch einmal Pfarrverweser<br />
in Kirchrarbach wird, ehe er dann<br />
mit viel Erfolg die Pfarrstelle in Altastenberg<br />
versieht, bis er 1833 in den Ruhestand<br />
geht. In Dorlar stirbt er hochbetagt<br />
1847. Mit seiner Chronik hat er uns<br />
nicht nur ein einzigartiges Zeugnis der<br />
Zeitge schichte hinterlassen, sondern<br />
auch das eindrucksvolle Bild eines nachdenklichen,<br />
kritisch-aufrechten und<br />
glaubensstarken Gottesmannes geschenkt.<br />
Dr. Erika Richter<br />
Die Chronik des Odilo Girsch 1772 – 1832, bearbeitet<br />
von Alfred Bruns. Herausgeber He<strong>im</strong>at- und Geschichtsverein<br />
Schmallenberger Sauerland e.V. 2009,<br />
175 S.<br />
Schliprüthen – ein<br />
Jubiläums-Kirchenführer<br />
Vor einem strahlendblauen Sommer -<br />
h<strong>im</strong>mel eine weiße Dorfkirche mit kräftigem,<br />
schiefergedecktem Turm – das<br />
farbige Titelbild st<strong>im</strong>mt froh. Es zeigt die
210 SAUERLAND NR. 4/2009<br />
Kirche St. Georg von Schliprüthen und<br />
wurde Pfingsten 2008 zum 700-jährigen<br />
Jubiläum der Pfarrei Schliprüthen<br />
herausgegeben. Schon das Titelbild dokumentiert,<br />
dass wir nicht einen der üblichen<br />
Kirchenführer vor uns haben,<br />
sondern eine Augenfreude der besonderen<br />
Art. Das um 1200 erbaute Gotteshaus<br />
wird uns in Wort und Bild (Texte<br />
Franz-Josef Huß, Fotos und Repro Benedikt<br />
und Franz-Josef Huß) eingehend<br />
dargestellt. Detailliert erfahren wir<br />
zunächst die Baugeschichte, dann die<br />
Innenge staltung in ihren theologischen<br />
und kunstgeschichtlichen Bezügen.<br />
Durch die schönen, klaren Farbaufnahmen<br />
gewinnt die Beschreibung eine seltene<br />
Anschaulichkeit. Da leuchtet der<br />
Hoch altar mit seinen Skulpturen, die<br />
prächtig geschnitzte barocke Kanzel, die<br />
Hei ligen figuren wie St. Jakobus, Georg<br />
oder Katharina, die Orgel oder auch die<br />
Glocken: Alles n<strong>im</strong>mt durch die Erläute -<br />
rungen und die optische Wiedergabe<br />
ausdrucksvoll Gestalt an. Das gilt auch<br />
für Pfarrhaus, Vikarie und das Archiv,<br />
selbst die traditionsreiche Verbindung<br />
zum Kloster Brunnen wird aufgezeigt.<br />
Die schmale Hochglanz-Broschüre vermittelt<br />
insgesamt ein eindrucksvoll farbkräftiges<br />
Bild, das nicht nur für die Pfarrkinder<br />
von St. Georg eine gelungene Erinnerung<br />
an festliche Gottesdienste sein<br />
wird, sondern weit darüber hinaus sauerländische<br />
Interessierte anspricht und<br />
ein schönes Zeugnis dafür ablegt, welche<br />
Schätze in einer abgelegenen Dorfkirche<br />
verborgen sind. Hier haben wir<br />
ein kleines Weihnachtspräsent vor uns,<br />
mit dem sich Freude bereiten lässt und<br />
das vermutlich auch noch manchen Betrachter<br />
erstmals nach Schliprüthen<br />
locken wird.<br />
Dr. Erika Richter<br />
Besuchen<br />
Sie uns <strong>im</strong> Internet:<br />
www.sauerlaender-he<strong>im</strong>atbund.de<br />
Beilagenhinweis<br />
Dieser Ausgabe liegt ein Prospekt<br />
des <strong>Sauerländer</strong> He<strong>im</strong>atbundes bei. Wir<br />
bitten um besondere Beachtung.<br />
PERSONALIEN<br />
Am 19. Oktober 2008 vollendete<br />
Stadtdirektor a. D. Hermann Willeke<br />
aus Sundern das 80. Lebensjahr. „Anwalt<br />
der Bürger und preußischer Staatsdiener“<br />
- diese Überschrift gab die örtliche<br />
Zeitung einer früheren Würdigung.<br />
In der Tat, der „gelernte Verwaltungsfachmann“<br />
sorgte für eine sparsam und<br />
effektiv arbeitende Verwaltung. Gleichzeitig<br />
bemühte er sich mit Erfolg um unmittelbaren<br />
Kontakt mit den Bürgern<br />
seines Amtsbereichs. Das bewährte sich<br />
besonders in den Jahren der kommunalen<br />
Neuordnung, als er zusammen mit<br />
dem unvergessenen Bürgermeister<br />
Franz-Josef Tigges für ein ausgewogenes<br />
Verhältnis zwischen der „Kernstadt“<br />
und den umliegenden Ortschaften sorgte.<br />
Nach dem Aus scheiden aus dem aktiven<br />
Dienst, nach Erreichung der Altersgrenze<br />
übernahm er noch Verantwortung<br />
<strong>im</strong> Kuratorium der Sauerlandklinik<br />
und <strong>im</strong> Verein für Altenpflege. Der<br />
<strong>Sauerländer</strong> He<strong>im</strong>at bund hat ihm für<br />
SAUERLAND<br />
Zeitschrift des <strong>Sauerländer</strong> He<strong>im</strong>atbundes (früher<br />
Trutznachtigall, He<strong>im</strong>wacht und Sauerlandruf)<br />
42. Jahrgang • Heft 4, Dezember 2009<br />
ISSN 0177-8110<br />
Herausgeber und Verlag: <strong>Sauerländer</strong> He<strong>im</strong>atbund<br />
e. V., Postfach 14 65, 59870 Meschede<br />
Vorsitzender: Dieter Wurm, Am Hainberg 8 a,<br />
59872 Meschede, Tel. (02 91) 71 90 p, Fax (02 91)<br />
71 90 p, 94-16 05 d, Fax 94-2 61 71. Stellv. Vorsitzende:<br />
Wilma Ohly, Goerdelerweg 7, 57462 Olpe,<br />
Tel. (0 27 61) 6 16 98.<br />
Ehrenvorsitzender: Dr. Adalbert Müllmann, Jupiterweg<br />
7, 59929 Brilon, Tel. (0 29 61) 13 40<br />
Geschäftsstelle: <strong>Hochsauerlandkreis</strong>, Fachdienst<br />
Kultur/Musikschule, Karin Kraft, Telefon (02 91)<br />
94-14 62, Telefax (02 91) 9 42 61 71, e-mail: kultur<br />
@hochsauerlandkreis.de, Postfach 14 65, 59870<br />
Meschede<br />
Internet: www.sauerlaender-he<strong>im</strong>atbund.de<br />
Konten: Sparkasse Arnsberg-Sundern<br />
(BLZ 466 500 05) 4 000 600.<br />
Jahresbeitrag zum <strong>Sauerländer</strong> He<strong>im</strong>atbund einschließlich<br />
des Bezuges dieser Zeitschrift 15,– EUR.<br />
Einzelpreis 4,00 EUR.<br />
Erscheinungsweise vierteljährlich.<br />
vielfältige Unter stützung seiner Arbeit zu<br />
danken. Der Rat verlieh ihm für seine<br />
Verdienste den Ehrenring der Stadt Sundern.<br />
Red.<br />
Ehrenkanonikus<br />
vom Heiligen Grab<br />
Der Titel „Ehrenkanonikus vom Heiligen<br />
Grab“ wurde unserem He<strong>im</strong>at -<br />
freund Msgr. Prof. Dr. Konrad Schmidt,<br />
Rektor der Landvolkshoch schule Harde -<br />
hausen, verliehen. Er ist bereits Mitglied<br />
des Ritterordens vom Heiligen Grabe zu<br />
Jerusalem, eines päpstlichen Ordens,<br />
dem katholische Geistliche wie auch Laien<br />
angehören. Viele Pädagogen aus<br />
dem kurkölnischen Sauerland haben in<br />
der Vergangenheit an den von Prof. D.<br />
Schmidt betreuten Studienfahrten ins<br />
Heilige Land teilgenommen. Der <strong>Sauerländer</strong><br />
He<strong>im</strong>atbund gratuliert seinem<br />
langjährigen Mitglied zu dieser hohen -<br />
und verdienten - Auszeichnung. Red.<br />
Redaktion: Günther Becker, Lennestadt. Werner Cordes,<br />
Attendorn. Dr. Theo Bönemann, Menden.<br />
Su sanne Falk, Lennestadt. Norbert Föckeler, Brilon.<br />
Professor Dr. Hubertus Halbfas, Drolshagen.<br />
Heinz Lettermann, Bigge-Olsberg. Dr. Adalbert<br />
Müllmann, Brilon. Heinz-Josef Padberg, Meschede.<br />
Dr. Erika Rich ter, Meschede. Michael Schmitt, Sundern.<br />
Dr. Jür gen Schulte-Hobein, Arnsberg. Dieter<br />
Wiethoff, Meschede. Dieter Wurm, Meschede.<br />
Schlussredaktion: Hans Wevering, Schloßstr. 54,<br />
59821 Arnsberg, Tel. (0 29 31) 32 62, Fax (0 29 31)<br />
1 29 83, e-mail: hanswevering@t-online.de,<br />
Martin Reuther, Alter Soestweg 85, 59821 Arnsberg,<br />
Tel. (02 91) 94-14 58, e-mail: martinreuther@t-online.de<br />
Redaktionsanschrift: <strong>Sauerländer</strong> He<strong>im</strong>atbund,<br />
Postfach 14 65, 59870 Meschede<br />
Lithografie, Layout und techn. Redaktion:<br />
Hans Wevering, Schloßstraße 54, 59821 Arnsberg,<br />
Tel. (0 29 31) 32 62, Fax (0 29 31) 1 29 83, e-mail:<br />
hanswevering@t-online.de<br />
Druck: becker druck, F. W. Becker GmbH<br />
Anzeigenverwaltung:<br />
becker druck, F. W. Becker GmbH,<br />
Grafenstr. 46, 59821 Arnsberg,<br />
Ansprechpartner: Eckhard Schmitz,<br />
schmitz@becker-druck.de<br />
Tel. (0 29 31) 52 19-21, Fax (0 29 31) 52 19-6 21.<br />
Es gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 9 vom 1. Jan. 2006.
140 JAHRE<br />
DIE JUBILÄUMSFLASCHE<br />
ei Ganz Alter Schneider handelt es sich um<br />
eine ausgesprochen hochwertige Spezialität,<br />
die sich in ihrem Stammgebiet - dem Sauerland -<br />
traditioneller Beliebtheit erfreut.<br />
ieser Edel-Kornbrand mit 38% vol. lagert<br />
mindestens 2 Jahre in kleinen L<strong>im</strong>ousin-<br />
Eichenholzfässern und bekommt so seinen<br />
besonderen bernsteinfarbenen Glanz und die<br />
milde, feine und weiche Note.<br />
Er wurde 4x mit dem Goldenen Preis der<br />
Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft (DLG),<br />
Frankfurt ausgezeichnet.
<strong>Sparkassen</strong>-Finanzgruppe<br />
Gut, wenn man auf der sicheren Seite ist.<br />
� ���<br />
Pfändungsschutz<br />
Insolvenzsicherheit<br />
Hinterbliebenenrente<br />
und vieles mehr<br />
�<br />
Jetzt beraten lassen:<br />
„Rürup-Rente“<br />
Eine Altersvorsorge,<br />
die Steuern spart!<br />
<strong>Sparkassen</strong><br />
<strong>im</strong> <strong>Hochsauerlandkreis</strong>