Bernstein Nr: 11 - Freie Waldorfschule Eckernförde
Bernstein Nr: 11 - Freie Waldorfschule Eckernförde
Bernstein Nr: 11 - Freie Waldorfschule Eckernförde
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„Freust du dich ein wenig auf die neue Schule<br />
hier oben?“ fragte seine Mutter.<br />
„Ja, ein wenig schon“, antwortete er ihr zuliebe.<br />
Er nahm seine Tasche, küsste seine Mutter auf<br />
den Kopf, denn sie war sitzen geblieben und atmete<br />
tief den vertrauten Geruch ein, der ihn in die<br />
neue Umgebung begleiten sollte.<br />
„Tschau Mama“, sagte er betont forsch, verließ<br />
mit jetzt festem Schritt die Küche und stand kurz<br />
darauf vor der Haustüre und schnallte seine Tasche<br />
auf das Fahrrad.<br />
„Das wirst du mir büßen, du mieser Nazi“, heulte<br />
der Junge mit dem verwaschenen roten Sweatshirt,<br />
als Leander die Klasse 9a der <strong>Waldorfschule</strong> betrat.<br />
„Was willst du denn, du Schwuchtel?“, fragte ein<br />
massiger und großer Junge, der sich durch seine<br />
schwarze Kleidung deutlich von den anderen Schülern<br />
unterschied.<br />
„Komm doch, wenn du etwas willst“, höhnte er<br />
und stieß mit seiner ausgestreckten Hand vor den<br />
Brustkorb des schmächtigen Schülers.<br />
Leanders Herz klopfte schneller und wieder stieg<br />
heiße Wut in ihm hoch. Die anderen Schüler schienen<br />
nicht wahrzunehmen, was hier passierte. 12 Jungen<br />
und 10 Mädchen standen betont gelangweilt herum,<br />
grinsten verlegen oder unterhielten sich scheinbar<br />
angeregt. Ein Mädchen mit bunter Kleidung, rot gefärbtem,<br />
kurzen Haar und etwa so groß wie Leander<br />
trat als einzige auf den massigen Jungen zu.<br />
12<br />
„Du kannst dich doch nur an Kleineren vergreifen“,<br />
sagte sie ihm laut und deutlich ins Gesicht. Der massige<br />
und kurz geschorene Junge baute sich zu voller<br />
Größe auf und herrschte das Mädchen wütend an:<br />
„Halt's Maul, Tussi“, zischte er ihr entgegen.<br />
Es war ihm entgangen, dass Leander schnell hinter<br />
ihn getreten war, sein rechtes Bein gegen die<br />
linke Kniekehle gedrückt und mit einem Ruck den<br />
Burschen an den Schultern gepackt und auf den<br />
Boden geworfen hatte. Überrascht lag der Junge auf<br />
dem Rücken und starrte in das entschlossene Gesicht<br />
Leanders. Auch der geärgerte Junge und das Mädchen<br />
traten hinzu und nun waren es drei Schüler, die<br />
auf den schwarz Gekleideten hinunter blickten.<br />
„Mach das nicht noch einmal“, stieß Leander hervor,<br />
während er sein Knie langsam vom Brustkorb<br />
des Jungen hob und ihm Bewegungsfreiheit zugestand.<br />
Auch die anderen Mitschüler kamen jetzt und<br />
standen abwartend um die Gruppe herum, sagten<br />
aber nichts. Der massige Junge nickt kurz, Leander<br />
gab ihn endgültig frei und er stand langsam auf.<br />
Sein Blick verhieß nichts Gutes, aber Leander blieb<br />
unerschrocken vor ihm stehen, genau wie der Junge<br />
in dem verwaschenen Sweatshirt und das Mädchen<br />
mit den roten Haaren. Sie standen eng beieinander<br />
und Leander konnte den frischen Geruch nach Zitrone<br />
und Apfel wahrnehmen, der von dem Mädchen<br />
ausging. Der schwarz gekleidete Junge drehte sich<br />
um und ging wortlos zur hinteren Bankreihe.<br />
„Ich heiße Maresa“, sagte das Mädchen, lächelte<br />
und streckte Leander ihre Hand entgegen.<br />
„Leander, ich bin der Neue.“<br />
„Das ist schön, dass du zu uns kommst“, das Mädchen<br />
lächelte Leander an und es war für Leander ein<br />
echt guter Beginn in seiner neuen Umgebung.<br />
Nicolaus Kessener ist Vater an der<br />
FWS <strong>Eckernförde</strong><br />
bernstein <strong>11</strong> | 2007