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Rosemarie Nöthlich · Olaf Breidbach · Uwe Hoßfeld Wissenschaftspopularisierung<br />

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Rosemarie Nöthlich · Olaf Breidbach · Uwe Hoßfeld Wissenschaftspopularisierung<br />

Rosemarie Nöthlich · Olaf Breidbach · Uwe Hoßfeld<br />

»Was ist die Natur?« 1<br />

Einige Aspekte zur Wissenschaftspopularisierung in Deutschland<br />

Was ist die Natur? … so lautet der Titel eines populärwissenschaftlichen Essays,<br />

welches 1907 im Berliner Georg Bondi-Verlag erschien. Dessen Autor, Wilhelm<br />

Bölsche, war einer der erfolgreichsten populärwissenschaftlichen Schriftsteller<br />

seiner Zeit. Sein volkstümliches Schrifttum – allein seine Kosmosbändchen erreichten<br />

eine Gesamtauflagezahl von 1,5 Millionen Exemplaren – ist ein bedeutender<br />

Bestandteil einer Popularkultur der Naturwissenschaften, die im endenden<br />

19. Jahrhundert mit einer zum Teil auch direkt weltanschaulichen Ausrichtung<br />

2 entstand und u.a. durch naturwissenschaftliche Vereine und Lesekreise,<br />

Wilhelm Bölsche, ca. 1900 (Nachlaß Frau Dr. Erika Krauße)<br />

1 Bölsche, Wilhelm, Was ist die Natur? Berlin 1907.<br />

2 Vgl. hierzu vor allem die Arbeiten von Andreas Daum, Wissenschaftspopularisierung im 19. Jahrhundert:<br />

Bürgerliche Kultur, naturwissenschaftliche Bildung und die deutsche Öffentlichkeit. München 1998;<br />

Angela Schwarz, Der Schlüssel zur modernen Welt: Wissenschaftspopularisierung in Großbritannien und<br />

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Rosemarie Nöthlich · Olaf Breidbach · Uwe Hoßfeld Wissenschaftspopularisierung<br />

über öffentlich zugängliche Museen, Bibliotheken und zoologische Gärten getragen<br />

wurde. Um 1900 gewinnt diese Popularisierung der Wissenschaften nicht<br />

nur mit Bölsche einen bedeutenden Aufschwung. Es ist sogar zu fragen, ob nicht<br />

erst mit der Periode des ausgehenden 19. Jahrhunderts überhaupt solch eine<br />

Wissenschaftspopularisierung entstanden ist. Die Popularisierung zielt auf eine<br />

im wissenschaftsinternen Dialog nicht mit umfaßte Gemeinschaft möglicher<br />

Adressaten wissenschaftlicher Inhalte und Ergebnisse. Sie grenzt also einen innerwissenschaftlichen<br />

und einen außerwissenschaftlichen Raum voneinander ab,<br />

d.h. die Popularisierung der Wissenschaften geht mit der Professionalisierung<br />

der Wissenschaften und damit einer entsprechenden Eingrenzung eines innerwissenschaftlichen,<br />

dann zu popularisierenden Diskussionszusammenhanges<br />

einher bzw. setzt diese voraus. Popularisierung und Professionalisierung der<br />

Wissenschaften weisen sich von daher nicht als bloßes add on zu einer Wissenschaftsdiskussion<br />

aus. Sie stehen in direktem Bezug zu den und sind selbst Effekt<br />

der strukturellen Veränderungen des Kommunikationsraumes, den wir als<br />

wissenschaftlich attributieren.<br />

Interessanterweise ist zudem um 1900 diese Popularisierung nicht eine einfache<br />

Fortführung alter Review Strategien, wie etwa solcher Organe wie der Jenaer<br />

ALZ 3 , die ein umfassendes Spektrum von Interessenten bedienen. Diese<br />

Wissenschaftspopularisierung wird vielmehr explizit als solch eine Popularisierung<br />

angelegt, die sich ihre Rezipienten auch regelrecht rekrutiert. Von daher<br />

bedarf der Befund, daß parallel zu der offensiven Präsentation der Naturwissenschaften<br />

in der Öffentlichkeit das Interesse der Bevölkerung an wissenschaftlicher<br />

Bildung stetig zunahm, dann auch einer Deutung.<br />

Wird Wissenschaft hier – wie etwa im Programm einer Arbeiterbildung – explizit<br />

als Moment einer Aufklärung benutzt, die dann ein weiteres Bildungsbedürfnis<br />

induziert, oder reagiert diese Popularisierung auf ein Bedürfnis? Aufzuzeigen<br />

ist zunächst eine komplexe, miteinander verzahnte Dynamik von<br />

Wissenschaftsentwicklung, öffentlicher Diskussion, Popularisierungsversuchen<br />

und den sich für diesen Bereich des Populären neu bildenden Strukturen.<br />

Deutschland im Übergang zur Moderne (1870-1914), Stuttgart 1999; Gudrun Wolfschmidt (Hg.), Popularisierung<br />

der Naturwissenschaften, Berlin 2002; Carsten Kretschmann, Wissenspopularisierung. Konzepte<br />

der Wissensverbreitung im Wandel, Berlin 2003.<br />

3 Die »Allgemeine Literatur-Zeitung« erschien zwischen 1785-1849, um 1800 etablierte sie sich zu einem<br />

der führenden literaturkritischen, auch naturwissenschaftliche Texte und Arbeiten besprechenden, Revieworgan.<br />

Vgl. Die Ergebnisse des Teilprojektes C 3 »Zeitschriften und Periodika« des SFB 482 »Ereignis<br />

Weimar-Jena-Kultur um 1800« (http://www.uni-jena.de/ereignis/index.htm).<br />

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Rosemarie Nöthlich · Olaf Breidbach · Uwe Hoßfeld Wissenschaftspopularisierung<br />

Um 1900 erschienen allgemeinbildende Zeitschriften und Rubriken, wurden<br />

preiswerte Buchreihen gedruckt und belebten Lesezirkel sowie zahlreiche Vortragsangebote<br />

das öffentliche Bildungsangebot. Das Wort »populär« als Synonym<br />

für allgemeinverständlich, anschaulich oder sprachliche Vereinfachung fand in<br />

zunehmendem Maße Eingang in den deutschen Sprachraum. 4 Während sich<br />

einerseits eine moderne naturwissenschaftliche Fachsprache entwickelte, war die<br />

Forderung nach Allgemeinverständlichkeit, wie Bölsche es ausdrückte: »die ›Übersetzung‹<br />

des Fachjargons in verständlichen Bildungston.« 5<br />

Zentrale Bedeutung im Popularisierungskontext hatte die Evolutionslehre<br />

Darwins, die, propagiert durch den Zoologen Ernst Haeckel (1834-1919), im<br />

deutschen Sprachraum bis in die Bereiche von Philosophie, Religion, Literatur<br />

und Design diskutiert und dort auch umgesetzt wurde. Dabei wirkte der Jenaer<br />

Zoologe nicht allein durch seine eigenen, publizistisch zum Teil äußerst erfolgreichen<br />

Arbeiten, er war vielmehr von einem ganzen Kreis von Popularisatoren<br />

aus unterschiedlichen sozialen Kontexten umgeben. Die Diskussion um die<br />

Evolutionslehre Darwins wurde im zunehmenden Maße von Popularisatoren oder<br />

»Bildungsvermittlern« 6 geführt. Mit diesem populärwissenschaftlichen Schrifttum<br />

wurde nicht nur das Bild der Naturwissenschaften, sondern auch die Kultur<br />

der Naturwissenschaften im beginnenden 20. Jahrhundert geprägt. Neben<br />

den Schriftstellern Wilhelm Bölsche (1861-1939) und Carus Sterne (1839-1903)<br />

waren dessen wichtigste Vertreter im unmittelbaren Umfeld Haeckels der Verleger<br />

Wilhelm Breitenbach (1856-1937), der Zoologe Walter May (1868-1926)<br />

und der Schriftleiter Carl W. Neumann (1871-1939).<br />

Diese Popularisatoren bedienten unterschiedliche »Gruppen von Rezipienten«,<br />

wobei die Verzahnung und die Abgrenzung dieser Rezeptionskreise und somit<br />

die Konturen einer Popularkultur der Naturwissenschaften noch nachzuzeichnen<br />

sind. 7 Bölsche war ein im Kontext der Arbeiterbewegung wirkender Schrift-<br />

4 Zur Begriffsbestimmung »populär« vgl. Andreas Daum, Wissenschaftspopularisierung (wie Anm. 2), hier<br />

33-41; Carsten Kretschmann, Wissenspopularisierung (wie Anm. 2), 8; Christian Hünemörder, Vorwort,<br />

in: Gudrun Wolfschmidt, Popularisierung, (wie Anm. 2), 15.<br />

5 Wilhelm Bölsche, Volkstümliche Naturwissenschaft. Kosmos. Handweiser für Naturfreunde, Jg. 9, H. 7,<br />

235-240, hier 240.<br />

6 Andreas Daum,, Wissenschaftspopularisierung (wie Anm. 2), 377.<br />

7 Ein am Ernst-Haeckel-Haus begonnenes DFG-Projekt (BR 978/7-2) befaßt sich mit dem Thema<br />

»Wissenschaftspopularisierung in Deutschland«. Mit dieser Studie soll eine umfassende Analyse der Popularisierung<br />

der Ideen Haeckels erfolgen und damit ein Zugang zur Frage der strukturellen Bedingungen<br />

und der Konsequenzen der Wissenschaftspopularisierung um 1900 gewonnen werden. Dabei gilt es<br />

zu analysieren, inwieweit in dieser Transformation des Haeckelschen Biologismus für die einzelnen Gruppen<br />

spezifische Akzentuierungen in der Vermittlung von evolutionsbiologischem Wissen und in der Diskussion<br />

der weltanschaulichen Unterfütterung der Haeckelschen Lehren festzustellen sind.<br />

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Rosemarie Nöthlich · Olaf Breidbach · Uwe Hoßfeld Wissenschaftspopularisierung<br />

steller, Breitenbach entstammte und schrieb für das Kleinbürgertum, May war<br />

ein für Akademiker schreibender Akademiker.<br />

Nun lassen sich zum Beispiel für Bölsche vielfältige Kontakte zu einer an sich<br />

doch heterogenen und breiten Popularisatorenschicht nachweisen. Es existieren<br />

Verbindungen zu den Kosmosautoren Kurt Floericke (1869-1934) und Raoul<br />

Francé (1874-1943). Bölsche pflegte darüber hinaus einen engen Austausch mit<br />

dem Zoologen und Journalisten Otto Zacharias (1846-1916) sowie mit dem Berliner<br />

Zoodirektor Ludwig Heck (1860-1951), aber auch Kontakte mit dem Protagonisten<br />

des deutschen Naturschutzes Hugo Conwentz (1855-1922), mit dem<br />

Afrikaforscher Carl Georg Schillings (1865-1921) und dem Gründer des ersten<br />

deutschen Schulkinos Georg E. F. Schulz (1875-1955). 8<br />

Auch Breitenbach besaß ähnlich umfassende Kontakte zu Wissenschaftlern und<br />

anderen Wissenschaftsvermittlern. Aus diesen Verbindungen rekrutiert Breitenbach<br />

dann die Autoren seiner Zeitschrift »Neue Weltanschauung«. Persönliche<br />

Kontakte und schriftstellerische Initiative greifen hier ineinander. Dabei wird<br />

deutlich, daß sich die Bereiche der Popularisierung und der Wissenschaft auch<br />

um 1900 keinesfalls klar abgrenzen lassen. In den Kommunikationsnetzen zeigen<br />

sich die Autoren von Wissenschafts- und Popularkultur eng miteinander<br />

verwoben. Die populärwissenschaftliche Arbeit ist somit einerseits in den Wissenschaften<br />

verankert. Andererseits bemühen sich die Popularisatoren aber auch<br />

um ihr Publikum, sie strukturieren dabei ihren Bereich der Rezipienten – schon<br />

durch die Wahl der Präsentationsform, Buch, Heft oder Rede – vor. Es bleibt<br />

aufzuweisen, inwieweit die verschiedenen Zielgruppen der Popularisatoren voneinander<br />

abgesetzt bleiben, oder sie sich in ihrer inhaltlichen Bündelung wieder<br />

treffen.<br />

242<br />

Reflexionen zur Forschungslage<br />

Mit der Monographie von Andreas Daum im Jahre 1998 zur Wissenschaftspopularisierung<br />

im 19. Jahrhundert wurden die strukturellen Rahmenbedingungen<br />

zur Kennzeichnung einer Popularkultur der Naturwissenschaft um 1900<br />

erstmals umfassend dargelegt. 9 Daum zeigt auf, welche Bedeutung dieser Popularisierung<br />

nicht nur für die Vermittlung wissenschaftlicher Inhalte und damit<br />

für die Entwicklung einer Wissenschaftskultur, sondern auch für die Prägung<br />

8 Für eine erste Einordnung des Verhältnisses von Bölsche zu den Naturschutzprotagonisten vgl. Rosemarie<br />

Nöthlich, Naturschutz bei Bölsche (in Vorbereitung).<br />

9 Vgl. Andreas Daum, Wissenschaftspopularisierung (wie Anm. 2).


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Rosemarie Nöthlich · Olaf Breidbach · Uwe Hoßfeld Wissenschaftspopularisierung<br />

des soziokulturellen Kontextes durch die Wissenschaften zukam. Daum macht<br />

deutlich, daß diese Popularisierung Teil eines emanzipatorischen Bildungsprogrammes<br />

war, über das den Wissenschaften, sogar unabhängig von ihren konkreten<br />

Inhalten, als »Futter« entsprechender Popularisatoren eine direkt politische<br />

Bedeutung zukam. Für die Jahrzehnte nach 1914 fehlt hier aber eine eingehendere<br />

Untersuchung. Bekannt ist, daß sich nach 1918 die Darstellungen der<br />

Popularisatoren den Biowissenschaften und hierin insbesondere den durch Haekkel<br />

geprägten Vorstellungsgefügen widmeten, respektive die Protagonisten einer<br />

entsprechenden Popularkultur die Diskussion dominierten.<br />

Einer dieser Popularisatoren, Wilhelm Bölsche, wurde in seiner Bedeutung für<br />

die Popularkultur schon eingehender bewertet. 10 Über seine zahlreichen Veröffentlichungen<br />

im Kosmos-Verlag sowie durch seine, ein weites Themenspektrum<br />

abdeckenden Artikel und Vorträge prägte er das Naturbild und Wissenschaftsverständnis<br />

von Generationen und avancierte zum erfolgreichsten Sachbuchautor<br />

seiner Zeit. 11 Die kulturgeschichtliche Bedeutung des mit dem Namen Bölsche<br />

untrennbar verbundenen Friedrichshagener Kreises zeigt die Arbeit von Cepl-<br />

Kaufmann & Kauffeldt 12 und weist auf die über den künstlerischen Rahmen<br />

hinausgehenden Einflüsse bei der Popularisierung wissenschaftlicher wie weltanschaulicher<br />

Ideen insbesondere im Kontext der Lebensreform-Bewegung hin.<br />

Das weitgefächerte Spektrum dieser Bewegung wird in den zur Darmstädter<br />

Lebensreform-Ausstellung 2001 herausgegebenen beiden Katalogbänden ersichtlich.<br />

13 Es zeigt sich hierbei, daß in der Situation um 1900 die Popularisierung<br />

naturwissenschaftlicher Positionen und insbesondere die über die monistische<br />

Bewegung auch strukturell außerhalb der Wissenschaften verankerte Haeckelsche<br />

Position eines Biologismus zentrale Bedeutung in einer sich eben im Verweis auf<br />

10 Antoon Berentsen, Vom Urnebel zum Zukunftsstaat: Zum Problem der Popularisierung der Naturwissenschaften<br />

in der deutschen Literatur (1890-1910). (Studien zu deutscher Vergangenheit und Gegenwart,<br />

Bd. 2.) Berlin 1986. Alfred Kelly, The descent of Darwin. The popularization of Darwinism in Germany,<br />

1860-1914. Chapel Hill 1981. Rosemarie Nöthlich, Ernst Haeckel – Wilhelm Bölsche, Berlin 2002. Der<br />

zum Briefwechsel gehörige Kommentarband wird in absehbarer Zeit erscheinen. Die kulturgeschichtliche<br />

Bedeutung der Person Bölsches unterstreicht auch die Tatsache, daß jetzt an der Freien Universität<br />

Berlin (Prof. Dr. Roloff) die Gesamtedition der Werke und Briefe von Bölsche begonnen hat.<br />

11 Bölsches Wirken blieb bis in die sechziger Jahre bekannt. Die Kosmos-Franckhsche Buchhandlung stiftete<br />

anlässlich des 100. Geburtstages von Bölsche einen nach ihm benannten Preis für besondere Verdienste<br />

bei der Verbreitung naturwissenschaftlicher Kenntnisse, den namhafte Persönlichkeiten erhielten.<br />

Preisträger waren u.a. Konrad Lorenz (1962), Bernhard Grzimek (1964), Adolf Butenandt (1966)<br />

und Irenäus Eibl-Eibesfeldt (1971).<br />

12 Gertrude Cepl-Kaufmann/Rolf Kauffeldt, Berlin-Friedrichshagen. Literaturhauptstadt um die Jahrhundertwende,<br />

Der Friedrichshagener Dichterkreis, o.O., 1994.<br />

13 Kai Buchholz/Rita Latocha/Hilke Peckmann u.a. (Hrsg.), Die Lebensreform, Entwürfe zur Neugestaltung<br />

von Leben und Kunst um 1900, Bd. 1/2. Darmstadt 2001.<br />

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Rosemarie Nöthlich · Olaf Breidbach · Uwe Hoßfeld Wissenschaftspopularisierung<br />

die neuen Naturwissenschaften reformierenden Kultur hatten: So war etwa der<br />

Herausgeber der »Jugend«, Georg Hirth (1841-1916), 14 Gründungsmitglied des<br />

von Haeckel initiierten Monistenbundes. 15<br />

Bisher vorliegende Analysen der Rezeption der Evolutionsbiologie in der Philosophie<br />

und der Theologie des englischen Sprachraumes zeichnen hierbei eine<br />

nur bedingt auf den deutschen Sprachraum zu übertragende Situation auf. 16<br />

Daneben gewannen die sogenannten Vulgärmaterialisten Carl Vogt, Ludwig<br />

Büchner und Jacob Moleschott – und damit die Situation einer außeruniversitären<br />

Diskussion um die Naturwissenschaften – schon vor 1870 eingehenderes Interesse.<br />

17 Insgesamt wurde hierbei die auch von Daum detaillierter nachgezeichnete<br />

Umschichtung in dem Kreis der Rezipienten einer Naturwissenschaft, von einer<br />

bei Lorenz Oken durchaus noch politisch verstandenen Vereinigung deutscher<br />

Wissenschaftler in einen sich als zusehends offener verstehenden sozialen Raum,<br />

14 Vgl. auch Ingeborg Haeger, Georg Hirth und sein naturphilosophisches Werk. Diss., Berlin 1980.<br />

15 Heiko Weber, Monistische und antimonistische Weltanschauung, Eine Auswahlbibliographie, Ernst-<br />

Haeckel-Haus-Studien, Monographien zur Geschichte der Biowissenschaften und Medizin. Berlin 2000.<br />

16 Die strukturellen Bedingungen in der Organisation der Wissenschaft im deutschen und englischen Sprachraum<br />

sind nur bedingt zu vergleichen. Vgl. hierzu u.a. Peter Bowler, Life´s Splendid Drama: Evolutionary<br />

Biology and the reconstruction of Life´s Ancestry, 1860-1940. Chicago 1996; Rüdiger vom Bruch/A. Rainer<br />

Müller (Hg.), Außerstaatliche Wissensförderung im 19. und 20. Jahrhundert. Deutschland im europäischen<br />

Vergleich, Stuttgart 1990. Rüdiger vom Bruch, Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin, Vom Modell<br />

»Humboldt« zur Humboldt-Universität 1810 bis 1949, in: Alexander Demandt (Hg.): Stätten des Geistes.<br />

Große Universitäten Europas von der Antike bis zur Gegenwart. Köln 1999, 257-278. A. Rainer<br />

Müller, Vom Ideal der Humboldt-Universität zur Praxis des wissenschaftlichen Großbetriebes. Zur Entwicklung<br />

des deutschen Hochschulwesens im 19. Jahrhundert, in: Bosbach, Fr. u.a. (Hrsg.), Prinz Albert<br />

und die Entwicklung der Bildung in England und Deutschland im 19. Jahrhundert. München 2000.<br />

Die Institutionalisierungsbedingungen von Wissenschaft und damit auch deren öffentliches Umfeld sind<br />

in England bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts speziell für die Biowissenschaften im Umfeld Darwins<br />

gut untersucht. Nicolaas Rupke, Richard Owen. Victorian Naturalist. London 1994. Ders., Goethe und<br />

Alexander von Humboldt, in: Mittler, Elmar (Hg.), »Göthe ist schon mehrere Tage hier, warum weiss<br />

Gott und Göthe«, Vorträge zur Ausstellung »Der gute Kopf leuchtet überall hervor« – Goethe, Göttingen<br />

und die Wissenschaft. Göttinger Bibliotheksschriften, Nr. 13, 197-210, Göttingen 2000; David Knight,<br />

The making of the chemist: the social history of chemistry in Europe, 1789-1914. Cambridge: 1998.<br />

Franz Bosbach u.a. (Hg)., Prinz Albert und die Entwicklung der Bildung in England und Deutschland<br />

im 19. Jahrhundert. München 2000.<br />

Für den deutschen Sprachraum liegen mit den frühen Arbeiten von Everett Mendelsohn, Sciences and<br />

cultures: anthropological and historical studies of the sciences. Dordrecht 1983 und den Studien von Lynn<br />

K. Nyhart, Biology takes Form: Animal Morphology and the German Universities, 1800-1900. Chicago<br />

1995; Economic and Civic Zoology in Late Nineteenth-Century Germany: The »living Communities«<br />

of Karl Moebius. – Isis, 1998, 89: 605-630, speziell für die Biowissenschaften entsprechende Studien vor.<br />

17 Kurt Bayertz, Spreading the Spirit of Science: Social Determinants of the Popularization of Science in<br />

19th-century Germany, in: Terry Shinn/Richard Whitley (Hg.), Expository Science: Forms and Functions<br />

of Popularization, Dordrecht 1985, 209-227; Christoph Kockerbeck, Carl Voigt – Jacob Moleschott – Ludwig<br />

Büchner – Ernst Haeckel, Briefwechsel. Marburg 1999.<br />

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Rosemarie Nöthlich · Olaf Breidbach · Uwe Hoßfeld Wissenschaftspopularisierung<br />

deutlich. 18 Gegen Ende des 19. Jahrhunderts nutzte dann etwa Bölsche die Naturwissenschaften<br />

explizit als ein für die unteren sozialen Gruppen zugängliches<br />

Bildungsinstrument. 19 Bölsche gehörte auch zu den Gründungsinitiatoren einer<br />

Freien Deutschen Hochschule, der ersten Volkshochschule Deutschlands. Dieses<br />

initiierte neue Bildungsverständnis führte dann in seiner ästhetischen Umsetzung<br />

bis in den Naturalismus von Gerhart Hauptmann. 20 »Naturwissenschaft<br />

verband sich im populärwissenschaftlichen Diskurs unabdingbar mit Kunst« 21 ,<br />

ihre Umsetzungen im ästhetischen, literarischen wie künstlerisch-stilistischen<br />

Bereich sind vielfältig. Zu beachten sind hier nicht nur die von Haeckels »Kunstformen«<br />

beeinflussten Werke Hermann Obrists (1862-1927) und Hendrik<br />

Berlages (1856-1934), 22 sondern eben auch beispielsweise im Verlagswesen die<br />

neuorientierte Buchgestaltung, 23 die neuartige Präsentation der Vorträge mittels<br />

Lichtbildern oder eben auch die Illustration der volkstümlichen Schriften. Hier<br />

ist z.B. die Gestaltung der Farbtafeln und Zeichnungen des Urania-Mitarbeiters<br />

Heinrich Harder (1858-1935) in den Werken Wilhelm Bölsches beachtenswert.<br />

Die neuen Bildungsvereine, aber auch Institutionen, wie die sich im Laufe des<br />

19. Jahrhunderts formierenden Zoologischen Gärten, trugen die Naturwissenschaften<br />

in eine breite Öffentlichkeit. 24 Eine konzisere Bestimmung der naturwissenschaftlichen<br />

Bildung für die deutsche Öffentlichkeit steht allerdings noch<br />

in den ersten Anfängen. Im Kontext der Naturästhetik liegen hier mit den Ar-<br />

18 Vgl. hierzu auch Kathrin Stiefel, Zwischen Naturphilosophie und Wissenschaftspolitik: Zum Profil der<br />

Isis oder Encyklopädischen Zeitschrift von Oken als naturwissenschaftliches Publikationsorgan in den<br />

Jahren 1817 bis 1822. Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 26, 2003, 33-56.<br />

19 Wilhelm Bölsche, Das Liebesleben in der Natur. Eine Entwickelungsgeschichte der Liebe. Leipzig, Jena<br />

1898-1903.<br />

20 Hartmut Baseler, Gerhart Hauptmanns soziales Drama »Vor Sonnenaufgang« im Spiegel der zeitgenössischen<br />

Kritik. Eine rezeptionsgeschichtliche Modellanalyse: Karl Frenzel, Theodor Fontane, Karl<br />

Bleibtreu, Wilhelm Bölsche. Kiel 1993. Günter Schmidt, Die literarische Rezeption des Darwinismus.<br />

Das Problem der Vererbung bei Émile Zola und im Drama des deutschen Naturalismus. Berlin, 1974.<br />

21 Andreas Daum, Das versöhnende Element in der neuen Weltanschauung, Entwicklungsoptimismus, Naturästhetik<br />

und Harmoniedenken im populärwissenschaftlichen Diskurs der Naturkunde um 1900, in: Volker<br />

Drehsen/Helmut Zander, Vom Weltbildwandel zur Weltanschauungsanalyse. Krisenwahrnehmung und<br />

Krisenbewältigung um 1900. Berlin 1996, hier 209.<br />

22 Vgl. hierzu u.a. Erika Krauße, Popularisierung der Biologie unter dem Einfluß Haeckels, in: Gudrun<br />

Wolfschmidt, Popularisierung der Naturwissenschaften (wie Anm. 2), hier 146-147,<br />

23 So setzte sich hier vor allem Bölsches Verleger Eugen Diederichs für neue Wege in der Buchgestaltung ein<br />

Vgl. hierzu Antoon Berentsen, Vom Urnebel zum Zukunftsstaat, (wie Anm. 10), 145 sowie Irmgard Heidler,<br />

Buchgestaltung im Eugen Diederichs Verlag bis 1904. Magisterarbeit, 1977 Universität München. Dies.,<br />

Der Verleger Eugen Diederichs und seine Welt (1896-1930). Wiesbaden 1998.<br />

24 Lothar Dittrich/Dietrich von Engelhardt/Annelore Rieke-Müller (Hg.), Die Kulturgeschichte des Zoos. Berlin<br />

2001, Mitchell Ash/Christian Stifter, Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit. Von der Wiener Moderne<br />

bis zur Gegenwart. Wien 2002.<br />

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Rosemarie Nöthlich · Olaf Breidbach · Uwe Hoßfeld Wissenschaftspopularisierung<br />

beiten von Kockerbeck und Krauße 25 erste orientierende Studien vor, die aber<br />

die Frage der Rezipienten einer entsprechend popularisierten Wissenschaft bisher<br />

nur tangierten. Für das ausgehende 19. Jahrhundert suchen derzeit Kurt<br />

Bayertz und Walter Jaeschke in einer Serie von Veranstaltungen am Zentrum für<br />

Interdisziplinäre Forschung in Bielefeld diesen Themenbereich eingehender zu<br />

bestimmen. 26 Offen bleibt dabei noch eine Kennzeichnung der umfassenden Umschichtung<br />

der Rezipienten naturwissenschaftlicher und speziell evolutionsbiologischer<br />

Aussagen um 1900. Nahezu unthematisiert blieb ebenso die Entwicklung<br />

nach 1918. Ist doch die Organisation nicht aus Wissenschaftskreisen<br />

stammender Interessierter, wie sie etwa im Humboldtverein, im Monistenbund<br />

oder in der Urania greifbar wird, in dieser Art und mit einer explizit auf die Naturwissenschaften<br />

zielenden Ausrichtung neu. 27 Zudem wäre – und hier geben die<br />

Beiträge des Darmstädter Kataloges zur Lebensreform erste exemplarische Ansätze<br />

– der sozialen Diversifizierung eines entsprechenden Rezeptionsprogrammes<br />

zwischen Arbeiterschaft, Bildungsbürgertum und den nicht naturwissenschaftlich<br />

tätigen Wissenschaftlern noch gesondert nachzuspüren. Es zeigt sich – wie dies<br />

Peter Bowler darstellen konnte 28 – daß speziell das evolutionsbiologische Vokabular<br />

schon vor 1900 etwa mit dem Term eines Sozialdarwinismus politisiert<br />

wurde. Derart arbeitet eine entsprechende Terme nutzende Theorie zumindest<br />

mit den Bildern einer Naturwissenschaft, deren Geltungsanspruch sie in einer<br />

öffentlichen Diskussion vereinnahmt. Die Frage einer Wissenschaftspopularisierung<br />

gewinnt in diesem Kontext so eine sehr eigene Kontur. Die entsprechende<br />

Bedeutung Haeckels und seines wissenschaftlichen Umfeldes – bearbeitet etwa<br />

25 Christoph Kockerbeck, Ernst Haeckels »Kunstformen der Natur« und ihr Einfluß auf die deutsche bildende<br />

Kunst der Jahrhundertwende, Studie zum Verhältnis von Kunst und Naturwissenschaften im Wilhelminischen<br />

Zeitalter. Frankfurt/Main 1986; Ders., Die Schönheit des Lebendigen, Ästhetische Naturwahrnehmung<br />

im 19. Jahrhundert. Böhlau: Wien. Erika Krauße, Haeckel: Promorphologie und<br />

»evolutionistische« ästhetische Theorie – Konzept und Wirkung, in: Engels, Eve-Marie (Hrsg.): Die Rezeption<br />

von Evolutionstheorien im 19. Jahrhundert. Frankfurt/Main, 1996, 347-394. Dies., Naturform<br />

als Kunstform – Kunstformen der Natur. Ernst Haeckels Einfluß auf Architekten des Jugendstils. in: K.<br />

Buchholz/R. Latocha/H. Peckmann (Hrsg), Die Lebensreform. Entwürfe zur Neugestaltung von Leben<br />

und Kunst. Institut Mathildenhöhe Darmstadt 2001. Bd. 1, 283-290.<br />

26 Diese Veranstaltungen umfassen Tagungen zum Thema Naturwissenschaft, Philosophie und Weltanschauung,<br />

wobei Diskussionen um den Materialismus-, Darwinismus- und Ignorabimus-Streit im 19. Jahrhundert<br />

im Mittelpunkt der einzelnen Diskussionsforen stehen.<br />

27 Gerhard Ebel/Otto Lührs, Urania – eine Idee, eine Bewegung, eine Institution wird 100 Jahre alt ! – in:<br />

100 Jahre Urania. Festschrift Wissenschaft heute für morgen. Hrsg. von der URANIA Berlin e.V. 1988,<br />

Berlin. 15-70.<br />

28 Peter Bowler, The Eclipse of Darwinism: Anti-Darwian Evolution Theories in the Decades around 1900.<br />

Baltimore 1983.<br />

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Rosemarie Nöthlich · Olaf Breidbach · Uwe Hoßfeld Wissenschaftspopularisierung<br />

durch die Studien von Gasman 29 zu Haeckel oder aber in den Analysen des Eugenik-Programmes<br />

von Auguste Forel – wurde zumindest in Ansätzen nachgezeichnet.<br />

Die Bedeutung von dessen Popularisatoren und der durch sie initiierten<br />

Popularkultur einer Naturwissenschaft blieb in diesem Problemkontext bisher<br />

aber ausgeblendet.<br />

Der Ansatz, den Angela Schwarz in ihrer Studie zur Wissenschaftspopularisierung<br />

in Großbritannien und Deutschland schließlich gewann, zielt vor allem auf<br />

die neuen Kommunikationstechnologien und damit auf die Möglichkeiten, in<br />

einer »Big Society« auch die »Big Science« – um eine Terminologie von Solla Price<br />

aufzunehmen – zu etablieren. 30 Eingehendere Analysen der in diesem Kommunikationsgefüge<br />

transportierten Inhalte fehlen; die Ansätze, die Goschler in seinem<br />

Sammelband für den Wissenschaftsraum Berlin und die Ash und Stifter für<br />

den Raum Wien vorstellten, zeigen ein Diskussionsgefüge auf, in dem das Verhältnis<br />

von Wissenschaft und Öffentlichkeit in dem Zeitraum zwischen 1870<br />

und 1914 bestimmt wurde. 31 Hiermit sind erste Ansätze formuliert, die die Wandlung<br />

des Präsentationsrahmens von Wissenschaft im Raum Berlin und Wien zum<br />

Teil detailliert nachzeichnen und damit strukturgeschichtliche Rahmenbedingungen<br />

für eine eingehendere Studie von Wissenschaft und Öffentlichkeit um<br />

1900 aufzeigen. 32<br />

Die Analyse der Arbeiten von Wilhelm Bölsche zeigt demgegenüber einen<br />

Wissenschaftspopularisator, der in enger Kooperation mit einem der führenden<br />

29 Daniel Gasman, The Scientific Origins of National Socialism. Social Darwinism in Ernst Haeckel and<br />

the German Monist League. London 1971. Ders., Haeckel’s Monism and the Birth of Fascist Ideology.<br />

New York 1988. Heiko Weber, Der Monismus als Theorie einer einheitlichen Weltanschauung am Beispiel<br />

der Positionen von Ernst Haeckel und August Forel, in: Paul Ziche (Hrsg.), Monismus um 1900.<br />

Berlin 2000, 81-128<br />

30 Angela Schwarz, Der Schlüssel zur modernen Welt (wie Anm. 2).<br />

31 Constantin Goschler (Hrsg.), Wissenschaft und Öffentlichkeit in Berlin. Stuttgart 2000. Mitchell Ash/Christian<br />

Stifter, Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit (wie Anm. 24).<br />

32 Wie dagegen die Wahrnehmung der Spezialwissenschaften im populären Zeitschriftenumfeld Frankreichs<br />

erfolgt – und damit eine andere Sichtweise des Popularisierungskontextes – untersuchen die Arbeiten<br />

von Matthias Dörries. Matthias Dörries, Sciences historiques – sciences de la nature. Ernest Renans Verhältnis<br />

zu den Naturwissenschaften, in: Jochen Brüning/Friedrich Niewöhner (Hrsg.), Ernest Renan. Werk<br />

und Wirkung eines nationalen Kosmopoliten. Berlin [im Druck]. Ders.: The public face of science: François<br />

Arago. – In Battló, Josep: Actes de la v Trobadas d´historia de la Ciencia i de la Tecnica. Societat<br />

Catalana d´Historia de la Ciencia i de la Tecnica. Barcelona: Institut d´Estudis Catalans [im Druck]. Ders.<br />

(Hrsg.), Experimenting in tongues: studies in science and language. Stanford: Stanford Univ. Press [im<br />

Druck].<br />

Studien im französischen Sprachraum betrafen vor allem auch die Wissenschaftspopularisatoren Jules Verne<br />

und Camille Flammarion, und damit Figuren, die außerhalb eines eigenen Wissenschaftsraumes stehen.<br />

Vgl. Danielle Chaperon, Camille Flammarion: Entre astronomie et littérature. Paris, 1998; Peter Costello,<br />

Jules Verne, inventor of science fiction. London, 1978; Klaus Pfatschbacher, Jules Verne und der Populärroman.<br />

Frankfurt/ Main 2000.<br />

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Rosemarie Nöthlich · Olaf Breidbach · Uwe Hoßfeld Wissenschaftspopularisierung<br />

Biowissenschaftler seiner Zeit, Ernst Haeckel, ein regelrechtes Programm einer<br />

Popularisierung von dessen Ideen vorlegte. Gerade in dieser direkten Zuordnung<br />

von Wissenschaft und Popularisierung wird Haeckel auch über seine immense<br />

Bedeutung für die Wissenschaftskultur um 1900 besonders interessant. 33 Zeigte<br />

die bisher vorliegende Analyse doch eine Vielfalt von unterschiedliche soziale<br />

Schichten bedienender schriftstellerischer Tätigkeit Haeckels, 34 über die der<br />

Darwinismus nicht nur in Deutschland, sondern etwa auch im romanischen<br />

Kontext hoffähig wurde. 35 Eine umfassende vergleichende Analyse der Popularisierung<br />

der Ideen Haeckels und ein damit zu gewinnender Zugang zur Frage der<br />

strukturellen Bedingungen und der Konsequenzen der Wissenschaftspopularisierung<br />

um 1900 stehen allerdings noch aus. 36<br />

Eine vergleichende Betrachtung einzelner Wissenschaftsvermittler hinsichtlich<br />

ihrer Wirkungsspektren, Interaktionen und weiterer Faktoren ihres populärwissenschaftlichen<br />

Wirkens fehlt bisher und damit auch die vielschichtige Untersuchung<br />

der von Jena ausgehenden Impulse. Ein Vergleich ihrer populärwissenschaftlichen<br />

Arbeit verdeutlicht somit einerseits die individuellen Unterschiede<br />

in der Vermittlung naturwissenschaftlicher Bildung, andererseits über den »Verknüpfungspunkt«<br />

Haeckel aber auch die Gemeinsamkeiten.<br />

Es interessiert, inwieweit diese Popularisatoren Haeckel nutzten, um naturwissenschaftliche<br />

Bildung zu propagieren, oder aber das Interesse an den Naturwissenschaften<br />

nutzten, um die Haeckelsche Lehre zu verbreiten. Die nachfolgenden<br />

Beiträge zu Heinrich Schmidt (Hoßfeld) und Wilhelm Breitenbach<br />

(Nöthlich) sind hier als eine Ergänzung zu den bislang publizierten Untersuchun-<br />

33 Olaf Breidbach, Alle für Eines. Der Monismus als wissenschaftsgeschichtliches Problem, in: Paul Ziche<br />

(Hg.), Der Monismus. Monographien zur Geschichte der Biowissenschaften und Medizin. Berlin 2000.<br />

9-22.<br />

34 Erika Krauße, Ernst Haeckel, Leipzig 1984.<br />

35 Vgl. Maurizio Di Bartolo, Der Fall Haeckel – Angiulli. Jahrbuch für Geschichte und Theorie der Biologie;<br />

NTM, im Druck. Figuren wie der italienische Positivist und Politiker Ardigò wurden in dieser Perspektive<br />

für den italienischen Sprachraum schon eingehender untersucht: Gian Franco Frigo, Canestrini<br />

e Ardigò ossia Darwin a Padova tra scienza e filosofia, in: A. Minelli/S. Casellato, Giovanni Canestrini –<br />

Zoologist and Darwinist. Venezia 2001, Lettere ed Arti. Pp. 201-231. Gian Franco Frigo, La »formazione<br />

naturale« del pensiero in Roberto Ardirò, ossia il rapporto tra filosofia e scienzia. Padova: Quaderni per la<br />

storia dell´Università di Padova, 34, 2001, pp. 45-59.<br />

36 Ansätze finden sich in den Arbeiten von Peter Sprengel, Darwinismus und Literatur: Germanistische<br />

Desiderate. – Scientia Poetica. Jahrbuch für Geschichte der Literatur und der Wissenschaften. Bd. 1, 1997,<br />

140-182; Volker Drehsen/W. Sparn, Vom Weltbildwandel zur Weltanschauungsanalyse. Krisenwahrnehmung<br />

und Krisenbewältigung um 1900. Berlin 1996. Kurt Bayertz, Die Deszendenz des Schönen.<br />

Darwinisierende Ästhetik im Ausgang des 19. Jahrhunderts, in: Text & Kontext, Sonderreihe, Bd.<br />

20: Fin de siècle. Zu Naturwissenschaft und Literatur der Jahrhundertwende im deutsch-skandinavischen<br />

Kontext. Kopenhagen 1984, 88-110.<br />

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Rosemarie Nöthlich · Olaf Breidbach · Uwe Hoßfeld Wissenschaftspopularisierung<br />

gen zur Thematik Wissenschaftspopularisierung im Umfeld Haeckels gedacht<br />

und bieten erste Ansätze für eine weiterführende, analysierende Studie.<br />

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