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braunschweigisches jahrbuch - Digitale Bibliothek Braunschweig ...

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<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong><br />

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<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong><br />

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<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong><br />

BRAUNSCHWEIGISCHES JAHRBUCH<br />

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<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong><br />

GEDRUCKT MIT FÖRDERUNG DER<br />

HANS UND HELGA ECKENSBERGER-STIFTUNG<br />

UND DER<br />

NORDDEUTSCHEN LANDESBANK<br />

GIROZENTRALE<br />

HANNOVER-BRA UNSCHWEIG<br />

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<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong><br />

BRAUNSCHWEIGISCHES<br />

JAHRBUCH<br />

IM AUFfRAGE DES<br />

BRA UNSCIIWEIG ISCHEN GESCHICHTSVEREINS<br />

HERAUSGEGEBEN VON<br />

GÜNTER SCHEEL<br />

Der ganzen Reihe<br />

BAND72<br />

1991<br />

Selbstverlag des <strong>Braunschweig</strong>ischen Geschichtsvereins<br />

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<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong><br />

Schriftleitung:<br />

Ltd. Archivdirektor a. D. Dr. Günter Scheel, Wolfenbüttcl, Forstweg 2<br />

(Niedersächsisches Staatsarchiv)<br />

Tausch und Vertrieb der Vereinsveröffentlichungen:<br />

<strong>Braunschweig</strong>ischcr Geschichtsverein e. V.<br />

Tauschstelle<br />

3340 Wolfenbüttel, Forstweg 2<br />

(Niedersächsisches Staatsan.:hiv)<br />

ISSN 0068-0745<br />

Gedruckt in der Waisenhaus-Druckerei GmbH <strong>Braunschweig</strong><br />

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INHALT<br />

Die Grabungen an der Turnierstraße und am Eiermarkt<br />

in <strong>Braunschweig</strong>-Altstadt und der stadtarchäologische Forschungsstand<br />

von Hartrnut Rötting, <strong>Braunschweig</strong> .................... .<br />

<strong>Braunschweig</strong>er Familien als Hauseigentümer am Eiermarkt<br />

seit dem späten Mittelalter<br />

von Annette Boldt-Stülzebach, <strong>Braunschweig</strong> .<br />

Zur Geschichte des Elementarunterrichts im<br />

<strong>Braunschweig</strong>er Paulinerkloster (1480)<br />

von Dieter Neitzert, Göttingen<br />

Ernst von Schaumburg (1569-1622) und die Universität I1cImstedt<br />

von Ingrid Henze, Gehrden .................... .<br />

Kaffee und Kaffeehäuser in der Universitätsstadt HellT!stedt<br />

vom Ende des 17. bis zum Anfang des 18. Jahrhunderts<br />

von Pctcr Albrecht, <strong>Braunschweig</strong> ............. :............ 95<br />

Konserven- und Textilarbeiterinnen in der Region <strong>Braunschweig</strong><br />

um 1900<br />

von Jette Piper, Holzminden<br />

<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong><br />

Sozialdcmokratische Kommunalpolitik in <strong>Braunschweig</strong> 1919 -1933<br />

von Birgit Pollmann, <strong>Braunschweig</strong> ............. .<br />

Bibliographie zur braunschweigischen Landesgeschichte<br />

von Sibylle Weitkamp, Wolfenbüttel, Luitgard Camerer<br />

und Gundula Schmidt, <strong>Braunschweig</strong> ............................. 185<br />

7<br />

15<br />

45<br />

55<br />

. 119<br />

Chronik des <strong>Braunschweig</strong>ischen Geschichtsvereins<br />

vom Oktober 1990-0ktober 1991 ............. . 219<br />

Verstorbene Mitglieder. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 224<br />

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165


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong><br />

ANSCHRIFTEN DER AUTOREN<br />

Dr. Peter Albrecht, Inselwall2, 3300 <strong>Braunschweig</strong><br />

Dr. Annette Boldt-Stülzebach, Lortzingstr. 16, 3300 <strong>Braunschweig</strong><br />

Dr. Luitgard Camerer, Stadtbibliothek <strong>Braunschweig</strong>, Steintorwall15, 3300 <strong>Braunschweig</strong><br />

Dr. lngrid Henze, Kiebitzreihe 5, 3007 Gehrden<br />

Dieter Neitzert, Institut für Historische Landesforschung der Universität Göttingen, Platz<br />

der Göttinger Sieben 5, 3400 Göuingen<br />

Jette Piper, Bebclstr. 41, 3454 Holzminden<br />

Prof. Dr. Birgit Pol/mann, Glogaustr. 17,3300 <strong>Braunschweig</strong><br />

Prof. Hartmut Rötling, M. A., Nieders. Landesverwaltungsamt - Institut für Denkmalpflege<br />

- Außenstelle <strong>Braunschweig</strong>, Wilhelmstr. 62-69,3300 <strong>Braunschweig</strong><br />

Gundula Schmidt, Stadt bibliothek ßraunschwcig, Stcintorwa1l15, 3300 <strong>Braunschweig</strong><br />

Sibylle Weitkamp, Anna Vorwerkstr. 4, 3340 Wolfenbüttel<br />

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<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong><br />

Die Grabungen an der Turnierstraße<br />

und am Eiermarkt in <strong>Braunschweig</strong>-Altstadt<br />

und der stadtarchäologische Forschungsstand<br />

Von<br />

Hartrnut Rötting<br />

Im Rahmen der landesweiten AufgabensteIlung des Instituts für Denkmalpflege im Niedersächsischen<br />

Landesverwaltungsamt zur Archäologie des Mittelalters wird seit 1979 in<br />

Rraunschweig an einem Sonderprojekt gearbeitet, das bereits 1976 im Dezernat Denkmalpflege<br />

der Bezirksregierung eingeleitet wurde. Das Projekt verfügt gegenwärtig über Ergebnisse<br />

aus 101 stadtarchäologischen Maßnahmen.<br />

Auf der methodischen Grundlage denkmalpflegerischer, systematischer Rettungsgrabungen<br />

I) besteht eine vorrangige Zielsetztung, archäologisch-interdisziplinär erarbeitetes<br />

Ouellenmaterial zur Klärung der Vor- und Frühformen der hochmitteIalterlichen Gruppenstadt<br />

<strong>Braunschweig</strong> bevorzugt auszuwerten. Die Grabungen beiderseits der Turnierstraße<br />

und am Eiermarkt im ehemaligen Weichbild Altstadt, die in den Jahren 1985 bis<br />

1990 mit einer großen Arbeitsbeschaffungsmaßnahme des Arbeitsamtes <strong>Braunschweig</strong><br />

durchgeführt werden konnten, haben gerade zu dieser Thematik Basisfunde der funktionellen<br />

und zeitlichen Sicdlungsentwicklung erbracht 2 ).<br />

Die zunehmend überregional ausgreifende Macht der brunonischen Grafcnherrschaft<br />

3 ) und der welfischen Herzogsgewalt unter Heinrich dem Löwen im Verbund verwandtschaftlicher,<br />

reichspolitischer, wirtschaftlicher und verkehrsstruktureller Faktoren,<br />

I) Hartmut Rötting, Stadtarchäologie in <strong>Braunschweig</strong>, ein fachübergreifender Arbeitsbericht<br />

zu den Grabungen 1976-1984, hrsg. von H.-H. Möller. Forschungen der Denkmalpflege in<br />

Niedersachsen 3, Hameln 1985,60 f.<br />

2) H. Röt tin g, Die Grabungen an der Turnierstraße in <strong>Braunschweig</strong>-Altstadt. Erster Vorbericht.<br />

In: Nachrichten aus Niedersachsens Urgeschichte 56, Hildesheim 1987, 197 ff; ders., Zweiter<br />

Vorbericht. In: NNU 58, 1989,209 ff; ders., Pfosten bau - Ständerhaus -, Kemenate: Zu Baubefunden<br />

der <strong>Braunschweig</strong>er Altstadtgrabung. In: Berichte zur Denkmalpflege in Niedersachsen 1, 1991,22-<br />

28; ders. Archäologische Siedlungsbefunde zu den Vor- und Frühformen von <strong>Braunschweig</strong>. In: Ber.<br />

D'pfl. Nds. 3, 1991,100-104.<br />

J) Bemd Schneidm üllcr, Beiträge zur Gründungs- und frühen Besitzgeschichte des <strong>Braunschweig</strong>er<br />

Benediktinerklosters St. MarienJSt. Aegidien. In: <strong>Braunschweig</strong>isches Jahrbuch 67, 1986,<br />

43 f.<br />

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7


haben die Herausbildung der fünf Städte im Umfeld der Burg "Thonequarderoth" (1067)<br />

wesentlich bestimmt.<br />

Im Ansiedlungsgefüge der Räume (vgl. Abb. 1 und2) Kohlmarkt (A), Burg Dankwarderode<br />

(B), Jakobskapelle (C), Turnierstraße (Eiermarkt) (0), Echternstraße (H), Brüdernkloster<br />

(E) links der Oker und St. Marien/Aegidienkloster (F), St. Magni (G) rechts<br />

der Oker - deren entwicklungsgeschichtlicher Stellenwert intensiv und kontrovers diskutiert<br />

wurde 4 ) - verfügt bislang allein der Raum Kohlmarkt über die ältesten archäologischen<br />

Siedlungszeugnisse, die in das 9. Jahrhundert weisen 5). Sie sind einer zeittypischen<br />

dörflichen Anlage zuzuordnen, von der sich - im Grabungsgebiet ausschnitthaft erfaßt und<br />

fragmentarisch im Zustandsbefund - vier Grubenhäuser mit schlichten Feuerstellen aus<br />

Granitbruchgestein, eine Wasserstelle, Weberei und Eisengewinnung überliefert haben.<br />

Die ökonomische Basis bildeten vermutlich Fischfang, anfangs Jagd im Niederungsund<br />

Niederterrassenwald, Viehhaltung und Ackerbau auf Auenwiesen und gerodeten, humosen<br />

Sandflächen und alltägliches Hauswerk. Die aufgrund der Grabungsergebnisse und<br />

anderer Quellen unternommene Rekonstruktion der Altlandschaftsstruktur zu Siedlungsbeginn<br />

6) ließ die Uferrandlage der Ansiedlung an der Oker sicher erkennen (Abb. 1).<br />

Die archäologisch definierte "Kohlmarktsiedlung" - nach Wolfgang Meibeyer mit<br />

dem Dorf Dankwarderode zu identifizieren 7) - wird sich in der Folgezeit unter der entscheidenden<br />

Einwirkung der brunonischen Herrschaft und Burgengründung im 10. Jahrhundert<br />

weiter nach Westen auf der Niederterrasse ausgedehnt haben (Abb. 1 u. 2), zum al<br />

infolge der wohl gleichzeitigen Kirchen- und Friedhofsanlage im Raum Kohlmarkt Siedlungsgelände<br />

aufgegeben werden mußte. Denn im Grabungsgebiet, beiderseits der Turnierstraße<br />

und im näheren Umfeld der Jakobskapelle, also in Entfernungen zwischen rd.<br />

200 bis 400 m, konnten fünfGrubenhäuser in räumlich ausgreifender Streulage erfaßt werden.<br />

Aufgrund archäologisch-typologischer Merkmale, die im Hausbau und an der Keramikware<br />

aufzuzeigen sind, gehören diese Siedlungszeugnisse im Vergleich jedoch zur engeren<br />

Kohlmarktsiedlung einer jüngeren Zeitstufe an.<br />

Auch im Baubefund-Vergleich der Kirchenfolge "auf dem Kohlmarkt" mit dem Gründungsbau<br />

der "St. Jakobskapelle"8) ist diese zeitliche Abstufung zu beobachten. Das ent-<br />

4) Martin Last, Die Anfänge der Stadt <strong>Braunschweig</strong>. Mittelalterliche Tradition im Lichte<br />

moderner Forschung. In: Folgcbd. zur Festschr. Brunswiek 1031-<strong>Braunschweig</strong> 1981, hrsg. von Gerd<br />

Spies, <strong>Braunschweig</strong> 1982, 25-35.<br />

5) Rötting, vgl. Anm. 2, Her. D'pflege Nds. 3, 1991, 101 f.; ders., vgl. Anm. 1,20 ff.; ders.,<br />

Archäologische Befunde zu praestädtischen Siedlungs formen <strong>Braunschweig</strong>s vor Heinrich dem Löwen.<br />

In: Festschr. Drunswiek 1031- Draunschweig 1981, hrsg. von Gcrd Spies, <strong>Braunschweig</strong> 1981,<br />

695-723.<br />

6) H. Rötting, Mittelalterliche Baulanderschließung in <strong>Braunschweig</strong>. Mit einer Kartenbeilage.<br />

In: Ausgrabungen in Niedersachsen, Archäologische Denkmalpflege 1979-1984, hrsg. durch K.<br />

W i lhe Imi (= Ber. d. D'pfl. Nds., Beih. 1). Stuttgart 1985,243 f.; ders., vgl. Anm. 1, 16 ff.<br />

7) Wolfgang Me i beye r, Siedlungsgeographische Beiträge zur vor- und frühstädtischen Entwicklung<br />

von <strong>Braunschweig</strong>. In: <strong>Braunschweig</strong>ischesJahrbuch 67,1986,18.<br />

B) Rötti ng, wie Anm. 1, Stadtgrabungen 5, S. 63 ff. und 21, S. 113 ff. sowie zusammenfassend<br />

S.20-24.<br />

8<br />

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<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong><br />

sprechende Siedlungsumfeld zu St. Jakob, 1985 als Datierungskriterium für die Kirchenstiftung<br />

bestimmt 9), ist nun eindeutig nach den dendrochronologisch ermittelten Datierungen<br />

am ßrunnenbauholz nicht vor 1065 anzusetzen 10).<br />

Auf der Basis des archäologischen Ouellenmaterials werden Marktort, frühe Stadt<br />

und Altstadt-Ausbau cxamplariseh aufzuzeigen sein: an hand der materiellen Kultur, der<br />

datierbaren Bauformen im Brunnen-, Gebäude- und Kloakenbau wie der unterschiedlichen<br />

Grenzmarkierungen sowie ihrer jeweiligen parzellentopographischen Anordnung.<br />

Die historische Interpretation ist an diese kontinuierlich bis in die Neuzeit durchlaufenden<br />

Indikatoren gebunden. Sie konnten auf sieben Parzellen weitgehend vollständig, anteilig<br />

auf neun weiteren Parzellen ausgegraben und dokumentiert werden. Hierzu zählen vor<br />

allem die Bauten eines hölzernen, mehrgeschossigen, teil unterkellerten Wohnturmes und<br />

eines Doppelhauses aus Stein und Holz mit Speicher- und Wohn-Arbeitsteil, dem der bereits<br />

bekannte Kemenaten-Ständerbautyp im 13. Jahrhundert folgte (Abb. 3) 11).<br />

Für die Siedlungsentwicklung und deren Interpretation ab fortschreitendem 14. Jahrhundert<br />

werden zunehmend auch die überlieferten Schriftquellen heranzuziehen sein, wie<br />

dies bereits während der Grabungszeit in einer Auswahl für die Parzellen ass. 629 und 636<br />

von Annette ßoldt-Stülzebach und Marita Sterly vorgenommen werden konnte (Abb.<br />

4) 12).<br />

Der hier nachfolgende erste Ouellenbericht von Annette Boldt-Stülzebach, der bereits<br />

eine größere Parzellenfläehe im Spätmittelalter und früher Neuzeit behandelt, muß<br />

zunächst ohne archäologischen, die materielle Kultur vor allem umfassenden, Kontext erscheinen.<br />

Die interdisziplinäre Auswertung und Veröffentlichung des archäologischen<br />

Ouellenmaterials wird noch Jahre in Anspruch nehmen.<br />

9) Rötting, wie Anm. 1, S. 64.<br />

10) Rötting, wie Anm. 2, Pfostenbau, Ständerhaus, Kemenate: Zu Baubefunden '" Her.<br />

D'pf!. Nds. 1, 1991, Abb. 6, S. 27.<br />

") Rötting, Die Gebäudestruktur in Marktort und früher Stadt und ihre Herkunft: Wege in<br />

die Romantik des ostsächsischen Raumes. In Vorbereitung für 1993. Bemerkenswert ist in diesem<br />

Zusammenhang beispielsweise die entsprechende Übernahme von Wohn turm und Doppelhaus aus<br />

dem Burgen- und Pfalzenbau, die Herausbildung eines additiven Bausystems aueh in der Hausarchitektur<br />

und der Ausbau der Speicherstruktur u. a. mit einer Verdreifachung, schließlich Verfünffachung<br />

der Kellerfläche. Bestimmte archäologische Baubefunde finden ihre Bestätigung im § 66 des<br />

Sachsenspiegels (Heidclberger Handschrift, eod. Pal. Germ. 164).<br />

12) Annette Boldt, Das Hospital SI. Thomae auf dem Grundstück ass. 629 an der Heydenstraße.<br />

In: H. R ö tt i n g, Die Grabungen an der Turnierstraße in BS-Altstadt, Erster Vorbericht, NNU<br />

56, 1987, 2(,9-278. Marita S t e r I y, Zur <strong>Braunschweig</strong>er stadtgeschichtlichen Bedeutung der Parzelle<br />

ass. 636 nach den archivalischen Quellen. In: H. Rötting, s.o., Zweiter Vorbericht, NNU 58,1989,<br />

251-261.<br />

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9


Abbildungsverzeichnis 13)<br />

Abb. 1 <strong>Braunschweig</strong>. Altlandschaftsstruktur und Siedlungsbcfunde des 9. bis 12. Jahrhunderts<br />

beiderseits der Oker (Arbeitsstand 1991).<br />

Abb.2 <strong>Braunschweig</strong>. Vor- und Frühformen der Stadt (Altstadt). Siedlungsbefunde des<br />

9. bis 12. Jahrhunderts in ihrer räumlichen und funktioneIlen Verbreitung auf der<br />

westlichen und östlichen Niederterrasse.<br />

Kartengrundlage: Districtkarten der Stadt <strong>Braunschweig</strong> 1764-66 von A. C.<br />

H aac ke (Nds. Staatsarchiv WoIfenbüttcI). Stadtplan des Urkatasters nach Me ibeye<br />

r, südlicher Ausschnitt. ParzeIlen für archäologische Fund- und Bcfundverbreitung<br />

von Bebauung freigesteIlt (Arbeitsstand 1991/92).<br />

Abb.3 Im Grundriß vereinfachte, unterkeIIerte Haustypen der Siedlungsentwicklung<br />

Ansiedlung (1) - Marktort (2,3) - Frühe Stadt (3,4) des 9. bis 13. Jahrhunderts.<br />

1 Grubenhaus, 2 Pfosten-SchweIlriegel-Bau (Wohnturm), 3 Pfosten-SchweIIriegel-Bau<br />

(bzw. Ständerbau) mit rückseitig angeschobenem SteinkeIlerbau, 4<br />

Steinkemenate mit giebelständigem Vorderhaus (Ständerbau bzw. Saalgeschoßbau)<br />

und rückseitiger Kloake.<br />

Abb.4 <strong>Braunschweig</strong>-Altstadt. Grabungsgebiet beiderseits der Turnierstraße 1985-<br />

1990. ParzelIenflächen, deren Bestand an SchriftqueIIen herangezogen wurde,<br />

sind durch Raster hervorgehoben.<br />

13) Ahhildungsnachwcis: Institut für Denkmalpflege-Außenstelle <strong>Braunschweig</strong>. Grafik W.<br />

Hau, M. Triebe!.<br />

10<br />

<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong><br />

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1. Vorbemerkungen<br />

<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong><br />

<strong>Braunschweig</strong>er Familien<br />

als Hauseigentümer am Eiermarkt<br />

seit dem späten Mittelalter<br />

Von<br />

Annette Boldt-Stülzebach<br />

Wichtige Aufschlüsse für den Stadtwerdungsprozeß in <strong>Braunschweig</strong> erhoffen sich Archäologen,<br />

Historiker und an der heimischen Geschichte Interessierte von den umfangreichen<br />

und langandauernden Ausgrabungen, die seit 1985 auf dem von Heydenstraße, Turnierstraße,<br />

Eiermarkt, An der Martinikirche und PetersiIienstraße markierten Areal<br />

durchgeführt wurden, mittlerweile aber abgeschlossen sind. Doch nicht nur für diese Fragestellung<br />

sollten die vorläufigen Resultate nutzbar gemacht werden. Die archäologischen<br />

Untersuchungen und Funde auf der ausgedehnten Grabungsfläche lassen notwendig die<br />

Frage nach der archivalischen Überlieferung 1) für die ergrabcnen Parzellen erwachsen,<br />

um ergänzende Hinweise für die Eigentümer, deren soziales, berufliches und politisches<br />

Umfeld sowie für die Baustruktur der Häuser zu erhalten. Erst der ausgeweitete, interdisziplinäre<br />

Forschungsansatz vermag das Bild dieses Wohnviertels als einen lebendigen Bestandteil<br />

der Stadt und ihrer Entwicklung zu zeichnen.<br />

Wie wichtig und gewinnbringend eine solche umfassendere Fragestellung zur Erforschung<br />

der mittelalterlichen Stadtgeschichte werden kann, wenn sie auf eine breite Sachund<br />

Schriftquellengrundlage gestellt wird, zeigt die Untersuchung von A. Falk und R.<br />

Hammel 2 ) zur spätmittelalterlich - frühneuzeitlichen Geschichte der Hansestadt Lübeck.<br />

Ganze Straßenzüge und ihre Bewohnerschaft konnten hier sozialgeschichtlich bestimmt<br />

werden und infolgedessen Auskunft über die siedlungsspezifisehe Verteilung städtischer<br />

Einwohner unterschiedlicher sozialer Zugehörigkeit geben. Das Aufgreifen einer ähnlich<br />

gelagerten Fragestellung für <strong>Braunschweig</strong> resp. den Grabungsbereich um den Eiermarkt<br />

ist insofern notwendig, als hier das Wohnzentrum der Altstädter Führungsschicht seit jeher<br />

I) Sämtliche zitierten Archivalien (Beispiel: B I 23,2) befinden sich im Stadtarchiv <strong>Braunschweig</strong>.<br />

2) Quellen, Bonn 1987.<br />

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15


vermutet wurde 3 ). Trotz der Untersuchungen von S. Reidemeister 4 ) und W. Spieß5), die<br />

die Lokalisierung der Wohnsitze bedeutender <strong>Braunschweig</strong>ischer Geschlechter miteinbezogen<br />

haben, erscheint eine geziclte, quellenorientierte Bearbeitung der Parzellengeschichte<br />

um den Eiermarkt im Interesse einer Verifizierung oder Falsifizierung der genannten<br />

Vermutung erforderlich.<br />

Obwohl ein abschließender Grabungsbericht noch nicht vorliegt und dessen Ergebnissen<br />

nicht vorgegriffen werden darf, und zudem im Rahmen einer im Umfang begrenzten<br />

Untersuchung wie der vorliegenden keine erschöpfende Analyse aller erfaßten Parzellen<br />

geleistet werden kann, soll hier dennoch der Versuch unternommen werden, über die Aufzeichnungen<br />

in den Häuserbüchern H. Meicrs 6 ) hinaus zu einer detaillierteren Grundstückschronologie<br />

einerseits und einer gesellschaftlichen, politischen, beruflichen und sozialen<br />

Einordnung der Parzellenbesitzer von Nr. ass. 629 bis 632 und 449 bis 451 7 ) andererseits<br />

zu gelangen.<br />

2. Methodische Hinweise<br />

Mit dem Hinweis auf die I Iäuserbüchcr H. Meiers' ist der Ausgangspunkt dieser Studie zu<br />

<strong>Braunschweig</strong>er Geschlechtern um den Eiermarkt bezeichnet. In ihnen finden sich die in<br />

schriftlichen Quellen nachweisbaren und identifizierbaren bebauten Parzellen der gesamten<br />

Stadt sowie die namhaft zu machenden Bewohner verzeichnet, allerdings auf reine Daten-<br />

und Namensangaben reduziert. Wie eingehende Verglt.:iche der Meierschcn Chronologien<br />

mit den hier zugrunde liegenden Arbeitsergebnissen haben erkennen lassen, sind<br />

zudem einige Korrekturen und Ergänzungen für Meiers' Angaben angebracht. Das methodische<br />

Vorgehen bei der Frage nach den an Heydenstraße, Turnierstraße und Eiermarkt<br />

ansässigen Geschlechtern sah im ersten Schritt eine Überprüfung aller bei H. Meier angegebenen<br />

Belegstellen, also eine Kontrolle seiner Chronologien vor. Dabei fielen nicht nur<br />

die mitunter jahrelangen Vakanzen im Besitztum auf, sondern auch die für den Zweck der<br />

groben Übersicht völlig ausreichenden, bei der vorliegenden Studie aber unzulänglichen<br />

globalen Familienbesitzbestimmungen ohne Berücksichtigung einzelner Familienmitglieder<br />

in der zeitlichen Aufeinanderfolge auf. Darum mußte im Anschluß an die Sichtung der<br />

Häuserbücher die Suche nach ergänzenden Schriftquellen in den Beständen des <strong>Braunschweig</strong>ischen<br />

Stadt archives stehen. Die Ergebnisse der Bearbeitung von Degedingsbüehern,<br />

Testamentbüchern, Verpfändungs- und Kontraktbüchern, Gildearchiven, Schoßregistern,<br />

Dingschoßregistern, Leibgedingsbüchern, Weddeschatzbüchern und Kirchenbü-<br />

3) Exemplarisch H. Rötting, Gehäude, S. 141, und ders., Möglichkeiten, S. 94, aufgrund der<br />

reichen qualitätvollen Funde auf den Parzellen.<br />

4) S. Reidemeister, Genealogien.<br />

5) W. Spieß, Ratsherren.<br />

6) HIlI 1, 17,1 Cf.<br />

7) Zur Lage vgl. Abb. 4 aufS. 14. Es handelt sich um die Grundstücke Heydenstraße 2 (l\'r. ass.<br />

629), Turnierstraße 5 (Nr. ass. 633), 6 (Nr. ass. 632), 7 (Nr. ass. 631),8 (Nr. ass. 630), Eiermarkt/Steinmarkt<br />

("Ir. ass. 449),6 (Nr. ass. 451),7 (Nr. ass. 450).<br />

16<br />

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chern St. Martinis für die aufgeführten Parzellen können als unterschiedlich ertragreich<br />

bezeichnet werden.<br />

Für die Zeit von 1386 bis 1671 konnte mit Hilfe der Schoßregister ein nahezu lückenloses<br />

Verzeichnis der Bewohner auf den fraglichen Grundstücken angefertigt werden. Zwar<br />

bezeichnen die Einträge in den Schoßregistern eine Parzelle nicht ausdrücklich mit Lageangaben<br />

etc., die Nennung der Schoßpflichtigen erfolgt jedoch stets in einer festgelegten Reihenfolge<br />

für einen bestimmten Straßenzug (hier: St. Michaelis für Turnierstraße) in einer<br />

Bauerschaft (hier: St. Michaelis Neyburschop). Überblickt man nicht nur die Einträge für<br />

die Besitzer einer, sondern mehrerer Parzellen, wie hier geschehen, kann aufgrund der<br />

wiederkehrenden Reihenfolge der Parzellen- resp. Besitzereinträge nahezu ausgeschlossen<br />

werden, daß für einen bestimmten Zeitraum ein falscher Besitzer für ein Grundstück<br />

identifiziert und erfaßt wird. Neben der Lückenlosigkeit der Schoßregistereinträge erwies<br />

sich die in den Registereinträgen festzustellende bewußte Unterscheidung in lebenden Besitzer,<br />

Witwe und Erben resp. allgemeine Gutverschossung im Gegensatz zur persönlichen<br />

Schoßleistung als wertvoller Hinweis für das Ende individueller Besitzverhältnisse oder<br />

den Tod von Eigentümern. Gerade bei verzweigten und infolge Namensidentität in den<br />

aufeinanderfolgenden Generationen komplizierten Familienzusammenhängen war durch<br />

die Schoß re gi ster ein Anhaltspunkt für den Wechsel von einem Eigentümer auf den anderen<br />

gegeben. Durch Einbeziehung weiterer Einzelquellen (Testamente etc.) konnten die<br />

in den Schoßregistern gewonnenen Erkenntnisse überprüft werden. Sehr rasch wurde<br />

deutlich, daß die Annahme, in direkter Nähe zur Martinikirche könnte man das bevorzugte<br />

Wohnviertel von <strong>Braunschweig</strong>er Patrizier- und Ratsgeschlechtern lokalisieren, Bestand<br />

hat.<br />

3. Besitzerfolge der einzelnen Parzellen<br />

Parzelle Nr. ass. 629:<br />

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H. Meier hat in dieser großen, langgestreckten Parzelle in Nord-Süd-Ausrichtungzwischen<br />

1339 und 1348 das Vorwerk der Familie Holtnicker, wohnhaft auf Parzelle Nr. ass. 631,<br />

gesehen, und tatsächlich sprechen Belege aus den Jahren 1339 8 ) und 1348 9 ) ausdrücklich<br />

von einem Vorwerk, das als abgesonderter Hof oder Außenwerk zu verstehen ist. Eine<br />

andere Lokalisierung als auf NT. ass. 629 lassen die Nennungen und Parzellenzuweisungen<br />

der übrigen Personen in den Quellen nicht zu. Demnach befanden sich zumindest zeitweise<br />

zwei wertvolle Grundstücke gleichzeitig in der Hand nahverwandter Familienmitglieder<br />

des Patrizier- und Ratsgeschlechts Holtnicker, dessen Mitglieder überwiegend im Kaufmanns-<br />

und Gewandschneiderberuf tätig gewesen sind 10). Da dieser Familie noch einmal<br />

8) Urkundenbuch der Stadt <strong>Braunschweig</strong> (künftig: UB BS) III, S. 447, 1339, für die Brüder<br />

Hermen, David und Coneke, Söhne Conrad Holtnickcrs.<br />

9) VB BS IV, S. 274, wo vom Vorwerk Conrad Holtnickers die Rede ist.<br />

10) S. Reidemeister, Genealogien, S. 74 f.<br />

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17


im Zusammenhang mit Nr. ass. 631 Aufmerksamkeit zu schenken sein wird, mögen hier<br />

nur wenige Anmerkungen zu den namentlich bekannten Besitzern des Vorwerkes, den<br />

Brüdern David, Hermen (Hermann) und Coneke (Conrad) 11), vorausgeschickt werden.<br />

David Holtnicker ist 1351 verstorben, sein Testament weist unbeglichene Schulden aus.<br />

Das Haus und eine Wandbude hatte sich David mit seinen Brüdern geteilt, von denen<br />

zumindest Hermann als Ratsherr der Altstadt in den Jahren 1351/52 als politisch aktiv nachzuweisen<br />

ist. Noch 1350 sind die Brüder auf Nr. ass. 629 belegt 12).<br />

Danach jedoch bleiben die Besitzverhältnisse bis 1386, dem Einsetzen des Schoßregisters,<br />

undurchsichtig. Nachfolger im Besitz ist der "Junge" Kerkhof (boven dem Kerkhove)<br />

ab 1386. Aufgrund der Verschwägerung des Familienzweiges des David Holtnicker<br />

mit den Kerkhofs und der Tatsache, daß keines der Kinder ausdrücklich in den Besitz des<br />

Hauses gesetzt wird 13), ist auf einen Erbgang innerhalb des weiteren Familienumfeldes zu<br />

schließen. Bis 1410 tauchen verschiedene Mitglieder der Familie Kerkhof als Schoßptlichtige<br />

für das Anwesen auf, wenngleich sie nach Ausweis anderer Quellen zu diesem Zeitpunkt<br />

schon nicht mehr als Grundstückseigentümer zu klassifizieren sind:<br />

1386-1391 "Junge" Kerkhof<br />

1401-1403 Eylard Kerkhof<br />

1401-1407 Hinrik Kerkhof<br />

1403-1410 Margarete Kerkhof.<br />

Anhand der Ausführungen bei S. Reidemeister l4 ) kann der Junge Kerkhof als der<br />

Ratsherr Hinrik (V 4) identifiziert werden, der bis 1396 Erwähnung findet. Die Kerkhofs<br />

gehören zu den Altstädter Patrizier-und Ratsgeschlechtern, wie das Beispiel des "Jungen"<br />

Kerkhof zeigt. Beruflich waren die männlichen Familienmitglieder häufig als Kaufleute<br />

tätig 15). Belege für einen Eylard Kerkhof fehlen, während Hinrik Kerkhof (1401-1407)<br />

als Sohn des Jungen Kerkhof gelten kann. Reidemeister glaubte, in ihm den Besitzer der<br />

Parzelle bis 1415 sehen zu können, was jedoch durch die Angaben des Schoßregisters widerlegt<br />

wird. Anrechte auf das Anwesen hatte Margarete Kerkhof, Mitglied jenes verwandten<br />

Familienzweiges, dessen Wohnsitz auf Parzelle Nr. ass. 637 zu suchen ist. Eine<br />

Erklärung für die Nennung "Eylard (Kerkhof)" im Schoßregister läge möglicherweise in<br />

der Nachfolge Eylards von der Heyde als Inhaber des Anwesens, der von 1392 bis 1428 als<br />

schoßpflichtig bezeichnet wird. Die Namensvcrweehslung erscheint um so naheliegender,<br />

als Eylard, dessen Testament für 1383 belegt ist, wiederum mit den Vorbesitzern, vermutlich<br />

sogar mit beiden Familien, durch seine zwei Ehen verschwägert war 16). Als ritterbürtiges<br />

Mitglied des Patriziats und Lehensträger des Herzogs, Mitglied der Wandschneider-<br />

11) Nicht erwähnt werden die ührigen Brüder Jan (Hans) und Elias Holtnicker, vgl. dazu D.<br />

Mack, Testamente I, S. 205 ff. und 221 f., hier auch zu den nachfolgenden Ausführungen.<br />

12) UB BS I1I, S. 439.<br />

13) Vgl. D. Mack, Testamente I, S. 207 ff., drei Töchtersind in Klöster eingekauft worden, eine<br />

weitere Tochter verheiratet, weitere Kinder erwähnt David nicht.<br />

14) S. Reidemeister, Genealogien, S. 96 f.<br />

I') A.a.O.<br />

10) Vgl. D. Mack, Testamente I, S. IRI ff.<br />

lX<br />

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konnte 23 ). Lambert und Tile, Söhne des älteren Tile (gest. 1426 24», hatten das Haus gemeinsam<br />

besessen. Die Söhne Lamherts, Cord und Hans, waren wiederum als gemeinsame<br />

Nutznicßcr cingesctzt, 1469 übernahm Cord den Besitz nach einem Brand des Hauses jedoch<br />

allein 25 ): beide hatten vor dem Rat gedegeding" ... vnde vme dat vor brande hus Is<br />

forder besproken, dat Cord van evensen dat hus [ ... ] to sek genomen hefft, vnde hans syn<br />

broyder, hefft dar ane alle rechticheit de he dar ane, vnde anderem husgerade hadde, wes<br />

dar noch vnvorbrand is, vnde ok der olden schult, wurvnde by weme de is, gensliken synem<br />

broydere Corde vorlaten, syn beste dar midde to dondc. " Offensichtlich schien es Cord von<br />

Evensen dic beste Lösung, das Grundstück an Olrik Brakel, Mitglied einer Familie, die<br />

Ratmitglieder hervorgebracht hat und beruflich den Goldschmieden und Beckenwerkern<br />

zuzuweisen ist 26 ), zu veräußern. Im Besitz dieser Familie Brakel verblieb Nr. ass. 629 nur<br />

relativ kurze Zeit:<br />

1472-1480 Olrik Brakel<br />

1481-1486 Olrik Brakels Kind, für das zeitweise Hermen Schaper den Schoß entrichten<br />

muß.<br />

Bereits seit 1487 nennen die Quellen Hans von Harling als Eigentümer 27 ). Seine Tochter<br />

Mette brachte das Harlingsche Anwesen nach dem Tod des Vaters 1497 an ihren Ehemann<br />

Gerke von Pawel. In der Hand der von Pawelschen Familie verblieb es von nun an<br />

bis in das Jahr 1705, als die Erben Conrads von Pawel den gesamten Parzellenkomplex in<br />

der Heydenstraße an das Hospital St. Thomae abtraten 28). Die Besitzerfolge innerhalb der<br />

Familie stellt sich folgendermaßen dar:<br />

1494-1554 Gerke v. Pawel der Ältere, im ersten Jahr zusammen mit seinem Bruder 29 )<br />

1554-1562 Gerke von Pawel der Jüngere, Gerkes d. Ä. Sohn<br />

1568-1576 die Pawelsche, Gerkes Witwe, und Kinder, darunter Sohn Hans<br />

1572-1589 Hans von Pawcl, 1578 mit einem Jan Pawel (Bruder?)<br />

1589-1591 die Pawclsche, Hans' Witwe, und Kinder<br />

1592-1595 Hans' Erben, darunter der Sohn Andreas<br />

1596-1607 Andreas von Pawel<br />

1608-1629 Andreas' Bruder Julius, zeitweise zusammen mit:<br />

1619-1639 Hans von Pawel (Bruder von Andreas)<br />

1619-1627 Ernst von Pawel (Bruder von Andreas)<br />

23) W. Spieß, Goldschmiede, S. 18.<br />

24) BI 23, I, f. 86v, Lambert scheint der ältere der Brüder gewesen zu sein, daer testamentarisch<br />

verpnichtet wird, er solle "tileke truwelike vorstan [ ... )". Beide hatten das väterliche Anwesen "vppe<br />

der bredenstrate almeystech tyghe der tweten in der westere r'ghe ... " zugunsten dcs Grundstückes<br />

N r. ass. 629 veräußert.<br />

25) BI 19,5, f. 123r; B I 19,4, f. 137r (1428)<br />

26) Drei Mitglieder der Familie sind zwischen 1470 und 1511 als Gildebrüder bei den Goldschmieden<br />

verzeichnet, ein Olrik Brakel sogar als Gildemeister. Eine Identität mit dem Hauseigentümer<br />

ist jedoch nicht wahrscheinlich, da der Gildemeister und Ratsherr später als jener Olrik verstorben<br />

ist. Vgl. W. Spieß, Goldschmiede, S. 16, und H. Bergholz, Beckenwerker, S. 63.<br />

27) U.a. BI 19,6, f. 16r und das Testament Hans' B 123,2, f. 172r/v von 1497.<br />

28) G V 2,131.<br />

29) Außer dem Schoßregister vgl. B I 19,6, f. 89r (1514); a. a. 0., f. 104r (1517).<br />

20<br />

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1630-1658 Conrad von Pawel, Andreas' Sohn<br />

1659-1671 Conrads Witwe zusammen mit den Kindern<br />

bis 1705 Conrads Erben<br />

ab 1705 Hospital St. Thomae.<br />

Die Familie von PaweI zählt zu den Patrizier- und Ratsgeschlechtern, Vorfahren der<br />

für Nr. ass. 629 belegten Familienmitglieder sind als Gildebrüder bei den Goldschmieden<br />

nachzuweisen JO ). Andreas von Pawel war als Wandschneider tätig und entsprach damit<br />

einer beruflichen Familientradition 31). Von den hier bezeichneten Grundstücksinhabern<br />

waren Gerke (d. Ä.), Gerke (d. J.), Hans und Andreas mit politischen Ämtern als ConstabIer,<br />

Kämmerer, Ratsherren und Abgesandte zum Hansetag betraut. Der hohe soziale<br />

Rang des Geschlechts wird noch unterstrichen durch Hinweise auf die Universitätsausbildung<br />

einiger Familienmitglieder: Gerkes (d. Ä.) Sohn Conrad studierte in Leipzig, Wittenberg<br />

und Bologna, Gerke d.J. in Leipzig und Wittenberg, sein Sohn Andreas in Wittenberg,<br />

Leipzig, Ingolstadt, Bologna und Valencia. Hans' Sohn Gerhard ist promovierter<br />

Jurist gewesen.<br />

Parzelle Nr. ass. 630:<br />

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Die Bewohner des Eckgrundstückes Heydenstraße und Turnierstraße (später St. Martini<br />

- Pfarrstraße) lassen sich mittels punktueller QuellenbeIege bis in die Zeit des Einsetzens<br />

des Schoßregisters verfolgen 32):<br />

? - vor 1339 Cord Rotgher<br />

ca. 1339-1386 Berthold von Osterode d. Ä. und d. J.<br />

Wann genau der Besitzwechsel von Rotgher auf Osterode stattgefunden hat, läßt sieh infolge<br />

mangelnder Quellennachweise nicht mit Sicherheit sagen.<br />

Ab 1386 erlauben die Schoßregistereinträge einen lückenlosen Überblick über die Besitzverhältnisse<br />

33):<br />

1386-1391 Hans Schrader<br />

1392-1420 der Alte Lesse (Hinrik 34» mit seinem Sohn<br />

1398-1400 Lessen Sohn (Henning)<br />

Die Zuordnung der beiden Besitzer des Grundstückes mit Namen Lesse zu dem<br />

gleichnamigen Bürgergeschlecht ist nicht zweifelsfrei, zumal die v. Lesse nach S. Reidemeister<br />

35 ) in der Neustadt beheimatet gewesen sind, was einem Weichbildwechsel allerdings<br />

nicht grundsätzlich widersprochen hätte. Sollte die Zuordnung jedoch zu Recht be-<br />

30) W. Spieß, Goldschmiede, S. 22.<br />

31) S. Reidemeister, Genealogien, S. 114, sowie zu den folgenden Angaben S. 113 f.<br />

32) V8 8S 111, S. 439 (1339) Benold von Osterode; V8 BS IV, S. 274 (1348) Bertold von<br />

Osterode; 8 I 19,2, f. 113v 8ertold von Osterode der Ältere; B 119,2, f. 109r/v (1355) Rentansprüche<br />

der Töchter Cord Rotghers aus dem ehemaligen väterlichen 8esitz; B I 19,2, f. 257r (1386) als rückwirkende<br />

Bestätigung für den Kauf des Hauses von Cord Rotgher als dem Vorbesitzer.<br />

33) 8 II 5, nach Jahrgängen.<br />

34) 8 I 19,4, f. 71r (1417).<br />

35) Genealogien, S. !O5.<br />

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21


stehen, so kann wenigstens ein späteres Mitglied des Geschlechts als Goldschmiedemeister<br />

nachgewiesen werden, andere Angehörige waren als Beekenwerker tätig J6 ). In der Folgezeit<br />

weichen die Aussagen der Schoßregister über die Besitzer von Nr. ass. 630 teilweise<br />

erheblich von den Angaben in H. Meiers Häuserbuch ab. Folgende Chronologie läßt sich<br />

an hand der Schoßregistereinträge erstellen:<br />

1421-ca. 1422 Olrik Berbeke (seine Nennung dauert zwar bis 1426 an, die Nennung der<br />

Berbekeschen bezeichnet aber 1422 als sein Sterbejahr)<br />

1422-1424<br />

1429-1430<br />

1431-1435<br />

1474-1475<br />

die Berbekesche<br />

"Lessen I laus". Die Besitzverhältnisse sind verworren, wer die Zahlungen<br />

geleistet hat, bleibt unklar.<br />

resp. ca. 1473 Bertold von Denckte, zu einem nicht festzumachenden Zeitpunkt<br />

gefolgt von seinem Sohn Henning 37 )<br />

Henning von Dencktcs Witwe und Kinder, darunter Sohn Ilans.<br />

In der Zeit von 1436 bis 1474 erscheinen anstelle des Namen von Denckte folgende Eintra­<br />

gungen:<br />

1436-1443<br />

1444-1450<br />

1451-1474<br />

Hans Kos- oder Kauffeld<br />

Hans Vordorp<br />

die Vordorpesche.<br />

Es liegt nahe, hier einen Erbgang innerhalb der Familie von Denckte zu vermuten, der<br />

durch Wiederheirat der Witwe Bertolds von Denckte über mehrere Stufen verlief. Der<br />

Besitz blieb jedoch noch bis 1505 in der von Denckteschen Familie:<br />

1476-1485 Olrik Delten, ev. als Vormund 38).<br />

1476-1485 Henning Dencktes Kind (verm. Hans)<br />

14R6-1499 Denektesche und Sohn Hans<br />

1500-]505 Hans von Denckte.<br />

Ob es zwischen den nachfolgenden Besitzern familiäre Beziehungen zu der Familie von<br />

Denckte gegeben hat, ließ sich aus dem verarbeiteten Quellenmaterial nicht ersehen:<br />

1506- ]524 Ebcling Schomaker<br />

1525-1537/38 die Ebelingsche und Kinder<br />

1537-1543 Arnd Eltze (cv. als Vormund).<br />

Die Quellenlage für die Berbekes, von Dencktes und Schomakers ist, abgesehen von<br />

den Schoßregistern, denkbar schlecht. Erst mit dem Übergang der Eigentumsrechte an die<br />

Familie Velstede gewinnt man eine sichere, weil breitere Quellengrundlage. Die Velstedes<br />

zählen zu den Patrizier- und Ratsgeschlechtern, deren Mitglieder als Gewandschneider<br />

und Goldschmiede ihren Unterhalt verdient haben. Alle für Nr. ass. 630 benannten Eigentümer,<br />

in der Reihenfolge Bode (I), die Geschwister Bode (11), Hans und Wedde (Weddige),<br />

die Brüder Ludolf und Bode (II1, Bodes 11 Sohn) sind bei S. Reidemeister verzeich-<br />

22<br />

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3fi) W. Spieß, Goldschmiede, S. 22; G. Bergholz, Beckcnwcrkergilde, S. 67.<br />

37) Vgl. als Belege zusätzlich B I 19,4, f. 166r (1434); B I 19,5, f. 145v (1473).<br />

3H) Siehe auch B 119,5, f. 170v (1478).<br />

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net. Von ihnen haben nachweislich Bode (I) als Wechsler und Bode (I1) als Goldschmied<br />

gearbeitePY). Bode (I), Wedde und Bode (11) sind als Ratsherren des Weichbildes tätig<br />

gewesen. Ludolf, Bades (11) Sohn studierte 1602 an der Universität Rostock und dokumentiert<br />

damit zusätzlich die herausgehobene Stellung der Familie, deren Beschäftigung in<br />

einträglichen und angesehenen Gewerben die für die politischen Ämter notwendige finanzielle<br />

Abkömmlichkeit garantierte.<br />

Im Detail stellt sich die Aufeinanderfolge der Velstedeschen Besitzer wie folgt dar:<br />

1545-1568 Bode (I) Velstede 40 )<br />

1570-1575 Vclstedes Kinder<br />

1576-1587 Bode (11) Vclstede, Bodes (I) Sohn, und Geschwister<br />

1576-1595 Wedde Velstede<br />

1576-1589 Hans Velstede<br />

1576-1584 namentlich nicht bekannte Schwester<br />

1588-1640 Bode Vclstedes Witwe und Kinder, darunter Ludolf<br />

1588-1630 Ludolf Vclstede (verstorben 1635 41»<br />

1640-1663 Vclstedes Witwe. Für sie zahlt Friedrich Erich von Pawel-Rammingen, der<br />

seit 1659 mit Bodes Tochter Margarete verheiratet war.<br />

Friedrich Erich von Pawel-Rammingen ist in den Schoßregistern bis 1671 zu verfolgen<br />

und noch von Anna Ehlers (Nr. ass. 631) in ihrem Testament als Nachbar erwähnt worden<br />

42). Ihm ist offensichtlich Andreas von Pawel-Rammingen gefolgt, der jedoch 1734 bereits<br />

als verstorben verzeichnet wird 43 ). Die auf dieser Parzelle seit 1659 ansässigen von<br />

Pawel gehören nicht direkt zu dem auf Nr. ass. 629 lebenden Geschlecht, sondern trugen<br />

und tragen zur Unterscheidung den Doppelnamen v. Pawel-Rammingen. Mit dem Übergang<br />

des Besitzes auf einen Eigentümer namens Schröder, der 1763 belegt ist 44 ), soll die<br />

Chronologie für Nr. ass. 630 vorerst abgeschlossen werden.<br />

Parzelle Nr. ass. 631:<br />

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Auch wenn vor dem Einsetzen des Schoßrcgisters die ungünstige Quellenlage keine eindeutigen<br />

Belege dafür erbringen kann, wielange das Grundstück bereits in der Hand dcr<br />

Familie Holtnicker gewesen ist, so kann doch als unbestritten gelten, daß dieses Geschlecht,<br />

das mit Nr. ass. 629 in nächster Nähe ein weiteres Grundstück besaß, hier vermutlich<br />

seit mehreren Generationen ansässig gewesen ist, bevor sein Recht mit Cord Holtnikker<br />

1386 schriftlich festgehalten wird. Zumindest ist dic Präsenz der Familie im Umfeld der<br />

Martinikirche bereits 1314 durch Hermann lIoltnicker belegt 45). Dic schriftlich festgehal-<br />

39) W. Spie ß, Goldschmiede, S. 26f., der weitere Familienmitglieder in diesem Berufbenennt.<br />

40) Vgl. auch BI 19,6, f. 203v (1547).<br />

41) S. Reidemeister, Genealogien, S. 163.<br />

42) BI 23, 6, f. 627r-634v.<br />

43) CI 8, 45, f. 308r/v, bei der Verlassungseintragung filr die Geschwister Krugelstcin.<br />

44) CI 8, 79, f. 245r/v, Verlassungseintrag für die Geschwister Varenius.<br />

45) Vgl. D. Mac k, Testamente I, S. 209 ff., auf Nr. ass. 75K.<br />

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23


tenen Abmachungen der Holtnicker-Brüder auf dem Vorwerk Nr. ass. 629 seit 1339 können<br />

ebenfalls als Belege für das Holtnickersche Anwesen auf Nr. ass. 631 genutzt werden<br />

46).<br />

Seit 1386 ergibt sich folgende Besitzvererbung:<br />

1386-1399 Cord Holtnicker 47 )<br />

bis 1391 gemcinsam mit dem Jungen Holtnicker = Hermann, seinem Vetter 48 ).<br />

1393-1398 verm. Bode Holtnicker, dessen Name 1397 erstmals leserlich geschrieben<br />

ist und der bis 1398 erwähnt wird 49 ).<br />

seit 1400-1402 Holtnickersehe.<br />

Bereits seit 1399 (bis 1417) zahlte Achatius Grube als nachfolgender Besitzer des Grundstückes.<br />

Wie sein Vetter Cord starb Hermann (d. J.) Holtnicker trotz zwcier Ehen ohne direktcn<br />

Erben. Sein einzig bekannter Sohn Johann (Hans), Vikar bei St. Martini und als Geistlicher<br />

vom Erbe ausgeschlossen, war offensichtlich durch eine Altarpfründe versorgt SO). In<br />

seinem Testament von 1390 51 ) gibt der Testator bei der Aussetzung von Legaten und Geldern<br />

für Seelmessen zu verstehen, daß er nacheinander mit einer Eyleke und einer Jutta<br />

(Jutteke), seiner noch lebenden Frau, verheiratet gewesen ist. Zu den namentlich genannten<br />

Verwandten gehört seine Schwester Beleke, deren Sohn Hans Hilmer er zum Erben<br />

seines Hauses Nr. ass. 631 einsetzt: " ... Ok geue ek hanseke hilmers myner sust' sone myn<br />

hus tugen sunte mertene parre [ ... ] Vn' weret dat hanseken storue er he to jare qweme so<br />

scholdeme dit hus verkop' vn' wat dar van gelde van velle dat schaldeme geue' vn delen on<br />

de couente vn in de spetale to Brunsw den arme' luden."<br />

Zu dieser im Testament angcdeuteten Lösung ist es frcilieh nicht gekommen, obwohl<br />

der Neffe Hans Hilmer, Gewandschneider und Händler von Beruf, bereits 1402 sein Testament<br />

gemacht hat und sicherlich bald darauf gestorben ist. Einer der Testamentsvollstrekker<br />

war sein Stiefvater Achatius Grube, den Bele Holtnicker nach dem Tode ihrcs ersten<br />

Mannes Hans Hilmer 1383 52 ) in zweiter Ehe geheiratet hatte. Dieser Achatius Grube,<br />

Schwager des letzten männlichcn Besitzers von Nr. ass. 631 aus der Familie Holtnicker,<br />

gelangte durch seine Ehe mit Bele und den frühen Tod seines Stiefsohnes in dcn Besitz des<br />

Grundstückes an der Turnierstraße. Über die Dauer dcr Besitzvererbung des Grundstük-<br />

46) UB BS IIl, S. 447 (1339) ein Hcrmann Holtnicker; UB BS V, S. 274 (134R) Hermann Holtnicker;<br />

UB BS IV, S. 353 (1350) Hcneke Holtnicker; B I 12, f. 20r (1370) mit der für den weiteren<br />

Erbgang wichtigen Bestimmung: "Also dat we (dcr Rat) dar aff gheue sculle Beleken achatius gruben<br />

husfruwe veer mr de wile se leuet ......<br />

47) A. a. 0., S. 202, Sohn des Cord (4) Holtnicker, dcr 1365 verstorben war und in dem man ev.<br />

dcn Vorbesitzer sehen kann.<br />

48) A. a. 0., S. 73 und 183, Ratshcrr und Bürgermeister der Altstadt, verschwägert mit den von<br />

der Heyde auf Nr. ass. 629.<br />

49) Der Herkunft dieses Namensträgers bleibt unklar, er wird mit keiner weiteren Quelle belegt.<br />

5(') BI 12, 1, f. 86v (1413 Kauf eines Altarlegats fürden Altar dcr 11000 "meghede" in SI. Martini<br />

" ... dar nv her Jan holtnicker medc begnadet is").<br />

SI) BI 23,1, f. 21v-22v, vgl. auch D. Mack, Testamente I, S. 215.<br />

S2) B 123, 1, f. 16r.<br />

24<br />

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kes in der Familie Grube nach dem Erbfall seitens der Holtnickers gehen die Angaben bei<br />

H. Meier 53 ) und dem Schoßregister ebenso auseinander wie bei der Frage nach dem Nachfolger<br />

auf der fraglichen Parzelle. Den Angaben Meiers, die Grubes wären von 1378 (!) bis<br />

1457 Eigentümer gewesen, stehen folgende Eintragungen gegenüber 54 ):<br />

1399/1400-1417 Achatius Grube 55), zusammen mit<br />

1399/1400-1402 Harmen Grube<br />

1418-1429 Achatius Grubens Frau und Kind (Achatius)<br />

1430-1473 Achatius Grube<br />

Für "Achatius Gruben gud" hat laut Schoßregistervon 1473/74 bis 1477 Cord Broistede die<br />

Schoßzahlungen geleistet. Diesbezüglich besteht keine Übereinstimmung mit H. Meier,<br />

der einen Cord von der Heyde von 1467 bis 1476 als Bewohner der Parzelle benannt hat 5 ").<br />

Achatius Grube, Ratherr und Provisor von St. Leonhard, der unverheiratet bzw. zumindest<br />

kinderlos gewesen ist, hat in seinem Testament 1471 neben den Bestimmungen über<br />

zahlreiche Armen- und Kirchenlegate auch die Kinder seiner Schwester, ausschließlich<br />

Töchter, durch Legate abgesichert und nicht als Erben seines Hauses eingesetzt. Über dieses<br />

verfügt er mit der Auflage 57 ), daß das Anwesen zwecks Ausstattung einer Vicarie in St.<br />

Martini verkauft werden solle: "Item geue ek myn hus, dar ek Jnne wone, to dusser tyd to<br />

eyner ewighen vycarie to sunte Marten', ( ... , die dem Altar der 10000 Ritter in der Gruben­<br />

Kapelle zugelegt werden soll) duth vorschrouen hus scholde men vorkopen, vnde kopen<br />

dar renthe midde ... " (deren jährlicher Ertrag für den Unterhalt des Priesters aufgewendet<br />

werden soll, der die Vicarie in der Gruben-Kapelle betreut). Die Lage dieses Hauses, über<br />

das der Testator so großzügig verfügt hat, wird in Einträgen des Degedingsbuches folgendermaßen<br />

beschrieben 58): " ... achatius grube hus tygh ste mertes parre vn is dit and'e hus<br />

va der heydestrate ... ".<br />

Mit dem Tod Achatius Grubes 1473 endete die Geschichte der Familie auf dieser Parzelle,<br />

die wie das Geschlecht der ihr vorausgehenden HoItnickers zu den Patrizier- und<br />

Ratsgeschlechtern zu zählen ist. Beide Geschlechter weisen zahlreiche Mitglieder auf, die<br />

beruflich als Gewandschneider und Kaufleute tätig gewesen sind. Gerade das Testament<br />

53) Häuserbuch Bd. 1, S. 128.<br />

54) Vgl. zusätzlich die Einzelbelege unterB I 19, 3,f.134v(1406); B 119,4, f. 8v(1408);a.a.0.,<br />

f. 15r (1409); a.a.O., f. 31r (1411); a.a.O., f. 7Uv (1417); a.a.O., f. 79v (1418); a.a.O., f. 87v (1419);<br />

a. a. 0., f. 194r (1439); B I 19,5, f. 21 v (1447); a. a. 0., f. 60v (1457); B 123,2, f. 59r/v (1471).<br />

55) Testament von 1418, vgl. D. M ack, Testamente I, S. 191, und III, S. 517. Achatius war von<br />

Beruf Wandschneider.<br />

56) Es liegt keine Schriftquelle vor, die ein Eigentumsrecht eines Cord von der Heyde an Nr. ass.<br />

631 belegen konnte. Zusammen mit den Schoßregistereintragungen B II 5, 5, f. 13r für ihn im Anschluß<br />

an die schoßpflichtigcn Vertreter der Familie Kaie auf Parzelle Nr. ass. 632/633 und weiteren EinzeIbelegen<br />

wie B I 19, 5, f. 107r (1467) und f. 157v (1476) kann er als Bewohner des Grundstückes Nr. ass.<br />

634 am südlichen Ende der Turnierstraße identifiziert werden.<br />

57) BI 23, 2, f. 59r/v. Er verstarb 1473. S. Reidcmeister, Genealogien, S. 63, Achatius VII.<br />

SR) BI 19,3, f. 134v, 1406. B I 19,4, f. 15r, 1409:" ... dat beleghe is tyghe ste Mertens parre ouer<br />

i dcr weste re reghe ... ". A. a. 0., f. 31r, 1411: " ... Vn is dat ande' hus van der heydestraten to dem<br />

suden word ... ". Weitere Belege unter BI 19,4, f. 8v (1408); a.a.O., f. 70v (1417); a.a.O., f. 79v<br />

(1418); a. a. 0., f. 87v (1419); a. a. 0., f. 194r (1439); B I 19,5, f. 21 v (1447); a. a. 0., f. 60v (1457).<br />

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25


llermann Iloltnickers mit einer Vielzahl an Legaten und Stiftungen für Kirchen, aber auch<br />

hohen Rentkäufen für weibliche Familienmitglieder 59 ) weisen auf umfassende finanzielle<br />

Unabhängigkeit. Es überrascht daher nicht, daß mehrere Vertreter der Familie als Ratsherren<br />

fungiert haben. Den hohen gesellschaftlichen Rang unterstreichen ferner die Tatsache,<br />

daß man herzogliche Lehnsträger unter ihnen findet, und Beispiele für eine universitäre<br />

Ausbildung. Die finanzielle Sicherheit der Grubens dokumentiert sich bei Achatius,<br />

dem ersten Parzellenbesitzer dieses Geschlechts, sicherlich durch seine rege Beteiligung<br />

als Verkäufer am <strong>Braunschweig</strong>er Rentmarkt zwischen 1406 und 1418. Anders als sein<br />

Vater hat der gleichnamige Sohn Achatius mehrere politische Ämter innegehabt, wobei<br />

gerade das Amt dcs Constablers beträchtliche finanzielle Mittel seitens des Trägers voraussetzte.<br />

Achatius war ferner Ratsherr und Provisor in St. Leonhard. Seine zahlreichen karitativen<br />

Stiftungen neben den Memorienspenden und Seclmeßstiftungen in seinem Testament<br />

sind ein letzter Beleg für den Reichtum dieser Familie.<br />

Ihr folgte 1476 mit Ilans Engelemstede der erste Vertreter eines Geschlechtes auf Nr.<br />

ass. 631, das bis 1636 hier ansässig bleiben sollte. Dabei können nacheinander folgende<br />

Besitzer laut Schoßregister benannt werden 60):<br />

1476-1481 Hans Engclemstede<br />

1481-1505 Herman Engelemstede, Hans' Bruder. Mitberechtigt sind:<br />

14tH -1505 flans EngeIemstedes Witwe und ihr Sohn flans sowie weitere Kinder<br />

1482-1565 Hans Engelemstede (Sohn des Erstbesitzers), zusammen mit<br />

1559-1567 Berwert Engelemstede<br />

1566-1568 die Engclemstedsche (verm. Hans' Witwe)<br />

1568-1608 Curd oder Conrad Engelemstede, zusammen mit<br />

1568-1583 Dirich Engelemstede<br />

1609-1637 die Engelemstedsche und Kinder aus der 1. und 2. Ehe Curds, u. a.:<br />

1620-1636 Hans Engelemstede und<br />

1620-1636 Margarete Engclemstede, seine Schwester.<br />

Die Engelernstedes sind wie ihre Vorgänger auf der Parzelle dem Kreis der führenden<br />

Weichhildgeschlechter zuzuordnen. Die beruflich tragfähigste Bindung der Familie scheint<br />

die an die Goldschmiede gewesen zu sein. Im Gildeverzeichnis werden aufgcführt 61 ):<br />

}Ians Engelemstede (Sohn des ersten Parzellenbesitzers aus dieser Familie) 1531/1532.<br />

Curd Engelemstede als Gildebruder 1567/1568, als Gildemeister 1583/1584, 1589/1590,<br />

1595/1596,160311604,1609.<br />

Hans Engelemstede (Curds Sohn) als Gildebruder 1621/1622.<br />

Ergänzend sei hinzugefügt, daß Hans (d. Ä.) als Ratsherr und Kämmerer 62 ) und Curd als<br />

Ratsherr tätig gewesen sind 63 ).<br />

59) B I 12, 1, f. 20r f.<br />

60) Vgl. zusätzlich folgende Einzelbelege: B I 19,5, f. 170v (1478); B I 19, 6, f. 122r (1523);<br />

a. a. 0., f. 227v (1555).<br />

26<br />

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61) G VIII, 193 B, f. 18r-23v.<br />

62) Vgl. das Testament seiner Frau Margarete B I 23, 3, f. 69r/v (1575)<br />

61) W. Spieß, Goldschmiede, S. 18.<br />

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ker, für einige Zeit im Hause seines Stiefvaters Achatius Grube gelebt hat. Das Eigentumsrecht<br />

der Hilmers an Nr. ass. 632/633 hatte nur bis 1409 Bestand:<br />

1399-1402 Hans Hilmer 71 )<br />

1403-1407 Hans Hilmers Sohn, mit ihm zusammen<br />

1403-1404 Hilmar Strobecke (Strombeck)72)<br />

1405-1409 Hilmers Witwe und Kinder, darunter<br />

1405-1409 Tile Strobeke, Hilmars Sohn.<br />

Von 1410 bis 1446 folgten verschiedene Mitglieder der Familie Hollege als Eigentümer der<br />

Parzelle 73):<br />

1410-1432 Hans von Hollege, zeitweise gemeinsam mit<br />

1422-1426 Luder von Hollege<br />

1433-1446 Hans von Holleges Frau mit den Kindern:<br />

1433-1440 Hans von Hollege<br />

1433-1446 Hinrik von Hollege<br />

1433-1446 Wichmann von Hollege.<br />

Was diese nur zwei Generationen währende Besitzspanne der von Holleges auf dem<br />

Grundstück interessant macht, ist eine minutiös festgehaltene Regelung zum Abstand der<br />

Bauten von der Grundstücksgrenze und zur Ableitung von Ab- und Regenwasser, beides<br />

vor dem Rat peinlich genau fcstgcIegt 74 ). Die Hinweise der schriftlichen Quellen auf die<br />

Parzellen bebauung sind insgesamt betrachtet eher zahlenmäßig gering und inhaltlich nicht<br />

erschöpfend, wie an späterer Stelle nachzuweisen sein wird. Insofern ist eine ausführliche<br />

Rechtsbeschreibung mit Einblick in den Baubestand um so wichtiger.<br />

Wesentlich länger als im Besitz der von Holleges ist die Parzelle bei den Kaies verblieben,<br />

die sie vermutlich käuflich erworben haben. Folgende Mitglieder lassen sich nacheinander<br />

als Eigentümer resp. Schoßpflichtige nachweisen:<br />

1446-1462 Hermann KaIe 75)<br />

1446-1476 die Kelsche und Kinder<br />

1463-1494 Hans KaIe, einer der Söhne Hermanns, zeitweise gemeinsam mit<br />

1463-1472 Schwestern und<br />

1463-1481 Brüdern: Hermann, ev. bereits Gerleffund Cord 76)<br />

1488- Hermann KaIe: d. Ä. und d. J.<br />

1490-ca.15oo Hermann KaIe d. Ä., der Sohn des Erstbesitzers<br />

71) Von BerufWandschncider, Gildemitglied 1401, G VIII, 147 B, f. 7r.<br />

n) D. Mac k, Testamente I, S. 70 f. und S. 188. Testament 1403. Bei Hilmar Strobecke handelt<br />

es sich um den Neffen und Testamentsvollstrecker vom gleichnamigen Vater des hier genannten Hauseigentümers.<br />

Der Erbgang bleibt also im Familienumfeld.<br />

73) Ergänzend BI 19,4, f. 76vn7r (1418).<br />

74) S. o.<br />

75) Verstorben nach S. Reidemeister, Genealogien, S. 87, 1463.<br />

76) Bei S. Reidemeister nicht zugeordnet. Vgl. ergänzend B 119,5, f. 147v (1473).<br />

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1490-ca.1503 Hermann KaIe d.J., ein Sohn von Hans und Neffe Hermann KaIes d.Ä.<br />

1504- Hermann KaIes Kinder, für sie zahlt seit 1507 Gerleff KaIe<br />

1491-1519 die Kelsche 77 )<br />

1504-ca.1516 Hermann KaIes Kinder, für sie zahlt 1507-1522/23 Gerleff KaIe, auch<br />

nachdem Franz KaIe ab 1518 bereits im Register genannt wird.<br />

1518-1557 Franziskus KaIe, Sohn des älteren Hermann KaIe und Enkel des Erstbesit-<br />

1524-1527<br />

1558-1591<br />

1592-1596<br />

1597-1609<br />

1610-1617<br />

1618-1629<br />

1630-1649<br />

1650-1653<br />

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zers<br />

Klaus KaIe, Franz' Bruder<br />

Christoff KaIe, Sohn von Franz KaIe, und sein Bruder Hermen 78)<br />

"KaIen Haus" (Haus der Familie KaIe)<br />

Statius KaIe 79)<br />

Jost KaIe für Statius' Kaies Erben 80)<br />

Gerleff (Gerlach) KaIe, Statius' Sohn<br />

Gerleffs Witwe und Kinder<br />

Jost KaIeS!)<br />

ab 1653 Jost Kalens Witwe, zusammen mit<br />

1652-1687 Jost' Schwager Johann Conrad von dem Broke 82 )<br />

Schon vor dem Tod Johann Conrads von dem Broke 1694, aber nach 1687 83 ) muß das<br />

Grundstück N r. ass. 632/633 verkauft worden sein, denn in der Verlaßurkunde der Krugelsteingeschwister<br />

auf Nr. ass. 631 von 1734 erscheint das Fr!. Hauptmannin V. Ziegen hirt<br />

als Besitzerin der Parzelle. Sie ist noch 1763 als Nachbarin erwähnt worden 84).<br />

Auch das Geschlecht der Kaies hat zu den <strong>Braunschweig</strong>er Patrizier- und Ratsfamilien<br />

gehört und seine Stellung durch berufliches Engagement als Kaufleute, Wechsler und<br />

Goldschmiede gesichert 85). Für einen großen Teil der genannten Eigentümer von Nr. ass.<br />

632/633 lassen sich Angaben über Beruf, Ämter etc. machen. So hatte Hermann, der Erstbesitzer<br />

aus der Familie, nach einem Studium in Erfurt und der Berufswahl als Gold-<br />

77) Nach S. Reidemeister, Genealogien, S. 26, handelt es sich um I1se Glümer, Witwe des<br />

Erstbesitzers, die in dem Haus bis 1495 gelebt haben soll.<br />

7R) S. Reidemeister, Genealugien, S. 89, nennt anstelle Hermens einen Hans KaIe.<br />

79) Die direkte Vater-Sohn-Folge wird hier unterbrochen, nachdem Christoff KaIe offensichtlich<br />

kinderlos verstorben war. Statius ist ein Urenkel von Gerleff KaIe, einem Sohn des Erstbesitzers.<br />

S. Reidemeister, Genealogien, S. 87 ff.<br />

SO) Ev. ist Jost Statius' Bruder aus der 2. Ehe des Vaters, der 1619 verstorben war, vgl. S. Reidemeister,<br />

a.a.O., S. 89.<br />

81) Verm. Jost, Gerleffs (GerIachs) Sohn aus der zweiten Ehe. Eine Bestätigung findet sich im<br />

Testament von Jost, B I 23, 6, f. 13v: für den Fall, daß seine Ehefrau Marie Sophie Garßen eine zweite<br />

Ehe eingeht, fällt das Haus an die Schwester des Testators, Anna, und deren Mann Johann Conrad<br />

v.d. Broke (Bruch) sowie ggf. an deren Kinder.<br />

82) Verheiratet mit Gerleffs Tochter Anna seit 1652. H. Meier nennt anstelle des von dem Broke<br />

einen Brotzem (Broitzem).<br />

R1) Vgl. Nr. ass. 631 das Testament Anna Ehlers', das ihn als Nachbar nennt, undS. Reidemeister,<br />

Genealogien, S. 40.<br />

84) C 18, 45, f. 308r ff. und 79, f. 245r/v.<br />

85) Zu den folgenden Angaben vgl. W. Spieß, Goldschmiede, S. 21, und S. Reidemeister,<br />

Genealogien, S. 141 ff.<br />

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29


schmied, als Ratsherr und Provisor für St. Martini fungiert. Sein Sohn Hans absolvierte<br />

ebenfalls ein Studium in Erfurt und bekleidete das Amt des Constablers. Von den beiden<br />

anderen Brüdern GerIeff und Hermann (d. Ä.) ist ebenfalls die Tätigkeit als ConstabIcr<br />

und Ratsherr überliefert. Franz, Hermann d. Ä. Sohn, war Ratsherr und Abgesandter auf<br />

dem Reichstag zu Speyer. Er war zudem in der Lage, als Gastgeber Herzog Heinrichs aufzutreten.<br />

Sein Sohn Christoff setzte die Familientradition des Studiums (in Leipzig und<br />

Rostock) fort und wurde ebenfalls Ratsherr, auch Bruch- und Küchenkämmerer. Auch er<br />

war Gastgeber des Herzogs Julius. Gerlcffs Nachfahre Statius reihte sich in die Tradition<br />

ein, wurde Wandschneider und fungierte als Constabler, Ratsherr, Gerichtsherr und zeitweise<br />

Küchenkämmerer. Auch wenn nicht für alle Familienmitglieder Nachweise ihrer Tätigkeit<br />

und politischen Laufbahn zu erbringen sind, wird durch die benannten Vertreter die<br />

Präsenz des Geschlechts in der Altstadt wohl hinlänglich belcgt.<br />

Parzelle Nr. ass. 449:<br />

Die Reihe der Patriziats- und Ratsgeschlechter mit Wohnsicht nächst der St. Martinikirche<br />

setzt sich fort, wenn man sich, nach Osten fortschreitend, den Parzellen am Eiermarkt<br />

nähert. Auch hier gibt im wesentlichen das Schoßregister umfassende Auskunft über die<br />

wechselnden Besitzverhältnissc.<br />

Ursprünglich scheint sich die Parzelle Nr. ass. 449 in der Hand der Familie Doring<br />

befunden zu haben. Leider ist die zeitlichc Erstrcckung dicscs ßesitzvcrhältnisscs vor oder<br />

nach 1358/1359 mangcls cntsprechender Quellenbelege nicht festzustellen 86), lediglich der<br />

Tod des einzigen bekannten Besitzers aus diesem GeschIccht 1374 markiert einen Anhaltspunkt:<br />

1358/59-1374 Tile During.<br />

Präziser lassen sich die Verhältnisse bei der Familie von Bansleve festhalten, die von 1386<br />

bis ca. 1432 hier nachzuweisen ist !!7):<br />

131\6-1388, ev. 1391 Hermann von Bansleve<br />

1392-1405 JIenning und Albcrt von Bansleve, zeitweise gemeinsam mit ihrcr<br />

"momc"HH)<br />

1406-1410 Hcnning von ßansleve allein 89)<br />

86) Vgl. H IlI1, 36 und B 119,2, f. 138v (1358/1359). Siehe auch D. Mack, Testamente I, S.<br />

153, der die Besitzrechte des Ratsherren und Bürgermeisters der Altstadt seit 1346 auf der Parzelle<br />

datiert, und JII, S. 553. Tile Doring war mit den Ursleve auf Nr. ass. 452 verschwägert. Zu den Familienmitgliedern<br />

dieses Geschlechts mit Sitz am Eiermarkt siehe a.a.O., III, S. 552 (Heinrich, gest.<br />

1336), S. 475, 552 ff. (Ilermann, Testament 1365), S. 517 und 553 (Hermann, Kleiner Bürgermeister<br />

bis 1419).<br />

87) Ergänzend zu den Schoßregislt:rt:intragungen vgl. folgcnue Einzelhelt:ge: B I 19,3, f. 75v<br />

(1400); B I 19,4, f. 32v (1411).<br />

118) Hicr ev. als "Mutter" gemeint, dic Bedcutung der Begriffe ist vielfältig und durchaus schwankenu.<br />

89) Vgl. hicrzu das Testament von 1410 des Ratsherren, Bruch- und Küchenkämmerers, der<br />

beruflich als Wandschneider und Fernhändler tätig war. Hinzuweisen ist aufseine Versippung mit den<br />

Familien Holtnicker und Strobecke über seine Ehefrau Jutta.<br />

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1411-1414 Kinder Henning Bansleves<br />

1416-1427, ev. 1432 Brüder Henning und Cord von Bansleve 90 ).<br />

Für die von Bansleves wie auch für ihre Nachfolger auf der Parzelle Nr. ass. 449, die von<br />

Broitzem, ist die Zugehörigkeit zu den patrizischen Ratsgeschlechtern sowie die Zugehörigkeit<br />

zum Berufsfeld der Wandschneider 91 ) charakteristisch. Ihr Ansehen in der Gemeinde<br />

drückt sich auch in der Übernahme politischer Ämter aus, bei Albert von Bansleve<br />

das des Gerichtsherren, bei Henning das des Ratsherren und Kämmerers.<br />

Das gilt in demselben Maße auch für die von Broitzem, von denen alle zu nennenden<br />

Eigentümer des Grundstückes bis auf Curd, der als Küchenkämmerer fungierte, das Amt<br />

des Constablers der Altstadt bekleidet haben. Hinzu kamen jeweils die Funktionen eines<br />

Rats- und Zeugherren (Bodes Sohn Cord), eines Ratsherren, Brueh- und Stuhl kämmerers ,<br />

Kleinen und Großen Bürgermeisters und eines Zehnmannkämmerers (Bodes Enkel Bertram).<br />

Der Wechsel in den Besitzverhältnissen von den von Bansleve auf die von Broitzem<br />

ist vermutlich durch Verkauf des Anwesens geschehen, denn Henning von Bansleve ist erst<br />

1439 verstorben, und sein Bruder Cord hat ihn sogar bis 1450 überlebt 92). Fürdie Interimszeit<br />

1433-1440 mit Hans von Echte 93 ) konnte bislang noch keine befriedigende Erklärung<br />

gefunden werden.<br />

Im Anschluß an Hans von Echte sind folgende Mitglieder der Familie von Broitzem<br />

nacheinander im Besitz des Anwesens gewesen, das möglicherweise durch Erwerb und<br />

nicht durch Erbgang in ihre Hand gelangt ist, da familiäre Beziehungen zwischen den von<br />

Broitzem und den von Echtes nicht ersichtlich geworden sind und Hans von Echte seinem<br />

Bruder Hinrick als Testamentsvollstrecker die Aufgabe übertragen hatte, aus der Hinterlassenschaft<br />

seine Schulden zu begleichen:<br />

1441-1451 Ludeke von ßroitzem, zeitweise mit seiner "mome"<br />

1452-1454 die Brotzemsche, Ludekes Witwe, und ihre Kindcr 94 )<br />

1455-1492 Bode von Broitzem, Ludekes Sohn<br />

1492-1520 die Brossemsche (von Broitzem), Witwe Bodes von Broitzem, zusammen<br />

mit<br />

1496-1546 die junge ßrosscmsche, Ehefrau Cord von Broitzems und Mutterdes nächsten<br />

männlichen Erbens Ludeke von ßroitzem, Ilse ßreyer<br />

1513-1549 Ludeke von ßroitzem 95 )<br />

'10) Abweichend vom Schoßregister B II 5, das für die Jahre 1427-1432 keine Angaben über die<br />

SchoßpfIichtigen dieses Grundstückes gemacht hat, nennt H III 1, 36 für eben diese Zeit Luder von<br />

Enghelke. Im Schoßregister wird er zwar unter den Zahlungspflichtigen der Michaelis-Bauerschaft<br />

genannt, seine Zuordnung zu Nr. ass. 449 ist jedoch nicht eindeutig.<br />

91) Albert und Hennings von Bansleve, aber auch Ludeke von Broitzem und sein Sohn Bode.<br />

92) BI 23,1, f. 119v (lienning), B 120,14, f. 90v (Cord).<br />

93) BI 19,4, f. 159r (1433).<br />

94) Dillige Bethmar, Testament B I 23, 2, f. 20v-21r (1455), sie hatte lebenslanges Wohnrecht im<br />

Haus, vgl. 13 1 23,2, f. 14v-15r (1451, Testament Ludekes).<br />

95) Für ihn ist der Neubau des I Iauses belegt, H UI 1,36.<br />

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1550-1571, ev. 1574 die Brossemsche 96 ) und ihre Kinder<br />

1568-1624 Bertram von Broitzem, Ludekes Sohn<br />

1625-1652 Cord (Curd) von Broitzem, Bertrams Sohn.<br />

Mit Curd endete die Erbfolge in männlicher Linie. Seine Schwester Helene, verheiratet<br />

mit Dr. Hermann Konerding, brachte das Anwesen in ihre Ehe ein und behielt wohl eine<br />

zeitlang Rentenansprüche. Darauf verweist der Umstand, daß die ehemalige von Broitzemsche<br />

Parzelle als Konerdingsches Gut im Schoßregister weitergeführt worden ist 97):<br />

1654-1659 Konerdings Haus 98 ).<br />

Nach der langen Zeit, während derer die von Broitzem die Parzelle bewohnt hatten, ,<br />

folgte eine Phase der schnellen Besitzerwechsel auf dem Grundstück:<br />

1661, ev. 1660-1672 Dr. PaulJulius Calenius<br />

1672-1678 die Witwe des P. J. Calenius 99 )<br />

1687 Frau Tuckermann, Witwe des Julius August Tuckermann, geb. EIi­<br />

1697<br />

1730<br />

1740<br />

1743<br />

1772-1780<br />

1791<br />

ab 1792<br />

Parzelle NT. ass. 450:<br />

sabeth von Mandclsloh 100)<br />

Dekan und Hofrat Uffelmann 101)<br />

Oberstleutnant Dagerodt<br />

Witwe des Oberst Dagerodt, wiederverheiratet mit dem Bürgermeister<br />

lohann Zacharias Schwarze 102)<br />

Bürgermeister Schwarze 103)<br />

Konsistorialrat Schwarze 104)<br />

Kaufmann Christ. Nicolaus Ludwig Blume<br />

im Besitz der Landschaft \05)<br />

Abgesehen von dem bei H. Meier genannten, anhand der Quellen aber nicht verifizierbaren,<br />

zwisehenzeitlichen Besitzes des Rates an der Parzelle in den Jahren zwischen 1659 bis<br />

96) Testament der I1se von Damm B I 23, 3, f. 78v (1574), in dem Haus und Hofnach dem Willen<br />

des Gatten dem Sohn Bertram übergeben wird.<br />

97 ) Vgl. S. Reidemeister, Genealogien, S. 32 ff.<br />

98) Die Angaben von H. Me i erließen sich anhand der Schoßregistereintragungen nicht bestätigen<br />

resp. mußten betr. der Jahresdaten geändert werden. Das trifft auch für den nachfolgenden<br />

Besitzer Paul Julius Calenius zu.<br />

99) Kirchenbücher SI. Martini, E 163, S. 98 und S. 171. Die Besitzverhältnisse bis 1687 sind<br />

unklar.<br />

100) H III I, 36.<br />

101) Gleichzeitig wird Oberst Johann Heinrich vom Strombeck genannt. Sofern keine abweichenden<br />

Quellennachweise gemacht werden, beziehen sich alle Angaben auf H III 1,30, vol. 2.<br />

102) H III 1, 36 und H. Meier, Nachrichten über Bürgerhäuser früherer Jahrhunderte, in:<br />

<strong>Braunschweig</strong>isches Magazin 1897, No. 4, S. 29.<br />

10)) H III 1,36. Das von Ludeke von ßroitzem erbaute Haus ist 1744 von J. Z. Schwarze abgerissen<br />

worden.<br />

1(4) HIlI 1, I, S. 69, und H III 4, S. 50 sowie H II11, 38.<br />

105) H III 1, 38.<br />

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1683 läßt sich die Zusammenstellung der Eigentümer im Häuserbuch grundsätzlich bestätigen,<br />

wenn auch mit Modifizierungen hinsichtlich der Zeitangaben.<br />

1386-1417 Gherke von Pawel \06), zwischen 1413 und 1417 ev. gemeinsam mit seinem<br />

Neffen Wedego 107).<br />

Ursprünglich gehörte auch dieses Anwesen der Familie von Pawel, doch läßt sich der<br />

Beginn des Eigentumsanspruches nicht mehr rekonstruieren. Schon 1360 ist die Anwesenheit<br />

des vermögenden Gherke von Pawel, Lehnsmann der Herzöge Magnus 11 und Friedrich,<br />

auf dem Grundstück bezeugt \08). Laut Degedingsbucheintrag hat Herr Steffen,<br />

Gherke von Pawels Sohn, drei Mark Zins an Henning, Gerkes, Bertrams und Hans' Haus,<br />

" ... dat gheleghen is tighen sente Jacoppe ... ". Dieser Beleg zeigt, daß das Grundstück<br />

bereits vor Gerke von Pawel im Besitz der Familie gewesen sein muß, es war gemeinsamer<br />

Besitz der aufgezählten Brüder, die Johannes von Pawel, den Onkel des Gottesritter Steffen,<br />

zum Vater hatten. Seit wann Johannes das Grundstück sein Eigen nannte, ist nicht zu<br />

datieren, doch die Rechte auch seines Neffen daran deuten an, daß bereits sein Vater,<br />

Johannes von Pawel, Eigentümer der Parzelle gewesen sein könnte. Da er bereits 1301 sein<br />

Testament gemacht hat und 1306 als verstorben gilt, muß der Erwerb der Parzelle in das<br />

ausgehende 13. Jahrhundert zurückdatiert werden 1(9).<br />

In den Jahren 1392 bis 1400 werden im Schoßregister ein Brand Rutze, 1401 bis 1403<br />

eine Rutzesche und 1404 bis 1405 ein Hans Rutze genannt. Gleichzeitig ist Gherke von<br />

Pawel nur in den Jahren 1393/1394 und 1404/1405 namentlich belegt. Inwieweit darin Hinweise<br />

auf ein eine Abgabepflicht nach sich ziehendes Mietverhältnis zu sehen sind, ist nicht<br />

zu entscheiden, zumal Brand Rutze 1400 mit Henning von Bansleve (Nr. ass. 449) eine<br />

schriftliche Einigung über Baumaßnahmen in beiden Höfen erzielte, wie sie zwischen<br />

Nachbarn üblich sind 1\0).<br />

Gemessen an der Besitzdauer des bedeutenden patrizischen Geschlechtes von Pawel<br />

ll1 ) und der ihnen nachfolgenden von Strombeck nimmt sich die Anwesenheit der ebenfalls<br />

patrizischen Ratsfamilie Swalenberg als Episode aus:<br />

1418-1431 Bartold Swalenberg<br />

1432 -1435 Swalenbergs Kinder, von ihnen wird Hans ab 1433 allein geführt 112).<br />

1(6) Neben den Schoßregistereinträgen auch B I 19,4, f. 8v (1408); a. a. O. f. 19v (1409); a. a. 0.,<br />

f. 61r (1416).<br />

107) 1410 wird Wedego als Hausbesitzer eines anderen Grundstückes bezeichnet, dessen Beschreibung<br />

nicht mit Nr. ass. 450 übereinstimmt, B I 19,4, f. 26v.<br />

1M) BI 19,2, f. 154r. Vgl. D. Mack, Testamente 111, S. 485.<br />

109) Zur Genealogie vgl. S. Reidemeister, Genealogien, S. 111 f. (Gherke IV 11 und Johannes<br />

IV 12 sowie Johannes 111 2). Als weiterer Beleg für die Brüder von Pawel BI 19,2, f. 165r/v (1362,<br />

Hans von Pawel); a. a. 0., f. 207v (1369, Gherke von Pawel).<br />

110) BI 19,3, f. 75v.<br />

111) Vgl. S. Reidemeister, Genealogien, S. 111 f., W. Spieß, Ratsherren, S. 176, und N.<br />

Kamp, Rang, zur Bedeutung der von Pawel, deren Mitglieder traditionell in den sehr angesehenen<br />

und lukrativen Berufen der Fernhändler, Wandschneider, Goldschmiede und Wechsler tätig waren.<br />

112) Noch 1439 sind Ansprüche der Erben aus dem Besitz verzeichnet. Die Familie war ursprünglich<br />

im Hagen ansässi&, vgl. W. Spieß, Ratsherren, S. 212.<br />

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33


Über einen längeren Zeitraum lassen sieh dagegen die Mitglieder der von Strombeck<br />

auf Nr. ass. 450 verfolgen, deren Zugehörigkeit zu einem patrizischen Ratsgeschlccht nicht<br />

mehr verwundert 113).<br />

1434 u. 1436 Tile von Strombcck, mit Hans Swalenberg<br />

1436-1441 Tile von Strombeck mit seinem Sohn Cord<br />

1441-1458<br />

1459-1467<br />

1468-1475<br />

1476-1481<br />

Cord von Strombeck mit seinem Bruder Tile<br />

Cord von Strom heck 114) allein<br />

die Strombecksche, Cords Witwe, mit ihren Kindern<br />

Cords Sohn Rartold von Strombeck, zeitweise mit seinen Geschwistern,<br />

bis 1481 auch seine Muttcr als Mitbewohnerin.<br />

Von den von Strombeckschen ging das Recht der Parzelle auf die patrizische Ratsfamilie<br />

von der Leine über:<br />

1482-1484 die Leinsche 115) und ihr Sohn Ti1c, der 1485 verstorben ist 116)<br />

1485-1492 Tile, der Sohn Tilcs von der Leine und Enkel der Leinsehen ("Leinsches<br />

1493-1543<br />

1545-1553<br />

1554-1561<br />

1562-1575<br />

1576-1582<br />

1583<br />

Kind"), für den 1486 Hans Kaie lli) und 1487 bis 1494 Luder Hornburg die<br />

Schoßzahlungen ühernommen hahen.<br />

Tile von der Leine ("Lcinsches Kind")<br />

Kinder Tiles von der Leine, für die Jahre werden, nicht immer vollständig,<br />

genannt Hinrich (Hcinrich), Bcmd, Tile, Dietrich, Margarete 11M)<br />

Dietrich, Heinrich und Bernd (nach Hannover verzogen) von der Leine<br />

Dietrich von der Leine 119) und sein Bruder Heinrich<br />

die Leinsehe, verm. Dietrichs Frau Anna v. Damm 120), und scine Mutter,<br />

zusammen mit dem überlebenen Bruder Heinrich<br />

Dietrich von dcr Leine (Dietrichs Sohn) und Schwester<br />

11') An Einzeihelegen vgl. B I 19,4, f. lOOr (1422); a. a. 0., f. 161v (1433); B I 19,5, f. 4v (1443);<br />

a.a.O., f. 26v (144R); a.a.O., f. 45r(1453); a.a.O., f. 93r(1464); a.a.O., f. 15Ov(1474).<br />

114) B 123,2, f. 50v-5 I r.<br />

11\) Witwe des Tile von der Leine, geb. Anna von Walbeck, S. Reidemeister, Genealogien,<br />

S. 143 ff.<br />

110) A. a. 0., S. 103 ff.<br />

117) Seine Mutter war eine geb. Kaie, S. Reideme iste r, Genealogien, S. 103.<br />

IIR) Verheiratet mit Autor Pralle, verstorben 1564, vgl. S. Reidemcister, Genealogien, S.<br />

103 Cf.<br />

119) Bürgermeister seit 1560.<br />

120) Für Anna v. Damm liegt ein umfangreiches Inventar der Hinterlassenschaft für "Haus vnd<br />

Hof am Eyermarckte gegen S. Jacobs kirche vhcr helegen ... " vor (A 14,4,1583), aus dem die Art<br />

und Nutzung der Räume des Hauses hervorragend sichtbar werden. Genannt werden: Dele (mit Helleharde,<br />

Harnisch und Centncrbüchse, Geschirr und Spinnrädern), Dornse (mit Kontortisch, Tisch<br />

und Sitzmöbeln, Geschirr und Buchern), Kontor (Flachs eingelagert), kleine Schlafkammer, Küche,<br />

Herrn- Dietrichs Kammer, Malzboden, Mägdekammer, Fleischkammer und eine Kammer üher der<br />

Dornse; ferner Brauhaus, Kuhstall, neue Kammer und Gasthaus im Hof, Ripskammer, Holzhäuser,<br />

Graßhof, Badstoben und Keller (mit Mummefaß, Renne, Biermulden und Wanne).<br />

34<br />

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Obwohl dieser zweite Dietrich von der Leine erst 1591 verstorben ist und seine Schwestcr<br />

Katharina ihn sogar noch übcrlebt hat 121), wechselte dcr Besitz nach der langen Zeit<br />

der Vater-Sohn-Erbfolge auf den Familienzweig von Dietrichs Tante Margarete, die<br />

Schwester seines Vatcrs Dietrich, die mit Autor Pralle, dem nachfolgenden Bcsitzer, verheiratet<br />

war 122).<br />

Ähnlich wie bei den von Strombeek mit den von Ursleve, von Peyne, von dcr Heyde,<br />

v. Damm und von Pawel waren die patrizischen von der Leine, die vier Generationen lang<br />

dic Parzelle Nr. ass. 450 besessen hattcn, durch Hcirat mit den übrigen Geschlechtern des<br />

Weichbildes, den v. Walbcck, Kaie, v. Damm verschwägcrt. Lediglich für Dictrich von der<br />

Leine, den Vater des gleichnamigen letztcn Besitzers des Grundstückes, kann mit dem<br />

Hinweis auf seine Tätigkeit als Wechsler das berufliche Umfeld dcr Familie beleuchtet<br />

werden. Dafür belegen das karitative Engagemcnt und die politischen Ämter die finanzielle<br />

Abkömmlichkeit und dcn hohen sozialen Rang der einzelnen Vertreter, die als Provisoren,<br />

Constablcr, Rats- und Gerichtsherren, Küchenkämmerer und Bürgermeister 123) tätig<br />

waren und einzelnen Familienmitgliedern auch ein Studium ermöglichen konnten.<br />

Mit Autor Pralle, Brauer und Fernhändlcr und als Constabler, Zeugherr , Ratsherr,<br />

Kleiner und Großer Bürgermeister sowie Abgeordneter beim Hansetag für die Stadt tätig<br />

124), übernahm erneut der Vertreter eines patrizischen Ratsgeschleehtes das Anwesen:<br />

1584 Autor Pralle 12'), mit Katharina von dcr Leinc<br />

1585-1619 Franz Pralle, Autors und Margaretes v. d. Leine Sohn<br />

1620 Leonhard Pralle, der jüngere Bruder von Franz 126) aus der dritten Ehe seines<br />

Vaters Autor.<br />

Leonhard, als Erbe des väterlichen Besitzes in der Kuhstraße eingesetzt, scheint das Anwesen<br />

am Eiermarkt (nach der Quelle: Steinmarkt) sofort verkauft zu haben:<br />

1621-1647 Dr. Ca spar Klocke. Von 1648 bis 1658 fehlen Belege.<br />

1659-1671 Caspar Klockens Witwe.<br />

Dr. Caspar Klocke war als Syndicus der Stadt ein Beispiel für einen akademisch ausgebildeten<br />

hohen Würdenträger innerhalb der Stadtverwaltung im Wohnumfeld der wirtschaftlich<br />

führenden Geschlechter. Seine Witwe, Elisabeth Ram, scheint den Besitz mangels<br />

eigener Erben ihrem Patenkind Anna Elisabeth Petri vermacht zu haben, die 1682<br />

121) Vgl. B r 23, 4, f. 172r-173r, sie wird dort als Haupterbin genannt.<br />

122) S. Reidemeister, Genealogien, S. 116 f., Autor IV 3.<br />

121) Der ältere der hier genannten Dietrich von der Leine. S. Reideme ister, Genealogien, S.<br />

103 ff.<br />

124) W. Spieß, Ratsherren, S. 181 f.<br />

125) Autor selbst hat seinen Wohnsitz in der Kuhstraße behalten und das Familienerbe für seinen<br />

Sohn erworben. Er verstarb erst 1603, vgl. sein Testament B r 23, 5, f. Iv-4v.<br />

126) Inventar zum "achlaß von Franz A [4,8,1621, genannt werden u. a. ein Raum "oben vff<br />

der Cemnade", ein Hofgebäude mit einer kleinen Stube, ein Badstoben .<br />

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35


lohann Georg GarBen, den Sohn des Hofgerichtsassessors Dr. iur. lohann Hildebrand<br />

GarBen geheiratet hat und 1730 verstorben ist 127).<br />

Eine namentliche Aufschlüsselung der nachfolgenden Eigentümer aus der Familie<br />

GarBen ist nicht möglich gewesen, da aus den Kirchenbüchern wohl die Geburtsangaben<br />

für Kinder aus der Ehe Garßen-Petri herauszuarbeiten sind, ergänzende Quellen zum<br />

Grundstücksbesitz aber fehlen 128):<br />

1671-1730 Anna Elisabeth Garßen, geb. Petri, bis 1693 mit ihrem Mann 129)<br />

1730-1779 Erben aus der Familie GarBen 130)<br />

ab 1779 Sitz des Kombinierten lohannis-Hünebostelschen Beginenhauses, das<br />

1863 dureh die Inkorporierung des Lessen-Konvents erweitert worden<br />

ist 131).<br />

Parzelle Nr. ass. 4511 32 ):<br />

Als erstes namentlich faßbares Geschlecht mit Wohnsitz auf der Parzelle lassen sich die<br />

Dorings seit 1346 nachweisen 133), deren Resitzrecht sich bis ca. 1671 an diesem Ort verfol­<br />

gen läßt:<br />

1346<br />

1386<br />

1390<br />

1392-1409<br />

1410-1421<br />

1422-1430<br />

1431-1441<br />

1442-1450<br />

1451-1452<br />

die Brüder Tile und Conrad Doring 134)<br />

Cord Doring<br />

die Kinder Dorings 135)<br />

Cord und Tile Doring<br />

Tile Doring, die Doringsche (Witwe Cords) und ihre Kinder<br />

Tile Doring allein<br />

die Doringsehe (Tiles Witwe), ihre Kinder und Cord Doring, Tiles Sohn<br />

und Haupterbe<br />

die Doringsche (s.o.) und Dietrich Doring, Cords Bruder und zweiter Sohn<br />

Tiles<br />

Doringsches Haus<br />

127) D. Mack, Bürgergeschlechter, Bd. 2 11, S. 560.<br />

128) Vier Kinder sind nachzuweisen: E 156, S. 80, Tochter (1682), S. 155 Sohn (1686), S. 190<br />

Sohn (1688), S. 219 Sohn (1698).<br />

129) Gest. 1693, vgl. D. Mack, a.a.O.<br />

130) H III I, I, S. 27 (1772).<br />

131) A. Boldt, Fürsorgepolitik, S. 9 f., 14, bes. Mandat zum Ankauf des Garßenschen Hauses<br />

C III 4, 18, S. 53 (1779 Febr. 25).<br />

132) Quellengrundlage ist, wie bei den vorangegangenen Ausführungen, das Schoßregister B 11 5.<br />

133) Als ergänzende Einzelbelege vgl. B I 19,2, f. 38v (1346); B I 19,2, f. 45r (1346); B I 19,3,<br />

f. 72v (1400); B I 19,4, f. 85r (1419); a. a. 0., f. 97r (1422); B I 19,5, f. 87v (1463); BI 23, 2, f. 56r-57r<br />

(1472).<br />

134) D. Mack, Testamente I, S. 153, Bürgermeister der Altstadt, der 1374 umkam.<br />

135) Aus den folgenden Aufzeichnungen geht hervor, daß es sich um die Söhne Conrads, den<br />

bereits genannten Cord und seinen Bruder Tile handelt. Vgl. auch D. M ack, Testamente I, S. 89,191;<br />

111, S. 511. Cord war von Beruf Wandschneider und politisch als Ratsherr tätig. Er war Onkel des oben<br />

genannten Hans (3) Hilmer.<br />

36<br />

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1453-1471<br />

1472-1483<br />

1484-1511<br />

1512-1535,<br />

1540-1560<br />

1561-1577<br />

1578<br />

1579-1602<br />

1603-1625<br />

1626-1630<br />

1631-1634<br />

1635-1640<br />

1641<br />

1642-1645<br />

1646-1658<br />

1659<br />

1660-1671<br />

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Cord Doring (vgl. 1442-1450), zeitweise mit seinem Bruder Dietrich<br />

die Doringsche (Cords Witwe Alheid Düsterhop) und Sohn Tile<br />

Tile Doring, Cords Sohn<br />

ev. 1539 Tile Doring mit seinem Sohn Cord. Für 1536-1538 ein "Dirich"<br />

Doring<br />

Cord Doring mit seinem Sohn Hans Doring<br />

Hans Doring<br />

Cord (Curd) Doring 136)<br />

Cord Doring und Hans, sein Bruder, Söhne des Hans Doring<br />

Cord Doring 137)<br />

Cord Doring<br />

Cord Dorings Haus<br />

ohne Belege<br />

Heinrich Doring<br />

Bürgermeister Cord Dorings Haus 138)<br />

Heinrich Dorings Haus 139)<br />

Dorings Haus<br />

Heinrich Dorings Haus<br />

Mit Heinrich Doring endete die lange Anwesenheit der Familie Doring auf Nr. ass.<br />

451. Ihr Zugehörigkeit zu den Ratsfamilien der Altstadt ist gesichert, mehrfach haben die<br />

Familienmitglieder politische oder Provisorenämter bekleidet wie der Erstbesitzer Conrad<br />

(Ratsherr, Provisorate bei St. Martini und Hospital Beatae Mariae Virginis), Sohn Cord<br />

(Ratsherr und Bürgermeister), Cord (Tiles Sohn, Rats- und Zeugherr), sein Sohn Tile<br />

(Constabler, Ratsherr, Provisorate für St. Martini und Kreuzkloster), Tiles Enkel Hans<br />

(Constabler, Rats- und Gerichtsherr, Küchenkämmerer, Kleiner und Großer Bürgermeister),<br />

sein Sohn Cord (Curd, neben den Ämtern seines Vaters Zeugherr, Abgesandter<br />

beim Hansetag, Gründer des Doringschen Beginenhauses) 1411).<br />

Bei den Vertretern der fünf Generationen seit Tiles Sohn Cord (ab 1431) fällt der<br />

häufige Besuch von Universitäten (Leipzig, Erfurt, Rostock, Marburg) auf, worin sicherlich<br />

ein Nachweis für ausgeprägtes Bildungsbestreben des Geschlechtes zu sehen ist, abgesichert<br />

durch eine ausreichende finanzielle Grundlage und ein zunehmend bedeutsamer<br />

werdendes Mittel für den erfolgreichen politischen Aufstieg einzelner Familienmitglieder.<br />

Für den hohen gesellschaftlichen Rang der Dorings sprechen auch die durch Heirat ge-<br />

136) S. Reidemeister, Genealogien, S. 50.<br />

137) Cord Doring ist 1625 Aug. 30 verstorben. Für die im Schoßregister fortgeführten Einträge<br />

mit diesem Namen bedeutet das, daß sie nicht mehr den tatsächlichen Inhaber bezeichnen, sondern<br />

auf den früheren Vorbesitzer, den sozial sehr bedeutsamen Cord (Begründer des Doringschen Beginenhauses),<br />

zurückgreifen.<br />

1311) Vgl. 136.<br />

139) Das Eigentumsrecht läßt sich aus den Retardatenaufzeichnungen des Schoßregisters belegen,<br />

B II 5, 113, f. 24r.<br />

140) Für die Amtsangaben vgl. W. Spieß, Ratsherren, S. 98 f. Zum Beginenhaus B II 5,74, f.<br />

36Or, 439v (1617-1622), und A. Boldt, Fürsorgepolitik, S. 22.<br />

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schaffenen Bindungen an die wichtigen, ebenfalIs im Umfeld der St. Martinikirche ansässigen<br />

Familien von dem Kerkhof, KaIe, v. Damm, Ehlers, um nur einige zu benennen.<br />

4. Ausstattung und Bebauung der Grundstücke<br />

Bevor die dargelegten Parzellenchronologien hinsichtlich ihrer Aussagen über die gesellschaftliche<br />

StelIung der Grundstücksbesitzer ausgewertet werden, soll den wenigen IIinweisen<br />

der Quellen zur Gestaltung der Anwesen und zum Aussehen der Häuser nachgegangen<br />

werden. Auch sie können dazu beitragen, die Position ihrer Bewohner näher zu<br />

bestimmen.<br />

Grundsätzlich ist ein Mangel an gezielten Hinweisen auf Art und Aussehen der Bebauung<br />

von Grundstücken im allgemeinen und der hier untersuchten Parzellen im besonderen festzustellen.<br />

Hinweise auf das Vorhandensein von Kemenaten, Wasserrinnen, Wasserablaufvorrichtungen,<br />

separaten Häusern in den Hofanlagen und Mauern sind stets nur Begleitinformationen<br />

im Rahmen der eigentlich wichtigen und in rechtsgültiger Form festgehaltenen<br />

Abmachungen, die in den Degedingsbüchern, Testamenten und Inventarien etc. getroffen<br />

werden. Meist handelt es sich um die Bestätigung bestehender Zinsrechte an den<br />

Grundstücken und Erbabsprachen über beweglichen Besitz in den Wohnhäusern. Selbst<br />

aus den Inventarien lassen sich nur die Anzahl und ggf. die Funktion verschiedener Räumlichkeiten<br />

und Bauten auf einer Parzelle, nicht die Zuordnung der Räume im Bauensemble<br />

selbst festhalten, da wiederum nur das Inventar in den Zimmern von Bedeutung für die<br />

Aussteller gewesen ist. Bedingt durch die Funktion der überlieferten Quellengruppen müssen<br />

die Ergebnisse hinsichtlich der Baubetrachtung zwangsläufig hinter den Erwartungen<br />

zurückbleiben. Der mittelalterliche oder früh neuzeitliche Besitzer eines Hauses sah keinen<br />

Bedarf, das ihm vertraute Gebäude ausführlich zu beschreiben, relevant waren einzig<br />

Rechtsverbindlichkeiten.<br />

Dennoch sind einzelne Hinweise wert, festgehalten zu werden. So ist für die Parzelle<br />

Nr. ass. 629 seit mindestens 1408 141 ) "dat grote steynhus vppe der heydestraten in der suderen<br />

reghe ... " überliefert. Dieses Haus, über dessen Aussehen keine weiteren Angaben<br />

gemacht werden und von dem man infolgedessen auch nicht weiß, wieviele Stockwerke es<br />

hatte und ob Fachwerkanbauten vorhanden waren, ist 1469 bzw. kurz darauf durch Brand<br />

zerstört und durch einen Neubau ersetzt worden 142). Ein weiterer Beleg von 1514 deutet<br />

an, daß zwischen einem Haus auf der ParzelIe, nicht unbedingt dem Haupthaus, eine direkte<br />

Verbindung über Dachsparren mit einem Baukörper auf der Nachbarparzelle Hermen<br />

Kalms bestanden hat, ein Problem der erlaubten Grenzbebauung, das wichtig genug<br />

war, einen Eintrag in das Degedingsbuch vornehmen zu lassen 14)).<br />

Ein weiterer Eintrag 144) läßt erkennen, für wie wichtig die Regelung der Wasserverund<br />

-entsorgung erachtet worden ist. Gleichzeitig wird ersichtlich, daß neben Brunnen und<br />

38<br />

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141) BI 19,4, f. IOv. Erneut a. a. 0., f. 192v (1439), B I 19,5, f. 67v (1459).<br />

142) BI 19,5, f. 123r; B 119,6, f. 16r (1494).<br />

143) BI 19,6, f. 89r.<br />

144) BI 19,6, f. 104r.<br />

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mindestens einem Haus 145) ein Grashof vorhanden gewesen sein muß, angesicht der Größe<br />

der Parzelle keine Überraschung. Die Nachricht zur Wasserversorgung behandelt einen<br />

"Ouesehal": " ... So Gerke pawel henrick eckleue vorgunt heft eine ouessal van henrick<br />

eckleues orthhuse in gerken pawels grashoue da vormals rymen pie gen to ligende dat hinrik<br />

eklcff vn sine furfare or water van dem yanthem huw, heide to dem huse vn buw horrende<br />

In iren hoff nemen moste ... ". Henrik wird weiterhin die Auflage gemacht, die Wände<br />

seines Hauses vor Verfall zu bewahren.<br />

Die Anhringung eines Oueschal ist auch Gegenstand einer der wenigen Mitteilungen<br />

für die Parzelle Nr. ass. 631 aus dem Jahr 1417 146 ): "Achatius Grube (Nr. ass. 631) vnde<br />

hans van holleghe (Nr. ass. 632) hebben ghesecht vor dem Rade dat se sek vordraghen<br />

hebben also dat Achatius grube eyn ouesval ghehenghet hefft ouer de muren van synem<br />

buwe dat in synem houe steyt in dat suden also dat hans vorghescreuen vnde we sin hus na<br />

ome hedde dat wat' van dem ouesualle in sinen Grashoff nemen schal. hir vor hefft achatius<br />

by ghe dan de venstere de van sinen vorghescreuen buwe in hanses hoff ghinghen vnde dar<br />

en scholdeme neyne venstere van den sulue buwe in hanses hoff gande weddermake dar to<br />

hefft achatius hanse dar vor twelff gulde gheuen vnde de huse synd beyde beleghen tyghen<br />

sten mertens parre ouer in der westeren reghe ... ". Offensichtlich handelte es sich um eine<br />

Regenrinne an der südlichen Seite des Wohnhauses von Achatius Grube, das im Süden des<br />

Hofes gestanden hat. Das anfallende Wasser sollte über den hollegschen Hof abgeleitet<br />

werden. Als Gegenleistung hat Achatius nicht nur eine einmalige Zahlung von zwölf Gulden<br />

geleistet, sondern darüber hinaus auch die Fenster in seinem Haus beseitigt, die Einblicke<br />

in den Hollegschen Hof erlaubt hätten. Derartige Sichtkontakte scheinen nicht beliebt<br />

gewesen zu sein. Vielmehr legten Bewohner eines Hauses Wert auf Abgeschlossenheit<br />

und Unversehrtheit des eigenen Besitzes, wie das schlichtende Eingreifen des Rates<br />

1478 147 ) belegt:<br />

"Deme Rade is witlik So alse Olrik van detten (Nr. ass. 630), an hans van engelcmstedes<br />

(Nr. ass. 631) müren In synem hofe gebuwet heft, sundcr hanses willen eynen koystall<br />

eynen swynekoven, eyn kümthor, eyn scherny, vnde eyne rennen an syne [m]üren gehenget<br />

heft It Dar oüer heft de Rad gescheyden, dat Olrik dc rennen aff nemen schal, vnde rümen<br />

ome myt dem vorgeschreuen huwe anderhaluen voyt van hans engelemstiddes müren, vnde<br />

myt dem swynekoven dre voyt van der müren, ... ".<br />

Die Verpflichtung, Kuh- und Schweinestall in größerer Entfernung zur Mauer des<br />

Nachbargrundstückes neu zu errichten und die Wasserentsorgung nicht ohne das Einverständnis<br />

des Nachbarn anzuhringen wird verständlich, denn twtzder relativ großen Grundstücke<br />

dürfte durch die Tierhaltung eine Geruchsbelästigung unvermeidlich gewesen sein.<br />

Zudem sollte eine Verunreinigung des Wassers durch Ställe, aber auch eine Gefährdung<br />

der Bausubstanz durch ständige Feuchtigkeit sicherlich verhindert werden.<br />

145) 1705 ist beim Verkauf des Anwesens an das Hospital St. Thomae eine dichte Grundstücksbebauung<br />

mit mehreren Nebengebäuden einschließlich eines Brauhauses überliefert.<br />

146) 8 I 19,4, f. 70v.<br />

147) 8 I 19.5, f. 170r.<br />

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39


Das Eckgrundstück Nr. ass. 449 war zum Martini-Kirchhof durch eine Mauer abgetrennt,<br />

an der offensichtlich begrenzte Baurnaßnahmen des Altstadtrates stattgefunden<br />

haben. Nach 1359 waren dem Rat hier jedoch nur noch Ausbesserungsmaßnahmen gestattet<br />

148). Auch zum südlichen Nachbargrundstück (Nr. ass. 450) hat eine Mauer die Grenze<br />

markiert, die jedoch NT. ass. 450 zugerechnet worden ist. Diese Mauer muß so gestaltet<br />

gewesen sein, daß der damalige Besitzer von Nr. ass. 449 Henning von Banslcve auf und<br />

an ihr einen Bau errichten konnte 149), über dessen Aussehen jedoch keine Angaben gemacht<br />

werden. Dieser Bau sollte nach Absprache der Nachbarn stets fcnsterlos bleiben,<br />

um den Hof Brand Rutzes vor Einsicht zu schützen. Im Jahr 1411 ist eine weitere Abmachung<br />

zwischen Henning von Bansleve und dem Pfarrer von St. Martini, dem Bewohner<br />

der nach Westen anschließenden Parzelle N r. ass. 636 an der Turnierstraße , belegt 150). Sie<br />

schreibt das Recht Hennings fest, einen "ouesval" von seinem hintersten Haus im Hof in<br />

den Grashof des Pfarrgrundstückes zu legen, aus dem wiederum der Pfarrer das Wasser in<br />

Rinnen über sein Backhaus im Pfarrhof leiten dürfte. Diese Rinnenleitung konnte vom<br />

jeweiligen Pfarrer aber auch wieder beseitigt werden. Untersagt wurden Bauten unter dem<br />

"ouesval". Für den Fall, daß der Pfarrer einmal die Absicht hätte, seine Kemenate, an<br />

Hennings Parzellen mauer gelegen, aufzustocken, wird die Verpflichtung festgeschrieben,<br />

Hennings Wasser in einer Kehle auf das eigene Grundstück NT. ass. 636 zu leiten oder den<br />

Bau zumindest ohne Nachteile für Hennings Mauer und Gebäude anzulegen.<br />

Auch für die Parzelle Nr. ass. 450 ist, allerdings erst 1621, eine Kemenate mit mindestens<br />

einem Raum in einem Stockwerk über dem eigentlichen Steinbau festzustellen, wobei<br />

der Steinbau sicherlich schon älter gewesen ist 151).1583 und bedingt auch noch 1621 kann<br />

man sich die gesamte Parzellenbebauung als ein Ensemble unterschiedlich großer und in<br />

ihrer Funktion differenzierter Gebäude vorstellen, da neben dem Haupt- oder Wohnhaus<br />

auch Brauhaus, Kuhstall, Badestoben und Keller in einem Hof gruppiert gewesen sind 152).<br />

Für die Parzelle N r. ass. 451 fehlen Hinweise auf einzelne Gebäude (Kemenaten oder Wasserleitungen)<br />

völlig.<br />

Mit diesen wichtigen Hinweisen sind die Schriftquellen zur Bebauung der behandelten<br />

Grundstücke erschöpft. Immerhin konnte jedoch die gesellschaftliche und soziale Bedeutung<br />

der Bewohner der Grundstücke durch die Nachweise von Kemenaten unterstrichen<br />

werden, waren diese Steinbauten doch Ausdruck von Finanzkraft und Ansehen der jeweiligen<br />

Besitzer und Erbauer auch noch in der Zeit, die den Beginn der hier vorliegenden<br />

Untersuchung markiert.<br />

Abgesehen davon konnte bestätigt werden, daß die Bebauung der Parzellen auch im 15.<br />

und 16. Jahrhundert nicht willkürlich durch die Besitzer erfolgen konnte. Die Absprache<br />

mit den Nachbarn war Voraussetzung; wo sie nicht getroffen worden war, mußte im Notfall<br />

148) Vgl. auch B 119,4, f. 159r (1433).<br />

1(9) BI 19,3, f. 75v (1400).<br />

150) BI 19,4, f. 32v.<br />

151) AI 4, 8 (1621).<br />

152) A. a. O. und A 14, 4 (15R3). Badestoben und Gast- resp. Hofhaus sind in bei den Quellen<br />

verzeichnet.<br />

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der Altstadtrat die Entscheidung treffen. Fragen der Grenzbebauung, besonders bei Nutzgebäuden<br />

wie Tierstallungen, die Schmutz und Geruchsbelästigung zur Folge hatten, vordringlich<br />

aber die Wasserver- und -entsorgung waren so bedeutend, daß sie "gemeinschaftliche"<br />

Angelegenheiten werden konnten und teilweise in nachbarschaftlicher Hilf te organisiert<br />

werden mußten.<br />

5. Abschließende Bemerkungen<br />

<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong><br />

Das Bemühen, auf der Basis einer möglichst breiten Quellensichtung so tief wie möglich in<br />

die frühe Geschichte eines bestimmten Weichbildes, seiner Sozial- und Wirtschaftsstruktur<br />

und der Rekonstruktion der ihn prägenden Besitzverhältnisse sowie der zwischen diesen<br />

Faktoren herrschenden Interdependenzen einzudringen, läßt erneut die Grenzen von archivalischen<br />

Recherchen sichtbar werden. Schriftquellen mit Hinweisen auf Eigentumsverhältnisse<br />

bei <strong>Braunschweig</strong>er Bürgern, die bis in das 13. Jahrhundert zurückreichen,<br />

finden sich nur in Ausnahmefällen, und erst ab dem 14. Jahrhundert kann von einer, auch<br />

nur punktuell befriedigenden Überlicferungssituation gesprochen werden. Dieser Tatbestand,<br />

so bedauerlich er an sich auch sein mag, sollte jedoch keinesfalls den Blick darauf<br />

verstellen, daß erst durch die Einbezichung der aus der Schriftquellenanalyse dennoch zu<br />

erzielenden Erkenntnisse in die interdisziplinäre Gesamtschau einer Weichbildsituation<br />

wie der der <strong>Braunschweig</strong>er Altstadt, ihrer Ursprünge und ihrer Entwicklung ein umfassenderes<br />

Bild von Aussehen und Sozialgefüge dieses Weichbildes zu zeichnen ist. Insofern<br />

hat sich der Ansatz des Zusammenwirkens unterschiedlicher Wissenschaftsdisziplinen sicherlich<br />

auch in diesem Fall als fruchtbar erwiesen. Das Eindringen in mitunter sehr komplizierte<br />

familiengeschichtlichen Zusammenhänge bei einer Fragestellung, die sich die Klärung<br />

von Besitzverhältnissen innerhalb eines relativ eng umschlossenen Parzellen areals<br />

zur Aufgabe gestellt hat, scheint auf dt:n t:rsten Blick nur aus der Sicht genealogischt:n<br />

Interesses verständlich und nur bedingt gerechtfertigt. Dennoch soll hier mit Nachdruck<br />

unterstrichen werden, daß erst die sicherlich in einzelnen Fällen noch immer ergänzungs bedürftige<br />

Aufdeckung der engen familiären Verbindungen und Kontakte in einem letztendlich<br />

kleinen Kreis überwiegend patrizischer Geschlechter den besonderen Charakter des<br />

Wohnquartiers rund um den Eiermarkt an dt:r St. Martini-Kirche erkennbar werden läßt.<br />

Dieses Wohngebiet erstreckt sich in direkter Nachbarschaft von Pfarrkirche, Markt<br />

und Rathaus als den sichtbaren Zentren rt:ligiöser, wirtschaftlicher und politischer Macht.<br />

Die Erwartung, daß Besitz und sozialer Rang der im Schatten dieser Zentren lebenden<br />

Bürger einander bedingen und entsprechen, konnte durch die eingehendere Charakterisierung<br />

dieser Bürger bestätigt werden.<br />

Was als These durchaus geläufig ist, konnte verifiziert werden durch den Nachweis, daß<br />

bert:its im frühen 14. Jahrhundt:rt und, in Ansätzen nachweisbar, schon im ausgehenden<br />

13. Jahrhundert eine namentlich eng einzugrenzende, untereinander verschwägerte<br />

Gruppe von Geschlechtern den Parzellenbesitz zwischen Turnier-, Heydenstraße und Eiermarkt<br />

(Stein markt) in ihrem Kreis tradiert hat. Besonders herauszuheben ist hier sicherlich<br />

die Familie von Pawel, die mehrfach als Eigentümerin von unterschiedlichem Grund-<br />

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esitz auftritt und deren Präsenz bis in das frühe 14. Jahrhundert vor Einsetzen der Schoßbücher<br />

zurückzuverfolgen ist. Nur diese durch Ausübung angesehener und lukrativer Berufe<br />

besonders als Wandschneider, Goldschmiede, Kaufherren oder Wechsler zu Vermögen<br />

gelangten Familien konnten sieh Besitz hier leisten und u. a. mit den durch die archäologischen<br />

Grabungen nachgewiesenen komfortablen Steinkemenaten ausstatten. Sie mußten<br />

dies umgekehrt auch, um ihren sozialen Rang und ihre Zugehörigkeit zur gesellschaftlichen<br />

Führungsschicht stets von neuem vor Augen zu führen. Die finanzielle Spitzenposition<br />

ging, wie die einzelnen Nachweise bei den dargestellten Familien gezeigt haben, einher<br />

mit der Übernahme politischer Funktionen sowie karitativer und kirchlicher Ehrenämter<br />

in der Altstadt und darüber hinaus in anderen Weichbilden. Das von der sozialen Führungsschicht<br />

beanspruchte Recht, die Geschicke der Stadt lenken zu können und die zum<br />

Teil selbst auferlegte und von der breiten Bevölkerung erwarteten Fürsorgepflicht kommen<br />

in diesen Funktionen gut zum Ausdruck.<br />

So geben die hier untersuchten Eigentumsverhältnisse einiger Parzellen um den Eiermarkt<br />

nicht nur einen Einblick in Rechtsverhältnisse, sondern auch in das Sozialgefüge der<br />

Altstadt, deren herausgehobene Position für die gesamte Stadt erneut unter Beweis gestellt<br />

wird. Bewußt wird hier noch einmal betont, daß im Rahmen dieser Studie noch nicht alle<br />

Parzellen, die die archäologischen Grabungen seit 1985 auf dem Eiermarkt angeschnitten<br />

haben, behandelt werden konnten. Es wäre sicherlich wünschenswert, auch die übrigen<br />

Parzellen einer eingehenderen Untersuchung zu unterziehen, um das Bild eines der wichtigsten<br />

Wohnquartiere <strong>Braunschweig</strong>s überhaupt abschließend zu zeichnen.<br />

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Literaturverzeicbnis<br />

<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong><br />

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der Hansestadt Lübeck. Materialien und Methoden einer archäologisch-historischen Auswertung<br />

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F re ist, Fr.-W., Die Pastoren der braunsehweigischen evangelisch· lutherischen Landeskirche seit der<br />

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Kabli tz, K., Sozialdaten über Anwohner der Jöddenstraße im 14. und 15. Jahrhundert, in: Stadtarchäologie<br />

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(1987), S. 215-228.<br />

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aus dem Städtischen Museum <strong>Braunschweig</strong>, Nr. 38). Braunsehweig 1981.<br />

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M aek, D., <strong>Braunschweig</strong>er Bürgergeschlechter im 16. und 17. Jahrhundert. Genealogien von Stiftern<br />

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Bd. 2, I·III, Veröffentlichungen der Familienkundlichen Kommission für Niedersachsen und<br />

Bremen sowie angrenzende ostfälische Gebiete e. V.). Göttingen 1985.<br />

M ack, D., Testamente der Stadt <strong>Braunschweig</strong> (Beiträge zu Genealogien <strong>Braunschweig</strong>er Familien,<br />

Forschungsberichte zur Personen- und Sozialgeschichte der Stadt Braunschwcig, Bd. 3, I-III, Veröffentlichungen<br />

der Familienkundlichen Kommission für Niedersachsen und Bremen sowie angrenzende<br />

ostfälische Gebiete e. V.). Göttingen 1988-1990.<br />

Malthies, M., Paläo-ethnobotanische Befunde aus mittelalterlichen Brandschuttschichten und<br />

Kloaken auf Ass. 635 und 631, in: Nachrichten aus Niedersachsens Urgeschichte, Bd. 56 (1987), S.<br />

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43


Rö t tin g, H., Zur hoch mittelalterlichen Gebäude- und Parzellenstruktur des Markttores und der frühen<br />

Stadt von <strong>Braunschweig</strong> im Weichbild "Altstadt", in: Lübecker Schriften zur Archäologie und<br />

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R Ö tt i n g, H., Die Grabungen an der Turnierstraße in <strong>Braunschweig</strong>-Altstadt, Erster Vorbericht, Wesentliche<br />

Grabungsergebnisse 1885/86, in: Nachrichten aus Niedersachsens Urgeschichte, Bd. 56<br />

(1987),S.197-213.<br />

Rött i n g, H., Möglichkeiten und Grenzen stadtarchäologischer Denkmalpflege in <strong>Braunschweig</strong>, in:<br />

Lübecker Schriften zur Archäologie und Kulturgeschichte, Bd. 14 (19RR), S. R9-99.<br />

Röt tin g, H., Pfostenbau - Ständerbau - Kemenate: Zu Baubefunden der <strong>Braunschweig</strong>er Altstadtgrabung,<br />

in: Berichte zur Denkmalpflege in Niedersachsen (1991), S. 22-28.<br />

S pie ß, W., Die Goldschmiede, Gerber und Schuster in <strong>Braunschweig</strong>. (<strong>Braunschweig</strong>er Werkstücke,<br />

Bd. 22). <strong>Braunschweig</strong> 1958.<br />

S pie ß, W., Die Ratsherren der Hansestadt <strong>Braunschweig</strong> 1231-1621. (<strong>Braunschweig</strong>er Werkstücke,<br />

Bd. 42). <strong>Braunschweig</strong> 21970.<br />

44<br />

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Zur Geschichte des Elementarunterrichts<br />

im <strong>Braunschweig</strong>er Paulinerkloster (1480)<br />

Von<br />

Dieter Neitzert<br />

"Den jungen Mönchen einen Meister zu halten,<br />

der sie lehre in der Schulkunst. "<br />

In der <strong>Braunschweig</strong>er Stadtgeschichte hat man bis vor kurzem eine Urkunde aus dem<br />

Jahre 1480 nur wenig beachtet, die jedoch eine größere Aufmerksamkeit verdient hätte. 1)<br />

Der Urkundentext lautet:<br />

<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong><br />

Ik frater Bartoldus Bischop to Pana und wigelbischopp des Stiehtes to Hildensem bekenne<br />

unde bethuge open bar in dussem mynem open breve vor alswem, dat ik in crafft dusses mynes<br />

wilbreves vullenfromen macht geve myt aller rechtigkeit dem Ersamen Rade in dem Haghen<br />

to Brunswigk unde den olderluden darsulvest to sunte Katerinen, to vormanende unde upthonemende<br />

myne jarlike renthe veer lutke lubb [.] punt, asse ik ghekofft hebbe bij dem geistliken<br />

closter tho Escherde im Stichte tho Hildensem na uthwisinge des rechten hovetbreves, dar de<br />

genante Radt unde olderlude my gude vornoginge 2) vor gedan hebben, und schull[ e]n de veer<br />

punt jarliken kern tho dem doster der peuweler, dar sulvest im Haghen, prediger orden[sj,<br />

dem prior to hulpe, den jungen monneken eynen mester tho holden, de se lere in der schole<br />

künst. Wann averst dat vorbleve eyn mantidt langk, so schullen de genanten olderlude des<br />

jares neyne ansprake Iiden van den peuwelern der veer pu nt halve wegen, sunder schullen<br />

vullemacht hebben, se to kerende to orem buwe in sunte Katerinen kercken. Vorbleve dat<br />

averst eyn ganß jar umme, so schullen de genanten olderlude noch van der renthe edder van<br />

dem hovethsummen ewichliken neyne ansprake Iiden van dem doster to den peuwelern, des<br />

doch de Ersame Radt im Hagen to guder mathe schullen schedeshern syn. Worde ock de veer<br />

punt renthe affgekofft vor hunderth punt, so schullen de sulven olderlude mit witzschopp des<br />

Ersamen Rades im Hagen und des prioris to den peuwelern dar sulves des wedder belegen,<br />

wes me dar midde kopen kan jarliker renthe, dat dem prior werde to hulpe, dar he den jungen<br />

monneke eynen mester van holde. Wanne averst dat vorbleve und die jungen monneke ney-<br />

1) Stad tA <strong>Braunschweig</strong> All Nr. 897. Herrn Stadtarchivdirektor Dr. Garzmann danke ieh für<br />

schnelle und unkompliziert erteilte Hilfe, insbesondere für die Anfertigung des Siegelfotos im Stadtarchiv.<br />

- Der vorliegende kleine Beitrag war für das BraunschwJb 1990 vorgesehen, aus Platzgründen<br />

aber zurückgestellt worden. I"ach dem Erscheinen des Buches von Kintzinger (wie Anm. 6) wurde er<br />

überarbeitet.<br />

2) Schrader, wie Anm. 7, und das <strong>Braunschweig</strong>er Regest, wie Anm. 8, übersetzten "nach<br />

empfangener/erhaltener Entschädigung". Lexikalisch ist dies zwar die gängige Übersetzung, sie paßt<br />

aber nieht zum Kontext. Hätte sich der Aussteller für die Herausgabe des Rentenbriefes entschädigen<br />

lassen, so hätte er sich auch des Rechts begeben, auf die Zweckbestimmung der Rente Einfluß nehmen<br />

zu können. Gerade aber das ist seine Absicht. nGude vornoginge" muß hier im Sinne einer Übereinkunft<br />

verstanden werden. - Herrn Prof. Dr. Thiel, Göttingen, danke ich für seinen Rat.<br />

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Übersetzung:<br />

nen wartliken J ) mester enhebben, schal de bedagede renthe mit dem hovetsummen mit witz<br />

schopp des Ersamen Rades im Hagen gekarth werden thom buwe in sunte Katerinen kercken.<br />

U ppe alle dusse vorrede hebbe ik mynen willehreff den genanten hern und olderluden to sunte<br />

Katerinen willichliken overgegeben und dÖ dat jegenwordigcn in crafft dussen breves, de gegeven<br />

und gescreven is na de borth Christi dusenth veerhunderth im achtegesten jar am daghe<br />

Ffabiani et Sebastiani der hilgen martelere.<br />

Ich, Bruder Bertold, Bischof von Pana und Weihbischof des Stifts Hildesheim, bekenne<br />

und bezeuge öffentlich in diesem meinem offenen Brief vor jedermann, daß ich dem Ehrsamen<br />

Rat im Hagen zu <strong>Braunschweig</strong> und den Älterleuten an SI. Katharinen dortselbst mit<br />

diesem meinem Willebricf unter Einhaltung aller rechtlichen Bedingungen Vollmacht erteile,<br />

meine jährliche Rente von vier kleinen Pfund lübischer Pfennige anzumahnen und entgegenzunehmen,<br />

die ich, nach Ausweis der rechtmäßigen Kapitalverschreihung, beim geistlichen<br />

Kloster zu Escherde im Stift Hildesheim gekauft habe, nachdem der genannte Rat und die<br />

Älterleute mit mir eine gute Übereinkunft getroffen haben. [Sie] sollen dem Kloster der Pauliner<br />

jährlich vier Pfund zur Verfügung stellen, das, dort im Hagen, zum Predigerorden gehört,<br />

und zwar als Hilfe für den Prior, damit er den jungen Mönchen einen Meister halte, der<br />

sie in der Schul kunst \ehre. Wenn [die Anstellung] aber einen Monat lang aussetzen sollte,<br />

sollen die Älterleute in dem [betreffenden] Jahr von den Paulinern wegen der vier Pfund nicht<br />

belangt werden [dürfen), sondern sie (die Älterlcute) sollen berechtigt sein, sie (die vier<br />

Pfund) für den Bau der SI. Katharinenkirche zu verwenden. Verhliebe [die Anstellung) ein<br />

ganzes Jahr lang, so sollen die genannten Älterlcute wegen der Rente oder wegen des Kapitals<br />

vom Kloster der Pauliner auf ewig nicht mehr belangt werden. Darüber soll der Ehrsame Rat<br />

im Hagen in gütlicher Weise als Schiedsherr walten. [Gesetzt), die vier Pfund Rente würden<br />

für 100 Pfund zurückgekauft, so sollen die Älterleute [das Kapital) mit Wissen des Rates im<br />

Hagen und des Priors der Pauliner [zu besten Konditionen) wieder anlegen: was [immer) man<br />

an jährlicher Rente [dann) davon wird kaufen können, das solle dem Prior helfen, den jungen<br />

Mönchen damit einen Meister zu halten. Wenn aber [die Anstellung) unterbliebe und die<br />

jungen Mönche keinen weltlichen Meister hätten, soll die fällige Rente mit dem Kapital mit<br />

Wissen des Ehrsamen Rates im Hagen für den Bau der SI. Katharinenkirche verwendet werden.<br />

Auf all dies eben Gesagte habe ich den genannten Herren und Älterleuten zu SI. Katharinen<br />

meinen Willebrief aus freiem Willen übergeben und tue dies gegenwärtig kraft dieses Briefes,<br />

der gegeben und geschrieben ist nach Christi Geburt im tausendvierhundertundachtzigstcn<br />

Jahr am Tage der heiligen Märtyrer Fabian und Sebastian.<br />

(14HO, Januar 20)<br />

In der <strong>Braunschweig</strong>er Stadtgeschichtsforschung hatte als erster Hermann Dürre auf die<br />

Urkunde verwiesen und sie mit einer alten Notiz des Rektors Bremer in Verhindung ge­<br />

bracht, nach der sich die bei SI. Katharinen angesiedelte (städtische) Schreibschule im Dominikanerkloster<br />

hätte befunden haben sollen. 4) Nachdem bereits Koldewey dieser Mei-<br />

3) Zur Frage eines "weltlichen" (Schul-)Meisters in Dominikanerkonventen s. u. hei Anm. 26.<br />

4) Dürre, Hermann, Geschichte der Stadt <strong>Braunschweig</strong>, lR61, S. 531. Dürre stützte sich auf<br />

eine Notiz des Rektors Bremer, Brevis historia scholae Catharinianae (ms.) 1712: In initio 15 saeculi<br />

schola Cathariniana ad coenobium Paulinum condi coepta est. .. Docuerunt in ea primum monachi<br />

Dominicani ordinis, sed post eiectos Brunswiga seculi 16 monachos praeceptores Lutheranae religionis<br />

constituti sunt.<br />

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nung entgegengetreten war 5 ), wird sie auch von Martin Kintzinger in seiner inzwischen<br />

veröffentlichten Dissertation mit Recht zurückgewiesen. 6)<br />

So scheinbar einfach der Text der Urkunde zu lesen ist, so schwer ist er an entscheidender<br />

Stelle offenbar zu verstehen. Dies beweisen alle bisher in der Literatur wiedergegebenen<br />

Zitate. 7) Auch das ausführliche Regest des Stadtarchivs <strong>Braunschweig</strong> kann inhaltlich<br />

nicht befriedigen R), und selbst Kintzingers Interpretation ist m. E. nicht zwingend. 9)<br />

Es wird von mir also einmal die Frage gestellt: Wer war und was wollte der Aussteller<br />

dieser Urkunde?<br />

Das hervorragend erhaltene Siegel zeigt die für ein Bischofssiegel übliche Figur eines<br />

Geistlichen mit Krummstab. Der Wappensehild mit zwei deutlich erkennbaren parallelen<br />

Rauten weist den urkundenden (Weih-)Bischof als ein Mitgleid der hildesheim-braunschweigischen<br />

Familie der Herren von Oberg und damit als einen Mann von Adel aus. 10)<br />

Als Amtsträger war er durch päpstliche Ernennung Bischof des Titularbistums<br />

Pana 11) und damit befähigt, von einem residierenden Bischof, in seinem Fall dem Bischof<br />

von Hildesheim, für dessen Diözese zum Weihbischof bestellt zu werden. 12) Aber auch als<br />

geweihter Bischof nannte er sich weiterhin frater, Mönch.<br />

I) <strong>Braunschweig</strong>ische Schulordnungen von den ältesten Zeiten bis zum Jahre 1828, hg. v. Friedrich<br />

Koldewey (Mon urnen ta Germaniae Paedagogica 1), 111116, S. XL mit Anm. 2.<br />

6) Kin t z i n ger, Martin, Das Bildungswesen in der Stadt <strong>Braunschweig</strong> im hohen und späten<br />

Mittelalter (BeihhArchKulturg 32), 1990, S. 353: "Auch wenn mit dieser Rentenstiftung eine unmittelbare<br />

Unterrichtsförderung beabsichtigt war, kann daraus weder eine Aussage über das Vorhandensein<br />

oder die Qualität einer Schule am Dominikanerkloster abgeleitet werden ... noch über die topographische<br />

oder institutionelle Verortung der Stadtschule an St. Katharinen."<br />

7) Sch rader, Fr. X., Die Weihbischöfe, Officiale und Generalvikare von Minden, in: ZVvateriGAltertkde<br />

= WestfZs 55111,1897, S. 3-92; hier: S. 78, Anm. 3; entstellend: Feldkamm, wie Anm.<br />

13, S. 58.<br />

S) Das Regest hält die Zweckbestimmung in der Schwebe, weil es die klare Aussage der Urkunde,<br />

der Lehrer sei für den Unterricht der jungen Mönche einzustellen, fortläßt: Nach einem Brief<br />

des Stadtarchivs <strong>Braunschweig</strong> vom 23.7. 19Yü.<br />

9) S. u. Anm. 25.<br />

10) Die Siegel der Familie von Oberg liegen bis ca. 1400 gesammelt vor: Hellfaicr, Dellef,<br />

Mittelalterliche Siegel der Herren von Oberg, in: AIt-Hildeshcim 49,1978, S. 15-30.<br />

11) Pana/Panium, ein am Nordufcr des Marmarameeres gelegenes Bistum des lateinischen Kaiserreichs.<br />

Naeh dem Ende dieses Reiches 1261 wurde das Bistum als Titularbistum beibehalten und in<br />

der Regel von Dominikanern besetzt. - Zur Lage: Atlas zur Kirchengeschichte, bearb. v. Jochen<br />

Martin, 1970, S. 61.<br />

12) Die <strong>Braunschweig</strong>er Urkunde galt lange als einziger Beleg, daß Bertold von Oberg, den man<br />

als einen im Jahre 1468 für die thüringischen Gebiete der Erzdiözese Mainz bestellten Weihbischof<br />

kannte, diese Funktion gleichzeitig auch in der Diözese Hildesheim ausgeübt hat. Inzwischen ist belegt,<br />

daß diese Doppelfunktion bis 1489, dem Jahr seiner Resignation im Mainzer Sprengel, fortbestand.<br />

Vgl. Ne i tze rt, Dieter, Über eine Altersversorgung und fromme Stiftung in vorreformatorischer<br />

Zeit. Zu Leben und Nachwirken des Weihbischofs Bertold Oberg, in: Göttinger Jahrbuch 39,<br />

1990, S. 65-76; hier: S. 67 L; außerdem, nach einem freundlichen Hinweis von Herrn Peter Müller,<br />

Göttingen, die Urkunde StadtA Hildesheim Bi: 111234, u (1489, Mai 4).<br />

http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042624<br />

47


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Siegel der Urkunde<br />

Legende: S[igillum] Bartoldi epi [scopi] ecc[lesie] Panadensis.<br />

http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042624


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Seit langem weiß man, daß Bertold von Oberg Dominikaner gewesen ist. 13) Er starb<br />

im Jahre 1498 im Göttinger Paulinerkloster. 14) Dorthin hat er sich, "von Alter gebeugt und<br />

von Krankheit geplagt", nach seiner Resignation vom Amt zurückgezogen, weshalb man<br />

ihn bis vor kurzem zumeist auch für einen Göttinger Pauliner hielt. Nur Johannes Letzner,<br />

der in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts schreibende Chronist, dessen Glaubwürdigkeit<br />

oft genug anzuzweifeln ist und daher im allgemeinen wenig gilt, nannte den 1489 in<br />

Göttingen einziehenden Greis einen Fremden. 15)<br />

Bertold von Oberg war bei seiner Ernennung zum Titularbischof im Jahre 1468 Lektor<br />

der Theologie. 16) Er hatte also ein Studium abgeschlossen und galt mit diesem Titel als<br />

promoviert. Da er in keiner Universitätsmatrikel nachzuweisen ist, wird er eher ein ordensinternes<br />

Studium durchlaufen haben. Das begann bekanntlich in der Schulstube des Hcimatklosters<br />

unter der Leitung des Lektors/Lesemeisters mit einer Einführung in die lateinische<br />

Sprache und die Grundlagen der Sieben Freien Künste. 17) Wegen des Mangels an<br />

ausgebildeten Lehrern hatte allerdings bereits das Generalkapitel von 1361 beschlossen,<br />

daß dieser Anfangsunterricht auch von weltlichen Lehrern (im Anstellungsverhältnis) erteilt<br />

werden konnte. Der sich dann anschließende Studiengang führte nach einem von der<br />

Ordensprovinz gesteuerten Ausleseverfahren über Zwischenstationen in Konventen, denen<br />

spezielle Ausbildungsaufgaben zugewiesen waren, an eines der vier deutschen Generalstudien<br />

in Köln, Erfurt, Magdeburg oder Wien 18). Für die Zeit nach Abschluß der Studien<br />

forderten die Statuten eine Wanderschaft. Während einiger Jahre im Dienste des Ordens<br />

sollten die jungen Absolventen ihr eben erworbenes Wissen in solchen Konventen<br />

weitergeben, die über keinen eigenen Leserneister als ständiges Konventsmitglied verfügten.<br />

Der Brief eines Leserneisters, den er nach Wanderungen quer durch Europa 1417 aus<br />

Reval an seine Eltern in Göttingen richtete, gab vor einiger Zeit zu Überlegungen Anlaß,<br />

13) Z. B. Koch, Fr. August, Die Erfurter Weihbischöfe, in: ZVthürG 6,1865, S. 31-126; hier:<br />

S. 80 f.; weitergeführt von Fe I d kam m, J acob, Geschichtliche Nachrichten über die Erfurter Weihbischöfe,<br />

in: MittVGAltertkdErfurt 21,1900, S. 1-93; hier: S. 58.<br />

14) Vgl. Arnold, Werner, Die Inschriften der Stadt Göttingen (D!. Inschriften 19: Göttinger<br />

Reihe 1), 1980, S. 83; K. Eubel, Hicrarchia catholica medii aevi, t. 2, 21914, S. 278 in Verb. mit S.<br />

211. - Die bisherigen Angaben über das Todesdatum Bertolds sind zu korrigieren nach N ei tzert, wie<br />

Anm. 12, S. 73.<br />

lS) Johannes Letzner, nach: Zeit- und Geschichtbeschrcibung der Stadt Göttingen ... ,4 Bücher<br />

in 3 Bänden, hg. v. J. D. Gruber, Hannover, Göttingen 1734-173R; hier: Bd. 1,2. Buch, S. 90.<br />

16) Bullarium Ordinis Fratrum Praedicatorum, 8 Bde., ed. Tb. Ripoll et A. Bremond, Rom<br />

1729-1740; hier: Bd. 3, S. 478.<br />

17) Frank, I. W., Hausstudium und Universitätsstudium der Wiener Dominikaner bis 1500<br />

(AfösterrG 127), 1%8: Die einleitenden Kapitel des Buches bieten eine gute Einführung in Fragen<br />

dominikanischer Studienorganisation. - Außerdem die umfassende Darstellung: Walz, A., Compendium<br />

historiae ordinis praedicatorum, Rom 1948 (Iat.). -Generalkapitel von 1361: Pro noviciisordinetur<br />

aliquis magister frater vel secularis, qui predictos in officio divino dicendo pariter et cantando,<br />

necnon eciam in grammaticalibus et aliis primitivis diligenter instruat et informel. Vgl. G. M. H ä fe I e,<br />

Franz von Retz, 1918, S. 27 mit Anm. 3.<br />

18) Das Studium auch an ausländischen Generalstudien war möglich, aber nicht die Regel.<br />

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49


wie denn eine derartig weite Wanderschaft hatte finanziert werden können. 19) Der Umstand,<br />

daß dieser Lesemeister seine von der Wanderung zerschlissene Kleidung auf eigene<br />

Kosten erneuern mußte und dies auch konnte, gab Hinweis auf gewisse Einkünfte, die er<br />

offenbar aus seiner Lehrtätigkeit bezog.<br />

Die <strong>Braunschweig</strong>er Urkunde ergänzt diese Beobachtungen, weil sie konkret von den<br />

Schwierigkeiten berichtet, mit denen die Konvente in Schulbereich zu kämpfen hatten:<br />

Bertold von Oberg, im Jahre 14RO dem Ordensdienst längst entwachsener kirchlicher<br />

Amtsträger , verfügte über Privatvermögen. Wir wissen nicht, ob das beim Nonnenkloster<br />

Escherde 20 ) angelegte Kapital von 100 kleinen lübischen Pfund aus Familienbesitz<br />

stammte oder, was wahrscheinlicher ist, aus seiner Tätigkeit als Weihbischof. 21) Die wurde<br />

in damaliger Zeit, neben anfallenden Gebühren für Weihehandlungen, meist schon mit<br />

einer festen Summe von 200 Goldgulden jährlich honorier(2 2 ), von denen allerdings der<br />

Lebensunterhalt, d. h. in der Regel Kost, Wohnung und ein schreibender Diener, der Familiar,<br />

bezahlt werden mußten. 23) Mit diesen Einkünften waren die Weihbischöfe fürstlichen<br />

Räten vergleichbar und hatten die Zeiten unsicherer Bettelexistenz hinter sich gelassen.<br />

Als Bertold von Obergdie <strong>Braunschweig</strong>er Urkunde ausstellte, acht Jahre nach seiner<br />

ersten sicher datierten Hildesheimer Amtshandlung 24 ), muß seine finanzielle Situation so<br />

gesichert gewesen sein, daß er auf das Kapital und die daraus fließenden Einkünfte hat<br />

verzichten können. 25)<br />

19) N ei tzert, Dieter, Ein Göttinger Bettelmönch unterwegs in Europa. Ein Privatbrief von<br />

1417, in: Göttinger Jahrbuch 35,1987, S. 117-124; hier: S. 122.<br />

20) Escherde, w. Hildesheim.<br />

21) Die Gewichtseinheit des "kleinen" lübischen Pfundes kann bisher nicht eindeutig erklärt<br />

werden. In Lübeck ist sie nach Auskunft des dortigen Stadt archivs unbekannt geblieben. - Harald<br />

Witthöft vermutet in ihr - nach dem Vorbild einer kleinen Mark aus Brügge - eine feine Mark lötigen<br />

Silbers (im Gegensatz zu einer anzunehmenden großen oder rauhen Mark): Vgl. besonders: Witthöft,<br />

Harald, Von der mittelalterlichen Handhabung des Gewichts in Nordeuropa - Brügge in Flandern,<br />

in: Brügge-Colloquium des Hansischen Geschichtsvereins (26.-29. Mai 1988), hg. von Klaus<br />

Friedland, KölnlWien 1990, S. 33--{i8, hier: S. 39-41.<br />

Frau Dr. Graßmann, Lübeck, Prof. Hatz, Hamburg, und Prof. Witthöft, Siegen, danke ich für ihre<br />

Bemühungen und Auskünfte.<br />

22) Ru pp, Wilhelm, Der Titularepiskopat in der römisch-katholischen Kirche, Diss jur Brcslau<br />

1910, S. 46 f. - Für den Nachfolger Bertolds von Oberg als Mainzer Weihbischof ist die Ausstattung<br />

des Amtes mit 200 Gulden gesichert: Feldkamm, wie Anm. 13, S. 63.<br />

23) Bertolds von Oberg langjähriger Diener war Johann von Seesen, der wahrscheinlich aus dem<br />

Hildesheimer Paulinerkloster stammte, weil er neben seinen leiblichen Erben den Hildesheimer Konvent<br />

an seiner Göttinger Rente beteiligte. Die Auszahlungen liefen bis 1520: StadtAGöttingen MS 15,<br />

5.1 (Pensionarius), fol. 32 r neuer Zählung (= 27 r alter Zählung).<br />

24) 1472 weihte er die Krypta und den über ihr errichteten Altar im Lüchtenhof der Hildesheimer<br />

Brüder vom Gemeinsamen Leben: Doe bner, Richard (Hg.), Annalen und Akten der Brüder des<br />

Gemeinsamen Lebens im Lüchtenhofe zu Hildesheim: Annalen des Rektors Peter Dieppurch<br />

(QuDarstGeschNdsachs 9),1903, S. 66; 165 Anm. 1; 328 f.<br />

25) Gegen Ende seines Berufslebens verfügte Bertold von Oberg über mindestens 1400 Gulden<br />

Rentenkapital, möglicherweise vermehrt durch weitere 200 Gulden, die 1489 beim Rat der Stadt Alfeld<br />

angelegt waren: Vgl. N eitzert, wie Anm. 12, S. 72, und die in ders. Anm. 12genannte Hildesheimer<br />

Urkunde.<br />

50<br />

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Obwohl auch Hildesheim über ein Paulinerkloster verfügte, bestimmte Bertold den<br />

<strong>Braunschweig</strong>er Konvent zum Nutznießcr seiner Stiftung. Die Gelder sollten allcrdings<br />

nicht direkt dem dortigen Prior als Zuschuß (to hulpe) für die Anstellung eines Meisters<br />

der jungen Mönche zugehen, sondern über eine Kontrollinstanz. Dem Prior wurde zwar<br />

für eine eventuell notwendig werdende Wiederanlage des Kapitals ein Mitspracherecht<br />

eingeräumt, ein Zugriff sollte ihm jedoch verwehrt bleiben. Aus der Sicht des Priors war es<br />

ein Knebclvertrag: Bei nur einmonatiger Unterbrechung des Unterrichts gab es für das<br />

gesamte laufende Jahr keinen Zuschuß, und sollte die Pause ein ganzes Jahr andauern,<br />

dann waren die Ansprüche verwirkt und die Rente ging, untcr schiedsgerichtlicher Aufsicht<br />

des Rates vom Hagen, als Ewigrente an den Baufond von St. Katharinen. 26)<br />

Wir entnehmen diesen Umständen:<br />

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1. Das <strong>Braunschweig</strong>er Paulinerkloster hatte 1480 keine Nachwuchssorgen. Es lebten dort<br />

noch "in de schole künst" einzuführende junge Mönche.<br />

2. Das Kloster hatte dagegen zu dieser Zeit keinen (weltlichen) Lehrerfürden Anfangsunterricht.<br />

Wahrscheinlich fchlte ihm auch, wie oft bei den Konventen der späten Zeit, ein<br />

Leserneister , der den Anforderungen der Regel entsprochen hätte. 27)<br />

3. Zur Schließung der Lücke war man auf Hilfe von außen angewiesen: Aber nur gegen<br />

Bereitstellung eines Gehaltes konnte man hoffen, einen Lehrer zu bekommen.<br />

4. Um keine Unterbrechung des Unterrichts eintreten zu lassen, mußte man sich um die<br />

Wiederbesetzung der freiwerdenden Stelle rechtzeitig bemühen.<br />

5. Der Spender hatte ein persönliches Interesse an der Kontinuität regelkonformen Unterrichts<br />

im <strong>Braunschweig</strong>er Kloster.<br />

6. Der Spender begegnete dem Prior mit Skepsis und hielt ihn unter Kontrolle, um ihn<br />

vom Schlendrian abzuhalten.<br />

7. Die Stiftung war offenbar so wertvoll, daß der Spender hoffen konnte, es würden von<br />

ihr in der Zukunft motivierende Impulse auf den Prior ausgehen, so daß sich die Schulsituation<br />

im Kloster zum besseren wenden werde.<br />

8. Zwischen der ordensinternen Schulausbildung im Kloster und der auf Vermittlung bürgerlicher<br />

Schreibfertigkeiten ausgerichteten Ausbildung an der (städtischen) Schule bei SI.<br />

26) Kin tzinger, wie Anm. 6, liest den Text der Urkunde anders, als ich es vorschlage. Ermeint,<br />

daß der erste Jahresertrag der übereigneten Rente an den Baufonds von St. Katharinen hatte gehen<br />

sol1en, wenn der neue Lehrer nicht binnen einem Monat nach Ausstel1ung der Urkunde eingestellt<br />

worden wäre. Bei einer Verzögerung von einem ganzen Jahr wäre dann der Anspruch des Klosters<br />

überhaupt verfal1en gewesen.<br />

Mir scheint al1derdings der Urkundentext leider nicht so eindeutig zu sein, daß man Kintzingers sinngebende<br />

Interpretation als die richtige übernehmen könnte. - Den Passus des Textes, der sich auf die<br />

Wiederanlage des Kapitals bezieht, mißversteht Kintzinger (S. 35::1).<br />

27) Hätte der Konvent damals einen Lektor gehabt, so wäre in der Schenkung mit großer Wahrscheinlichkeit<br />

nicht nur der Prior, sondern auch der Lektor angesprochen worden.<br />

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Katharinen gab es keine Konkurrenzsituation und keine, mindestens durch die Urkunde<br />

von 1480 nicht zu belegende personelle Verflechtung.<br />

Woher nahm der Spender die Berechtigung, derart in die inneren Verhältnisse des<br />

<strong>Braunschweig</strong>er Konvents einzugreifen? Was bewog ihn zu seiner Stiftung?<br />

Die Antwort auf diese Fragen geben u. a. sieben Wiegendrucke der Jahre 1476-79, die sich<br />

heute im Besitz der Stadtbibliothek <strong>Braunschweig</strong> befinden. Gleichlautend haben sie fol­<br />

gende Dedikationsnotiz:<br />

Frater Bartoldus Episcopus ecclesie panadensis in dyocesibus Maguntinense et Hildensemense<br />

in pontificalibus vicarius[,) olim frater conventus Brunswicensis ordinis predicatorum!<br />

,) ordinavit fieri hunc librum in remedium anime sue pro usu fratrum ad liberariam. Et<br />

qui illum alienaverit a suo conventu prefato[,) anathema sit. Amen. 28)<br />

Die Bucheinträge schließen eine Lücke in der Biographie Bertolds von Oberg: Der Weihbischof<br />

war nicht Göttinger , sondern vor allem <strong>Braunschweig</strong>er Pauliner. Mit dem olim der<br />

Notiz wird deutlich, daß er als junger Mönch dort gelebt hat und der <strong>Braunschweig</strong>er Konvent<br />

auch sein Heimatkonvent gewesen ist. In <strong>Braunschweig</strong> wird Bertold von Oberg also<br />

auch seinen Anfangsunterricht erhalten haben, bevor ihn weiterführende Studien in ein<br />

einkömmliches Amt außerhalb des Ordens führten. 29) Die Urkunde von 1480 zeugt daher<br />

2Jl) N entwig, Heinrich, Die Wiegendrucke in der Stadtbibliothek zu <strong>Braunschweig</strong>, Wolfenbüttel<br />

1891, S. 17, las fälschlich .,pauadensis", was im Katalog der Ausstellung "Die Dominikaner in<br />

<strong>Braunschweig</strong>" zu "paduadensis" verwandelt wurde. Damit avancierte Bertold bei den Ausstellern zu<br />

einem "Bischof von Padua": Rö mcr, Christof, Die Dominikaner in <strong>Braunschweig</strong>. Vom mittelalterlichen<br />

Paulinerkloster zum St.-Albertus-Magnus-Kloster (VeröffBraunschwLandesmuseums 25),<br />

1980, S. 20. - Für die Überlassung von Fotografien der Schenkungseinträge danke ich Frau Dr. Camerer,<br />

StadtbibI. <strong>Braunschweig</strong>.<br />

29) Luitgart Camerer, <strong>Braunschweig</strong>, wird in den "Wolfenbütteler Notizen zur Buchgeschichte"<br />

demnächst auf die <strong>Braunschweig</strong>er Dominikanerbibliothek eingehen. Sie wird dort nachweisen,<br />

daß das Legat Bertolds von Oberg an den <strong>Braunschweig</strong>er Konvent umfangreicher war, als es<br />

Nentwig erkennen läßt. Außerdem wird Frau Dr. Camerer eine <strong>Braunschweig</strong>er Sammelhandschrift<br />

vorführen (StadtBibl<strong>Braunschweig</strong> MS 121), die Predigten Bertolds von Oberg enthält. Aus dort eingestreuten<br />

biographischen Hinweisen ergibt sich:<br />

1. Bertold von Oberg war bereits vor 1450 Mitglied des <strong>Braunschweig</strong>er Konvents und für das Jahr<br />

1448 möglicherweise sein Subprior.<br />

2. Um etwa 1450 wirkte er als magister studentium bei den Lübecker Dominikanern im dortigen Burgkloster.<br />

Der Orden hatte ihn also für einen gewissen Zeitraum nach Lübeck geschickt, um die örtlichen<br />

Studien des Nachwuchses zu beaufsichtigen. Das Amt setzte voraus, daß er die Grundstudiengänge in<br />

den Sieben Freien Künsten und in Philosophie abgeschlossen hatte und daß er sich in den theologischen<br />

Studienjahren befand, die auf das Lektorat zuführten (vgl. Frank, wie Anm. 17, S. 171).<br />

Als Beleg für die Spannweite der dominikanischen Ausbildung ist von besonderem Interesse, daß<br />

Bertold von Oberg nach Ausweis der <strong>Braunschweig</strong>er Sammelhandschrift auch England (das Generalstudium<br />

Oxford?) kennengelernt hat. Diese Nachricht bestätigt die weitausgreifende Mobilität der<br />

Ordensmitglieder, besonders der jungen Lektoren, wie sie mit der Wanderschaft des Göttinger LesemeistersJohan<br />

Brun belegt ist: vgl. N eitzert, wie Anm. 19. In Bälde wird Peter Müller, Göttingen,<br />

aus der Hildesheimer Überlieferung weitere Beispiele vorführen. Eine prosopographische Darstellung<br />

steht aus.<br />

Für die freundlich gewährte Einsicht in ihren Text und die Erlaubnis, ihre Bertold von Obcrg betreffenden<br />

Beobachtungen vorab mitteilen zu dürfen, danke ich Frau Dr. Camerer sehr.<br />

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vom Bemühen eines ehemaligen Klosterbruders, Leserneisters und bewährten Predigers<br />

30 ) , den nachwachsenden Brüdern auch in der Zukunft ausreichende Bildungsmöglichkeiten<br />

anbieten zu können und damit vielleicht für den einen oder anderen eine vergleichbare<br />

persönliche Entwicklung wie die seine eröffnen zu helfen.<br />

Wenn Bertold von Oberg seinem Kloster außerdem kostbare Erstdrucke vermachte,<br />

dann wollte er mit diesem Legat ebenfalls die dortigen Studienmöglichkeiten verbessern.<br />

Der Charakter der Werke, in der Mehrzahl theologische Schriften von Dominikanern 31),<br />

zeigt ihn als einen bibliophilen 32) , die eigenen Studien auch in vorgerücktem Alter nicht<br />

vernachlässigenden Ordenstheologen, der den vielerorts sichtbaren Verfallserscheinungen<br />

des Ordenslebens entgegenwirkte.<br />

Ob er ein Verfechter der Reform gewesen ist, scheint zweifelhaft, weil er mindestens<br />

in den letzten Jahren der Tätigkeit seine Ämter zur Ansammlung materieller Güter nutzte<br />

und mit dem Göttinger Konvent für die letzten Lebensjahre ein Kloster ausgewählt hat,<br />

das sich der Reform wohl bis zum Ende entzog. Aber er stand der Reform nicht im Wege,<br />

wie aus manchen seiner Amtshandlungen und auch aus seinen hier näher beobachteten<br />

Bemühungen um geordnete Schulverhältnisse im <strong>Braunschweig</strong>er Kloster deutlich wird.<br />

Spätestens mit der Reformation wurde solches Bemühen hinfällig: zu hoffen ist, daß<br />

man das Stiftungskapital vertragsgemäß zum Bau der Katharinenkirche verwendet und<br />

nicht entfremdet hat. Für den Besitz der 1528 vertriebenen Dominikaner beanspruchte der<br />

Rat die Rechtsnachfolge, die er in Draunschweig auch, anders als in Göttingen, dauerhaft<br />

hat durchsetzen können. Daher bereichern die Bücher des Bruders Bertold heute noch die<br />

<strong>Braunschweig</strong>er Stadtbibliothek "ad usum scolarium".<br />

30) Aus einer weiteren <strong>Braunschweig</strong>er Urkunde (StadtA<strong>Braunschweig</strong> B 13: I, fol. 85 r), die<br />

Kintzinger (wie Anm. 6, S. 355) zitiert, geht nunmehr klar hervor, daß Bertold von Oberg nach Abschluß<br />

der Studien noch einige Jahre als Lektor in <strong>Braunschweig</strong> blieb und sich einen Namen als Prediger<br />

machte. Der Braunsehweiger Rat sagte ihm im Jahre seiner Ernennung zum Weihbischof (1468)<br />

lobend nach: "Berteld Oberge lesemestere des ordens der pevelere ... wente denne de sulve broder<br />

Bertelt itlike jare hir by uns in dem clostere der pevelere vor eynen lesernester gestan, uns unde unsen<br />

borge rn unde dem volke mennigen guden sermon gcprcdiket, sik gotliken, erliken unde fromeliken<br />

gereget unde geholden ... heft." (Das Zitat wurde vom Stadtarchiv <strong>Braunschweig</strong> freundlicherweise<br />

am Original überprüft; dabei wurden die Lesefehler korrigiert.)<br />

31) Aus dominikanischer Schule: Thomas von Aq uin, Catena aurea, [Basel: WenzlerJ, 1476;<br />

Antonius Floren ti n us, Summae theologiae pars IV, Nürnberg: Anton Koberger, 1479; Rainer von<br />

Pisa, Pantheologia s. summa universae theologiae pars 11, [Basel: Bertold?). o.J. u. O. - Von einem<br />

Kartäuser: Ludolf Saxo, Opus vitae Christi, Nürnberg: Anton Koberger, 1478. (Angaben nach Nentwig,<br />

wie Anm. 28, Nrr. 25, 29, 275, 341; S. 17,20,167 f., 201.) - Die erhaltenen Einzelbände lassen<br />

vermuten, daß das Legat ursprünglich umfangreicher gewesen ist.<br />

32) Ne n t wi g, wie Anm. 28, verweist auf schöne Initialen und Ornamente in Nrr. 25, 29, 275.<br />

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Ernst von Schaumburg (1569-1622)<br />

und die Universität Helmstedt<br />

Von<br />

Ingrid Henze<br />

I.<br />

Im Jahre 1576 gründete Herzog J ulius von <strong>Braunschweig</strong>-Wolfenbüttel eine welfische Landesuniversität<br />

in Helmstedt. Zu den Studenten im ersten Jahrzehnt gehörte u. a. auch Graf<br />

Ernst von Schaumburg. 1621 eröffnete Ernst, inzwischen gefürsteter Regent der Grafschaft<br />

Schaumburg, in Rinteln an der Weser ebenfalls eine Universität. Schon ein zeitgenössischer<br />

Beobachter sah ein Geflecht von Beziehungen und Entsprechungen zwischen<br />

beiden Gründungen. "Unser Fürst trat in die Fußstapfen des Herzogs Julius von <strong>Braunschweig</strong>-Lüneburg",<br />

so kommentiert der erste Rektor der Rintelner Universität, Johannes<br />

Eichrodt, in seiner Trauerrede zum Tode Ernsts 1622 die Hochschulgründung des Schaumburger<br />

Fürsten I). Eichrodt läßt seinem Hinweis auf die Vorbildrolle des <strong>Braunschweig</strong>er<br />

Herzogs eine Aufzählung von Parallelen in der Organisation beider Universitätsgründungen<br />

folgen. So verweist er auf die Namensgebung: Die Academia Julia in Helmstedt sei<br />

ebenso nach ihrem Gründer Julius benannt wie die Rintelner Ernestina nach Ernst - hierzu<br />

weiß Eichrodt freilich noch weitere zeitgenössische Beispiele zu nennen. In gleicher Weise<br />

bedeutungsvoll gewählt sei auch der Termin der feierlichen Universitätseröffnung: In<br />

Hclmstedt war es der Geburtstag des Erbprinzen und Rektors Heinrich Julius, in Rinteln<br />

das 20. Jubiläum der Regierungsübernahme des Gründers. Schließlich läßt Eichrodt seine<br />

Charakteristik des Wirkens von Ernst einmünden in die gleiche Devise, mit der sich auch<br />

Julius und sein Sohn Heinrich Julius dargestellt hatten: "Inserviendo aliis consumpsit" (im<br />

Dienste an anderen verzehrte er sich)2).<br />

Wir wollen Eichrodt auf diesem Wege des Detailvergleichs nicht weiter folgen. Bemerkenswert<br />

an seiner These ist zunächst einmal, daß sie so überhaupt von einem Zeitzeugen<br />

aufgestellt worden ist. Geht man einmal davon aus, daß hinter Eichrodts Bemerkungen<br />

I) J. Eichrod, Oratiofunebris de ... vita ... etobitu ... D. Ernesti, Rinteln 1622, S. 43: Noster<br />

vero princeps Julii ducis Brunsvicensis et Lunaeburgensis vestigia ... legit.<br />

2) Eich rod t (wie Anm. 1), S. 52; ähnlich verfährt auch der Lindhorster Pfarrer Magister Anton<br />

Nothold, vgl. ders., ChristI. Leichpredigt Auff die Fürstliche Leichbegängnüß ... Deß ... Fürsten<br />

... Ernsten ... zu ... Schaumburg, Rinteln 1622, S. 6.<br />

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mehr als das von der Rhetorik der Zeit nahegelegte Bemühen um große Vorbilder steht,<br />

so bekommen unter dem von Eichrodt angesprochenen Aspekt Ernsts Studienjahre in<br />

Hclmstedt ein hesonderes Interesse. Sie vor allem könnten Umstände geboten haben, die<br />

es rechtfertigen, von einem Einfluß des Helmstedter Hochschulgründers Julius und seines<br />

Werkes auf Ernst von Schaumburg zu sprechen.<br />

Nun sind freilich unsere bisherigen Kenntnisse von Ernsts Hclmstedter Zeit recht<br />

dürftig. Nach den wenigen Nachrichten darüher, der Eintragung in die Helmstedter MatrikeI<br />

3 ), den diese Zeit streifenden Passagen der Spangenhergschen Chronik 4) und den Leichenpredigten<br />

nach Ernsts Tod 5) ergibt sich folgendes Bild. Ernst ließ sich am 18. 10. 1584<br />

zusammen mit seinem Gefolge in die Matrikel der Academia Julia eintragen. Seine Begleitung<br />

bestand aus dem Hofmeister Hans von Ditfort, dem langjährigen Privatlehrer Magister<br />

Hermann Vastclahend und zwei "nobiles", Manichold und Erasmus von Esstorff 6 ).<br />

Über Ernsts Lebensumstände in Hclmstedt, seine Studienfächer und den konkreten Ablauf<br />

des eigentlichen Studiums finden sich in den genannten Quellen nur wenige, meist<br />

recht allgemein gehaltene Angaben. So loben die Berichterstatter vor allem Ernsts gute<br />

Kenntnis des Lateinischen im "Reden und Schreihen"7). Sie verweisen dafür auf einige<br />

1622 offenbar noch allgemein zugängliche "carmina", von Ernst selbst angefertigte lateinische<br />

Gedichte. Diese Gedichte sind nach Ernsts Tod lange Zeit in Vergessenheit geraten.<br />

Erst im 18. Jahrhundert wurden sie von einem aus Bückeburg stammenden WolfenbütteIer<br />

Gelehrten, dem Rcktor des dortigen Gymnasiums, Johann Christoph Dommerich, in dcr<br />

Wolfenbütteler Herzog August <strong>Bibliothek</strong> wiederentdeckt und in einer von Begeisterung<br />

zur Schaumburger Geschichte und speziell zu Ernst inspirierten Abhandlung unter dem<br />

Titel "Ad historiam Schawenburgensem ex Bibliotheca Wolfenbuttelana analecta" 1753<br />

neu veröffentlicht R ). Dommerich hatte sie im Vorspann zu Werken des Helmstedter Professors<br />

Reiner Reineccius gefunden. Daraus hat man zu Recht auf eine engere Beziehung<br />

des Studenten Ernst zu diesem berühmten Hclmstedter Historiographen geschlossen.<br />

In den Berichten der Chronisten werden zwei weitere Professoren genannt. Nach<br />

Spangenberg hat Ernst bei dem Juristen Johannes Borcholten die "institutiones und andere<br />

3) P. Zi mmerman n, Album Academiae Helmstadiensis, Bd. I, Hannover 1929 (Veröffentl.<br />

d. His!. Kommission f. Niedcrs. 3,1), S. 47.<br />

4) C. Spangen berg, Chronicon ... der Hochgebornen ... Graffen zu Holstein Schaumburgk<br />

(Stadthagen 1614).<br />

5) Außer den in Anm. 1 und 2 genannten noch J. Michelbac,h, Exequiae Ernestinae Oder<br />

zwo Christliche Predigten Über dem Fürstlichen Leichbegängnüß ... Des ... Fürsten ... Ernsten,<br />

Rinteln 1622.<br />

6) Zimmermann (wie Anm. 3), S. 47. Zeitgleich wurde noch ein weiterer, offenbar etwas<br />

älterer Schaumburger immatrikuliert, dcr schon 2'h Jahre später in Eberholzen zum Pastor ordinierte<br />

Heinrich Wobbekind.<br />

7) Michelbach (wie Anm. 5), S. 63; vgl. auch Spangenberg (wie Anm. 4), S. 288.<br />

B) Erscheinungsort Wolfenbüttel. Die Gedichte sind wiederabgedruckt bei H. Bei der Wieden,<br />

Fürst Ernst Graf von Holstein-Schaumburg und seine Wirtschaftspolitik, Bückeburg 1961<br />

(Schaumb. Lipp. Mit!. 15), S. 192 ff.<br />

56<br />

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lectiones Juris" gehört 9 ). Anton Nothold, Verfasser einer Leichenpredigt auf Ernst, weiß<br />

von dem Lob, das sich Ernst in den öffentlichen Schriften auch des Professors für Poesie<br />

und Geschichte Heinrich Meibom auf der Juliusuniversität erworben habe 10).<br />

Aufgrund dieser Angaben besteht in der neueren biographischen Literatur zu Ernst<br />

Einigkeit darüber, daß Ernst sich hauptsächlich mit Geschichte und Jura beschäftigt hat 11).<br />

Der Wert des Helmstedter Studiums insgesamt für Ernsts Bildungsgang wird eher skeptisch<br />

beurteilt. "Daß er sein Latein verbessert hat, ist noch am ehesten überzeugend. Als<br />

fundierte wissenschaftliche Ausbildung sind diese knapp zwei Jahre in Helmstedt des<br />

Sechszehn- und Siebzehn jährigen nicht zu veranschlagen", kommentiert Schormann die<br />

Hc1mstedter Zeit, um freilich an anderer Stelle einzuschränken: "Andererseits sind Bildungseinflüsse<br />

viel zu schwer faßbar, um mit so dürftigen Angaben zu einem wirklichkeitsgerechten<br />

Urteil zu kommen." 12)<br />

Im folgenden soll nun versucht werden, Ernsts Studienaufenthalt in Helmstedt mit<br />

Hilfe einiger bisher unbekannter Quellen noch einmal im einzelnen nachzuzeichnen, immer<br />

auch mit Blick auf mögliche Nachwirkungen, die er auf Ernsts eigenes späteres Handeln<br />

gehabt haben könnte. Neu hinzugezogen werden dafür ein Schriftwechsel zwischen<br />

dem Wolfenbütteler und dem Bückeburger Hof, der die äußeren Umstände des Studiums<br />

vorbereitete und begleitete, und einzelne Mitteilungen aus dem Briefwechsel zwischen<br />

Herzog Julius und dem in den Leichenpredigten genannten Helmstedter Professor Johannes<br />

Borcholten, bei dem Ernst, wie aus den Akten hervorgeht, beköstigt wurde. Außerdem<br />

wurde der Hinweis der Leichenpredigten auf das "Lob" Ernsts in den öffentlichen Schriften<br />

von Borcholten und Meibom wörtlich genommen und nach entsprechenden Stellen in den<br />

Werken der genannten Autoren gesucht. Anstoß hierfür gab eine Zitatangabe, die sich<br />

schon in einer der Leichenpredigten selbst befand 13). Es werden also alle Erwähnungen<br />

von Ernst in den Schriften dieser beiden Professoren und darüber hinaus auch des im Zusammenhang<br />

mit Ernst genannten Reiner Reineccius, soweit sie entdeckt wurden, zusammengestellt<br />

und ausgewertet. Dabei wurde versucht, die zeitgenössische Norm, d. h. das<br />

Studienverhalten gleichaltriger Standesgenossen, soweit es bekannt ist, mitzuberücksichtigen,<br />

sich also von Erwartungen zu lösen, wie sie der moderne Begriff von Studium als<br />

"wissenschaftlicher Ausbildung" suggeriert. .<br />

9) Spangenberg (wie Anm. 4), S. 289.<br />

10) Not hol d (w i e An m. 2), S. 62.<br />

11) Bei der Wieden (wie Anm. 8), S. 28; G. Schormann, Aus der Frühzeit der Rintelner<br />

luristenfakultät, Bückeburg 1977 (Schaumburger Studien 38), S. 37; D. Brosi us (Hg.), Fürst Ernst<br />

Graf von Hoistein-Schaumhurg, Archivalienausstellung d. Nieders. Staatsarchivs in Bückeburg, Göttingen<br />

1969, S. 6.<br />

12) Schormann (wie Anm. 11), S. 37 und 38.<br />

13) Der gedruckte Text der Eichrodrede hat am Rande auf S. 27 den Vermerk "In cpistula praefixa<br />

de gradibus". Vgl. dazu unten S. 67.<br />

http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042624<br />

57


11.<br />

Machen wir uns kurz deutlich, mit welchen Voraussetzungen nach Herkunft und Vorbildung<br />

Ernst sein Studium in Hclmstedt antrat. Er war am 24. September 1569 als jüngstes<br />

Kind des Grafen Otto IV. und seiner zweiten Frau Elisabeth Ursula von <strong>Braunschweig</strong>-Lüneburg<br />

zur Welt gekommen. Als er sieben Jahre alt war, starb sein Vater. Von diesem<br />

Zeitpunkt an lag die Verantwortung für seine Erziehung in erster Linie bei seiner Mutter,<br />

wie überhaupt die Gräfinwitwe Elisabeth Ursula natürlicherweise nun die Interessen ihrer<br />

Kinder Ernst und seiner beiden älteren Schwestern gegenüber den vier Söhnen aus Ottos<br />

erster Ehe, darunter dem 1582 zur Regierung gekommenen Grafen Adolf XII. 14), vertrat.<br />

Elisabeth Ursula ließ Ernst die öffentliche Lateinschule zu Stadthagen besuchen. Den<br />

grüßten Anteil an Ernsts Ausbildung scheint schon hier der später nach Helmstedt mitziehende<br />

Magister Hermann Vastelabend gehabt zu haben. Mit dieser Wahl bewies Elisabeth<br />

Ursula eine glückliche Hand. Daß Vastclabendein tüchtiger Lehrerwar, zeigt sein weiterer<br />

Berufsweg. Er wurde 1610 erster Professor der Rede- und Dichtkunst am Gymnasium illustre<br />

in Stadthagen, 1621 hatte er dieses Amt auch an der neu gegründeten Universität in<br />

Rinteln inne 15).<br />

Ein sehr lebendiges Bild von Ernsts schulischen Erfolgen in Stadthagen zeichnet der<br />

Hofprediger und Lindhorster Pfarrer Anton Nothold in seiner Leichenpredigt auf Ernst.<br />

Er erinnert sich: "Es ist mir noch gegenwertig, als ob es gestern geschehen wcre, daß, wann<br />

in meiner Jugend für Ostern und Michaelis die publica Examina in der Schulen zu Stadthagen<br />

gehalten wurden, ... und wann dann Ihro F. G. allda für allen Knaben seind öffentlich<br />

examiniret worden hilff Gott so gar fertig und expedit hat Ihre F. Gn. allezeit können respondiren,<br />

daß menniglich das Maul hat offen vergessen." 16) Ernst muß ein leistungsbereiter<br />

und aufgeweckter Schüler gewesen sein - anderenfalls wäre die Familie das Risiko des<br />

Besuchs einer öffentlichen Schule samt öffentlicher Prüfung nicht eingegangen. Wie peinlich<br />

Examina von Regentenkindern vonstatten gehen konnten und wie sehr alle Beteiligten<br />

bemüht waren, durch geschickte Organisation das betreffende Fürstenkind zu schonen,<br />

zeigt z. B. die mühselige Ausbildungskarriere des <strong>Braunschweig</strong>er Prinzen Philipp Sigismund,<br />

des zweiten Sohnes von I Ierzog J ulius 17). Hiervon unterschied sich Ernst zweifellos<br />

erheblich.<br />

Im Spätsommer 1584 war Ernst fünfzehn Jahre alt und hatte damit ein Alter erreicht,<br />

in dem ein junger Adeliger, sofern er über ein ausreichendes Grundwissen vor allem in<br />

Latein verfügte, in Begleitung eines Privatlehrers eine Universität bezog. Hier pflegte er<br />

zunächst in der philosophischen Fakultät eine Art Vorstudium, basierend auf dem erweiterten<br />

Fächerkanon der "artes liberales", zu durchlaufen, um sich danach dem eigentlichen<br />

Fachstudium in einer der drei höheren Fakultäten zuzuwenden.<br />

14) Bei der Wieden (wie Anm. tl), S. 21.<br />

1 ') V gl. W. H ä n seI, Catalogus Professorum Rinteliensium, Rinteln 1971, (Schaumburger Studien<br />

31), S. 67.<br />

16) Nothold(wieAnm.2),S.61f.<br />

17) Vgl. dazu M. Ticlcmann, Jugend und Erziehung des lIerzogs Philipp Sigismund. In:<br />

Braunsehw. Jb. 49,1968, S. 109.<br />

58<br />

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Die Wahl des Studien ortes für Ernst, das reichlich nahe gelegene Helmstedt, wurde<br />

durch die Interessen des regierenden Bruders Adolf bestimmt. Adolf war seit einem Jahr<br />

mit Elisabeth, der Tochter des Helmstedter Universitätsgründers Julius, verheiratet. Am<br />

Rande einer der sich hierdurch ergebenden Zusammenkünfte scheint zwischen Schwiegervater<br />

und Schwiegersohn auch die schulische Zukunft von Ernst besprochen worden zu<br />

sein. Jedenfalls schreiht Adolf am 11. August 15M - da setzt der ohen genannte Bricfwechsei<br />

18) ein - an seinen "Gnedigen Herrn Vater", daß Julius "sich mit gnaden erindern" wolle<br />

an sein Angebot, daß Ernst "bey I. F. G. jungem Herrn Hertzog Joachim earl zu <strong>Braunschweig</strong><br />

undt Lüneburgk meinem lieben Hern undt Schwager inn E. F. G. hoher Julius<br />

Schul zu Helmstadt seine Studia solt volführen." Weiter heißt es: "Meines Bruders hertzliehe<br />

fraumutter ... hat auch bereitz für Ihn, seinen Hofmeister Hans von Ditfort seinen<br />

Praeceptoren undt zweyen Edelknaben die Herberge da sie solten studiren und schlafen<br />

bestellen lassen .... Bitte auch Söhnlich E.F.G. werden in gnaden anordnung thun daß<br />

mein Bruder auf Hochgedachten E. F. G. Sohn warten undt mit seinen beyhahenden bey<br />

I. F. G. den Tisch haben müge." Es gehörte zur Hochschulpolitik des Herzogs Julius, für<br />

seine neue Schöpfung zu werben, vornehmlich und mit Erfolg bei verwandten Fürstenhäusern<br />

und beim Adel 19) . In unserem Fall trifft das Bemühen des Universitätsgründers Julius,<br />

den nicht unheträchtlichen Anteil des Adels an der Studentenschaft weiter zu vergrößern,<br />

offenbar zusammen mit einer auch später bei Adolf zu beohachtenden eigenen Konzeptlosigkeit,<br />

was Ernsts Ausbildung angeht. Man ist in Bückeburg sehr dankbar- damit beendet<br />

Adolf sein Schreiben - und hat dazu auch allen Grund, betrifft doch das Angebot des Herzogs<br />

über das bloße Studieren hinaus die gesamte Lebensführung des jungen Mannes in der<br />

neuen Umgebung. Ernst soll also - und das ist das Besondere dieser Verabredung - dem<br />

Gefolge eines der herzoglichen Söhne beigegeben werden. Es handelt sich dabei um Joachim<br />

earl, den späteren Dompropst zu Straßburg, der von 1608 bis zu seinem Tode 1615<br />

auf der Burg zu Calvörde residierte und im Kloster Mariental bei Helmstedt beigesetzt<br />

worden ist 20) . Joachim earl ist 1584 elf Jahre alt, also vier Jahre jünger als Ernst. Mit ihm<br />

zusammen soll Ernst die Mahlzeiten einnehmen und ihm "aufwarten". Neben den - wie<br />

bisher bekannt - einzigen Zweck des Helmstedter Aufenthaltes, das Studium, tritt nun ein<br />

weiterer, der nach seiner Formulierung zunächst auf eine in ingendeiner Weise dienende<br />

Rolle im Gefolge des <strong>Braunschweig</strong>er Prinzen hindeutet. Tatsächlich handelte es sich um<br />

ein Ehrenamt, das zudem die Chance bot, in geordneten Verhältnissen im Kreise von<br />

gleichaltrigen Adeligen sichere Umgangsformen zu erwerben, Bekanntschaften unter<br />

Ranggleichen und Ranghöheren zu machen und geistige Anregungen zu empfangen, die<br />

über Bücherstudium und Gelehrtenwissen hinaus den gesamten Lebensstil formten.<br />

Betrachten wir daraufhin die näheren Umstände, unter denen Herzog Joachim earl<br />

in Helmstedt lebte und an denen Ernst zwei Jahre lang-jedenfalls während des nicht unbedeutenden<br />

Aktes der Essenseinnahme - Anteil haben sollte.<br />

18) Niedersächsisches Staatsarchiv (künftig: NStA) Wolfenbüttell Alt 5, Nr. 829.<br />

19) P. Baumgart, Die Anfänge der Universität Helmstedt im Spiegel ihrer Matrikel<br />

(1576-1600). In: Braunschw. Jb. 50,1969, S. 16 ff.<br />

20) Vgl. H. Mei borns Chronik des Klosters Marienthai, eingeleitet, übersetzt u. erläutert von<br />

G. Zimmermann, Mariental1988, S. 85.<br />

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59


Herzog Joachim Carl war mit Herberge und Tisch untergebracht bei dem schon mehrfach<br />

genannten Juristen Johannes BorehoIten. Damit bekommt für Ernsts Hclmstedter<br />

Aufenthalt ein Professorenhaushalt Bedeutung, der schon zu seiner Zeit wegen seiner<br />

Pracht und seiner ungewöhnlichen Gäste Aufsehen erregte. Ernst geriet hier zweifellos in<br />

das erste Haus am Platze, das über Jahre mehreren Fürsten zu einer Art Hofhaltung diente.<br />

So beschreibt es jedenfalls ein Zeitgenosse, der bekannte Helmstedter Spät humanist Johannes<br />

Caselius 21 ):<br />

Cum Borchoidus huc Rostochio primum veniret, splendide, ut homomagnificus aedificavit:<br />

cumque splendide habitaret, statim ab initio fere ad ultimum vitae tempus iIIustres hospites<br />

domi habuit. Erat igitur iIIa domus turn musaeum atque Themisteum iurisconsulti doctissimi<br />

et darissimi, turn aula semper plurium principum.<br />

Sobald Boreholten aus Rostock hierher kam, baute er prächtig, wie eben ein großzügiger<br />

Mensch baut, und da er prächtig wohnte, hatte er fast sofort von Anfang an bis in die letzten<br />

Tage seines Lebens vornehme Gäste in seinem Haus. So war also jenes Haus ebenso Musensitz<br />

und Themistempcl eines hochgelehrten und weitberühmten Rechtsgelehrten wie auch<br />

immer Residenz mehrerer Fürsten.<br />

Kurz einige Bemerkungen zu Borcholten selbst. Herzog Julius hatte diesen außerordentlich<br />

tüchtigen Juristen 22), Abkömmling eines Lüneburger Patriziergeschlechtes, 1576<br />

der Universität Rostock abgeworben, ihn zum Herzoglichen Rat und Advokaten bestellt,<br />

ihm ein Haus in Hclmstedt finanziert und ihn veranlaßt, dieses zu öffnen als Quartier für<br />

die herzoglichen Prinzen und deren Begleiter. So hatte hier 1582/83 neben Joachim Carl<br />

auch der ältere Bruder, der schon genannte Philipp Sigismund, späterer Bischof von Osnabrück<br />

und Verden, gewohnt. Die Prominenz der hier einquartierten Gäste hatte zur Folge,<br />

daß Einzelheiten der Haus- und Tischordnung, der Beköstigung und des Tagesablaufes<br />

vertraglich niedergelegt wurden und uns somit ungewöhnlich viele Details aus den Lebensbedingungen<br />

und dem Alltag sowohl der adeligen Jugendlichen wie des verantwortlichen<br />

Professors Borcholtcn mitgeteilt werden. Nach einem am Sonntag nach Ostern 1582 unterzeichneten<br />

Vertrag zwischen Herzog Julius und dem Professor Borcholten 23 ) belegten die<br />

beiden Herzogssöhne im Hause sechs Räume, nämlich je eine Studierstube, eine gemeinsame<br />

Schlafkammer , den gemeinsamen Eßsaal und für die Hofmeister und Präzeptoren je<br />

eine Kammer. Nicht gcnau festgelegt ist die Unterbringung des übrigen Gefolges. Es wird<br />

aufgezählt als "der Fürsten Gräffliche Herrn und Edle Knaben, auch andere uffwartter".<br />

Sie sollen "Ihre zimbliche Lagerstadt haben, wie nach gelegenheit des hauses am fuegliehstcn<br />

geschehen kan". Als Ernst im Oktober 1584 als aufwartender gräflicher Herr zur herzoglichen<br />

Tischgesellschaft dazustieß, waren die Möglichkeiten des Hauses offensichtlich<br />

ausgeschöpft, denn Ernst nahm außerhalb Quartier, wo, wissen wir nicht.<br />

Unterstellen wir einmal, daß die Vereinbarungen, die Julius 1582 mit Borcholten getroffen<br />

hatte, auch für die Jahre 1584-1586, als Ernst Gast des Hauses war, noch galtennichts<br />

Gegenteiliges ist bekannt -, so dürfte sich Ernst zweimal am Tag, "mittags" um 10<br />

Uhr und "abends" um 17 Uhr, zur Mahlzeit eingefunden haben. Daß er auch an der "Mor-<br />

60<br />

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21) J. Casel i us, Epitaphius Ioanni Borcholdo perscriptus, Hemstedt 1594, f. C 3.<br />

22) Zuihmvgl. Zimmermann(wieAnm.3),S.388f.<br />

23) NStA Wolfenbüttell Alt 22, Nr. 74, BI. 24 ff.<br />

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gensuppe" bzw. dem "Morgenbrot" des Fürsten nach dem Aufstehen um 6 Uhr teilgenommen<br />

hat, ist unwahrscheinlich. An der Tafel traf er-jedenfalls nach den im Vertrag niedergelegten<br />

Wünschen des Herzogs Julius-auf eine in ständigem Wechsel sich austauschende,<br />

anregende Gesellschaft. Es sollten nämlich stets Gäste geladen werden, und zwar die "ÄItesten<br />

und Vornehmsten" aus der Stadt, auch bisweilen der berühmte Jurist und herzogliche<br />

Altkanzlcr D. Joachim Mynsinger von Frundeck 24), der in Helmstedt seinen Lebensabend<br />

verbrachte, und der gesamte Lehrkörper der Universität in der Reihenfolge der<br />

Fakultäten, also je ein Theologe, Jurist, Mediziner und Philosoph nacheinander. Waren<br />

alle Professoren einmal Gast gewesen, sollte wieder von vorn begonnen werden. Einladungen<br />

ohne schriftliche Zustimmung des Herzogs durften nicht erteilt werden, auch nicht von<br />

Boreholten. Ihm selbst und seiner Frau, der Lüneburger Patriziertochter Anna von Dassei,<br />

war die Anwesenheit an der fürstlichen Tafel freigestellt. Die Absichten, die Julius mit<br />

seiner Gastfreundlichkeit verfolgte, verhehlt er keineswegs. Vom französischen Sprachrneister<br />

erwartet er, daß er "zu der französischen Sprach Anleitung geben soll". Die Professoren<br />

werden nicht nur wegen ihrer vermutlich lehrreichen Gespächsbeiträge eingeladen,<br />

sondern ihnen wird "befehligt", "ein fleißiges mitaufsehens zuhaben, wie es mit und bey<br />

der jungen Herrschaft gehalten wirdet, und was ettwa zuvorandern, und zuverbessern sein<br />

müchte, solches uff Ihre gethane Pflicht unverholen anzeigen". Da Julius seine beiden<br />

neun- und vierzehn jährigen Söhne nicht an den öffentlichen Lehrveranstaltungen der Universität<br />

teilnehmen ließ25), bot die Tafelrunde die einzige Gelegenheit für die Knaben,<br />

über ihren Privatunterricht hinaus einen Eindruck von Universität und Gelehrtenwelt zu<br />

gewinnen. Der fünfzehnjährige Ernst von Schaumburg, der erwiesenermaßen als normaler<br />

Student am öffentlichen Lehrbetrieb teilnahm, konnte hier schon geschlossene Bekanntschaften<br />

vertiefen und sich darüher hinaus einem größeren Professoren kreis hekannt machen.<br />

Profitiert hahen dürfte Ernst auch von der Sorgfalt, mit der Julius die Modalitäten des<br />

Speiseplans und die Tischsitten versucht hat zu regeln. Zwar ist auch Julius den Eßgewohnheiten<br />

seiner Zeit verhaftet. So sollen beide \1ahlzeiten acht Gänge enthalten, darunter<br />

mindestens zwei warme F1eisch-, ein Fisch- und ein Geflügelgericht. Deutlich wird andererseits<br />

aber auch seine Sorge um "eine gutte Dicta". Die das Haus betreuenden Ärzte,<br />

darunter der aus Lemgo stammende Dr. Hermann Neuwaldt 26 ), werden aufgefordert, ihre<br />

Bedenken zu jedem einzelnen Essensgang zu äußern und Verbesserungsvorschläge zu machen.<br />

Julius selbst läßt sich wöchentlich die von den Hofmeistern und Professor Boreholten<br />

unterschriebenen Küchenzettel zuschicken. Streng geregelt war der Alkoholverbrauch.<br />

Die Höchstmenge des am Fürstentisch auszuschenkenden Weines legte der Herzog im voraus<br />

fest. Es durfte nicht zugeprostet und vor allen Dingen nicht genötigt werden. In dieser<br />

Frage unterschied sich Julius erheblich von seinem Schwiegersohn, dem Schaumburger<br />

24) Zu ihm vgl. S. Seh um an n, Joaehim Mynsinger von Frundeck (1514-1588), Herzoglicher<br />

Kanzler in Wolfenbüttel- Rechtsgelehrter- Humanist. Zur Biographie eines Juristen im 16. Jahrhundert,<br />

Wolfenbüttel1983 (Wolfenbüttcler Forschungen 23).<br />

25) Tielemann (wie Anm.17), S. 112.<br />

26) Zu ihm siehe unten S. 85.<br />

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61


Grafen Adolf 27 ). Ernst, dessen späterer Abscheu gegen Trinkexzesse bezeugt ist 2R ), hatte<br />

sich hier umzugewöhnen. Wein gab es nur für den Fürstentisch, nicht für die Edelknaben<br />

und "andern Aufwarttenden". Sie tranken ausschließlich in Helmstedt gebrautes und von<br />

Professor Borcholten eingekauftes Bier. Der Wein und das teurere Bier des Fürstentisches<br />

wurden vom Herzog geschickt. Als Ernst in die Runde am Fürstentisch aufgenommen<br />

wurde, verursachte die Bierfrage einen zusätzlichen Schriftwechsel. Julius hatte es versäumt,<br />

für Ernst weiteres Bier nach Helmstedt schicken zu lassen. Der Professor mußte ihn<br />

deswegen mahnen 29). Wir erfahren aus dieser Episode nicht nur, daß Ernst während seines<br />

Helmstedter Aufenthaltes Zerbster Bier getrunken hat, sondern können daraus auch<br />

schließen, daß er am Fürstentisch seinen Platz hatte. Was immer konkret unter dem von<br />

Graf Adolf und Herzog Julius für Ernst vereinbarten Dienst des "Aufwartens" bei Herzog<br />

Joachim earl zu verstehen ist, seine Rolle als "der gräfliche Herr" unterschied ihn um einiges<br />

von den bei Tische aufwartenden Edelknaben, die an einem separaten Tisch zu speisen<br />

hatten.<br />

Doch damit haben wir vorgegriffen. Kehren wir zurück zur Anfrage des Grafen Adolf<br />

vom 11. August 1584. Julius' Antwort bestätigt erneut den doppelten Zweck des geplanten<br />

Aufenthaltes. Julius schreibt: "Wir ... vernehmen gern, das ... euer Bruder gegen bevorstehenden<br />

winter nach unser Julius Universitet in unserer Stadt Hclmstedt soll geschickt<br />

werden. Wir wollen auch verordnung thun, das er auf unsern freundlichen lieben Son, herzog<br />

Joachim earl, warten und bey Sr. L. nebst seinen Zugeordneten Hofmeister, Praeceptoren<br />

und zwey Edelknaben den Tisch haben soll" 30). Den betroffenen Professor Boreholten<br />

unterrichtet Julius erst eine Woche später. In der dabei verwendeten Formulierung<br />

wird die Studien absicht Ernsts erst an zweiter Stelle genannt. Es heißt dort: "Wir haben auf<br />

ansuchen des Wohlgeborenen ... Adolf Grafen zu Holstein, Schaumburg ... für dieser<br />

Zeit In gnaden gewilligt, das sein unmündiger Bruder Graf Ernst zu Holstein Schaumburg<br />

bey unserm freundlich lieben Son, Herzog Joachim earl, ufwarten und In unser Juliusuniversitet<br />

zu Hclmstedt seine studia volführen soll" 31). Freilich magJ ulius hier das Dienstverhältnis<br />

des neuen Gastes zu seinem Sohn gegenüber seinem Vertragspartner Borcholten<br />

besonders herausgestellt haben, um sein Ansinnen an den Professor als durch die 1582<br />

getroffenen Vereinbarungen gedeckt erscheinen zu lassen. Eindeutig ist jedenfalls, daß<br />

Ernst nicht als Student, sondern als "Aufwartender" des Herzogs Joachim earl in das Haus<br />

Borcholtens gelangt. Folgerichtig ist Julius als Dienstherr von Ernst und nicht der Schaumburger<br />

Hof in allen Fragen, die Ernst betreffen, Vertrags- und Ansprechpartner für Borcholten.<br />

So wird z. B. die Kostenfrage zunächst zwischen Julius und Borcholten geregelt.<br />

Julius verspricht Borcholten: "Darauf wollen wir auch gleichfalls das jennige geben und<br />

27) Äußerungen über Adolfs Trinkfreudigkeit sind zitiert von Bei der Weiden (wie Anm. 8),<br />

S. 25 und 29.<br />

28) Vgl. D. Brosius, Fürst Ernst im Urteil der Zeitgenossen. In: Schaurnb. Lipp. Mitt. 20,<br />

1969, S. 6.<br />

29) Brief Borcholtens an Julius vom 6. 11. 1584 und Konzept des herzoglichen Antwortschreibens<br />

vom 9. 11. 1584, NStA Wolfenbüttell Alt 5, NT. 829.<br />

30) Konzept eines herzoglichen Schreibens an Adolfvon Schaumburg vom 21. 8. 1584, ehenda.<br />

31) Konzept eines herzoglichen Schreibens an Johannes Boreholten vom 27.8.1584, ebenda.<br />

62<br />

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gosten lassen, was Ir bisher für eine jede person bekommen". Nach dem Vertrag von 1582<br />

sind dies drei Mariengroschen pro Mahlzeit 32).Freilich hat der Schaumburger Hof in der<br />

Praxis direkt mit Borcholten abgerechnet. Etwas unerfreulich wurde diese Regelung für<br />

den Professor, als Ernst im September 1586 sein Studium abbrach. Adolf tat sich schwer<br />

mit der Begleichung aller Helmstedter Schulden. Im Mai 1587 weigerte er sich, 200 Taler<br />

für Stubenzins und ähnliches in Helmstedt ohne "designation" , also Auflistung, anzuerkennen<br />

33). Borcholten hat noch länger warten müssen. In einem Brief an Ernsts Schwester<br />

Marie vermerkt der Schaumburger Kanzler Anton von Wietersheim am 14. Juli 1587: "Und<br />

seindt Meines gnedigen Hern graff Ernsts schulde Zu Helmstedte ohn was D. Borcholt für<br />

des Jungen halbjeriges tischgclt solt haben, Zu allem Danck woll bezahlet" 34). Borcholten<br />

war um diese Zeit schon rund ein Jahr in Vorlage getreten - das in einem Geschäft, in das<br />

er sich nicht hineingedrängt hatte und bei dem für ihn - das Verfahren der Zuweisung im<br />

Fall Ernst zeigt es - keine Einspruchsmöglichkeit vorgesehen war.<br />

Julius' Ankündigung der neuen Gäste hat der Professor denn auch kommentarlos entgegengenommen,<br />

allerdings hinzugefügt, er bedanke sich, "das e. f. g. myr solches zeittlich<br />

angemeiden, damitt ich meine haushaltung darnach desto besser habe anzustellen" 35). In<br />

der Tat dürfte die Organisation des Haushaltes den Professor vor nicht geringe Probleme<br />

gestellt haben. Aus der Zeit, als Ernst im Hause speiste, liegen von Borcholten etliche<br />

Äußerungen dazu vor. So klagt er ein Vierteljahr nach Ernsts Ankunft in einem Brief an<br />

den Herzog: "Mach denn e. f. g. in gnaden bewußt, daß ich itzo eyn größer haushaltung<br />

habe, dann ich jemals zuvor gehabt"J6). Ein Jahr später heißt es in einem Briefvom 5. März<br />

1586: "Ich muß dechlichs 50 personen vorsorgen, fünf[ hern und ihr diener und mein eigen<br />

gesinde ... ; ess feit die haushaltung schwer genug" 37). Das "eigen gesinde", wichtige Ausrüstung,<br />

um einen Haushalt dieser Größenordnung zu betreiben, war um diese Zeit das<br />

umfangreichste in der Stadt. Nach einer für Herzog Julius im Januar 1586 erstellten diesbezüglichen<br />

Auflistung der Professorenhaushalte 3H ) hestand es bei Borcholten z. Z. des Aufenthaltes<br />

von Ernst aus drei Dienern, drei Mägden und zwei Köchinnen.<br />

12) Nach Ti e le m an n (wie Anm. 17), S. 111 hat Borcholten eine Erhöhung auf insgesamt 7<br />

Mariengroschen für die im Haus untergebrachten Prinzen und ihr Gefolge durchsetzen können.<br />

33) Schreiben Adolfvon Schaumburgs vom 5. 5.1587, StA Detmold L47 114.<br />

34) StA Detmold L 47 1/4.<br />

3 1 ) Brief Borcho!tens an Julius vom 31.8.1584, NStA Wolfenbüttcl37 Alt 365, Bd. 3, BI. 60.<br />

36) Brief Borcholtens an Julius vom 9.2. 1585, NStA Wolfenbüttel37 Alt 365, Bd. 3, BI. 28.<br />

37) NStA Wolfenbüttcl37 Alt 365, Bd. 4, BI. 57.<br />

3R) Abgedruckt bei Zimmermann (wie Anm. 3), S. 53 mit S. 11.<br />

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63


III.<br />

Anfang Oktober 1584 begab sich Ernst zusammen mit seiner Schwägerin, der Wolfenbütteler<br />

Prinzessin Elisabeth, von Bückeburg auf die Reise gen Osten. Bis <strong>Braunschweig</strong> blieb<br />

man zusammen. Von dort fuhr Elisabeth zu ihren Eltern nach Wolfenbüttci, während<br />

Ernst die Absicht hatte, sich von <strong>Braunschweig</strong> direkt nach Helmstedt zu begeben. Dazu<br />

ist es wahrscheinlich nicht gekommen. Julius veranlaßte nämlich Elisabeth sofort nach ihrer<br />

Ankunft in Wolfenbüttel, Ernst brieflich zu bitten, er möge mit seinen "Zugeordneten"<br />

am folgenden Tag erst einmal in Wolfenbüttel vorbeikommen 39 ). Herzog Joachim Carl<br />

und sein jüngerer Bruder Julius Augustus befanden sich um diese Zeit auch gerade in Wolfenbüttel,<br />

und es war Julius' Wunsch, daß Ernst mit den beiden Prinzen zusammen nach<br />

Helmstedt reisen sollte. Ernst hat sich vermutlich dieser Einladung, die ihrer Natur nach<br />

mehr vorgezogenen Dienstantritt als Besuch bei Verwandten bedeutete, nicht entzogcn.<br />

J ulius wiederum mag, von ständiger Sorge um seine Söhne geleitet, hier eine gute Gelegenheit<br />

gesehen haben, den jungen Mcnschen einmal näher kennenzulernen oder auch persönlich<br />

zu instruieren, der da demnächst mit seinen Kindern in sehr enger Gemeinschaft<br />

zusammenleben sollte.<br />

Zu einer weiteren Begegnung zwischen Julius und Ernst kam es höchstwahrscheinlich<br />

zu Beginn des Jahres 1585, wohl auf Initiative von Ernst und unter Vermittlung von Borcholten.<br />

Julius erklärte sich jedenfalls in einem Schreiben vom Neujahrstag 1585 damit<br />

einverstanden, daß ihn dcr Graf von Schaumburg samt Hofmeister und Präzeptor in Begleitung<br />

von Borcholten "zu Gruß" in Wolfenbüttel besuche 4(1 ). Kurz zuvor hatte Julius<br />

eine Entscheidung gefällt, die den jungen Grafen sicherlich etwas betrübt haben dürfte.<br />

Seine Mutter Elisabeth Ursula hatte ihrem Sohn ein Pferd geschenkt, ein "klein pferdlein" ,<br />

ein "recht gntt pferd", wie aus dem Briefwechsel 41) hervorgeht, den es verursachtc. Es war<br />

nämlich - Parkplatzproblem des 16. J ahrhundcrts - kein Platz da für das Pferd. Ernst hatte<br />

es mit Einwilligung von Boreholten in den Stall von Joachim Carl gestellt. Das lag nahe,<br />

denn von ihm hatte er bzw. seine Mutter es gekauft. Gleichzeitig hatte er Boreholten ersucht,<br />

den Herzog dafür förmlich um Erlaubnis zu bitten. Warum er sich nicht persönlich<br />

an Julius wandte, ob aus jugendlicher Unsicherheit oder gehindert durch das Protokoll,<br />

darüber kann nur spekuliert werden. Sein Mittelsmann hattc indes keinen Erfolg. Julius<br />

schrieb zurück, er habe "allerhand bedenken". Vielleicht ist es dem jungen Mann gelungen,<br />

während des wenige Wochen später unternommenen Neujahrsbesuches den Herzog<br />

noch umzustimmen.<br />

Ernst scheint nun ununterbrochen bis Mitte Januar 1586 in Helmstedt geblieben zu<br />

sein. Am 31. 7.1585 trägt er sich in das Stammbuch eines sonst unbekannten Vincent Mül-<br />

39) Konzept eines Schreibens von Elisabeth an Ernst vom 7.10.1584, NStA Wolfenbüttell Alt<br />

5, Nr. 829, BI. 5.<br />

40) Konzept eines herzoglichen Schreibens vom 1. 1. 1585, NStA Wolfenbüttcll Alt 5, NT. 829,<br />

BI. 11.<br />

41) Schreiben Borcholtcns an Herzog Julius vom 21. 12. 1584 und Konzept des herzoglichen<br />

Antwortschreibens vom 29. 12. 1584, NStA Wolfenbüttcll Alt 5, NT. 829, BI. 8 ff.<br />

64<br />

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ler ein 42 ). Sein Name erscheint ebenfalls in einer am 26.8. 1585 am Wolfenbütteler Hof<br />

eingegangenen Liste aller in HcImstedt gezählten Studenten 43). Zu Hause hatte sich seine<br />

Chance, jemals alleinregierender Graf von Schaumburg zu werden, in der Zwischenzeit<br />

erheblich verschlechtert. Graf Adolf war im Oktober 1585 Vater eines Sohnes geworden,<br />

den man nach seinem Großvater und Paten Julius nannte - Ausdruck der um diese Zeit<br />

überaus guten Beziehungen zwischen den beiden Regenten.<br />

Die Gräfinwitwe Elisabeth Ursula freilich bewegten nach gut einem Jahr der Trennung<br />

von ihrem Sohn mütterliche Sorge und Sehnsucht. Im Glückwunschbriefzum Jahreswechsel<br />

1585/86 an Julius 44 ) äußert sie den Wunsch, Ernst möge mit seinem Hofmeister<br />

"zu Gruß" nach Stadthagen herüberkommen. Sie möchte "gern eigentlich ... wissen, wie<br />

unser Son Ernst in seinem studiren zunehme und sich allerseidts verhielte". Er solle in<br />

Stadthagen examiniert werden und neue Kleider bekommen. Sie verspricht, ihn danach<br />

"wieder auff e.\. fürtreffliche hohe Juliuß Schule zu Helmbstede zu schicken, auff das er<br />

sich daselbst zu seinem dienst wieder einstelle und seinem Studieren fürtan mitt vleisse<br />

oblige." Auch hier wird wieder ein Dienstverhältnis anerkannt. Elisabeth Ursulas Bitte<br />

zielt auf nichts anderes als eine befristete Entpflichtung ihres Sohnes. Julius zeigt sich mit<br />

Elisabeth Ursulas "meinung und fürhaben" "garwoll zufrieden"45), und Ernst dürfte seinen<br />

Urlaub bekommen haben.<br />

Damit endet der erhaltene Teil des Briefwechsels zwischen den beiden beteiligten Höfen<br />

um das Studium des Grafen Ernst in Helmstedt. Das Ende seines Helmstedter Aufenthaltes<br />

im September 1586 ist quellenmäßigschlecht dokumentiert 46 ) und läßt einige Fragen<br />

offen. Es steht im Zusammenhang mit Elisabeth Ursulas plötzlichem Tod am 3. September<br />

1586. Ernst scheint an den Beisetzungsfeierlichkeiten am 7. und 8. September nicht teilgenommen<br />

zu haben 47 ), ist danach aber auch nicht mehr in Helmstedt nachweisbar. Er hielt<br />

sich am Hofe in Bückeburg auf, ohne rechte Beschäftigung, dem "Druncke" ausgesetzt,<br />

wie einer seiner späteren Vormünder beklagt 48 ). Diese Unterbrechung seiner Ausbildung<br />

sollte, begünstigt durch verschiedene unglückliche Umstände, drei Jahre dauern.<br />

Man hat bisher diese unproduktive Zeit im Leben Ernsts einseitig dem Halbbruder<br />

Adolf angelastet 49 ). In der Tat konnte es vielleicht im Interesse Adolfs liegen, nicht zuviel<br />

in die Ausbildung seines jüngeren Bruders zu investieren. Aber: Ernst brach nicht nur ein<br />

Studium ab, sondern löste sich auch aus den besonderen Verpflichtungen seines Dienstver-<br />

42) Zimmermann (wie Anm. 3), S. 47 mit S. IX.<br />

43) Zimmermann (wie Anm. 3), S. 47 mit S. 111.<br />

44) Schreiben Elisabeth Ursulas an Julius vom 11. 1. 1586, NStA Wolfenbüttel 1 Alt 5, Nr. 829,<br />

BI. 12 ff.<br />

45) Konzept eines herzoglichen Schreibens vom 17.1. 1586, ebenda.<br />

46) Vgl. dazu Bei der Wieden (wie Anm. 8), S. 28 f.<br />

47) A. Falkmann, Graf Si mon VI. und seine Zeit (Beiträge z. Geschichte d. Fürstentums<br />

Lippe, Bd. 3-6), Detmold 1869-1890, hier Bd. 4, S. 128.<br />

48) Schreiben Herzog Wilhelms von <strong>Braunschweig</strong>-Lüneburg an Graf Simon VI. vom 18. 12.<br />

1586, StA Detmold L 471/4.<br />

49) Bei der Wieden (wie Anm. 8), S. 28 f.; ihm folgend Schormann (wie Anm. 11), S. 37.<br />

http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042624<br />

65


hältnisses gegenüber Julius. Ihm gegenüber war aber Adulf als Vermittler und Garant für<br />

Ernst aufgetreten. Adulf mußte zu allererst daran gelegen sein, das gute Verhältnis zu seinem<br />

Schwiegervater nicht durch eine einseitige und unbegründete Auflösung der getroffenen<br />

Verahredung zu trüben. Von daher ist die Angahe Spangenhergs in seiner im Auftrag<br />

von Ernst verfaßten, 1614 erschienenen Schaumburgischen Chronik, Adolf habe Ernst<br />

nach dem Tode seiner Mutter aus Helmstedt zurückgerufen, da er genug studiert habe 50),<br />

allein und für sich genommen, wenig glaubwürdig. Es spricht einiges dafür, daß die tieferen<br />

Gründe für den Abbruch des Studiums bei Ernst seihst bzw. in Helmstedt gesucht werden<br />

müssen. Hier muß es uns unbekannte Umstände gegeben hahen, die dem jungen Mann das<br />

Studieren und "Diensttun" verleideten und ihn zu seinem so nicht zu begreifenden V erhalten<br />

brachten. Gestützt wird diese Vermutung durch eine Darstellung aus dem vorigen Jahrhundert,<br />

die allerdings leider - zeitbedingt - auf die Angabe der FundsteIlen verzichtet.<br />

Der Detmolder Archivdirektor A. Falkmann stellt den in Frage kommenden Zeitabschnitt<br />

so dar: "Der junge Graf scheint in seiner Jugend ein etwas dissolutes Lehen geführt zu<br />

haben. Noch vor dem Ableben seiner Mutter und wider deren Willen verließ er die Schule<br />

zu Helmstedt und trieb sich müßig in Bückeburg umher. Sie (sc. Elisaheth Ursula) hesorgte,<br />

"daß er zu Wildigkeit verleitet werden möge" und wünschte sehr, daß er sein Studium<br />

fortsetzte" 51). Falkmanns Quelle hat sich bisher nicht ermitteln lassen. Wohl gibt es<br />

im vorhandenen Schriftwechsel zwischen den nach Elisabeth Ursulas Tod eingesetzten<br />

Vormündern einen Hinweis, der Falkmanns Version glaubwürdig macht. Als Vormünder<br />

für Ernst und seine unverheiratete Schwester Marie hatten sich neben dem Halbbruder<br />

Graf Adolf auch der Schwager Ernsts, Graf Simon VI. zur Lippe, und Wilhe1m d.J. von<br />

<strong>Braunschweig</strong>-Lüneburg, Bruder der verstorbenen Elisabeth Ursula, einsetzen lassen.<br />

Der letztere zeigte sich der ihm angetragenen Aufgabe gegenüber zunächst erstaunlich<br />

reserviert, spricht von "erheblichen Ursachen und Hindernüß", die er eigentlich dagegen<br />

einzuwenden habe, und bindet seine Mitarbeit an die Bedingung "solang gerne, ... als wir<br />

vermercken werden, das wir darin bei Inen selbst Graff Ernste und Fräulein Marien und<br />

sonsten folge haben". Schließlich widmet er Ernst noch einen bemerkenswerten Zusatz:<br />

"U nd so viell Graff Ernsten sonderlich anlangt, weil wir vernehmen, daß ehr wilferig ist auf<br />

jüngst gethane erinnerung seiner lieben Frau Mutter seligen willen und begerde folge zuleisten<br />

und sein studia fürder zu continuiern"52). Es hatte also ein Gespräch stattgefunden,<br />

worin sich Ernst zur Wiederaufnahme seines Studiums hatte ermahnen lassen müssen.<br />

Nicht gerade entschuldigt, aber etwas verständlicher wird unter diesen Umständen<br />

das Desinteresse, das Adolf gegenüber allen weiteren Ausbildungsplänen der beiden anderen<br />

Vormünder an den Tag legte. Hatte Ernst tatsächlich eigenmächtig in einer jugendlichen<br />

Laune das Studien- und Dienstverhältnis abgebrochen, das von Adolf mit einigem<br />

menschlichen und diplomatischen Einsatz organisiert worden war, dann mochte nun bei<br />

ihm ein berechtigter Ärger - neben den bisher in der Forschung diskutierten Motiven - die<br />

Oberhand gewonnen hahen.<br />

66<br />

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SO) Spangen berg (wie Anm. 4), S. 289.<br />

51) Falkmann (wie Anm. 47), Bd. 5, S. 96.<br />

52) Wie Anm. 48.<br />

http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042624


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Wie bekannt, erhielt Ernst schließlich, nicht zuletzt dank der Fürsorge seines Schwagers,<br />

des Grafen Simon VI. zur Lippe, weiterhin eine standesgemäße Ausbildung. Er begab<br />

sich in den Jahren 1589 bis 1594 auf Reisen, u. a. nach Italien, wo er noch zweimal, in<br />

Bologna und Florenz, mit dem Lehrbetrieb einer Universität in Berührung kam, allerdings<br />

beide Male nur jeweils einige Monate. Die Helmstedter Jahre sind somit die längste Zeit,<br />

die Ernst jemals an einer Universität verbracht hat, dazu ist Helmstedt die einzige deutsche<br />

Universität, die er kennengelernt hat.<br />

1601 gelangte Ernst unerwartet zur Regierung, nachdem kurz hintereinander sein<br />

Neffe Julius und sein Halbbruder Adolf gestorben waren. 1610 gründete er in Stadthagen<br />

ein Gymnasium iIIustre 51 ). Nach Erlangung des zur Verleihung von akademischen Graden<br />

notwendigen kaiserlichen Privilegs verlegte er diese Anstalt nach Rinteln und eröffnete<br />

hier 1621 eine Volluniversität, die "Aeademia Ernestina".<br />

IV.<br />

Besinnen wir uns an dieser Stelle noch einmal auf unsere Ausgangsfrage nach den Eindrükken<br />

und Eint1üssen, denen Ernst an der <strong>Braunschweig</strong>ischen Landesuniversität ausgesetzt<br />

war. Die von Eiehrodt in seiner Trauerrede gezogene Parallele zu Julius hat einen konkreten<br />

Hintergrund bekommen aufgrund des aktenmäßig bezeugten besonderen Verhältnisses,<br />

in dem sich Ernst zu Julius befand. Die Einbindung in die Interessensphäre des Herzogs<br />

und die damit verbundene größere Nähe des Umganges läßt die Möglichkeit zu, daß<br />

Julius mit seiner bekannten rastlosen Sorge um alles, was mit seiner Gründung Julia zu tun<br />

hatte, dem jungen Mann ein bestimmtes, vorgesprägtes Idealbild des fürstlichen Universitätsgründers<br />

mit auf den weiteren I .ehensweg gegehen hat.<br />

Nach dieser Erfahrung empfiehlt es sich, auch den übrigen Äußerungen der Trauerredner<br />

über Ernsts Studium im einzelnen nachzugehen, also die genannten Professoren,<br />

mit denen Ernst verkehrte, näher in den Blick zu fassen in der Hoffnung, von ihnen Auskunft<br />

zu erhalten über weitere Einzelheiten aus dem Leben, das Ernst in Hclmstedt führte.<br />

Hinzugezogen werden auch die literarischen Eigenprodukte Ernsts aus seiner Helmstedter<br />

Zeit - angesichts der wenigen erhaltenen persönlichen Zeugnisse des Fürsten besitzen sie<br />

ohnehin einen besonderen Reiz. Zu ihrem Verständnis bedarf es allerdings neben der<br />

Übersetzung z. T. auch einer eingehenderen Kommentierung. Das gilt in gleicher Weise<br />

auch für die übrigen vorgestellten Quellen.<br />

Den umfassendsten und informativsten Bericht über Ernsts Auftreten in Helmstedt<br />

gibt uns der wohl am unmittelbarsten Beteiligte, Boreholten selbst. Den Hinweis auf Borcholtens<br />

Darstellung verdanken wir Eichrodt, der seine Quelle - wir wiesen schon darauf<br />

hin - im Druck am Rande vermerkt hat. Boreholtens Text wurde - das zeigt der Vergleich<br />

53) Vgl. G. Schormann, Acadcmia Erncstina. Die schaumhurgische Universität zu Rinteln<br />

a. d. Weser (1610-1810), Marburg 1982, S. 32 ff.<br />

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67


- zur Hauptquelle nicht nur des zitierenden Eichrodt, sondern auch der übrigen zeitgenössischen<br />

und späteren Chronisten 54).<br />

Borcholten hat sein Portrait von Ernst in Form eines Widmungsbriefes seinem Traktat<br />

"De gradibus" 55) vorangestellt. Diese juristische Abhandlung bespricht die verschiedenen<br />

möglichen Verwandtschaftsgrade, den Ehestand und die Probleme des Erbfalls ohne Testament<br />

mit Hilfe von belegenden TextsteIlen, die Borcholten aus der gesamten juristischen<br />

Literatur, auch aus zeitgenössischen humanistischen Publikationen, zusammengetragen<br />

hat. Die Themen selbst waren vorgegeben durch entsprechende Kapitel aus den<br />

Institutiones und Digesten, den bei den in der damaligen Juristenausbildung meist benutzten<br />

Teilen des Corpus juris, der Gesetzessammlung Justinians. Es handelt sich also bei<br />

Borcholtens Buch um einen Vorlesungsstoff, der für Studenten und ratsuchende Praktiker<br />

zum Nachlernen und Nachschlagen veröffentlicht worden ist.<br />

Borcholtens das Werk einleitender Brief ist datiert am 14. November 1588. Ernsts<br />

Aufenthalt in Helmstedt lag also schon zwei Jahre zurück. Der Brief la u tet:<br />

Generosissimo comiti Ernesto, comiti Holsatiae et Schomburgensi etc. Johannes Borcholten<br />

salutern.<br />

Erneste, comes generosissime, scis in plerisque Germaniae aeademiis hunc morem servari, ut<br />

doctores in eanicularibus iuris studiosis doetrinam supputandorum graduum proponant. Hune<br />

ego morem non improbo. Caniculares enim propter nimium aestum et fervorem studiis plerumque<br />

minus apti sunt. Et doctrina de supputandis gradibus facilis est, perquam utilis et<br />

iucunda admodum et propter facilitatem et iucunditatem animum, alioquin a studiis alieniorem,<br />

ad cognoscendos gradus facile impellit.<br />

Itaque et ego laudatissimum vicinarum academiarum morem secutus studiosis adolescentibus<br />

in ipsis canicularium feriis in hac alma Iulia universitate rationem supputandorum gradu<br />

um monstravi et, ut usum magis intclligerent, doctrinam de matrimonio et successionibus<br />

ab intestato adiunxi, non quidem integram, quia nec debui nec tempus patiebatur, sed capita<br />

eius insigniora, quae merito omnes nosse debent.<br />

Sub tue autem nomine hunc laborem in lucem prodire volui. Causae multae sunt, quas<br />

omnes si hic referrem, prolixior videri possem. Patieris tarnen c1ementer nonnullas me enumerare.<br />

Dedisti in hac Iulia nostra operam literis, et non solum initia philosophiae, verum etiam<br />

sanctissimae iurisprudentiae ex quatuor Institutionum imperialium libris didicisti. Sic enim<br />

persuasum tibi fuit parum esse patre comite, matre principissa natum esse, quod ipsum tarnen<br />

multum est, nisi ad nobilissimam generis tui originem nobilitatem literarum adiungeres. Pie tatis<br />

studiosissimus fuisti; per totum enim tempus, quo te Julia nostra vidit, sacras conciones<br />

diligenter audivisti nec passus es publice ullam haberi concionem, cui non interesses. Mores<br />

tui ita fuerunt compositi, ut studiosa iuventus exemplum, quod imitaretur, in te conspicuum<br />

haberet. Ineessu eras gravis, sermone affabilis, nulli praeferebas te, sed singulis ita te aceommodabas,<br />

ut cum singulis enutritus videri potuisses. Si quando animum assiduitate studiorum<br />

defatigatum recreare volebas, non crapulae et ebrietati (quod pro dolor multi faciunt) operam<br />

dabas, sed vel dcambulando vel pila ludendo vel equitando alacriorem studiis te parabas.<br />

Nonnumquam etiam carminibus scribendis defatigatas animi vi res recolligebas. Et exstant tua<br />

54) Vgl. Eichrod (wie Anm. 1), S. 27 f., Michelbach (wie Anm. 5), S. 63, Spangenberg<br />

(wie Anm. 4), S. 289 und J. W. Ca p a u n, Geschichte der wirklichen Regenten der Grafschaft Schaumburg,<br />

2 Hde., Bückeburg 1794, Ms., StA Bückeburg L Oe Bd. 21, S. 136.<br />

55) J. ßorehol ten, De gradibus tractatus, in quo simul ... cle matrimonio et successionibus ab<br />

intestato agitur, Helmstedt 1589 und öfter.<br />

68<br />

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doctissima in lucem edita carmina, quae ita composita sunt, ut ab exercitatissimo in poesi<br />

scripta doctis videantur. Me in publico auditorio iura docentem assidue audivisti. In meis aedibus<br />

talern te gessisti, ut magnum tui desiderium apud principes me os iIIustrissimos, dominum<br />

Joachimum Caralum et dominum Julium Augustum, duces Brunovicenses et Luneburgenses,<br />

et generosisssimos comites aReinstein, dominum Ernestum et dominum Martinum, fratres<br />

reliqueris.<br />

1I0rum omnium recordatio, Erneste, iucundissima mihi est, et ideo ad te parte m aliquam<br />

opera rum Iuliacarum venire volui. Accipe igitur, comes laudatissime et doctissime, benigno<br />

vultu, quod submisso animo tibi offera. Et cum otium ti bi est, hunc Iibrum percurre, tuumque<br />

de eo iudicium mihi perseribe. Quod si feceris, facturum autem te confido, grat um mihi imprimis<br />

facies meque ad quaevis officia tibi vicissim obligabis.<br />

Vale, comes generosissime. Helmstadii 14. Novembr. anno 1588. 56 )<br />

Übersetzung:<br />

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Den wohlgeborenen Grafen, den Grafen Ernst von Holstein und Schaum burg etc. grüßt Johannes<br />

Borcholten.<br />

Ernst, wohlgeborner Graf, du weißt, an den meisten Universitäten Deutschlands ist es üblich,<br />

daß die akademischen Lehrer w.ihrend der Hundstage den Rechtsstudenten die Lehre von<br />

der Berechnung der Verwandtschaftsgradc anbictcn. Diese Sitte findc ich ganz und gar nicht<br />

schlecht. Die Hundstage sind nämlich wegen ihrer Glut und Schwüle für das Studium meist<br />

weniger geeignet. Die Lehre von der Berechnung der Verwandtschaftsgrade ist leicht, überaus<br />

nützlich, durchaus ergötzlich und motiviert mit ihrer Einfachheit und Vergnüglichkeit den<br />

sonst studierunwilligen Verstand, die Unterschiede der Verwandtschaftsgrade zur Kenntnis<br />

zu nehmen. Deshalb habe auch ich mich dieser vielgelobten Gewohnheit benachbarter Hochschulen<br />

angeschlossen und an dieser Alma Julia den jungen Studenten während dcr Hundstage<br />

das Verfahren der Berechnung von Verwandtschaftsgraden dargelegt, und damit sie auch<br />

dessen Nutzen besser erkennen können, habe ich auch die Lehre von der Ehe und von den<br />

Erbschaften ohne Testament angeschlossen, dies bei des freilich nicht vollständig, weil ich<br />

dazu nicht verpflichtet war und die Zeit es nicht zuließ, aber die wichtigsten Abschnitte daraus,<br />

die alle zu Recht kennen müssen, habe ich hinzugefügt.<br />

Unter Deinem Namen aber soll- das ist mein Wille - diese Frucht meiner Arbeit ans Licht<br />

der Öffentlichkeit gehen. Dafür gibt es viele Gründe. Wenn ich die hier alle vorbringen wollte,<br />

könnte ich wohl den Eindruck erwecken, allzu weitschweifig zu sein. Gestatte dennoch gütigst,<br />

daß ich einige aufzähle. Du hast Dich an dieser Julia mit den Wissenschaften beschäftigt<br />

und nicht nur die Anfangsgründe der Philosophie, sondern auch der hochheiligen Jurisprudenz<br />

aus den vier Büchern der kaiserlichen Institutionen gelernt. Du warst nämlich davon<br />

überzeugt, es sei zu wenig, Sohn eines Grafen und einer Fürstin zu sein - was trotzdem und<br />

für sich genommen, schon viel bedeutet -, wenn Du nicht auch zur uradeligen Abstammung<br />

Deines Geschlechtes den Adel der Wissenschaften hinzufügtest. Um Dein Seelenheil hast Du<br />

Dich sehr bemüht. Während der ganzen Zeit, da unsere Julia Dich hier sah, hast Du die Gottesdienste<br />

gewissenhaft besucht, und Du ließest nicht zu, daß irgend eine Andacht öffentlich<br />

stattfand, an der Du nicht teilnahmst. Dein Lebenswandel war so geregelt, daß die studentische<br />

Jugend an Dir ein Beispiel vor Augen hatte, das sie nachahmen konnte. Im Auftreten<br />

strahltest Du Würde aus, im Gespräch warst Du leutselig. Du tatest Dich vor niemandem<br />

hervor, sondern ließest Dich so mit jedem einzelnen ein, daß Du den Anschein erwecken<br />

konntest, Du seist mit jedem von Kindheit an zusammen gewesen. Wenn Du Dich einmal,<br />

56) Dieser lateinische Text wurde wic auch die anderen hier abgedruckten in Orthographie und<br />

Zeichensetzung behutsam den heutigen Gepflogenheiten angepaßt.<br />

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69


von der beständigen Anspannung des Studierens ermüdet, erholen wolltest, dann suchtest Du<br />

nicht Rausch und Trunkenheit (was leider viele tun), sondern machtest Dich durch Wandern,<br />

Ballspielen und Reiten wieder für das Studium fit. Bisweilen sammeltest Du Deine Geisteskräfte<br />

sogar im Abfassen von Gedichten, und in der Tat liegen Deine hochgelehrten Gedichte,<br />

die ja veröffentlicht worden sind, hier vor. Sie sind so verfaßt, daß selbst Gelehrte den Eindruck<br />

haben, sie seien geschrieben von jemandem, der im Dichten sehr viel Übung habe.<br />

Mich hast Du, wenn ich im öffentlichen Hörsaal meine juristischen Vorlesungen hielt, mit<br />

Ausdauer gehört. In meinem Haus hast Du Dich so betragen, daß Du von meinen durchleuchtigsten<br />

Fürsten, Herrn Joachim earl und Herrn Julius Augustus, Herzögen zu <strong>Braunschweig</strong><br />

und Lüneburg, und den wohlgeborenen Grafen von Reinstein, den Brüdern Herrn Ernst und<br />

Herrn Martin, außerordentlich vermißt wirst.<br />

An das alles, Ernst, denke ich sehr gerne zurück, und deshalb möchte ich, daß irgend ein<br />

Teil meiner an der Julia entstandenen Werke sich auf den Weg zu Dir macht. Empfange also,<br />

lobenswertester und hochgelehrter Graf, mit wohlwollendem Blick, was ich Dir demütigen<br />

Herzens darbringe. Und wenn Du einmal Zeit hast, so durchfliege dies Buch und schreibe mir<br />

Deine Meinung dazu ausführlich auf. Wenn du das tust - ich bin sicher, daß Du es tun wirst-,<br />

erweist Du mir einen besonderen Gefallen und verpflichtest mich Dir wiederum zu jedem nur<br />

denkbaren Dienst.<br />

Leb wohl, wohlgeborener Graf. Helmstedt, den 14. November 1588.<br />

An diesem Brief ist einiges bemerkenswert. Einmal zeigt er, daß Ernst auch zwei Jahre<br />

nach seinem Weggang in Helmstedt noch nicht vergessen ist. Das wird sich im folgenden<br />

auch an einigen anderen Vorgängen ablesen lassen. Zum anderen ist es erstaunlich, daß<br />

Boreholten sich hier mit einer Widmung an einen jungen Mann wendet, dem unsichere<br />

Erbansprüche eine große Zukunft zu verweigern schienen und der vor allem um diese Zeit<br />

kaum imstande war, die in einem solchen Fall üblicherweise erwarteten "honoraria" hinreichend<br />

großzügig fließen zu lassen. Boreholtens sonstiger Praxis entspricht diese Widmung<br />

keineswegs. Seine Werke sind vorwiegend Regierenden dediziert, z. B. dem Rat der Stadt<br />

Rostock, dem Rat der Stadt Lüneburg oder dem Bischof von Lübeck. Wenn Boreholten in<br />

diesem Falle eine Widmung an einen Adressaten von so geringem Einfluß richtet, dann<br />

haben ihn vielleicht auch Motive geleitet, die im emotionalen Bereich zu suchen sind. Daß<br />

Ernst die Sympathie des Professors gewonnen hat, darauf deuten - neben der Ehrung an<br />

sich - die einfühlsame Einleitung und der persönlich gehaltene Schluß des Briefes. Hier<br />

schreibt ein Lehrer, der die Lust- und Lernproblerne seiner jungen Studenten kennt, an<br />

einen ehemaligen Schüler, um ihn mit der Übersendung des Büchleins nicht nur zu ehren,<br />

sondern auch wieder zum Lesen, darüber Schreiben, kurz, zum erneuten Studieren zu bewegen.<br />

So viel pädagogisches Bemühen haben in Helmstedt nur wenige andere adelige<br />

Studenten bei ihren akademischen Lehrern erregt 57).<br />

Der I Iauptteil des Briefes, Boreholtens Aussagen über Ernsts Leben und Studieren in<br />

Helmstedt, kann freilich nur mit Einschränkung aufgenommen werden. Ein näherer Blick<br />

57) Eine Untersuchung der jeweiligen Beziehung von Professoren und Studenten in Helmstedt<br />

fehlt. Ergiebig dürfte sie vor allem für Caselius und die sich um ihn versammelnden Angehörigen des<br />

niedersächsischen Adels sein. Einiges Material dazu bei A. Neu k irch, Niedersächsische Adelskultur<br />

der Renaissance. In: A. Neu kireh, B. N iemeyer, K. Steinacker, Renaissanceschlösser Niedersachsens.<br />

Textband, 11. Hälfte, Hannover 1939, S. 271 f.<br />

70<br />

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,


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zeigt, daß er nach dem Schema eines Testimoniums abgefaßt ist. Dabei handelt es sich um<br />

ein inoffizielles akademisches Zeugnis, in dem bestimmte Themenpunkte, die vom betreffenden<br />

Studenten durchlaufenen Studienveranstaltungen, die regelmäßige Vorlesungsteilnahme,<br />

unter dem Stichwort "pietas" der fleißige Gottesdienstbesuch, unter dem Obertitel<br />

"mores" die private Lebensführung des Studenten, seine Beliehtheit hei Lehrern und Mitstudenten,<br />

kurz, seine Beispielhaftigkeit üherhaupt behandelt wurden. Diese Punkte sind<br />

in erhaltenen vergleich ha ren Testimonien 5R) mit zeitüblich verherrlichendem rhetorischem<br />

Aufwand ausgeführt; tadelnde Bemerkungen fehlen. Mit solchen Testimonia pflegten<br />

vor allem Adelige im 16. Jahrhundert ihr Studium abzuschließen. Der Erwerb eines<br />

akademischen Grades, des Magisters oder Doktors, war nämlich um diese Zeit noch keineswegs<br />

die Regel. Im Vertrauen auf die Privilegien der Geburt zog es der größte Teil des<br />

Adels vor, sich zwar das Wissenspotential der gelehrten, vorwiegend bürgerlich geprägten<br />

Universität mit Hilfe einiger Studienjahre zu erschließen, sich aber nicht deren Examenszwängen<br />

zu unterwerfen. Der vorliegende Text spricht dafür, daß auch Boreholten, als<br />

feststand, daß Ernst nicht mehr nach Helmstedt zurückkehren würde, von einem der Vormünder<br />

oder auch von Ernst selbst um ein Testimonium gebeten worden ist. Ernsts Studium<br />

in Helmstedt hätte damit in seiner äußeren Form den üblichen Abschluß gefunden.<br />

Für Boreholten mag die Anfertigung des Testimoniums den letzten Anstoß gegeben haben,<br />

das Lob seines ehemaligen Schülers in der Form des Dedikationsbriefes auch einem größeren<br />

Publikum bekannt zu machen. Damit durchbricht er die Regel und läßt persönliche<br />

Beteiligung vermuten.<br />

Indem wir so mit einiger Sicherheit den Brief in seinem Kern dem Bereich der Lobschriften<br />

zugewiesen haben, verlieren zwar die Bewertungen Boreholtens an Zeugniskraft<br />

- Zweifel melden sieh z. B. an gegenüber der lobenden Anmerkung zu Ernsts Enthaltsamkeit<br />

im Trinken um diese Zeit -, für die mitgeteilten Sachinformationen indessen gilt dies<br />

nicht in gleicher Weise. Ein Teil von ihnen bestätigt schon Bekanntes und schafft so Glaubwürdigkeit<br />

für das Neue. Da Ernst in seiner Freizeit tatsächlich gerne ritt, auf dem "klein<br />

pfertlein", wie wir wissen, dürfte er auch, wie Boreholten mitteilt, gewandert sein und sich<br />

dem damaligen Modesport Ballspiel gewidmet haben. Wenn Borcholten davon spricht,<br />

daß von Ernst veröffentlichte Gedichte vorlägen - "et exstant tua doctissima in lucem edita<br />

carmina" -, so trifft das nach unserem jetzigen Erkenntnisstand zu diesem Zeitpunkt nur<br />

für ein einziges Gedicht zu, einen jetzt im Staatsarchiv Wolfenbüttel wieder aufgefundenen<br />

Einblattdruck von 1585 59 ). Die übrigen bisher bekannten Gedichte lagen um diese Zeit<br />

noch nicht gedruckt vor. Nach dieser Äußerung Boreholtens muß man also bei den von<br />

Ernst verfaßten Gedichten mit Verlusten rechnen oder auf weitere Funde hoffen.<br />

Einiges Neue erfahren wir durch Boreholten über Ernsts studentische Bekanntschaften<br />

am Tisch. Neben J oachim Carl und Ernst gehören ein wei terer Sohn des Herzogs Juli us,<br />

der etwas jüngere Julius Augustus, später Abt zu Michaelstcin, und zwei Grafen von Re-<br />

SB) Vgl. R. A. Mülle r, Universität und Adel. Eine soziokulturelle Studie zur Geschichte der<br />

bayerischen Landesuniversität Ingolstadt 1472-1648, Berlin 1974 (Ludovico-Maximilianea Bd. 7), S.<br />

160 f. und S. 208 f.<br />

59) Siehe unten S. 73.<br />

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71


genstein-Blankenburg, Ernst und Martin, zum festen Stamm der Speiserunde. Sie waren<br />

seit März 1586 immatrikuliert 60 ). Mindestens Julius Augustus war vermutlich schon länger<br />

Mitbewohner im Hause Borcholten, denn er hatte Ernst schon als Reisegefährte begleitet,<br />

als dieser im Oktober 1584 von Wolfenbüttel aus zum ersten Mal nach Helmstedt fuhr 6 J).<br />

Die Rolle der bei den Grafen von Regenstein-Blankenburg im Hause dürfte der Ernsts<br />

vergleichbar gewesen sein, Ob das Verhältnis der drei "aufwartenden Grafen" zueinander<br />

wirklich so gut war, wie Borcholten es darstellt, muß offen bleiben. Vorstellbar ist, daß<br />

auch in diesem Bereich, im täglichen Zusammenleben der Grafen untereinander, Probleme<br />

entstanden, die Ernst im Herbst 1586, während der Krise um den Tod seiner Mutter,<br />

den weiteren Aufenthalt in Helmstedt verleidet haben. Die bei den Grafen verstarben übrigens<br />

jung. Ihr Herrschaftsgebiet fiel 1599 z. T. als erledigtes Lehen an <strong>Braunschweig</strong>-Wolfenbüttel,<br />

z. T. geriet es als Halberstädtisches Lehen ebenfalls zunächst unter welfischen<br />

Einfluß62).<br />

Doch zurück zu Borcholtens Widmungsbrief. Über das, was wir unter "Studieninhalte"<br />

verstehen, findet sich auch hier kaum mehr, als uns die Verfasser der Leichenpredigten<br />

aus dieser Quelle schon mitgeteilt hatten. Borcholten spricht von den Anfangsgründen<br />

- "initia" -, die Ernst kennengelernt habe, sowohl in den artistischen Fächern wie in der<br />

Jurisprudenz. Selbst wenn man unterstellt, daß Ernst außer der genannten Institutionenvorlesung<br />

auch die dem gewidmenten Buch "De gradibus" zugrundeliegende Vorlesung<br />

gehört hat, so läßt Borcholten selbst keinen Zweifel daran, daß es sich auch dabei um einen<br />

Stoff aus dem Elementarbereich handelt. Die Widmung an Ernst verband er, wie wir sahen,<br />

mit gewissen pädagogisch motivierten Hoffnungen; sie zeigt zugleich die fachliche<br />

Einschätzung Ernsts durch Boreholten: Er sah in Ernst keinen gleichwertigen Gesprächspartner,<br />

sondern einen geistig ansprechbaren jungen Mann von Rang mit einem ihm förderungswürdig<br />

erscheinenden Interesse an der Jurisprudenz.<br />

V.<br />

Etwa um die gleiche Zeit, in der Borcholten den Widmungsbrief an Ernst schrieb, tauchte<br />

Ernst noch einmal im Schriftwechsel des Professors mit Herzog Julius auf. Anlaß dafür ist<br />

ein Epithalamium, das Ernst zur Hochzeit seiner Schwester Elisabeth am 13. November<br />

1585 mit Simon VI. zur Lippe verfaßt hatte. Zwei Jahre nach Ernsts Fortgang hat Julius<br />

entweder aktiv Interesse daran geäußert oder aber diesen Eindruck bei Boreholten erweckt<br />

- Borcholten Icgte es jedenfalls seinem Brief vom 29. Dezember 1588 an Julius mit dem<br />

Zusatz bei: "Was graff Ernst von Schaumburgh dem grafen to der Lippe zu ehrn geschrie-<br />

(0) Zimmermann (wie Anm. 3), S. 57: am 8.3.1586.<br />

61) Brief der Elisabeth von <strong>Braunschweig</strong>-Wolfenbüttel an Ernst vom 7. 10. 1584, NStA Wolfenbüttel<br />

1 Alt 5, Nr. 829, siehe dazu oben S. 64.<br />

62) Vgl. dazu W. Lüders, Blankenburg. In: Görges/Spehr, Vaterländische Geschichten und<br />

Denkwürdigkeiten der Lande <strong>Braunschweig</strong> und Hannover, 3. Auf!. 1925 hg. v. F. Fuhse, ND 1978,<br />

Bd. 1, S. 357 ff., hier S. 385 f.<br />

72<br />

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en, haben e. f. g. aus beiverwartten zu ersehen"63). Das bisher nicht veröffentlichte Gedicht<br />

hat folgenden Wortlaut:<br />

Elegia domino Simoni Lippiae comiti et dominae Elisabethae Schavvenburgicae sponsis<br />

illustribus gratulationis ergo scripta ab Ernesto comite Schavvenburgico fratre sponsae.<br />

Splendida vix steterant magni primordia mundi,<br />

Cum thalami sanxit foedera casta DEUS.<br />

Nam vitae sociam primus coniunxit Adamo.<br />

Et porro sacrum connubiale probat.<br />

Coniugibus castis castus DEUS unice adhaeret,<br />

Et castis spondet prospera fata toris.<br />

IlIicitas vero flammas ultricibus urget<br />

Diris, ceu Troiae iusta ruina docet.<br />

Et Sodoma exemplo est corda aversata pudorem<br />

Puniri: impuros debita poena manet.<br />

Innumeros casus alios sacra pagina praestat.<br />

Historiae exemplis et monumenta scatent.<br />

Quin hominum nos vita docet successibus iIli<br />

Quod careant, quibus est turpis amica Venus.<br />

Ergo tua est GE:-.IEROSE COMES laudanda voluntas,<br />

In casto quod amas viven! coniugio.<br />

Et tibi GERMANAEQCE MEAE coeptos hymenaeos<br />

Gratulor: 0 vester sit diuturnus amor.<br />

Vivite Cumaeos una feliciter annos,<br />

Ac eat ex vestro pu1cra pro pa go toTO.<br />

LIPPIACAE neu stemma domus et nobile gcrmcn<br />

Intereat, CHRISTUM per pia vota prccor.<br />

Übersetzung<br />

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Elegie für Herrn Simon, Grafen zur Lippe, und Frau Elisabeth von Schaum burg, dem<br />

durchleuchtigen Brautpaar als Glückwunsch geschriehen von Ernst Graf von Schaumburg,<br />

dem Bruder der Braut.<br />

Kaum war vollendet das glänzende Gründungswerk der großartigen Schöpfung, als Gott<br />

das keusche Bündnis der Ehe einrichtete. Denn eine Lebensgefährtin verband er zuerst dem<br />

Adam und ward hinfort Garant des heiligen Ehestandes. Züchtigen Eheleuten steht Gott in<br />

seiner Reinheit einzigartig bei und verspricht züchtigem Ehelager glückliches Geschick. Verbotene<br />

Begierden aber verfolgt er mit rächenden Furien, wie der gerechte Untergang Trojas<br />

lehrt. Auch Sodom dient zum Exempel, daß Herzen, die keine Scham kennen, büßen müssen.<br />

Die Zuchtlosen erwartet gebührende Strafe. Zahllose andere Fälle bietet die Heilige Schrift;<br />

Geschichtswerke und Denkmäler sind voll von Beispielen. Ja, auch das Leben der Menschen<br />

lehrt uns, daß jene auf Erfolg verzichten müssen, denen Venus zur unsittlichen Begleiterin<br />

wird. Darum ist dein Wille, hochgeborener Graf, zu loben, daß du es vorziehst, in keuscher<br />

Ehe zu leben. Dir und meiner Schwester wünsche ich Glück zur begonnenen Verbindung. 0<br />

daß eure Liebe ewig dauern möge! Lebt glücklich zusammen bis ins sibyllinische Alter! Herrliche<br />

Nachkommen bringe hervor euer Lager! Daß der Stammbaum des Lippischen Hauses<br />

und das edle Geschlecht nicht untergehe, dafür flehe ich Christus an.<br />

63) NStA Wolfenbüttel1 Alt 5, Nr. 829, BI. 16.<br />

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73


Wir sind heute sehr schnell geneigt, die von Zeitgenossen und späteren Chronisten<br />

wegen soleherart Verse dem jungen Mann gezollte Bewunderung vorbehaltlos zu teilen,<br />

zum al in unserer Zeit die aktive Beherrsehung des Lateinischen, vor allem in gebundener<br />

Form, fast völlig verloren gegangen ist. Einige einschränkende Anmerkungen sind freilich<br />

notwendig, um die tatsächliche Leistung des Fünfzehnjährigen beurteilen zu können. Ernst<br />

hatte wie jeder Student zu seiner Zeit über Jahre im Lateinunterricht, öffentlich oder<br />

privat, schon geübt, auch lateinische Verse anzufertigen. Als er die Universität bezog,<br />

stand ihm hicrfür neben dem Professor für lateinische Grammatik eigens ein Lehrer der<br />

Dichtkunst zur Verfügung. Dieser sog. "poeta", Inhaber des Lchrstuhls für Poesie, hatte<br />

die Aufgabe, den Studenten im Rahmen des dem eigentlichen Fachstudium vorgeschaltetcn<br />

artistischen Kurses die gesellschaftlich so außerordentlich nützliche Fähigkeit zu vermitteln,<br />

elegante, prosodisch richtige Verse im Wortschatz und Versmaß der großen antiken<br />

Dichter zu verfassen. Ein kunstvoll gebautes lateinisches Gedieht zu jeder Gelegenheit,<br />

zu Hochzeit, Geburt, Trauerfall, Studienbeginn, Doktorpromotion und Buchveröffentlichung,<br />

das war um diese Zeit wie überall, so auch in Helmstedt eine Kommunikationsform,<br />

die jeder zu beherrschen hatte, der sich unter Standespersonen, also etwa im<br />

städtischen Patriziat, im Umfeld des Hofes oder einer Universität, bewcgcn wollte. An der<br />

Universität Helmstedt wurde das Fach Poesie vcrtreten durch den Professor für Poesie und<br />

Geschichte Heinrich Meibom d. Ä. (4) aus Lemgo. Er hat sich von Anfang an -das wird aus<br />

einer seiner Gedichtsveröffentlichungen deutlich 65) - um die Bekanntschaft und Aufmerksamkeit<br />

des neu in Helmstedt zugezogenen Schaumburger Grafen bemüht. Außerdem<br />

lebte Ernst ja mit dem auch in Helmstedt mit lateinischen Dichtungen hervorgetretenen<br />

M. Hermann Vastelabend, seinem Privatlehrer, zusammen. So standen ihm also mögliche<br />

Ratgeber zur Seite, wenn es wie bei dieser Hochzeit galt, ein passendes Glückwunschgedicht<br />

zu verfassen.<br />

Wie ist Ernst nun im einzelnen vorgegangen? Er hätte seine Aufgabe nach dem Dichtungsverständnis<br />

des Humanismus gänzlich verfehlt, wenn er sich in seinem Gedicht in<br />

irgendeiner Weise um Originalität bemüht hätte. Die antike rhetorische Theorie hatte Regeln<br />

zur Abfassung eines Epithalamiums entwickelt, die im Poesieunterricht der Universitäten<br />

weitergegeben wurden und befolgt zu werden hatten. Ein aus der antike überliefertes,<br />

dreiteiliges Grundschema einer Hochzeitsrede mit den Themen 1. über die Ehe, 2.<br />

Anrede und Lob des Brautpaares und 3. guten Wünschen 6Ii) hat auch Ernst hierfürverwendet.<br />

Ausführlich belehrt er im ersten Teil des Gedichtes über den heiligen Ursprung der<br />

Ehe aus der christlichen Schöpfungsgeschichte und verweist mit Beispielen aus Bibel, antikem<br />

Mythos und Geschichte auf den Lohn ehelicher Treue und die bösen Folgen der Unkeuschheit.<br />

Bemerkenswert, aber durchaus den Gewohnheiten der Zeit gemäß ist die Unbefangenheit,<br />

mit der er den christlichen Gott auch zum Rächer in Troja, also zum Herrn<br />

(4) Zu ihm vgl. NDB 16, 1990, S. 629 f. und I. Henze, Der Lehrstuhl f. Poesie an der Universität<br />

Helmstedt bis zum Tode Heinrich Meiboms d. Ä. (t 1625). Eine Untersuchung zur Rezeption antiker<br />

Dichtung im lutherischen Späthumanismus, Hildesheim 1990.<br />

65) Siehe unten S. 8M.<br />

66) Vgl. R. Keydell, "Epithalamium". In: Reallex. f. Antike u. Christentum 5,1961, S. 930 f.<br />

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über die Furien auch des heidnischen Mythos erhebt. Verhältnismäßig kurz gehalten ist<br />

Teil 2 mit dem Lob des Bräutigams und dessen Absicht, den Junggesellenstand zugunsten<br />

eines Lebens in keuscher Ehe aufzugeben. Auf den ersten Blkk ebenfalls konventionell<br />

ausgeführt erscheint der Schlußteil, in dem die guten Wünsche ihren Platz haben. Aus dem<br />

reichen traditionellen Angebot möglicher Wünsche wählt Ernst die Dauer der Liebe, ein<br />

langes gemeinsames, glückliches Leben und eine gesunde Nachkommenschaft. Nicht unbedingt<br />

durch ein antikes Vorbild nahegelegt sind die beiden letzten Verse mit ihrem Gebet<br />

um das Fortbestehen des Geschlechts der Grafen zur Lippe. Es ist dies die einzige Stelle,<br />

an der das Gedicht einen Bezug herstellt zum aktuellen Hintergrund dieser Eheschließung.<br />

Der Bräutigam Simon war nämlich Witwer und heiratete mit einunddreißig Jahren zum<br />

zweiten Male. In seiner ersten Ehe war er kinderlos geblieben, ein Umstand, der unter den<br />

benachbarten Herrscherhäusern, ja auch bei Adolf von Schaumburg, schon Spekulationen<br />

über Erbansprüche im Falle des Aussterbens der Iippischen Grafen ausgelöst hatte (7 ).<br />

Ernst fügte seinem Gedicht einen lateinischen Begleitbrief bei. Er liegt heute im<br />

Staatsarchiv Detmold 6ll). Dieses bisher unveröffentlichte Kunstprodukt von Ernst folgt<br />

zwar auch der im gelehrten Unterricht vermittelten Rhetorik, enthält aher außerdem in<br />

weit größerem Umfange als das Gedicht Anspielungen auf das damalige Verhältnis zwischen<br />

den beiden Grafenhäusern aus der Sicht Ernsts. Er schreibt am 15. Dezember 1585<br />

aus Helmstedt an Simon:<br />

Illustris et gene rose comes,<br />

facundissimus orator Isocrates ad Demonicum scribit quemadmodum rei familiaris, sie et amicitiae<br />

paternae liberis capiendam esse hereditatem. Hoc non minus vere quam eleganter dictum<br />

est, et quidem in amicitia haec consuetudo servari debebat, ut non tantum liberi ad hereditatem<br />

a parentibus sibi relictam admitterentur, sed etiam paternorum amicorum hereditatem<br />

simul capesserent. Bona ingcnia etiam amicos defunctorum suorum parentum tanto honore<br />

afficiunt, quanto parentes dum in vivis adhuc essent, eos affecerant. Quotiescumque<br />

igitur huius dicti sententiam considero, venit mihi in mentem, quam iucunde olim inclytus tuus<br />

parens dominus Bcrnhardus Lippiae comes et meus etiam inclytus parens dominus OUo comes<br />

Schavvenburgicus (quorum animae vivunt iam apud superos) inter se conversati sint et quam<br />

magna atque arctissima inter illos intercesserit amicitia. Ideo illam amicitiam, quae nobis hereditaria<br />

est, sartam tectam tueri debemus. Huic autem necessitudini adhuc maius accessit vinculum<br />

nimirum quod tibi paucis ante die bus illustris et dulcissima soror mea in matrimonium<br />

locata et ita familiaritas ista renovata stabilita est. Vt autem perspicias me huius renovatae<br />

familiaritatis vinculo mirum in modum delectari, ad significandam animi lactitiam et declarandam<br />

promptissimam meam voluntatem breve epithalamium tibi composui, quod ut boni consulas<br />

obnixe peto. Et ti bi germanaeque meae multis modis mihi carissimae toto pectore salutcm<br />

plurimam et benedictionem dei opto, ut deus vos incolumes et concordes ad ecclesiae dei<br />

et reip. utilitatem tuendam quam diutissime conservet. Hoc meum votum fore ratum plane<br />

non duhito. Bene in Christo vale.<br />

Data Helmstadii XVIII. Calend.lanuarii anno Christi MDLXXXV. 69)<br />

Tuae gratiae<br />

affinis<br />

Ernestus Comes a Schavvenburg<br />

67) Falkmann (wie Anm. 47), Bd. 4, S. 117.<br />

61


Übersetzung<br />

Durchleuchtiger und wohlgeborener Graf, der sprachgewaItige Redner Isokrates schreibt an<br />

Demonikos, Kinder sollten nicht nur beim Vermögen, sondern auch in den Freundschaftsbeziehungen<br />

ihrer Väter Erbe übernehmen. Das ist ebenso wahr wie pointiert gesagt; und zwar<br />

mußte in der Freundschaft so verfahren werden, daß die Nachkommen nicht nur zu dem Erbe,<br />

das ihnen die Eltern hinterlassen hatten, zugelassen wurden, sondern sie zugleich auch die<br />

Erbschaft der väterlichen Freunde antraten. Menschen mit Herzehren denn auch die Freunde<br />

ihrer verstorbenen Eltern in gleichem Maße wie diese selbst es zu ihren Lebzeiten getan hatten.<br />

Sooft ich über die Bedeutung dieser Äußerungen des Isokrates nachsinne, muß ich daran<br />

denken, wie freundlich einst Dein ruhmreicher Vater, Herr Bemhard Graf zur Lippe, und<br />

mein ebenfalls ruhmreicher Vater, Herr Otto Grafvon Schaumburg (deren Seelen schon bei<br />

den Himmlischen weilen), miteinander verkehrten und welch eine intensive und außerordentlich<br />

enge Freundschaft zwischen ihnen bestand. Deshalb müssen wir diese Freundschaft, die<br />

uns als Erbe hinterlassen ist, hoch und heilig halten. Unsere Beziehung aber verstärkt nun<br />

noch ein festeres Band, der Umstand nämlich, daß Du vor wenigen Tagen meine durchleuchtige<br />

und überaus liebliche Schwester geheiratet hast und so jenes freundschaftliche Vertrauensverhältnis<br />

in erneuerter Form befestigt worden ist. Damit Du auch deutlich erkennst, daß<br />

ich über das Band dieser erneuerten, vertrauensvollen Freundschaft über die Maßen entzückt<br />

bin, habe ich als Ausdruck meiner Freude und zum Zeichen meiner Dir so zugeneigten Gesinnung<br />

ein kurzes Epithalamium für Dich gefertigt. Daß Du es gut aufnehmen möchtest, darum<br />

bitte ich inständig. Und ich erflehe für Dich und meine Schwester, die mir in vielfacher Hinsicht<br />

außerordentlich lieb ist, alles Glück und Gottes Segen, daß er Euch unversehrt und in<br />

Eintracht möglichst lange zum dauerhaften Nutzen von Gottes Kirche und zum Besten des<br />

Staates erhalten möge. Daß dieser mein Wunsch in Erfüllung geht, daran zweifle ich ganz und<br />

gar nicht. Leb wohl in Christus!<br />

Helmstedt, den 15. Dezember 1585.<br />

Deiner Gnaden<br />

Schwager<br />

Ernst Graf von Schaumburg<br />

Ernst stellt sich mit diesem Brief in den Dienst der neuen Politik des Schaumburger<br />

Hofes gegenüber dem Lippischen Nachbarn. Tatsächlich hatte die hier so wortreich gelobte<br />

Freudschaft zwischen den beiden Herrscherhäusern jahrelang eine herbe Unterbrechung<br />

erfahren. Anlaß waren Erbansprüche beider Seiten auf die Gebiete von Stern berg<br />

und Barnturp u. a., die das gute Verhältnis seit dem Tode von Simons Vater Bernhard<br />

VIII. zerstört hatten 70). Die nun zwischen Ernsts Schwester und Simon eingegangene Ehe<br />

diente der neuerlichen Annäherung beider Höfe, ein Vorgang, der übrigens von Adolfs<br />

Schwiegervater Herzog Julius mit Reserve zur Kenntnis genommen wurde. Die Schulstubenrhetorik<br />

mit ihrem klassischen Thema Freundschaft ließ sich hier außerordentlich nutzbringend<br />

auch einmal in der politischen Praxis anwenden.<br />

Was Ernsts Bildungsstand und Literaturkenntnis angeht, macht der Brief noch einige<br />

Anmerkungen erforderlich. Ernst beginnt sein Plädoyer für die Bewahrung der beidseitigen<br />

väterlichen Freundschaft mit einer Sentenz aus einer inzwischen als unecht erkannten<br />

Schrift des attischen Redners Isokrates (436-338 v. ehr). Der von ihm zitierte Satz "quemadmodum<br />

rei familiaris, sic et amicitiae paternae liberis capiendam esse hereditatem" steht<br />

76<br />

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10) Falkmann (wie Anm. 47), Bd. 3, S. 109 ff., Bd. 4, S. 113 ff.<br />

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in der Einleitung der Abhandlung "An Demonikos" (Orat. I), dort jedoch natürlich in<br />

griechischer Sprache. Hat Ernst etwa die Gelegenheit in Helmstedt benutzt, um an der<br />

Universität auch Griechisch zu lernen, und verwendet hier im Kontext eines lateinischen<br />

Briefes eine seIbst gefertigte Übersetzung des zitierten Satzes? Immerhin wird Ernst auf<br />

einem Porträtstich des Lucas Kilian von 1623 mit einer in griechischen Lettern geschriebenen<br />

Devise - K{!ElTI6v Ilanv dÖlKEIO"frm f) dÖlKEIV - es ist besser, Unrecht zu leiden als zu<br />

tun - dargestellt 71 ). Mag er dieser höchsten Stufe humanistischer Bildung, der Beherrschung<br />

der griechischen Sprache, auch vielleicht mit Sympathie gegenübergestanden haben,<br />

das lateinische Ps.-Isokrateszitat läßt sich auf andere Weise erklären. Die unter dem<br />

Namen des Isokrates überlieferte Rede "An Demonikos" erfreute sich bei den humanistischen<br />

Schulmännern ihres, wie man glaubte, hohen erzieherischen Wertes wegen außerordentlicher<br />

Beliebtheit. Zahlreiche Übersetzungen sorgten dafür, daß keine Sprachbarriere<br />

die Verbreitung der kleinen Schrift behinderte. Auch Ernst hat sie in einer Übersetzung<br />

gelesen. Es läßt sich sogar mit einiger Sicherheit angeben, welche er benutzt hat. Sein Zitat<br />

hat die engste Entsprechung in der fast wortgleichen Fassung des Augsburger Humanisten<br />

Hieronymus Wolf (1516-1580), der zu dieser Zeit maßgeblichen und bis ins 17. Jahrhundert<br />

immer wieder aufgelegten Isokratesübersetzung 72 ). Griechischkenntnisse hat er im<br />

Zusammenhang mit dieser Rede also sicher nicht erworben.<br />

Ein Wort noch zum Empfänger des Briefes und seiner möglichen Reaktion auf dessen<br />

gelehrte Ausstattung. Dank eines glücklichen Zufalles wissen wir, daß auch Simon in seiner<br />

Jugend seinen lateinischen Stil mit Hilfe dieser Rede "An Demonikos" geschult hat. Ein<br />

Übungsheft, in dem Simon im Alter von 15 Jahren zwischen dem 1. Februar und dem 20.<br />

April 1569 eine fünfzig Seiten lange Übersetzung eben dieser antiken Abhandlung vom<br />

Deutschen ins Lateinische angefertigt hat, ist in der Lippischen Landesbibliothek in Detmold<br />

erhalten 73) - eines der sehr seltenen Originaldokumente aus dem Lernalltag eines<br />

Schülers. Mußte sich so die Quelle von Ernsts Gelehrsamkeit in Si mons Augen als gängiger<br />

Schulübungstext enthüllen, dürfte ihn die damit aufsteigende Erinnerung an eigene Mühen<br />

auf diesem Gebiet doch auch in zusätzliche Sympathie für den Verfasser der beiden Grußadressen<br />

versetzt haben.<br />

7l) Abgebildet als Titelblatt bei Brosius(wieAnm.ll).<br />

12) Isoeratis scripta ... Hieronyme Wolfio interprete, Basel 1571. Wolf übersetzt: Vt enim rei<br />

familiaris sie et amicitiae paternae liberis capienda est haereditas (fol. b) Bei Ernst lautet der Satz,<br />

notwendigerweise in abhängiger Rede: Quemadmodum rei familiaris, sic et amicitiae paternae liberis<br />

eapiendam esse hereditatem.<br />

73) LLB Ms 81. Vgl. dazu H.-P. Fink, Drei Handschriften aus den Jugendjahren Simons VI.<br />

und Si mons VII. zur Lippe. In: Renaissance im Weserraum, hg. v. G. U. Großmann, Bd. 2, München<br />

1989, S. 245-257.<br />

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77


VI.<br />

Die übrigen von Ernst erhaltenen Gedichte führen uns in das Umfeld des schon genannten<br />

Historikers Reiner Reineccius. Reineccius (1541-1595), einer der berühmtesten und<br />

fruchtbarsten Geschichtsschreiber seiner Zeit, war 1582 von Herzog Julius an seine neue<br />

Hochschule berufen worden mit dem besonderen Zugeständnis, von Lehrverpflichtungen<br />

befreit zu sein, damit er sich ausschließlich der Darstellung der Weltgeschichte und, so<br />

hoffte Julius, darin eingebettet, auch der Welfengeschichte widmen könne 74). Als Ernst in<br />

Helmstedt in persönlichen Verkehr mit Reineccius trat, war er für den Professor kein Unbekannter.<br />

Reineccius hatte schon 15XO eine Chronik der Grafen von Schaumburg vcriiffentlicht<br />

75 ) und sie u. a. dem damals noch nicht regierenden Grafen Adolf und dem elfjiihrigen<br />

Ernst gewidmet. In dem dieser Schrift vorangestellten Widmungsbricf vom 7.9. 1579<br />

begründet Reineccius seine Widmung an Adolf damit, daß Adolfund er um dieselbe Zeit<br />

zusammen in Wittenberg studiert hätten 76). Hier bestand also schon eine alte Beziehung.<br />

Bemerkenswert ist nun, wie sehr diese Bekanntschaft im persönlichen Verkehr des Professors<br />

mit dem Studenten Ernst in Hclmstedt aufgeblüht ist. Betrachten wir zunächst die<br />

Äußerungen, die sich bei Reineccius selbst üher Ernst finden.<br />

In einer Ahnentafel der Grafen von Schaumhurg, die Reineecius im Anhang zu seiner<br />

Ausgahe der Chronik des Albert von Stade 77) eingefügt hat, giht er 1587 eine Charakteristik<br />

des Studenten Ernst und seines Studiums in Helmstedt, eine singuläre und gattungssprengende<br />

Zutat an dieser Stelle. Er ergänzt zum Namen Ernsts:<br />

Ernestus, i1lustri virtutis indole adolcscens, nec iuris prudentiae solum atque historiarum<br />

litterate peritus, verum etiam in carmine pagendo cum primis felix et elcgans. Vixit in academia<br />

Julia biennium et posito tirocinio ingenii et profectus specimina diversa nec vulgaria edidit.<br />

Ernst, ein Jüngling mit hervorragenden Charakteranlagen, nicht allein in der Jurisprudenz<br />

und der Geschichte wissenschaftlich gebildet, sondern auch im Anfertigcn von Gedichten außerordentlich<br />

erfolgreich und geschickt. Er lebte zwei Jahre in der Academia Julia und gab,<br />

nachdem cr die Unerfahrenheit des Anfängers hinter sich gelassen halle, verschiedene ungewöhnliche<br />

Proben seines Talentes und seiner Studienfortschritte.<br />

Wie im Fall des Borcholtenbriefes darf man auch hier fragen, ob Reineccius' Laudatio des<br />

gerade aus Helmstedt ahgezogenen Schaumburger Grafen mit dem Hinweis auf die übliche<br />

Gunstbuhlerei der Humanisten hinreichend erklärt ist. Dafür hätte sich auch Reineccius<br />

einen vielversprechenderen Patron aussuchen können, also einen der Amts- und Würdenträger<br />

aus der Verwandtenreihe. Alle übrigen Schaumhurger Grafen, also auch die Brüder<br />

74) Vgl. dazu O. H erdi ng, Heinrich Meibom (1555-1625) und Reiner Rcineceius<br />

(1541-1595). Eine Studie zur Historiographie in Westfalen und Niedersachsen. In: Westf. Forschungen<br />

18,1965, S. 5 ff., hier S. 13 f. und Zi mmerma nn (wie Anm. 3), S. 426 f.<br />

75) Historia de vita et rebus Adolphi 11 ... excerpta de Annalibus Hclmoldi, Frankfurt 15BO.<br />

76) " ... quod quo tempore Vitaebergae optimarum artium studiis operam dares, eadem academia<br />

me etiam alumnum habuerit".<br />

77) R. Reineccius (Hg.), Chronicon Alberti Abbatis Stadensis ... e bibliotheca ... Henrici<br />

Ranzovii, Hclmstcdt 1587.<br />

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In unserem Falle ist die Beteiligung auch von Angehörigen des hohen Adels für Reineccius<br />

Anlaß, sie als qlLA.6Il0l!(JOl i\ qJlAOtcrtOQE6 , als Freunde der Musen und der Wissenschaften<br />

zu bezeichnen. Spätere Biographen von Ernst haben aus dieser Bemerkung<br />

ein spezielles Lob für Ernst herausgelesen. Vorangegangen ist hier der Wolfenbütteler<br />

Schulrektor Dommerich. Er schreibt: "Ouem (sc. Ernestum) ipse Reinerus in cautione sua<br />

... Comitem qJlA6llol!(Jov f] (fllAOicrtoQOv praedicat" - "den (nämlich Ernst) Reiner<br />

(Reineccius) selbst in seinem Vorwort einen Grafen nennt, der Freund der Musen und der<br />

Wissenschaften sei". Diese nicht ganz korrekte Wiedergabe der Reinecciusstelle ist von<br />

den späteren Biographen Ernsts gern wiederholt worden 82). Indessen galt das Lob keineswegs<br />

Ernst allein. Im Falle von Gedicht (III) hatte aus dem Grafenstand auch Ernst von<br />

Regenstein und Blankenburg, Tischgenosse Ernsts bei Boreholten, ein Epigramm beigesteuert.<br />

Es folgt auf Ernsts Beitrag, steht also an zweiter Position. Auf ihn ist der Titel<br />

"Freund der Musen und der Wissenschaften" in gleicher Weise zu beziehen. Unter den<br />

übrigen fünfzehn Grußadressen aus dem Kreis der bürgerlichen Freunde befinden sich<br />

übrigens auch ein Gedicht des Präzeptors Hermann Vastelabend und zwei Beiträge des<br />

"poeta et historicus" Heinrich Meibom. Kleiner, aber hochkarätig ist die Gesellschaft, die<br />

im Falle von Gedicht (I) und (11) ihre Anteilnahme an Reineceius' Wirken bezeugt. Wieder<br />

eröffnet Ernst die Reihe, diesmal mit zwei Gedichten, die im Druck durch Verwendung<br />

von doppelt großen Kapitalbuchstaben von den anderen abgehoben werden. Ihm folgen<br />

u. a. der berühmte schleswig-holsteinische Humanist und Staatsmann, der Ritter Heinrich<br />

Rantzau 83 ), der Wolfenbütteler Altkanzler und Jurist Joachim Mynsinger von Frundeck<br />

und der zu seiner Zeit sehr bekannte neulateinische Dichter Nathan Chytraeus 84 ).<br />

Zur zeitlichen Einordnung der drei Gedichte geben die Datierungen der jeweiligen<br />

Vorworte einige Hinweise. Die Epigramme (I) und (11) sind vor dem 15. Mai 1586, dem<br />

Abfassungszeitpunkt des Vorwortes, entstanden. Gedicht (III) hat lange auf seine Veröffentlichung<br />

warten müssen. Reineccius schrieb das Vorwort am 6. März 1588, der Druck<br />

erfolgte erst 1594.<br />

Die drei Gedichte liegen zwar in einem modernen Nachdruck vor 85 ), sind aber bisher<br />

nicht übersetzt. Deshalb werden sie hier noch einmal zusammen mit einer Übersetzung<br />

vorgestellt.<br />

82) Dommerich, fol. A 2v, Neukirch (wie Anm. 57), S. 37, Bei der Wieden, S. 28; die<br />

dortige Übersetzung "Freund der Musen und des Maßes" dürfte durch eine falsche Lesung der altertümlichen<br />

griechischen Drucktypen entstanden sein.<br />

83) Zu ihm vgl. K. Jordan, Heinrich Rantzau als Wegbereiter des Humanismus in Schleswig­<br />

Holstein. In: J. Irmscher (Hg.), Renaissance und Humanismus in Mittel- und üsteuropa, Berlin<br />

1962, S. 235-41.<br />

84) Zu ihm vgl. ADB 4, S. 256.<br />

85) Bei der Wieden (wie Anm. 8), S. 192 f.<br />

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(I)<br />

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Epigramma<br />

Ernesti Schavvenhurgii comitis<br />

In Onomasticon Rom. Ioannis Glandorpii, nunc primum a Reinero Reineccio historico post<br />

auctoris mortem in lucem editum.<br />

Qui cupis historias Romanae gentis ad unguem<br />

Illius et darum perdidicisse genus,<br />

GLANDORPI evolvas vigili monumenta labore,<br />

Quae te Romulidum stemma decusque docent.<br />

Tale opus his seclis nondum sub luminis auras<br />

Exiit, haud expers utilitatis opus.<br />

Omnia REINERI lima mage culta nitescunt,<br />

Abfuit auctoris quando suprema manus.<br />

Magna ti bi a doctis, REI;-.IERE, hinc fama refulget,<br />

Et te discipulum denotat esse pium,<br />

Qui praeceptoris defuncti tempore/!/» lucis<br />

Iamdudum nomen lucida ad astra vehis,<br />

Illius ingenii cum tu monumenta reservas<br />

Atque ubi res poscit, splendidiora facis.<br />

Haec est discipuli longe pulcherrima virtus,<br />

Et meritam laudem rursus alumnus habel.<br />

übersetzung:<br />

Epigramm des Grafen Ernst von Schaum burg auf das "Onomastikon Romanum" des Johannes<br />

Glandorp, das nun zum ersten Mal von dem Historiker Reiner Reineccius nach dem Tode<br />

des Autors veröffentlicht worden ist.<br />

Wenn du den Wunsch hast, die Geschichten des römischen Volkes und seine berühmte Abstammung<br />

haargenau zu erkunden, dann wälze nur in nächtlicher Arbeit die Werke von Glandorp,<br />

die dich den Stammbaum der Abkömmlinge des Romulus und deren Heldentaten lehren.<br />

Solch ein Werk ist in diesem Zeitalter noch nicht ans Licht der Öffentlichkeit gelangt, ein<br />

Werk von großer Nützlichkeit. Alles ist glänzend bearbeitet, noch zusätzlich geglättet von der<br />

Feile Reiners, da die letzte Hand des Autors fehlte. Gewaltiger Ruhm erstrahlt für dich, Reiner,<br />

unter den Gelehrten und verkündet, daß du ein pietätvoller Schüler bist, der du den<br />

Namen deines Lehrers, der schon lange die lichte Lebenszeit vollendet hatte, unter die leuchtenden<br />

Sterne versetzt, wenn du seine geistige Hinterlassenschaft bewahrst und, wo es nötig<br />

ist, verbesserst. Das ist die bei weitem schönste Tugend des Schülers, und verdientes Lob wird<br />

ihm wiederum daraus erwachsen.<br />

(Il)<br />

Aliud eiusdem<br />

Stemmata Romulidum veteresque ex ordine ce ras<br />

In sacris statuit splendida Roma locis.<br />

At fera barbaries monumenta haec Iaesit et igni<br />

Abstulit antiquum depopulante decus.<br />

86) Tempora falsch im Druck von 1589, bei Dom merich, fol. A 3 und bei Bei der Wieden,<br />

S. 192; die Stelle ist nach der von Ernst benutzten Vorlage Tibull3, 3, 9 defunctus tempore lucis zu<br />

korrigieren.<br />

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81


82<br />

Martia nunc miserans c1adem Germania rursus<br />

Relliquias studio conveniente legit.<br />

Nam suus hic honor est preciumque laboribus ingens.<br />

Sive quis historias sive poema legat.<br />

Laus tibi, REINECCI, qui, quae GLANDORPIUS auctor<br />

E vcterum scriptis non sine laude tulit,<br />

Clarius exponis librisque recentibus auges,<br />

Te duce limatum lector habebit opus.<br />

Übersetzung<br />

Ein anderes Epigramm vom selben Verfasser<br />

Stammbäume der Romulusnachkommen und Totenmasken der Ahnenreihen stellte das<br />

prachtliebende Rom an geweihten Plätzen auf. Aber die wilden Barbaren haben diese Denkmäler<br />

angetastet und mit verheerendem Feuer die alte Zier vernichtet. Nun wiederum beklagt<br />

das kriegerische Germanien diesen Verlust und sammelt mit gebührendem Eifer die Überreste.<br />

Diese Arbeiten haben eine eigene Ehre und einen gewaltigen Wert, ob nun jemand Geschichtswerke<br />

oder Dichtung sammelt. Gelobt seist du, Reineccius, daß du das, was Glandorp<br />

als Autor mit großem Verdienst aus den Schriften der Alten zusammengetragen hat, verständlicher<br />

darstellst und vermehrst um neuere Schriften. Unter deiner Anleitung wird der Leser<br />

ein ausgefeiltes Werk zur Benutzung in der Hand haben.<br />

(III)<br />

Ernesti comitis Schavvenburgii etc.<br />

epigramma<br />

in Historiam Juliam Reineri Reineccius<br />

Ecquis adornavit studiis insignis et arte<br />

IlIud inauditae sedulitatis opus?<br />

In quo mille ducum regumque ab origine stirpes<br />

Factaque sunt certis enucleata locis,<br />

In quo nobilitas virtutum exempla legendo<br />

Invenit et rebus consulit inde suis.<br />

Ecquis munificus generosa mente patronus<br />

Adiuvat impensa et sumptibus illud opus?<br />

IULIUS aeterno PRINCEPS memorandus honore,<br />

Publica qui quaerit commoda mente, manu,<br />

Promovet hos animo sanctos constante labores<br />

Auctoremque suae vult decus esse scholae.<br />

Cuncta sed auctorum evolvens monumenta RENERUS<br />

Scribendi hoc ingens sustinet auctor opus.<br />

Vive diu PRINCEPS celeberrime, vive RENE RE,<br />

Corporis ac robur constet utrique diu.<br />

Ocia dum PRINCEPS facit ipse, negotia Regum<br />

Tractabis calamo, docte RENERE, tuo.<br />

Übersetzu ng:<br />

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Epigramm des Ernst Graf von Schaum burg etc.<br />

auf die "Historia Julia" des Reiner Reineccius<br />

Hat wirklich ein Mensch, hervorragend an Kenntnissen und Kunst, dieses Werk unerhörten<br />

Fleißes vollbracht, in dem die Geschlechter tausender Führer und Könige von ihrem Ursprung<br />

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<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong><br />

an und ihre Taten mit Hilfe von sicheren Belegstellen erschöpfend dargestellt sind? In dem<br />

der Adel beim Lesen Beispiele musterhaften Verhaltens vorfindet und Gewinn daraus schöpft<br />

für das eigene Leben? Unterstützt wirklich ein freigebiger Gönner von großzügiger Denkungsart<br />

dieses Werk in Aufwand und Kosten? Fürst Julius, in ewigem Ruhm auf immer envergeßlicher,<br />

der das öffentliche Wohl mit Kopf und Hand verfolgt, er fördert mit gleichbleibendem<br />

Interesse diese erhabenen Bemühungen und möchte, daß ihr Autor die Zierde seiner<br />

Hochschule sei. Reiner aber wälzt alle Zeugnisse der Überlieferung und nimmt als Autor<br />

diese gewaltige Arbeit des Schreibens auf sich. Ein langes Leben dir, hochberühmter Fürst,<br />

und dir, Reiner, und dauernde Gesundheit für beide! Während dieser Fürst Ruhe und Frieden<br />

schafft, wirst du, gelehrter Reiner, die ruhelosen Taten anderer Fürsten mit deiner Feder<br />

beschreiben können.<br />

Alle drei Gedichte sind geprägt durch ihre Bestimmung als Buchgeleitgedichte. Ihre Welt<br />

ist die der Gelehrten. Vor allem Epigramm (I) spiegelt Bücherstubenprobleme, wie z. B.<br />

den bestehenden Mangel an ausreichenden Hilfsmitteln zur Erforschung der Antike oder<br />

den miteinander konkurrierenden Anspruch von Verfasser und Herausgeber auf den so<br />

heiß ersehnten Ruhm in der humanistischen Bildungsgesellschaft. Epochenbewußtsein<br />

zeigt Ernst in Eipgramm (11), wenn er gut humanistisch die Klage des gebildeten Renaissancemenschen<br />

über die Barbarei der germanischen Vorfahren anstimmt und aufgrund<br />

des historischen Auftrages zur Wiedergutmachung an Rom die Wertescala seiner Zeit wiederholt:<br />

Die Arbeit des konservierenden, antike Zeugnisse vor dem Untergang bewahren- _<br />

den Gelehrten darf seiner Meinung nach höchste Anerkennung beanspruchen. Epigramm<br />

(III) gerät zum Fürstenlob. Neben den zu preisenden Autor tritt der Auftraggeber des<br />

wissenschaftlichen Unternehmens, der finanzierende I lerzog Julius. Am Aufbau des Gedichtes<br />

ist ablesbar, welch große Bedeutung Ernst dem Regenten für das geistige Leben<br />

zuerkennt. Nach den drei ersten Distichen, die Reineccius gewidmet sind, werden im Mittelteil<br />

Julius' Verdienste, vor allem sein Bemühen um die Universität Helmstedt gepriesen.<br />

Hier und im Schlußteil reflektiert Ernst das Verhältnis Fürst - Geschichtsschreiber: Der<br />

Fürst schafft die Voraussetzungen, nämlich Frieden und materiellen Wohlstand, damit der<br />

Historiker seiner Aufgabe nachgehen kann, zum Ruhme der jeweils dargestellten Herrscher,<br />

aber aueh - der Titel "Historia Julia" demonstriert dies - zum Ruhme des großzügigen<br />

fürstlichen Schutzherrn.<br />

Für alle Gedichte stellt sich wieder die Frage, wieweit die dargebotenen Inhalte Ernst<br />

selbst zuzurechnen sind oder wieweit Ernst nur ein gewandtes Sprachrohr seiner akademischen<br />

Lehrer abgibt. Der Lebenswelt eines sechszehnjährigen Adeligen etwas fern gestanden<br />

haben dürfte vor allem die Thematik der Gedichte (I) und (11). Aufhorchen läßt indes<br />

Gedicht (III). Wenn Ernst J ulius als notwendigen Garanten des geistigen Lebens preist, so<br />

mag er an dieser Stelle durchaus eigenen Vorstellungen gefolgt sein. Sein späteres Selbstverständnis<br />

als Friedensbewahrer und Förderer der Wissenschaften und Kultur entspricht<br />

jedenfalls in seinen Schwerpunkten nicht unwesentlich dem hier in der Person des Julius<br />

skizzierten idealtypischen Fürstenbild.<br />

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83


VII.<br />

Vier lateinische Gedichte, ein lateinischer Brief - zu dieser literarischen Hinterlassenschaft<br />

des Studenten Ernst gesellt sich ein weiteres Dokument, das zeigt, daß Ernst sich in Helmstedt<br />

auch in ganz anderen Bereichen als den bisher bekannten betätigte. Bei seiner Suche<br />

nach Spuren von Ernst fand der unermüdliche Dommerich in einem Arzneibuch der Wo 1fenbütteler<br />

Herzog August <strong>Bibliothek</strong> folgende Eintragung:<br />

Fieber zu vertreiben ein Tranck von Graf ERNSTEN von Schauwenburg<br />

Nim braiten Wegrich mit Wurzeln und Blcttcr<br />

Holder<br />

Nagelkraut<br />

Braun Bethonien<br />

1 Handvoll<br />

1 Handvoll<br />

1 Handvoll<br />

1 Handvoll<br />

Diese Stuik soll man alle In ein saubern verglasirten Hafen thun, und darüber giessen<br />

Guten weissen Wein 2 Maß<br />

und zum Feuer sczen, und den halben Teil lassen einsicden, und so oft der Kranek Durst hat,<br />

sol man Im allwegen doch warm ein gueten Trunck davon geben, so beginnet er Lust zu essen,<br />

und wird gesund davon. probatum est.!!7)<br />

Das Arzneibuch, ein Manuskript, läßt sich heute in der Herzog August <strong>Bibliothek</strong> nicht<br />

mehr nachweisen. Dommerich bezeichnet es als Kimelie und beschreibt es als ein kunstvoll<br />

von einer Hand in vier Farben, schwarz, rot, grün und gelb geschriebenes, aus verschiedenen<br />

Quellen zusammengestelltes Werk. Zu jedem Rezepteintrag scheint der Verfasser­<br />

Dommerich spricht von Erfinder (inventor) - namentlich vermerkt worden zu sein. An der<br />

Abfassung des Büchleins beteiligt haben sich Standespersonen (viri eminentioris dignitatis),<br />

vermutlich aus der Studentenschaft, und einige Doktoren der Medizin. Neben Ernst<br />

werden leider nur noch zwei Grafen namentlich genannt, Eberhard von Solms und Egenolf<br />

von Rappoltstein RR). Die Schrift gehört nach allem, was wir dank Dommerich darüber wissen,<br />

in die Reihe der im 16. und 17. Jahrhundert außerordentlich verbreiteten pharmazeutischen<br />

"Nutzschriften" 89), populären Büchern, aber auch Kalendern und Almanachen, in<br />

denen sich das einfache Volk im Krankheitsfall Rat und Information suchte. Als Verfasser<br />

treten neben sich kundig glaubenden Laien hauptsächlich - wie in diesem Falle nach dem<br />

Zeugnis von Dommerich - Doktoren der Medizin auf.<br />

Hier dürfte die Antwort auf die Frage zu finden sein, über weIche Verbindung Ernst<br />

zum Mitverfasser einer medizinisch-pharmazeutischen Gebrauchsschrift geworden ist.<br />

!!7) Dommerieh, fol. B.<br />

88) Eberhard v. Solms-Braunfels (11.1.1565-12.2.1595, vgl. Isen burg, Europäische Stammtafeln,<br />

Bd. 5, Tafel 76) und Egenolf von Rappoltstein (Isen burg, a. a. 0., Tafel 53 nicht aufgeführt,<br />

nur möglich als Sohn von Egenolfv. Rappoltstein (1527-15115) und Rrudervon Eberhard v. Rappoltstein<br />

(1570-1637» lassen sich nicht in der Matrikel nachweisen. Es ist möglich, daß sie zu der wahrscheinlich<br />

hoch anzusetzenden Zahl von Studenten gehören, die sich um diese Zeit nicht in die Matrikel<br />

eingetragen haben, vgl., die von Z im m e r man n dafür zusammengetragenen Reispie le (wie Anm.<br />

3), S. II ff.<br />

I!Q) Vgl. dazu J. Teile (Hg.), Pharmazie und der gcmeine Mann. lIausarznei und Apotheke in<br />

der Frühen Neuzeit. WeinheimlNew York, 2. Auf!. 1988 (Ausstellungskataloge der Herzog August<br />

<strong>Bibliothek</strong> NT. 36).<br />

84<br />

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Während seines Studiums lehrten an der Helmstedter medizinischen Fakultät gerade drei<br />

promovierte Professoren. Einer davon war der aus Lemgo stammende Hermann Neuwaldt.<br />

Auch er gehört zu den Gelehrten, deren Beziehung zum Schaumburger Grafenhaus<br />

sich schon in die Zeit vor Ernsts Helmstedtaufenthalt zurückverfolgen läßt. Eine seiner<br />

Schriften enthält nämlich einen Widmungsbrief, der am 25. März 1584 datiert ist und sich<br />

an den Grafen Adolf und den damals noch bei seiner Mutter wohnenden Grafen Ernst<br />

wendet 90 ). Neuwaldt hatte in Wittenberg studiert, erhielt 1578 auf Fürsprache von Johannes<br />

Borcholten eine medizinische Professur in Helmstedt und war 1584, als Ernst sich immatrikulieren<br />

ließ, Vizerektor der Universität 91 ). Ernst traf mit ihm im Hause Borcholten<br />

zusammen, denn dort ging er ein und aus, wenn einer der fürstlichen Bewohner ärztlichen<br />

Beistand brauchte 92 ). Eine Konsequenz dieser Bekanntschaft mag es gewesen sein, daß<br />

Neuwaldt als einer der an der Zusammenstellung des Rezeptbüchleins möglicherweise beteiligten<br />

Mediziner Ernst vielleicht zur Mitarbeit angeregt hat.<br />

Unzweifelhaft ist eine andere, häufig genannte Folge dieser Bekanntschaft Neuwaldts<br />

mit Ernst: Etwa ein Vierteljahrhundert später, um das Jahr 1608, holte ihn Ernst als 1.<br />

Professor der Medizin an sein in der Gründung befindliches Gymnasium iIIustre in Stadthagen<br />

93 ).<br />

VIII.<br />

Damit sind wir bei der Frage, weIchen praktischen Nutzen, vor allem in personeller Hinsicht<br />

Ernst aus seiner Universitätszeit gezogen hat, als er die Planung seiner eigenen Hochschulgründung<br />

etwa ab 1608 in Angriff nahm. Gerade das Beispiel Neuwaldt muß Erwartungen<br />

an diesen Gedanken dämpfen. Seit Ernsts Studium war inzwischen fast ein Vierteljahrhundert<br />

vergangen. Neuwaldt, den Ernst als Mittdreißiger 1584-86 erlebt hatte, starb<br />

1611 kurz nach seinem Dienstantritt in Stadthagen. Akademische Lehrer wie BorchoIten<br />

und Reineccius, die Ernst nahe gestanden hatten, waren lange tot. Es gibt nur eine Beziehung,<br />

die sich in dieser Weise fruchtbar erwies, die Bekanntschaft mit dem Helmstedter<br />

Professor für Poesie und Geschichte Heinrich Meibom d. Ä. (1555-1625) aus Lemgo.<br />

Meibom war knapp dreißig Jahre alt und gerade Professor geworden, als Ernst nach<br />

Helmstedt kam. Er zählte zum Freundeskreis um Reineccius. Seine Gedichte stehen, wie<br />

wir sahen, neben denen Ernsts im Vorspann der Werke des Reineccius. Ebenso verbanden<br />

ihn freundschaftliche Beziehungen mit Hermann Neuwaldt. Eine von beiden gemeinsam<br />

zu verantwortende Publikation weist darauf hin, daß auch Meibom zu den Helmstedter<br />

90) Siehe dazu unten S. 86.<br />

91) Vgl. Zimmermann (wie Anm. 3), S. 409. Die Rektorwürde selbst lag beim regierenden<br />

Fürstenhaus.<br />

92) Vgl. z. B. Schreiben an Julius vom 7.3.1585, unterzeichnet u. a. von Boreholten, Jacob Horst<br />

(Professor der Medizin in Helmstedt 1584-1600) und Hermann Neuwaldt, NStA Wolfcnbüttcl, 1 Alt<br />

22, Nr. 74, BI. RR-R9.<br />

93) Vgl. Schormann, (wie Anm. 53), S. 84, Hänse) (wie Anm. 15), S. 49.<br />

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85


Professoren gehörte, die dem Schaumburger Grafenhaus zumindcst dem Namen nach<br />

schon vor Ernsts Studienaufnahme bekannt waren. Neuwaldt hatte nämlich einen - natürlich<br />

lateinischen - Traktat gegen die in Westfalen, vor allem in Lemgo zunehmend angewandte<br />

Wasserprobe an vermeintlichen Hexen geschrieben und ihn von Meibom zur besseren<br />

Verbreitung auch ins Deutsche übersetzen lassen 94 ). Der Widmungsbrief dieses Gemeinschaftswerkes<br />

wendet sich an die Grafen Adolf und Ernst von Schaum burg und ist zu<br />

einem Zeitpunkt verfaßt, als Ernst - wir wiesen schon darauf hin - noch nicht in Helmstedt<br />

war. Er enthält einen von Menschlichkeit getragenen Appell an die Vernunft, von solchem<br />

"falschen Wahn" abzulassen, "damit viel Leute gerettet werden" 95). Es ist hier nicht der<br />

Ort, dieser Schrift den ihr gebührenden Platz in der literarischen Auseinandersetzung um<br />

das Hexenwesen am Ende des 16. Jahrhunderts zuzuweisen. Zweifellos ist sie eines der<br />

wenigen zu Vorsicht und Nachdenken mahnenden Zeugnisse, ein früher Vorläufer der<br />

berühmten Cautio criminalis des Jesuiten Friedrich von Spee, die 1631 in Rinteln erschien.<br />

Beiläufig erlaubt uns die Tatsache der Widmung an die beiden Schaumburger Grafen einen<br />

Schluß auf deren Standort in der leidvollen Hexenfrage. Darüber hinaus hat die Schrift in<br />

unserem Zusammenhang nur insofern Bedeutung, als sich mit ihr das Netz der Beziehungen<br />

und Bekanntschaften demonstrieren läßt, das Ernst schon bei Studienbeginn in Hclmstedt<br />

vorfand und in das er dann wie ein Vertrauter und lange Erwarteter aufgenommen<br />

wurde.<br />

Ausdruck dafür ist ein Gelegenheitsgedicht, mit dem Heinrich Meibom den Studienbeginn<br />

von Ernst in Helmstedt feiert. Er bedient sich dabei einer zu der Zeit hoch in Mode<br />

stehenden, besonderen gelehrten Form, des Cento. Es ist dies eine Montage aus Versteilen<br />

antiker Gedichte, in diesem Falle ausschließlich Hexameterteilen aus Vergils Aeneis, den<br />

Georgica und den Eclogen. Das Gedicht lautet in deutscher Übersetzung 96 ):<br />

An den durchleuchtigen und wohlgeborenen Schaumburger Grafen, Herrn Ernst, der studienhalber<br />

nach Helmstedt gekommen ist.<br />

Welch ein neuer Gast, ein Muster an Schönheit und blühender Jugend, ist hier in unsere<br />

Wohnsitze eingezogen! Welch Getümmel der Freunde ringsum! Welch imposante Erscheinung<br />

er selbst! Du bist endlich gekommen, und meine Sorge hat mich nicht getrogen, 0 hochbegabter<br />

Jüngling aus altem Geschlecht. Hohe Ehrungen strebe an' Ja, der Zeitpunkt dafür<br />

rüekt nahe. Hier hast du eine sichere Heimstatt, nur dies bleibt deinen Verdiensten noch und<br />

dem Glücke zu tun. Wenn die Sehnsucht nach uns sogroßwar, wirst du der unsrige sein, und:<br />

komm zufrieden auch vorlieb nehmend mit schmaler Bewirtung! Sieh, es wird dir vergönnt<br />

sein, die Urgründe des Seins zu erforschen, die heiligen Quellen und die unantastbaren Weissagungen<br />

der Götter. Zugleich kannst du Kunde sammeln von Heldenruhm und tapferen Taten,<br />

von Menschengeschick und Männerglück, von Sitte und Gewalt, und kannst erfahren,<br />

was Tugend ist, wenn du dich nicht zurückziehst und es dich nicht verdrießt, das dürftige Stre-<br />

94) Lateinische Ausgabe: Exegesis purgationis sive examinis sagarum super aquam frigidam proiectarum,<br />

Helmstedt 1584. Deutsche Ausgabe: Bericht von erforschung, Prob und erkänntnis der Zauberinnen<br />

durchs kalte Wasser ... gestellt und an tag geben durch Hermmannum Neuwalt ... auß dem<br />

Lateinischen in Teutsche sprach übersetzt durch M. Henricum Meybaum, Helmstedt 1584. Nachdrucke:<br />

Frankfurt/M. 1586, Straßburg 1591.<br />

95) S. 229 der Ausgabe Frankfurt/M. 1586.<br />

96) Für den lateinischen Text sei verwiesen auf Abb. 1, S. '137.<br />

86<br />

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en anderer Menschen kennen zu lernen. Freilich bedarf es ganz des sorgenden Eifers, und<br />

bei deinem Weg durch alle Felsen und Riffe, durch so viel gefährliche Umstände wirst du die<br />

Reihenfolge beachten müssen, und Brauch und Sitte der Länder, hochherzige Fürsten, Höfe<br />

und Paläste der Könige werden sich deinem Blick darbieten. So sich von Jugend an zu gewöhnen<br />

ist sehr wichtig.<br />

Sobald dich das schon gefestigte Alter zum Mann gemacht hat, wirst du von hier zu großer<br />

Verantwortung aufsteigen und einen historischen Namen erlangen, du selbst vor allen anderen<br />

als der herrlichste. Und du wirst die kennen, die der windige Ruhm mit seinen Ehrungen<br />

begünstigt. Aber der unselige Neid soll fürchten die Furien, die Strenge des Unterwelt flusses<br />

Cocytus und das Getöse des gierigen Acheron. Wenn es eine Treue gibt, wenn Apoll das Herz<br />

der Menschen mit Wahrheit erfüllt, so werden deine Ehre, dein Name und dein Lobpreis auf<br />

immer Bestand haben, und dein Ruhm wird dich mehr und mehr in höhere Sphären emporheben.<br />

Die Schwierigkeiten, die der moderne Leser meist ohnehin hat, zu einem unmittelbaren<br />

Genuß neulateinischer Gelehrtenpoesie zu gelangen, werden bei diesem Gedicht dadurch<br />

vergrößert, daß aufgrund der Centoform ja keine der Wendungen originär auf Ernst geprägt<br />

worden ist; alle stammen aus einem jeweils verschiedenen Kontext bei Vergil und<br />

sind mit verändertem Aussageziel neu zusammengefügt. Die Folgen sind-erkennbar auch<br />

in der Übersetzung - Härten im Nebeneinander der verwendeten Bilder und Brüche im<br />

Ablauf der Gedankenführung. Soviel läßt sich indes von des gelehrten Poeten Absicht erkennen:<br />

Meibom fühlte sich als Vertreter der Wissenschaften und schönen Künste berechtigt,<br />

dem studierwilligen Adelssproß den Schatz des von seiner Zunft vermittelbaren Gutes<br />

vor Augen zu stellen und ihn gleichzeitig daran zu erinnern, daß er seinerseits auch Leistungen<br />

zu erbringen habe. Diese grundsätzlich vorhandene pädagogische Protreptik wird indes<br />

überlagert von einer maßlos anmutenden Panegyrik gegenüber dem fünfzehn jährigen<br />

Grafen. Die tatsächliche geschichtliche Entwicklung hat die Elogen Meiboms zwar später<br />

eingeholt, aber es muß angezweifelt werden, ob eine Zukunftsgewißheit dieser Art dem<br />

Helmstedter Professor schon die Feder geführt hat.<br />

Historisches Urteil, gegründet auf Erlebnis und Erfahrung, kann indes hinter einer<br />

sehr viel späteren poetischen Äußerung Meiboms vermutet werden. Im Jahre 1621 brachte<br />

er in einem Gelegenheitsgedicht an einen aus Hclmstedt nach Bückeburg bzw. Rinteln<br />

abziehenden Bekannten ein bemerkenswertes Lob des inzwischen gefürsteten Ernst unter.<br />

Das Gedicht ist dem Dr. med. Peter Finxius zu dessen Dienstantritt als Leibarzt bei Ernst<br />

und 1. Professor der Medizin in Rinteln 97) gewidmet. Als Ernst ein halbes Jahr später verstarb,<br />

stellte Finxius es, offensichtlich in dem richtigen Gefühl, daß es ebensosehr dem<br />

Ruhme Ernsts wie dem seinigen gewidmet sei, vor einen von ihm am 4. Juli 1622 in der<br />

Ernestina in Rinteln verlesenen Panegyrikus auf den verstorbenen Ernst 9R ). Das Gedicht<br />

beginnt:<br />

97) Zu Finxius vgl. H ä n se I (wie Anm. 15), S. 50 f.<br />

98) P. Finxius, Panegyricus honori et memoriae D. Ernesti, S. R. I. principis, comitis Holsatiae,<br />

Schaumburgi ... Rinteln 1622.<br />

88<br />

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Ergo tu am Princeps oper am desiderat ilIe,<br />

Quem vocat Alcidcm Musicus ordo novum,<br />

Musageten, inquam, priscae qui stirpis honores<br />

l'on cessat multis amplificare modis.<br />

Also sehnt sich jener Fürst nach deinem Dienste, den die Musenwelt als ihren neuen Alkiden<br />

feiert, den Musenführer, sage ich, der nicht aufhört, seines alten Geschlechtes Ehre auf<br />

vielerlei Weise zu mehren.<br />

Beide, der in diesen Versen geehrte Fürst und der hier den Fürstenruhm verbreitende<br />

Dichter, konnten 1621 auf ein stattliches Lebenswerk zurückblicken. Meibom hatte in den<br />

dazwischen liegenden Jahren durch Vermittlung seines Landesherrn Heinrich Julius von<br />

<strong>Braunschweig</strong>-Wolfenbüttel 1590 den dichterischen Lorbeerkranz von Kaiser Rudolf 11.<br />

erhalten und gehörte durch seine landesgeschichtlichen Editionen und historischen Streitschriften<br />

im Dienste seiner Fürsten zu den angesehendsten Gelehrten seiner Zeit auf dem<br />

Gebiet der Landesgeschichte. Ernsts leidenschaftlicher Einsatz auf allen Gebieten der Kultur<br />

hatte inzwischen in der neu gestalteten Residenz Bückeburg ein vielbewundertes höfisches<br />

Zentrum in Norddeutschland entstehen lassen. Beide, der Renaissancefürst und der<br />

späthumanistische Gelehrte, beherrschten die vor allem durch den Hof Rudolfs 11. internationalisierte<br />

mythologische Bildersprache der Zeit. Beispielhaft deutlich zeigt dies unser<br />

Gedicht. Die Leistung Ernsts findet hier eine Würdigung durch den Vergleich mit Herkules,<br />

dem Nachfahren des Alkaios. Wenn Meibom Ernst als "neuen Alkiden" bezeichnet,<br />

so spielt er zunächst einmal darauf an, daß Ernst - wie auch Rudolf 11. und andere Herrscher<br />

seiner Zeit - in Herkules, dem Tugend wählenden, Mühsal überwindenden antiken<br />

Helden, ein passendes Symbol der Selbstdarstellung sah. Meihom hatte Ernst 161R in Bükkeburg<br />

besucht und dürfte, als er das Gedicht verfaßte, die Bückeburger Adaption des<br />

Herkulesmotivs vor Augen gehabt haben!l9). Den fürstlichen Sclbstdarstellungsintentionen<br />

konnte der Herkulesmythos freilich noch mehr dienen, wenn man sich auch darauf<br />

besann, daß der antike Kraft- und Tugendheld gleichfalls für das Geistige zuständig sein<br />

konnte. Diese Seite der Gestalt beleht Meihom hier, wenn er den Alkiden bzw. Ernst als<br />

Musenführer, "Musagetes", vorstellt, ein Amt, das gemeinhin mit Apoll verbunden<br />

wurde. Ernst dürfte die Kunstsprache Meiboms, die auch die seine war, verstanden und<br />

goutiert haben.<br />

In dem zwischen den beiden zitierten Gedichten liegenden Zeitraum gab es indessen<br />

noch weitere Kontakte. So besorgte Meibom für Ernst in den Jahren 1618/1619 die Erstausgabe<br />

und Kommentierung einiger Schriften zur Geschichte des Schaumburger Grafen-<br />

9'l) Beispiele für die Verwendung des Herkulcsthemas durch Ernst bei J. Ha bich, Die künstlerische<br />

Gestaltung der Residenz Bückeburg durch Fürst Ernst 1601-1622, Büekeburg 1969, S. 72. Zu<br />

Herkules als Träger habsburgischer Ikonographie vgl. Jose K ast le r, Hofkunst im Weserraum - ein<br />

Überblick. In: Renaissance im Weserraum (wie Anm. 73), S. 100. Herkules als Leitfigur im zeitgenössischen<br />

Erziehungsprogramm demonstriert die 1615 von Hermann Vastelabend im Stadthäger Gymnasium<br />

illustre gehaltene Rede "Oe Hereule in solitudinem egresso ad deliberandum quam viam vitae<br />

inire vellet", Stadthagen 1615 (Über Herkules, der in die Einsamkeit ging, um zu überlegen, welchen<br />

Lebensweg er gehen solle).<br />

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89


geschlechtes, die 1620 in Frankfurt im Druck erschienen 100). Über die näheren Umstände<br />

dieses Unternehmens berichtet Meibom im Widmungsbrief an Ernst, der der Ausgabe vorangestellt<br />

ist, und in einem privaten Brief an seinen ehemaligen Schüler Martin Chemnitz<br />

jr. 101). Danach hatte der zu seiner Zeit bekannte Humanist, Jurist und damalige Schaumburger<br />

Rat Melchior Goldast von Haiminsfcld 102) Ernst auf das in Meiboms Besitz befindliche<br />

Manuskript der historischen Schriften aufmerksam gemacht. Es kam zu dem schon<br />

erwähnten Besuch Meiboms in Bückeburg Anfang Oktober 1618. Bückeburgs Baulichkeiten<br />

haben Meibom damals sehr beeindruckt. Noch fast ein Jahr später, im September 1619,<br />

schildert er seinem Briefpartner Chemnitz Ernsts Residenz als einen "wahrhaft königlichen<br />

Hof" 103). Er scheint von Ernst mit großer Freundlichkeit aufgenommen und bewirtet worden<br />

zu sein 104). Außerdem brachte ihm die Edition hundert Joachimstaler und "ein goldenes<br />

Bild" ein und die Versicherung, daß die von ihm geleistete Editions- und Kommentierungsarbeit<br />

die Zustimmung des gebildeten Fürsten gefunden habe - so seine Äußerung<br />

gegenüber Chemnitz.<br />

Nicht ganz so einvernehmlich lief ein weiteres Unternehmen ab, bei dem Ernst auf die<br />

Zusammenarbeit mit Meibom gesetzt hatte. Im Zuge der Erhebung des Gymnasium illustre<br />

zu Stadthagen in den Rang einer Volluniversität und der Verlegung dieser Einrichtung<br />

nach Rinteln sah sich Ernst auch vor die Notwendigkeit gestellt, die neue Universität mit<br />

Statuten auszurüsten, die anstelle der bisherigen Gymnasialverfassung die rechtliche<br />

Grundlage der Hochschule abgeben sollten. Es ist bekannt, daß das bei der feierlichen<br />

Introduktion der Ernestina am 17. Juli 1621 dem ersten Rektor überreichte Statutenwerk<br />

in weiten Teilen wörtlich zurückgeht auf die Statuten der Helmstedter Universität 105).<br />

Auch weiß man nach einem undatierten Fragment eines Briefkonzepts der Schaumburger<br />

Räte an die Wolfenbütteler Regierung 1(6), daß Heinrich Meibom als damaliger amtierender<br />

Rektor um eine Abschrift der Hclmstedter Statuten gebeten worden war, diese aber<br />

mit dem llinweis auf eine dafür notwendige Konsultation in Wolfcnbüttel zunächst verweigert<br />

hatte. Bedauert wurde bisher, daß sich zu diesem Vorgang in den Archiven der beteiligten<br />

Regionen keine weitere Information ermitteln ließ 107). Nun fanden sich im privaten<br />

Nachlaß Meiboms, der vermischt mit dem seines gleichnamigen Enkels in der Niedersächsischen<br />

Landesbibliothek Hannover lagert, zwei Briefe, die das bisher vermutete Gesche-<br />

HK') Der Band enthält 1. Hermanni de Lerbcke ... chronicon corni turn Schavvenburgensium 2.<br />

Chronicon Mindense incerti auctoris 3. Iustini Lippiflorium 4. Adolpheis decantata per Henricum<br />

Aquilonipolensem de historia corni turn Theorosburgensium vel Schomburgensium.<br />

101) Brief vom 14. 9. 1619 an Martin Chemnitz jr., Nieders. Landesbibliothek Hannover, Ms.<br />

XLII.4.1875.<br />

102) Melchior Goldast von Haiminsfeld, geb. 1578, war seit 1615 im Dienste Ernsts in Bückeburg<br />

tätig, vgl. zu ihm Schormann (wie Anm. 53), S. 22 f.<br />

103) " ••• aulam vere regiam" (wie Anm. 101); ähnlich im Widmungsbriefan Ernst vom 3. 3.1619<br />

vor der Ausgabe Frankfurt 1620: " ... in admodum iIlustri planeque regia arce Buckenburgica".<br />

104) " ••• nempe c1ementer acceptus, perbenige habitus" (wie Anm. 103,2. Beleg).<br />

105) Vgl. zum folgenden B. Jäh n ig, Gründung und Eröffnung der Universität Rinteln. In: Nieders.<br />

Jb. f. Landesgeschichte 45, 1973, S. 359 f.<br />

1(6) NStA Bückeburg, LI IV Fc 2, S. 309.<br />

107) Jäh n ig (wie Anm. 105), S. 360 mit Anm. 33.<br />

90<br />

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hen um den Statutentransfer Helmstedt - Rinteln im ganzen bestätigen und um einige interessante<br />

Einzelheiten bereichern 1(8). Danach wandte sich Ernst schon am 31. Dezember<br />

1619 durch seine Räte - Unterzeichner des ersten Briefes ist MeIchior Goldast von Haiminsfeld-an<br />

Meibom und bat um drei Dinge: 1. "Erstes Tages und sopalt immer muglich" ,<br />

eine Abschrift der Universitätsgesetze und Statuten zu schicken, mit dem Zusatz, "wie sie<br />

bei Introduktion derselben Universitet publiciret sein, und also kein bedenken haben<br />

wirdt, dieselben ... zu communiciren" - wie wir wissen, hatte Meibom diese Bedenken<br />

trotzdem. 2. Um eine Abbildung des Rektoratsgewandes, des "habitus rectoralis", samt<br />

einem Verzeichnis der bei seiner Anfertigung verwendeten Stoffe und Farben. 3. Um einen<br />

Bericht darüber, auf welche Weise die Studenten der Kommunität, d. h. des gemeinsamen<br />

Tisches für minderbemittelte Studenten, geprüft wurden.<br />

Die Reaktion Meiboms - sein Antwortschreiben ist nicht erhalten -läßt sich erschließen<br />

aus dem zweiten Brief der Schaumburger Räte an Meibom vom 25. Januar 1620. Unterzeichner<br />

ist Dietrich vom Brincke 1(9). Danach hatte Meibom statt der erbetenen Abschrift<br />

der Universitätsstatuten ein Exemplar der seit 1579 gedruckt vorliegenden "Historica<br />

narratio de introductione universitatis Juliae" übersandt. Es handelt sich bei diesem<br />

Buch um eine von Helmstedter Professoren verfaßte protokollähnliche Wiedergabe der<br />

EröffnungsfeierIichkeiten der Helmstedter Universität am 15. - 17. 10. 1576, die zwar u. a.<br />

sämtliche zu diesem Anlaß gehaltenen Reden, nicht aber die Statuten enthält. Für deren<br />

Überlassung hatte Meibom sich ohne Zustimmung des derzeit regierenden Herzogs Friedrich<br />

Ulrich nicht befugt gefühlt. Ernst ist über die Verzögerung verstimmt und läßt durch<br />

seine Räte mitteilen, daß er das "für ganz unnötig erachte", "zumahl die einmahl publicirt<br />

wurden, sonsten auch keine heimbligkeiten dabei zu reveliren, zugeschweigen, was gefehr­<br />

Iichs zubesorgen". Ja, die Räte lassen sich zu der etwas abfälligen Bemerkung hinreißen,<br />

"wir auch über daß beiläuffig berichtet worden, daß man sich des wenigsten theils deroseIben<br />

bei diesen Zeiten zugebrauchen haben werde". Trotzdem wurde seitens des Bückeburger<br />

Hofes alles getan, um in den Besitz des Statutenbuches zu kommen. Meibom wurde<br />

darüber informiert, daß ein Kanzleibote von Bückeburg nach Wolfenbüttel geschickt sei,<br />

um die gewünschte Zustimmung der Wolfenbütteler Regierung einzuholen 110). Anschließend<br />

werde er bei Meibom in Hclmstedt vorbeikommen. Meibom solle ihn "uff allen fall<br />

nicht zulang uffhaIten, sondern nach muglicheit mit guter Expedition schleunigs wieder<br />

anhero ferttigen". Tatsächlich haben sich dem Wunsch Ernsts und damit der Genese der<br />

Rintelner Statuten von dieser Seite keine weiteren Hindernisse mehr in den Weg gestellt.<br />

Im April 1620 werden sie Anlaß einer Anfrage der Stadthäger Professoren an die Räte in<br />

Bückeburg 111), haben also um diese Zeit bereits konkrete Gestalt angenommen.<br />

Mehr Mut zu eigener Entscheidung zeigt Meibom bei der Behandlung der anderen<br />

beiden Bückeburger Wünsche. Zur Zufriedenheit ist offenbar Frage 3 nach den Prüfungs-<br />

lOS) Ms. XLII. 4. 1849 Briefe an Heinr. Mcibom sen.<br />

1(9) Zu ihm vgl. Schormann (wie Anm. 53), S. 21 f.<br />

110) Dieser Bote dürfte das Original zu dem im Bückeburger Staatsarchiv fragmentarisch erhaltenen<br />

Briefkonzept (wie Anm. 106) in der Tasche gehabt haben.<br />

111) Vgl. J ähn ig (wie Anm. 105), S. 360.<br />

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91


modalitäten der Stipendiaten des herzoglichen Konviktes von ihm beantwortet worden,<br />

denn sie wird nicht wieder aufgegriffen. Dazu eine kurze Anmerkung. Ernst hatte bereits<br />

das Gymnasium iIIustre in Stadthagen mit einem Stipendienprogramm ausgestattet. Es<br />

kannte - wie auch das Hclmstedter Stipendienwerk des Herzogs Julius - zwei unterschiedlich<br />

hoch suhventionierte Empfängergruppen, die "stipendiarii" - ausschließlich Landeskinder<br />

- und die geringer unterstützten "beneficiarii" 112). Nehen dem Geldstipendium gah<br />

es in Helmstedt den Konvikt, auch Kommunität genannt. An diesem vom Herzog subventionierten<br />

gemeinsamen Tisch hatten beide Gruppen teil. Die Frage der Schaumburger<br />

Räte hier nach den Prüfungsmodalitäten der Helmstedter Konviktoristen ist einer der wenigen<br />

Hinweise dafür, daß schon unter Ernst eine entsprechende Einrichtung in Rinteln<br />

geplant und höchstwahrscheinlich auch eingerichtet worden ist 113).<br />

Das Problem des Rektoratsgewandes bedurfte, wie der Schriftwechsel zeigt, weiterer<br />

brieflicher Erörterung. Meibom hatte eine "Spezification", also wohl eine Art Beschreibung<br />

des Helmstedter Rektoratsmantels, anfertigen lassen. Der fürstliche Hofschneider in<br />

Bückeburg war damit aber nicht zurechtgekommen. Nach einem neuen Vorschlag vom 25.<br />

Januar 1620 sollte nun ein Schneider in Helmstedt in Gegenwart des Kanzleiboten den<br />

Rektoratsmantcl nachschneidern und der Bote dann in Bückeburg darüber Bericht erstatten.<br />

Ergänzend wird eine weitere Bitte ausgesprochen: Auch den Rock der Hclmstedter<br />

Pedelle solle man dem Boten zur Besichtigung vorführen.<br />

Folgeschreiben dieser Korrespondenz mit weiteren Nachrichten liegen nicht vor. Das<br />

Erscheinungsbild des Rintelner Statutentextes zeigt, daß der Wolfenbüttcler Hof dem Ersuchen<br />

stattgegeben hat und dem Bückeburger Kanzleiboten in Helmstedt - nur hier wurde<br />

offenbar der Statuten text aufbewahrt - eine Abschrift ausgehändigt worden ist. Es spricht<br />

nichts dagegen, auch für die Frage der Rcktorats- und Pedellen amtstracht einen analogen<br />

Ablauf entsprechend dem Plan der Bückeburger Räte anzunehmen. Dann hätte also der<br />

erste Rektor der Ernestina Johannes Eichrodt, dessen These von der Affinität der beiden<br />

Hochschulgründer diese Untersuchung gefolgt ist, am 17. Juli 1621 bei der feierlichen Eröffnung<br />

der Rintelner Universität den im wesentlichen gleichen Ornat getragen wie fünfundvierzig<br />

Jahre vor ihm der erste Hclmstedter Rektor, der Sohn des Universitätsgründers<br />

Julius, Herzog Heinrich Julius.<br />

Wir sind in der glücklichen Lage, uns von diesem Gewand ein genaues Bild machen zu<br />

können, denn es existiert noch und befindet sich heute im <strong>Braunschweig</strong>ischen Landesmuseum<br />

114). Seine Erhaltung verdankt es vermutlich der Tatsache, daß es bis zum Ende der<br />

Hclmstedter Universität 1809110 in Benutzung geblieben ist 115). Es besteht aus einem<br />

112) Einzelheiten dazu bei Schormann (wie Anm. 53), S. 51; zu Helmstedt vgl. Zimmermann<br />

(wie Anm. 3), S. IV.<br />

113) Von "Tischen" spricht auch schon das erste Professorengutachten zur Errichtung des Gymnasiums<br />

illustre in Stadthagen vom Dezember 1609, vgl. Schorman n (wie Anm. 53), Quellenteil, S.<br />

308.<br />

114) LMB: Zg 2278a·b. Vgl. Abbildung 2 auf Seite 93.<br />

115) Vgl. Spät humanismus und Landeserneuerung. Die Gründungsepoche der Universität<br />

Hclmstedt 1576-1613. Veröffentlichungen d. Braunschw. Landesmuseums 9, 1976, S. 37. Daraus<br />

auch die folgende Beschreibung.<br />

92<br />

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Abb.2 Mantel des HeJmstedter Universitätsrektors.<br />

<strong>Braunschweig</strong>isches Landesmuseuml Archiv<br />

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93


schauben artigen Kurzmantel aus rotem Samt, innen gefüttert mit rötlicher Seide und an<br />

den Rändern und dem Kragen eingefaßt mit einer hellen Borte, die auf der Brust acht<br />

goldene Knöpfe trägt. Dazu gehört ein weicher, etwas gefälteter Hut mit einer großen<br />

Krempe, ebenfalls aus rotem Samt. Dieses Gewand hatte Ernst als Student bei zahlreichen<br />

akademischen Festakten zu sehen bekommen. In ihm hatte sich ihm Universität zuerst<br />

repräsentiert. Bezeichnend dafür ist, daß er nach fünfunddreißig Jahren darauf zurückgreift.<br />

Wiederholen wir noch einmal unsere Frage nach dem Einfluß, den der Helmstedter<br />

Universitätsaufenthalt auf das eigene Universitätsgründungswerk des Fürsten gehabt hat.<br />

In den äußeren Daten wie der Übernahme der Statuten, dem Rückgriff auf die Amtstrachten<br />

des Helmstedter Universitätspersonals, der Bezichung zu Neuwaldt und Meibom etc.<br />

lassen sich etliche gesicherte Nachwirkungen zusammenrechnen. Aussagen üher seelische<br />

Faktoren, die das Handeln des Fürsten gelenkt haben könnten, sind naturgemäß schwieriger<br />

zu treffen. Das gilt auch für die Frage, wieweit Herzog Julius dem jungen Grafen zum<br />

bewußten oder unbewußten Leitbild wurde. Das neu aufgefundene und hier besprochene<br />

Archivmaterial weist indes ebenso wie das dem Lob des Herzogs gewidmete Gedicht (III)<br />

darauf hin, daß man sich das Verhältnis zwischen Ernst und Julius vielschichtiger und persönlicher<br />

vorstellen muß, als nach dem bisher Bekannten möglich war. Gestützt wird so die<br />

zu Beginn zitierte These des Johannes Eichrodt über die Vorbildrolle des <strong>Braunschweig</strong>er<br />

Herzogs.<br />

Mehr Glaubwürdigkeit haben die Leichenpredigten auch in einem weiteren Punkt gewonnen,<br />

dem Lob von Ernsts Studienerfolg. Die vorgestellten, ungewöhnlich vielfältigen<br />

Zeugnisse zeigen, daß Ernst wie kaum ein zweiter Helmstedter Student seine Zeitgenossen<br />

veranlaßte, ihm Anerkennung zu zollen und dieser schriftlich Ausdruck zu geben. Freilich<br />

war ihnen ein moderner Begriffvon Studium fremd; ihr Lob orientierte sich an den wesentlich<br />

allgemeiner gefaßten zeitgenössischen Erziehungsidealen, wie sie etwa die Hclmstedter<br />

Statuten in dem Erziehungsziel der "sapiens et eloquens pietas" 116), der "kenntnisreiehen<br />

und wortgewandten Frömmigkeit", formulieren.<br />

Da es sich bei den Lobenden um die bedeutendsten Vertreter der damaligen Helmstedter<br />

Professorenschaft handelt und sie in Quantität und Inhalt das Maß zeitüblicher Panegyrik<br />

doch erheblich überschreiten, gewinnt ihr Urteil Gewicht. Es fordert dazu auf,<br />

Ernsts Studium in Hclmstedt neu zu bewerten.<br />

119.<br />

94<br />

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116) P. Baumgart, E. Pitz (Hg.), Die Statuten der Universität Hclmstcdt, Göttingen 1963, S.<br />

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Kaffee und Kaffeehäuser in der Universitätsstadt Helmstedt<br />

vom Ende des 17. bis zum Anfang des 19. lahrhunderts*<br />

Von<br />

Peter Albrecht<br />

Zwischen dem Getränk Kaffee und den Universitäten gab es nicht von Anfang an irgendweIche<br />

Beziehungen, was einfach daran lag, daß die Europäer den Kaffee zunächst gar<br />

nicht kannten. Auch als 1576 die Hclmstedter Universität feierlich eröffnet wurde, galt<br />

dies noch, obwohl im gleichen Jahr der Augsburger Arzt und Botaniker Leonhard Rauwolf<br />

von einer fast dreijährigen Orientreise zurückkehrte. Er wird in seinem 1582 veröffentlichten<br />

Reisebericht erstmals den Kaffee als Getränk erwähnen I). Die erste Abbildung<br />

der Kaffeebohnen verdankt Europa Carolus Clusius (CharIes de L'Eciuse) (1526-<br />

1609), der 1605 in Antwerpen das botanische Werk von Crucius ab Horto stark überarbeitet<br />

herausgab und dabei auch eine Nachricht über den Kaffee einfügte. Den Samen hatte<br />

er von Alphonsus Paneius aus Ferraralltalien zugeschickt erhalten 2 ). Die erste Abbildung<br />

des Kaffeebaumes, genauer gesagt, eines Zweiges von einem Kaffeebaum, enthielt das<br />

erstmals 1592 in Venedig verlegte Buch von Prosper Alpinus 3 ).<br />

Damit waren die erforderlichen Kenntnisse über den Kaffee eigentlich vollständig vorhanden,<br />

doch zunächst interessierten sich nur Orientreisende, Ärzte und Botaniker für<br />

diese Novität. Mit dem Getränk begannen sich die Europäer erst ab der Mitte des 17.<br />

Jahrhunderts anzufreunden und 100 Jahre später war der Kaffee genauso bekannt wie die<br />

* In den Anmerkungen werden nachstehende Abkürzungen verwandt: Br Anz = <strong>Braunschweig</strong>ische<br />

Anzeigen; Br Mag = <strong>Braunschweig</strong>isches Magazin; NStA WF = Niedersächsisches Staatsarchiv<br />

WolfenbUttel; StA BS = Stadtarchiv <strong>Braunschweig</strong>; StA He = Stadtarchiv Helmstedt; Stßi BS<br />

= Stadtbibliothek <strong>Braunschweig</strong>.<br />

I) Leonhard Ra u wolf: Aigentliche Beschreibung der Raiss, so er vor diser zeit gegen Auffgang<br />

inn die Morgenländer ... (Lauingen) 1582, S. 103.<br />

2) Charles L' E c lu se: Exoticorurn Libri Dccern: Quibus Anirnaliurn, Plantarurn Aromaturn,<br />

aliorurnque peregrinorurn Fructuurn historiae descibuntur ... (Antwerpen) 1605, S. 213-215.<br />

3) Prosper A I pi n u s: De Plantis Aegypti Liber, Venice 1692, Ch. XVI, 63-64.<br />

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DerWortlaut des Reskripts belegt das bisher älteste bekannte deutschsprachige Kaffeehausprivileg,<br />

das sich erhalten hat. Ob dieses Kaffeehaus auch tatsächlich errichtet<br />

wurde, läßt sich leider nicht sagen. Der Herr Di\rgent hat bedauerlicherweise keinerlei<br />

weitere Spuren hinterlassen. Die Darstellung in seinem Gesuch: "Que comme ctant fugitif<br />

de la Duche de Virtemberg, iI se seroit transporte jusques a HelmstetTerre de V.A.S.<br />

pour y la etre en asile" klingt glaubhaft, da 1694 die kriegerischen Auseinandersetzungen<br />

um die Grafschaft Mömpelgard zwischen Württemberg und Frankreich einen Höhepunkt<br />

hatten. Dabei wurde in einigen Orten von französischer Seite auch mit Gewalt Einwohner<br />

lutherischer Überzeugung zum Cbertritt in die katholische Kirche gezwungen. Für<br />

recht viele Bewohner war dies der Anlaß, die angestammte Heimat zu verlassen I5 ). Helmstedt<br />

lag auch nicht ganz aus dem Blickfeld von Mömpelgard, für spätere Jahre lassen sich<br />

auch einige Studierende aus dieser Region nachweisen l6 ) Der Monsieur "D'Argent de<br />

Montebelliard", wie er selbst sein Gesuch unterschrieb, ist trotz intensiver Bemühungen<br />

ein großer Unbekannter geblieben. Auch außerhalb Helmstedts ließ sich über ihn nichts<br />

ermittcln I7 ).<br />

Zwar muß offenbleiben, ob Hclmstedt im Jahre 1694 sein erstes Kaffeehaus bekam,<br />

nicht jedoch die Frage, ob es bereits am Ende des 17. Jahrhunderts dort Freunde des neumodischen<br />

Warmgetränkes gab. Denn nachweislich hat am 19. Januar 1691 in Helmstedt<br />

ein ,Coffe Schmaus' stattgefunden. Der Kreis der Teilnehmer ist nicht exakt Überliefert,<br />

dabei waren aber mit Sicherheit:<br />

Malr. Nr.<br />

271<br />

285<br />

671<br />

823<br />

637<br />

858<br />

794<br />

Einschreibdatum<br />

08.07. 16R6<br />

26.09.1687<br />

29.11. 1989<br />

10.08.1690<br />

23.10.1689<br />

06. 11. 1690<br />

07.07. 1690<br />

Name<br />

Dtto Georg von Harling<br />

Johann Arnold Eichfeld<br />

Johannes Vith<br />

Johannes Paulus Steudte<br />

Hermann Honrich<br />

Jühann Ludolph Wilken<br />

Liborius von Line<br />

Herkunftsort, -region<br />

Lüneburg<br />

Celle<br />

Heide in Bübtein<br />

Groitsch Krs. Eilenburg<br />

Danzig<br />

Lüneburg<br />

Bremenix)<br />

Gastgeber war Liborius von Line (1668-1728). Wir wissen von diesem Ereignis, weil er<br />

gerade an diesem Tage einige seiner Studienfreunde veranlaßte, sich in sein Stammbuch<br />

einzutragen, ein Brauch, der unter Studierenden des 17. und 18. Jahrhunderts weit verbreitet<br />

war. Das vorliegende Stammbuch entspricht ganz dem üblichen Zeitgeschmack.<br />

15) Martin Crusi us: Schwäbische Chronik ... mit einer Continuation im Jahr 1596 bis<br />

1733 ... von Johann Jacob Möser, 2 Bde. Frankfurt, Leipzig 1738, hier Bd. 2, S. 543-551. (Charles<br />

Leopold Eberhard) D uvernoy: Ephemerides du Comte de Montbeliard, Besancon 1832, S. 18,<br />

60,61, 169, 229.<br />

16) Matrikel Nr. 3374 (IR. 1. 1707), Nr. 4445 (2. 5. 1714), Nr. 4650 (29. 12. 1716), Nr. 4837 (10.<br />

5. 171R). Die Matrikel der Universität Helmstedt (16R5-1RlO) bearbeitet von Herbert Mundhenke,<br />

Bildesheim 1979.<br />

17) Hallptstaatsarchiv Stuttgart: Bestand A 267 (soweit er zeitlich in Frage kommt): I 381 Nr.<br />

57-67 (Kopien von Kirchenbüchern aus Montebeliard). Wilhelm Beulecke: Die Hugenotten in<br />

Niedersachsen, Hildesheim 1960, speziell S. 91.<br />

IX) Matrikel Universität Helmstedt (wie Anmerkung 16.).<br />

98<br />

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Die Einträge stammen überwiegend von Kommilitonen und sind in Latein, Deutsch und<br />

Französisch abgcfaßt. Inhaltlich sind es Sentenzen aus den Bereichen Literatur, Philosophie<br />

und Theologie, halt Stammbuchverse, unterzeichnet mit sehr überbetonten Ergebenheitsformeln.<br />

Einige der Einträger erinnern den Inhaber des Buches an spezielle gemeinsame<br />

Erlebnisse, etwa eine Harzreise, eine Schlittenfahrt, eine Ordensaufnahme<br />

und eben an gemeinsame Kaffeeschmüuse. So finden wir in diesem Buch die frühesten<br />

hisher bekanntgewordenen Stammhucheintragungen, bei denen der Kaffee erwähnt<br />

wird. Hier ihr Wortlaut, soweit sie den Kaffeeschmaus betreffen:<br />

Harling:<br />

"Geschrieben, in Helmsted bey einer Tasse Coffee, dem 19. Jan. 1691.<br />

NB: es wird dir Linen lieb seyn."<br />

Eichfeld:<br />

"In illustri Julia, d. 19. Jan Ao. MDCXCI. Beim Coffe Schmause, da man so pro hospite kam."<br />

Vith:<br />

"Geschrieben in I1e1mstedt, 19. Jan Ao. (1)691. Bey einem herrlichen und kostbaren Coffee<br />

Schmause."<br />

Steudte:<br />

"Bey ausschlopfung eines unvergleichlichen Coffe-Schmauses, NB ist kein Zucker da? Herr Kreinbergck<br />

hat welchen."<br />

Honrich:<br />

"Bey einem wolschmeckendem Coffe Schmauße".<br />

In den Augen der Teilnehmer muß dieser Kaffeeschmaus schon eine aus dem Rahmen<br />

des üblichen fallende Angelegenheit gewesen sein. Und dieser fröhlichen Zusammenkunft<br />

schloß sich offensichtlich für einige oder auch alle Teilnehmer eine Schlittenfahrt<br />

an, ebenfalls ein weit verbreitetes aber auch recht kostspieliges Vergnügen in studentischen<br />

Kreisen. Zwei Einträge verweisen darauf, und zwar der von Christi an Friedrich<br />

Günter Göcking aus Halberstadt (eigentlich Groningen) und der von August von Zersen<br />

aus dem Calenbergischen. Letzterer trägt ausdrücklich ein: "Helmst. d. 20sten January<br />

Ao 1691. Beim Caffe". Also auch am 20. Januar 1691 gab es Kaffee zu trinken. Von Line<br />

blieb dem Kaffee auch dann treu, als er 1692 nach Halle wechselte, denn Fricdrich Amadeus<br />

von Milagsheim trug in Lines Stammbuch ein: "Hala Saxon d. s. 5.10 br. ao 1692.<br />

Man beliebe sich zu erinnern des wohlschmeckenden Coffes und zugleich des purgirens.<br />

,,19)<br />

Liborius von Line, aus einer alten Kaufmannsfamilie in Bremen stammend, die Senatoren<br />

und Bürgermeister stcllte 2 (l), war offensichtlich ein Freund des Kaffees und er hesaß<br />

außerdem die erforderlichen finanziellen Mittel, um sich dies Getränk auch leisten zu<br />

19) Das Stammbuch befindet sich im Besitz der Landesbibliothek Weimar und trägt die Nummer<br />

308, dort Oe Lieu zugeschrieben. Erstmals erwähnt in: Robert und Richard Ke i I: Die Deutschen<br />

Stammbücher des sechzehnten bis neunzehnten Jahrhunderts, Berlin 1893, S. 139-140. Ebenfalls:<br />

Konrad Mark wi ns k i: ,Der Freundschaft und der Tugend heilig'. In alten Weimarer Stammbüchern<br />

geblättert, in: Marginalien. Zeitschrift für Buchkunst und Bibliophilie, 34. Heft 1969 S. 33-<br />

50, hier S. 46-47.<br />

2


können. Den Rohkaffee bezog er sicherlich aus Bremen. Doch bis daraus ein angenehmes<br />

Getränk wird, ist der Zugang zu einem Röster und einem Mörser (vielleicht auch einer<br />

umgcnutzten Pfcffermühle) unbedingte Voraussetzung. Ob von Line diese Geräte<br />

selbst besaß? War er auch im Besitz der Porzellankannen (für Kaffee, Milch), der<br />

Krumpe und der Tassen aus Porzellan, die zumindest die wohlhahenderen Kreise um<br />

diese Zeit als unentbehrliches Zubehör für jede Kaffeedebauche hielten? Röstete er den<br />

Rohkaffee selbst und wenn ja, wo hatte er das erlernt? Alles berechtigte Fragen, doch leider<br />

müssen sie alle ohne Antwort bleiben 21 ). Nur ein Umstand ist noch zu belegen, der<br />

Helmstedter Kramer Johann Krcyenberg (t 1722) hatte 1691 (Rohr-)Zucker vorrätig.<br />

Dort wurde er jedenfalls geholt, als der den Kaffeefreunden ausgegangen war. Festhalten<br />

können wir: Spätestens 1691 tranken Helmstedter Studenten Kaffee, wohei die Teilnahme<br />

an solchen Kaffee-Debauchen noch etwas Besonderes darstellte. Dies änderte sich langsam,<br />

wobei der Genuß von Kaffee, Tee, Schokolade und Zucker von den Professoren -<br />

und sicherlich nicht nur von diesen - als unerwünschter Luxus angesehen wurde. 1719 verkündete<br />

die Universität, daß sie unter anderem auch bei der Eintreibung solcher Schulden,<br />

die durch den Genuß der ohenerwähnten Produkte, entstanden sind, nicht behilflich<br />

sein wiIl 22 ). Allerdings ist kaum anzunehmen, daß dieses Kreditverbot den Kaffeeverbrauch<br />

der Studenten wesentlichen Abbruch getan hat. Verbotene Früchte schmecken<br />

nun einmal besonders süß.<br />

Aber nicht nur das Kaffeetrinken im privatem Kreise, sondern auch der Kaffeehausbesuch<br />

und das Billardspiel wurden im 18. Jahrhundert fester Bestandteil studentischer Freizeitgewohnheiten.<br />

Kaffeehaus und Billardsaal gehörten zur Grundausstattung jeder Universitätsstadt<br />

und Helmstedt machte da keine Ausnahme. Wenden wir uns zunächst den<br />

Kaffeehäusern in Helmstedt zu. Am 2. Januar 1710 erhielt Hyronimus Paquet (*1669) das<br />

Bürgerrecht. Im Kirchenhuch St. Stephan wird er bei Eintragung der Geburt eines Sohnes<br />

am 6. 1. 1713 als ,Tractcur' bezeichnet. Am 29. Oktober 1714 wird Chiron Paquet aus<br />

Brüsscl in den Unterlagen erwähnt, vermutlich der Vater der vorerwähnten. Dieser bezeichnet<br />

sich in einer Eingabe an den Herzog selbst als "Coffee-Schenker hieselbst". 1730<br />

wird behauptet, er habe am 5. Dezember 1715 ein Kaffeehausprivileg erhalten. Fest<br />

steht, er hat jahrelang einen Kaffeeausschank betrieben. Zunächst mit einem Exklusivrecht<br />

ausgestattet und dann ab 1730 nach einem Vergleich war er neben dem Kaffeeschenken<br />

Crone tätig. Chiron Paquet starb 1740 in Helmstedt, wobei nicht gesagt werden kann,<br />

wie lange er sein Gewerbe ausübte 23 ).<br />

Ob der Betrieb von Paquet dem Typ ,Großes Kaffeehaus' entsprach, wie es ihn in allen<br />

bedeutenderen Städten mindestens einmal gab, kann nicht gesagt werden. Im Bereich<br />

der Spekulation spricht mehr dafür als dagegen, dafür etwa der Umstand, daß die Paten<br />

der Familien Paquet überwiegend aus dem Kreise der Honoratioren kamen, selbst die<br />

21) Grundsätzliches dazu: Peter Alb ree h t: Kaffee, Tee, Schokolade und das echte Porzellan,<br />

in: Weißes Gold aus Fürstenberg, Kulturgeschichte im Spiegel des Porzellans 1747-1830, Münster,<br />

Braunsehweig 1988, S. 3S-52.<br />

22) 13. 11. 1719 StBi 8S: 11 1/639.<br />

2.1) 19. 10. 1715 NStA WF: 2 Alt 5859; 29. 12. 1730 NStA WF: 37 Alt 560.<br />

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Tochter des Bürgermeisters Eding war darunter 24 ). Dagegen spricht, daß Paquet vermutlich<br />

kein Billard betrieb, eigentlich ein Muß für jedes ,Großes Kaffeehaus' dieser Zeit 25 ).<br />

Berichte von Reisenden oder Briefe von Gelehrten, in denen sein Kaffeehaus erwähnt<br />

wird, sind bisher nicht gefunden worden.<br />

BillardspielgcIegenheiten gab es für die Studenten und Bürger der Stadt allerdings bereits<br />

zu Beginn des 18. Jahrhunderts. Einzelheiten erfahren wir, weil es zu einem Streit<br />

um das Recht zur Betreibung eines Billards gekommen ist. Der französische Sprachmeister,<br />

oder wie er sich selbst nennt, der ,Lecteur de la langue francoise' hat am 13. April<br />

1714 den Herzog um das Privileg, exclusiv in Helmstedt ein Billard betreiben zu dürfen.<br />

Das besondere daran war, daß Louis Lauranson (t 1720) längst ein Billard betrieb. Gleiches<br />

tat die Witwe Ziegnitz, eines abgedankten Soldaten Ehefrau 26 ). Solch eine Ausgangslage<br />

machte den Streitfall von vornherein kompliziert. Als Beteiligte traten zwangsläufig<br />

auf: Die Geheimen Räte in Hannover und Wolfenbiittel, die Universität vertreten durch<br />

den Prorektor und der Rat der Stadt Helmstedt. Hier interessieren natürlich nur die Ergebnisse.<br />

Eigentlich halten die Repräsentanten der Universität ein Billard "zur recreation<br />

der studierenden Jugend" für höchst überflüssig. Doch wird der Antrag des Sprachmeisters<br />

befürwortet: "Wann nun die Vielheit der Billards der studierenden Jugend schädlich<br />

und sie dadurch von ihren studiis abgehalten werden, der Lector Gallica lingua auch nur<br />

87Thlr zur jährlichen Besoldung und weilen ein anderer Sprach meister sich auch allhier<br />

befindet von privat informatiren wenig einzutreiben hat, dahero sich das Billard, und was<br />

er von deßen Gebrauch zu erwarten als eine Hülfe bedienet, damit sich und seine Familie<br />

sustentiren möge"27).<br />

Über die Motive, die zu dieser überraschenden Entscheidung der Universität führten,<br />

kann nur spekuliert werden. VieHeicht woHte man so die Zahl der Billards auf das absolute<br />

Minimum beschränken. Andererseits war Lauranson immerhin akademischer Bürger<br />

und unterstand somit der Gerichtsbarkeit der Universität. Vielleicht hoffte man das als<br />

unvermeidlich Eingestufte so besser beeinflussen zu können. Denkbar ist auch, daß man<br />

die Abwanderung des Sprachmeisters befürchtete und man dadurch einen Teil des als unverzichtbar<br />

angesehenen Lehrangebotes verlustig zu gehen meinte.<br />

Dem Wunsch der Universität entsprach zunächst der Geheime Rat in Wolfenbüttel und<br />

dann auch der zu Hannover. Doch ein allgemeines Privileg war Lauranson zu wenig, er<br />

wollte ein Exclusivrecht. Auf seine erneute Bitte erging eine für HclmstedterVerhältnisse<br />

24) NStA WF: KB 594 S. 577, 653, 741. Zum Bürgerrecht - auch in nachstehenden Fällen -<br />

freundliche Auskünfte von Herrn Robert Schaper und Herrn Hans-Eberhard Müller, Helmstedt.<br />

25) ZumTyp ,Großes Kaffeehaus' vgl.: Peter Albrecht, Dtto Sammer: Cafe, beschrieben<br />

und gezeichnet, Nürnberg 1985, S. 6-14.<br />

26) 13.3.-20.4. 1714 NStA WF: 37 Alt 654; 11. 1. 1714 NStA WF: 37 Alt 502; zur Anstellung Februar<br />

1711 vgl. NStA WF: 37 Alt 500. Bereits am 19. 6. 1703 wurde ,Lauranson, Ludovieus, Annonensis,<br />

Gallus' (das ist Avvoix, Departement Cher in Frankreich) als akademischer Bürger aufgenommen<br />

(Matrikel Nummer 2817). Wilhe1m Beulecke reiht ihn als Louis Laurenson unter die Hugenotten<br />

ein, der erstmals 1691 in Minden registriert wurde und über Halberstadt (1699) nach Helmstedt<br />

kam. W. Be u lee k e: Hugenotten (vgl. Anm. 17) S. 91 Nr. 571.<br />

27) 17. 4. l7l4 NStA WF: 37 Alt 654.<br />

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typische Entscheidung: Lauranson bekam das gewünschte ExcIusivprivilcg, jedoch durften<br />

alle diejenigen, welche dies bis 1714 taten, ihr Billard weiterhin betreiben. Das Ziel<br />

war zwar erreicht, die reale Umsetzung abcr in eine ungewisse Zukunft verschoben.<br />

Überraschend meldete sich dann auch noch die Stadt Helmstedt zu Wort und berichtete,<br />

daß das Billard der Ziegnitzen ,längst abgeschafft' sei. Nun wurde dem Lauranson<br />

aus Wolfenbüttel das gewünschte ExcIusivprivileg mit sofortiger Wirkung bewilligt und<br />

der Stadt zugesichert, daß das Betreiben eine Billards eine bürgerliche Nahrung bleibe<br />

und nach Lauransons Ableben an die Stadt zurückfalle. Da auch Hannover dieser Regelung<br />

ausdrücklich zustimmte, war die rechtliche Seite eindeutig geklärt. Ganz anders die<br />

faktische Seite, denn noch stand das Billard bei der Ziegnitzen und wurde fleißig genutzt.<br />

Lauranson klagte darauf beim Rat der Stadt Hclmstedt und es ergingen eine Reihe von<br />

Verfügungen zu seinen Gunsten und nach einigen Monaten obsiegte er offensichtlich 2R ).<br />

Offen muß die Frage bleiben, warum der Rat diese Falschauskunft gab und der Witwe<br />

Ziegnitz ihre Erwerbsquelle entzog. Die vorhandenen Unterlagen erlauben in diesem<br />

Fall keine Klärung der alles in allem recht ungewöhnlichen Verhaltensweisen der beteiligten<br />

Parteien.<br />

Am 9. Mai 1720 stirbt Louis Lauranson und wenige Tage danach bittet Johann Christoph<br />

Friedrich (ca. 1698-1736) um Überlassung der Konzession. Zur Begründung führt<br />

er aus, daß er seit 4 Jahren als Marqueur (Billard-Aufseher) bei Lauranson gearbeitet<br />

habe und er mit den nachgelassenen beiden Töchtern und dem alten Vater des Lauranson<br />

einen Vergleich geschlossen habe. Er wolle diesen Personen wöchentlich ein Reichstaler<br />

für den Unterhalt und außerdem freie Hausmiete, freies Holz und Licht gewähren, alles<br />

in allem rund 2 Reichstaler wöchentlich. Alle Beteiligten gehen darauf ein und gegen eine<br />

Konzessionsgebühr von 10 Rthlr jährlich erhält He1mstedt nun einen bürgerlichen Billardhalter.<br />

Er behält dieses Gewerbe, wobei er sich seIbst als ,Maitre de Billiard" bzw.<br />

,Billard-Meister' bezeichnete, bis zu seinem Tode im Jahre 1736 inne, nachdem seine<br />

Konzession noch zweimal verlängert worden war?9). 1731 wurden von Seilen der Stadt jedoch<br />

Bedenken wegen seiner Neigung zumTrunk geäußert. Vielleicht half ja wirklich das<br />

,Carmen' auf Herzog Ludwig Rudolf (reg. 1731-1735), welches er geschickt mit einer<br />

Bitte um Konzessionsverlängerung verbunden am 18. Oktober 1731 in Langeleben persönlich<br />

eingereicht hatte 30 ).<br />

Interessant ist eine von Lauranson im Jahre 1729 im Zusammenhang mit der fälligen<br />

Konzessionsverlängerung für den Rat der Stadt Hc1mstedt aufgemachte Kostenrechnung.<br />

2H) 13.3. 1714,2. 8. 1745 NStA WF: 37 Alt 654; 24. 11. 1715 NStA WF: 37 Alt 648; 30. 11. 1715-<br />

18. 1. 1716 NStA WF: 2 Alt 12306; 5. 12. 1715-28.4. 1716 StA He: B VII 17:1.<br />

29) 18. 5. 1720-5. 1. 1732 StA He: B VII 17:1: 26. 6. 1720,3. 7. 1720 NStA WF: 37 Alt 502; 5.<br />

1. 1732, 11. 5. 1744 NStA WF: 2 Alt 12306. Friedrichs wurde um 17. 2. 1724 Bürger (B VII 16 P I) und<br />

bewohnte von 1734 bis 1738 das Haus Beck 6 (Ass. Nr. 87). Rohert Schaper: Häuserhuch, Hclmstedt<br />

1974, S. 51. Friedrichs hatte bereits 1719 aufgrund eines Vertrages den Betrieb des Billards in<br />

seine Verantwortung ühernommen, vgl. 19. 7. 1729 StA He: B VII 17:1.<br />

3(1) 18. 10. 1731-2. 1. 1732 NStA WF: 2 Alt 12306; StA He: B VII 17:1. Der Text des Carmens<br />

liegt dem Vorgang nicht bei.<br />

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1. Konzessionsgebühr Rtlr. 10.-.-<br />

2. Miete Billardsaal 14.-.-<br />

3. Miete Wohnung 6.-.-<br />

4. Laken für Billardtisch für 11/2 Jahre 25,- 16.16.-<br />

5. Billardzubehör (Queue, Kugeln) 8.-.-<br />

54.16.-<br />

6. 2 Personen<br />

Essen, Trinken, Kleider, Schuhe<br />

Holz für Wohnung und Billard 60.-.-<br />

Gesamt Rtlr. 104.16.- 31 )<br />

--<br />

Billard spielte aber wohl stets nur ein kleiner Kreis von Studenten. 1729 bat Lauranson,<br />

allerdings in einem Gesuch um Gebührenreduktion, nämlich darum, zu berücksichtigen,<br />

daß bei den "itzigen schwachen Numerus derer Studiosorum so sich ja nicht auf 250 beläufft,<br />

und worunter kaum 20 Liebhaber des Billarad-Spie\s sich befinden, wovon doch<br />

die Nahrung in 2Theile gehet, so daß der Rahts-Kellerwirth und ich, unsern geringenVerdienst<br />

davon haben müßen." Und 1732 meinte er gar, daß "sich biß anhero nicht cinmahl<br />

8 biß 10 Liebhaber zum wollanständigen gemüthsergötzung des Billardspicls gefunden"<br />

haben J2 ). Auch wenn man eine zweckgebundene Untertreibung unterstellt, so bleibt festzuhalten,<br />

daß nur eine kleine Zahl der Studierenden um 1730 Billard spielte und doch<br />

konnte zumindest Friedrich davon ganz gut leben.<br />

Weniger zufrieden waren mit der allgemeinen Entwicklung die Professoren. In dem sogenannten<br />

,Kreditedikt' - der Sache nach eine Verweigerung der gerichtlichen Hilfe bei<br />

der Eintreibung von Schulden, den heutigen ,Ehrenschulden' vergleichbar - wurde sowohl<br />

1719 als auch 1725 unter anderem auch Billardschulden aufgeführt, aber auch solche,<br />

die durch den Kauf von Kaffee, Tee, Schokolade und Zucker entstanden waren, fielen<br />

darunter 13 ). Wie schon gesagt, durchschlagende Erfolge waren diesen Edikten nicht<br />

vergönnt. Außerdem dürften Glücksspiel und die allgemeine Zeitverschwendung wohl<br />

nicht die einzigen Laster der Helmstedter Studenten gewesen sein, wenn man dem Prorektor<br />

Augustin Leyser (1683-1752) glaubt. Er bat 1720 fast flehentlich: "Lebet doch<br />

liebe Freunde so, wie es rechtschaffenen, nüchternen und Ruhm erstrebenden Menschen<br />

geziemt. Haltet von Euch fern jene Bösewichter, verlasset die Mädchenhäuser und die<br />

niedrigen Kneipen. Bestrebet Euch einer Sittlichkeit, wie sie Männern der Wissenschaft<br />

zukommt. Euren Frohsinn vermischet mit Würde. Fanget doch an, das Studium zu lieben,<br />

und wer darin sich auszeichnet, den zieht den anderen vor. Und wenn Ihr zusammen kommet,<br />

dann sprechet auch über ernste und hohe Dinge und lasset unpassendes Getändel.<br />

31) Eigene Zusammenstellung aufgrund des Schreibens vom 19. 7. 1729. Im Original wird als<br />

Gesamtsumme 123.- Rtlr genannt, dabei ist jedoch Posten 4 nicht auf 1 Jahr umgerechnet worden.<br />

StA He. B VII 17:1.<br />

32) 19. 7. 1729 StA He: B VII 17: 1; 2. 1. 1732 NStA WF: 2 Alt 12306.<br />

33) 13. 11. 1719 StBi BS: 1111639: 22. 2. 1725 StBi BS: 11 11639, III 0/208; NStA WF: 2 Alt 16275;<br />

1723-1724 NStA WF: 37 Alt 560, 40 Sig 5047.<br />

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Nur auf solche Weise könnt ihr erreichen, daß wir binnen kurzem die Achtung wiedererlangen,<br />

die wir längst verIoren,,34).<br />

In den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts wurde die Existenz eines ,Großen Kaffeehauses'<br />

zum Symbol für eine aufstrebende, neuen Gedanken gegenüber aufgeschlossene<br />

Bürgerschaft. Jedenfalls gilt dies für die Honoratioren und Gebildeten, für die anderen<br />

war das Kaffeehaus noch kein Treffpunkt. Die Gleichsetzung ,kein ordentliches<br />

Kaffeehaus - kein aufstrebender Ort' macht verständlich, warum sich Obrigkeiten um die<br />

jeweiligen Kaffeehausverhältnisse sorgten. Und dies war für Hclmstedt ganz besonders<br />

angebracht, denn hier waren sowohl Stadt als auch Universität in eine Phase der Stagnation<br />

geraten. Halle und Leipzig, das waren die aufstrebenden Universitätsorte der Zeit,<br />

nur gegenüber Orten wie Rinteln nahm sich IIelmstedt noch ganz passabel aus. Und so<br />

waren wohl auch allenfalls die Kaffeehausverhältnisse einzustufen. Hinweise darauf, daß<br />

das Haus von Paquet in irgendeiner Weise Mittelpunkt eines anspruchsvollen geselligen<br />

Treffs von Studierenden oder gar von Professoren und Bürgern war, finden sich nirgends.<br />

So nahm man in Wolfenbüttcl das Gesuch von Johann Christian Wegener "wegen Anlegung<br />

einer ordentlichen Wirthschaft, Caffe- und Weinschanks nebst einem Billard" recht<br />

freundlich auf. Und der Rat von Helmstedt hielt eine solche "Wirthschaft insonderhcit<br />

vor frembde und reisende hiesigen orths nöthig"; Wegen des bestehenden Exclusivprivilegs<br />

habe der Antragsteller sich ja bereits mit Chiron Paquet verglichen, so daß dies kein<br />

Hindernis sei. Den Weinhandel könne man aber nicht gestatten, jedoch könne ihm wohl<br />

der Ausschank einiger "französischer auf dem Raths-Weinkcller nicht allemahl zu habende<br />

Weine in seinem Hause, nicht aber außer selbigen" erlaubt werden. Der Betrieb eines<br />

Billards könne erst nach Ablauf des Privilegs von Friedrich 1730 gestattet werden. Verständlich,<br />

daß bei dieser Lage der Geheime Rat in Wolfenbüttci dem Wegener die begehrte<br />

Konzession für einen "Coffee-Schank mit Schild" erteilte 35 ). Nachweislich versuchten<br />

- allerdings vergeblich - die ,beyden Wegencrs' gegen einen Abstand von 20 Rtlr.<br />

Friedrichs zu bewegen, gegen eine weitere Billardkonzession keinen Einspruch einzulcgen<br />

36 ). Nur, weitere Spuren finden sich nicht, weder läßt sich belegen, das Wegener Bürger<br />

wurde, noch taucht sein Name im Zusammenhang mit Grundstücksgeschäften auf.<br />

Wegener hatte offensichtlich die Absicht, in Helmstedt ein ,Großes Kaffeehaus' zu etablieren,<br />

vermutlich nach dem Vorbild des entsprechenden in <strong>Braunschweig</strong>. Vielleicht bestanden<br />

mit dem Inhaber dieses Hauses gar verwandtschaftliche Beziehungen, Namens-<br />

34) Augustin Leyse r: Oratio l. qua magistrat um in Academia Julia gerendum suscipit, et<br />

pauca dc Academiae ejusdem malis iIIorumque remediis praefatur habita d. XVII KI. Sextil. anni<br />

1720, Helmstadii. Text auch in: Augustin Leyser: Orationes aliquot selectae, Vitemberg 1730, S. 1-<br />

13. Zitiert nach: Husung: Das studierende Helmstedt vor 200 Jahren, in: Alt Helmstedt, 1. Ig.<br />

(1914) Nr. 12 Sp. 91. Vgl. auch: 30. 12. 1745, 10. 2. 1761,20. 2. 1761, 11. 2. 1765 StBi BS: III 0/208;<br />

Br Anz 74/1778; 17. 1. lROO Br Anz 15/1800, NStA WF: 2 Alt 16516; 9. 2. 1800 Br Anz 19/1800.<br />

35) 12. 1. 1729,23.2. 1729,2.3. 1729 NStA WF: 2 Alt 5859; 26. 2. 1729 StA He: B VI 16 r 1.<br />

36) 24. 2. 1729 NStA WF: 2 Alt 12306.<br />

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Ruffen und Schreyen auf denen Gassen und aus denen Fenstern /Wetzen mit den Degen<br />

/ Schimpffen / Herausfordern / und alle andere Debauchen / sie mögen Nahmen haben /<br />

wie sie wollen / desgleichen das Ausziehen und Exerciren / bey Vermeydung willkührlieher<br />

Strafe / und / dem Befinden nach / der Relegation, verbothen / auch zu Verhütung<br />

alles unzulässigen Nacht-Schwärmens / Die Gesellschaften und Zusammenkiinffte jedesmahl<br />

noch vor zehn Uhr des Nachts / in aller Stille / und wie modesten undTugendliebenden<br />

Gemüthern geziemet / geendigt werden,,41). Wohl nicht zu Unrecht sahen die Verantwortlichen<br />

das Karten- und das Billardspiel mit all diesen für Studenten typischen Aktivitäten<br />

nah verwandt an. In der Sache half dem Crone die Berufung darauf aber nichts,<br />

mit freundlicher Zustimmung aus Hannover wurde das Kartenspiel auf den Helmstedter<br />

Kaffeehäusern und Billardstuben generell verboten. Doch Crone behielt seine Konzession,<br />

die er eigentlich verwirkt hatte.<br />

Ein wenig mehr Einblick in die tatsächlichen Verhältnisse in Hclmstcdt vermittelt uns<br />

ein Streit, an dem auch Heinrich Crone und der Universitätstraiteur Heinrich Christoph<br />

Langenheim (ca. 1689-1749) als Pächter des Konvikts, d. h. des Freitisches für Studenten<br />

beteiligt waren. Generell ging es dabei um Wettbewerbsvorteile durch den akzisefreien<br />

Einkauf von Vieh. Crone trug seine Argumente schriftlich vor, einige darin ebenfalls verwickelte<br />

Fleischer dagegen recht handgreiflich. Da es letztlich um Rechte der Bürgerschaft<br />

und der Universität ging, wurde die Sache schnell zu einem Grundsatzfall. Dabei<br />

mußte Langenheim den Kürzeren ziehen und auf die Beköstigung von Bürgern und<br />

Fremden verzichten. Da h(llf auch die Schilderung der Zustände bei Crone aus Sicht des<br />

Konkurrenten nicht: " ... da doch in dem gerühmten Privilegio nicht enthalten, daß keiner<br />

neben ihn speisen solle, auch deßen Speisung diesen nicht anständig und höchst<br />

schädlich ist, indem sie (Die Studenten - d. Verf.) verleitet werden, von dem Eßen zum<br />

Coffee und Liqueurs sauffen auch verbothenen Spielen zu gerathen, wovon Exempel bereits<br />

klagbahr gemacht sind und junge Leute von ihrem Flciße abgehalten werden auch<br />

das Geld und die Zeit so Sie beBer anwenden könnten zur Hertz Kränkung der Eltern<br />

veriiehren"41) .<br />

Im Normalfall wären die Herren in Wolfenbüttel wohl arg mißgestimmt gewesen, und<br />

die Konzession des Crone hätte zur Disposition gestanden. Aber hier galt es den unge\iebten<br />

Vettern in Hannover die Grenzen aufzuzeigen. Zum einen sah das wie der Versuch<br />

aus, über die gemeinsame Universitätsverwaltung in die eigene Stadt hineinzuregieren<br />

und ZUIll anderen betrieben diese zu Lasten von Helmstedt gerade die Gründung der Universität<br />

in Göttingen mit Macht: Alles gute Gründe den Bürger Crone gegen die Universitätsverwaltung<br />

zu schützen und die erhobenen Beschuldigungen einfach zu übersehen.<br />

41) 22. 2. 1725 StBi BS: II 11639; Vorgänge I'StA WF: 37 Alt 560 u. 561, 2 Alt 16275.<br />

42) 21. 8. 1734, generell 20. 7. 1733-7. 10. 1734 NStA WF: 37 Alt 947; 29. 10. 1731, 17.6. 1739-1.<br />

3. 1740 NStA WF: 2 Alt 12837. 21. 8. 1748 NStA WF: 2 Alt 7106. Im Text vermutlkh eine Anspielung<br />

auf die im Oktober 1730 auf dem Kaffeehause ausgetragenen Händel, die ihre Ursache in einem<br />

Streit bei einem Pharaospiel hatten. Okt. 1730 NStA WF: 2 Alt 560. Grundsätzlich zum Konvikt:<br />

Marta Asehe: Das Konvikt an der Universität in Helmstedt, in: <strong>Braunschweig</strong>isches Jahrbuch Bd.<br />

47 (1966) S. 52-124, besonders S. 93-97.<br />

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verzichten 48 ). Da doch angeblich das Billardspiel nur wenig Geld einbrachte, ist es schon<br />

verwundcrlich, daß zur gleichen Zeit sich der neue Pächter des Universitätskellers ein solches<br />

zulegen wollte und auch sogleich beim Tischlermeister Johann Heinrich Oppermann<br />

(1729-1R04) in Auftrag gab. Das blicb dem aufmerksamen Rat nicht verborgen 49 ), was andererseits<br />

wiederum den Vizerektor und die Professorenschaft auf den Plan rief. Beide<br />

Seiten bemühten und strapazierten die Tradition, die Üblichkeiten bei anderen Akademien<br />

und das Recht.<br />

Aus heutiger Sicht interessiert ist noch der folgende Auszug aus der Stellungnahme der<br />

Universität: "Denn sowohl in, alß außerhalb (Deutschland(s) wird das Billiard Spiel auf<br />

Academien unter diejenigen Exercitia corporis gerechnet, deren sich die Studiosi sowohl<br />

alß des Ballen Spiels zu bedienen hattcn; Ja, wo Ball-Häuser sind, /: wie man denn solche<br />

auch auf denen meisten Universitäten findet :/ geben die Ballmeister Anweisungen, wie<br />

man die Ballen oder Kugeln auf dem Billiard geschickt spielen soll. Es heißet auch sothanes<br />

Spiel, ein noble jeu, weil es ad exercitium corporis, der Studirenden Jugend nicht allein<br />

dienet, sondern auch besondere Geschicklichkeit erfordert, solches in dem Maaße zu<br />

spielen, als es seyn soll. Diesem nach hoffen wir, Unsere Hochgeehrten Herren werden<br />

alsbald die Meinung fahren laßen, daß sothanes Spiel unter eine bürgerliche Nahrung zu<br />

nehmen sey,,50). Im Geheimen Rat war man da ganz anderer Meinung und untersagte die<br />

Aufstellung des Billards im Universitätskeller. Wie üblich, war die Sache damit aber noch<br />

nicht abgetan. Schließlich kamen die Billards doch pachtweise an den UniversitätskeIlerwirt,<br />

vermutlich auch die Ursache, weswegen das Schatzkollegium 1753 mit der Pacht des<br />

Wein- und Bierschanks auch gleich die Billards ausschrieb. Doch 1756 gab es im UniversitätskeIler<br />

kein Billard mehr, dafür aber eins im RatskellerSI). Sieger blieb also die Bürgerschaft,<br />

die Herren Professoren hatten wohl auch die neue Lage zu wenig berücksichtigt.<br />

Ab 1745 lag die Oberaufsicht über die Universität allein in Wolfenbüttcl 52 ) und dort<br />

erinnerten sich sicherlich noch einige Räte an dic für sie nicht immer erfreuliche Schaukclpolitik<br />

der Universität. Und Formulierungen wie die Herren mögen "alsbald die Meinung<br />

fahren laBen", nun, das war sicherlich nicht gcrade derTon, den die Geheimen Räte<br />

sehr schätzten.<br />

Nach 1745 bemühten sich die zuständigen Obrigkeiten um akzeptable Mittagstische s3 ).<br />

Das Echo war aber nicht überwältigend und eine wesentliche Verbesserung ist in den fol-<br />

48) 22. 10. 1736-23.5.1737 StA He: B VII 17:1; 9. 8.1743-16.5. 1744 NStAWF: 2 Alt 6977; 18.<br />

5.-25. 5. 1737 NStA WF: 2 Alt 12306.<br />

49) 7. 3. 2744 StA He: B VII 17:1<br />

5() 22.4. 1744 StA He: B VII 17:1.<br />

51) 12. 5. 1744--14. 10. 1744 StA He: B VII 17:1; 31. 8. 1744-2. 8. 1745 NStA WF: 37 Alt 654; 8.<br />

12. 1745-10. 2. 1748 NStA WF: 2 Alt 6977; 23. 1. 1753 Br Anz 8+9/1753; 14. 12. 1756 NStA WF: 37<br />

Alt 958.<br />

52) 31. 3. 1745 Br Anz 31/1745; vgl. auch Br Anz 94/1746, 92/1747.<br />

53) 22. 7. 1745 Br Anz 6H6I1745. Vorgänge 7. 7. 1745 StA He: B VI 8 h:4.<br />

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genden Jahren wohl auch nicht eingetreten S4 ). Die jeweiligen Traiteure waren stets im gewissen<br />

Umfange auch gleichzeitig Kaffeeschenker, obwohl bis zum Verzicht von Crone im<br />

Jahre 1750 dem jeweils ein Exklusivrecht entgegenstand 55 ). Auffällig war unter ihnen nur<br />

derTraiteur und Caffeeschenk Friedrich August Böber. 1752 und erneut 1754 beschwerte<br />

sich die Universität, daß die Studenten sich in seinem Hause dauernd aufhielten und so<br />

die Collegia versäumen würden. Wörtlich heißt es 1754: " ... und das Zechen in seinem<br />

Hause mit Caffe, Wein, Liqueurs und Bier stadtkundig von morgen bis in die späte Nacht<br />

dauert, welcher Aufwand und Versplitterung der Zeit viele auswärtige Eltern abschrökken<br />

dürfte, ihre Söhne hieher zusenden". Böher selbst bestritt, natürlich möchte man sagen,<br />

die abendlichen Zusammenkünfte und meinte: "Wenn des Morgens zuweilen Studenten<br />

nach ihm hinkämen, so genößen selbige entweder gar nichts oder sie ließen sich<br />

etwas von seinem Gebackens geben". Also wirklich vorbildliche Studenten, doch das<br />

glaubte man selbst auf dem Rathause nicht und erinnerte den Cafetier recht deutlich an<br />

die verordnete Sperrstunde um 10.00 spätestens um 11.00 Uhr abends 56 ).<br />

Die Milde, mit der Böber behandelt wurde, hat vermutlich auch etwas damit zu tun,<br />

daß die Kritik der Universität stets auch mit der Fürsprache für die Witwe l.angenheim<br />

(ca. 1726-1774) verbunden war. Den Cafetiers und allen anderen Wirten der Stadt ging es<br />

vorderhand um die sogenannten Nebentische, die der Universitätsökonom neben der Versorgung<br />

der Freitischler im Konvikt unterhielt. Mehrfach wurde aber auch geprüft, ob<br />

nicht die ganze Einrichtung, die bis zu 144 Studenten mit verbilligten Speisen etwa vergleichbar<br />

den heutigen Mensen versorgte, aufgehoben werden sollte. Als schließlich 1749<br />

der ,Okonomia Mclusine Dieterice Langenheimin' , die offiziell Nachfolgerin ihres verstorbenen<br />

Mannes wurde, die Haltung der Nebentische generell untersagt werden sollte,<br />

sahen die Verantwortlichen der Universität darin wohl auch den Beginn der generellen<br />

Aufhebung des Konviktes und reagierten recht aufgeschreckt. Und sie agierten nicht<br />

ohne Erfolg, denn sicherlich nicht vor 1756 wurde diese Bestimmung in die Tat umgesetzt<br />

und selbst 1761 gab es noch Versuche, der Witwe Langenheim erneut Nebentische zu ge-<br />

54) 7. 3. 1745, 3. 4. 1749; 31. 10. 1749; 8. 10. 1754 StA He: B VI 8 h:4; 5. 7. 1749, 13.9. 1749,7.<br />

1. 1751,4. 4. 1742, 17. 6. 1754-8. 10. 1754,25. 11. 1754-8. 1. 1755,21. 5. 1756 NStA WF: 37 Alt 953;<br />

4.9. 1751 NStAWF: 37 Alt 3248; 6. 8. 1756-23. 9. 1756 NStA WF: 37 Alt 859; 23.11. 1756-29.6.1758<br />

NStA WF: 37 Alt 958; 1764 Pro Memoria Rückstand Pkt 6 NStA WF: 2 Alt 16276. 2. 9. 1760 StA He:<br />

B VII 17:2.<br />

55) 3. 10. 1746 laut 22. 8. 1748 NStA WF: 2 Alt 7106.<br />

56) 19. 10. 1754,28.4. 1754 NStA WF: 37 Alt 953, StA Hc B VI 8h:4; außerdem: 20. 3. 1747 St<br />

Bi BS: III 01208; 14. 9. 1747 StA He: B VI 8i:15, 3. 4. 1749-12. 11. 1754 StA He: Be: B VI 8i:15; 3.<br />

4. 1749-12. 11. 1754 StA He: B VI 8h:4; 4. 9. 1751 NStA WF: 37 Alt 3248; 13. 4. 1752 NStA WF: 37<br />

Alt 957; 8. 10. 1754-12. 11. 1754 NStA WF: 37 Alt 953; 27.2. 1755 StA He: B VII 16 g:8; 23. 11. 1756<br />

NStA WF: 37 Alt 958. Vgl. auch: 5. 9. 1792 Pkt 25 NStA WF: LB Q 2973.<br />

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109


nehmigcn 57 ). Und die Auseinandcrsetzungen wurden nicht stcts mit fairen Mitteln geführt.<br />

So wurde behauptet, als sich 1756 der aus Wolfenbüttel stammende Speisewirt Georg<br />

Rowold in Helmstedt nicderließ, daß sein Haus nicht in einem ,guten Ruf stehe'. Sofort<br />

verlangte man aus Wolfenbüttel zu wissen, ob er etwa Töchter habe. Die Universität<br />

berichtete genau gleichzeitig von einer ,berüchtigten Magd'. Nun, Hofrat Joachim Dieterich<br />

Lichtenstein (1706-1773) sah die Sache anders. Es gab nichts "Als eine Magd, welche<br />

zwar den Studenten die sich mit ihr in Wortwechsel einließen, keine Antwort schuldig<br />

bleibe, sonst aber keiner liederlichen Thathandlung halber etwas sich zu Schulden kommen<br />

lassen". Vorsichtshalber hatte er auch Informationen über ihre bisherigen Arbeitgeher<br />

eingeholt. Auch von dort wurde ihr guter Ruf bestätigt. Also doch nur ein Manöver<br />

der bösen Konkurrenz, vermutlich jaSS). Allerdings, die in diesen Jahrcn auftretenden<br />

neuen Anbieter üherzeugten nun auch nicht gerade durch angemessene Leistungen.<br />

Auch in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts sollte Helmstedt kein ,Großes Kaffeehaus'<br />

bckommen, wenn auch weiterhin die Obrigkeit daran Interesse zeigte. Am nachhaltigsten<br />

geschah dies 1761. Am Anfang stand eine Annonce in den <strong>Braunschweig</strong>ischen Anzeigen.<br />

"XIII. Personen, so gesucht werden: Wenn jemand Lust und Vermögen haben<br />

sollte, in einer benachbarten einländischen Stadt sich als ein Speisewirth und Kaffetier, in<br />

Betracht der guten Nahrung und Erhaltung aller hilligen Freyheiten, zu etahliren: So<br />

wolle sich derselbe bey Hrn Syndieo Koch, allhier (das ist <strong>Braunschweig</strong>, d. Verf.) fordersamst<br />

melden"S9).<br />

Darauf meldeten sich drei Personen, der Gastwirt Friedenfeld aus <strong>Braunschweig</strong>, der<br />

gelernte Apotheker J. L. Kunst aus Clausthal und Rcmy Gervais (ca. 1708-1776). Dieser<br />

stammte aus St. Lorenz in der Provinz Languedoc. Seinc Heimat habe er nach Eigenaussage<br />

wegen seines reformierten Glaubens verlassen müssen. 1740 hielt er sich nachweislich<br />

in Hanau als Cafetier auf. Erfolgreich war er dort nicht und 1761 bekam er schließlich<br />

für die Stadt <strong>Braunschweig</strong> die Konzession, dort ein Kaffeehaus betreiben zu dürfenO().<br />

Gervais hatte aber Schwierigkeiten, ein geeignetes Ilaus zu finden, um sein beabsichtigtes<br />

Gewerbe auszuüben. Davon hörte auch der Helmstedter Professor Franz Dominieus<br />

Haeberlin (1720-1787) und vielleicht veranlaßte er ihn auch direkt zu seiner Bewerbung<br />

61 ). Syndicus Koch, in <strong>Braunschweig</strong> für die Polizeigeschäfte zuständig, schrieb an<br />

57) 21. 4. 1745, 3. 4. 1749-8. 10. 1754 StA He: B VI 8 h 4; 14.6.-3. 11. 1749 NStA WF: 37 Alt<br />

952; 5. 7.-13. 9. 1749,7. 1. 1751-4. 4. 1752, 8. 10. 1754-21. 5. 1756 NStA WF: 37 Alt 953; 6. 8.-9. 9.<br />

1756 NStA Wf-': 37 Alt 959; 14. 9. + 1. 10. 1756 StA Ile: ß VII 17:2.21. 8. 1748 NStA WF: 2Alt 7106;<br />

11. 8. 1761 NStA WF: 37 Alt 165; 26. 11. 1767 NStA WF: 37 Alt 1120. Br Anz 58/1762. Nachdem sie<br />

die Bewirtschaftung des Konvikts niedergelegt hatte, betrieb sie einen privaten Speisetisch für Studenten.<br />

11. 9. 1764 StA lIe: B VII 1 Nr. 5. Marta A sc h e: Das Verhältnis der Helmstedter Bürger<br />

zu den Studenten der Universität im Spiegel herzoglicher Verordnungen des 18. Jahrhunderts, in:<br />

<strong>Braunschweig</strong>isches Jahrbuch Bd. 46 (1905) S. 104-124, hier besonders S. 116-124.<br />

SM) 6. 8. 1756-23. 8. 1756 NStA WF: 37 Alt 959; 14. 9. 1756 StA IIe: B VII 17:2.<br />

59) 12. 8. 1761 Br Anz 64/1761. 24. 7. 1761-11. 9. 1761 NStA WF: 37 Alt 165.<br />

nIl) Peter Albrecht: Das ,Große Kaffeehaus' (vgl. Anm. 37).<br />

61) 11. 8. 1761 NStAWF: 37 Alt 165. Hofrat IIaeberiin war durch sein Amt als Konvikt-Inspektor<br />

mit dieser Sache he faßt.<br />

110<br />

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den Geheimen Rat, daß sich Gervais 300 bis 400 Reichstaler verschaffen könne, doch generell<br />

war Koch recht skeptisch: " ... sein äusserliches Ansehen aber und daß er bislang<br />

mit der Anlegung einer Cafc Schenke und Billard allhier nicht zu Stande kommen können,<br />

promitirt nicht so viel, daß ich von solchen glauben kann, daß er obige Absicht würklieh<br />

werden erfüllen können." Gervais selbst plante für Helmstedt ein richtiges ,Großes<br />

Kaffeehaus', wie aus seinem Gesuch vom 16. August 1761 hervorgeht: "Un endroit publie,<br />

ou d'honetes Etudians peuvent avoir que1ques reereation. Messieurs les Professeurs<br />

a qui j'en ai parle ont fort souhaite cela. J'y suis d'autant plus animc, qu'i1 se trouve dans<br />

les Billets d'Intelligenees"02). Außerdem wollte er einen Speisetisch für Studenten anlegen.<br />

Der Geheime Rat war erfreut und ließ dem Magistrat wissen: "Wann wir nun bey<br />

derrnahligen der Universität Umständen, deßen Vorhaben auf alle Weise hefodert wissen<br />

wollen", so sollte der Rat unter anderen für eine angemessene Wohnung sorgen. Die fand<br />

sich recht schnell und nochmals wurde der Magistrat ermahnt, dem Gervais den Anfang<br />

nicht zu schwer zu machen, "damit etwas besseres bey ihm als bei den übrigen Caffetiers<br />

herauskommen möge,,63). Und Gervais kam tatsächlich nach Hclmstedt, nur sein Auskommen<br />

fand er hier nicht und ab 1763 logiert er wieder in Braunsehweig. Dort betrieb<br />

er dann bis zu seinem Tode ein kleines Kaffeehaus, genannt das FranzösischeM).<br />

Dieser weitere Fehlschlag in Helmstedt bedeute nun aber nicht, daß es hier gar keinen<br />

öffentlichen Kaffeeschank gab. Gerade in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurden<br />

eine ganze Reihe von Konzessionen erteilt 6s ). Zu berichten gibt es über diese Cafetiers<br />

recht wenig. Generell galt wohl für alle, was der Magistrat 1763 resignierend feststellte:<br />

"ltzo ist nur - außer dem Universitätskeller - ein Billard, nähmlich das Franckisehe<br />

allhier, deßen Innhaber hält auch eine Coffc Schenke, aber selbige ist im schlechten<br />

Stande"IiO). 1773 wurde Anton Ulrich (ca. 1733-1776) zu recht beschuldigt, in seinen Räumen<br />

stattfindende Glücksspiele geflissentlich zu übersehen 67 ). Der geplante Entzug der<br />

Konzession wurde durch Intervention des Magistrates abgewehrt, wobei die Begründung<br />

recht typisch ist: " ... und es stünde nicht ohne Grund zu befürchten, daß er, da er sich<br />

61) 11. 8. 1761, 16. 8. 1761 NStA WF: 37 Alt 165.<br />

63) 18. 8. 1761,8. 9. 1761 NStA WF: 37 Alt 165.<br />

M) 18. 9. 1761 NStA WF: 37 Alt 165; Nov 1761 StA He: B VI 8 h Nr. 149. Peter Alb re c h t: Das<br />

,Große Kaffeehaus' (wie Anm. 37).<br />

6;) Konzession 5. 8. 1751 Friedrich Michael Böber, 12.9. 1760 Renatus Christian Franken, ein<br />

abgebrochener Student, der eine Helmstedter Bürgerstochter heiratete; 16.9.1763 Johann Friedrich<br />

Krause, verheiratet mit der Witwe des Kaffeeschenkers Pasche; 7.6.1773 Johann David Kuntze (ca.<br />

1748-1801); 17. 12. 1756 Christian Friedrieh Langenheim (1728-1758); 18. 3. 1755 Johann Georg<br />

Eberhard Pasche, ein abgebrochener Student (1730-1758); um 1798 Pestei; um 1794 Ferdinand Carl<br />

August Stolze (ca. 1744-1813); 17. 12. 1762 Anton Ulrich (ca. 1733-1776).<br />

23. 11.-17. 12. 1756 NStAWF: 37 Alt 958; 12. 9. 1760 NStA WF: 16Alt IVNr. 20 (S. 28372); 1. 9. 1761<br />

NStA WF: 37 Alt 165; 12. 9. 1760 StA He: B VII 17:2; 23. 4. 1763; 23. 4. 1763 StA He: B VII 16 P<br />

1, B VI 8 i: 15; Seelenliste 1764 (Ulrich) StA He: B VII 9: 10; Häuserliste Mai 1671 StA He: B VI 8h:6<br />

(Nr 282); Br Anz 97/1776 (Ulrich), Br Anz 7911794 (Stolze); Br Anz 58/1798 (Pestcl). NStAWF: 15.<br />

3. 1753 (Pasche) 2 Alt 18445, 18.3. 175537 Alt 165. Außerdem: Pro Memoria Rückstand 1764 Pkt<br />

6 NStA WF: 2 Alt 16276.<br />

66) 1763 StA He: B VII 16 r 1.<br />

67) 13. 5. 1773 StA He: B VI 8 g; NStA WF: 2 Alt 16276.<br />

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111


auf keine andere Weise alhier erneren kann, mit Hinterlassung seiner Frau und 4 kleinen<br />

Kindern heimlich von hier gehen dürfte und diese dann dem Publico und den Armen-Anstalten<br />

zu Last fallen würden,,611). Da mochten sich dann doch lieber einige Studenten in<br />

übermäßige Schulden stürzen, das betraf die Bürger weniger. Direkt betroffen waren die<br />

Cafetiers durch eine 1747 erneuerte Verordnung, welche die Sperrstunde regelte. Gerade<br />

deren Text macht deutlich, wie sehr der Geheime Rat aus dem Blick der Fürsorge für die<br />

Universität die Probleme anging. "Demnach Wir mißfällig vernehmen müssen, daß so<br />

wol die auf Unserer Julius-Carls-Universität sich aufhaltende Studenten, als auch andere<br />

Einwohner daselbst, dadurch in mannigfaltige Händel und Unordnungen verwickelt worden,<br />

daß auf den Kellern, Caffe-Schenken, und übrigen Wirths-Häusern bis in die späte<br />

Nacht, denen Verordnungen zuwider, Gesellschaften und Zechen von den Wirthen geheget<br />

worden, dadurch aber nicht allein mancher derer ungezogenen Gäste seine Gesundheit<br />

mutwillig ruiniret, und sich zu der auf den andern Tag vozunehmenden Arbeit untüchtig<br />

gemacht, sondern auch andere Mit-Einwohner in der Ruhe gestöhret, und solchen<br />

ein übles Exempel gegeben: Wir aber solch Unwesen länger nachzusehen keineswegs<br />

gemeinet sind; ... "69)<br />

Dies wird im übrigen auch bei den sogenannten Kreditverboten sichtbar, welche die<br />

Schuld für das unerwünschte Verhalten der Studenten eindeutig den Kreditgebern, also in<br />

der Regel den Einwohnern der Stadt, zuwiesen. In unserem Zusammenhang sind dabei<br />

nur die sogenannten Luxuswaren von Interesse. Und hier gilt festzuhalten, die Liste aus<br />

dem Jahre 1719 galt auch weiterhin. 1773 heißt es: " ... unnöthigen Ausgaben aber, als<br />

zum Reiten, Fahren, Schliuenfahren, desgl. zum Billard, Caffee, Thee, Chocolade, Zukker,<br />

Confect, Punsch, gebrannten Wassern, Brandtwein, und dergl. schlechterdings keinem<br />

Studenten, er sey wer er wolle, einiger Credit, bey Verlust desselben und willkührlicher<br />

Bestrafung gegeben .... ,,70). Dabei waren zu dieser Zeit Kaffee, Tee und Zucker<br />

längst Produkte, die zum allgemeinen Lebensstil aller auch nur einigermaßen über den<br />

Armutsniveau lebenden Personen gehörten. Der im Herzogtum 1764 unternommene Versuch,<br />

diese Produkte in Kreisen der ärmeren Bevölkerung und vor allem auf dem Lande<br />

zurückzudrängen, war längst kläglich gescheitert. Und man kann durchaus Zweifel haben,<br />

ob die Mehrheit der Verwaltung jemals an einer wirklichen Durchsetzung interessiert<br />

war 71 ).<br />

Diesem würde auch entsprechen, daß in dem Entwurf des Geheimen Rates für ein sehr<br />

erweitertes Kreditverbot aus dem Jahre 1764 von Kaffee und Tee oder anderen Luxusprodukten<br />

nicht die Rede ist. Es blieb den Helmstedter Professoren vorbehalten, mit dem<br />

6!l) 22. 5. 1773 NStA WF: 2 Alt 16276, StA He: B VI 8i:15. Um Glücksspiel auch 12.5.-24.6.<br />

1761 NStA WF: 37 Alt 561; 25.6. 1762 Br Anz 56/1762.<br />

69) 20. 5.1747 StBi BS: III 0/208. Erneut 5. 9. 1792 Akademische Gesetze Punkt XXv. StBi BS:<br />

I 14/703.<br />

70) 7. 6. 1773 Br Anz 47/1773, bezug auf eine Verordnung aus dem Jahre 1759. StA He: B VI<br />

8i:15, B VI 8 g: NStA WF: 2 Alt 16276.<br />

71) Peter AI brech t: Kaffeetrinken. Dem Bürger zur Ehr' - dem Armen zur Schand, in: Kultur<br />

und Gesellschaft in Nordwestdeutschland zur Zeit der Aufklärung I: Das ,Volk' als Objekt obrigkeitlichen<br />

Handeins, Tübingen 1992, S. 57-100.<br />

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Hinweis aus die Verordnung von 1725 eine erneute Aufnahme zu fordern. Doch im Konkreten<br />

sah ihre Liste dann doch anders aus und macht wohl auch die sich wandc\nden allgemeinen<br />

Lcbensverhältnisse deutlich: " ... inglcichen die übrige(n) unnöthige(n) Ausgaben<br />

eines Studiosis, die blos zur Wollust, Ueppigkeit, Nascherey und Luxum gehören,<br />

als z. E. Abend-Tractement und Butterbrödte, vor Ausreiten, &hlitten u. anderes Ausfahren,<br />

Billardgelder, Spielcharten, alle Arten von Liqueurs und anderen gebrandten Wassern,<br />

alle Sorten von Galanterie-Waaren, die ein Studiosus entweder nicht selbst trägt<br />

(also die jungen Damen tragen - d. Verf.) oder davon er doch füglich entbehren kan, besonders<br />

sollen den Studiosis nahment(lich) nicht geborget werden, Uhren Tabattieren,<br />

Etuys, silberne oder vergoldete Degen, auch alle Arbeiten von Gold und Silber, weil nach<br />

der Erfahrung dergleichen Galanterie und Goldschmids-Waaren bisweilen von den Studiosis<br />

nur deswegen zu Borg gekauft werden, um durch deren Verkauf oder Versetzung zu<br />

baarem Geld zu kommen."<br />

Kaffee, Tee, Schokolade und Zucker waren also nach ihrer Meinung alltägliche Dinge.<br />

Dies macht der Entwurf auch noch unfreiwillig an einer anderen Stelle deutlich: "Punkt,<br />

IX. Die Studenten-Aufwärterinnen oder auch das Gesinde in den Häusern wo Studenten<br />

wonen, wenn es nemlich diesen aufwartet, ingleichen gemeine Bürger ihre Weiber oder<br />

Kinder, wenn sie etwa selbst bei ihren Haus-Burschen die Aufwartung thun, sollen solchen<br />

ihren Inquilinis zum Morgen Brodt vor Milch zumThee und Coffee, für Stroh, zum<br />

einheitzen, für Oel oder Lichter zum Brennen, für Schuhwachs und anderen dergleichen<br />

kleine Nothwendigkeiten nicht über 2 rt (Rtlr) creditiren können"n). Also die Zeiten, in<br />

der die Herren Studenten des Morgens eine Biersuppe genossen, waren also auch in<br />

Helmstedt längst vorbei. Und als weiterer Beleg kann die große Beliebtheit des von einer<br />

Schustersfrau um 1745 gebackenen ,sogenannten Coffee-Brods' einer Art Weißbrot, geIten.<br />

Sie ließ es des Morgens durch eine Magd auf dem Collegienhofe verkaufen, diese die<br />

Gildesstatuten der Bäcker verletztende Aktivität verteidigte die Universität vehement,<br />

insbesondere mit dem Argument, daß die Bäcker solche Ware nicht selbst herstellen würden.<br />

Da auf dem Universitätsgclände die Stadt obrigkeit nichts zu sagen hatte, wurde der<br />

Geheime Rat angerufen, und der entschied, wie er es gern in solchen Fällen tat: Die Bäkker<br />

bekamen Recht und doch wurde die Schusterfrau nicht brodlos. "DerVerkauf der Torten,<br />

Waffel-Kuchen und dergleichen Gebackenes, welches nicht unzweifellich für die Bekker<br />

gehöret, soll zwar der Holthausen vorerst an noch verstattet werden. Wenn aber die<br />

Hecker sich befleißigen, solches gleichfalls gut zu machen, soll deshalb weitere Verordnung<br />

ergehen,,73).<br />

Gegen Ende des 18. Jahrhunderts war die Zahl der Studenten auf 130 bis 140 abgesunken,<br />

die Mehrheit davon auch noch Stipendiaten. Letzteres bedeute nicht, daß diese<br />

nicht als vollwertige Studenten anzusehen waren, sondern nur, daß die Universität für<br />

72) August 1764 NStA WF: 37 Alt 1120. 12. 7. 1764 NStA WF: 37 Alt 1120; 20. 2. 1764 StA He:<br />

BVI 8i:15. 9. 1. 1764 StAHe: BVII 1 Nr. 30. Marta Asche : Verhältnis (vgl. Anm. 57) S. 104-115.<br />

73) 20. 8.-25. 9. 1745 NStA WF: 37 Alt 3936. 26. 8. 1743-23. 10. 1745 StA He: B VII 24/1 Nr.<br />

1: 2. 1. 1758, 20. 6. 1764 StA He: B VII 24/1 Nr. 2.<br />

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Selbstzahler nun fast gänzlich unattraktiv geworden war 74 ). Erneut wurden eine ganze<br />

Reihe von Reformmaßnahmen diskutiert. In diesem Zusammenhang ist auch das "Pro<br />

Memoria ueber öffentliche Anstalten zur Verbeßerung der Academischen Sitten" zu sehen,<br />

welches 1794 erstellt wurde. Als ein geeignetes Mittel, um den angestrebten Zweck<br />

zu erreichen, erschien dem unbekannten Verfasser die Errichtung eines Universitäts-Kaffeehauses.<br />

Hier sein Vorschlag wörtlich: "Dieser Zweck (die Förderung des persönlichen<br />

Umganges der Studierenden mit den Lehrenden - d. Verf.) würde wahrscheinlich durch<br />

einen öffentlichen Versammlungs-Saal am besten erreicht werden können, dem man die<br />

Form eines Universitäts-Kaffeehauses geben könnte, dessen Einrichtung aber von den<br />

gewöhnlichen Kaffeehäusern wesentlich verschieden wäre. Es dürfte nemlieh diesen Saal<br />

niemand besuchen, als Professoren, Doctoren und diejenigen Studenten, über deren gutes<br />

Betragen kein Zweifel wäre, für welche einer oder mehrere ihrer Lehrer oder ältere<br />

Mitglieder bürgten und die durch Ballotement aufgenommen würden. Ein Mitglied dieser<br />

Gesellschaft zu seyn, wäre als eine Ehre, die man sich bloß durch anständiges Betragen<br />

erwerben und die man durch eine schlechte Handlung wieder verlieren<br />

könnte .... ,,75)<br />

Nun, von einem zeitgenössischem ,Großen Kaffeehaus', zu dessen Charakteristika unstrittig<br />

auch gehörte, daß sich dort Menschen aus verhältnismäßig unterschiedlichen Kreisen<br />

zwanglos treffen konnten, war das hier Vorgeschlagene weit entfernt. Vorbild waren<br />

wohl mehr die Clubgesellschaften, wie sie zu dieser Zeit in allen größeren Städten entstanden<br />

und denen es eigen war, daß sie die Exclusivität durch eindeutig geregelte Zugangsmöglichkeiten<br />

zu wahren versuchten. Trotzdem, bei Professor Friedrich August Wiedeburg<br />

(1751-1815) fand der Vorschlag Zustimmung, ganz besonders der Aspekt ,Nahrung<br />

für den Geist' (d. h. das Anbieten von gelehrten Zeitungen, Journalen und anderen<br />

Unterhaltungen) fand seinen Beifall. "Ein akademisches Kaffeehaus könnte aber besonders<br />

eingerichtet werden. Stünde solches unter genauer Aufsicht der Universität, so<br />

könnte es auch von Professoren ohne Bedenken besucht werden. Man könnte so wohl<br />

den Ausschweifungen als den unmäßigen Aufwande vorbeugen und übrigens jedem frei<br />

lassen, was er geniessen wollen"76). Zusätzlich sollte auch der Hclmstedter Gesundbrunnen<br />

ausgebaut und unter Universitätsaufsicht gestellt werden TI ). Generell war ihm daran<br />

gelegen, die Studenten möglichst beständig unter den Augen der Professoren zu halten<br />

und vor allem zu verhindern, daß sie die umliegenden zum Teil ,ausländischen' Dörfer besuchten.<br />

Professor Johann August Reichardt (1741-1808) beurteilte die reale Lage ähnlich wie<br />

die beiden bisher zitierten Autoren, hatte jedoch grundSätzliche Bedenken. Die entschei-<br />

74) 9. 11. 1724 (für <strong>Braunschweig</strong>-Wolfenbüttcl), 9./20. Okt. 1724 (für Hannover), 14. 11. 1774<br />

StBi BS: III 0/208, Br Anz 4/1775; 28. 12. 1778 Br Anz 12/1779. Entsprechende Klagen auch schon<br />

7. 5. 1765 StA He: B VII 1 Nr. 6<br />

75) 16. 6. 1794 NStA WF: 37 Alt 1158.<br />

76) Anmerkung zu 16. 6. 1794 NStA WF: 37 Alt 1158.<br />

77) Der neue Pächter und spätere Eigentümer Konrad Gericke war gerade dabei. neue Gebäude<br />

zu planen und zu errichten, vgl. Br Mag 18+ 19/1815, besonders Spalten 205-207.<br />

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heute mit dem Wort Cafe verbinden. Dabei hatte das ,Große Kaffeehaus' eher den Charakter<br />

der heutigen Cafe-Kneipen llo ).<br />

Was die Einführung der ,feinen Backwaren' betrifft, da war man in Helmstedt der Zeit<br />

ein wenig voraus. Bereits 1743 bot die schon erwähnte Schusterfrau Holthausen an:<br />

"Kochgebackenes als Waffel-Kuchen, Bletter-Mandel-Hrodt, Pisquit Torten, Zucker­<br />

Pletzgen, Englische Schnitte und dergleichen 81 ), Dinge, die von den Professorenfamilien<br />

und anderen vornehmen Kreisen gern gekauft wurden. Gelernt hatte sich die Herstellung<br />

nach Eigenaussage von einer Frau, die vor 1743 Helmstedt verlassen hatte. Also kann<br />

man sagen, um 1740 hat es in Helmstedt ein Angebot an Feinbackwerk gegeben und Johann<br />

Nikolaus Weisshuhn (ca. 1700-1748) der 1738 in Helmstedt Bürger wurde und sich<br />

als Konditor bezeichnete, hatte vermutlich ein vergleichbares Warenangebot 82 ). 1758 jedenfalls<br />

beschwerte sich Frau Holthausen über die Frau Weißhuhn, weil sie "allerhand<br />

Gebackenes machte und herumtragen ließ,,83).<br />

Der erste wirkliche Konditor im heutigen Verständnis, der sich in Helmstedt niederließ,<br />

war wohl Gottfried Dengier (ca. 1779-1801). Hier seine Eröffnungsanonce aus den<br />

<strong>Braunschweig</strong>ischen Anzeigen vom 13. Oktober 1798: "Da ich mich in Hclmstedt als Konditor<br />

etablirt habe; so zeige ich solches hohen Herrschaften und dem geehrten Publikum<br />

hiermit an, und empfehle mich mit allen Sorten Konditorei-Waaren, als: Torten aller Art,<br />

Konfekturen, Baumkuchen, Bienenkörben, feinen Liqueurs, und dergl.(eichen) Sachen<br />

mehr. Ich werde suchen, Jeden ordentliche zu bedienen, verspreche billige Preise und<br />

bitte um gütigen Zuspruch. Ich wohne im Schnorrischen Hause in der Schuhstraße dem<br />

Julius-Plazze gegenüber. Gottfried Dengier." Im Frühjahr 1799 bietet er darüber hinaus<br />

noch "alle Tage frische gefüllte und ungefüllte Prilleken" an 84 )<br />

Ein wenig spät, aber immerhin, auch Helmstedt ging in diesem Punkt mit der Zeit. Ja,<br />

die Erfolgsaussichten wurden offensichtlich gar als recht gut eingeschätzt. Jedenfalls fanden<br />

sich recht bald einige Mitbewerber ein, so Christian Friedrich Lötsch (ca. 1764-1803)<br />

im Katersehen Hause der Ratswage gegenüber, (1801 nachzuweisen), Josef Johann Adelbert<br />

(1752-1806) (Niederlassung wohl 1803) und sein Sohn Georg Heinrich Adelbert (ca.<br />

1780--1847) Kornstraße (ab 1807). Und als Dengier 1801 stirbt, übernimmt nach kurzer<br />

Zeit sein Halbbruder Jakob Schönhuth (1802) das Geschäft. Ob diese Konditoren bereits<br />

vor 1809 ein echtes Cafe betrieben, kann aufgrund der mangelnden Quellen nicht gesagt<br />

HI) Dolf Kaiser: Fast ein Volk von Zuckerbäckern? Büdner Konditoren, Cafetiers und Hoteliers<br />

in europäischen Landen bis zum ersten Weltkrieg, Zürich 1985. Peter AI brech t, Dito Sa mmer:<br />

Cafe (vgl. Anm. 4)<br />

81) 26. 8. 1743 StA He: B VII 24/1 Nr. 1.<br />

82) Üblicherweise handelten diese Konditoren mit Zucker und zuckerhaItigen Produkten, z. B.<br />

mit Hamburger Zuckerbildern und kandierten Früchten aller Art. So auch der Konditor Schefer im<br />

Jahre 1769. Diese Konditoren waren dann auch Mitglied der Kramergilde. 26. 1.-2.3. 1769; auch 9.<br />

12. 1746 Kramergilde StA He: B VII 24:18 Nr. 2 vol. 2.<br />

8.1) 1745 StA He: B VII 9 Nr. 10; 2. 1. 1758 StA He: B VII 24/1 Nr. 2.<br />

84) Br Anz 80/1798, 7/1799, 2/1802.<br />

116<br />

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werden. Die aufgefundenen Anzeigentexte lassen beides ZU8S). Als ziemlich sicher kann<br />

dagegen gelten, daß wir hier tatsächlich die ersten wirklichen Konditoren vor uns haben.<br />

Dafür spricht zunächst einmal die im Jahre 1800 aufkommenden Streitigkeiten mit den<br />

Bäckern um die Abgrenzungen zwischen beiden Gewerben, ein Streit, der überall nach<br />

dem Auftreten der Konditoren beginnt. In Helmstedt wurde im übrigen recht salomonisch<br />

entschieden: Gest- (d. h. Hefe-) und Flachkuchen durften nur die Bäcker, aller Arten,<br />

Obst- und Topfkuchen nur die Konditoren herstellen. Auf die Herstellung von Torten,<br />

Baumkuchen, Kaffeebrot und vergleichbare Produkte hatten die Bäcker erst gar keinen<br />

Anspruch erhoben, hierbei handelte es sich ja gerade um die erst durch die Büdner<br />

neu eingeführten Leckereien KO ).<br />

Daß die Konditoren sich erst noch in der Helmstedter Gesellschaft etablieren mußten,<br />

dafür sprechen aueh ihre Klagen über ungerechtfertigte Gerüchte zum Nachteil ihres Gewerbes.<br />

Jacob Schönhuth 87 ) wurde nachgesagt, daß er sich an läßlich einer Reise auf<br />

Dauer entfernt habe, bei Friedrich Lötsch wissen wir leider nicht, warum er sich zu beklagen<br />

hatte. Er verband seine Klage aber geschickt mit einer Werbung, so daß seine<br />

Annonce hier vollständig wiedergegeben werden soll: "Da ich vernommen, daß übelgesinnte<br />

Menschen mir und meiner Nahrung sehr nachtheilige Gerüchte verbreitet haben;<br />

so halte ich es für Pflicht, dieselben dadurch zu widerlegen, wenn einem hoehzuverehrenden<br />

Publikum hiermit angezeigt wird: daß bei mir hier alle gewöhnlichen Sorten Konfitüren,<br />

Hamb(urger) Zuckerkuchen, Herrnhuter, Kaffeebrodt, Zuckerkringel und mehreres<br />

gutes Backwerk jederzeit zu haben ist. Auch besorge ich nach wie ehedem alle Bestellungen<br />

an Baumkuchen, Torten, Kuchen und dergl(eichen) auf eine schmackhafte und<br />

zierliche Art, und zwar für möglichst billige Preise; bitte daher ergebenst um geneigten<br />

Zuspruch. Meine Wohnung ist jetzt in dem Katersehen Hause, der Rathswaage gegenüber.<br />

Friedrich Lötsch, Konditor in Helmstädt"8Il).<br />

Allerdings, aus dem Engadin oder der übrigen Schweiz stammten die genannten Konditoren<br />

nicht, sie waren in der Mehrheit geborene Niedersachsen, die allenfalls ihr Gewerbe<br />

bei einem Schweizerbäcker erlernt hatten 89 ). Für sie ergab sich eine realistische<br />

Chance zur Existenzgründung nur in der Provinz, und das war Helmstedt am Ende des<br />

18. Jahrhunderts geworden. Im 18. Jahrhundert wurde in Helmstedt stets der Anschluß<br />

an neuere Entwicklungen verschlafen, das galt auch für die Universität aber auch - und<br />

das ist wohl durchaus symptomatisch - für den Umgang mit dem Getränk Kaffee. Um<br />

1700 durchaus noch in der Vorreiterrolle, wie man gar leicht bei einem Vergleich mit den<br />

Verhältnissen in <strong>Braunschweig</strong> zeigen kann, doch der Schritt zum ,Großen Kaffeehaus'<br />

mit seiner sich darin dokumentierenden Form der ,offenen Gesellschaft', der wurde in<br />

Helmstedt - und in vielen anderen kleinen Universitätsstädten - nicht mehr mitvollzo-<br />

8.') Sr Anz 83/1801, 2/1802, 35/1802, Hclmstedter Wochenblatt 31/1809.<br />

/l(,) 6. 10. 1800 Weitere Auseinandersetzungen 29. 10. 1804-1. 11. 1804,20. 2. 1808. StA He. B<br />

VII 24:1.<br />

117) He1mstedterWochenblatt 31/1809.<br />

811) Sr Anz 83/1801.<br />

119) Johann Gottfried Dengier ist laut Kirchenbuch ,Angeblich aus Schwaben gebürtig'.<br />

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117


gen. Hier waren Leipzig, Halle und Jena, alles wesentlich volkreichere Städte als Helmstedt,<br />

überlegen. Und das Universitätskaffee im Rohrschen Hause, an das sich ältere<br />

Helmstedter noch erinnern? Nun, das bestand nur in der Zeit von ungefähr 1930 bis 1950.<br />

Es wurde also nicht alt und war auch kein altes Cafe!9()<br />

118<br />

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9l) Adrcßbuch Helmstedt 1933, <strong>Braunschweig</strong>er Zeitung vom 4. 1. 1950.<br />

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Konserven- und Textilarbeiterinnen<br />

in der Region <strong>Braunschweig</strong><br />

um 1900*)<br />

Von<br />

Jette Piper<br />

Vorbemerkung<br />

Eng verknüpft mit diesem Thema ist die Frage nach Merkmalen und Strukturen weiblicher<br />

Fabrikarbeit zwischen 1890 und 1910. Bisher vorliegende überregionale Forschungsergebnisse<br />

sollen durch die Darstellung der Verhältnisse in <strong>Braunschweig</strong> und Umgebung spezifiziert<br />

werden, wobei sich das Interesse auf die hier in besonderem Maße angesiedelten<br />

typischen "Frauenindustrien" richtet: die Konserven- und Textilindustrie.<br />

Da es insbesondere zu den Erwerbsverhältnissen <strong>Braunschweig</strong>er Fabrikarbeiterinnen<br />

in dieser Epoche nur wenige Detailuntersuchungen gibt 1), ist das für dieses Thema<br />

relevante Schriftgut in den Archiven in Wolfenbüttel und <strong>Braunschweig</strong> weitgehend ungesichtet<br />

geblieben 2 ).<br />

Die vorliegende Untersuchung möchte einige in der Forschung bestehende Lücken<br />

schließen.<br />

') Gekürzte Fassung einer im Jahr 1987 im Historischen Seminar der Technischen Universität<br />

<strong>Braunschweig</strong> vorgelegten Staatsexamensarbeit mit dem Titel: "Probleme der berufstätigen Frau um<br />

1900".<br />

1) Bes. Bajohr, Stefan. Uneheliche Mütter im Arbeitermilieu: die Stadt <strong>Braunschweig</strong> 1900<br />

bis 1930. In GuG 7,1981, S. 474-526. Ders., Vom bitteren Los der kleinen Leute. Protokolle über den<br />

Alltag <strong>Braunschweig</strong>er Arbeiterinnen und Arbeiter 1900-1933. Köln 1984. Pollmann, Birgit. Zur<br />

Situation der Frauen im Herzogtum <strong>Braunschweig</strong> zwischen der Reichsgründung und dem 1. Weltkrieg.<br />

In: Pöls, W.lPollmann, K. E. Modeme <strong>Braunschweig</strong>ische Geschichte. Hildesheim 1982, S.<br />

124-149.<br />

2) Pollmann, B., s. Anm. 1, S. 124.<br />

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119


2. Frauenbranchen<br />

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a) Gründe, Tendenzen und Strukturen der geschlechtsspezifischen Aufspaltung des Arbeitsmarktes<br />

"Übrigens sind der Ausdehnung aller weiblichen Erwerbsthätigkeit gewisse natürliche<br />

Schranken gezogen. Abgesehen davon, daß die Mehrzahl der weiblichen Kräfte nach wie vor<br />

für die Aufgaben der Familie in Anspruch genommen wird, bleiben große Arbeitsgebiete den<br />

Frauen dauernd verschlossen, weil diese den zu stellenden physischen Anforderungen nicht<br />

gewachsen sind. (Daher) wenden sich Frauen ganz überwiegend solchen Zweigen zu, welche<br />

der hauswirtschaftlichen verwandt sind und den weiblichen Fähigkeiten und Neigungen besonders,<br />

denjenigen der Männer weniger entsprechen" 10).<br />

Abgesehen davon, daß diese Äußerungen den Zeitgeist um 1900 widerspiegeln, waren sie<br />

auch hilfreich, indem sie dazu beitrugen, Frauen in den kaum fortschrittsträchtigen Branchen<br />

wie der Textil- und Nahrungsmittelindustrie zu behalten, wogegen ausbaufreudige<br />

Zweige wie die der Stahl- und Maschinenbauindustrie reine Männerindustrien waren. Dieser<br />

"güterwirtschaftlich primäre Sektor" gliederte sich in die metallerzeugende und -vertreibende<br />

Industrie, den Maschinenbau, das Baugewerbe und die Elektrotechnik auf. Der<br />

entsprechende sekundäre Sektor umfaßte die Textil-, Bekleidungs- und die Nahrungsmittelindustrie,<br />

11) überproportional weiblich besetzte Branchen. Typisch für diesen sekundären<br />

Bereich innerhalb der Industriclandsehaft waren die "konjunkturell bzw. saisonal bedingte<br />

Instabilität der Güternachfrage, kleingewerbliche Betriebsgrößenstruktur und technologische<br />

Rückständigkeit, so daß diese Branchen auf eine arbeitsintensive Organisation<br />

der Produktion und die Rekrutierung möglichst billiger Arbeitskräfte angewiesen waren"<br />

12). Häufig waren dies Frauen, deren Einsatz damit begründet wurde, daß Männer<br />

"für diese Art der fraglichen Beschäftigung" ungeeignet waren. Sie waren zum einen zu<br />

teuer, zum anderen gaben diese sich für minderbezahlte Frauenarbeit selten her.<br />

Für viele Frauen bedeutete der Eintritt in eine dieser Industrien keine abrupte Abwendung<br />

von ihren bisher im elterlichen bzw. eigenen Haushalt verrichteten hauswirtschaftlichen<br />

Tätigkeiten, ledigleich der Arbeitsplatz und die Arbeitsorganisation hatten sich demgegenüber<br />

verändert 13).<br />

Der Frauenanteil in dem "schrumpfenden Wirtschaftsbereichen" der Konsumgüterindustrie<br />

14) nahm allmählich teilweise bis über die 50-%-Marke zu; dabei konzentrierten sich<br />

weibliche Arbeitskräfte in nur 32 Gewerbearten von insgesamt 167 Berufen im Jahr 1895,<br />

10) Pierstorff, Julius. Frauenarbeit und Frauenfrage. In: HdSt, Bd. 3, 2. Aufl., 1900, S. 1195-<br />

1244.<br />

11) Knapp, (s. Anm. 9), S. 396.<br />

12) Ebda, S. 397.<br />

13) Tilly/Scott. Familienökonomie und Industrialisierung in Europa. In: Honegger, Cl audia<br />

(Hrsg.). Listen der Ohnmacht. Zur Sozialgeschichte weiblicher Widerstandsformen. FrankfurtIM.<br />

1981, S. 117.<br />

14) Müller, Walter/Willms, Angelika. Strukturwandel der Frauenarbeit 1880-1980. FrankfurtIM.<br />

1983, S. 16.<br />

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121


ezogen auf Wirtschaftszweige, die mehr als 10.000 Frauen beschäftigten 15). Besonders<br />

die drei Branchen des Textil-, Bekleidungs- und Reinigungsgewerbes erhöhten ihren<br />

Frauenanteil drastisch von 41 ,8% imJahr 1882auf54,7% im Jahr 1925 16). Von allen in der<br />

Industrie beschäftigten Frauen arbeiteten 188280,2 % und 1925 63,5 % in den Frauenindustrien,<br />

17) und noch 1907 waren 80 % (= ca. 1,7 Millionen) Frauen in den Branchen Textil,<br />

Bekleidung, Reinigung und Nahrungsmittel tätig IR).<br />

Die Entwicklung der Frauenquote in einzelnen Branchen 19)<br />

1882 1895 1907 1925 (1970)<br />

LederrrextiV<br />

Bekleidung 34,1 % 42,7% 49,4% 52,9% 67,9%<br />

N ahrungl Genuß 20) 12,1 % 17,2% 22,3% 28,8% 37,7%<br />

Im Raum <strong>Braunschweig</strong> waren weibliche Arbeitskräfte am stärksten in Buchdruckereien,<br />

Zichorie- und Schokoladenfabriken, Zigarrenfabriken, Konservenfabriken, Hede-, Juteund<br />

Flachsspinnereien sowie in Zuckerfabriken beschäftigt 21).<br />

Die Konservenindustrie stellte arbeitskräftemäßig in <strong>Braunschweig</strong> den zweitgrößten<br />

Industriezweig dar und war der Hauptarbeitgeber für Frauen in dieser Region 22). Die Tex-<br />

15) Pierstorff (s. Anm. 10), S. 1201.<br />

16) Knapp(s.Anm.9),S.I60.<br />

17) Ebda, S. 162.<br />

18) Geyer, Anna. Die Frauenarbeit in Deutschland. Jena 1924, S. 27.<br />

19) Nach Müller/Willms (s. Anm. 14), S. 132.<br />

20) Darunter wurden aufgeschlüsselt (nach d. Jberr. d. Gewerbeaufsichtsbeamten ... f. d. J.<br />

1901, S. 22 f): Rohzuckerfabriken, Zuckerraffinerien, Zigarrenfabriken, Konserven- und Zichorienfabriken,<br />

Getreidemühlen, Meiereien, Molkereien, Bäckereien, Konditoreien (s. Anm. 7).<br />

21) In der hier zugrundeliegenden Quelle wurden nur Betriebe mit mehr als 10 Beschäftigten<br />

berücksichtigt. "Anstellung von Erhebungen über die vom ßundesrath beschlossenen Programmpunkte<br />

zu Fragen der Erweiterung des Gesetzlichen Schutzes der in Fabriken beschäftigten Frauen<br />

und Minderjährigen." 1874-1878. (Niedersächs. Staatsarchiv Wolfenbüttel; künftig: Nds. StA W, 133<br />

Neu 749).<br />

22) Boll, Friedhelm. Massenbewegungen in Niedersaehsen 1906-1920. Eine sozialgeschichtliche<br />

Untersuchung zu den unterschiedlichen Entwicklungstypen <strong>Braunschweig</strong> und Hannover. Bonn<br />

1981. S. 39; "Aus der Chronik des Hauses A. W. Querner <strong>Braunschweig</strong>" 1929 (Stadtarchiv <strong>Braunschweig</strong>,<br />

B 11967; künftig: StA BS).<br />

Zu den Konservenfabriken um 1900 in <strong>Braunschweig</strong>gehörten: Aktiengesellschaft, Böttcher, "<strong>Braunschweig</strong>",<br />

"Brunsviga", Busch & Barnowitz, Carsten Aktiengesellschaft, Casper, Crasmi, Daubert,<br />

Falk, GemÜsebau-Verein. Gerlach, Gäbel & Co., Grunsfeld, Hammer, Hahn & Co., Hahn, Hinze,<br />

Karges, Keune, Knopf & TeIge, Konservenfabrik GmbH, Koch, Krone & Co., Kuthenau, Lampe,<br />

Lange, Mandel, Meinecke, Neumann, Oertel, Pillmann, Quemer, Schacht, Schell bach , Selwig,<br />

Struck & Co., Wittnebe. (Zusammenstellung nach Bettgenhaeuser; Jberr. der Gewerbeaufsichtsbeamten;<br />

"Denkschrift betreffend die Verhältnisse, Mißstände und Ungesetzlichkeiten in den Fabriken<br />

und Heimarbeitsstätten der Konserven-Industrie", für das Hzm. Braunsehweig [Hrsg. v. Fabrikarbeiterverband<br />

<strong>Braunschweig</strong> 1906; StA W, 19 B Neu 68]) (s. Anm. 6,7).<br />

122<br />

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den weiblichen Erwerbstätigen von 21 % im Jahr 1882 auf 36,2 % im Jahr 1980 31 ). In dem<br />

uns interessierenden Zeitraum war die Erwerbsarbeit verheiratctcr Frauen zum großen<br />

Teil auf die Mitarbeit im Familicnbetrieb beschränkt. Der Erwerbszwang in der Ehe erhöhte<br />

sich mit der Zahl der Kinder in einer Familie 32).<br />

1907 arbeiteten insgesamt 4 Millionen Ehefrauen sowohl in Familienbetrieben wie<br />

auch außerhäuslich. Dies bedeutete seit 1895 eine Steigerung der Quote um 14,2 % 33). Im<br />

sei ben Jahr waren 2,5 Millionen Witwen erwerbstätig, knapp die Hälfte aller verwitweten<br />

Frauen im Deutschen Reich. Die meisten ledigen crwerbstätigen Frauen waren aus dem<br />

Landproletariat in das Industrieproletariat übcrgewechselt, eine Tendenz, die zwischen<br />

1900 und 1913 anhielt. Einen großen Anteil an den ledigen Industriearbeiterinnen machten<br />

zudem ausgeschiedene Dienstbotinnen aus 34 ).<br />

Daß der Anteil verheirateter Frauen unter den Industriearbeiterinnen um 1900 anstieg,<br />

hing mit dem Arbeitskräftebedarf in den Frauenindustrien zusammen; denn wo es<br />

möglich war, hattcn Industriclle bis zu diesem Zeitpunkt auf die Einstellung von Ehefrauen<br />

in ihre Betriebe verzichtet, weil sie zunächst nicht bereit waren, auf deren familiären Verpflichtungen<br />

in Form von Arbeitszeitverkürzung oder unregelmäßiger Arbeitszeiteintcilung<br />

Rücksicht zu nehmen 35).<br />

Anteil der Erwerbstätigen an den Erwerbsfähigen eines Geschlechts 36)<br />

1882 1895 1907 (1980)<br />

Weib!. Erwerbsquote<br />

unter allen Erwerbstät. 24% 25% 30% 30%<br />

Anteil d. Frauen<br />

im erwerbsfähigen Alter 37,5% 37,4% 45,9%37) 52,9%<br />

Anteil d. Männcr<br />

im erwerbsfähigen Alter 95,5% 95,0% 95,2% 86,4%<br />

Anteil d. Ehcfrauen an marktbezogen<br />

erwerbst. Frauen 10.2% 11,9% 14,8% 57,0%<br />

Anteil d. Frauen in Industrie u.<br />

Handw. an allen weib!.<br />

Erwerbst. 12,8% 16,8% 19,5% 31,3%<br />

31) Müller/Willms (s. Anm. 14), S. 37; Si mon, Hclene. Der Anteil der Frau an derdt. Industrie<br />

nach den Ergebnissen der Berufszählung Y. 1907. Jena 1910. S. 74; Statistisches Bundesamt<br />

(Hrsg.). Bevölkerung und Wirtschaft. Langfristige Reihen. 1871-1957. Bonn 1972, S. 33.<br />

32) Simon (s. Anm. 31), S. 74.<br />

33) Ebda, S. 7. Hier wurden marktbezogene u. familiale Mitarbeit Y. Frauen zusammengefaßt.<br />

34) Geyer (s. Anm. 18), S. 12.<br />

35) Müller/Willms (s. Anm. 14), S. 125.<br />

36) Tabelle nach Müller/Willms (s. Anm. 14), S. 35; erarbeitet nach: Statistisches Bundesamt<br />

(s. Anm. 31), S. 140.<br />

37) Hier wurden die mithelfenden Familienangehörigen stärker berücksichtigt.<br />

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Die Erwerbsstrukturen bei verheirateten Frauen stellten sich wesentlich anders dar als bei<br />

ledigen Frauen, die Verschiebung der Arbeitsplätze aus dem familiären Rahmen hinaus<br />

setzte bei verheiraten Frauen später ein 38).<br />

11. Erwerbsbeteiligung von Frauen - Arbeitsalltag<br />

1. Strukturen und Spezifika weiblicher Erwerbsarbeit im Deutschen Reich<br />

Die Manifestierung des geschlechtsspezifisch segregierten Arbeitsmarktes - sowohl bezüglich<br />

möglicher Berufe für Frauen als auch hinsichtlich der innergewerblichen Hierarchie<br />

von Positionen und ihrer Verteilung - erfolgte bereits in der "Ausbildungs"-phase junger<br />

Frauen. Oft erwies sich ihre Ausbildung beispielsweise in Form einer Lehre als wesentlich<br />

wertloser, verglichen mit der eines Knaben. Während diese in der Regel eine 3- bis 4-jährige<br />

Lehrzeit absolvierten, verkürzte sich diese Phase bei Mädchen auf ein paar Wochen.<br />

Hinzu kam, daß viele Töchter aus Proletarierfamilien in die Fabriken geschickt wurden<br />

zum Geldverdienen, obwohl sie geneigt und befähigt gewesen wären, ihren Bildungsweg<br />

fortzusetzen. Die Aussicht, in absehbarer Zeit ohnehin zu heiraten, ließ eine kostspielige<br />

Ausbildung für Mädchen gerade in ärmeren Familien als Verschwendung von Geld erscheinen.<br />

So erfolgte eine Berufs" wahl" in vielen Fällen überhaupt nicht; der Eintritt in ein<br />

Arbeitsverhältnis war oft davon abhängig, in welcher nahege1egenen Fabrik die Arbeitsaufnahme<br />

möglich war 39 ).<br />

So ergab die Berufszählung von 1907 bei den Industriearbeiterinnen eine Gesamtzahl<br />

von knapp 1,5 Millionen, wobei die Ungelernten einen Anteil von gut 800.000 Frauen ausmachten<br />

40 ). Gelernte Arbeiterinnen fanden sich häufig in Spinnereien, Webereien und<br />

vorwiegend Berufen, die als spezifisch weiblich galten. Strukturmerkmal dieser Frauenbranchen<br />

war zudem, daß die Heimarbeit florierte.<br />

,,viele der in diesen Erwerbszweigen beschäftigten gelernten Arbeiterinnen (gehören) zu<br />

Heimarbeitsbetrieben und (beziehen) gewiß nicht Löhne, ... durch die sie in eine höhere<br />

soziale Schicht gehohen werden"41).<br />

Die Zahl der ungelernten Arbeiterinnen nahm seit 1895 schneller zu als die der gelernten,<br />

was zum einen an der mangelhaften Ausbildungssituation für Frauen lag 42 ). Zum anderen<br />

wurde dieser Anstieg verursacht durch die zunehmende Mechanisierung in der Industrie,<br />

die zu einer Dequalifizierung von Arbeitsprozessen per Hand führte. Frauen machten dabei<br />

22-27% aller ungelernten, jedoch nur 13-16% aller gelernten Arbeitskräfte je nach<br />

38) Müller/Willms (s. Anm. 14), S. 5.<br />

39) Knapp (5. Anm. 9), S. 390 ff.<br />

40) Scharf, Gertrud; Die gelernten und ungelernten Arbeiterinnen im Deutschen Reich nach<br />

der Berufszählung vom 12. 6. 1907. In: Die Frau, Bd. 18, 1910/11, S. 334.<br />

41) Ebda, S. 335.<br />

42) Ebda, S. 336.<br />

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125


Branche aus 43 ). In den 19 der knapp 30 Frauenberufe "herrschte die ungelernte Arbeit<br />

vor"44).<br />

Besonders verheiratete und verwitwete Frauen waren auf "wenig professionalisierte,<br />

unspezialisierte und instabile Tätigkeiten verwiesen"45). Die damit verbundene schwache<br />

Position von Arbeiterinnen am Arbeitsmarkt erlaubte es Arbeitgebern, gerade bei ihren<br />

Arbeitsplätzen die Anforderungen hinsichtlich der Arbeitsbelastungen in die Höhe zu<br />

schrauben 46). Frauen waren durch Faktoren, die sie selbst nicht beeinflussen konnten, in<br />

vielerlei Hinsicht auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt.<br />

Die vertikale Arbeitsplatzzuordnung erfolgte nach denselben Prinzipien wie die beschriebene<br />

horizontale Auf teilung. So stellten beispielsweise die Frauen in der Textilindustrie<br />

im Jahr 1907 54,1; der Arbeiterschaft, jedoch nur 9,8 % der Angestellten. In der Nahrungsmittelbranche<br />

waren es entsprechend 23,8 % und 8,9 % 47). Gerade diese "strukturell<br />

schrumpfenden Branchen" verließen Männer als Arbeiter schneller als Angestellte 4R).<br />

Vergleichbar waren die Verhältnisse in der <strong>Braunschweig</strong>er Industrie, bezogen auf<br />

alle Industriezweige.<br />

Frauenerwerbsbeteiligung in der Industrie im Herzogtum <strong>Braunschweig</strong> 49 )<br />

Selbständige (Hausindustrie )<br />

Angestellte<br />

Arbeiterinnen<br />

1895<br />

23,1 %<br />

1,2%<br />

10,4%<br />

1907<br />

17,7%<br />

4,9%<br />

14,2%<br />

Von den hiererfaßten 3.082 verheirateten Frauen waren 859 in derTextilbranche und 2.059<br />

in der Nahrungsmittelindustrie beschäftigt, wobei diese in der Mehrzahl nur während der<br />

Kampagne in der Zucker- bzw. Konservenindustrie tätig waren 50). Die "Küchenarbeiten"<br />

in den Konservenindustrien blieben überwiegend Frauen über 50, mitunter über 70 Jahren<br />

vorbehalten 51).<br />

43) Knapp (s. Anm. 9), S. 163.<br />

44) Simon, Helene (5. Anm. 31), S. 33.<br />

45) Knapp (s. Anm. 9), S. 60. Wie oben erläutert wurde, ist immer zu berücksichtigen, daß sich<br />

der Begriff "gelernte Arbeiterin" bei weiblichen Gelernten unterschied von dem bei den männlichen<br />

gelernten Arheitern.<br />

46) Ebda, S. 434.<br />

47) Müller/Willms (s. Anm. 14), S.148.<br />

4l!) Ebda, S. 148 f.<br />

49) Beiträge zur Statistik des Herzogtums <strong>Braunschweig</strong>, Bd. XXV, 1911. Tab. V, S. 42 f.<br />

50) Der Fragehogen zur Erwerhstätigkeit verheirateter Frauen ist nehen den Ergehnissen ahgedruckt<br />

in: Jber. d. Gewerbeaufsichtsbeamten ... f. d. Jahr 1899, S. 8-12 u. S. 38 f. Hier S. 11 (5. Anm.<br />

7).<br />

51) Schreihen des "Vereins d. Konservenfahrikanten <strong>Braunschweig</strong>s und Umgegend" an das<br />

Brschwg. Staatsministerium v. 3. 2.1906, (Nds. StA W, 133 Neu 751).<br />

126<br />

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Männer hierfür einzustellen hieß die "Konkurrenz mit dem Ausland zu erschweren"52),<br />

da die Produktionskosten ansteigen würden. Diese Kostenkalkulation jedoch<br />

konnten die Fabrikanten verdecken.<br />

"Versuche, Manner zu diesen leichteren Arbeiten (Gemüse putzen, Dosen spülen; Anm.<br />

d. Verf.) heranzuziehen, sind stets mißlungen, da ihnen die hierzu erforderliche leichte, gewandte<br />

und geübte Hand fehlt"5J).<br />

Gerade verheiratete Frauen arbeiteten zu extrem niedrigen Löhnen, ein Umstand, mit<br />

dem sie sich resigniert abfanden, da für sie Erwerbsarbeit in der Regel nur einen zweitrangigen<br />

Charakter besaß 54) . Sie wurden bevorzugt in arbeitsintensiven Industriezweigen wie<br />

der Konservenindustrie oder dem Reinigungsgewerbe eingestellt. Gemeinhin galten sie als<br />

arbeitswilliger wegen der Verpflichtung, eine Familie versorgen zu müssen 55). Dadurch<br />

wurden sie gern als Erzieherinnen der jüngeren Arbeiterinnen verwendet 56). Die Lage, in<br />

der sich verheiratete Fabrikarbeiterinnen befanden, war von Sachzwängen geprägt und<br />

hatte zur Folge, daß "reife Frauen, Gattinnen und Mütter ... halbwüchsige Knaben sowohl<br />

bezüglich der Löhne als auch der Persönlichkeitsrechte (unterboten)" 57).<br />

Das Konzept der "Billigkeit und Willigkeit" erwerbstätiger Frauen gerade in der Industrie<br />

barg keinerlei Notwendigkeit für maßgebliche Personen in Wirtschaft und Politik in<br />

sich, der Ausbildung und Qualifizierung von Frauen mehr Aufmerksamkeit zu schenken;<br />

Clara Zetkin drückte es etwas drastischer aus, als sie schrieb, weibliche "Genügsamkeit<br />

(sei) ja die Quelle fetter kapitalistischer Profite"5R).<br />

Frauenarbeit in marktbezogenen Zusammenhängen blieb nur da unangefochten, wo<br />

sie billig und männerunwürdig war. In anderen Männern vorbehaltenen Gewerbezweigen<br />

oder höheren Positionen wurden Frauen als lästige Konkurrenz oder Lohndrückerinnen<br />

empfunden. Je stärker die Sachzwänge waren, die eine Frau - und hier besonders die unverheiratete<br />

Mutter und die Witwe - zur Lohnarbeit drängten, desto schwächer war ihre<br />

Verhandlungsposition am Arbeitsmarkt 59).<br />

52) "Anstellung von Erhebungen ... " (s. Anm. 21).<br />

53) Schreiben des Vereins der Konservenfabrikanten vom 3.2.1906 (s. Anm. 51).<br />

54) Müller/Willms (s. Anm. 14), S. 31.<br />

55) Geyer (s. Anm. 18), S. 48.<br />

56) Lange, Helene/B ä u mer, Gertrud. Handbuch der Frauenbewegung. Bd. 4. Berlin 1902, S.<br />

195 f.<br />

5') Simon (s. Anm. 31), S. 31.<br />

58) Zetkin, Clara. Schwierigkeiten der gewerkschaftlichen Organisation der Arbeiterinnen.<br />

1898/1901. In: Brinker-Gabler, Gisela (Hrsg.) Die Frau in der Gesellschaft. Frühe Texte. Frauenarbeit<br />

und Beruf. FrankfurtIM. 1979. S. 149-168, hier S. 152.<br />

59) Do h m, Hedwig. Emanzipation. Hrsg. v. Bookhagen, Renate. Zürich 1977; S. 11.<br />

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2. Berufszählungen und der Anteil von erwerbstätigen Frauen in einzelnen<br />

Branchen<br />

Bei den im folgenden als Quellen herangezogenen Berufszählungen der Jahre 1882, 1895<br />

und 1907 handelte es sich um "Vollerhebungen in allen Haushalten des Deutschen Reiches"<br />

60). Unter Berücksichtigung einiger Mängc\ stellen sie eine wichtige Datenbasis zur<br />

Aufschlüsselung der Erwerbsverhältnisse dar. Gerade hinsichtlich der Erfassung von<br />

Frauenerwerbstätigkeit weisen die Erhebungen der Jahre 1882 und 1895 Fehler auf; mithelfende<br />

Familienangehörige wurden in beiden Zählungen untererfaßt. Erst 1907 ergab<br />

eine Neudefinition dieser Gruppe von Beschäftigten eine erhöhte Quote, die jedoch noch<br />

immer als zu gering veranschlagt werden kann 61 ). Als ebenfalls untererfaßt kann die saisonale<br />

Arbeit betrachtet werden, genauso betroffen sind die Gelegenheitsarbeiten, Aushilfstätigkeiten<br />

und die Heimarbeit 62 ). Heimarbeiterinnen wurden den Fabrikarbeiterinnen<br />

zugeordnet, so daß eine Trennung dieser beiden Gruppen nur in einzelnen Fällen noch<br />

möglich ist 63 ).<br />

Des weiteren beschränkten sich die Erhebungen auf die Zählung der 15- bis 6O-jährigen<br />

Erwerbspersonen 64), Gewerbeaufsichtberichte hatten jedoch nicht unerhebliche Quoten<br />

Erwerbstätiger innerhalb der ausgesparten Altersstufen festgestellt. Von all diesen<br />

Fehlerquellen abgesehen, wurde gerade die Frauen-Erwerbslosigkeit noch häufig aufgrund<br />

ihres Charakters als vorübergehende Lohnarbeit unterschätzt. Dies haben zeitgenössische<br />

Nachuntersuchungen ergeben 65).<br />

Regional überproportional hohe Quoten von Frauen, die außerhäuslich oder in Heimarbeit<br />

beschäftigt waren, fanden sich überall dort, wo Frauenindustrien angesiedelt waren<br />

66),so auch in <strong>Braunschweig</strong>. Hier konnten sich verhältnismäßig viele Frauen in unattraktive<br />

und z. T. unqualifizierte Arbeitsplätze mittels niedriger Lohnwartungen sowie der<br />

Bereitschaft zur Heimarbeit "einkaufen" 67).<br />

In der Textilbranche, bezogen auf das Reich, beschäftigten 1895 7.668 Fabriken<br />

Frauen, 1907 waren es 12.093 Anlagen. Der größte Anteil der Arbeiterinnen war zwischen<br />

16 und 25 Jahre alt. In der Nahrungsmittelindustrie existierten im Jahr 1895 reichsweit<br />

6() Müller/Willms (s. Anm. 14), S. 18.<br />

61) Geyer, S. (s. Anm. 18), S. 7; Mül ler/Willms (s. Anm. 14), S. 21, 34: Die "Besorgungdes<br />

Hauswesens" wurde nicht als Arbeit angesehen. Heute geht man davon aus, daß ca. 3,4 aller verheirateten<br />

Frauen aus der Landwirtschaft dort als mithelfende Angehörige tätig waren. In diesen Berufszählungen<br />

war die Auslegung von "Hauptberufstätigkeit" sehr eng gefaßt, so daß die Erwerbstätigkeit<br />

vieler z. B. in Lohnarbeiten wechselnder Art beschäftigter Frauen untererfaßt wurden.<br />

62) Müller/Willms (s. Anm. 14), S. 22.<br />

63) Ebda, S. 28.<br />

64) Ebda, S. 31.<br />

65) Knapp (s. Anm. 9), S. 254 ff.<br />

66) Ebda, S. 256.<br />

67) Ebda, S. 256.<br />

128<br />

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6.027 Betriebe, 1907 waren es 11.876 Anlagen. Hier war der größte Teil der beschäftigten<br />

Frauen älter als 21 Jahre 6ll ).<br />

Von allen erwerbstätigen Frauen waren in der Industrie und im Handwerk beschäftigt:<br />

5.6.1882<br />

14.6.1895<br />

12.6.1907<br />

22,1 %<br />

24,5%<br />

23,0%<br />

Landwirtschaft: 44.5%<br />

40,5%<br />

47,0%69)<br />

In der Textil- und Nahrungsmittelbranche fanden sich folgende Ausbildungsverhältnisse:<br />

70) (1895-1907)<br />

Textil<br />

Nahrung/Genuß<br />

GelcrnteA.<br />

Zunahme<br />

+ 9%<br />

+51 %<br />

Unge\ernteA.<br />

Zunahme<br />

+56%<br />

+73%<br />

Besonders in der Nahrungsmittelindustrie war der Anstieg der ungelernten weiblichen<br />

Beschäftigten immens, etwas geringcr fiel der Zuwachs unter den gelernten Arbeiterinnen<br />

aus - was auch immer unter "gelernt" erfaßt worden war in Anbetracht der sehr kurzen<br />

"Ausbildungs"phase von Frauen.<br />

In der Textilindustrie war die Diskrepanz zwischen dem Anstieg gelernter und ungelernter<br />

weiblicher Beschäftigter sehr deutlich.<br />

Um die Verweihliehung der heiden Branchen darzustellen, können Daten der Berufszählungen<br />

herangezogen werden:<br />

Frauenanteil in einzelnen Branchen 71)<br />

Textil<br />

Nahrung/Genuß<br />

1882<br />

42,3%<br />

12,1 %<br />

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1895<br />

47,2%<br />

17,2%<br />

1907<br />

50,2%<br />

22,3<br />

(1970)<br />

57,9<br />

37,7%<br />

Unter allen Frauen im Deutschen Reich stellten die sog. "Angehörigen ohne Hauptberuf"<br />

die größte Gruppe. Erwerbstätige Frauen machten die zweitgrößte Gruppe aus;<br />

berufslose Selbständige und Dienende sind aus der Betrachtung herausgenommen. Im<br />

Vergleich mit den Verhältnissen in der männlichen Bevölkerung lassen sich diametrale<br />

68) Statistisches Jahrbuch f. d. Deutsche Reich 1896-1909. Hrsg. vom Kaiserl. Statistischen Amt<br />

Berlin 1896ff.; hierbes. f. d. Jahr 1895 (hrsg. 1907),S. 40f.,f. d. Jahr 1907 (hrsg. 1909), S. 76ff.<br />

69) Tabelle nach Stat. Bundesamt, Langfristige Reihen, S. 30 (s. Anm. 31). Im Jahr 1907 wurden<br />

die mithelfenden Familienangehörigen stärker miterlaßt. Nur dadurch ist die höhere Zahl der in der<br />

Landwirtschaft Beschäftigten zu erklären, da die Zahl ansonsten zurückging.<br />

70) Scharf, G. (s. Anm. 40), S. 336.<br />

71) Nach Müller/Willms (s. Anm. 14), S. 10,178; Das Bekleidungsgewerbe und das Gesundheitswesen<br />

waren z. T. noch stärker feminisiert.<br />

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129


Gegensätze in der geschlechtsspezifischen Zuordnung zu den beiden benannten Gruppen<br />

feststellen 72):<br />

1882 1895 1907<br />

weibl. männl. weib\. männl. weib\. männ\.<br />

Angehörige<br />

o.Hauptberuf 68,2% 31,8% 68,7% 31,3% 67,4% 32,6%<br />

Erwerbstätige 25,5% 74,5% 22,7% 77,3% 29,1 % 70,9%<br />

Für das Herzogtum <strong>Braunschweig</strong> stellt sich die Situation leicht verschoben dar wegen<br />

seines relativ hohen Anteils an Frauenindustrien, insbesondere der Konservenindustrie.<br />

Berufsgruppenzuordnung von Frauen im Herzogtum <strong>Braunschweig</strong> im Jahre 1907 73 )<br />

Anz.d Frauenquote % der erwerbst.<br />

Frauen in d. Branche Frauen<br />

Industrie 6.639 21,3% 36,4%<br />

Handel/<br />

Verkehr 3.037 24,5% 16,6%<br />

Häusl. Dienste 1.321 81,3% 7,2%<br />

Öff. Dienste<br />

freie Berufe 1.284 18,4% 7,1 %<br />

Erwerbst. o.<br />

Hauptberuf 5.574 55,8% 30,5%<br />

Sa. 18.258* 27,5%*<br />

(* Diese Summenzahl bzw. Durchschnittsprozentzahl ergibt sich aus den angegebenen Ziffern<br />

sowie nicht genannter Zahlen von erwerbstätigen Frauen in anderen Berufsgruppen.)<br />

Mit 27,5 % Erwerbsbeteiligung machten die Frauen im Herzogtum <strong>Braunschweig</strong> einen<br />

überdurchschnittlichen Anteil aus, gemessen am Reichsmittel. Besonders in der<br />

Konservenindustrie, in der Frauen vorwiegend als Saisonarbeiterinnen Beschäftigung fanden,<br />

verzehnfachte sich ihre Zahl zwischen 1874 und 1900 auf 5.400 Beschäftigte 74).<br />

An der folgenden Aufstellung ist der Frauenanteil in der Textil- und Konservenindustrie<br />

im Herzogtum <strong>Braunschweig</strong> ablesbar 75 ).<br />

72) Beiträge zur Statistik des Hzms. <strong>Braunschweig</strong>, Bd. 25, 1911. Tab. 13 (f. d. Deutsche Reich)<br />

(s. Anm. 75).<br />

73) B 0 11 (s. Anm. 22), S. 4R. Die Angaben beziehen sich nicht auf weibliche Beschäftigte in der<br />

Landwirtschaft.<br />

74) Pollmann, B. und K. (s. Anm. 3), S. 95 ff. Da die Berufszählung von 1907 geringere Zahlen<br />

für die Konservenarbeiterinnen aufweist, ist davon auszugehen, daß hier nicht die während der Kampagne<br />

erreichten Spitzen der Beschäftigtenzahlen zugrunde liegen.<br />

75) Statistisches Bureau des Herzoglichen Staatsministeriums (Hrsg.). Beiträge zur Statistik des<br />

Hzms. <strong>Braunschweig</strong>. Bd. 13 (<strong>Braunschweig</strong> 1R9R), Tab. I, Bd. 25 (<strong>Braunschweig</strong> 19(8), Tab. I.<br />

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Textil<br />

1895 1907<br />

Anzahl Anzahl<br />

d. Frauen in% d. Frauen in%<br />

Seihständige<br />

Erwerbst. 93 19,5% 53* 28,2%<br />

Angestellte 2 1,4% 16 7,4%<br />

Lohnarbeiterinnen<br />

2.061 62,1 % 2.411 62,9%<br />

(* dieser prozentuale Anstieg selbständiger Frauen entspricht in absoluten Zahlen einem Abfall<br />

dieser Erwerbstätigenzahl. Unter diesen zumeist Hausindustrie-Treibenden sind die Männer<br />

anteilsmäßig zurückgegangen, Frauen hingegen verblieben, wobei ihre Zahl nur langsam<br />

abnahm)<br />

Nahrung/Genuß<br />

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1895 1907<br />

Anzahl Anzahl<br />

d. Frauen in% d. r.rauen in%<br />

Selbständige<br />

Erwerbst. 94 3,9% 127 4,5%<br />

Angestellte 14 1,9% 63 5,7%<br />

Lohnarbeiterinnen<br />

1.671 20,5% 3.152 32,6%*<br />

(0 Die hier geringere Zahl als die oben im Text erwähnten 5.400 weiblichen Bcschäftigtcn in<br />

der Konservenindustrie ist möglicherwcise mit unterschiedlichen Zeitpunkten der Zählung<br />

zu begründen bzw. kunjukturellen Schwankungen während der Kampagnen.)<br />

Die Zahl außerhäuslich erwerhstätiger Frauen schwankte im Verlauf eines Betriehsjahres<br />

beträchtlich. Die Berufszählungen für das Deutsche Reich fanden jeweils im Juni statt,<br />

einer Zeit, in der die Kampagne in der Konservenindustrie kulminierte. Die Zahl der Konservenarbeiterinnen<br />

stieg im Vergleich zu den Wintermonaten um das Fünffache 76 ). Unstimmigkeiten<br />

bei den Zahlen erfaßter Konservenarbeiterinnen entstanden durch die unterschiedlichen<br />

Zeitpunkte der Erhebungen. Eine Zählung des Reichsamts des Innern am<br />

1. 10. 1902 ermittelte für <strong>Braunschweig</strong> 31 Bertriehe mit 2283 Arbeiterinnen; der Fabrikar-<br />

76) "Gewerbliche Anlagen, besichtigt gelegentlich der In. Versammlung des Deutschen Vereins<br />

für öffentliche Gesundheitspflege;", 1890. (StA BS, B I 2709). Zur Nachprüfung dieses Sachverhalts<br />

können auch die Berichte der Ortskrankenkasse für die Konservenarbeiterinnen und -arbeiter herangezogen<br />

werden. ("Die Ortskrankenkasse der Arbeiter in Conscrvenfahrikan"; StA BS, D IV 5353).<br />

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131


eiterverband (FA V) wies in seiner Denkschrift 77) für dasselbe Jahr 44 Betriebe mit 8.300<br />

Arbeiterinnen während der Kampagne aus.<br />

In der Textilindustrie waren die Arbeiterinnen hingegen kaum saisonalen Schwankungen<br />

ausgesetzt. Die Zahl weiblicher Beschäftiger etwa in der "<strong>Braunschweig</strong>ischen Actiengeseilschaft<br />

für Flachs- und Jute-Industrie" stieg kontinuierlich von 1878/79 mit 850 Arbeiterinnen<br />

und Arbeitern bis 1890 mit 1185 weiblichen und 475 männlichen Beschäftigten.<br />

Zusätzlich waren in diesem Jahre 200 Frauen in Heimarheit als Sackniiherinnen beschäftigt<br />

78).<br />

Über Alter und Familienstand der Arheiterinnen läßt sich anhand des "Ersten Jahresberichts<br />

des Arbeitersekretariats <strong>Braunschweig</strong>" von 1908 folgendes feststellen 79):<br />

Verheir.lverwitw. ledig<br />

Spinnerei<br />

(175 Befragte) 62 (36,1 %) 110 (63,9%)<br />

Konserven<br />

(74 Befragte) 52 (71,2%) 21 (28,8%)<br />

Spinnereiarbeiterinnen beendeten häufig nach ihrer Heirat ihre Erwerbsarbeit. Konservenarbeiterinnen<br />

hingegen waren zum überwiegenden Teil verheiratet oder verwitwet.<br />

Diese Strukturen werden noch deutlicher bei Hinzunahme der Ergebnisse des Jahresberichtes<br />

hinsichtlich der Altersgruppen-Zuordnung 80 ).<br />

unter20 20--24 25-29 30--34 35-39 40--44<br />

Spinnerei<br />

(175 Befragte) 60 32 17 10 10 15<br />

Konserven<br />

(74 Befragte) 7 5 3 6 7 12<br />

77) Verband der Fabrik-, Land- und Hilfsarbeiter und Arbeiterinnen Deutschlands (Hrsg.).<br />

"Denkschrift, betreffend die Verhältnisse, Mißstände und Ungesetzlichkeiten in den Fabriken und<br />

Heimarbeitsstätten der Konservenindustrie unter besonderer Berücksichtigung der im verflossenen<br />

Jahre 1905 im Herzogtum und in der Stadt <strong>Braunschweig</strong> offen und oft begangenen Übertretungen der<br />

§ 137 der Reichsgewerbeordnung resp. der Verordnung des Bundesrats vom 11. 3. 1898." <strong>Braunschweig</strong><br />

1906 (Nds. StA W, 19 B Neu 680).<br />

78) Bornstedt, Wilhelm. Chronik von Vechelde. 0.0., o. J. Bd. 2; Darin: Paes, Richard.<br />

Industrie an der Aue. S. 251-277. Hier S. 263; "Gewerbliche Anlagen, besichtigt ... " (s. Anm. 76), S.<br />

6.<br />

79) Arbeitersekretariat <strong>Braunschweig</strong>. 1. Jahresbericht für die Zeit vom 1. Okt. 1906 bis zum 31.<br />

Dez. 1907. <strong>Braunschweig</strong> 1908. S. 98 f., 106f. Den Angaben liegt eine Befragung von 175 Spinnereiarbeiterinnen<br />

zugrunde.<br />

SO) 1. Jahresbericht ... (s. Anm. 79), S. 98 f., 106f.; vgl. Boll (s. Anm. 22), S. 51: In <strong>Braunschweig</strong><br />

waren 42,1 % der Textilarbeiterinnen und 61,2 % der Arbeiterinnen in der Nahrungsmittel­<br />

Industrie verheiratet.<br />

132<br />

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a) Konservenindustrie<br />

Die Arbeitsverhältnisse in der Konservenindustrie waren stark geprägt von der Dauer und<br />

dem Umfang der Erntemöglichkeiten in der Landwirtschaft. So variierten diezu leistenden<br />

täglichen Arbeitszeiten von Monat zu Monat, oft von Tag zu Tag.<br />

Im Durchschnitt arbeiteten Konservenarbeiterinnen knapp 60 Stunden pro Woche,<br />

ebenso viel wie ihre männlichen Kollegen 85). Dabei war für die meisten Frauen ihre Arbeit<br />

nach Fabrikschluß, wenn sie nach Hause kamen, noch nicht beendet. Abgesehen von der<br />

ohnehin langen Arbeitszeit von über 10 Stunden am Tag kamen während der Kampagne<br />

noch zahlreiche, teils bewilligte, teils von den Fabrikanten illegal angeordnete Überstunden<br />

hinzu. Zwar schrieb die Gewerbeordnung vor, daß Arbeiterinnen<br />

"in Fabriken nicht in der Nachtzeit von 8 Y2 Uhr Abends bis 5 Y2 Uhr Morgens und am Sonnabend<br />

sowie an Vorabenden von Festtagen nicht nach 5 Y2 Uhr Nachmittags beschäftigt werden"<br />

durften Hfi ), um den Frauen die "Besorgung ihres Hauswesens" zu ermöglichen, doch berichtete<br />

der Gewerberat sehr häufig von Fällen behördlich genehmigter Ausnahmen von<br />

dicser Rcgelung sowie von illegal geleisteter Überarbeit außerhalb der vorgeschriebenen<br />

Arbeitszeiten. Die nicht bekanntgewordenen Fälle von Überarbeit dürften in ihrem Ausmaß<br />

die Daten der Gewerbeaufsichtsberichte weit übersteigen, da in der Regel nur 20-<br />

40 % der Betriebe revidiert wurden.<br />

Die Fabrikanten der Konservenbranche begründeten ihre Forderungen nach bewilligter<br />

bzw. die Durchsetzung nicht genehmigter Überarbeit damit, daß die Anlieferungen<br />

unvorhergesehener Mengen von Rohgemüsen deren sofortige Verarbeitung verlangten.<br />

Andernfalls würde das Verderbcn dcr Gemüse hohe finanzielle Verluste für die Industriellen<br />

mit sich bringen. So waren die Arbeiterinnen während der Kampagne sehr häufig unvorhergesehener<br />

Überarbeit, oft an Sonnabenden und Sonntagen noch zusätzlich, ausgesetzt<br />

87). Meistens erfuhren die Frauen erst am Tage der zu erwartenden Mehrarbeit mittels<br />

eines Aushangs im Fabrikgebäude, der Namen und Überstundenzahl der Arbeiterinnen<br />

enthielt, von den ihnen aufcrkgten Überstundcn HH ).<br />

Der Umstand, daß die Tätigkeiten in der Konservenindustrie ungelernten Arbeiterinnen<br />

Erwerbsmöglichkcitt:n boten, ließ viele Frauen in diese Betriebe drängen. Aus diesem<br />

85) 1. Jahresbericht ... (5. Anm. 79), S. 93 f.<br />

!!h) Gewerheordnung für das Deutsche Reich. Fassung vom 26. 7. 1900. Berlin 1903; § 137 (S.<br />

165).<br />

87) Vgl. die Gewerbeaufsichtsberichte für <strong>Braunschweig</strong>, (s. Anm. 7), für die Jahre 1895-1907<br />

(besonders 1901); die Unvorhersehbarkeit der angelieferten Gemüsemengen beruht darauf, daß die<br />

Vertragsabschlüsse zwischen Fabrikanten und Landwirten beinhalten, daß die Fabrikanten sich verpflichteten,<br />

die Gesamternte eines vorher festgelegten Areals aufzukaufen, die nicht nach Gewicht<br />

berechnet wurde. ("Ersuchen des Vereins der Konservenfahrikanten <strong>Braunschweig</strong>s ... ,3.2.1906;<br />

Nds. StA W, 133 Neu 751).<br />

AA) "Antrag der <strong>Braunschweig</strong>er Konservenfabrikanten aufBewiIIigung von Überarbeit" , 1906.<br />

(Nds. St A W 196 Neu 680).<br />

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Grund gingen viele Fabrikanten dazu über, in ihren Anlagen Akkordarbeit einzuführen,<br />

"weil ( ... ) Arbeitgeber und Arbeitnehmer dabei gewinnen"8'J).<br />

Über den Sachverhalt der Arbeitsbelastung für die Arbeiterinnen gibt es unterschiedliche<br />

Beurteilungen. Eine Darstellung für die Jahre 1889/90 erwähnte die Arbeitsverhältnisse<br />

in Konservenfahriken in kundenorientierter Aufmachung und dementsprechend geschönt<br />

90 ).<br />

,.In der einen Fabrik besorgt das", (gemeint ist das Schälen von Spargel) "die Maschine,<br />

aber Frauen müssen, da die Maschine nur vierkantig schält, die Ecken nachputzen; in der<br />

anderen sitzen hunderte von Frauen (bis 700 in der schlimmsten Zeit in einer Fabrik) und<br />

schälen mit der Hand. Die Erbsen müssen enthülst werden. - In kleinen Betrieben ist das<br />

reine Handarbeit, in den größten reine Maschinenarbeit, in den mittleren wetteifern Säle voll<br />

singender oder schwatzender Frauen mit dem ernsten Getriebe der verdrießlich schnurrenden<br />

Lokomobile ...<br />

Daß es sich auch bei diesen Tätigkeiten um Akkordarheit handelte, blieb unerwähnt.<br />

Ganz anders schilderte der "Volksfreund" die Verhältnisse in Konservenfabriken 91 ). Seinen<br />

Ausführungen zufolge arbeiteten Frauen und Männer oft auf feuchten Fußböden in<br />

großer Hitze his zu teilweise 18 Stunden am Tag - Frauen mußten treppauf, treppab<br />

schwere Körbe voller Dosen schleppen. Wenn die Arbeiterinnen und Arbeiter protestierten,<br />

erhielten sie wie in einem bekanntgewordenen Fall die Antwort des Fabrikanten 92):<br />

,.Gut, wenn ihr nicht mehr wollt, laß' ich im Zuchthaus zu Wolfenbüttel einfach Spargel<br />

schälen und Bohnen abziehen. Dann seht ihr zu, wo ihr bleibt! Streikt ruhig - wenn ihr es<br />

wollt!"<br />

Angesichts der Tatsache, daß gerade in Hochbetriebszeiten häufig zu wenig Arheiterinnen<br />

vorhanden waren, die üherhaupt hätten eingestellt werden können, sowie der Umstand,<br />

daß Gcfängnisarbeit eine durchaus umstrittene Praxis darstellte, erscheint diese Drohung<br />

leer, wenn auch wirkungsvoll. Besonders die Firma Koch aus <strong>Braunschweig</strong> war bekannt<br />

für ihre praktizierte Gefängnisarbeit, eine Tatsache, die die Firmenleitung gern geheimhalten<br />

wollte 93 ) und in Anbetracht der möglichen negativen Wirkung auf die potentielle<br />

Kundschaft leugnete. Der öffentlichen Kritik solcher lohnsenkenden Praktiken gegenüber<br />

verhielt sich die Firmenlcitung dennoch "äußerst dickfellig" 94).<br />

Ebenfalls zur Lohndrückung und um die ortseingesessenen Arbeiterinnen "in Schach<br />

zu halten", holten sich einige Konservenfabrikanten während der Kampagne jugendliche<br />

Ausländerinnen in die Betriebe, die anspruchslos waren und jederzeit eventuell streikende<br />

Arbeiterinnen ersetzen konnten 95).<br />

89) Bettgenhaeuser (s. Anm. 6), S. 21.<br />

90) Rudol f, F. (s. Anm. 24), S. 412 f.<br />

91) <strong>Braunschweig</strong>er Volksfreund, Sept. 1905; vollständig ahgedr. in der "Denkschrift, betreffend<br />

... (s. Anm. 77), S. 19-27, hier S. 21.<br />

92) Ebda, S. 21.<br />

91) <strong>Braunschweig</strong>er Volksfreund, 22. 5.1906.<br />

94) Ebda, 20. 5.1906.<br />

95) "Denkschrift, betreffend ... (s. Anm. 77), S. 20.<br />

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Die Geringschätzung und die sicherlich geringe Entlohnung dieser Arbeiterinnen brachten<br />

es mit sich, daß beispielsweise junge Frauen aus Thüringen, die als Saisonarbeiterinnen in<br />

Braunschwcig beschäftigt warcn, in Melverode "in auf freiem Feld stchenden Eisenbahn­<br />

Waggons nächtigen" mußten%).<br />

Ein weiterer für die Konservenarbeiterinnen lohndrückender Faktor war die Kinderarbeit<br />

in den Betriebcn. Zwar ließ sie sich wegen der zunehmenden Mechanisierung allmählich<br />

vermeiden 97 ), doch verfügten seit den 90er Jahren zunächst nur die größeren Fabriken<br />

über solche Maschinen 9H ). So stießen die Gewerbeaufsichtsbeamten hin und wieder auf<br />

illegal beschäftigte Kinder in den kleineren zumeist ländlichen Betrieben. Sie wurden<br />

manchmal darauf aufmerksam gemacht durch die Klagen von Lehrern und Schulleitern<br />

über Unregelmäßigkeiten im Schulbesuch der betroffenen Kinder.<br />

Was die Ausstattung der Arbeitsräume betraf, so verfügten in den 90er Jahren nur<br />

wenige Konservenbetriebe über Speise-, Wasch- und Garderobenräume. In 36 Fabriken<br />

befand sich jeweils nur eine Toilette für 36 Personen 99). In 21 Betrieben waren die maschinellen<br />

Schutzvorrichtungen mangehaft, in 17 Anlagen die Ventilatoren unzureichend, und<br />

nur 13 Betriebe verfügten über Umkleidcräumc. In 7 Anlagen existierten Speiseräume, in<br />

6 Fabriken Waschräume. "In den übrigen Betrieben mußte im Betriebsraum gegessen werden<br />

resp. an den Wasserleitungen im Arbeitsraum sich gewaschen werden" 100).<br />

Von Arbeitslosigkeit betroffcn waren ca. dreiviertel aller Konservenarbeiterinnen<br />

nach Beendigung der Kampagne. Auch während der Kampagne konnte es infolge Arbeitsrnangels<br />

zu fristlosen Entlassungen kommen. Im Jahr 1907 waren von 74 befragten Arbeiterinnen<br />

21 aus diesem Grund arbeitslos gewesen mit durchschnittlich 131,1 erwerbslosen<br />

Tagen, bezogen auf ein ganzes Betriebsjahr von Mai bis April 101). Die Zu- bzw. Abnahme<br />

der Zahl der Konservenarbeiterinnen während der Kampagne ist deutlich ablesbar an den<br />

Schwankungen, die die Zahlen dcr in der Ortskrankenkasse versicherten Arbeiterinnen<br />

über die Sommermonate hinweg aufweisen 102).<br />

96) Ebda, S. 33<br />

97) Be ttge n h ae u se r (s. Anm. 6), S. 21. Hier sind vor allem Erbsensortier- und Bohnenschnitze\maschinen<br />

gemeint.<br />

98) z. B. in den Betrieben von Grahe, Koch und Daubert in <strong>Braunschweig</strong>. Vgl. "Gewerbliche<br />

Anlagen, besichtigt ... " (s. Anm. 76), S. 7, 12, 15, Festschrift ,,90 Jahre Daubert - 90 Jahre Braunschwciger<br />

Konserve - Neun Jahrzehnte im Dienste der Hausfrau" <strong>Braunschweig</strong> 1949 (StA BS, B I<br />

1518).<br />

99) Von insgesamt 44 Betrieben in <strong>Braunschweig</strong> und näherer Umgehung.<br />

HX') Alle Daten aus "Denkschrift, betreffend ... " (5. Anm. 77), S. 12.<br />

101) 1. Jahresbericht (5. Anm. 79), S. 128 f.<br />

102) "Die Ortskrankenkasse der Arbeiter in Conservenfahriken, lR92-1907" (StA BS, D IV<br />

5353).<br />

136<br />

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) Texti/industrie<br />

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Marie Bernays hat im Jahr 1910 eine Studie über die Situation von Textilarbeiterinnen in<br />

Gladbaeh veröffentlicht, deren Ausführungen für Textilbetriebe in ganz Deutschland zu<br />

dieser Zeit gewisse Gültigkeit hatten 103).<br />

Folgende Ergebnisse ihrer Untersuchung seien an dieser Stelle angeführt:<br />

Waren es bei den männlichen Arbeitern zumeist persönliche Gründe (Neigung, Befähigung<br />

beispielsweise), die sie die Arbeit in einer Textilfabrik aufnehmen ließen, so fanden<br />

sich bei den Frauen in erster Linie finanzielle Motive. Die meisten Frauen nahmen im Alter<br />

zwischen 14 und 21 Jahren d. h. zwischen Schulabschluß und Ehe die Arbeit in der Gladbaeher<br />

Spinnerei auf. Wegen ihrer stärkeren Familienorientiertheit war dic Fluktuation unter<br />

den Frauen erheblich höher als bei den Männern; als höher wurden auch ihre Eintrittschancen<br />

in den Betrieb, verglichen mit männlichen Arbeitsuchenden, eingestuft, was nicht zuletzt<br />

mit der geringen Lohnhöhe bei den Arbeiterinnen zusammenhing. Unter ihnen besaßen<br />

die ungelernten Arbeiterinnen die geringsten Einstellungschancen, etwas höher waren<br />

sie bei den Spulerinnen, Vorspinnerinnen und Haspelerinnen. Vorspinnerinnen waren<br />

meist ältere Frauen, da ihre Arbeit in der Bedienung einer Maschine bestand und viel Geduld<br />

erforderte. Hingegen fand man unter den HaspcIerinnen zumeist junge Frauen wegen<br />

ihrer größeren Geschicklichkeit.<br />

Interessant ist die Feststellung von Bernays bezüglich der unterschiedlichen persönlichen<br />

Eigenschaften von Akkord- und Tagelohnarbeiterinnen; während erstere hastig und<br />

nervös erschienen, wirkten letztere eher gleichgültig und gemächlich. Trotzdem zogen die<br />

meisten Arbeiterinnen die Akkord- der TageIohnarbeit vor, weil Stücklohnarbeit selbst bestimmter<br />

und von anderen unkontrollierter stattfinden konnte und außerdem die Zeit<br />

schneller verging. Abgesehen davon waren die Akkordlöhne in der Regel höher als die<br />

Tagelöhne, bemessen am Lohn für eine Stunde.<br />

Als Nachteil ihrer Arbeit in der Spinnerei empfanden die Frauen den Lärm der Maschinen,<br />

der eine Arbeit in Gruppen unmöglich machte 1(4).<br />

Diese Strukturen sind sicherlich zumindest auf größere Betriebe in <strong>Braunschweig</strong><br />

übertragbar, beispielsweise etwa auf die Jutespinnerei.<br />

Arbeiterinnen, Arbeiter und das Arbeitersekretariat bewerteten die Arbeitszeitverkürzung<br />

für die Textilinbetriebe in <strong>Braunschweig</strong> positiv. Die Wochenarbeitszeit nahm<br />

von 62,5 Stunden im Jahr 1895 auf 59 Stunden im Jahr 1910 ab, zwischen 1900 und 1905 lag<br />

103) Be r n a y s, Marie. Auslese und Anpassung der Arbeiterschaft der geschlossenen Großindustrie.<br />

Dargestellt an den Verhältnissen der "Gladbacher Spinnerei und Weberei AG" zu München­<br />

Gladbach im Rheinland. Leipzig 1910; ihre Untersuchung war nur dadurch möglich geworden, weil<br />

sie sich anonym als Spulerin in dem Betrieb einstellen ließ. Nach einiger Zeit gab sie sich dann zu<br />

erkennen und konnte die Studie mit der Hilfe des Direktors fortführen, der ihr Einsicht in die Lohnbücher<br />

gewährte. - Vgl. Knapp (s. Anm. 9) S. 398.<br />

1(4) Bernays (s. Anm. 103), S. 19-182.<br />

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137


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In dem Vechelder Werk der Jutespinnerei wurden beispielsweise in großem Umfang<br />

galizische Kinder in den Produktionsprozeß eingespannt, ein bei der Gewerbeaufsicht immer<br />

wieder auf scharfe Kritik stoßender Mißstand 110). In beiden Werken der Jutespinnerei<br />

arbeiteten häufig Frauen und Jugendliche im Alter zwischen 14 und 16 Jahren in denselben<br />

Räumen der Kardereien, in denen die Arbeitenden starkem Stäuben von Flachs, Jute und<br />

Hanf ausgesetzt waren. Eine dringend notwendige Anbringung einer Be- und Entlüftungsanlage<br />

sah zwar die Gewerbeaufsicht, doch wurden die bestehenden Schutzgesetze, die die<br />

Industriellen zu Maßnahmen gegen gesundheitsschädigende Einflüsse am Arbeitsplatz<br />

verpflichteten, von der Reichsregierung als ausreichend erachtet. Die Installation einer<br />

solchen Anlage blieb aus 111). In einigen anderen Räumen der Jutespinnerei Braunsehweigl<br />

Vechelde schien es jedoch bereits Ventilatoren und Luftbcfeuchter zu geben 112). Weitere<br />

Einrichtungen für das Wohlbefinden der Arbeitenden waren ein Badehaus, das "ausgiebig<br />

benutzt" wurde, an vier Tagen in der Woche von Frauen und an zwei Tagen von Männern.<br />

Ferner gab es ein Arbeiterversammlungshaus, das in erster Linie morgendlicher Andachtsraum<br />

war, aber auch als Speiscraum Verwendung fand, in dem sogar die Möglichkeit bestand,<br />

Kaffee zu kochen ID). Die Arbeitslosigkeit unter den Spinnereiarbeiterinnen war<br />

geringer als die der Konservenarbeiterinnen. Dies hing zweifellos damit zusammen, daß es<br />

sich bei jenen in größerem Maße um gelernte Arbeiterinnen handelte, die nicht beliebig<br />

austauschbar waren. Hinzu kommt, daß die Frauen hier kaum von saisonalen Schwankungen<br />

betroffen waren. So waren in den Jahren 1906/07 von 175 befragten Spinnerinnen 65<br />

Frauen für eine Zeit von durchschnittlich 25,7Tagen arbeitslos gewesen. 33,8 % der Frauen<br />

waren ohne Arbeit infolge Streiks, 26,9 % wegen Aussperrungen, und nur 6,2 % der<br />

Frauen sind wegen Arbeitsmangels vorübergehend entlassen worden 114).<br />

Der auffallend hohe Mitgliederwechsel von Spinnereiarbeiterinnen in der Fabrikkrankenkasse<br />

der Jutespinnerei läßt auf eine hohe fluktuation unter den Arbeiterinnen<br />

schließen, die in der Regel nach ihrer Heirat aus dem Betrieb ausschieden. Die Fluktuation<br />

in den Konservenbetrieben war jedoch eine strukturell andere, da sie eher durch Arbeitsmangel<br />

während einiger Monate des Jahres gekennzeichnet war. Allerdings wurden bei<br />

schlechtem Geschäftsgang auch hier eher einige Frauen entlassen als männliche Arbeiter<br />

115).<br />

110) I. Jahresbericht ... (5. Anm. 79), darin: Gewerkschaftskartell. Jahresbericht für 1909.<br />

S.74ff.<br />

11\) "Beschäftigung von jugendlichen Arheitern in Spinnereinen, 1879-1907; darin Schreiben<br />

vom 24. 1. 1904 und vom 12. 4. 1906. Diese Erklärung erfolgte nach den Ansichten der jeweiligen<br />

Regierungen. (Nds. StA W, 12 A Neu 13 f 8789).<br />

112) "Gewerhliche Anlagen, besichtigt ... " (5. Anm. 76), S. 6 f.<br />

113) Ebda, S. 7 f.<br />

114) 1. Jahresbericht ... (s. Anm. 79), S. 120 f.<br />

115) Jher. der Gewerbeaufsichtsbeamten ... f. d. Jahr 1897, S. 27 (s. Anm. 7); In diesem Jahr<br />

waren 1579 Frauen und 592 Männer in der "Coneordia" versichert.<br />

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139


Angesichts der Arbeitsverhältnisse der Beschäftigten in der Jutespinnerei, geprägt<br />

durch gesundheitsschädigende Einflüsse am Arbeitsplatz und niedrige Löhne, erscheint<br />

eine Beschreibung wie die folgende möglicherweise zu beschönigend:<br />

"Eine geschickte und fleißige Arbeiterschaft stand jederzeit hinter der Werksleitung, die<br />

sich dessen bewußt war, ( ... ) was sie einem Firmennamen schuldig war""6).<br />

4. Frausein und Erwerb<br />

Die ideologische Fixierung der Frauen auf ihre Rolle als Ehefrauen und Mütter in der<br />

Phase der Industrialisierung hatte einen handfesten Grund: die "Restabilisierung der Familienverhältnisse"<br />

galt zu dieser Zeit gesellschaftlichen Wandels als ein "sicherer Weg zur<br />

Lösung der sozialen Frage 117)." Nur vor diesem Hintergrund sind die Bemühungen im 19.<br />

Jahrhundert zu verstehen, auch die Frauen aus "unteren" Bevölkerungsschichten auf ihre<br />

"Bestimmung als Gattin, Hausfrau und Mutter ( ... ) vorzubereiten" 118), eine Einengung<br />

des Handlungsraumes einer Frau auf Haus und Familie zu erreichen. Das Vorhandensein<br />

eines familiären Erwerbseinkommens, in der Regel das des Ehemannes, sollte die Freisetzung<br />

der Frau für ihren Hausfrauen"beruf" gewährleisten 119). Um eine Kompensation für<br />

die Unzufriedenheit ihrer Ehemänner im eigenen Heim zu ermöglichen, einen Ausgleich<br />

für die Mißstände in der Fabrikarbeit zu schaffen, wurden die Anforderungen an die Hausund<br />

Familienarbeit der Frauen in die Höhe geschraubt - wodurch die "soziale Frage" in<br />

Teilen privatisiert wurde. Geringe ehemännliche Einkünfte sollten sie durch hauswirtschaftliches<br />

Geschick ausgleichen können und durch die Bereitstellung eines komfortablen<br />

Ileims den Gegenpol zur "rauhen Arbeitswelt" herstellen 120).<br />

Diese zeitgenössische Idealvorstellung einer geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung<br />

griff nicht in allen Teilen der Bevölkerung. Arbeit von Töchtern und Ehefrauen war in der<br />

Landwirtschaft sowie in Fabrikarbeiterfamilien durchaus üblich und in vielen Fällen ökonomisch<br />

notwendig. Hier konnte eine ausschließliche Fixierung der Frauen auf die Reproduktionsarbeit<br />

gar nicht möglich werden. Trotzdem wurde das gesellschaftlich konstruierte<br />

Bild einer Frau auch an die erwerbstätigen Frauen herangetragen, die allein wegen der von<br />

ihnen erwarteten Höherbewertung ihrer Familienrolle gegenüber der Erwerbsarbeit bei<br />

der Durchsetzung ihrer Interessen (Arbeitsplatzwahl, Aufstiegsmöglichkeiten, Lohnforderungen)<br />

auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt werden konnten 121). Aus dieser Sicht<br />

wurde gehofft, daß viele Frauen ihre Erwerbsarbeit gern gegen die Ehe eintauschen und<br />

diese als Befreierin von der schlechtbezahlten Erwerbsarbeit erleben würden. Dieser Zu-<br />

116) Tischert (s. Anm. 26), S. 74.<br />

117) Hause n, Karin. Die Polarisierung der Geschlechtscharaktere. Eine Spiegelung der Dissoziation<br />

von Erwerbs- und Familienleben. In: Conze, Wemer (Hrsg.). Sozialgeschichte der Familie in<br />

der Neuzeit Europas. Stuttgart 1976. S. 383.<br />

118) Ebda, S. 383<br />

119) Gerhard, Vte. Verhältnisse und Verhinderungen. Frauenarbeit, Familie und Rechte der<br />

Frauen im 19. Jhdt. FrankfurtIM. (2) 1981, S. 65.<br />

120) Hausen (s. Anm. 117), S. 383.<br />

121) Knapp (s. Anm. 9), S. 454.<br />

140<br />

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sammenhang von Familienrolle und Erwerb ließ Frauen, die aus ökonomischer Not heraus<br />

dennoch arbeiten mußten, die "bad jobs" annehmen, denn zusammen mit ihrer oft unkontinuierlichen<br />

"Erwerbsbiografie" bedeutete der Faktor "familienökonomische Not" eine<br />

schwache Verhandlungsposition gegenüber den Arbeitgebern 122). Aus diesem Grund<br />

lohnte sich für verheiratete Frauen eine Erwerbsarbeit häufig nur dann, wenn ihr Lohn die<br />

Ausgaben überstieg, die beim Ausfall ihrer Hausfrauentätigkeit anfielen; etwa bei der<br />

Weggabe von Wasch- und Flickarbeiten aus dem Haus, öfter anfallenden Reparatur- oder<br />

Neuanschaffungskosten, durch das Einkaufen teurerer Lebensmittel aus Zeitmangel,<br />

durch die Kosten von Vergnügungsveranstaltungen zur Kompensation der erlebten Frustrationen<br />

am Arbeitsplatz sowie durch Kosten für Kinderbeaufsichtigung 123). Wenn<br />

Frauen, die erwerbstätig sein wollten oder mußten, nicht Familienangehörige zur Verfügung<br />

hatten, die Teile dieser Reproduktionsarbeiten übernehmen konnten, waren sie einer<br />

kräftezehrenden Doppelbelastung ausgesetzt.<br />

Frauen mit ihren besonderen familiären Bindungen besaßen so einen Status als Sonderfälle<br />

auf dem Arbeitsmarkt, der jedoch immer schwieriger politisch zu legitimieren war,<br />

je mehr Frauen außerhäuslich erwerbstätig waren. Verheiratete Frauen, die in Fabriken<br />

Lohnarbeit verrichteten, waren doppelter Arbeit und doppeltem Druck durch Ansprüche<br />

seitens der Ehemänner und Arbeitgeber ausgesetzt 124), Tatbestände, die in offiziellen zeitgenössischen<br />

Untersuchungen wie etwa den Gewerbeaufsichtsberichten nicht berücksichtigt<br />

wurden 125).<br />

Ehefrauen entzogen sich, da auf ihnen allein die Aufrechterhaltung der Familienversorgung<br />

ruhte, hin und wieder der Fabrikarbeit. In der <strong>Braunschweig</strong>er Jutespinnerei<br />

klagte die Firmenleitung darüber, daß Frauen, die Familienpflichten nachzukommen hatten,<br />

häufig während der Arbeitszeit abwesend waren. Im Schnitt fehlten täglich 88 Frauen<br />

in der <strong>Braunschweig</strong>er Niederlassung! Die meisten Frauen blieben an den Montagen nach<br />

der Lohnzahlung der Arbeit in der Fabrik fern, durchschnittlich fehlten an Montagen 114<br />

Frauen 126).<br />

Am Arbeitsplatz selbst hatten Frauen häufig unter sexuellen Belästigungen von Kollegen<br />

und Vorgesetzten zu leiden. Der Spinnmeister einer <strong>Braunschweig</strong>er Kammwoll- und<br />

Wollwarenspinnerei pflegte in der Regel ledige Frauen erst dann einzustellen, wenn sie<br />

"unsittliche Handlungen über sich ergehen ließen" und wenn sie sich ihm" willfährig erwie-<br />

122) Ebda, S. 188.<br />

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123) Schneider, Lothar. Arbeiterhaushalt im 18. und 19. Jahrhundert. Berlin 1967, S. 105.<br />

124) Knapp (s. Anm. 9), S. 190.<br />

125) Jber. der Gewerbeaufsichtsbeamten ... f. d. Jahr 1899 (s. Anm. 7). Dies hing mit der Art<br />

der Durchführung der Umfrage 2Usammen; die Fragebogen wurden teilweise von Assistentinnen des<br />

Gewerbeaufsichtsbeamten oder von den Unternehmern selbst ausgefüllt. Hinzu kam die Zurückhaltung<br />

der befragten Frauen, die Fragen wahrheitsgemäß zu beantworten, da sie Repressalien von Seiten<br />

der Betriebsleitung befürchteten. V gl. auch Po h I e, Ludwig; Die Erhebungen der Gewerbeaufsichtsbeamten<br />

über die Fabrikarbeit verheirateter Frauen. In: JB. f. Gesetzgebung, Verwaltung u. Volkswirtschaft,<br />

25,3/1901, S. 147-204, hier S. 150 ff.<br />

126) Jber. der Gewerbeaufsichtsbeamten ... f. d. Jahr 1897, S. 27 (s. Anm. 7).<br />

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141


sen" 127). Der Gewerberat gab zu bedenken, daß dies kein einmaliges Ereignis darstellte,<br />

sondern daß viele Übergriffe nicht bekannt werden würden, weil die Arbeiterinnen im<br />

Falle einer Beschwerde bei der Fabrikleitung mit ihrer Entlassung rechnen mußten 12l!).<br />

Unehelich schwangere Frauen wurden sofort entlassen, wenn ihre Schwangerschaft<br />

von der Betriebsleitung bemerkt wurde, und zwar "unter Vorbehalt eventueller späterer<br />

Einstellung". Die psychischen und sozialen Belastungen dieser Frauen, von Normen an<br />

den Rand der Gesellschaft gedrängt, waren gewiß erheblich. Gerade unverheiratete werdende<br />

Mütter waren dringend auf einen Gelderwerb angewiesen, so daß sie gezwungen<br />

waren, die Schwangerschaft so lang wie möglich zu verheimlichen, um nicht ihren Arbeitsplatz<br />

zu verlieren. Frausein in einem Betrieb war nur soweit akzeptiert, wie es keine finanzielle<br />

Belastungen für die Krankenkasse bedeutete.<br />

Selbst wenn Arbeiterinnen durch ihre Vorgesetzten geschwängert wurden 129), hatte<br />

sie keinen Anspruch auf Entschädigung. Gesetzgeberische Maßnahmen kamen in den meisten<br />

Fällen wegen der genannten Entlassungsdrohungen seitens der Betriebsleitung gar<br />

nicht erst zur Anwendung 130). Ein solches Mißgeschick nachträglich durch eine Eheschließung<br />

legitimieren zu wollen, hatte teilweise rechtliche Grenzen; so mußte der Vorrichter<br />

der <strong>Braunschweig</strong>er Jutespinnerei F. die Spinnereiarbeiterin H. in London heiraten \31).<br />

Oft wurde den unverheirateten Frauen unterstellt, daß sie sich ein Arbeitsverhältnis<br />

suchten, sobald sie eine Schwangerschaft an sich feststellten, um so lange wie möglich für<br />

die Kosten der Niederkunft zu arbeiten und dann auf Kosten der Krankenkasse Wöchnerinnenurlaub<br />

beanspruchen zu können.<br />

Der Besitzer einer Wollwarenfabrik in <strong>Braunschweig</strong> gab Klagen seiner männlichen<br />

Arbeiter über die Höhe der Kosten wider, die der Betriebskrankenkasse für die Geburten<br />

unehelicher Kinder entstanden waren. Weitere frauenfeindliche Klagen dieser Art hatten<br />

zur Folge, daß bei den NeueinsteIlungen von ledigen Frauen stets eine Untersuchung auf<br />

Schwangerschaft durch einen Kassenarzt durchgeführt werden mußte, eine gewiß äußerst<br />

unangenehme und diskriminierende Praxis 132).<br />

Angesichts der sexuellen Belästigungen von Frauen am Arbeitsplatz erscheinen die<br />

Klagen über Kassenaufwendungen für uneheliche Geburten als Ausdruck einer Doppelmoral.<br />

Mit nicht minder diskriminierenden Einstellungspraktiken hatten auch verheiratete<br />

Frauen zu rechnen: es kam durchaus vor, daß sich Arbeitgeber weigerten, durch familiäre<br />

127) Ebda, f. d. Jahr 1895, S. 27.<br />

128) Ebda, S. 11.<br />

129) Ebda, S. 10.<br />

\30) Pohle (s. Anm. 125), S. 195.<br />

131) Akte: Nds. St A W, 12A !'leu 5 3304. Die in Deutschland bestehenden rechtlichen Beschränkungen<br />

für diese Heiraten gab es in London nicht.<br />

132) Jber. der Gewerbeaufsichtsbeamten ... f. d. Jahr 1895, S. 10 (s. Anm. 7).<br />

142<br />

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Pflichten eingebundene Frauen einzustellen, da sie dann mit Arbeitsaufällen rechnen mußten<br />

133).<br />

Frauen als Konkurrentinnen der Männer am Arbeitsmarkt sollten weitgehend ausgeschaltet<br />

werden. Die ihnen zugeschriebene Rolle als Familienmutter , ob real oder möglicherweise<br />

in der Zukunft lediger Frauen, verhinderte ihre Konkurrenzfähigkeit. Frauen<br />

konnten diesen Nachteil nur durch die Hinnahme niedrigster Löhne wettmachen.<br />

a) Frauenlöhne<br />

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In dem behandelten Zeitraum stiegen die Durchschnitts-I\ominallöhne im Deutschen<br />

Rcich 134). So erhöhten sich in der Industrie und im Handwerk die Löhne von 1879 bis 1913<br />

um durchschnittlich 4,3 %. In Relation zu den Lebenshaltungskosten weist die Kurve Unregelmäßigkeiten<br />

besonders zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf1 35 ), vergleichbar der Situation<br />

im <strong>Braunschweig</strong>er Raum.<br />

Die Frauenlöhne machten dabei zwischen Y2 und 0/'3 der Männerlöhne aus, so daß prozentuale<br />

Steigerungen der Löhne sich bei den Arbeiterinnen geringer auswirkten. Abgesehen<br />

davon waren diese in den schlechterbezahlten Industrien beschäftigt, dl:ren Lohnniveau<br />

auch bei dl:n Männerlühnen unter dem Reichsdurchschnitt lag. Es ist schwierig, die<br />

Frauen- mit den Männerlöhnen zu vergleichen, da den zeitgenössischen Lohnstatistiken<br />

eine "Präzisierung und Wertung der männlichen und weiblichen Arbeitsleistungen" fehlt<br />

und auch Angaben über die tatsächlich an Frauen und Männer gezahlte Löhne 136) nicht<br />

vorliegen. Abweichungen können beispielsweise durch die Ableistung von Überstunden in<br />

der Konservenindustrie, durch Arbeitsausfälle oder innerbetriebliche Regelungen (z. B.<br />

hinsichtlich des Alters oder der Dauer der Beschäftigung von Arbeiterinnen) entstanden<br />

sein. Allein schon wegen der unterschiedlichen Qualifikationen, die gelernte weibliche und<br />

gelernte männliche Arbeitende besaßen, ist ein direkter Vergleich von Männer- mit Frauenlöhnen<br />

nicht statthaft.<br />

Dennoch ist an der großen Differenz zwischen den Löhnen deutlich die Minderbewertung<br />

weiblicher Erwerbsarbeit zu erkennen, hervorgerufen auch durch die unbezahlte und<br />

damit wertlos erscheinende "Arbeit aus Liebe", der Reproduktionsarbeit. Die "Billigkeit<br />

der weiblichen Lohnarbeit" 137) wurde schon in der zeitgenössischen Forschung damit begründet,<br />

daß seit Beginn der Industrialisierung die Frauenerwerbstätigkeit zunächst nur<br />

den "Charakter eines gelegentlichen und daher besonders willkommenen Nebenverdien-<br />

133) Ebda, f. d. Jahr 1899, S. 10.<br />

134) Hoffmann, W. G. Wachstum der deutschen Wirtschaft seit der Mitte des 19. Jahrhunderts.<br />

Stuttgart 1978. S. 95.<br />

\35) Fischer, Wolfram. Sozialgeschichtliches Arbeitsbuch. Bd. I: Materialien zur Statistik des<br />

Deutschen Bundes 1815-1870. München 1982, S. 156 f.<br />

136) Geyer (s. Anm. 18), S. 53.<br />

137) Schröder, Hannelore. Unbezahlte Hausarbeit, Leichtlohnarbeit, Doppelarbeit. Zusammenhänge<br />

und Folgen. In: Dokumentationsgruppe der Sommer-Uni für Frauen e. V. (I Irsg.). Frauen<br />

als bezahlte und unbezahlte Arbeitskräfte. Berlin 1978, S. 10&-118. Hier S. 15.<br />

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143


stes an sich trug" 138). In dieser Äußerung wird vorausgesetzt, daß alle Frauen Ehefrauen<br />

seien. Dabei war der prozentuaJc Anteil der Alleinstehenden, d. h. der Geschiedenen,<br />

Eheverlassenen, Verwitweten und Ledigen unter den Frauen des Deutschen Reiches höher<br />

als der der Verheirateten. Der Großteil der alleinstehenden Frauen war auf einen Arbeitsplatz<br />

angewiesen, ihr Lohn hatte nicht dcn Charakter eines Nebenerwerbs, seine Bemessungsgrundlage<br />

war aber der Faktor weiblicher Nebenerwerbsarbeit in der Ehe.<br />

Frauen, die Alleinverdienerinnen entweder nur für sich oder für eine Restfamilie waren,<br />

wurden zudem noch in die am schlechtest bezahlten Arbeitsverhältnisse gedrängt, da sie in<br />

ihrer ökonomischen Not auf jeden noch so geringen Verdienst angewiesen waren. Die den<br />

Frauen zugeschriebene "größere Bedürfnislosigkeit und Genügsamkeit" 139) war auch auf<br />

diesem Gebiet sichtbar, hatte die Sozialisation hier zur Folge, daß Frauen auf dem Arbeitsmarkt<br />

als billig und willig galten.<br />

Schließlich sei auf die extrem niedrigen Löhne von Arbeiterinnen in Regionen stark<br />

verbreiteter Heimarbeit hingewiesen, die auch alle gleichzeitig als Zentren der Ansiedelung<br />

von Frauenindustrien galten. Hier drückten die ungeschützten Heimarbeits-Verhältnisse<br />

die Löhne der Fabrikarbeiterinnen 140). Die niedrigen Frauenlöhne waren auch Garant<br />

dafür, daß die Kompensationsinstitution Ehe weiterbestand. Dies stellte für Fabrikarbeiter<br />

eine wesentliche Voraussetzung für ihre langen Arbeitszeiten dar, denn die Reproduktionsarbeit<br />

ihrer Frauen im Haushalt ermöglichte den Männer den vollen Einsatz ihrer<br />

Arbeitskräfte im Betrieb.<br />

Viele ledige Frauen sahen sich kaum in der Lage, von ihrem Lohn ihre Lebenshaltungskosten<br />

bestreiten zu können, so daß sie praktisch auf eine finanzielle Absicherung in<br />

Form einer Ehe angewiesen waren. Hier entpuppt sich eine für Frauen verhängnisvolle<br />

Allianz von Kapitals- und Männerinteressen - an billigen Arbeitskräften einerseits und an<br />

kostenlosen Reproduzentinnen andererseits 141). An diesem Punkt wird auch deutlich,<br />

warum die erste Frauenbewegung in der Zahlung gleicher Löhne an die Frauen eine Möglichkeit<br />

zu deren ökonomischer Emanzipation erblickte 142) und weshalb die Durchsetzung<br />

dieses Ziels letztendlich ohne Erfolg blieb.<br />

Bis die ersten Tarifverträge die Lohnhöhen bestimmten, beruhte die Festlegung der<br />

Löhne auf individuellen Verhandlungen 143), was in Zeiten erhöhter Arbeitslosigkeit entsprechend<br />

niedrige Lohnabschlüsse zur Folge hatte. Für Frauen bedeutete dies oft folgendes:<br />

"Sie mußten also ihre Lohnansprüche, auf sich gestellt, gegen die Werkmeister durchsetzen,<br />

die ihnen dreifach-von Status, Geschlecht und Alter her-sozial überlegen waren" 144).<br />

138) Pierstorff (s. Anm. 10), S. 1210.<br />

139) Ebda, S. 1210.<br />

140) Got t h ein er, Elisabeth. Arbeiterinnenschutz und Heimarbeit. In: Die Frau 13/190511906,<br />

S.559.<br />

141) Krell, Gertraude. Gesellschaftliche Arbeitsteilung und Frauenlöhne. In: Dokumentationsgruppe<br />

... (s. Anm. 137), S. 60.<br />

142) Knapp (s. Anm. 9), S. 9; bezogen aufClara Zetkin.<br />

143) Ebda, S. 423. Diese Praxis wurde z. T. noch bis 1914 aufrechterhalten.<br />

144) Ebda, S. 423.<br />

144<br />

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Lediglich bei den von den Arbeitsämtern seit Beginn des 20. Jahrhunderts vermittelten<br />

ungelernten Arbeiterinnen und Arbeitern war die Lohnhöhe bereits von vornherein festgelegt,<br />

unabhängig von der zu leistenden Arbeit 145).<br />

In <strong>Braunschweig</strong> gezahlte Löhne wiesen hinsichtlich der Unterschiede zu den an Männer<br />

gezahlten Löhnen die gleichen Strukturen auf wie auf Reichsebene. Während der Jahresverdienst<br />

einer Spinnerin im Jahre 1907 in Brauschweig 584 Mk betrug, verdiente ihr<br />

männlicher Kollege 923 Mk, der Reichsdurchschnitts-Nominallohn lag damals bei 674 Mk.<br />

Der Jahresverdienst einer Konservenarbeiterin hatte 1907 eine Höhe von durchschnittlich<br />

680 Mk, ihr männlicher Kollege verdiente 1069 Mk, lag also weit über dem Reichsdurchschnitt<br />

146).<br />

Stunden- und Jahresnominallöhne in Spinnereien und Konservenfabriken in der Region<br />

<strong>Braunschweig</strong> (in Mark) 147) 1897/8 1906 1907<br />

Spinnerinnen<br />

Zeitlohn/Stunde<br />

Akkordlohn/Stunde<br />

Spinner<br />

Zeitlohn/Stunde<br />

Akkordlohn/Stunde<br />

Konservenarbeiterinnen<br />

Zeitlohn/Stunde<br />

Akkordlohn/Stunde<br />

Konservenarbeiter<br />

Zeitlohn/Stunde<br />

Akkordlohn/Stunde<br />

Spargelschälerinnen<br />

(Akkordlohn)<br />

Kocherinnen<br />

Zeitlohn/Stunde<br />

Akkordlohn/Stunde<br />

Jahresverdienst: e)<br />

Hilfsarbeiterinnen<br />

in der Konservenfabrik<br />

Konservenarbeiterinnen f)<br />

Spinnerinnen<br />

<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong><br />

im Schnitt 0, 10<br />

0,12-0,30<br />

0,12-0,30»<br />

0,ll-O,22 h )<br />

0,22-0,30<br />

0,15-0,22<br />

0,25-0,60<br />

355<br />

586<br />

0,12-0,21 c)<br />

0,14-0,42 c)<br />

im Schnitt 0,29<br />

im Schnitt 0,33<br />

im Schnitt 0, 19 d )<br />

0,13-0,48<br />

im Schnitt 0,30<br />

im Schnitt 0,31<br />

680 (Männer: 1069)<br />

584 (Männer: 923)<br />

145) Städtisches Arbeitsamt <strong>Braunschweig</strong>, 1 YOD. (StA BS, D IV 1372, 2) Auch hier betrugen die<br />

Frauenlöhne Ih bis 0/'3 der Männerlöhne.<br />

146) Hoffmann (s. Anm. 134), S. 470 f. (Reichslöhne); 1. Jahresbericht ... (s. Anm. 79), S.<br />

84-88, Yl f. (<strong>Braunschweig</strong>er Löhne).<br />

147) Eigene Berechnungen nach: Bettgenhaeuser (s. Anm. 6), S. 50; Jber. der Gewerbeauf-<br />

http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042624<br />

145


Anmerkungen zur Tabelle:<br />

a) Je nach Qualität des Spargels (Klasse I bis Suppenspargel) erhielten die Schälerinnen<br />

1897/8 für 20 Pfund geschältes Gemüse zwischen 30 und 50 Pf, 1904 zwischen 44 und 60 Pf.<br />

b) Von im Jahr 1905 befragten Konservenarbeiterinnen (52 Frauen) erhielten<br />

9 Arbeiterinnen 11 Pf/Std.<br />

3 12<br />

2 13<br />

16 14<br />

14<br />

3<br />

3<br />

15<br />

16<br />

18<br />

20<br />

22<br />

c) Bei einer Arbeitszeit von 57 Stunden pro Woche<br />

d) Bei einer Arbeitszeit von 59,9 Stunden pro Woche<br />

e) Ausgehend von den Durchschnittswochenarbeitszeiten von 57 bzw. 59,9 Stunden<br />

f) Auf diesen Verdienst kamen möglicherweise nicht alle Konservenarbeiterinnen, da sie in<br />

der Regel nur für ein halbes Jahr beschäftigt waren<br />

In dieser Zusammenstellung von Frauen- und Männerlöhnen in den <strong>Braunschweig</strong>er Spinnerei-<br />

und Konservenfabriken läßt sich ein Anstieg der Nominallöhne feststellen, wobei<br />

die Löhne der männlichen Arbeiter auch hier z. T. das Doppelte der Frauenlöhne ausmachten.<br />

Für beide Industrien galt, daß Akkordarbeit höhere Stundenlöhne bedeutete als die<br />

Zeitlohnarbeit.<br />

Im Jahr 1907 lagen die Löhne für die Spinnereiarbeiterinnen im Schnitt höher als für<br />

die Konservenarbeiterinnen, ein Unterschied, der durch die längere Wochenarbeitszeit<br />

der Konservenarbeiterinnen ausgeglichen wurde. So erbringt eine Hochrechnung der<br />

Stundendurchschnittslöhne auf eine Woche folgendes Ergebnis (1907):<br />

Konservenarbeiterinnen<br />

Hilfsarbeiterinnen/Konserve<br />

Spinnerinnen<br />

Ungelernte Arbeiterinnen<br />

Stundenlohn<br />

20,30Pf<br />

15,60Pf<br />

20,60Pf<br />

13,60Pf<br />

Wochenlohn<br />

11,72Mk.<br />

7,10Mk.<br />

11,72Mk.<br />

6,61 Mk.<br />

In jedem Fall wurde die gelernte Arbeit, wie in Spinnereien höher entlohnt als die<br />

ungelernte, was sich am deutlichsten zeigt im Vergleich der Löhne von Spinnereien und<br />

ungelernten Arbeiterinnen (deren Lohnabschlüsse erfolgten ja ohne Rücksicht auf die zu<br />

leistende Arbeit pauschal) 148).<br />

Eine Besonderheit in Frauenindustrien stellte zu Beginn des 20. Jahrhunderts deren<br />

beginnende Tariffähigkeit dar. Im Jahr 1907 war dies dcr Fall in dcr Konservenindustrie<br />

sichtsheamten ... f. d. Jahre lR97 und 1904 (5. Anm. 7); "Denkschrift betreffend ... " (5. Anm. 77);<br />

Schreiben d. Konservenfabrikanten Querner an den Geheimrat Boden v. 17. 1. 1908 (Nds. StA W, 19<br />

B Neu 680); 1. Jahresbericht d. Arbeitersekretariats ... (s. Anm. 79), S. 84, 88, 91 f.<br />

14S) 1. Jahresbericht ... (5. Anm. 79), S. 97.<br />

146<br />

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http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042624


des Herzogtums <strong>Braunschweig</strong> I49 ). In diesem Tarifvertrag wurde unter anderem genau<br />

festgelegt, welche Tätigkeiten in Akkord- und welche in Zeitlohnarbeit zu erfolgen hatten,<br />

wieviel an Lohn dabei den weiblichen und männlichen Beschäftigten gezahlt werden<br />

mußte, wie die Pausenzeiten geregelt werden sollten und daß Praktiken der Lohnreduzierungen<br />

oder -einbehaltungen untersagt waren. Auch die Arbeits- und Lohnverhältnisse für<br />

Heimarbeiterinnen wurden festgelegt, wobei man sich an den Lohn- und Arbeitsdaten der<br />

Fabrikarbeiterinnen orientierte. Gerade in der Konservenindustrie, deren Produktionsumfang<br />

stark durch die Ernteverhältnisse in der Landwirtschaft beeinflußt wurde, waren<br />

bisher die zur Verfügung stehenden Kontrollmaßnahmen bezüglich ordnungsgemäßer<br />

Lohnzahlungen und gesetzesmäßiger Arbeitszeiten nur schwer zu handhaben.<br />

Jedoch ließ auch dieser Tarifvertrag - und als solcher trug er natürlich auch Spuren<br />

von Arbeitgeberinteressen - zu wünschen übrig im Hinblick auf die Differenzierung von<br />

Arbeitsleistungen und deren Entlohnung. Welche Arbeiterin als von "durchschnittlicher<br />

Leistungsfähigkeit" 150) oder als "besonders geübte e)" 151) zu geIten hatte und wie der Lohn<br />

für männliche Arbeiter, für die nur eine minimale Lohngrenze mit 30 Pf pro Stunde festgesetzt<br />

wurde, sich je nach Tätigkeit staffeln sollte 152), dies festzulegen, blieb weiterhin der<br />

Entscheidung des jeweiligen Industriellen vorbehalten.<br />

b) Heimarbeit<br />

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In der Heimarbeit waren im Reich in dem behandelten Zeitraum überdurchschnittlich viele<br />

Frauen beschäftigt; während im Jahr 1900 der Frauenanteil unter den Beschäftigten in der<br />

Industrie bei 18,4 % lag, machten Frauen unter den Heimarbeitenden 45,2 % aus; in absoluten<br />

Zahlen waren dies 154.000 Frauen gegenüber 187.000 Männern.<br />

Bezogen auf alle weiblichen Erwerbstätigen waren nur 2,9% Frauen in Heimarbeit<br />

beschäftigt, der entsprechende Anteil unter den männlichen Erwerbstätigen betrug lediglich<br />

1,2 %. Insgesamt gesehen war die Zahl der in Heimarbeit beschäftigten Personen seit<br />

1882 rückläufig 153).<br />

1907 waren noch 134.000 Frauen hausgewerblich tätig, wobei das Gros der Heimarbeitcrinnen<br />

in den typischen Frauenbranchen tätig war, wie in derTextilindustrie, dem Bekleidungsgewerbe,<br />

der Nahrungsmittelbranche und der Holzindustrie 154). Unter den 1907<br />

149) Ahgedr. in "Verzeichnis und Inhalt der im Jahre 1907 abgeschlossenen Tarife". Hrsg. v.<br />

Verband der Fabrik-, Land- und Hilfsarbeiter und Arbeiterinnen Deutschlands. Hannover 1908, S.<br />

66f.<br />

150) Ebda, A § 7.<br />

151) Ebda, A § 8.<br />

152) Ebda, B § 10.<br />

153) Pierstorff (s. Anm. 10), S. 1203.<br />

154) Geyer (s. Anm. 18), S. 31. Innerhalb der Nahrungsmittelindustrie betrieben viele Frauen<br />

die Tabakfabrikation als Hausgewerbe.<br />

http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042624<br />

147


120.000 Heimarbeitenden in der Textilindustrie und den 246.000 hausgewerblich tätigen<br />

Personen im Nahrungsmittelgewerbe waren die meisten dieser Frauen zu finden 155).<br />

In Relation zu ansonsten üblichen Quoten von weiblicher Erwerbsbeteiligung bestand<br />

somit in der Heimarbeit ein typisches Frauenarbeitsfe\d nicht zuletzt deswegen, weil<br />

Frauen, besonders verheiratete oder verwitwete, durch Verrichtung von Heimarbeit zwei<br />

Arbeitsplätze an einem Ort vereinigen konnten - den der Hausarbeit und den der Erwerbsarbeit.<br />

Unter Berücksichtigung der Tatsache, daß erwerbstätige Frauen sich größtenteils<br />

in wenigen Branchen konzentrierten, nahm die Heimarbeit überall dort großen Raum ein,<br />

wo sich Frauenindustrien angesiedelt hatten.<br />

Heimarbeit wurde von Fabrikanten aus verschiedenen Gründen vergeben: zum einen<br />

entband sie die Industriellen davon, Arbeitsräume mit der entsprechenden Ausstattung<br />

zur Verfügung zu stellen, zum anderen waren sie der Verpflichtung enthoben, die Arbeitgeberanteile<br />

der Krankenversicherung zu zahlen. Ein weiterer Vorteil bestand darin, daß<br />

Unternehmer aufgrund der niedrigen Heimarbeitslöhne auch die Löhne der in den Fabriken<br />

beschäftigten Frauen drücken konnten.<br />

"Solange ein ausreichendes Angebot an extrem billigen hausindustriellen Werkstatt- und<br />

Heimarbeiterinnen zur Verfügung stand, blieben die erziel baren Produktivitätsfortschritte<br />

wegen der höheren Kosten für Arbeitsräume und Maschinen für die saisonabhängige Konfektion<br />

unrentabel" 156):<br />

eine Analyse, die auch für die Verhältnisse in anderen als der hier angesprochenen Bekleidungsindustrie<br />

zutrifft.<br />

Die Ermöglichung von Heimarbeit seitens der Arbeitgeber stellte für sie weiterhin<br />

eine Chance dar, die Bestimmungen der Arbeiterinnenschutzgesetze zu umgehen; die Ungeschütztheit<br />

der Heimarbeitsverhältnisse ließ auch wieder Nachtarbeit und überlange tägliche<br />

Arbeitszeiten zu 157). Wegen der niedrigen Löhne befanden sich jedoch die Heimarbeiterinnen<br />

in der Zwangslage, mittels Überarbeit einen Ausgleich zu schaffen.<br />

"Da sehen wir die Familienmütter, weIche Kindererziehung und Hauswirtschaft die Heimarbeit<br />

der Fabrikarbeit vorziehen läßt. ... Wir lernen Arbeiter-, Handwerker- und Beamtentöehter<br />

kennen, Mädchen, die nur um ein Taschengeld arbeiten und in der Familie wohnen<br />

und Unglückliche, die darauf angewiesen sind, von ihrem Verdienst zu leben und in der ,toten<br />

155) Simon (s. Anm. 31), S. 42. Sie orientierte sich in ihrer Untersuchung an den Ergebnissen<br />

der Berufszählung von 1907.<br />

156) Hausen, Karin. Technischer Fortschritt und Frauenarbeit. In: GuG 4/1978, S. 148-169;<br />

hier S. 161. Diese Angaben beziehen sich auf die Bekleidungsindustrie, sind aber übertragbar auf die<br />

behandelten Branchen.<br />

157) Geyer (s. Anm. 18), S. 76; Gotthei ner (s. Anm. 140) wies darauf hin, daß die Anwendung<br />

selbst abgeschwächter Schutzgesetze nur Nachteile für die Heimarbeiterinnen bringen würde, da<br />

ihnen zum Teil finanziell nicht realisierbare Auflagen hinsichtlich der Beschaffenheit der Arbeitsräume<br />

und der Arbeitszeitbeschränkungen (Nachtarbeit) gemacht würden. Ihrer Ansicht nach bestünde<br />

die einzige Möglichkeit zur Beseitigung der Mißstände in der Heimarbeit darin, die Löhne zu<br />

erhöhen und Tariflöhne einzuführen.<br />

148<br />

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Saison' sich durchzuhungern oder zu unsittlichen Nebenverdienst zu greifen. Witwen und<br />

Ehefrauen, Mädchen und Kinder, Werkstättenarbeiterinnen und Heimarbeiterinnen in engeren<br />

Sinne ziehen in schier endlosem Zuge an uns vorüber, den Eindruck grauen, eintönigen<br />

Elends zurücklassend" ISR).<br />

Diese zeitgenössische Schilderung dokumentiert deutlich die Heterogenität in dt!r Zusammensetzung<br />

der Ileimarbeiterinnenschaft; nicht zuletzt dieser Umstand ließ eine<br />

Interessenorganisation unter ihnen schwer in Gang kommen. Viele in hauswirtschaftliche<br />

und familiäre Pflichten eingebundene Frauen waren angewiesen auf einen Arbeitsplatz im<br />

eigenen Haus, konnten einen Arbeitsplatz in einer entfernt gelegenen Fabrik nicht annehmen<br />

und waren so gezwungen, sich wegen mangelnder Interessenartikulierung bezüglich<br />

der Besserung ihrer Verdienste oder der Ausweitung der Arbeitsschutzgesetze auf ihre<br />

Tätigkeiten mit den gegebenen Verhältnissen zu arrangieren.<br />

Diese reststeIlungen treffen in ähnlicher Weise auch für die Verhältnisse in <strong>Braunschweig</strong><br />

zu 159):<br />

Der Fabrikarbeiterverband (FA V) allerdings hatte im Gegensatz zu den Ergebnissen<br />

der Berufszählungen wesentlich höhere Zahlen von Heimarbeiterinnen ermittelt. Der<br />

Grund heirfür liegt mit großer Wahrscheinlichkeit darin, daß die Berufszählungen viele<br />

Heimarbeiterinnen unter die Fabrikarbeiterinnen subsummierten.<br />

So ermittelte der Fabrikarbeiterverband für 1905 folgende Beschäftigungsverhältnisse:<br />

Er bezifferte die Zahl der Heimarbeiterinnen im Herzogtum <strong>Braunschweig</strong> als, zumindest<br />

im Bereich der Konservenindustrie, höher als die der Fabrikarbeiterinnen. So<br />

kann es sich während der Kampagne um mehr als 3-5000 Hdmarbeiterinnen in dicst!r Region<br />

gehandelt haben 160). In der Mehrzahl waren diese Frauen Angehörige von Fabrikarbeitern,<br />

sowohl deren Töchter als auch Ehefrauen oder Witwen. Der FA V hatte 1905 von<br />

402 Konserven-Heimarbeiterinnen deren soziale Zugehörigkeit ermittelt; danach waren<br />

83 Frauen mit Metallarbeitern verheiratet, 23 mit Holzarbeitern, 24 mit Schuhmachern, 18<br />

mit Maurern, 14 mit Transportarbeitern, 18 mit Staatsbahnarbeitern und 7 mit Brauereiarbeitern;<br />

89 der Arbeiterinnen hatten Männer unterschiedlicher Berufszugehörigkeit geheiratet.<br />

Knapp ein Viertel der Befragten waren Ehefrauen von Arbeitern, deren Wochenlöhne<br />

zwischen 14,79 und 19,60 Mk lagen. Ihre Heimarbeit verrichteten sie in diesen Fällen<br />

wegen ökonomischer Not. Daß sie nicht einen Arbeitsplatz in einer Fabrik bevorzugten,<br />

hing mit ihrer Haus- und Familienarbeit zusammen: über 25 % dieser Heimarbeiterinnen<br />

hatten zwischen 3 und 7 Kinder zu versorgen, weitere 25 % hatten 2 bis 3 Kinder, knapp<br />

158) Gottheiner (s. Anm. 140), S. 558.<br />

159) Hierbei muß angemerkt werden, daß auch viele mittelständische Frauen in Heimarbeit Geld<br />

verdienten, was sie jedoch als Angehörige bürgerlicher Familien verschwiegen. (Beiträge zur Statistik<br />

des Hzms. <strong>Braunschweig</strong>, Bd. 13, S. 62--{i9, S. 76-83; Band 25, S. 28 ff. (s. Anm. 49). Leider fehlt für<br />

das Jahr 1907 eine solche Aufgliederung.<br />

160) "Denkschrift, betreffend ... " (s. Anm. 77), S. 13 ff.<br />

http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042624<br />

149


24 % der Frauen hatten 1 Kind, knapp 11 % hatten erwachsene und nur 5 % der Frauen<br />

hatten keine Kinder 161).<br />

Die Löhne der Heimarbeiterinnen in der Konservenindustrie waren im Schnitt geringer<br />

als die der Fabrikarbeiterinnen - bei häufig längeren Arbeitszeiten als in der Fabrik.<br />

Der Durchschnittswochenlohn einer Fabrikarbeiterin lag im Jahr 1907 bei 11,72 Mk. Von<br />

den durch den FA V 1905 befragten Heimarbeiterinnen verdienten<br />

101 Frauen 7 Mk.,<br />

129 Frauen 8 Mk.,<br />

99 Frauen 9Mk.,<br />

66 Frauen 9-18 Mk. ,(7 Frauen machten keine Angaben)<br />

Dies entspricht einem Durchschnittslohn von 8,91 Mk. pro Woche. Solche Verdienstschwankungen<br />

ergaben sich aus der unterschiedlichen Dauer der Arbeitszeit sowie aus den<br />

verschiedenen zahlreich zur Verfügung stehenden Familienangehörigen, die mit arbeiteten.<br />

Von diesen Frauen wurde ihr jeweiliger Arbeitsbeginn am Morgen folgendermaßen<br />

angegeben:<br />

3 Uhr 54 Frauen<br />

4 Uhr 56<br />

5 Uhr 172<br />

6Uhr 40<br />

7Uhr 18<br />

8Uhr 18<br />

9Uhr 8<br />

Die meisten Heimarbeiterinnen begannen somit vor 5.30 Uhr, eine durch die Gewerbeordnung<br />

festgesetzte Grenzzeit der Nachtarbeit in Fabriken. Die Beendigung der täglichen<br />

Arbeit fand wiederum in den meisten Fällen während der gesetzlich bestimmten<br />

Nachtarbeitszeit für Frauen, nämlich nach 19.30 Uhr, statt:<br />

So beendetcn um 18 Uhr 5 Frauen ihre Arbeit,<br />

" 19Uhr 19 Frauen,<br />

" 20Uhr 13 Frauen,<br />

" 21 Uhr 24 Frauen,<br />

" 22 Uhr 117 Frauen,<br />

" 23 Uhr 169 Frauen,<br />

" 24 Uhr 14 Frauen,<br />

1 Uhr 2 Frauen 162)<br />

In 67 Fällen arbeiteten der Ehemann und erwachsene Kinder mit, in 79 Fällen mußten<br />

kleine Kinder mithelfen 163).<br />

150<br />

161) Ebda, S. 14.<br />

162) Ebda, S. 16.<br />

16) Ebda, S. 16.<br />

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http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042624


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Der Verfasser der Denkschrift hatte verschiedene Heimarbeiterinnenfamilien besucht<br />

und festgestellt,<br />

"daß in diesen engen, wegen Mangel an Zeit ungenügend gereinigten, von verdorbener<br />

Luft erfüllten Räumen viele Nächte hindurch von kränklichen Frauen und deren Kindern<br />

gearbeitet worden ist" 1(4).<br />

Im Schnitt standen diesen Familien pro Person nur V3 eines Raumes zur Verfügung, die<br />

Lebens- und Arbeitsräume waren entsprechend beengt 165).<br />

Angesichts dieser miserablen Zustände unter der Heimarbeiterinnenschaft empfanden<br />

viele Konservenfabrikanten die Inanspruchnahme von Heimarbeit als "zweifelhaften Notbehelf"<br />

- dies allerdings mehr aus Gründen der geschäftsschädigenden Konsequenzen,<br />

wenn diese Verhältnisse publik gemacht würden, als aus sozialem Engagement heraus.<br />

Diese Stoß richtung wird noch offensichtlicher, wenn die Maßnahmen der Industriellen,<br />

sich gegen diese Mißstände auf Kontrollen und Druckausübung auf die Heimarbeiterinnen<br />

zu beschränken, mit in das Blickfeld der Untersuchung gerückt werden.<br />

Speziell eingerichtete "Überwachungskommissionen" sollten dafür sorgen, daß<br />

"die Überwachung der Heimarbeiter dadurch unter(stützt werden sollte), daß sie ihre<br />

Wahrnehmungen über etwaige Verstöße einzelner Arbeiter oder Arbeiterinnen den Überwachungsbeamten<br />

mitteilen"I66).<br />

Durch diese Maßnahmen solltc der Makel mangelnder Reinlichkeit in der Heimarbeit vom<br />

Ruf <strong>Braunschweig</strong>er "Qualitätskonserven" 167) entfernt werden. Die Darstellung der Verhältnisse<br />

in der Potsdamer Konservenindustrie läßt gewiß auch Rückschlüsse auf die Situation<br />

in <strong>Braunschweig</strong> zu, so daß die Befürchtungen der hiesigen Konservenfabrikanten<br />

hinsichtlich des Rufs ihrer Erzeugnisse gewisse Berechtigung erlangen konnten: In Potsdam<br />

wurden Obst und Gemüse<br />

"in höchst unsauheren Kinderwagen, alten Säcken, seIhst Kopfkissen, die von Schmutz<br />

starren, transportiert" 168).<br />

Durch die Überwachungskommission von 1905 sollte außerdem gewährleistet werden, daß<br />

von den angelieferten Rohgemüsen nichts unterschlagen wurde. Durch Abwiegen der<br />

Rohgemüse vor und erneutes Wiegen der Abfälle und der vorbereiteten Gemüse nach der<br />

Verarbeitung durch die Heimarbeiterinnen sollte sichergestellt werden, daß größtmögliche<br />

Mengen kochfertigen Gemüses in die Fabriken zurückgelangten 169).<br />

1(4) Ebda, S. 21.<br />

165) Ebda, S. 14.<br />

166) Eine Kommission vom 1. 5. 1906; in: "Vereinbarungen der Draunschwcigcr Konservenindustriellen<br />

über die Überwachung der Heimarbeit." (Nds StA W, 19 B Neu 680).<br />

167) "Denkschrift, betreffend ... " (s. Anm. 77), S. 27.<br />

168) Ebda, S. 35.<br />

169) Diese Angaben stammen von einer Tochter einer um die lahrhundertwende erwerbstätigen<br />

Konservenarbeiterin aus Sierße (bei Vechelde; entnommen aus einem von der Verfasserin im Juni<br />

1986 geführten Interview).<br />

http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042624<br />

151


Wenn Heimarbeiterinnen darüber klagten, daß" die Akkordlöhne für Heimarbeit<br />

niedriger seien als für Fabrikarbeit" , so parierten die Arbeitgeber mit wenig überzeugenden<br />

Argumenten; dieser Sachverhalt war für sie "in Ordnung",<br />

"denn die Fabrikarbeiterinnen müßten ja noch die Beitragslasten für Unfall-, Krankcnund<br />

Invalidenversicherung tragen, was die Heimarbeiterin nicht notwendig habe" 170).<br />

Was hingegen der fehlende Versicherungsschutz für Heimarbeiterinnen bei Erwerhsunfähigkeit<br />

bedeutete, wurde in dieser Argumentation bewußt ausgeklammert. Ebenso fehlte<br />

die Information darüber, wie hoch die Kosteneinsparungen für die Fabrikanten dadurch<br />

waren, daß sie keine Arbeitgeberanteile für die Versicherungen zahlen sowie keine Arbeitsräume,<br />

Maschinen und Werkzeuge stellen mußten.<br />

Vollkommen paradox erscheint in diesem Zusammenhang ein Vorfall in einer <strong>Braunschweig</strong>er<br />

Konservenfabrik im Jahr 1907.<br />

"Auf Grund einer Mittheilung einer Arbeiterin sollen wiederholt in der Conservenfabrik<br />

,<strong>Braunschweig</strong>' Hier, Hildesheimerstr. Arbeiterinnen im Betriebe tätig gewesen sein, und<br />

nicht bei der zuständigen Orts-Krankenkasse gemeldet sein."<br />

Diese Tatsache wäre bereits vom "Comtoir-Personal" bestätigt worden, welches die Ansicht<br />

vertrat, daß diese Frauen Heimarbeiterinnen wären und denen der Betrieb "nur in<br />

Folge Raummangels in eigener Wohnung vorübergehend Sitzplätze in Fabrikräumen gewährt<br />

habe." Als Heimarbeiterinnen wären sie jedoch nicht versicherungspflichtig 171).<br />

Die Ortskrankenkasse beauftragte daraufhin den Stadtmagistraten, diesen Sachverhalt<br />

zu überprüfen; das Ergebnis der Untersuchung lautete:<br />

"Die Krankenversicherung ... der betreffenden freien Arbeiterinnen (sei) während ihrer<br />

Beschäftigung in den Fabrikräumen allen anderen Arbeiterinnen gleich" 172).<br />

Hier liegt die Vermutung nahe, daß beide Seiten, Arbeitgeber wie Arbeitnehmerinnen<br />

gleichermaßen an einer Einsparung von Beitragszahlungen interessiert waren. Gerade<br />

Konservenarbeiterinnen waren möglicherweise, da sie überwiegend verheiratet waren,<br />

durch ihre Ehemänner mitversichert, so daß sie gern ihre Krankenkassenzahlungsanteile<br />

einsparten. Über die Quoten von Heimarbeiterinnen und Heimarbeitern in der Textilindustrie<br />

existieren nur wenige Hinweise. So ist belegt, daß im Jahr 1890 in der <strong>Braunschweig</strong>er<br />

Textilindustrie rund 200 Frauen in Heimarbeit beschäftigt gewesen waren, die vor allem<br />

durch die "Aktiengesellschaft für Jute und Flachsindustrie" als Sacknäherinnen eingestellt<br />

waren 173).<br />

Im gleichen Zeitraum sind für die Konservenindustrie sechs mal so viele Frauen als<br />

Heimarbeiterinnen erfaßt worden, was einem Anteil von 21 % der Konservenarbeiterin-<br />

170) <strong>Braunschweig</strong>er Volksfreund, 1. 3. 1906 ("Das graue Elend in der Konserven-Industrie").<br />

171) Schreiben der Ortskrankenkasse für Konservenarbeiterlinnen an den Stadtmagistraten vom<br />

7.10.1907. In: "Die Ortskrankenkasse der Arbeiter in Conservenfabriken" (s. Anm. 102).<br />

172) Ebda, Schreiben des Stadtmagistraten an die Ortskrankenkasse vom 9. 10. 1907<br />

173) "Gewerbliche Anlagen, besichtigt ..... (s. Anm. 76), S. 6.<br />

152<br />

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http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042624


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nen insgesamt entsprach, die zu Haus arbeiteten 174). Bettgenhaeuser vermutete damals<br />

richtig, daß diese Zahl noch ansteigen würde (auf mindestens das dreifache im Jahr 1905),<br />

da der Verdienst für die Frau hier höher ausfiel als "bei der Fahrikarbeit mit gesetzlich<br />

beschränkter Arbeitszeit" 175). Diese Folgerung hingegen erwies sich als Trugschluß, da<br />

längere Arbeitszeiten erfahrungsgemäß niedrigere Löhne verursachten und die Arbeitszeiten<br />

in den Konservenfahriken während der Kampagne nur zu häufig legal oder illegal verlängert<br />

wurden. Hier konnte der Unterschied in den Arbeitszeiten zwischen f'abrik- und<br />

Heimarbeiterinnen oft nicht so groß gewesen sein, wogegen die letztendlich ausgezahlten<br />

Löhne an beide Gruppen große Unterschiede aufwiesen.<br />

c) Nachtarbeit, Überarbeit, Maximalarbeitstag<br />

Mit der Gewerbeordnungsnovelle vom 1. 6. 1891 wurden die erstmals 1878 erlassenen<br />

Schutzbestimmungen für Frauenarbeit in Fabriken und Bergwerken wieder aufgenommen,<br />

seit 1900 wurde speziell das Verbot der Nachtarbeit unter anderem auf alle Werkstätten<br />

und Fabriken mit Motorbetrieb ausgeweitet. Unter Nachtarbeit wurde die Zeit zwischen<br />

20.30 Uhr und 5.30 Uhr begriffen 176).<br />

Infolge der geringen Löhne waren viele Arbeiterinnen jedoch gezwungen, Überarbeit<br />

bis in die Nacht hinein zu leisten, um ihre Lohnsummen zu erhöhen. Arbeitgeber wollten<br />

dies von sich aus nicht unterbinden, weil ihnen an der Auslastung ihrer Produktionsanlagen<br />

lag. In vielen Fällen waren es die Fabrikanten, die die Schutzgesetze durch die Anordnung<br />

unbewilligter Nachtarbeit aushöhlten, jedoch ließen auch Erlasse des Bundesrats, auf die<br />

Bedürfnisse der Industriellen eingehend, häufig die bestehenden Schutzbestimmungen außer<br />

Kraft setzen.<br />

In diesem Spannungsfeld trafen zwei Interessen hart aufeinander; zum einen die familienpolitischen,<br />

repräsentiert durch die Arbeitsschutzgesetze, und zum anderen ökonomische<br />

Interessen auf Seiten der Industriellen. Bei dieser Gegenüberstellung darf jedoch<br />

nicht verkannt werden, daß die Arbeiterinnen in vielen Fällen sicherlich an Mehrarbeit<br />

interessiert waren, um ihren Verdienst aufzubessern. Das Umgehen der Schutzgesetze war<br />

vor dem Vorhandensein von Tarifverträgen die einzige Möglichkeit der Frauen zum Mehrverdienst.<br />

Gerade die Kampagneindustrien wie die Konservenfabrikation ließen in hohem Maße<br />

Überarbeit leisten. Die in der Gewerbeordnung vorgesehenen Ausnahmen vom Verbot<br />

der Über- und Nachtarbeit wurden in diesen Betrieben während der Hochsaison weitgehend<br />

ausgenutzt, "wegen außergewöhnlicher Häufung der Arbeit" konnte an 40 Tagen im<br />

Jahr der Arbeitstag von Arbeiterinnen von maximal 11 auf 13 Stunden erhöht werden.<br />

Bewilligungen hierzu erteilten zuständige Behörden auf Antrag durch die Fabrikanten 177).<br />

174) Bettgenhaeuser(s. Anm. 6), S. 20.<br />

175) Ebda, S. 20.<br />

176) Salomon, Alice. Die Nachtarbeit dcr Frauen. In: Die Frau 11/1903/1904, S. 160 (nach §<br />

137 der Gew. 0.).<br />

In) Ebda, S. 161 (nach § 105 f. der Gew. 0.).<br />

http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042624<br />

153


Häufig erfolgte die AntragsteIlung zu kurzfristig vor dem Termin erwarteter Überarbeit,<br />

so daß illegale Überarbeit von den Arbeitgebern angeordnet wurde.<br />

Da in der Konservenindustrie häufig unregelmäßige und unerwartete Gemüseanlieferungen<br />

vorkamen, ist sicherlich davon auszugehen, daß die Fälle kurzfristig angeordneter<br />

Überstunden sehr viel häufiger vorkamen als von der Polizei oder der Gewerbeaufsicht<br />

festgestellt.<br />

Ein Auszug aus den Gewerbeaufsichtsberichten für das Herzogtum <strong>Braunschweig</strong> soll<br />

über den Umfang bekannt gewordener illegaler sowie die Daten bewilligter Überarbeit der<br />

Branchen Nahrung/Genuß Aufschluß geben 178):<br />

Überarbeit in den Branchen der Nahrungs-/Genußmittelindustrie<br />

Bewilligte Überarbeit<br />

Zeit der<br />

Betroffene Überarbeit<br />

Arbeiterinnen pro Arbeiterin<br />

1896 545 1 Tag mit 11hh<br />

5 12 Samstage a 3 h<br />

1901 94 1 Tag mit 11h-2 h<br />

1903<br />

1905 70 25 Tage a 11h-2 h<br />

1144 29 Tage mit 2-3 h<br />

Überarbeit in der Textilindustrie<br />

1896<br />

1898<br />

1903<br />

1905<br />

1907<br />

Bewilligte Überarbeit<br />

Zeit der<br />

Betroffene Überarbeit<br />

Arbeiterinnen pro Arbeiterin<br />

80 11 Tage mit 1 1,02-2 h<br />

166 30 Tage mit 1-2h<br />

Illegale Überarheit<br />

Zeit der<br />

Betroffene Überarbeit<br />

Arbeiterinnen pro Person<br />

52 n.erm.<br />

162 n.erm.<br />

117 n.erm.<br />

Betroffene<br />

Arbeiterinnen<br />

128<br />

20<br />

Illegale Überarbeit<br />

Zeit der<br />

Überarbeit<br />

pro Arbeiterin<br />

n.erm.<br />

n.erm.<br />

178) Nach den Gewerbeaufsichtsberichten f. d. Hzm. <strong>Braunschweig</strong> für die Jahre 1896, 1898,<br />

1901,1903,1905,1907 (s. Anm. 7). Keine Angaben bedeuten auch, daß keine Revisionen stattgefunden<br />

haben oder aber keine Zuwiderhandlungen festgestel1t werden konnten. Bewil1igte Überarbeit<br />

fand nach §§ 105 f. und 138a, 5 und 139, 1 der Gew. o. statt.<br />

154<br />

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Parallel verliefen in beiden Branchen die Zu- und Abnahme sowohl illegaler als auch<br />

bewilligter Überarbeit je nach Wirtschaftslage. Von einer seit 1901 anhaltenden Wirtschaftskrise<br />

geprägt, wurde 1903 durch die Gewerbeaufsicht keine Überarbeit registriert.<br />

In beiden Branchen entsprach eine niedrige Zahl bewilligter Ausnahmen einer erhöhten<br />

Zahl von Fällen illegaler Überarbeit, was sicherlich darauf zurückzuführen ist, daß die<br />

Anträge auf Überarbeit von den Industriellen zu spät gestellt worden waren und infolgedessen<br />

die anfallende Mehrarbeit ohne behördliche Genehmigung verrichtet wurde.<br />

Bei den bewilligten wie auch den illegalen Fällen von Überarbeit handelte es sich zum<br />

Teil um Nachtarbeit. Für 1896 wurde beispielsweise der Jutespinnerei <strong>Braunschweig</strong> genehmigt,<br />

aufgrund des § 139,1 derGew.O. abweichend von § 137,1 Gew.O., betreffend die<br />

Nachtarbeit von Frauen, 80 Arbeiterinnen in der Zeit vom 20.7. bis zum 31.10. d.J. in der<br />

Schuß- und Kettenspulerei zu beschäftigen, da wegen eines Schadenfeuers in der Anlage<br />

ein Arbeitsausfall ausgeglichen werden mußte. Hier handelte es sich um Nachtarbeit, die<br />

viele Fraucn für Monate leisten mußten 179).<br />

Häufiger als in der Textilindustrie wurden die Schutzbestimmungen in der Konservenindustrie<br />

umgangen IRO). Trotz zunehmender Aufweichung der Gesetze durch Erlasse des<br />

Bundesrats empfanden die Konservenfabrikanten die Arbeitszeitbeschränkungen der Gewerbeordnung<br />

als geschäftsschädigend, die Folge waren Arbeitszeitüberschreitungen in<br />

den Betrieben.<br />

In der <strong>Braunschweig</strong>er Konservenfabrik in der Taubenstraße hatten am Tage der Berichterstattung<br />

durch den "Volksfreund" am 16. 8. 1903 die Arbeiterinnen bereits 14 Tage<br />

lang von 5 Uhr bis 24 Uhr an den Bohnenschneidemaschinen gestanden, bei einer Stunde<br />

Mittagspause und jeweils 30 Minuten Frühstücks- und Vesperpause.<br />

Für "Küchenarbeiterinnen waren es gar 18 und 19 Stunden, da diese bis 1 Uhr nachts<br />

zu arbeiten hatten und noch haben" 181). Der Lohn für die Überstunden, gerechnet ab der<br />

10. Arbeitsstunde, betrug für die Küchenfrauen 25 Pfennig pro Stunde 182), geringfügig<br />

mehr als der übliche Lohn.<br />

Der Verband der Fabrikarbeiter ermittelte für das Jahr 1905 in <strong>Braunschweig</strong> folgende<br />

Arbeitszeiten von Konservenarbeiterinnen IR3):<br />

9 Arbeiterinnen waren 9-10 Stunden beschäftigt<br />

22 11-12<br />

19 12-14<br />

Arbeiterin war 14-16<br />

16--18<br />

bezogen auf 52 befragte Frauen. Im Schnitt arbeitete jede Frau pro Tag 11,9 Stunden.<br />

179) Jber. der Gewerbeaufsichtsbeamten ... f. d. Jahr 1896, S. 11 (s. Anm. 7).<br />

IRO) Dies galt in noch viel stärkerem Maße für die Zuckerfabriken.<br />

181) <strong>Braunschweig</strong>er Volksfreund, 16. 8. 1903.<br />

182) Ebda, 16.5. 1906; der normale Zeitlohn betrug 15-22 Pfennige.<br />

18J) "Denkschrift, betreffend ... " (s. Anm. 77), S. 10. Nach diesen Berechnungen arbeiteten<br />

Männer 12,8 Stunden pro Tag, hatten danach jedoch im Gegensatz zu den Frauen Feierabend.<br />

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155


Die Arbeiterin K. in der Konservenfabrik T. in <strong>Braunschweig</strong> arbeitete 1906 in 13<br />

Wochen insgesamt 1038Y2 Stunden, was nach Abzug von Krankheitstagen wegen Erschöpfung<br />

sowie von Tagen, an denen sie vorrangig ihren Haushalt und ihre fünf Kinder versorgen<br />

mußte, eine tägliche Arbeitszeit von 12,9 Stunden bedeutete. An sechs aufeinanderfolgenden<br />

Sonntagen war sie im Betrieb anwesend. Ihr Wochenlohn betrug 13,41 Mk für in<br />

diesem Zeitraum geleistete 108,5 Stunden 184). Ihr Stundenlohn reduzierte sich durch die<br />

langen Arbeitstage auf 8 Pfennige. "Die Gründe zu dieser unmenschlichen Arbeitsleistung<br />

(sind) zahlreiche Familie und niedriger Lohn" 185). Sicherlich handelte es sich bei dem geschilderten<br />

Fall um eine Ausnahme, die Tendenzen in der Arbeitssituation anderer Konservenarbeiterinnen<br />

wiesen jedoch sicherlich Parallelen auf.<br />

"Die maßlose Nacht- und Sonntagsarbeit" führte zu zahlreichen Unmutsbekundungen<br />

seitens der Arbeiterinnen in Konservenfabriken, denn gerade sie als billige Arbeitskräfte<br />

in arbeitsintensiven Tätigkeitsbereichen waren von Üherarheit betroffen 186). Die<br />

Fabrikanten rechtfertigen die Arbeitssituationen ihrer Arbeiterinnen damit, indem sie äußerten,<br />

"die Arbeiterinnen arbeiten ganz gerne etwas länger wie 13 Stunden, des Verdienstes<br />

halber" 187). Der Konservenfabrikant Röver aus Braunschwcig wehrte sich empört gegen<br />

Unterstellungen seitens einiger Reichstagsabgeordneter, daß die Arbeiterinnen in<br />

Konservenfabriken infolge der Überarbeit Gesundheitsschäden davontrügen 188):<br />

"Wenn auch die Arbeitszeit nicht selten eine längere ist, als es ( ... ) den Fabrikanten lieb<br />

ist, so sucht man doch dieselbe mit allen Kräften abzukürzen, da die ermüdete Arbeiterin<br />

lange nicht mehr das leisten kann, was sie selbst zu leisten in der Lage ist. Was die Herren<br />

Sozialdemokraten anstreben, ,Verringerung der Arbeitszeit' läßt sich aber mit dem besten<br />

Willen nicht erzwingen (wegen des Verderbens der Rohgemüse; Anm. d. Verf.) .... Für ihren<br />

Normalbetrieb stellen die Fabriken die erforderlichen und erhältlichen Arbeiterinnen ein,<br />

mehr ist nicht angängig, auch den letzteren nicht lieb, da sie ja bei unternormalcr Anlieferung<br />

nicht voll beschäftigt werden könnten, worauf es aber den Arbeiterinnen ankommt, da sie<br />

sonst eben dahin gehen, wo sie noch Überstunden machen können. Die Arbeiterinnen wollen<br />

also gar keine verkürzte Arbeitszeit, da sie verdienen wollen und müssen, weil sie gewöhnlich<br />

von ihren Männern, die nicht selten zwar genug verdienen, aber für sich viel zu viel ausgeben,<br />

nicht so pecuniär gehalten waren, daß sie sich und ihre Kinder zu erhalten vermögen, ... "<br />

Arbeitszeitverkürzungen lagen also auch durchaus im Interesse der Fabrikanten, Schichtarbeit<br />

sollte stattdessen die teuren Überstunden der Arbeiterinnen verringern.<br />

Was die Widersprüche in der Darstellung des "Volksfreund" und des Schreibens des<br />

Fabrikanten Röver in Bezug auf die Überarbeit betrifft, so sind vermutlich beide Stand-<br />

1114) Zum Vergleich: 1906 verdiente eine Konservenarbeiterin bei 60 Wochenstunden ca. 10,80<br />

MarkIWoche.<br />

185) B aj 0 h r, Vom bitteren Los (s. Anm. 1), S. 135.<br />

1116) <strong>Braunschweig</strong>er Volksfreund, 1.3. 1906.<br />

11!7) Ebda, 25. 5. 1906; Ebda, 7. 10. 1906 (Aussage des Konservenfabrikanten Falk während<br />

einer Gerichtsverhandlung).<br />

188) S


punkte nebeneinander vertretbar. Es wird sowohl Arbeiterinnen gegeben haben, denen<br />

die Überstunden gelegen kamen als auch Frauen, die nicht damit einverstanden waren.<br />

Hier spielt die jeweilige familiäre Situation der Arbeiterinnen gewiß eine Rolle; ganz unterschiedlich<br />

waren sicherlich sowohl die Höhe des Einkommens der Ehemänner als auch die<br />

Belastungen der Frauen mit Haus- und Familienarbeit.<br />

Ähnliche Eingaben wie die erwähnte von Röver fanden in einigen Fällen die Zustimmung<br />

von Regierungsräten und Bundesrat. Ziel war die Regelung von unumgänglicher<br />

Überarbeit.<br />

Bereits lR97 hatte der Vorstand der "Vereinigten Conservenfabrikanten <strong>Braunschweig</strong>s<br />

und Umgegend" in einem Antrag an den Bundesrat gefordert, die Möglichkeit<br />

zur Überarbeit zu erweitern 189). Hier war die Rede von der Erlaubnis zu Überarbeit bis 24<br />

Uhr an 70 Tagen des Betriebsjahrs für jede Arbeiterin. Weitere Eingaben ähnlichen Inhalts<br />

veranlaßten den Bundesrat zu seiner Bekanntmachung vom 11. 3. 1898, in der aufgrund<br />

des § 139 ader Gew .-0. Überarbeit his zu 13 Stunden an bis zu 40 Tagen im Jahr stattfinden<br />

durfte 190). Trotz dieser Lockerung der Arbeitsschutzbestimmungen mehrten sich die Forderungen<br />

der Fabrikanten nach flexiblerer und unbeschränkter Arbeitseinteilung 191), sowie<br />

nach der Einführung von Schichtarbeit.<br />

Denn, so die Fabrikanten,<br />

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"da alle Stunden nach 7 Uhr abends in der Konservenindustrie als Überstunden gelten, die<br />

höher bezahlt werden müssen, werden die Fabrikanten schon in ihrem eigenen Interesse danach<br />

streben, die Arbeitszeit, soweit möglich, nicht über diesen Zeitpunkt auszudehnen"192).<br />

Durch Schichtarbeit ließe sich die höher bezahlte Überarbeit vermeiden, was für Arbeiterinnen<br />

die Einführung einer regulären Arbeitszeit bedeutete.<br />

Verbunden mit Darstellungen ihrer vom Zusammenbruch bedrohten Firmen im Fall<br />

der Nichtgewährung der Forderungen 193) von 1906 und 1908 hatten diese Eingaben an den<br />

an florierender Wirtschaft interessierten Bundesrat zur Folge, daß dieser 1909 einen weiteren<br />

Erlaß herausgab 194). Hierin war die Zahl der Tage, an denen Überarbeitet geleistet<br />

werden durfte, von 40 auf 60 heraufgesetzt, ferner die Möglichkeit zur Schichtarbeit eingeräumt,<br />

wenn es hieß, daß die Arbeitszeit zwischen 4.30 und 22 Uhr liegen sollte. Die Fabrikanten<br />

hatte die Ausdehnung der Arbeitszeit bis 24 Uhr gefordert, eine Vorverlegung des<br />

189) Antrag abgedruckt in: Jbcr. der Gewerbeaufsichtsbeamten ... f. d. Jahr 1897, S. 11 (s. Anm.<br />

7) (Antrag vom 1. 4. 1897).<br />

190) Jber. d. Gewerbeaufsichtsbeamten ... f. d. Jahr 1898, S. 11 (s. Anm. 7).<br />

191) Ersuchen des Vereins dcr Kunservenfabrikanten <strong>Braunschweig</strong>s und Umgegend vom 3. 2.<br />

1906 an das Staatsministerium (Nds. StA W, 133 Neu 751); Brief von C. H. Daubert an den Marstall<br />

<strong>Braunschweig</strong>s vom 23. 11. 1908; Brief von H. Querner an den Geheimrat vom 17. 1. 1908 (beide<br />

Schreiben in Nds. StA W, 19 B Neu 680).<br />

192) "Ersuchen des Vereins ... " (s. Anm. 191).<br />

193) Ebda.<br />

194) Vgl. die Erlaubniserteilung der Herzoglichen Polizeidirektion für Überarbeit im Jahr 1909<br />

(Nds. StA W, 133 Neu 751; "Die Überarbeit erwachsener Arbeiterinnen in Fabriken").<br />

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157


Arbeitsbeginns für Zurichterinnen von 5.30 auf 4,30 Uhr, um Verschiebungen im Arbeitsablauf<br />

auszugleichen und Arbeitspausen zu vermeiden.<br />

Für die Arbeiterin stellte die Einführung von Schichtarbeit eine Verbesserung, die<br />

Erhöhung der Zahl von Tagen bewilligter Überarbeit jedoch eine Verschlechterung ihrer<br />

Arbeitsbedingungen dar.<br />

"Die Handelskammer, die sich bisher noch niemals durch allzu starkes soziales Empfinden<br />

bemerkbar gemacht hat, hekommt es fertig, die Forderung sogar mit Rücksicht auf die Arbeiterschaft<br />

zu verbrämen" 195).<br />

Diese Äußerung des "Volksfreund" von 1906 sollte sich drei Jahre später bestätigen, als<br />

der Bundesrat seine Bekanntmachung vom 25. 11. 1909 herausgab; selbst die Gewerbeaufsicht<br />

in <strong>Braunschweig</strong> hatte sich 1906 noch skeptisch über den Erfolg der Forderungen der<br />

Industriellen geäußert und nicht mit einer solchen Bekanntmachung gerechnet 196).<br />

Nachträglich legitimierte dieser Verordnung von 1909 die bis dahin vorgefallenen Arbeitszeitverlängerungen,<br />

die trotz gesetzlicher Beschränkungen und strafrechtlicher Vorfolgung<br />

der Fabrikanten nicht zu verhindern gewesen waren. Für die Arbeiterinnen bedeutete<br />

es in jedem Fall lange Arbeitszeiten, auch wenn sie in Schichtarbeit tätig waren.<br />

"Wer nicht gutwillig während der Nächte arbeiten wollte, wurde mit sofortiger Entlassung<br />

bedroht 197)." Nur Erschöpfungszustände der Arbeiterinnen konnten sie vor der Fortsetzung<br />

ihrer Tätigkeit bewahren. Um die Frauen arbeitsfähig zu erhalten, wurde ihnen als<br />

"Extravergütung" "eine Tasse Kaffee pro Nacht" gewährt" 198).<br />

Die Abneigung der Fabrikanten gegenüber der Arbeitszeitverkürzung ist gut ablesbar<br />

an den Feststellungen der Gewerbeaufsicht für Braunsehweig durch alle herangezogenen<br />

Jahrgänge hindurch. Immer wieder findet sich die Arbeitszeitüberschreitung der vorgeschriebenen<br />

11 Stunden eines Maximalarbeitstages, häufig die zusätzliche Arbeit an Sonnabendnachmittagen<br />

und Sonntagen. Zwar rechtfertigten die Arbeitgeber diese Situation<br />

oft damit, daß ihnen in der Hochsaison nicht genügend geübte Arbeiterinnen zur Verfügung<br />

stünden 199), die anfallende Mehrarbeit somit von den anwesenden Frauen verrichtet<br />

werden müßte. Doch erscheint dieses Argument reichlich fadenscheinig, da die Tätigkeiten<br />

in Konservenfabriken bestenfalls eine kurze Anlernzeit erforderten. Die Überlastung<br />

der bereits eingesteHen Arbeiterinnen bedeutete ein geringeres finanzielles Problem als<br />

die Unterbeschäftigung der zu zahlreich eingestellten Frauen in Zeiten geringerer Arbeitsauslastung.<br />

Hierin ist der Grund zu suchen für die Weigerung der Industriellen, von der<br />

Forderung nach Verlängerung der zulässigen Arbeitsdauer abzusehen.<br />

195) <strong>Braunschweig</strong>er Volksfreund, 1. 3. 1906.<br />

196) Jber. d. Gewcrbeaufsichtsbeamten f. d. Jahr 1906, S. 7 (s. Anm. 7).<br />

197) "Denkschrift, betreffend ... " (s. Anm. 77), S. 21.<br />

19K) Ebda.<br />

199) Schreiben des Gemüsebau-Vereins <strong>Braunschweig</strong> im AprillS93 an den Berliner Reichstag<br />

(Nds. StA W, 19 B Neu 680).<br />

158<br />

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Gleichermaßen unwillig zeigten sich die Fabrikanten lange Zeit, durch die Einrichtung<br />

von Kühlräumen, Eiskellern und luftigen Schuppen die Unterschiedlichkeit des Arbeitsumfangs<br />

auszugleichen, da diese Bauten als zu kostspielig oder unausgereift erachtet<br />

wurden 200). Solange ein ausreichendes Potential hinreichend billiger Arbeitskräfte zur<br />

Verfügung stand und die zuständigen politischen Organe den Interessen der Industriellen<br />

mehr Aufmerksamkeit schenkten als den Arbeiterinnen und Arbeitern, sahen sich die Unternehmer<br />

nicht veranlaßt, kostspielige Investitionen zur Regulierung des Produktionsbetriebs<br />

vorzunehmen.<br />

5. Folgen der Erwerbssituation für die Frauen<br />

Die Folgen der spezifischen Erwerbssituation für Frauen zeichneten sich an verschiedenen<br />

Faktoren ab.<br />

Zum einen hatte die Arbeit in Fabriken zumeist einen gesundheitsschädigenden Einfluß<br />

auf die Arbeiterinnen. In derTextilindustrie war dies besonders der Fall durch Stäube,<br />

Hitze, Maschinenlärm, giftige Bleichstoffe 201 ) und das Stehen an Webstühlen und Spinnmaschinen<br />

202 ). Hinzu kamen Unfälle, die sich besonders an Samstagnachmittagen beim<br />

Reinigen der Maschinen ereigneten, da die Arbeiterinnen selten solange warteten, bis alle<br />

Maschinen abgeschaltet waren 203).<br />

Die extrem niedrigen Löhne und die gesundheitsbelastenden Arbeitsverhältnisse ließen<br />

eine Reihe von Frauen, die in der Niederlassung der ßraunschweiger Jutespinnerei in<br />

Vechelde beschäftigt waren, heimlich ihre Arbeitsplätze dort verlassen und anderswo einem<br />

lohnenderen Erwerb nachgehen. Jedesmal mußte die Betriebsleitung die <strong>Braunschweig</strong>er<br />

Polizeidirektion um "Rückführung" der Arbeiterinnen an die von ihnen nicht<br />

gekündigten Arbeitsplätze bitten 2(4) - eine prekäre Situation, deren Eintreten die Frauen<br />

angesichts ihrer geringbezahlten schweren Arbeit in der Spinnerei riskierten.<br />

In der Nahrungsmittelbranche war insbesondere die Tabak verarbeitung sehr gesundheitsbclastend<br />

für die Beschäftigten infolge der dort auftretenden Stäube, die Tuberkulose,<br />

Blutarmut, Bleichsucht und bei schwangeren Frauen häufig Fehlgeburten auslösten<br />

205 ).<br />

In den Konservenfabriken waren es die hohe Luftfeuchtigkeit und die Wärme sowie<br />

der ständige Kontakt mit Pflanzensäuren, die den Arbeiterinnen zu schaffen machten. Gerade<br />

Spargelschälerinnen beklagten sich häufig über Hautentzündungen, die quasi als Berufskrankheit<br />

mit dem Begriff "SpargeIkrätze" umschrieben wurden 2(0). Diese Krankheit<br />

2(0) Brief des Fabrikanten Querner (s. Anm. 191).<br />

201) Geyer (s. Anm. 18), S. 71.<br />

202) "Die Beschäftigung verheirateter Frauen in Fabriken. Nach den Jahresberichten der Gewerbeaufsichtsbeamten<br />

für das Jahr 1899." Bearb. vom Reichsamt des Innern. Berlin 1901. S. 102.<br />

203) Jber. d. Gewerbeaufsichtsbeamten ... f. d. Jahr 1907, S. 13 (s. Anm. 7).<br />

204) "Gewcrbepolizei zu Vechelde", Briefe der 70erund 80er Jahre (Nds. StA W, 126 Neu 1859).<br />

205) Geyer (s. Anm. 18), S. 72.<br />

206) "Denkschrift, betreffend ... " (s. Anm. 77), S. 15.<br />

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159


war nicht ansteckend, zwang jedoch gefährdete 'Frauen, auf diese Erwerbsarbeit zu verzichten.<br />

"Personen, die leicht der Erwerbung der Krankheit zuneigen, sind mitunter in städtischen<br />

Anlagen bekannt und werden von vornherein von der Mitarbeit ausgeschlussen, da sie erfahrungsgemäß<br />

stets wieder von der Erkrankung befallen werden. In ländlichen Betrieben, in<br />

denen meist das Personal für die ganze Kampagne genommen wird, müssen erkrankte Personen<br />

als bald als möglich mit anderen Arbeiten beschäftigt werden. Su traf ich in einer solchen<br />

Anlage eine Arbeiterin, die im Packraum mit dem Zunageln von Kisten beschäftigt war. Ihre<br />

Arme und Hände waren stark gerötet, und die Entzündung hatte aueh das Gesicht ergriffen"207).<br />

Wurde nicht ohnehin<br />

"von Spargelschälerinnen bei der Arbeit der linke Unterarm umwickelt, so findet man von<br />

Messerschnittcn herrührend oft Schrunden und Risse, die leicht zu Blutvergiftungen Anlaß<br />

geben können" 208).<br />

An der Spargelkrätze waren in den Jahren 1903 bis 1906 insgesamt 29 von 124 befragten<br />

Konserven-Fabrikarbeiterinnen und 134 von 402 Heimarbeiterinnen erkrankt 2(9), das entspricht<br />

23 % bzw. 33 % der Frauen. Die höhere Quote bei den Heimarbeiterinnen ist sicherlich<br />

mit der Isolierthcit ihrer Arbeitsweise zu begründen, wodurch die Krankheit länger<br />

unentdeckt bleiben und die Frauen länger beschäftigt werden konnten.<br />

Bereits erwähnte Erkrankungen von Frauen infolge zu langer Arbeitszeiten, wie Erschöpfungszustände,<br />

kamen hinzu. Fabrikanten waren angesichts dieser Verhältnisse der<br />

Ansicht, die "Arbeit in den Conservenfabriken ist eine derart leichte", daß nur Frauen von<br />

"schwacher Kostitution" von Überanstrengung betroffen wären. Im Hinblick auf die hohe<br />

Zahl der Erkrankungsfälle von Konservenarbeiterinnen, die die Ortskrankenkasse registriert<br />

hatte, erklärte der Hoflieferant Röver:<br />

"Durch Überanstrengung wird wohl selten oder gar keine Arbeiterin krank. Kann sie das<br />

Stehen nicht ertragen oder bekommt durch dasselbe dicke Füße, dann muß sie sich aber nicht<br />

zu solcher Arbeit hergeben .... "<br />

Vielmehr, so argumentierte er, seien die hohen Krankenkassenaufwendungen verursacht<br />

durch Frauen, "die ihre Niederkunft auf Kosten der Kasse durch(machten)" 210).<br />

Diese Aussagen stehen in auffälligem Kontrast zu Darstellungen im "Volksfreund";<br />

hier wurde festgestellt, daß die Arbeiterinnen durch Überanstrengung und Überarbeit in<br />

den Fabriken und die zusätzliche Arheit in den Familien sehr rasch ahgearbeitet waren und<br />

schneller alterten 211). Diese Doppclbclastung war es m. E., die die verheirateten, jedoch<br />

207) Jber. d. Gewerbeaufsichtsbeamten ... f. d. Jahr 1908, S. 14 (s. Anm. 7).<br />

20S) Ebda, f. d. Jahr 1908, S. 14 f.<br />

2119) <strong>Braunschweig</strong>er Volksfreund, 1. 3.1906.<br />

2\1l) Schreiben des Fabrikanten Röver an den Regierungsrat in <strong>Braunschweig</strong> vom 25. 5. 1906<br />

(Nds. StA W, 19 B Neu 680).<br />

211) <strong>Braunschweig</strong>er Volksfreund, 7. 10. 1906.<br />

160<br />

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auch häufig ledige Frauen mit Familienangehörigen, die sie zu versorgen hatten, überforderte.<br />

Sicherlich fielen Anstrengungen bei der außerhäuslichen Erwerbsarbeit mehr ins<br />

Auge, so daß diese in das Kreuzfeuer der Kritik geriet - in vielen Fällen auch zu recht. Doch<br />

da nicht alle Arbeiterinnen durch (weibliche) Hilfen im Familienhaushalt entlastet wurden,<br />

ist es verständlich, daß sie den Anforderungen in der Fabrik eben oft nicht gewachsen waren.<br />

Vermutlich waren Vorkommnisse wie im folgenden geschildert nicht die Regel, trotzdem<br />

wird hier deutlich, daß es sich bei der Arbeit in Konservenfabriken durchaus nicht nur<br />

um leichte Küchenarbeit handelte.<br />

Der "Volksfreund" berichtete am 16. 8. 1903 folgendes:<br />

"In einer braunschweigischen Konservenfabrik waren die Frauen an der Bohnenschneidemaschine<br />

( ... ) nämlich gezwungen, einen 170 Pfund schweren Bohnenkasten und zwar mit<br />

zwei Personen zu schleppen. Diese unerhörte Schinderei der Frauen verbot die Polizei. Doch<br />

anderen Tags mußten die Frauen trotz des Verbots die Arbeit wieder verrichten und erst, als<br />

sie sich weigerten, den Kasten weiter zu schleppen, wurden Männer zu dieser Arbeit bestellt."<br />

Das Vertrauen der Arbeiterinnen in den Arbeitsschutz, so heißt es in der Denkschrift des<br />

FA V212), sei durch die Handhabung der Gesetze teilweise erschüttert, da es immer wieder<br />

vorkam, daß sie "bei Querner, Grunsfeld u. Söhne, Falk, Griese, Struck, Koch etc. bis 24<br />

Uhr, 1 Uhr durcharbeiten mußten" 213).<br />

Doch gerade bei der Überarbeit ist, wie bereits erwähnt, das Interesse der Arbeiterinnen<br />

an der höherbezahlten Mehrarbeit nicht zu unterschätzen. In der betreffenden Denkschrift<br />

des FA V wurde auf diesen Sachverhalt sicherlich aus politischen Gründen nicht<br />

eingegangen. Auch bei dem folgenden, in der Denkschrift geschildertem Sachverhalt, fehlt<br />

die Darlegung der Arbeiterinnen-Interessen: Im Falle einer unerwarteten polizeilichen<br />

Kontrolle der Betriebe wurden die Arbeiterinnen von ihren Vorgesetzten angewiesen, sofort<br />

das Licht in den Fabrikationsräumen zu löschen und die Räume für die Dauer der<br />

Kontrolle zu verlassen 214 ).<br />

Das Verhalten der Frauen gegenüber ihren Arbeitgebern und den Kontrollinstanzen<br />

der Schutzgesetze war zum Teil zwiespältig; auf der einen Seite verhinderten die Arbeiterinnen<br />

selbst wie im oben geschilderten Fall die Effektivität polizeilicher Inspektionen, auf<br />

der anderen Seite beschwerten sie sich häufig über Gesetzesüberschreitungen der Fabrikanten:<br />

"Die Aufsichtsbehörde weiß ganz genau, in welch unverschämter Weise die Gesetze von<br />

den Fabrikanten übertreten werden, dazu haben wir oft genug die Beschwerden der Arbeiterinnen<br />

veröffcntlicht"215).<br />

Derartige erbitterte Kommentare im "Volksfreund" blieben nicht zuletzt deshalb ohne<br />

größere Wirkung, weil die Arbeiterinnen selbst aufgrund ihrer spezifischen Einstellung zur<br />

212) "Denkschrift, betreffend ... " (s. Anm. 77), S. 21.<br />

213) Ebda.<br />

214) Ebda.<br />

215) <strong>Braunschweig</strong>er Volksfreund, 16. 8. 1903.<br />

http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042624<br />

161


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kümmerten sich die Frauen selbst um einen Ausgleich niedriger Löhne 219 ). Seit 1850, mit<br />

dem Einsetzen der Industrialisierung im Deutschen Reich, stiegen die Zahlen der Prostituierten<br />

an. Im Jahr 1890 arbeiteten 100.000 bis 200.000 in diesem Gewerbe. Allein diese<br />

Schätzzahlen lassen eine hohe Zahl nicht registrierter Prostituierter vermuten. 1914 waren<br />

330.000 Frauen als Prostituierte heschäftigt. Es handelte sich bei ihnen überwiegend um<br />

ledige oder geschiedene Mütter aus städtischen Unterschichten, die vorher als Dienstbotinnen,<br />

Kellnerinnen oder Heimarbeiterinnen tätig gewesen waren 220). Daneben verdienten<br />

sich immer mehr Fabrikarbeiterinnen zusätzlich Geld mit der Prostitution. Auch hier handelte<br />

es sich häufig um alleinstehende Mütter 221 ).<br />

Im Raum <strong>Braunschweig</strong> ist ein eindeutiges Ansteigen der Prostitution wie im Reich<br />

nicht feststell bar . Lediglich in Jahren schlechtcrer Wirtschaftslage erhöhten sich diese Zahlcn<br />

geringfügig. 1897 waren 824 Prostituierte gemeldet, im Jahr 1900 waren es 577, 1901<br />

waren es 749, 1905 waren es 852 und 1906611 Frauen 222). In den Krisenjahren 1901 und<br />

1906 stiegen die Zahlen etwas an. Auch hier ist mit mindestens ebenso hohen Dunkelziffern<br />

zu rechnen.<br />

Ein weiteres Problem erwerbstätiger Mütter stellte sich in der Frage nach der Versorgung<br />

ihrer Kinder. Die Überforderung der Mütter, die bis auf Ausnahmen, in denen Nachbarinnen<br />

oder weibliche Angehörige die Kinderpflege während der Abwesenheit der Mütter<br />

übernahmen, in diesem Punkt auf sich allein gestellt waren, sollte oft dadurch gemildert<br />

werden, daß Arbeits(zeit)beschränkungen für die Frauen geschaffen werden sollten. Da<br />

sich diese Maßnahmen zum Teil als undurchführbar erwiesen, hätte die Einrichtung von<br />

Kinderkrippen o. ä. nahegelegen. Für den betrachteten Zeitraum wurde dies in <strong>Braunschweig</strong><br />

nicht realisiert. Wenn erwerbstätige Mütter nicht im gesellschaftlich geordneten<br />

Maß ihren Pflichten als Erziehungsbefugte ihrer Kinder nachkommen konnten, so hatten<br />

sie die Verantwortung für die Verwahrlosung oder Kriminalisierung des Nachwuchses zu<br />

tragen. Auch die Gewerbeaufsicht wollte festgestellt haben, daß proportional mit der Zunahme<br />

"eheweiblicher Fabrikarbeit" die Kinder verwahrlosten und verrohten. Im Gegensatz<br />

dazu konnten viele Schulleiter keine soleher Veränderungen bei den betroffenen<br />

Schulkindern feststellen 223).<br />

Fabrikarbeit bedeutete für ledige Frauen zwar oft eine gewisse ökonomische Unabhängigkeit,<br />

hatte jedoch wegen der geringen Lern- und Aufstiegsmöglichkeiten und infolge<br />

von Mehrfachbelastungen häufig nur eine Brückenfunktion zwischen Schulabschluß und<br />

Eheschließung.<br />

Verheiratete Frauen waren zumeist aus ökonomischen Gründen erwerbstätig, oft erst<br />

nach der Geburt eines oder mehrerer Kinder. Sie galten gemeinhin dann als "Zuverdienerinnen"<br />

, wenn das Einkommen des Ehemannes nicht mehr für den Familienunterhalt aus-<br />

219) Pierstorff (s. Anm. 10), S. 1210.<br />

220) Knapp (5. Anm. 9), S. 219 (Nach A. Bebel 1909/1973 und Evans 1979).<br />

221) Ebda, S. 220.<br />

222) "Die BOHlcllwirtschaftcn. 1870-1892" (NJs. StA W, 133 Ne::u 874).<br />

221) Poh1e (5. Anm. 125), S. 204.<br />

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163


eichte. Der familiäre Hintergrund prägte in den meisten Fällen die "Wahl" des Arbeitsplatzes,<br />

weniger persönliche Interessen. Dies bedeutete, daß sich insbesondere verheiratete<br />

Frauen mit unqualifizierten Arbeitsplätzen begnügten. Ihre berufliche "Laufbahn"<br />

war geprägt von Unterbrechungen und Arbeitsplatzwechseln, je nach Lage auf dem Arbeitsmarkt<br />

und nach den Erfordernissen der familiären Situation.<br />

Diese Schwerpunktsetzung im Bereich des Privaten erschwerte besonders in den ausgeprägten<br />

Frauenindustrien die gewerkschaftliche Organisation und solidarische Interessenartiku!ation,<br />

wenn es um die Durchsetzung von Lohnerhöhungen oder Verbesserungen<br />

am Arbeitsplatz ging.<br />

164<br />

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1. Forschungssituation<br />

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Sozialdemokratische Kommunalpolitik<br />

in <strong>Braunschweig</strong> 1919-1933<br />

Von<br />

Birgit Pollmann<br />

Zuletzt stellte Fülberth in seiner Überblicksdarstellung "Konzeption und Praxis sozialdemokratischer<br />

Kommunalpolitik 1918-1933" 1) fest, daß unsere Kenntnisse über die sozialdemokratische<br />

Kommunalpolitik während der Phase der Weimarer Republik äußerst lükkenhaft<br />

sind. Obwohl inzwischen, so z. B. 1985, eine Reihe von Aufsätzen im Archiv für<br />

Sozialgeschichte 2 ) sich dieser Thematik, auch in vergleichender Betrachtung (Italien,<br />

Österreich, Rußland) widmete und zahlreiche Beiträge zu EinzeIaspekten sozialdemokratischer<br />

Kommunalpolitik erschienen sind, insbesondere zur Wohnungsbaupolitik 3 ), trifft<br />

diese Feststellung Fülberths auch heute noch zu.<br />

Gleiches läßt sich für <strong>Braunschweig</strong> festhalten. Hier fehlt es generell an einer Untersuchung<br />

zur Geschichte der kommunalen Selbstverwaltung für den Zeitraum vom Erlaß der<br />

<strong>Braunschweig</strong>ischen Städteordnung 1832 bis zur nationalsozialistischen Machtergreifung<br />

1930/33 im Freistaat <strong>Braunschweig</strong>. Aber auch die notwendigen Vorarbeiten, etwa über<br />

die kommunalpolitische Theorie und Praxis der Sozialdemokraten vor 1918, über EinzeIaspekte,<br />

wie z. B. Schul-, Wohnungs-, Sozial-, Versorgungs-, Kommunalbetriebspolitik,<br />

sind bisher nicht systematisch vorangetrieben worden. Von einigen älteren Arbeiten Georg<br />

1) Fülberth, Georg, Konzeption und Praxis sozialdemokratischer Kommunalpolitik<br />

1918-1933, Marburg 1984, S. 32f.<br />

2) Vgl. Archiv für Sozialgeschichte, Bd. XXV, 1985, insbesondere die Beiträge Rebentisch,<br />

Dieter, Die deutsche Sozialdemokratie und die kommunale Selbstverwaltung, S. 1-78, degl. In n 0centi,<br />

Maurizio, Die italienischen Sozialisten und die Kommunalpolitik vom Ende des 19. Jahrhunderts<br />

bis zur Gegenwart, S. 79-102, Maderthauer, Wolfgang, Kommunalpolitik im Roten Wien,<br />

S. 239 ff., Gorz k a, Gabrielc, Alltag der städtischen Arbeiterschaft in Sowjetrußland 1918-1921, S.<br />

137 ff.<br />

3) Soz. B. Niethammer, Lutz (Hrsg.), Wohnen im Wandel, Wuppenal1979, von Saldern,<br />

Adelheid, Sozialdemokratie und kommunale Wohnungsbaupolitik in den 20er Jahren, in: AfS, XXV,<br />

1985, S. 183-239.<br />

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165


Eckerts zur Frühgeschichte und zur Geschichte der SPD unter dem Sozialistengesetz 4 ), die<br />

von Ludewig bis 19(5 5 ) und für die Zeit des 1. Weltkrieges 6) fortgesetzt wurden, abgesehen,<br />

steht auch noch eine systematisch angelegte Gesamtdarstellung zur 125jährigen Geschichte<br />

der <strong>Braunschweig</strong>er SPD aus. Vielleicht schließt die gerade abgeschlossene Studie<br />

von Bernd Rother zur SPD als Regierungspartei im Freistaat <strong>Braunschweig</strong> 7) hier eine der<br />

Lücken.<br />

Hier soll versucht werden, die Ergebnisse der bisherigen Forschungen zur sozialdemokratischen<br />

Kommunalpolitik in der Weimarer Republik zusammenfassend zu heschreiben<br />

und diese am Beispiel <strong>Braunschweig</strong> zu überprüfen - mit der Einschränkung: soweit die<br />

skizzierte Forschungsanlage es zuläßt, Übereinstimmung und Abweichungen zu eruieren.<br />

Dabei stützen wir uns besonders auf die Befunde Fülherths und Rebentischs, der von<br />

1983-1985 das Forschungsprojekt der Friedrieh Ebert Stiftung "Sozialdemokratie und<br />

Kommlmalpolitik in der Weimarer Republik 1919-32" 8) leitete.<br />

Fülberth vertritt die These, daß "seit der Novemberrevolution ... in der SPD die Herausbildung<br />

zweier voneinander verschiedener kommunalpolitischer Auffassungen (datiert),<br />

die im folgenden versuchsweise als "Staatsverwaltungs-Linie" und als "Selbstverwaltungs-Linie"<br />

gekennzeichnet werden soll(en)"9).<br />

Die Vertreter der Staatsverwaltungslinie befürworteten die Konzentration von Befugnissen,<br />

die die Sozialdemokratie vor 1914 für die Gemeinde gefordert hatte, bei den Landesbehörden.<br />

Dies galt insbesondere für die Polizeigewalt. In Preußen hielten die Befürworter<br />

dieser Auffassung die Kommunalaufsicht und das Bestätigungsrecht nach wie vor für unabdingbar.<br />

Ihnen standen sozialdemokratische Kommunalpolitiker gegenüber, die an den<br />

von der Partei in den Jahren ihrer Auseinandersetzung mit dem Wilhelminischen Reich<br />

aufgestellten Forderungen nach weitgehender Selbstverwaltung festhielten. Unter dem<br />

Einfluß der Rätebewegung erwogen sie z. T. eine Ausweitung der städtischen Organe<br />

durch Deputationen über das in einigen Regionen bereits vorhandene Maß hinaus (0).<br />

In der Periodenbildung sozialdemokratischer Kommunalpolitik kommt ein weiterer Befund<br />

Fülberths zum Ausdruck, die enge Interdependenz zwischen der politischcn/finanzpolitischen<br />

Geschichte der Weimarer Republik und der sozialdemokratischen kommunalen<br />

Theoriebildung und Praxis. Fülberth unterscheidet drei Phasen<br />

1. Die Gemeindepolitik der deutschen Sozialdemokratie in der Novemberrevolution und<br />

Nachkriegskrise 1919-23<br />

4) Eckcrt, Georg, Die Braunschwciger Arbeiterbewegung untcr dem Sozialistengesetz, Teil<br />

1, <strong>Braunschweig</strong> 1961; ders., 100 Jahre <strong>Braunschweig</strong>er Sozialdemokratie, 1. Teil; Von den Anfängen<br />

his zum Jahre 1890, Hannovcr 1965.<br />

5) Ludewig, Hans Ulrich, Industriearbeitcrschaft und Organisation, in: Modernc braunschweigische<br />

Geschichte, hrsg. von W. Püls, K. E. Pollmann, Hildesheim 1982, S. 150-182.<br />

6) ders., Das Herzogtum <strong>Braunschweig</strong> im Erstcn Weltkricg, Wirtschaft, Gcsellschaft, Staat,<br />

<strong>Braunschweig</strong> 1984.<br />

7) Rot he r, Bernd, Die Sozialdemokratie im Land <strong>Braunschweig</strong> 1918-1933, Bonn 1990.<br />

8) Vgl. dazu Re ben tisch, in: AfS, Bd. XXV, 1985, S. 1 ff.<br />

9) Fülberth, a.a.O., S. 31.<br />

10) Fülberth, a.a.O., S. 31 f.<br />

166<br />

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2. Die Kommunalpolitik in der Periode der relativen Stabilisierung 1924-28<br />

3. Die Zerstörung der kommunalen Selbstverwaltung am Ende der Weimarer Republik<br />

ll ).<br />

Bei Rebentisch treten die parteiinternen Aspekte stärker in den Vordergrund als die<br />

externen, die Entwicklung des Verhältnisses von Theorie und Institutionalisierung innerhalb<br />

der SPD bestimmt bei ihm als Kriterium die Phaseneinteilung. Betrachtet man beide<br />

Ansätze einer Phaseneinteilung unter chronologischem Aspekt, dann ergeben sich alIerdings<br />

nur geringe Unterschiede:<br />

1. Kriegssozialismus, Revolution und pragmatische Neuorientierung 1914-22<br />

2. Kommunalpolitisehe Institutionen der Weimarer Sozialdemokratie 1922-28<br />

3. Defizite in Theorie und Praxis: Die kommunalpolitischen Richtlinien von 1928 und die<br />

Strukturprobleme der Selbstverwaltung 12).<br />

Im Pragmatismus sicht Rebentisch das größte Verdienst sozialdemokratischer Kommunalpolitik:<br />

"Die konkreten Leistungen sozialdemokratischer Kommunalpolitik, die<br />

zweifclIos zu den wenigen positiven Bilanzposten der krisengeschüttelten Weimarer Republik<br />

zählen, finden sich in den einzelnen Städten und Gemeinden, in denen sozialdemokratische<br />

Gemeindevertreter und Kommunalwahlbeamte häufig genug in mühselig erkämpften<br />

Kompromissen mit den Fraktionen der sog. Weimarer Parteien ... eine moderne kommunale<br />

Leistungsverwaltung praktizierten. Sichtbarer Ausdruck dieser auf den Ausgleich<br />

sozialer Benachteiligung gerichteten Rcformpolitik, so Rebentisch, waren insbesondere<br />

die neuen Wohnsiedlungen ... Weniger sichtbar aber keinesfalIs geringer einzuschätzen,<br />

sind die sozialpolitischen Leistungen bei der Behebung der Kriegsfolgen und der wirtschaftliche<br />

Wiederaufbau und die Maßnahmen zur Förderung der Volksbildung, die die<br />

Entwicklung einer proletarischen Gegenkultur zur bürgerlichen Gesellschaft nicht hinderten,<br />

aber gleichzeitig auch die Eroberung der europäischen Hochkultur durch die Arbeiterbewegung<br />

vorbereiteten." 13)<br />

2. Historische Rahmenbedingungen sozialdemokratischer Kommunalpolitik in <strong>Braunschweig</strong><br />

Wie überall in den Großstädten des Kaiserreichs besteht auch in <strong>Braunschweig</strong> seit den<br />

70er Jahren des 19. Jhs. ein enger Zusammenhang zwischen der Dynamik des Industrialisierungsprozesses,<br />

den dadurch ausgelösten Land-Stadt-Wanderungsprozessen und der<br />

Notwendigkeit, eine moderne kommunale Leistungsverwaltung zu entwickeln, um die sozialen<br />

Probleme im Schulwesen, im städtischen Versorgungsbereich, Straßenbau, Kanalisierung,<br />

Wohnungswesen, Grund- und Bodenbewirtschaftung einer Lösung näherzubringen<br />

14).<br />

11) Fülberth, a.a.O.<br />

12) Rebentisch, in: AfS, Bd. XXV, 1985, S. 27 f.<br />

13) Rcbentisch,in:a.a.0.,S.50.<br />

14) Vgl. dazu ausführlich von Saldern, Adelheid, Sozialdemokratische Kommunalpolitik in<br />

wilhelminischer Zeit, in: Naß m ae her, K. 11., Kommunaler Sozialismus oder Kommunalisierung der<br />

Sozialdemokratie?, Bonn-Bad Godesherg 1977, S. 27 ff.<br />

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167


Aktionsformen bestimmten in den 90er Jahren die Diskussion in der <strong>Braunschweig</strong>er SPD.<br />

Einen ersten Höhepunkt erreichte diese Auseinandersetzung, als die Gewerkschaftsopposition<br />

die ihr nicht genehmen Kandidaten bei den Stadtverordnetenwahlen nicht unterstützte,<br />

sie - so Ludewig - als "Durchfallkandidaten" 24) qualifizierte.<br />

Zu Beginn dieses Jahrhunderts hatte die gemäßigt-reformerische Richtung die Oberhand<br />

gewonnen. 1902 wurde ein kommunal politisches Programm verabschiedet, das bisherige<br />

Forderungen und Anträge zusammenfaßte:<br />

Kommunale Selbstverwaltung<br />

Demokratisierung des Kommunalwahlrechtes<br />

- Kommunalisierung der Polizei<br />

- Kommunalisierung der Verkehrs-, Wasser- und Energiebetriebe<br />

- Unentgeltlichkeit dcs Unterrichts und der gesundheitlichen Versorgung (öffentliche<br />

Krankenhäuser)<br />

- Gemeinnützige Wohnungspolitik<br />

Koalitionsfreiheit für alle Angestellten der Gemeinde 25 ).<br />

Die Wahlrechtskämpfe seit 1904 trugen ebenso wie die Verschärfung der Arbeitskämpfe<br />

zur Politisierung und Radikalisierung der <strong>Braunschweig</strong>er Arbeiterbewegung 26 ) bei und<br />

stützten den linken Flügel, die praktische kommunale Arbeit hingegen stärkte den Reformflügel<br />

um Heinrich Jasperund Heinrich Ricke, der aufmehr als drei Jahrzehnte Erfahrung<br />

in der kommunalparlamentarischen Arbeit zurückblicken konnte. Mit Wesemeier,<br />

Stegmann u. a. beteiligten sich aber auch Exponenten des "radikalen" Flügels der <strong>Braunschweig</strong>er<br />

SPD vor dem 1. WK an dieser "reformistischen" Kommunalpraxis.<br />

3. Die Realisierung sozialdemokratischer kommunalpolitischer Forderungen 1919-33<br />

3.1 Wahlergebnisse<br />

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Die Demokratisierung des Wahlrechts gehörte zu den ersten Maßnahmen, die der Rat der<br />

Volkskommissare in <strong>Braunschweig</strong> verkündete. Am 15.12.1918 wurde die Stadtverordnetenversammlung<br />

nach dem gleichen Wahlrecht und einem Verhältniswahlmodus gewählt.<br />

Als stärkste Fraktion ging die USPD mit 12 Sitzen daraus hervor 27 ), gefolgt von der Demo-<br />

24) A.a.0.,S.169.<br />

25) A.a.0.,S.171.<br />

26) A. a. 0., S. 172, vgl. auch Boll, Friedhclm, Massenbewegungen in Niedersachsen ... , a. a. 0.,<br />

S. 142 und Rother, a. a. 0., S. 20 ff.<br />

27) Die USPD erhielt 23.534 Stimmen, die 12 Sitze nahmen ein: Gustav Blumeier (Geschäftsführer),<br />

Emma Bühm (Hausfrau), Wilhelm Engmann (Lagerhalter), Albert Genzen (Geschäftsführer),<br />

Hulda Graf (Hausfrau), Hermann Lehnert (Büroangestellter), Karl Richter (Schlosser), Wilhelm<br />

Rieke (Geschäftsführer), Kar! Schmidt (Geschäftsführer), Karl Stegmann (Geschäftsführer), Wilhelm<br />

Tostmann (Geschäftsführer), August Wescmeier (Redakteur, zugleich Volkskommissar für die<br />

Stadt <strong>Braunschweig</strong>).<br />

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169


kratischen Partei mit 9 28 ), der MSPD mit 8 29 ) und einer bürgerlichen Sammelliste (DNVP,<br />

DVP, Zentrum) mit 7 Abgeordneten 30). Die Amtszeit des alten Stadtmagistrats endete am<br />

30.09. 1919, auch diejenige der auf Lebenszeit gewählten besoldeten Mitglieder. Das Gesetz<br />

Nr. 95 sah für den Oberbürgermeister eine zehnjährige, für die Ratsmitglieder (besoldete<br />

wie unbesoldete) eine 3jährige Amtsperiode vor, erstere wurden nach dem Grundsatz<br />

der Mehrheitswahl, die letzteren nach demjenigen der Verhältniswahl bestimmt 31 ). Bei<br />

den Ratswahlcn konnten sich die Kandidaten der Arbeiterparteien nicht durchsetzen, z. T.<br />

erst in einer der Stichwahlen. Der seit 1904 amtierende Oberbürgermeister Retemeyer<br />

siegte über den USPD-Gegenkandidaten Wesemeier, der dann auch Hermann von Frankenberg<br />

im Kampf um die Position eines besoldeten Stadtrats unterlag J2 ).<br />

28) Die DDP erhielt 18.067 Stimmen, die 9 Mandate nahmen ein: Karl Einert (Kaufmann), Hermann<br />

Fuermann (Schlosser), Hans Munte (Fabrikant), Käte Oden (Wohnungspflegerin), Wilhelm<br />

Rcißner (Ingenieur), Heinrich Rönneburg (Lehrer), Max Salomon (Lehrer), Kar! Schilke (Kaufmann),<br />

Kar! Spangenberg (Eisenbahnwerke-Kontrolleur).<br />

29) Die 8 MSPD-Sitze (mit 17.155 Stimmen) nahmen ein: Fritz Bunge (Barbier), Gusta Friedrich<br />

(Hausfrau), Dr. Heinrich Jasper (Rechtsanwalt), Heinrich Marth (Eisenbahnwerkführer), Fritz Ohlendorf<br />

(Parteisekretär), August Rector (Schneidermeister), Heinrich Rieke (Maurer), Gustav Steinbrecher<br />

(Arbeitssekretär), Rother, a.a.O., S. 48, weist darauf hin, daß es nur in der Stadt <strong>Braunschweig</strong><br />

getrennte MSPD- und USPD-Listen gab.<br />

30) Auf den Landeswahlverband entfielen 14. 592 Stimmen und 7 Sitze: Gustav Frede (Lehrer),<br />

Hedwig Goetze, Ernst Jahns (Finanzrevisor), Paul Marschner (Kaufmann), Johannes Meyerhoff<br />

(Schlossermeister), Robert Wahrendorf (Klempnermeister), Dr. Karl Wolters (Brauereibesitzer),<br />

vgl. Bericht über die Verhandlungen der Stadtverordneten zu <strong>Braunschweig</strong> 1918/19, S. 504, vgl. auch<br />

Roh I 0 ff, <strong>Braunschweig</strong> und der Staat von Weimar, <strong>Braunschweig</strong> 1964, S. 43.<br />

31) Verwaltungsbericht der Stadt <strong>Braunschweig</strong> 1911-1921, S. 36 f., vgl. auch die z. T. heftige<br />

Diskussion in der Stadtverordnetenversammlung 1918/19.<br />

Da, wie Rot her, a. a. 0., S. 101, feststellte, "die USPD fast überall Wahlabsprachen mit dcr MSPD<br />

ablehnt", schließt diese eine Absprache mit der D DP, die jedoch in der Sitzung der Stadtverordnetenversammlung<br />

vom 28.8.1919 wieder zurückgezogen wird. A. a.O., S. 525 f.<br />

Rönneburg erklärt dazu: "Von den Vertretern der sozialdemokratischen Partei ist mündlich erklärt<br />

worden, daß sie ihre Liste mit dem Wahlvorschlag der demokratischen Partei verbinden wollte. Dabei<br />

ist das kleine Versehen vorgekommen, daß von den Vertretern meiner Partei nicht ausdrücklich bestätigt<br />

worden ist, daß eine Listcnverbindung mit der der Sozialdemokratischen Partei stattfinden sollte."<br />

32) Verwaltungsbericht der Stadt <strong>Braunschweig</strong> 1911-1921, S. 36 f.: Bei den Wahlen am 21. 9.<br />

1919 erhielten<br />

Besoldete Stadträte<br />

1. Stelle:<br />

2. Stelle:<br />

3. Stelle:<br />

170<br />

OB Rctemeyer<br />

Wesemeier(USPD)<br />

Bürgermeister F. Meyer<br />

A. Genzen<br />

WillyMeyer<br />

R. Löhr<br />

R. Vogler<br />

A. Koeh<br />

G. Gerecke<br />

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32.205 Stimmen<br />

15.758 Stimmen<br />

32.232 Stimmen<br />

15.758Stimmen<br />

32.139 Stimmen<br />

15.756 Stimmen<br />

17.042 Stimmen<br />

14.719Stimmen<br />

15.762Stimmen


In den Kommunalwahlen des Jahres 1921 sahen sich die nunmehr drei Arbeiterparteien<br />

USPD, SPD und KPD der "Sammelliste der nicht sozialistischen Parteien und Gruppen"<br />

gegenüber, der sich nur der Mieterverein nicht angeschlossen hatte. Prompt gewann<br />

diese Liste mehr als die Hälfte der abgegebenen Stimmen, mit deutlichem Abstand vor der<br />

USPD, die kaum mehr als die Hälfte der für die Bürgerlichen abgegebenen Stimmen auf<br />

sich vereinigen konnte und der SPD, die wiederum weniger als die Hälfte des USPD­<br />

Stimmenergebnisses erzielte 33).<br />

Aueh 1925, nach dem Zerfall der bürgerlichen Sammelliste, stellten sieh neben der<br />

nationalen Einheitsliste (DNYP, DYP, Z) auch die Wirtschaftliche Einheitsliste sowie die<br />

DDP zur Wahl, fiel das Ergebnis für die nun wiedervereinigte SPD kaum günstiger aus 34 ),<br />

4. Stelle:<br />

5. Stelle:<br />

Stadtbaurat K. Gebensleben<br />

G. Glaser<br />

Schulinspektor A. Schaper<br />

H.Baeh<br />

W.Voß<br />

In der Stichwahl am 28.9.1919 siegte<br />

Vogler mit 24.787 Stimmen über<br />

Gerecke mit 1 L087 Stimmen<br />

und<br />

Schaper mit 24.789 Stimmen über<br />

Voß mit 11.049 Stimmen.<br />

Ämter der unbesoldeten Stadträte<br />

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Vereinigte Bürgerliche 15.203 Stimmen (= 2 Sitze, Ralfs und Reiche)<br />

DVP<br />

11.688 Stimmen (= 2 Sitze, Fuermann und Langemann)<br />

USPD<br />

15.762 Stimmen (= 2Sitze, Wesemeierund P. lunke)<br />

SPD 5.351 Stimmen (= 1 Sitz, F. Ohlendorf)<br />

32.208 Stimmen<br />

15.753 Stimmen<br />

17.444 Stimmen<br />

14.681 Stimmen<br />

15.758 Stimmen<br />

Durch den Rücktritt des Bürgermeisters Meyer war eine erneute Wahl am 18. April 1920 erforderlich<br />

geworden. Hermann von Frankenberg siegte mit 22.709 Stimmen über A. Wesemeier, der 21.112<br />

Stimmen erhielt.<br />

33) Vgl. Verwaltungsbericht ... , a. a. 0., S. 60. Danach entfielen auf die Sammelliste der nicht<br />

sozialistischen Parteien 33.645 Stimmen (= 19 Sitze)<br />

SPD 8.228Stimmen (= 4Sitze)<br />

USPD 17.399Stimmen (= 10 Sitze)<br />

KPD 4.159Stimmen (= 2Sitze)<br />

Liste des Mietervereins 3.474 Stimmen (= 1 Sitz).<br />

Die Wahlbeteiligung lag bei 68,7%.<br />

34) Verwaltungsbericht ... , a. a.O., S. 60, danach erhielt die SPD 29.958 Stimmen (= 13 Sitze).<br />

Der Volksfreund zeigte sich enttäuscht und führte den Rückgang "der proletarischen Stimmen" auf<br />

die immer noch herrschende Zersplitterung im Arbeiterlager zurück. "Die wüste Hetzmethode der<br />

KPD ... (hat) aber auch unseren Aufstieg beeinträchtigt. Die Gegner von rechts haben ebenfalls eine<br />

gewaltige Arbeit geleistet ... " Volksfreund, Nr. 39 vom 16. 2. 1925 "Die Kommunalwahlen in <strong>Braunschweig</strong>".<br />

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171


die KPD vermochte ihren Stimmen anteil noch leicht zu verbessern 35). Als der Oberbürgermeister<br />

Hugo Retemeyer nach über 20jähriger Amtszeit in den Ruhestand trat, nutzten die<br />

Bürgerlichen ihre Mehrheit 36) und wählten Paul Trautmann am 2.7.1925 mit 20: 15 Stimmen<br />

zum neuen Oberbürgermeister gegen Heinrich Jasper. Trautmann, Sohn des nationalliberalen<br />

Reichstagsahgeordneten, war zuvor Oberbürgermeister in Frankfurt/Oder. Er<br />

amtierte bis zu seinem Tode 1929, in seine Amtszeit fiel der<br />

Anschluß <strong>Braunschweig</strong>s an die Luftverkehrslinie Bremen/Chemnitz<br />

Die Gründung der braunschweigischen Flughafengesellschaft<br />

Die Motorisierung der Müllabfuhr und die Eröffnung des städt. Viehhofes<br />

Der Bau des Nibelungenviertcls<br />

Die Einweihung des Hauses der geistigen Arheit (Öffentliche Bücherei) sowie die Einweihung<br />

des Gauß-Museums 37 ), letzteres schon mit einer SPD-Mchrheit im StadtparIament.<br />

Denn die SPD war bei den Kommunalwahlen von 1928 äußerst erfolgreich. Mit 44.803<br />

Stimmen erreichte sie die absolute Mchrheit 38 ). Diese nutzten sie nun nach dem unerwarteten<br />

Tod Trautmanns, um mit dem Stadtrat Ernst Böhme aus Magdeburg den ersten sozialdemokratischen<br />

Oberbürgermeister <strong>Braunschweig</strong>s zu wählen 39). Obwohl die SPD bei<br />

35) A. a. 0., S. 60.<br />

Die KPD erhielt 5.079 Stimmen (= 2 Sitze).<br />

36) Vgl. Die Berichterstattung im Volksfreund, Nr. 43 vom 20.2. 1925, Nr. 80 vom 4. 4. 1925,<br />

Nr. 92 vom 21. 4. 1925, Nr. 140 vom 19. 6. 1925, Nr. 146 vom 26.6. 1925.<br />

Angesichts der schwierigen Entscheidungsfindung innerhalb der bürgerlichen Parteigruppierungen<br />

über einen geeigneten Kandidaten, neben Dr. Görlitz aus Oldenburg hatte sich Dr. Trautmann<br />

(Frankfurt/Oder), Dr. Schmidt (Neumünster) auch Dr. Jasper beworben, sah sich die Wirtschaftliche<br />

Einheitsliste zu einer öffentlichen Erklärung genötigt, um Spekulationen über das Abstimmungsverhalten<br />

entgegenzutreten. "AlIe Stadtverordneten sind sich darüber klar, daß sie im Zeichen "Schwarzweißrot"<br />

gewählt und deshalb gehalten sind, in grundsätzlichen politischen Fragen unbedingt zu den<br />

daraus ergebenden Pflichten zu stehen. Mit aller Schärfe wird es zurückgewiesen, daß auch nur bei<br />

einem einzigen der auf der Wirtschaftlichen Einheitsliste gewählten Stadtverordneten die geringste<br />

Neigung bestehen könnte, in einer entscheidenden Frage, wie bei der Oberbürgermeisterwahl seine<br />

Stimme für die Wahl eines ausgesprochen sozialistischen Parteiführers in die Waagschale zu werfen<br />

... " Zitat nach Volksfreund, Nr. 146 vom 26. 6. 1925.<br />

Vereinzelt war es zu abweichendem Stimmverhalten einzelner Abgeordneter der Wirtschaftlichen<br />

Einheitsliste gekommen, so z. B. der Abg. Stiefel, vgl. Volksfreund Nr. 112 v. 15.5. 1925 und Nr. 113<br />

v. 16.5. 1925.<br />

37) Vgl. Verwaltungsbericht ... , a. a. 0., S. 8 ff.<br />

38) Vgl. Verwaltungsbericht 1926/33, a.a.O., S. 41.<br />

Danach erhielt die<br />

SPD 44.803 Stimmen<br />

Bürgerliche Einheitsliste 27.279 Stimmen<br />

Staatspartei 2.552 Stimmen<br />

NSDAP 3.815Stimmen<br />

Sonstige 3.016Stimmen<br />

39) V gl. dazu Mi 11 er, Susanne, Sozialdemokratische Oberbürgermeister in der Weimarer Republik,<br />

in: K. Schwabe (Hrsg.), Oberbürgermeister, Boppard 1981, S. 109 ff. und den Nachruf in<br />

BZ v. 22. 7. 1968.<br />

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den Kommunalwahlen 1931 wieder Einbußen hinnehmen mußte und nur 14 Mandate gewann<br />

40), blieb sie die bestimmende Kraft, denn es konnte eine Absprache 41 ) mit der KPD,<br />

die 4 Abgeordnete in die Stadtverordnetenversammlung entsandte, erzielt werden. Gemeinsam<br />

votierten sie bei der Wahl des Vorsitzenden der Stadtverordnetenversammlung.<br />

Fülberth sieht in dieser Absprache, die eine absolute Ausnahme in der kommunalen Landschaft<br />

am Ende der Weimarer Republik darstellt, eine Reaktion auf die seit Herbst 1930<br />

bestehende nationalsozialistische Regierungsbeteiligung im Lande Braunsehweig 42).<br />

Zusammenfassend läßt sich festhalten, daß die Sozialdemokraten nur am Beginn,<br />

1918-21, und in der Endphase der Weimarer Republik, 1928-33, über eine Mehrheit verfügten<br />

und nur die letztere nutzen konnten, einen sozialdemokratischen Oberbürgermeister<br />

zu wählen. In den übrigen Jahren dominierten die Bürgerlichen, stellten auch den Oberbürgermeister<br />

und beherrschten den Verwaltungsapparat.<br />

Die Sozialdemokraten, USPD und SPD, verfügten in den Anfangsjahren über erfahrene<br />

Kommunalparlamentarier , Männer wie Ricke (seit 1878), Ohlendorf (seit 1901), J asper<br />

(seit 1903), Stegmann (seit 1901), Wesemeier (seit 1903), Bunge (seit 1903)43) waren<br />

bereits vor dem 1. Weltkrieg in der Stadtverordnetenversammlung und hatten in der Weimarer<br />

Republik z. T. Doppelmandate inne (neben dem Stadtverordnetenmandat) hatten<br />

sie oft auch noch ein Landtagsmandat 44). Sie waren Berufspolitiker , in Diensten der Partei,<br />

der Gewerkschaften oder in ähnlichen Karrieren 45) tätig. Dies galt auch für die zweite Generation<br />

der SPD-Stadtverordneten, die 1921 und 1925 erstmals ein Stadtverordneten mandat<br />

wahrnahmen; eine große Zahl von ihnen standen in Lohn und Brot bei der Partei,<br />

Gewerkschaften oder in von ihr kontrollierten Organisationen 46 ). Die zweite Gruppe bil-<br />

40) Verwaltungsbericht 1926/33 ... a.a.O., S. 41.<br />

Bei den Stadtverordnetenwahlen am 1. 3. 1931 erhielt die<br />

SPD 37.673Stimmen(= 14 Sitze)<br />

KPD 12.236Stimmen (= 4 Sitze)<br />

DNVP 4.430 Stimmen<br />

DVP/Z 7.935 Stimmen<br />

Staatspartei<br />

NSDAP<br />

1.428 Stimmen<br />

27.054 Stimmen<br />

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Vgl. dazu den Kommentar von Otto Grotewohl im Volksfreund, Nr. 52 vom 3.3. 1931.<br />

41) Vgl. dazu ausführlich Fülberth, G., Die Beziehungen zwischen SPD und KPD bis 1933,<br />

Köln 1985, S. 332-357.<br />

42) Fülberth weist darauf hin, daß "das Verhalten der Kommunisten in der Stadtverordnetenversammlung<br />

von <strong>Braunschweig</strong> ... zutreffend als Verstoß gegen die von der Sozialfaschismusthese geprägten<br />

kommunalpolitischen Anweisungen der KPD interpretiert worden (ist) und sicht den auslösenden<br />

Faktor für diesen Sonderfal1 ... in der Tatsache nationalsozialistischer Regierungsbeteiligung"<br />

(S. 354/357).<br />

43) Vgl. dazu die Angaben in den Verwaltungsberichten 1911-1921, S. 27 ff.<br />

44) Die gilt für Heinrich Rieke (MdL 1918-1920), Fritz Ohlendorf (1918-22), Heinrich Jasper<br />

(1918-33), August Wesemeicr (1918-30), Hulda Graf (1920-1933), Gustav Steinbrecher<br />

(1918-1933), Albert Genzen (1918-1920,1922-24).<br />

43) Vgl. dazu Angaben in den Kurzbiographien von Rother, a. a. 0., S. 273 ff. (Anhang)<br />

46) Ebd.<br />

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173


deten die im öffentlichen Dienst Beschäftigten. In gewisser Weise waren sie kompromißloser,<br />

radikaler als die langjährig gedienten Kommunalpolitiker der alten Generation, was<br />

für die Auseinandersetzungen ab 1921 eine wichtige Rolle spieIt4?).<br />

3.2 Die neue Kommunalverfassung<br />

Auch ohne Mehrheit konnte die SPD ihren Einfluß in der Landesversammlung in diesen<br />

Jahren nutzen und ihre Vorstellungen zur kommunalen Selbstverwaltung in der <strong>Braunschweig</strong>er<br />

Städteordnung von 1924 durchsetzen. Diese trägt die Handschrift des Innenministers<br />

Otto GrotewohI 4R ). Gesetze, wie z. B. die Wahlgesetze von 1918, 1919 und 1923,<br />

wodurch u. a. Bürgerbegehren und Bürgerentscheid 49 ) verankert worden waren, hatten<br />

zur Unübersichtlichkeit und Widersprüchlichkeit in der Städteordnung von 1892 5°) geführt.<br />

Grotewohls Entwurf lehnte sich an das Vorbild der Thüringischen Gemeinde- und<br />

Kreisordnung an 51 ).<br />

Die wichtigsten Grundsätze sind:<br />

- Die neue Städteordnung bestimmt die Gemeindeangehörigen gleichen Reehts in ihrer<br />

Gesamtheit als Träger der öffentlich-rechtlichen Gewalt in der Stadt, die ein Gemeindebegehren<br />

stellen und einen Gemeindeentst:heid herbeiführen können 52).<br />

- Verfassungsmäßig bestellte Organe der Stadt sind die Stadtverordnetenversammlung<br />

und der Rat der Stadt 53). Die Stadtverordnetenversammlung erhält das Recht, "beschließende<br />

Ausschüsse" einzusetzen >4). Sie kann ihre Auflösung selbst beschließen<br />

und durch Gemeindeentscheid (bei Zustimmung der Mehrheit der Stimmberechtigten)<br />

aufgelöst wcrdt:n 55 ), während die Auflösung durch das Staatsministerium an die Zustimmung<br />

der Gemeindekammer 56 ) gebunden wird.<br />

Die Stadtverordnetenversammlung beschließt über alle städtischen Selbstverwaltungsangelegenheiten,<br />

soweit sie dem Rate nicht ausschließlich überwiesen sind 5?) und soweit<br />

das Gesetz nichts anderes bestimmt. Zeitgenössische Kommentare sehen in dieser<br />

Bestimmung die Einführung und Absicherung des "Einkammersystems" SR) in der<br />

<strong>Braunschweig</strong>isehen Städteordnung, steht doch mit dieser Bestimmung der Rat nicht<br />

47) Vgl. auch Fülberth, a.a. 0., S. 332 ff., insbes. die Anmerkungen.<br />

41


mehr gleichberechtigt neben der Stadtverordnetenversammlung, sondern hat als Verwaltungs-<br />

und Vollzugsorgan lediglich die laufende Verwaltung unter Beachtung der<br />

von der Stadtverordnetenversammlung aufgestellten Grundsätze zu führen 59).<br />

- Der Rat ist zuständig für die Verwaltung der städtischen Anstalten, Einrichtungen und<br />

Betriebe sowie des Vermögens der Stadt, Ausführungdes Haushaltsplanes, Aufstellung<br />

der Jahresrechnung, Verteilung der städtischen Abgaben sowie die Einstellung und<br />

Entlassung der Beamten, Angestellten und Arbeiter 60 ). Dem Ratsvorsitzenden (OB)<br />

fällt das Recht und die Pflicht zur Beanstandung gesetzwidriger Ratsbeschlüsse 61 ) zu<br />

sowie die Geschäftsverteilungskompetenz nach Anhörung der Ratsmitglieder 62 ).<br />

- Wichtig ist die Bestimmung der <strong>Braunschweig</strong>ischen Städteordnung, die lediglkh die<br />

Anzeige des Amtsantritts von allen Ratsmitgliedern gegenüber der Aufsichtsbehörde<br />

vorsicht; eine Bestätigung ist nicht vorgeschrieben 63).<br />

Betrachtet man diese Bestimmung im Lichte der Fülberth'schen These "Selbstverwaltungs-Linie<br />

oder Staatsverwaltungs-Linie", so hat sich in <strong>Braunschweig</strong> im Gegensatz zu<br />

Preußen in diesem Punkt eindeutig die "Selbstverwaltungslinie" (4) durchgesetzt.<br />

Allerdings ist dieser Sieg kein vollständiger, wie ein zeitgenössischer Kommentar feststellt:<br />

"Die Befreiung der Selbstverwaltung von überflüssiger Bevormundung durch den Staat<br />

bei Ausübung seines "Aufskhtsrechtes" hat die neue Städteordnung leider nicht gebracht.<br />

So bedeuten insbesondere das anstelle der bisherigen Genehmigungspflicht getretene immer<br />

noch sehr weitgehende Einspruchsrecht der Aufsichtsbehörde gegen städtische Beschlüsse<br />

und die Genehmigungspflicht der Besoldungsordnung durch das Staatsministerium<br />

Fesseln, die der städtischen Selbstverwaltung in anderen Ländern nicht oder doch<br />

nicht mehr im gleichen Maße angelegt sind und die sich für die freie Entwicklung der Großstadt<br />

<strong>Braunschweig</strong> im Wettbewerb mit ihren nichtbraunschweigischen Schwesterstädten<br />

besonders hemmend bemerkbar machen müssen. "65) Unter Berücksichtigung dieser stärker<br />

zur "Selbstverwaltungslinie" tendierenden Bestimmung stellt sich die Städteordnung,<br />

die während der Weimarer Republik nicht wie die anderer Länder revidiert wurde 66), als<br />

Kompromiß zwischen bei den Aspekten sozialdemokratischer kommunaler Verwaltungsmodelle<br />

dar, auch die Erfahrung einer sozialdemokratischen Landesregierung mit bürgerlich<br />

dominierter großstädtischer kommunaler Selbstverwaltung mag ein Grund für diesen<br />

Modellpragmatismus in <strong>Braunschweig</strong> gewesen sein. Verglichen mit dem kommunalpolitischen<br />

Programm von 1902 war es den <strong>Braunschweig</strong>er Sozialdemokraten 1924 gelungen,<br />

nahezu alle verwaltungs- und verfassungsrechtlichen Ziele im Bereich kommunaler Selbst-<br />

59) Vgl. § 140.<br />

60) Vgl. § 84.<br />

61) Vgl. § 76.<br />

62) Vgl. § 75.<br />

63) Vgl. §71.<br />

f>4) Rother, a.a.O., S. 181.<br />

65) Verwaltungsbericht 1921-26, a. a. 0., S. 30.<br />

66) Engeli, in: a.a.O., S. 319.<br />

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Einen zweiten wichtigen Komplex bildeten die Realisierung alter, d. h. schon in der<br />

Vorkriegszeit erhobener sozialdemokratischer Forderungen, etwa im Bereich der Volksbildung.<br />

Am 10. 4. 1919 wurde der Beschluß zur Errichtung von achtstufigen allgemeinen<br />

(unentgeltlichen) Volksschulen und von Pflichtfortbildungsschulen - allerdings zunächst<br />

nur für die männliche Jugend 73) - gefaßt; am 3.6. 1920 beschloß die Stadtverordnetenversammlung,<br />

2 Schulkindergärten zu errichten, zwei weitere folgten wenige Monate später.<br />

Auch die im Kommunalprogramm von 1902 geforderte gemeinnützige Wohnungsbaupolitik<br />

wurde schrittweise umgesetzt. In der ersten Legislaturperiode schuf die sozialdemokratische<br />

Mehrheit in der Stadtverordnetenversammlung mit dem Verkauf von Bauland<br />

im August 1919 im heutigen Siegfriedviertel die Voraussetzung von genossenschaftlichem<br />

Wohnbau 74 ). Zur Milderung der Wohnungsnot stellte sie durch entsprechende Beschlüsse<br />

am 17. 6. 1920,31. 3. 1921 und 12. 5.1921 Mittel für Baukostenzuschüsse in den<br />

städtischen Etat, z. T. als Komplcmentärmittel für Landes- und Reichszuschüsse, ein 75).<br />

Die alte Forderung nach Kommunalisierung der Verkehrsbetriebe wurde in einem<br />

ersten Teilschritt realisiert, am 18. 12. 1919 beschloß die Stadtverordnetenversammlung<br />

die Beteiligung der Stadt am Gesamtunternehmen der Straßeneisenbahn-Gesellschaft 76).<br />

Auf den unterschiedlichsten Feldern der Kommunalpolitik treten in den Debatten der<br />

<strong>Braunschweig</strong>er Stadtverordnetenversammlung die gegensätzlichen Positionen von<br />

MSPD und USPD deutlich hervor. In der ersten größeren schul politischen Diskussion um<br />

die Verschmelzung der sieben- und achtstufigen Bürgerschule sicht Stegmann (USPD)<br />

darin einen ersten Schritt auf dem Weg zur Einheitsschule und betont: "Es bedurfte erst<br />

der politischen Umwälzung durch die Revolution, um die von den Sozialdemokraten schon<br />

längst erhobene Forderung der Einheitsschule, die in letzter Zeit erst langsam und zögernd,<br />

dann aber allgemein von der Lehrerschaft vertreten ist, anzubahnen"77), nimmt die Argumentation<br />

der MSPD eine andere Richtung. Heinrich Jasper erklärte mit Hinweis auf eine<br />

andere alte sozialdemokratische Forderung, nämlich staatliche Übernahme der Schullasten,<br />

"solange dieser eine Teil des sozialistischen Programms nicht erfüllt ist, können wir<br />

nicht davon reden, daß wir allein die Aufgaben des Staates einseitig zu erfüllen haben ...<br />

Wenn wir Beschlüsse fassen, müssen wir auch dafür einstehen, wie wir die Deckung aufbringen<br />

wollen." 78)<br />

73) Finanzielle Erwägungen bestimmen die Entscheidung, zunächst nur für die männliche Jugend<br />

diese Schulform einzuführen. Es blieb Hedwig Götze, langjährige Vorsitzende des Dachverbandes<br />

der <strong>Braunschweig</strong>er Frauenvereine, vorbehalten, das Bedauern der Frauen üher diese Entscheidung<br />

in der Stadtverordnetenversammlung zu artikulieren. Bericht ... a. a. 0.,10.4. 1919, S. 48. Auch<br />

Salomon (Demokrat) hatte resignierend festgestellt: "Leider sind die Verhältnisse stärker als die Menschen."<br />

74) In der Verhandlung am 10.7.1919 hatte die Stadtverordnetenversammlung bereits grundsätzlich<br />

einer Beteiligung der Stadt an der GAFAH zugestimmt.<br />

75) Verwaltungsbericht der Stadt <strong>Braunschweig</strong> 1911-21 00. a. a. 0., S. XIV ff.<br />

76) Bericht über die Verhandlungen 00. 13. 11. 1919, S. 718 ff.<br />

77) Bericht 00 • a. a. 0., 10.4. 1919, S. 6 f.<br />

78) A.a.O.,S. l3f.<br />

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177


In der Frage der Beteiligung der Stadt am Gesamtunternehmen der Straßeneisenbahngesellschaft<br />

tritt der USPD-Abgeordnete Stegmann für sofortige Übernahme der Gesellschaft<br />

durch die Stadt ein 79), wiederum markiert Heinrich Jasper die MSPD-Position:<br />

"Ich bin gewiß ein Freund der Verstadtlichung des Elektrizitätswerks und Herr Stegmann<br />

wird sich dessen erinnern, daß wir damals gemeinschaftlich für die Verstadtlichung eingetreten<br />

sind. Dieses Bedauern kann uns aher nicht veranlassen, jetzt zu sagen: \\'ir verlangen<br />

die Verstadtlichung um jeden Preis"IIO).<br />

Am deutlichsten werden die Gegensätze "Programmtreue um jeden Preis" versus<br />

"Durchsetzung des Machbaren"81) in der Debatte um Antrag Stegmann auf "Beschaffung<br />

eines städtischen Friedhofes und Übernahme des Bestattungswesens durch die Stadt". In<br />

seiner Begründung hebt Stegmann hcrvor, daß sich eine <strong>Braunschweig</strong>ische Stadtverordnetenversammlung<br />

nicht zum ersten Mal mit dieser sozialdemokratischen Forderung auseinanderzusetzen<br />

hahe: "Damals ist von den bürgerlichen Parteien, vielleicht mit denselben<br />

Worten, der Antrag bekämpft worden - heute geschieht es sogar von sozialdemokratischer<br />

Seite, das ist etwas Ungeheuerliches. "82) Dieses Mal tritt ihm Gustav Steinbrecher<br />

entgegen: "Herrn Stegmann hat es beliebt, die Rechtssozialisten sofort als solche hinzustellen,<br />

die das sozialdemokratische Prinzip verraten wollten und dagegen muß ich mich wenden<br />

... Warum haben wir es nicht getan? Weil wir einsehen, daß sich nicht alles jetzt in<br />

kurzer Zeit durchführen läßt .. , Es ist nichts Verfängliches dabei, wenn wir aus Zweckmäßigkeitsgründen<br />

jetzt diese Frage zurückstellen, wie wir viele Fragen unseres Programms<br />

haben zurückstellen müsscn"83).<br />

In der kommunalen Kulturarbeit, ein neues Politikfeld, setzte die erste Nachkriegsstadtverordnetenversammlung<br />

auch Akzente, Sie beschloß, ganz im Sinne der späteren-<br />

1927 veröffentlichten - Grundsätze "Kulturpflege in den Gemeinden"!l4), die auf der zwei-<br />

79) Bericht ... 13. 11. 1919, S. 718 f.<br />

!!


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ten Reichskonf


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nicht ein, daß wir um 500.000 M (neu entstandener, nicht gedeckter Betrag-B. P.) unsere<br />

Selbstverwaltung aufgeben sollen. "97) Die bisher demonstrierte Einmütigkeit der Stadtverordnetenfraktionen<br />

erwies sich als brüchig. Als sich am 30. 12. 1930 die Stadtverordneten<br />

erneut mit einem Antrag der SPD-Fraktion beschäftigten, mit dem Ziel, gegen die<br />

Einsetzung des Staatskommissars zu klagen, zeigten sich erste Aufweichungen in der harten<br />

Linie gegenüber dem Staatsministerium. Die bürgerlichen Abgeordneten traten für<br />

Verhandlungen mit dem Ministerium ein und wandten sich in der Debatte gegen eine Klage<br />

beim Verwaltungsgericht. In der getrennten Abstimmung wurde der erste Teil des Antrags<br />

(Klage beim Verwaltungsgericht) gegen die Stimme des Nationalsozialisten Zörncr bei<br />

Stimmenthaltung der Bürgerlichen angenommen. Der zweite Teil (Verhandlungen mit<br />

dem Staatsministerium) fand die volle Zustimmung der Bürgerlichen 98 ). Die Klage der<br />

Stadt beim Verwaltungsgerichtshofwurde abgewiesen 99). Am 17.3. 1931 wurde der Staatskommissar<br />

wieder abberufen 100). Prompt hob die Stadtverordnetenversammlung die Beschlüsse<br />

des Staatskommissars zum Haushaltsplan am 30. 4. 1931 auf und lehnte die Erhebung<br />

der Gemeindebiersteuer wieder ab 101). Von dem Konsens dcrvoraufgegangenen Legislaturperiode<br />

war jetzt nichts mehr zu spüren. In seiner Berichterstattung wies der Volksfreund<br />

immer wieder auf eine Verrohung der parlamentarischen Sitten hin. Die Polarisierung<br />

der politischen Kulturen fand hier seinen Ausdruck: "Stadtverordnetenvertreter<br />

Ricke hatte seine liebe Not mit den gereizten Stadtvätern, die sich im Laufe der Debatte<br />

teilweise mit üblen Schimpfworten bedachten" 102).<br />

97) Volksfreund, NT. 299 vom 23. 12. 1930. Rieke sah keine "zwingende Notwendigkeit" für<br />

eine Einsetzung eines Staatskommissars, ja er vertrat die Ansicht, daß die dauernde Drohung mit dem<br />

Staatskommissar der Kreditwürdigkeit und dem Ansehen der Stadt ungeheuer schade. Einen wichtigen<br />

Aspekt bildet die Kritik Riekes am Rat, der durch seine Informationen an das Staatsministerium<br />

die finanzielle Situation zu negativ dargestellt hätte.<br />

98) Volksfreund, Nr. 304 vom 31. 12. 1930.<br />

99) Angesichts des wachsenden Haushaltsdefizits von 2.07 Mio. Mark hatte die Gemeindekammer<br />

dem Antrag des braunschweigischen Staatsministeriums am 22. 12. 1930 stattgegeben und die<br />

Stadt - wie die Schlagzeile des Volksfreund pointierte - "unter Kuratel" gestellt. Volksfreund Nr. 29<br />

vom 23. 12. 1930. Das Verwaltungsgericht bestätigte diese Entscheidung am 4.3. 1931. Obwohl der<br />

Prozeßbevollmächtigte des Staatsministeriums Dedekind den vom Prozeßvertreter der Stadtverordnetenversammlung,<br />

Dr. Jasper, vorgetragenen Rechtsbedenken durchaus zustimmte, protestierte er<br />

scharf gegen das Votum Riekes "die Bestellung eines Staatskommissars sei nur dann verständlich,<br />

wenn man den Satz an die Spitze stellt "Macht ist Recht". Das Gericht wies die Berufung zurück,<br />

sprach in der Begründung von einem "revisionsähnlichen Verfahren"; das Verwaltungsgericht habe<br />

sich nicht berufen gefühlt, jeden tatsächlichen Vorgang nachzuprüfen, sondern es habe nur ihre Rechtmäßigkeit<br />

nachzuprüfen gehabt." Vgl. dazu Volksfreund, Nr. 54 vom 5.3.1931.<br />

100) Volksfreund, Nr. 66 vom 19. 3. 1931. In der Verfügung des Ministeriums hieß es zur Begründung:<br />

"Mit Rücksicht darauf, daß am 1. d. M. Neuwahlen der Stadtverordneten stattgefunden haben,<br />

auf Grund deren am 18. d. M. die neue Stadtverordnetenversammlung zusammentreten wird ...<br />

nehme ich die Bestellung des Genannten zum Beauftragten ... zurück."<br />

101) Volksfreund, Nr. 96 vom 2.5.1931, schrieb dazu: "Damit hat der Staatskommissar nicht nur<br />

seine Hand auf die Türklinke des Rathauses gelegt, er wird nach dieser Abstimmung wahrscheinlich<br />

auch ins Haus eintreten."<br />

102) Ebd. vgl. auch Volksfreund, Nr. 117 vom 29. 5.1931. "Eine so unfruchtbare und unsachliche<br />

Beratung wie gestern hat wohl in dem Hause am Langen Hof überhaupt noch nicht stattgefunden ...<br />

Beide Fraktionen arbeiten darauf hin, sobald als möglich dem Staatskommissar im Rathaus Eingang<br />

zu verschaffen, ja noch mehr die Auflösung der Stadtverordnetenversammlung zu erwirken."<br />

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181


Im Gegenzug ernannte das Ministerium wiederum Kybitz zum Staatskommissar HH ),<br />

ein erbittert geführter Streit um den Haushaltsplan und die Ernennung von Stadträten<br />

(Benze und Clahes) bzw. Nichtwiederwahl von sozialdemokratischen Stadträten (Schaper<br />

und Vogler) 104), führte wiederum zum Verwaltungsgerichtshof, die Stadt unterlag erneut<br />

am 18. 1. 33 105 ).<br />

Am 25.2. 1933 hob der Staatskommissar auch weiter zurückliegende, besonders kontroverse<br />

Beschlüsse der sozialdemokratischen Mehrheit auf: nämlich die im September<br />

1928 beschlossene Umbenennung von Straßen und Plätzen 106), die bei den bürgerlichen<br />

Parteien einen Proteststurm ausgelöst hatte und als besondere Provokation empfunden<br />

worden war.<br />

Betrachtet man die Jahre 1930-1933 im Spiegel der Berichterstattung des Volksfreund,<br />

so erscheint die Debatte in der Stadtverordnetenversammlung als ein Nebenkriegs-<br />

103) Am 24.6. 1931 erfolgte die Wiedereinsetzung von Kybitz als Staatskommissar mit der Begründung,<br />

"daß die Stadtverordnetenversammlung ihrer gesetzlichen Verpflichtung, einen ordnungsgemäßen<br />

Ilaushaltsplan für das Rechnungsjahr 1931 festzustellen und insbesondere die reichgesetzlich<br />

vorgeschriebene Gemeindebiersteuer zu beschließen, nicht nachgekommen ... sei". Volksfreund,<br />

Nr. 16 vom 19. I. 1933.<br />

1(4) Vgl. Volksfrcund, Nr. 216 vom 26.9.1932. Für die ausscheidenden Stadträte Schaper (Demokrat)<br />

und Vogler (SPD) hatte Kybitz den bekannten Nationalsozialisten Dr. Benze aus Gandersheim<br />

und den Regierungsrat Clahes aus dem Landesfürsorgeamt "gewählt". Der Volksfreund stellte<br />

dazu fest: "Diese Wahl erfolgte natürlich gegen den Willen der überwiegcnden Mehrheit der <strong>Braunschweig</strong>er<br />

Einwohnerschaft."<br />

\05) Der Rat beschloß am 4.12.1932, die Wahl vordem Verwaltungsgerichtanzufechten. Dieses<br />

wies die Klage jedoch aus formalen Gründen ab, jedoch nicht, ohne in der Begründung die Gründe<br />

der Antragstellerin zu würdigen; der Volksfreund faßte dieses Urteil sozusammen: "Eindeutig genug<br />

hat das Gericht ja nun festgestellt, daß fataler Weise, da in der Stadt <strong>Braunschweig</strong> ein Staatskommissar<br />

sitzt, den das Volk nicht mag, gegen den aber leider die Sendboten des Volkes keine fristgemäße<br />

Einspruchsklage geltend gemacht haben." Am 4.2. 1933 setzte das Staatsministerium die Auflösung<br />

der Stadtverordnetenversammlung durch. Vgl. Volksfreund, Nr. 31 vom 6. 2. 1933.<br />

1(6) Am 20.9. 1928 hatte die Stadtverordnetenversammlung den Antrag Gräf (SPD) auf Umbenennung<br />

von Straßen und Plätzen gegen die Stimmen der bürgerlichen Stadtverordneten angenommen.<br />

Am 27.6. 1929 beschloß sie die Umbenennung der "Herzog-Johann-Albrecht-Oberrealschule"<br />

in "Städtische Oberrealschule Hintern Brüdern" und des "Herzogin-Elisabeth-Lyzeums" in "Städtisches<br />

Oberlyzeum und Studienanstalt". Am 25. 2. 1933 hob der Staatskommissar den Beschluß vom<br />

20.9.1928 für die Straßen wieder auf. Es wurden umbenannt:<br />

- Friedrich-Ebert-Platz wieder in Friedrich-Wilhelm Platz<br />

- Rathenaustraße wieder in Friedrich-Wilhelm-Straße<br />

- Friedensbrücke wieder in Kaiser Wilhelm Brücke<br />

- Friedensallee wieder in Kaiser Wilhelm Straße<br />

- Wilhelm-Bracke-Straße wieder in Juliusstraße<br />

- Karl-Marx-Straße wieder in Voigts-Rhetz-Straße<br />

- Bebelstraße wieder in Husarenstraße<br />

- Liebknechtstraße wieder in Rosenstraße<br />

- Lassallestraße wieder in Marienstraße<br />

- Friedrich-Engel-Straße wieder in Herzogin-Elisabeth-Straße<br />

- Lessingplatz wieder in Siegesplatz;<br />

vgl. auch Verwaltungsbericht der Stadt <strong>Braunschweig</strong> 1926-1933, a. a.O., S. XIX ff. Vgl. auch Volksfreund,<br />

Nr. 49 vom 27.2.1933, der heftig gegen diesen Bruch der Selbstverwaltung protestierte.<br />

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schauplatz des Kampfes der SPD gegen das DNVPINSDAP geführte Staatsministerium.<br />

Dieses tat alles, um mit Hilfe eines Staatskommissars die kommunale Selbstverwaltung<br />

auszuhebcIn und damit die sozialdemokratische Mehrheit in der Stadtverordnetenversammlung<br />

und den sozialdemokratischen Oberbürgermeister zur Ohnmacht zu verurteilen.<br />

Die Verrohung der politischen Kultur auf der Landes- und Reichsebene, die Straßenschlachten<br />

blieben nicht ohne Auswirkungen auf den parlamentarischen Arbeits.


4. Mit ihren langjährig erfahrenen Kommunalpolitikern sowohl in USPD wie in der<br />

MSPD gingen die Sozialdemokraten nach der Revolution sofort daran, ihre Ziele und<br />

Forderungen umzusetzen, wobei die soziale Gestaltung der Kriegsfolgen in der Kommune<br />

Priorität hatte. Auch neue Politikbereiche werden sozialdemokratisch besetzt,<br />

wie z.B. die kommunale Kulturarbeit (Theater, Volkslesehalle, Volkshochschule).<br />

Hier liegen unbestreitbare Erfolge und Leistungen sozialdemokratischer Kommunalpolitik.<br />

In der Endphase der Weimarer Republik gerieten die kommunalpolitischen<br />

Entscheidungen zur Sozial-, Bildungs- und Wohnungspolitik, die konsequent sozialdemokratischen<br />

Programme umzusetzen versuchten, unter dem Eindruck der Weltwirtschaftskrise<br />

in immer stärkeren Gegensatz zur Krisenüberwindungsstrategie der<br />

Reichsregierung und der braunschweigischen Landesregierung (DNVP-NSDAP-Koalition),<br />

die mit Hilfe des Instrumentariums der Städteordnung die kommunale Selbstverwaltung<br />

aushöhlte und damit ein sozialdemokratisches lokales Krisenüberwindungsmuster<br />

behinderte, ja verhinderte.<br />

5. Eine Reihe von Fragen blieben in dieser Beschreibung sozialdemokratischer Kommunalpolitik<br />

offen, bedürfen der Klärung:<br />

- Inwieweit unterscheiden sich in <strong>Braunschweig</strong> die kommunalpolitischen Konzeptionen<br />

von USPD und SPD? Inwieweit werden die theoretischen Unterschiede praxisrelevant,<br />

in welchen Bereichen der Kommunalarbeit?<br />

- Wie stellt sich das Verhältnis von USPD bzw. SPD-Landtags- und Stadtparlamentsfraktion<br />

dar? Wie wirkt sich dieses auf die Bereiche konkurrierender Zuständigkeit<br />

aus (Sozial-, Jugend-, Bildungs-, Steuerwesen)? Welche Funktion kommt bei der<br />

Koordinierung sozialdemokratischer Politik den Doppelmandatsträgern zu? Wie<br />

wirkt sich der Generationswechsel Mitte der 20er Jahre auf die intrafraktionellen<br />

und interfraktionellen Willensbildyngsprozesse aus (sd. Stadtparlament/Landtagsfraktion)?<br />

- Wie wirken sich die zunächst latenten, gegen Ende der 20er Jahre sich stärker manifestierenden<br />

Richtungskämpfe innerhalb der Partei auf die Fraktionen (Stadt/Landtag)<br />

aus?<br />

- Welche Rolle spielt die Informationspolitik im Volksfreund in der Willensbildung<br />

von Frak tionen und Partei in <strong>Braunschweig</strong> während der Weimarer Republik, insbesondere<br />

in USPD/SPD-Phase 1918-22 und in der SPD/KPD-Phase 1931-33?<br />

- Wie entwickelt sich das Verhältnis von Partei zu Gewerkschaften, Wohnungsbaugenossenschaften,<br />

Konsum u. a. Organisationen in <strong>Braunschweig</strong>, deren Mitglieder<br />

das Rückgrat der SPD bilden, deren Geschäftsführer das Rekrutierungsfeld der<br />

Mandatsträgerlinnen bildet, von 1918-1933, insbesondere in den Phasen<br />

1918-1921, 1921-1928, 1928-1933?<br />

Wie vollzieht sich der Kandidatenaufstellungsprozeß? Welche Rolle spielen dabei<br />

die Zugehörigkeit zu Richtungen innerhalb der Partei bzw. zu den obengen. Organisationen?<br />

184<br />

<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong><br />

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24. Ne h se, C. E.: Der Brocken und seine Merkwürdigkeiten, nebst einer Sammlung von Gedichten<br />

über den Brocken, entnommen aus d. Brocken-Stammbüchern von 1805 bis 1838. Mit e.<br />

kleinen Brocken-Panorama, worauf d. Ansichten d. frühem und jetzigen Brockengehäude, u.<br />

e. Winteransicht d. letztem als Titelblatt. (Wernigerode) 1840 (: Thiele). [Faks.-T.] <strong>Braunschweig</strong>:<br />

Kuhle 1990. 134 S.<br />

25. R ic h te r, Wolfram: Der Brocken - ein deutscher Berg. Im Harz grüßt d. Brocken nach Ost u.<br />

West. Mit 37 farb. u. 82 schwarzweiß-Abb. 2., erg. u. erw. Auf1. Clausthal-Zellerfeld: Pieper<br />

1990. 116 S.<br />

26. Wi II s, Rebecca: Goethes erste Harzreise im Winter 1777 und die Entstehung des Gedichtes<br />

"Harzreise im Winter". Mit 1 Abb. In: Harz-Zs. Jg. 41/42. 1990. S. 87-96.<br />

Quellenkunde und Historische Hilfswissenschaften<br />

Quellen s. aueh Nr 264, 281.<br />

<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong><br />

27. Deeters, Walter: Findbuch zum Bestand Außerostfriesische Central-Behörden .<br />

Leer: Schuster 1990. VI, 108 S. (Veröffentlichungen d. Nds. Archivverwaltung. Inventare u.<br />

kleinere Schriften d. Staatsarchivs in Aurich. H. 14.)<br />

IS. 1!7-89: WolfenbülIel - Kanzlei des Fst. WolfenbulIel; Personen· u. Ortsindex S. 9f).. 105.1<br />

28. Dornack, Jens: Kirchspiele des ehemaligen Herzogtums <strong>Braunschweig</strong> in den Grenzen bis<br />

zum 31. 07. 1941 und Findbueh zum Bestand Ev. luth. Kirchenbücher des ehemaligen Herzogtums<br />

<strong>Braunschweig</strong> 1815 bis 1875 < 103N> aus dem Niedersächsischen Staatsarchiv in Wolfenbüttel.<br />

Draunschweig: Verf. 1990. 33 ungez. BI. (Quellen U. Schriften zur Bevölkerungsgeschichte<br />

Norddeutschlands.)<br />

29. Fenske, Lutz, U. Ulrich Schwarz: Das Lehnsverzeichnis Graf Heinrichs 1. von Regenstein<br />

1212/1227. Gräfliche Herrschaft, Lehen U. niederer Adel am Nordostharz. Göttingen: Vandenhoeck<br />

& Ruprecht 1990. 588 S., 8 Abb., 6 Kt. (Veröffentlichungen d. Max-Planck-Instituts f.<br />

Geschichte. 94.)<br />

[Das Original d. Lehnsverzeichnisses befindet sich im Nds. Staatsarchiv Wolfcnbuttcl VII A Ih 29; Personen- u. OrtsnamenregISter<br />

S. 569-51lK.)<br />

30. Kindler, Klaus: Findbuch zum Bestand Musikalien des herzoglichen Theaters in <strong>Braunschweig</strong><br />

18.-19. Jh. . Wolfenbüttel: Niedersächs. Staatsarchiv 1990. XIII, 313 S. (Veröffentlichungen<br />

d. Nds. Archivverwaltung. Inventare U. kleinere Schriften d. Staatsarchivs in<br />

Wo!fenbüttel. H. 5.)<br />

[Komponisten-, Opcrntite!· U. Oratorientitclregister S. 215-24-1: Persooenregister S. 307-312; AuffiJhrungskalendcr 1749-1799<br />

S. 255-297.)<br />

31. (Kindler, Klaus:) Musikalien des 18. Jahrhunderts aus dem Bestand des herzoglichen Hoftheaters<br />

<strong>Braunschweig</strong>. Sonderausstellung im Niedersächsischen Staatsarchiv Wolfenhüttel.<br />

Wolfenbüttcl 1990. 12 ungez. BI., 1 Notenbeispiel. quer. 8°<br />

32. Leon E(nrique) Dieber Katalog der Quellen zur Geschichte Mexikos in der<br />

Bundesrepublik Deutschland 1521-1945. Catalogo de las fuentes para la historia de Mexico en<br />

la Republica Federal de Alemania 1521-1945. Berlin: Colloquium Verl. 1990. XXVI, 405 S. (Bibliotheca<br />

Ibero-Americana. Bd 35.) Text deutsch u. span.<br />

[Unter d. öffentlichen Archiven sind u. a. aufgcfuhrt S. 275: Niedersachsisches StaatsarchivWolfcnbüttcl. S. 279: Althannoversches<br />

ArchiV d. Oberbergamts in Clausthal-Zcllerfc:kl.]<br />

33. Urkundenbuch des KlostersWittenburg. Bearb. von Brigitte Flug. Güterverzeichnis des Klosters<br />

Wittenburg von 1462/78. Bearb. von Peter Bardehle. Hildesheim: Lax 1990. IX, 254 S.<br />

(Calcnberger Urkundenbuch. Abt. 12.) (Quellen U. Untersuchungen zur Geschichte Nds. im<br />

Mittelalter. Bd 13.) (Veröffentlichungen d. Hist. Komm. f. Nds. U. Bremen. 37.)<br />

[Hraunschweigcr Bezuge s. Orts,- u. Personenverzeichnis S. 236--254.}<br />

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187


34. Urkundenbuch der Stadt Wunstorf. Bearb. von Aehim Bon k. Wunstorf (: Stadt Wunstorf)<br />

1990.297 S., 16Taf. (Veröffentlichungen d. StadtarchivsWunstorf. Bd 1.)<br />

IBraunschwcigcr Bezüge s. Index d. Personen- u. Ortsnamen S. 2K3-297.]<br />

35. Urkundenbuch des KlostersWülfinghausen. Bearb. von Uwe Hager. Bd. 1. Hannover: Hahn<br />

1990. 324 S. (Calenberger Urkundenbuch. Abt. 11.) (Quellen u. Untersuchungen zur Geschichte<br />

Nds. im Mittelalter. Bd 12.) (Veröffentlichungen d. His!. Komm. f. Nds. u. Bremen.<br />

37.)<br />

IBraunschwciger Bezuge s. Orts- u. Personenregister S. 2XI-321.]<br />

36. Jäger, Helmut: Probleme historischer Länderatlanten - zum neuen Geschichtlichen Handatlas<br />

von Niedersachsen. In: Berichte zur deutschen Landeskunde. Bd 64, H. 2. 1990. S. 425-<br />

428.<br />

37. (H ofme is ter, Adolf E.:) 500 Jahre gotischer Dom zu Verden. Dokumente zur Geschichte d.<br />

Verdener Domes. Begleitheft zur Ausstellung im Verdener Heimatmuseum v. 26. 9.-14. 10.<br />

1990. Verden (: Domgemeinde Verden) 1990.49 S. [Umschlagt.)<br />

fDann S. 17: Siegel Bischof Konrads I. bis etwa 1282. 1281. Nds. Staatsarchiv Wolfenhuucl 3 Sig 38. - S. 45-46: Grabmal d.<br />

Bischüfe Christoph u. Georg v. Veruen. auch Erzbischöfe v. Bremen. Um 156M. - S. 46--47: Kelch u. Palene Erzhischof Chri·<br />

stophs. Bischofs von Verden. Anfang 16. Jh. - S. 47: Schmuck ErzbISchof Chrislophs (tI558). Mille 16. Jh.; d. Bruder Chri·<br />

stoph u. Gcorg stammen aus d. Wolfenhuttclcr Lmie d. Herzöge von Braunschwelg u. Luncburg.]<br />

Wappen s. Nr 165.<br />

38. (Hebecker, Michel, Matthias Bethge, Klaus-Peter Brozatus:) Münzen und Medaillen<br />

der Welfen. Sammlung Museen d. Stadt Gotha. Städtisches Museum <strong>Braunschweig</strong>. 16. 10.-9.<br />

12. 1990. (<strong>Braunschweig</strong> 1990.) 181 S., Abb.<br />

39. Reckeweil, Roger: Das Herzoglich BraunsehweigischeVerdienstzeiehen für Kunst undWissenschaft<br />

und die Reaktion des Professors Erieh Körner. In: Heimatbuch f. d. Landkr. Wolfenbüttel.<br />

Jg. 37:1991. [1990.) S. 52-55, 3 Ahh.<br />

Allgemeine Geschichte in zeitlicher Reihenfolge<br />

40. Archäologie in Südniedersachsen. Hrsg. von d. Arbeitsgemeinschaft Südniedersächsischer<br />

Heimatfreunde e. V. Närten-Hardenberg: Peter Wagener. 1990. 192 S.<br />

41. Gehrmann, Thekla, u. Andreas König: Ein Messerscheidenbeschlag mit Tiermotiv vom<br />

Kleinen Everstein bei Negenborn, Kreis Holzminden. Mit 2 Abh. In: Jahrbuch f. d. Landkr.<br />

Holzminden. Bd 7: 1989. 1990. S. 26-31.<br />

42. Gehrmann, Thekla, u. Andreas König: Fund eines Messerscheidenheschlages mit Tiermotiv<br />

auf dem Kleinen Everstein bei Negenborn, Ldkr. Holzmindcn. Mit 1 Ahh. In: Nachrichten<br />

aus Nds. Urgeschichte. Bd. 59. 1990. S. 259-261.<br />

43. Wallbrecht, Andreas: Eine Wallanlage bei Rhüden, Ldkr. Goslar. Eine mittelalterliche<br />

Turmanlage oder neuzeitlicher Viehkral bzw. Pflanzgarten? Mit 4 Abb. In:· Nachrichten aus<br />

Nds. Urgeschichte. Bd 59. 1990. S. 263-267.<br />

44. Wi I he I m i, Klemens: Bericht über die Ausgrabungstätigkeit der Archäologischen Denkmalpflege<br />

im Niedersächsischen Landesverwaltungsamt - Institut für Denkmalpflege - 1989. Mit<br />

1 Abb. In: Nachrichten aus Nds. Urgeschichte. Bd. 59. 1990. S. 303-311.<br />

[Darin S. 303-305 Regierungshezirk Rraunschwcig.]<br />

45. Wendowski-Schünemann, Andreas, u. Wolf-Dieter Tempel: Bericht über die Ausgrabungstätigkeit<br />

der Stadt- und Kreisarchäologen in Niedersachsen 1989. Mit 1 Abb. In: Nachrichten<br />

aus Nds. Urgeschichte. Bd 59. 1990. S. 313-327.<br />

188<br />

[Dann S. 313-315 Regierungsbezirk <strong>Braunschweig</strong>.]<br />

<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong><br />

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1783. Transl. by Helga Doblin. Ed. and inlrod. by Mary C. Lynn. NewYork [usw.]: Greenwood<br />

Pr. (1990). XXXIII, 311 S., 12 Abb. (Contributions in military studies. Nr 106.)<br />

[Namensregister S. 299-304; Wasmus gehörte zu d. Truppen, d. von <strong>Braunschweig</strong> nach Amerika gesandt wurden; d. OrigInal<br />

d. Tagebuchs in deutscher Sprache befindet sich im Nds. Staatsarchiv Wolfcnhüttcl: VI Hs 11 Nr. 248.J<br />

63. R ich e rl, Thomas: Quellen zur freimaurerischenTatigkeil Friedrichs des Großen. In: Quatuor<br />

coronati. Nr 27. lWO. S. 157-214, 2 Abb.<br />

[Friedrich d. Gr. wurde 1738 in <strong>Braunschweig</strong> in d. Freimaurerorden aufgenommen: S. 196--203: Anpas!'>ung u. Unterordnung<br />

d. Großlogen. Briefwechsel zwIschen Friedrich d. Gr. u. Friedrich August von BraunschweJg in d. Jahren Im-1779.J<br />

64. Lessings "Nathan" und jüdische Emanzipation im Lande <strong>Braunschweig</strong>. Wolfenbüttel: Lessing<br />

Akad. 1990. 78 S. Tex1 basiert auf d. gleichnamigen Ausstellungskatalog, Wolfenbüllel 19111.<br />

65. Kruse, Elisabelh: Die Emigranten der Französischen Revolution in Kurhannover. Hannover:<br />

Hahn 1990. VIII, 190 S. Vollständig überarb. Staatsexamensarheit f. d. Fach Geschichte, Göttingen,<br />

19l1ll. (Quellen u. Darstellungen zur Gesch. Nds. Bd 104.)<br />

66. CI a r k, Anna: Queen Caroline and the sexual politics of popular culture in London, 11120. In:<br />

Represenlalions. 31. 1990. S. 47-67.<br />

67. Der Schellenhaum der <strong>Braunschweig</strong>ischen Infanterie. (<strong>Braunschweig</strong>): Freundeskreis ehern.<br />

IR 17 1988.) 2 ungez. BI. (Freundeskreis - Schrift. Nr. 2.)<br />

611. Bein, Reinhard: <strong>Braunschweig</strong> zwischen rechts und links. Der Freistaat 1918 bis 1930. Materialien<br />

zur Landesgeschichte. <strong>Braunschweig</strong> (: Döring) 1990. 264 S. mit Abb. 4°<br />

69. Denecke, Viola: Die Arbeitersportgemeinschafl. Eine kulturhistorische Studie über d.<br />

<strong>Braunschweig</strong>er Arbeitersportbewegung in d. zwanziger Jahren. Duderstadt: Mecke (1990).<br />

274 S., 26 Abb. Ersch. zuerst als Diss. Göttingen. (Schriftenreihe d. Nds. Instituts f. Sport geschichte<br />

Hoya e. V. Bd 8.)<br />

70. Fr i tz S c h e, Peter: Rehearsals forfascism. Populism and political mobilization in Weimar Germany.<br />

New York, Oxford: Oxford University Pr. 1990. X, 301 S., 7 Abb.<br />

[Untcrsuchungsgchicl sind Stad te;: in Niedersachsen. u. a. BraulIsdl\"cig u. Guslar; Index S. 297-301.]<br />

71. Roloff, Ernst August: Parlamentarische Opposition im Freistaat <strong>Braunschweig</strong> zur Zeit der<br />

Weimarer Repuhlik. Ein idealtypisches Lehrbeispiel oder ein atypischer Sonderfall? In: Göttinger<br />

Sozialwissenschaften heute. Hrsg. von Peter Lösche. Göttingen: Vandenhoeck u. Ruprecht<br />

1990. S. 110-115.<br />

72. Rother, Bernd: Die Sozialdemokratie im l.and Rraunschweig 1918 his 1933. (Ronn:) Dielz<br />

(1990). 320 S., Ahh. (Veröffentlichungen d. Instituts f. Sozialgeschichte e. V. <strong>Braunschweig</strong>­<br />

Bonn.)<br />

[Personen- u. Ortsregister S. JI1--JIR.]<br />

73. Es geschah in <strong>Braunschweig</strong>. Gegen d. Vergessen d. nationalsozialistischen Vergangenheit<br />

<strong>Braunschweig</strong>s. Hrsg. vom JUSO-Untcrhezirk <strong>Braunschweig</strong>. <strong>Braunschweig</strong>: Steinweg-Verl.<br />

(1990). 149 S., 10 Abb.<br />

[Darin: Ku e ssn e r. Dietrich: Dietrich Klag.ges - 1891-1971. Eine biographische Skizze. S. 13-31. - K Ta me r. Helmut: Richter<br />

In eigener Sache. Zur Selbstamncsticrung d. Justiz nach 1945. S. 32-53. - Ludewig. Hans-Ulrich: Wirtschaft und Rtistung<br />

in Rraunschweig 1933-1945. S. 54-73. - Vögel. Bernhlld: Berufserziehung und Zwangsarhclt. Überlegungen zum 50jahrigen<br />

Jub.laum d. VW-Werkes Braunschwelg. S. 74-111, WAbb. - Wu t t ke, Walter: Die Verfolgung der Homosexuellen im Nationalsozialismus<br />

und Ihr SchIcksal nach 1945. S. 112-133.J<br />

74. Das nationalsozialistische Lagersystem . Hrsg. von Martin Weinmann. Mit Beitr.<br />

von Anne Kaiser u. Ursula Krause-Schmitt. (Frankfurt/M.:) Zweitausendeins (1990).<br />

CLVIX, 1167 S.<br />

[Gesamtverzeichnis d. Lager. Haftstätten. Außenkommandos. Orte, Arbeitsstätten, Firmen S. 747-1167.]<br />

75. Widerstand und Verfolgung in Niedersachsen 1933-1945. Vorträge auf d. Tagung d. Hist. Kommission<br />

für Niedersachsen u. Bremen am 4. bis 6. Mai 1989 in Rinteln. In: Nds. Jb. f. Landesgesch.<br />

Bd 62. 1990. S. 1-152.<br />

190<br />

<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong><br />

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IDarin: 1. St ein bach, Peter: Aspekte derWiderstandsforschung im wissenschaftsgeschichtlichen und landeshistorischen Kontext.<br />

S. 1-23. - 2. SIe i nwa sche r. Gerd: Machtergreifung. Widerstand und Verfolgung in Schauml>urg. S. 25-58. - 3. He rle<br />

man n, Beatme: Hauerliehe VerhaltensweIsen unter dem Nationalsozialismus in ß1cdersachslschen Gebieten. S. 59-75. - 4.<br />

Ohe na us, Herbert: Prohleme der Erforschung des Widers(ands in der hanno\'erschen SOlJaldcmokraue 1933 bis 1945. S. 77-<br />

95. - 5. Schmlechen-Ackermann, Detlef: Nazifizierung der KIrche - Bewahrung des Rekcnn(nJsses - Loyali(a( zum<br />

Staat: DIe Evangelische Kirche in der Stadt Hannover lY33 bIs 1945. S. 97-132. - 6. Som m er, Karl-Ludwig: "KlTchenkampr'<br />

vor On - Nationalsozialistischer Alltag und Bekennende Gemeinden in Oldenburg 1933-1939. S. 133-152.1<br />

76. Sa ft. Ulrich: Krieg in der Heimat. Das bittere Ende zwischen Weser u. Eibe. (3., verb. Aufl.)<br />

(Langenbagen: Verf. 1l)l)().) 552 S., Abb. u. Kt.<br />

[Onsvcr7cichnis S. 542-552.1<br />

77. Grebing. Helga: Flüchtlinge und Parteien in Niedersachsen. Eine Untersuchung d. politischen<br />

Meinungs- u. Willensbildungsprozesse während d. ersten Nachkriegszeit 1945-1952/53.<br />

Hannover: Hahn 1990.202 S. (Quellen u. Untersuchungen zur Geschichte Nds. nach 1945. Bd<br />

8.) (Veröffentlichungen d. Hist. Komm. f. Nds. u. Bremen. 38.)<br />

Rechts-, Verfassungs- und Verwallllngsgeschichte<br />

78. (B ä u mert, Detlef, Harald Hoye r:) 100 Jahre LVA <strong>Braunschweig</strong>. Eine Chronik d. Landesversicherungsanstalt<br />

<strong>Braunschweig</strong>. (<strong>Braunschweig</strong>: Landesversicherungsanstalt <strong>Braunschweig</strong><br />

199U.) 249 S., Abb.<br />

79. Dokumentation über die Sondersitzung des Kreistages des Landkreises Helmstedt am 3. Oktober<br />

1990 im Juleum in Helmstedt aus Anlaß d. Vereinigung beider deutschen Staaten. (Helmstedt<br />

1990.) 10 gez. BI. 4° [Umschlagt.)<br />

80. Nationalsozialistische Justiz und Todesstrafe. Eine Dokumentation zur Gedenkstätte in d. J ustizvollzugsanstalt<br />

Wolfcnbültcl. (Vcrantwortl. f. Inhalt u. Konzeption: Wilfried K n aue r.)<br />

(Hannover: Nieders. Justizministerium; Presse- u. Informationsstelle d. Nieders-Landesregierung<br />

1990.) 96 S., Abb. 4° [Umschlagt.)<br />

81. 0 t t c, Wcrm:r: Aus der Arbeit des Kreistages (Landkreis Wolfenbüttel). In: Heimatrbuch f. d.<br />

Landkr. Wolfenbültel. Jg. 37: 1991. [1990.) S. 9-14, 1 Ahb.<br />

82. R 0 ßd e u t sc her, Reinhard: Wählerverhalten im Vorharz nach dem 2. Weltkrieg. Einflußfaktoren<br />

auf d. Resultate rechtsextremer Parteien im Vorharzraum bei Kommunal- u. Landtagswahlen<br />

in d. Zeit von 1946 bis 1952. Frankfurt a. M. [usw.): Lang (I99U). 344 S. Zugl. Diss. TU<br />

<strong>Braunschweig</strong>, Erziehungswiss. Fachbereich. (Europäische Hochschulschriften. R. 31, Bd<br />

154.)<br />

83. Stadtluft macht frei: Prozeß der Äbtissin von Gandersheim gegen den <strong>Braunschweig</strong>er Bürger<br />

Heinrich von Soltmar wegen Leibeigenschaft, 2. Nov. bis 10. Dez. 1356. In: Leben im Mittelalter.<br />

Ein Lesebuch. Hrsg., eingel. u. übers. von Ernst Pitz. München, Zürich 1990. S. 424-<br />

431. (Lust an d. Geschichte.) (Serie Pi per. Bd 1166.)<br />

84. Wesche, Sabine:Wahlcn undWählerverhalten im Kreis Helmstedt in der Weimarer Republik.<br />

Göttingen 1990. 120 gez. BI. 4° [Masch. sehr. vervielf.) Göttingen, Phil. Magisterarbeit.<br />

[Die Arbeitr ist vorhanden im Nds. Staatsarchiv Wolfcnbüllel unter d. Signatur 2° Zg. 7619I.J<br />

Kirchengeschichte<br />

<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong><br />

85 Campenhausen, Axel Frhr. von: Der Johanniterorden in Niedersachsen. In: Nds. Jb. f.<br />

Landesgesch. Bd 62. 1990. S. 209-222.<br />

86. Former, Peter: Paul Schmieder. Ein Stück unbewältigter Kirchengeschichte <strong>Braunschweig</strong>s<br />

u. Lehndorfs. Vortrag, gehalten am 16. November 1989 in d. Kreuzkirche AIt-Lehndorf.<br />

(<strong>Braunschweig</strong>-AIt-Lehndorf: Kreuzgemeinde 1990.) 77 S., Abb. 4°<br />

http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042624<br />

191


114. Bornhold t, Dieter Ludewig, [Klaus] Steger: Aktuelle Straßenhauprojekte im Bezirk der<br />

IHK <strong>Braunschweig</strong>. In: IHK [Industrie- u. Handelskammer]. Braunschw. Wirtschaft. Mitteilungen<br />

d. Industrie- u. Handelskammer <strong>Braunschweig</strong>. Jg. 42, H. 7. 1990. S. 13-18,2 Ahb., 2<br />

Kt.<br />

115. Hagebölling, Lothar: Der Fahrer saß noch im Freien. Auf d. Spuren d. ersten Kraftpost­<br />

Omnibuslinie d. Welt: Wendeburg-<strong>Braunschweig</strong> u. zurück. In: Peiner HeimatkaI. Jg. 21: 1991.<br />

[1990.] S. 117-122,4 Abb.<br />

116. Barteis, Hermann: Die wilde Innerste ist nun gezähmt. In: Goslarer BergkaI. Jg. 373: 1991.<br />

[1990.] S. 85-90, 3 Abb.<br />

117. Schmidt, Martin: Hochwasser und Typhus geben den Anstoß. Überregionale Wasserwirtschaft<br />

zum Wohle d. Harzvorlandes. In: Jahrbuch d. Landkr. Hildesheim. 1991. (1990.] S. 47-<br />

61, 3Abb., 4Tab., 3 Kt.<br />

118. Resold, Horst: Die Geschichte des Feldpostamtes 4301939-1944. Fakten, Daten, Zahlen.<br />

Nach d. Akten d. Feldpostamtes 430. (Hannover: Bezirksgruppe Hannover/<strong>Braunschweig</strong> d.<br />

Gesellschaft f. Deutsche Postgeschichte e. V.) 1988. 145 S., Abb. (Postgeschichtliche Blätter<br />

HannoverlRraunschweig. Sonderhcft.)<br />

[Das FeldposIamI 430 wurde am 26. 8. 1939 von d. damaligen Reichsposldireklion Braunschwcig aufgesrelll: d. Per.;onal<br />

stammle u. a. aus Braunschwelg u. Umgebung.]<br />

119. Ganz, Manfred E.: Die Entstehungsgeschichte der braunschweigischcn Eisenbahn. Zum<br />

150jährigen Jubiläum d. ersten deutschen Staatseisenbahn von <strong>Braunschweig</strong> nach Wolfenbüttel<br />

im Jahre 1988. In: Braunschw. Heimat. Jg. 74: 1988. 1990. S. 6-36, 18 Abb., 3 Kt.<br />

120. Gen s ric h, Theo: Eisenbahnlinien führten kreuz und quer durch das Peiner Kreisgebiet. Als<br />

Ankensen u. Hohenhameln per Schiene mit ßerlin u. Paris verbunden waren. In: Peiner Heimatkal.<br />

Jg. 21: 1991. (1990.] S. 29-43,5 Abb., 3 Kt.<br />

121. Pollmann, Birgit: Technische Entwicklungen und Auswirkungen der Eisenbahn auf Wirtschaft<br />

und Gesellschaft. In: Braunschw. Heimat. Jg. 74:1988. 1990. S. 37-48, 3 Abb.<br />

122. We g n e r, Günter: Von der <strong>Braunschweig</strong>ischen Staatsbahn zur Deutschen Bundesbahn. 150<br />

Jahre Geschichte d. Eisenbahn im <strong>Braunschweig</strong>er Raum 1838-1988. (7852 Binzen, Im Unterwärth<br />

34: VolkerWegner 1988.) 214 S., 41 PI., 8 Kt. 4°<br />

Geschichte der geistigen Kultur, Kunstgeschichte und Denkmalpflege<br />

123. Niedersachsen kulturell. Ein Reiseführer. Autoren: Ulrich Großmann [u. a.] Seelze: Knorr<br />

& Hirth (1990). 336 S.<br />

124. Leski, Horst: Wolfgang Schulenberg-Institut f. Bildungsforschung u. Erwachsenenbildung.<br />

Schulreform und Administration. Vom Eillheitsschulprogramm d. Weimarer Reichsverfassung<br />

bis zu d. Schulreformprogrammen d. niedersächsischen Kultusministeriums. Oldenburg: <strong>Bibliothek</strong>s-<br />

u. Informationssystem d. Universität Oldenburg 1990. 492 S. Ersch. zuerst als Diss.<br />

Oldenburg, Fachbereich 1, 1988.<br />

125. Poil mann, Birgit: Lehrerinnen im Lande <strong>Braunschweig</strong> 1868-1933. Berufschancen, Erwerbssituation<br />

u. Lebenslagen "höherer Töchter" in e. Kleinstaat. In: Braunschw. Jb. Bd 71.<br />

1990. S. 101-127, 1 Kt.<br />

126. Archive in Niedersachsen. (Ein archivisches Informationsblatt. Hrsg. von d. Niedersächs. Archivverwaltung.<br />

Schriftl.: Bernd Kappelhoff.) (H.) 9. (Hannover: Niedersächs. Hauptstaatsarchiv)<br />

1990. 37 S., 8 Abb. 4° [Umschlagt.]<br />

[Darin u. a.: Merker. O[no): Akluelle Fr.gen dcs sraallichen Archivwesens in Niedersachsen. S. 2-5. - Scheel. G[Unler):<br />

Emigranten der Französischen Revolution im Herzogtum <strong>Braunschweig</strong>. Eine Ausstellung im Staatsarchiv Wolfcnbüttcl. S. 6.<br />

194<br />

<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong><br />

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150. (Jonkanski. Dirk:) Baudenkmale in Niedersachsen. Hrsg. vom Niedersächs. Ministerium f.<br />

Wissenschaft u. Kunst. (Mit Bcitr. von Kathrin D i tt m e r u. Angelika Me y e r. Aufnahmen:<br />

Jutta Brüdern.) (Hannover:) Schlüter (1990). 356 S., Ahh., 1 KI., 4 0<br />

IDann u. a.: Braunschw('lg 11. d. Il.arzvorland. S. 111-147.47 Ahb. - Goslar u. d. Harz. S. 149-177,32 Ahb. - Das sudhchc Leinebcrglönd.<br />

S. 179-197. 29 Abb. - DIe Weser. S. 199-239. 60 Abb.; Ortsverzeichnts S. 354-355.J<br />

151. Kai t harn m e r, Wilhelm: Sleinkreuze und Kreuzsteine im Harz. Eine Bestandsaufnahme. Seesen/Harz<br />

1990. 84 S., 23, 12 Abb. (Steinkreuzforschung. Nr 6.)<br />

Volkskunde, Sprachgeschichte, Namenkunde, Naturschutz<br />

Namenkunde s. aueh Nr 259, 302.<br />

152. Le h man n, Hans-DieteT: Flurnamen an frühen Wegen im Bergland des südlichen Altsachsen.<br />

In: l\ortheimer Jahrhuch. Jg. 54. 1989. S. 81-95, 1 KI.<br />

153. Laub, Gerhard: Lehnwörter deutschen Ursprungs im Wortschatz venetischer Bergleute mit<br />

den Entsprechungen aus Harzer Revieren. Mit 7 Ahh. In: Harz-Zs. Jg. 41/42.1990. S. 107-143.<br />

154. Sehikorsky, Isa: Private Schriftlichkeit im 19. Jahrhundert. Untersuchungen zur Geschichte<br />

d. alltäglichen Sprachverhaltens "kleiner Leute". Tühingen: l\icmeyer 1990. IX, 496 S. (Reihe<br />

germanistische Linguistik. 107.)<br />

[Die Quellenanalyse erfolgt anhand von 20Tcxlen u. a. aus d. StadtarchIv Braunsl:hwelg u. d. Nds. StaatsarchlvWolfcnbuttcl.1<br />

155. Göhmann, HerbertW.: Als man noch gern "vor derTür" saß. Gestaltete Sitzplätze von früher.<br />

Mit 17 Abh. In: Jahrhuch f. d. Landkr. Holzminden. Bd 7: 1989. 1990. S. 117-131.<br />

[Uher Ilauscingangsgestaltungcn im LandkreIs Holzminden u. benachharter (ieblete.j<br />

156. Lilge, Andreas: Historische Hausformen in Südniedersachsen, Ostwestfalen und Nordhessen.<br />

In: Südniedersachsen. Zs. f. Heimatpflege u. Kultur. Jg. 18. 1990. S. 1-47, Abb.<br />

157. Mohrmann, Ruth-Ellisabeth): Alltagswelt im Land <strong>Braunschweig</strong>. Städtische u. ländliche<br />

WohnkultllT v. Hi. his zum frühen 20. Jh. Bd 1.2. (Münster:) Coppenrath (1990). XX, 806 S.,<br />

131 Ahh. Ersch. zuerst als Phi\. Hab.-Schr. Münster 1


164. (Wiswe, Mechthild:) Ländliche Trachten aus <strong>Braunschweig</strong>s Umgebung. [1.2.] (<strong>Braunschweig</strong>:<br />

<strong>Braunschweig</strong>er Zeitungsverl. 1990.) Mappe 4° [Umschlagt.]<br />

[I. In der Mine des 19. Jahrhunderts. Aus d .•• Blätlem flir KostOmkunde". (N. F. BI. 23.24.63.64. Berlin 1877/1878.) - 2.<br />

Um 1865. Bilder von Albert Kretschmer (aus: Deutsche Volkstrachten. Leipzig uno. Bildtaf. 25-27, 29.1<br />

Geschichte einzelner Orte<br />

165. We 11 n e r, Axel: Die Wappen im ehemaligen Altenauer Herrenhaus. MitTaf. XVIII. In: Harz­<br />

Zs. Jg. 41/42. 1990. S. 155-166.<br />

166. Längs der Nette. Heimatkundliche Blätter aus d. Ambergau. (Schrift!.: Sigurd Bressel.) 6.<br />

(Bomum a. Harz: Verein f. Heimatkunde im Ambergau) 1990.82 S., Ahb. [Umschlag!.]<br />

[Darin u. a.: Neugebohren. Karl: Kindheit in Hornum am lIarz. Meine Erinnerungen an d. Zeit his lY45. S. 8--18. -- Winte<br />

I. Erich: Handwerk und Gewerbe in Ilornum am Harz im Jahre 1939. S. 2()"30. - Sch I ee. Maria: SI. Thcrcsia - dIe katholische<br />

Kirche in Bornum am lIarz. S. 31-36.3 Abb. -- Kalthammer, Wilhclm: Hcnrichlilc Brakcbusch -- einer der letzten<br />

Freigrefen des Bornumer freiending.s. S. 37-40, 1 Abb. -- ß resse I. S.: Auswanderer aus Bornum am Harz zwischen 1847 und<br />

t868. S. 41-47. t Abb. - Kallhammer. w.: Sleinkreuzc und Kreuzstcine im südlichen und mIttleren Amber.au. S. 48-53, t<br />

Abb. - Zwei Belege zur Famthcngcschichte Petz in Bornum am HarL. S. 53.J -<br />

Amelungshorn s. Negenborn.<br />

167. Barteis, Wilfried: 375 Jahre Kirche in Binder [Gemeinde Buddeckenstedt]. In: Heimathueh<br />

f. d. Landkr. Wolfenbütlel. Jg. 37:1991. [1990.] S. 151-152,2 Abb.<br />

168. Reißner, Wilhelm: Vorbericht von archäologischen Befunden und Funden in der Nachbarschaft<br />

von St. Martin in Badenhausen - Folgerungen zur Siedlungsgeschichte. In: Heimatbll.<br />

f. d. süd-westl. Harzrand. H. 46. 1990. S. 1-6,4 Abb.<br />

Berklingen s. Vahlberg.<br />

169. Sander, Erich: Schloß Bevem im Wandel der Zeit. 2. Aufl. (Bevern: Verf.) 1990.80 S., 19<br />

Abb., 4 PI.<br />

[I. Aufl. s. Bioliogr. 1986. Nr 373.1<br />

Binder s. Baddeckenstedt.<br />

170. Fickenwirth, Wolfgang: Das Kur- und Bäderwesen in ßlankenburg. In: Unser Harz. Jg. 38.<br />

1990. S. 47-52, 5 Abb.<br />

171. Wittich, Volkcr: Der BlankenburgerTiergarten und seine gartengeschichtliche Entwicklung<br />

von 1668-1945., In: Heimathuch f. d. Landkr. Wolfenbüllel. Jg. 37:1991. [1990.] S. 66-75, 5<br />

Abb.<br />

172. See I iger, Matthias: BolTzen. Alte Häuser erzählen. Horb a. Neckar: Geiger (19'X». 83 S., 95<br />

Ahb.<br />

173. Seeliger, Matthias: Die Boffzer (Boffzen) Schule im 19. Jahrhundert. Mit 3 Ahb. In: Jahrbuch<br />

f. d. Landkr. Holzminden. Bd 7: 1989. 1990. S. 92-101.<br />

Bomum am Elm s. Königslutter.<br />

Bomum am Harz s. Nr 166.<br />

Bruunschweig s. auch Nr 1, 30, 31, 38, 61, 73, 78, 88, 148, 150, 284, 333.<br />

174. <strong>Braunschweig</strong>. Fotos: Bemd Seh I üsse I bu rg. Text: Martina Wengie rek. Grasherg: Mader<br />

1990. 48 S., Abb. Text deutsch, engl, franz.<br />

175. Mack, Dietrich: Testamente der Stadt Braunsehweig. T. 3: Altstadt 1314-1411. von dcm<br />

Damme bis Wille. Göttingen: Golze (1990). S. 431-664. (Beiträge zu Genealogien <strong>Braunschweig</strong>er<br />

Familien. Bd 3.3.) (Veröffentlichung d. Familienkundl. Komm. f. Nds. u. Bremen<br />

sowie angrenzende ostfälische Gebiete e. V.)<br />

198<br />

IAnfang s. Biotiogr. 1988. Nr. 585 u. 1989. Nr. 5119.j<br />

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266. Busch, Ralf: Die Harzburg in Bad Harzburg, Niedersachsen. In: Die Wasserversorgung im<br />

Mittelalter. [Von) Klaus G rewe [u. a.). Mainz 1991. (Geschichte d. Wasserversorgung. Bd 4.)<br />

S. 268-271, 5 Abb.<br />

267. Deutsches Historisches Museum. Bismarek. Preußen, Deutschland u. Europa. (Eine Ausstellung<br />

d. Deutschen Historischen Museums im Martin-Gropius-Bau, Berlin, 26. August - 25.<br />

November 1990. Katalogred.: Leonore Koschnick.) (Berlin:) Nicolai (1990). 526 S., Abb.<br />

IDarin S. 495, 1 Abb. = Nr 10/54-10/56: Canossasäule oder BismarcksreIO auf dem Burgberg zu Harzburg: Personen· u. Orts·<br />

register S. 506-523.]<br />

268. Dormeier, Heinrich: "Nach Canossa gehen wir nicht!" Das Harzburger Rismarck·Denkmal<br />

im Kulturkampf. In: Nds. Jb. f. Landesgesch. Bd 62. 1990. S. 223-264, 17 Abb.<br />

269. H enze, Jutta, u. Günther Lil ge: Dcr jüdische Friedhof und die Familie Rothschild in Merxhausen<br />

[Gemeinde Heinade). Mit 5 Abb. In: Jahrbuch f. d. Landkr. Holzminden. Bd 7: 1989.<br />

1990. S. 139-148.<br />

270. Hildebrand, Sonja: Das Juleum in Helmstedt. [Berlin] 1990. 58 gez. BI., 54 Abb. 4°<br />

[Masch.schr. vervielf.) Hauptseminar-Hausarbeit FU Berlin.<br />

IDle Arbeit ist vorhanden im Nds. Staatsarchi, Wolfenbüllel: 2' Zg. 568i'!O.]<br />

271. He n ze, Ingrid: Der Lehrstuhl für Poesie an der Universität Helmstedt bis zum Tode Heinrich<br />

Mciboms d. Ält. . Eine Untersuchung zur Rezeption antiker Dichtung im lutherischen<br />

Spät humanismus. Hildesheim, Zürich, NewYork: Olms-Weidmann 1990.228 S. Geringfügig<br />

übcrarb. Phil. Diss. Göttingen 1988. (Bciträge zur Altertumswissenschaft. Bd 9.)<br />

272. Li n ke, Hansjürgen: Marienberger Osterspiel (Augustiner-Chorfrauenstift Marienberg in<br />

Helmstedt). In: Die deutsche Literatur d. Mittelalters. Verfasserlexikon. Hegr. von Wolfgang<br />

St a mm le r. FortgcL von Kar! La ngosch. Hrsg. von Kurt Ruh [u. a.]2. Auf!. Bd 6. Berlin,<br />

New York 1987. Sp. 1.<br />

273. Ke Isch, Wolfgang: Schloß Hessen - Ein braunschweigischer Fürstensitz. In: Heimatbuch f. d.<br />

Landkr. Wolfenbüttel. Jg. 37:1991. [1990.) S. 15-31, 10 Abb.<br />

274. Royer, Johann: Beschreibung des ganzen Fürstlich <strong>Braunschweig</strong>ischen gartens zu Hessen.<br />

Hrsg. von d. Landkreis Wolfenbüttel u. d. Herzog August <strong>Bibliothek</strong>. Reprint (d. Ausg. <strong>Braunschweig</strong><br />

1651). Wolfenbüttel: Herzog August <strong>Bibliothek</strong> (1990). 130 S., Abb.<br />

IDarin 2 BI.: Kelsch. Wollgang: Schloß Hessen -Abglanz einstiger braunschwelgischer Holkultur.)<br />

275. Heide, Bemd von der: I\'eue Platten für den Gedenkstein in Hessen. In: Heimatbuch f. d.<br />

Landkr. Wolfcnbüttel. Jg. 37:1991. [1990.] S. 88-89, 1 Abb.<br />

Hohenbiiehen s. Delligsen.<br />

Hohenrode s. Salzgitter.<br />

Holzminden s. auch Nr 141, 342.<br />

276. Me y e r, Gerhard: Holznlinden und sein Umland auf alten Ansichten und Karten. Holzminden<br />

(: Stadt Holzminden) 1990.64 S., 35 Abb. u. Kt. (Holzmindener Schriften. 1.)<br />

277. Roas, Ernest A.: Die Homburger Synagoge. In: Heimatbuch f. d. Landkr. Wolfenbiittel. Jg.<br />

37:1991. [1990.) S. 99-104, 3 Abb.<br />

Kaierde s. Delligsen.<br />

278. Eck e b re c h t, Peter: Die Wüstung Klein Berel. Systematische Erfassung von Oberflächen funden<br />

durch Flurbegehungen. In: Heimatbuch f. d. Landkr. Wolfenbiittcl. Jg. 37:1991. [1990.) S.<br />

140-144, 2 Abb.<br />

206<br />

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292. Hucker, Bemd Ulrich: Eulenspiegel in der Zisterzienserabtei Mariental. Zur Entwicklungsgeschichte<br />

eines Klosterkobolds. In: Das Zisterzienserkloster Mariental bei Helmstedt. 1138-<br />

1988. Hrsg. von Christof Römer. München: Deutscher Kunstverlag 19R8. S. 151-167.<br />

Meerdorf s. Wcndeburg.<br />

Melverode s. <strong>Braunschweig</strong>.<br />

Merxhausen s. Heinade.<br />

Nauen s. Luttcr am Barenberge.<br />

Negenborn s. auch Nr 41, 42, 149.<br />

293. D rö man n, Hans-Christian: Amelungsbom [Gemeindc Negenborn] - ein evangelisches Kloster<br />

in der Gegenwart. In: Jb. d. Ges. f. Nds. Kirchengesch. Bd 8R. 1990. S. 95-100.<br />

294. Rettig, Heinz: FriedlicherWaldbach wurde zum reißenden Strom. Ungeheure Flutwelle verwüstete<br />

im Jahr 1961 Oelber a. w. Wege. 2 Menschen kamen durch Wasser um. In: Heimatbuch<br />

f. d. Landkr. Wolfenbüttel. Jg. 37:1991. [1990.] S. 108-113,4 Abb.<br />

295. Kanefend, Inge: Der Hof Nr. 3 in Ölsburg. [Luttrum: Verf. um 1990.]118,9 gez. BI. 4°<br />

[Masch.schr. vervielf.]<br />

[Die Arbeit Ist vorhanden im Nds. Staalsarchiv Wolfenbüttel: 2" Zg. 391190.]<br />

Ostlutter s. Lutter am Barenberge.<br />

Othfresen s. Liehenhurg.<br />

296. Schillig, Henning: Ortsfremde Patcn in den Taufregistern Pabstorfs . In: Mitteldeutsche Familicnkdc. Bd 9 = Jg. 31. 1990. S. 425-429, 453-457.<br />

IPabstorf, heute Kr. Halberstadt. gehorte bis 1941 zum ehern. Herzogtum <strong>Braunschweig</strong>; Anfang s. Blbilogr. 1989. Nr. 445.)<br />

Rautbeim s. <strong>Braunschweig</strong>.<br />

297. Flachs, Ulrich: Poststelle Regenstein. In: Postgeschichtliche Blätter Hannover/<strong>Braunschweig</strong>.<br />

H. 12. 1990. S. 117-118, 1 Abb.<br />

Rhüden s. Nr 43.<br />

Riddagshauscn s. <strong>Braunschweig</strong>.<br />

Ringelheim s. Salzgitter.<br />

298. Meyer, Bernd-Uwe: die Roklumer besserten den Hessendamm aus. Ein kurzer historischer<br />

Streifzug über diesen alten Grenzübergang. In: Heimatbuch f. d. Landkr. Wolfenbüttel. Jg.<br />

37:1991. [1990.] S. 86-87, 1 Abb.<br />

299. Meyer, Bernd-Uwe: Die Geschichte des Roklumer Schulwesens. In: Heimatbuch f. d.<br />

Landkr. Wolfenbüttel. Jg. 37:1991. [1990.] S. 12R-132, 2 Abb.<br />

300. Knopp, Wemer: Ein Löwe für das HerLOg-Wilhelm-Denkmal in Rühle. Mit e. Einf. von Joachim<br />

B rü n ig. Mit 2 Abb. In: Jahrbuch f. d. Landkr. Holzminden. Bd 7: 191\9. 1990. S. 70-81.<br />

301. Leuschner, Jörg [u. a.]: "Ortschaft Süd". - Ringelheim, Gitter, lIohenrode, Groß Mahner,<br />

Salzgitter· Bad u. Kniestedt - in alten Bildern. Salzgitter: (Archiv d. Stadt Salzgitter) 1989. 191<br />

S.<br />

302. Straßennamen in Salzgitter. (Bearb.: Klaus Haase, Alfred Wermke.) (2., überarb. u. erg.<br />

Aun.) (Salzgitter: Stadt Salzgitter, Referat f. Öffentlichkeitsarbeit 1990.) 48 S. 4° [Umschlagt.]<br />

(Salzgitter-Forum. 19.)<br />

[1. Aun. s. Bihliogr. 1982, Nr 420.)<br />

303. Frauenhandbuch. Hcrausgeberinnen: Arbcitsgemeinschaft der Frauenverbände Stadt Salzgitter,<br />

Referat für Gleichstellungsfragen - die Frauenheauftragte. Salzgitter: Appclhans 1989.<br />

159 S.<br />

208<br />

<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong><br />

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304. 100 Jahre SPD in Salzgitter (1890--1990). (Verf.: Reinhard Försterling [u. a.)) Salzgitter<br />

(: Archiv d. Stadt Salzgitter) 1990.235 S., 184 Abb. 4° (Beiträge zur Stadtgeschichte, Bd 8.)<br />

305. Die Demontage der Reichswerke (Stadt Salzgitter). ([Von] Jörg Leuschner<br />

[u. a.)) Salzgitter: Archiv d. Stadt Salzgitter 1990. 344 S., 130 Abb. (Beiträge zur Stadtgeschichte.<br />

Bd. 3.)<br />

306. Bergmann, Ralf: Stahl oder Rühen. Die Entwicklung d. Industriegewerkschaft Metall in<br />

Salzgitter nach d. Zweiten Weltkrieg. Hrsg. von d. IG Metall - Verwaltungsstelle Salzgitter.<br />

Marburg: SP-Verlag. 1990. 149 S.<br />

307. (Rose n berger, Fred:) Salzgitter-Bad. Im Wandel der Zeit. (2. Aufl.) Horb a. Neckar: Geiger<br />

(1990). 96 S. Ahb. mit Text.<br />

308. Kruse, Bernhard: Die Renovierung der ehemaligen Klosterkirche St. Abdon und Sennen in<br />

Salzgitter-Ringelheim. In: Die Diözese Hildesheim in Vergangenheit u. Gegenwart. Jg. 58.<br />

1990. S. 101-104, 4 Abh.<br />

Schapen s. <strong>Braunschweig</strong>.<br />

309. Unsere Heimat: Mitteilungsbl. d. Heimatvereins für Schön in gen u. Umgebung. Jg. 39, 1-4.<br />

(Schöningen) 1990. [Kopft.]<br />

[Varin u. a.: Li n dem a n n, llse: Ilotcnslehen - Aulchcn - em Sonntag Im Novemher. I. S. 5-7. - Wa I t her, A.: Und In der<br />

Ferne die Turme von Sankt Lorenz. Zur Grcnzoffnung in Hötensleben. 1. S, 13-39, 1 Abb. - Borstelmann. Uwe: Schünmgen<br />

mitten in Deutschland. Em Hencht d. Stadt Schoningen. 1. S. 42-56. 5 Abb. - K ahm a n n t Günther: Hotenslcbcn und<br />

der "HotcnslchcrWinkcl". 1. S. 58-{)(J, 1 Abb ..... Bit t n e r, Joachlm: Braunkohle - cin grcn1.ubcrschrcltendesThcma. 1. S. 7(}i5.<br />

1 Ahb. - Köh le r. Werner: die Schiluentraditlon in Schönmgcn. FestvoTtrag anldßI. d. Juhilaums .. HK} Jahre Schutzenhaus"<br />

am 20. Mai 1'l9(). 2. S. 13-20, I Abb.1<br />

310. Vie bi n g, Adam: (Kurtzer Bericht von der Stadt Schöningen ... ) Geschichte Schöningens z.<br />

Z. des Dreißigjährigen Krieges von Adamus Viebingius. Bearb. von Werner Freist. IIelmstedt:<br />

Landkreis Hclmstedt (1990). 31 S., 4 Ahb. (Beiträge zur Geschichte d. Landkreises u.<br />

d. ehemaligen Universität Helmstedt. H. 8.)<br />

311. Boettger-Bolte, Gertrud: Die Lorenzkirche zu Schöningen. München, Berlin: Dt. Kunstverl.<br />

1990. 15. S., Abb. (Große Baudenkmäler. H. 406.)<br />

312. (B i t tcher, Ernst:) Die Geschichte der JonasWeigeI-Orgel in St. Vincenz zu Schöningen. (Berlin:<br />

Berliner Orgelbauwerkstatt Karl Schuke 19


331. I se nsee, Eyke: Die Landmaschinenfabrik "Gebrüder Welger" (Wolfenbüttel). Helfer in d.<br />

Ernte. In: IHK [Industrie- u. Handelskammer]. Braunschw. Wirtschaft. Mitteilungen d. Industrie-<br />

u. Handelskammer <strong>Braunschweig</strong>. Jg. 42, H. 8. 1990. S. 24-27, 8 Abb.<br />

332. Festschrift zur Wiedereinweihung der Schmidt & Thiemann-Orgel in der St. Trinitatiskirche zu<br />

Wolfenhüttel nach der Generalüberholung durch die Firma Karl Schuke, Berliner Orgelbauwerkstatt<br />

GmbH. Wolfenhüttel, am 1. August 1990. (Red.: Gunther Martin Göttsche, Dietrich<br />

Voll ra t h.) Wolfenbüttel: Verein zur Erhaltung d. Orgel an SI. Trinitatis e. V. (1990). 18 S.,<br />

Ahh. [Umschlagt.:] Orgel SI. Trinitatis Wolfenbüttel 1723-1967-1990.<br />

[Darin S. 7-13. 4Abb.; GOllsche. G. M.: Zur Geschichte der Orgeln in SI. Trinitatis.]<br />

333. Ausstellungskataloge der Herzog August <strong>Bibliothek</strong>. Nr 62. (Wolfenbüttel: Herzog August <strong>Bibliothek</strong>;<br />

Weinheim:) VCH (Verl. Ges. [in Komm.] 1990). 4°<br />

[62. Gutenberg. 550 Jahre Buchdruck in Europa. (Katalog: Paul Raabe mit Beitr. von Martin<br />

Boghardt [u. a.]) 239 S., Abh. Darin u. a.: Raabe, P.: Gutenbergfeiern 1840. Zu d. Feiern in<br />

Leipzig u. <strong>Braunschweig</strong>. S. 211-236, Abb.]<br />

334. Knops, Mathieu: Neerlandica rerdinando-Albertiana. Nederlandse drukken uit de bibliotheek<br />

van hertog Ferdinand Albrecht zu <strong>Braunschweig</strong>-Lüneburg. (Tentoonstelling 5 maart-26<br />

april 1990.) 's-Gravenhage: Koninklijke Bibliotheek 1990. 98 S., 31 Abb. [Nebent.:] Knops:<br />

Neerlandica Ferdinando Albertiana. Niederländische Drucke aus d. <strong>Bibliothek</strong> d. Herzogs Ferdinand<br />

Albrecht zu <strong>Braunschweig</strong>-Lüneburg. (Tentoonstellingscatalogi en -brochures van de<br />

Koninklijke Bihliotheek. 34.) Text hol I. u. deutsch.<br />

335. Buchrestaurierung in Wolfcnhüttel (Herzog August <strong>Bibliothek</strong>). In: Bindereport. 1990, Nr 11.<br />

S. 692-M6, 7 Abb.<br />

336. Cleve, Iris van: Buchrestaurierung in Wolfenbüttel (Herzog August <strong>Bibliothek</strong>). In: Nordwestdeutsches<br />

Handwerk. Jg. 95, Nr 10. 1990. S. 16,5 Abb.<br />

337. Dahlberg, Gunilla: Die Wanderbühne als Kulturvermittlcr - die deutschen Komödianten,<br />

(Conrad von) Hövekn und das Wolfenbütteler Repertoire. In: Kulturelle Beziehungen zwischen<br />

Schweden u. Deutschland im 17. u. 18. Jahrh. Stade 1990. (Veröffentlichungen aus d.<br />

Stadtarchiv Stade. Bd 14.) S. 97-105.<br />

338. Meyer, Ernst: Die Wolfenbütteler Sportwoche. In: Heimatbuch f. d. Landkr. Wolfenbüttel.<br />

Jg. 37:1991. [1990.] S. 56-59, 2Ahb.<br />

339. Scheliga, Heinz: Ein Dorf verändert sich. Dorferneuerung im Ortsteil Halchter [Stadt Wolfenbüttel],<br />

aus d. Praxis betrachtet. In: Heimatbuch f. d. Landkr. Wolfenbüttel. Jg. 37:1991.<br />

(1990.] S. 41-47, 4 Abb.<br />

Zcllcrfcld s. Clausthal-Zellerfeld.<br />

340. D i t t man n, Manfred: Die Staufenburg bei Zorge. In: Unser Harz. Jg. 38. 1990. S. 23-27, 16<br />

Ahb.<br />

341. :vIeyer, W. Helmut: Das Bergdorf Zarge im Südharz. In: Unser Harz. Jg. 38. 1990. S. 28, 1<br />

Abb.<br />

Bevölkerungs- und Personengeschichle<br />

<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong><br />

342. Sch u bert, Franz:Trauregister aus dcn Kirchenbüchern in Südniedersachsen. In Zsarb. mit d.<br />

Genealogisch-Hcraldischen Gesellschaft mit d. Sitz in Göttingen e. V. Bd 1: Von den Anfängen<br />

bis zum Jahre 1700. Lfg 7. 11. Göttingen: Verf. 1990. (Quellen u. Schriften zur Bevölkerungsgcschichte<br />

Norddcutschlands.)<br />

[7. Holzmindcn u. Umgehung. (Bearh.: Gudrun führding. Karl-Heinz Hermes.) S. 5&1-701. I Kt. -11. OsterO


343. AnIon Ulrich. Herzog zu <strong>Braunschweig</strong> und Lüneburg. In: D ü n n hau p t, Gerhard: Personalbibliographien<br />

zu den Drucken des Barock. T. 1. Stuttgart: Hiersemann 1990. S. 294--313.<br />

344. Wa 1I man n, Johannes: Der Pietismus. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1990. 143 S. (Die<br />

Kirche in ihrer Geschichte. Bd 4. Lfg 01.)<br />

[Darin S. 12-24: Johann Amdt u. d. pietistische Frommigkeit.]<br />

345. B roh m, Ulrich: Konzepte und Ziele landesfürstlicher Wirtschaftspolitik im Wiederaufbau<br />

nach dem Dreißigjährigen Krieg. Herzog August d. J. von <strong>Braunschweig</strong>-Wolfenbüttel . Hamburg 1990. 188 gez. BI. 4° [Masch.schr. vervielL] Hamburg, Univ., Magisterarbeit.<br />

[Die Arbeit ist vorhanden im Nds. Staatsarch.v WnlfenhÜltel unter d. Signatur 2' Zg. 60\1/\10.]<br />

Ballensledt, Johann Georg Justus s. Nr 88.<br />

346. Hillegeist, Hans-Heinrich: PastorWalter Baumann t25. 4.1990. In: Südniedersachsen. Zs.<br />

f. Heimatpflege u. Kultur. Jg. 18. 1990. S. 86-87.<br />

347. In memoriam Walter Baumann (* 23. 4. 1941 t 25. 4. 1990). In: Jb. d. Ges. f. nds. Kirchengesch.<br />

Bd 88. 1990. S. 278-279.<br />

348. Birken, Sigmund von. In: D ü n n hau p t, Gerhard: Personalbibliographien zu den Drucken<br />

des Barock. T. 1. Stuttgart: Hierscmann 1990. S. 582-{i71.<br />

349. End I e r, Renate: Zum Schicksal der Papiere von Johann Joachim Christoph Bode (* <strong>Braunschweig</strong><br />

16. 1. 1730 t 13. 12. 17(3). In: Quatuor coronati. Nr 27. 1990. S. 9-35, 2 Abb.<br />

350. Sch ü ttler, Hermann: Johann Christoph Bodes Reise nach Paris im Jahre 1787 und die Loge<br />

"Les Amis Reunis". In: Quatuor coronati. Nr 27. 1990. S. 37-48.<br />

351. Eckhardt, Albrecht: Kanzler und Reichshofrat Dr. Johann Philipp Bohn , Herr zu Birkenau, und die älteste Karte des Gerichts Staden in derWetterau .<br />

In: Archiv f. hessischc Geschichte u. Altertumskunde. N. F. 48. 1990. S. 33-88, 3 Abb.<br />

[Bohn war von 1638-1642 Kanzler u. Geheimer Rat unter Herzog August d. J. f. d. Fü"tentum Wolfenhllltel.]<br />

Bote, Hermann s. Nr 127-134.<br />

Brakebusch, Henrich TIle s. Nr 166.<br />

352. Bressand, Friedrich Christian. In: DUnnhaupt, Gerhard: Personalbibliographien zu den<br />

Drucken des Barock. T. 2 Stuttgart: Hiersemann 1990. S. 795-815.<br />

353. (G ru n d t geb. Brückmann, Irmgard:) Familientag der Nachkommen des Johann Jacob Brückmann.<br />

Berichtsheft. 25: Am. 2.13. Juni 1990 in BietigheimIWürtt., Parkhotel. (Wolfenbüttel<br />

1990.) 23 gez. BI. 4° [Masch.schT. vervielf.]<br />

354. Bucholz, Andreas Heinrich. In: D ü n n hau pt, Gerhard: Personalbibliographien zu den Drukken<br />

des Barock. T. 2. Stuttgart: HieTsemann 1990. S. 911-940.<br />

Caroline von <strong>Braunschweig</strong> s. NT 66.<br />

Chrisloph, Hcrzog zu Braunschwcig-WolfenbUttcl s. Nr 37.<br />

355. Wi n te r, Peter: Wolken, Blumen, Schädelstätten. Der Plastiker u. Zeichner Emil Cimiolli. In:<br />

Weltkunst. Jg. 60. 1990. S. 1229-1231,5 Abb.<br />

356. Cramm. In: Genealogisches Handbuch d. adeligen Häuser. A, Bd 21. 1990. S. 96-97. (Genealog.<br />

Handbuch d. Adels. Bd 98.)<br />

[vgl. Bihliugr. 1975, Nr 329 u. 1989. NT 527.1<br />

357. Gottwald, Siegfried: Dedekind, Richard. In: Lexikon bedeutender Mathematiker. Hrsg.<br />

von Siegfried Gottwald, Hans-Joachim lIgands tu. a.]Thun, Frankf.lMain: Deutsch 1990.<br />

S. 118-119.<br />

212<br />

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373. Wurzel, Thomas: Heinrich der Löwe und sein Evangeliar. In: Hessisehe Heimat. 19. 40. 1990.<br />

S. 43-48, Abb. 6fr-72.<br />

373a. I a k 0 b s, Hermann: Dynastische Verheißung. Die Krönung Heinrichs des Löwen und Mathildes<br />

im Helmarshausener Evangeliar. In: Kultur und Konflikt. Hrsg. von lan Assmann u. Dieter<br />

Harth. Frankfurt 1990. S. 215-259, 24 Abb.<br />

Heinrich Julius, Herzog zu Braunschwcig-Wolfenbüttcl s. auch Nr 140.<br />

374. Wi tte, Raimund: Heinrich Iulius von <strong>Braunschweig</strong>-Wolfenbüttel . Eine bemerkenswerte<br />

Herrschergestalt am Vorahend d. 30jährigen Krieges. In: Ib. d. Ges. f. Nds. Kirchengesch.<br />

Bd 88. 1990. S. 125-145.<br />

375. Me i n I, Susanne: Ein konservativer Revolutionär in der Weimarer Republik und im "Dritten<br />

Reich". Eine politisch-hiographische Skizze d. Friedrich Wilhelm Heinz 1918 bis 1945. Lollar:<br />

Verf. 1990. 3,217 gez., 47 ungez. BI. [Masch.schr.] [3 Microfiche.]<br />

IHejnz war 1927/28 StahlhclmfUhrer in <strong>Braunschweig</strong>. 1928/29 Ortsgruppen leiter d. NSDAP in Hannover.]<br />

376. Heide, Bcrnd von der: Die Wanderjahre des Stell- und Rademachers Andreas Hinze aus<br />

Bomum 1843-1846. In: Heimathuch f. d. I.andkr. Wolfenhütte!. Jg. 37:1991. [1990.] S. 162-<br />

165,2 Abb.<br />

3n. Schrei ber, Friedrich: Hans lIölscher -75 Jahre und weiterhin aktiv. Mit 1 Abb. In: Jahrbuch<br />

f. d. Landkr. Holzminden. Bd 7: 1989. 1990. S. 1-2.<br />

Hövelen. Conrad von s. Nr 337.<br />

378. Hrotsvit of Gandersheim - rara avis in Saxonia? A collection of essays compiled and edited by<br />

Katharina M. Wilson. Ann Arbor: MARC Puh!. Co. 1987.285 S. (Medieval and Renaissance<br />

monograph series. No 7.)<br />

379. Pätzold, Barhara: Hrotsvit von Gandersheim. Lebensnormen u. Wertvorstellungen. In:<br />

Herrscherinnen und Nonnen. Autorenkollektiv unter Leitung von: Erika U i I Z [u. a.]. Berlin<br />

1990. S. 17-42, 1 Abb. aufTaf. 17.<br />

Jerusalem, Johann Friedlich Wilhelm s. Nr 88.<br />

Jettebruch, Familie s. Nr 181.<br />

380. Kalm. In: Genealogisches Handhuch d. adeligen Häuser. B, Bd 19. 1990. S. 189-194. (Genealog.<br />

Handhuch d. Adels. Bd 99.)<br />

Klagges, Dietrich s. Nr 73.<br />

Klessmann, Rüdiger s. Nr 201.<br />

Körner, Erich s. Nr 39.<br />

381. (M [u nd], E[rnst) 1 .:) Georg Ludwig Korfes. (Zsgest. nach versch. Quellen.) (<strong>Braunschweig</strong>:<br />

Freundeskreis ehern. IR 17 1990.) 4 ungez. BI. (Freundeskreis-Schrift. Nr. 4.) [Umschlagt.]<br />

382. Raa be, Paul: Nachruf auf Friedrich Wilhelm Kraemer (t 18. 4. 1990). In: Wolfenbütteler <strong>Bibliothek</strong>s-Informationen.<br />

Jg. 15. 1990. S. 8.<br />

383. Finster, Reinhard, Gerd van den Heuvel: GottfriedWilhelm Leibniz. Mit Selbstzeugnissen<br />

u. Bilddokumenten dargest. (Reinbek b. Hamburg:) RowohIt (1990). 157 S., Ahb. (Rowohlts<br />

Monographien. 481.)<br />

INamenregister S. 155 ·156.)<br />

384. Poser, Hans: Leihniz. In: Theologische Realenzyklopädie. Hrsg. von Gerhard Müller. Bd.<br />

20. Berlin [usw.]: de Gruyter. 1990. S. 649-Q65.<br />

214<br />

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404. Sc hol z e, R[ einhard): Generalmajor Elias Olfermann < 1776-1822>. Freitod aus sozialer Verantwortung.<br />

In: Unser Harz. Jg. 3R. 1990. S. 41-42, 1 Ahh.<br />

405. H ucker, Bcrnd Ulrich: Kaiser Otto IV. Hannover: Hahn 1990. XC, 760 S., 32 Abb. Überarh.<br />

u. erw. Hah.-Schr. Univ. Bamberg, Fak. f. Geschichts-. u. Geowissenschaften, 1983. (Monumenta<br />

Germaniae Historica. Schriften. Bd 34.)<br />

[Register S. 701-760.J<br />

Pestorff, Johann Lucas s. Nr 88.<br />

Petz, Familie s. Nr 166.<br />

406. Bußmann, Walter: In memoriam: Werner Pöls (15. 3. 1926-21. 2. 19R9). Wissenschaft und<br />

Hochschulpolitik. In: Historische Kommission zu Bcrlin. Informationen. N. E H. 15. 1990. S.<br />

11-12, 1 Abb.<br />

407. Kö n ig, Joseph: Werner Pöls * 15. 3. 1926 t 21. 2. 1989. In: <strong>Braunschweig</strong>ische Wissenschaft!.<br />

Gesellschaft. Jahrbuch. 1989: 1990. S. 251-252.<br />

408. Praun, Ferdinand v.: Ein Reisehericht der CharJotte v. Münchhausen geh. v. Praun. In: Genealogie.<br />

Bd 20 = Jg. 39. 1990. S. 321-330.<br />

409. Kre tseh mer, Paul: Glanz und Elend des Grafengeschlechts von Rantzau in Holzminden. In:<br />

Jahrbuch f. d. Landkr. Holzminden. Bd 7: 1989. 1990. S. 64-69.<br />

Roswitha von Gandersheim s. Hrotsvit von Gandersheim.<br />

Rothschild, Familie s. Nr 269.<br />

410. Ru sc h e, Peter: Angaben zur Herkunft der Familie Rusche. <br />

Als Ms. gedr. T. 4. IIildesheim: Verf. 1990. 159 S.<br />

[Konzentriert sich auf d. Rusches in <strong>Braunschweig</strong> u. Hannover.}<br />

411. Koch, Hans Albrecht: Ernst Sander und der Verlag Philipp Reclam. In: Von Göschen bis Rowohlt.<br />

Heitr. zur Geschichte d. deutschen Verlagswesens. Festschrift für Hcinz Sarkowski<br />

zum 65. Geb. Hrsg. von Monika Es term a n n u. Michael K noche. Wiesbaden: Harrassowitz<br />

1990. (Beitr. zum Buch- u. <strong>Bibliothek</strong>swesen. Bd. 30.) S. 148-206.<br />

412. R ö s s in g - S c h mal ba c h, Hans-Werncr: "Konserviertes". Erinnerungen, Erlehtes, Vergangenes.<br />

(Was nicht im Stammbaum u. nicht in d. Geschäftsherichten steht.) Lehensbericht. (Duderstadt:<br />

Mecke 1990.) 244 S., Abb. 4°<br />

[Schmalba


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Chronik des <strong>Braunschweig</strong>ischen Geschichtsvereins<br />

vom Oktober 1990 bis Oktober 1991<br />

Auf der Vorstandssitzung ,die am 22. November 1990 im Städtischen Museum in<br />

<strong>Braunschweig</strong> stattfand, informierte der Vorsitzende Dr. Sc h e e I zunächst über die für das<br />

<strong>Braunschweig</strong>ische Jahrbuch 71 (1990) vorgesehenen Beiträge. Zustimmung fand sein<br />

Vorschlag, im Jahre 1991 folgende Einzelveröffentlichungen zu publizieren (inzwischen<br />

alle erschienen): Rainer Täubrich, Herzog Heinrich der Jüngere von <strong>Braunschweig</strong>-Wolfcnbüttel<br />

(1489-1568). Leben und Politik bis zum Primogeniturvertrag von 1535 (Quellen<br />

und Forschungen zur <strong>Braunschweig</strong>ischen Geschichte 29); - Arno Weinmann, <strong>Braunschweig</strong><br />

als landesherrliche Residenz im Mittelalter (Beihefte zum <strong>Braunschweig</strong>ischen<br />

Jahrbuch 7); - Annette Jorns, Lebens- und Arbeitssituation von Frauen im Lande <strong>Braunschweig</strong><br />

1830-1865 (Beihefte zum <strong>Braunschweig</strong>ischen Jahrbuch 8).<br />

Lebhaft erörtert wurden anschließend strukturelle und organisatorische Angelegenheiten<br />

der Vereinsarbeit. Außerdem waren die im Frühjahr 1991 fälligen Vorstandswahlen<br />

Gegenstand der Sitzung. Der bisherige stellvertretende Vorsitzende, Herr Runte, erklärte<br />

sich bereit, sein Amt zu Gunsten von Herrn Dr. Jan:k zur Verfügung zu stclkn. Er wurde<br />

gebeten, als Beisitzer auch künftig dem Vorstand als juristischer Berater anzugehören.<br />

Der Mitgliederversammlung soll vorgeschlagen werden, außer den bisherigen Vorstandsmitgliedern,<br />

die sämtlich bereit sind erneut zu kandidieren, Dr. Jarck als stellvertretenden<br />

Vorsitzenden sowie Prof. Dr. Schneidmüller und Prof. Dr. Thies als Beisitzer in den Vorstand<br />

zu wähkn.<br />

Unter Leitung des Vorsitzenden fand die von 143 Personen besuchte Mitgliederversammlung<br />

am 18. April im Städtischen Museum in <strong>Braunschweig</strong> statt, zu der die<br />

Einladungen mit Tagesordnung rechtzeitig versandt worden waren. Nach der Begrüßung<br />

und Feststellung der Beschlußfähigkeit der Versammlung gedachte Dr. Scheel der verstorbenen<br />

Vereinsmitglieder, von denen sich Archivdirektor Dr. Mohrmann bleibende Verdienste<br />

um die Erforschung der braunschweigischen Geschichte erworben hat.<br />

Mit Genugtuung konnte der Vorsitzende darauf hinweisen, daß die Mitgliederzahl<br />

des Vereins mit 650 Personen konstant geblieben ist. Die Vortragsveranstaltungen erfreuten<br />

sich durchgängig eines guten Besuchs und auch die Studienfahrten waren bereits kurz<br />

nach der Ankündigung ausgebucht, so daß sich zahlreiche Mitglieder mit eigenem PKW an<br />

den Exkursionen beteiligten. Dr. Scheel berichtete dann über die erschienenen und geplanten<br />

Publikationen des Vereins und machte darauf aufmerksam, daß zu dem nach der<br />

"Wende" gegründete Magdeburger Geschichtsverein seit kurzem Kontakte bestehen und<br />

daß der Austausch von Vortragenden verabredet wurde.<br />

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219


Den Tätigkeitsbericht erstattete der Geschäftsführer Dr. Ga rz man n. Er nannte folgende<br />

im Winterhalbjahr 1990/91 gehaltenen Vortr äge:<br />

18.10.1990 Dr. Ralf Eisinger, Hildesheim: Das IIagenmarkt-Theater in <strong>Braunschweig</strong>.<br />

15. 11. 1990 Dr. Bernd Nicolai, Berlin: Walkenried und die Kirehenbaukunst der Zisterzienser<br />

im 12. Jahrhundert.<br />

17.01. 1991 Prof. Dr. Ernst Hinrichs, Braunsehweig: Die Französische Revolution<br />

und Norddeutschland.<br />

21. 02. 1991 Dip!. Ing. Gotthard Voß, Halle/Saale: Denkmal und Denkmalpflege in<br />

Sachsen-Anhalt (mit Dias).<br />

21. 03.1991 Dr. Lutz Fenske, Göttingen: Die Grafen von Regenstein im frühen 13.<br />

Jahrhundert. Innenansicht einer gräflichen Adelsherrschaft (mit Dias).<br />

18.04.1991 Hartmut Rötting M. A., <strong>Braunschweig</strong>: Marktort und frühe Stadt. Die<br />

Herausbildung der Stadt <strong>Braunschweig</strong> nach den archäologischen Quellen<br />

(mit Dias).<br />

Nach dem von Schatzmeister Dr. Spies erstatteten Bericht über Einnahmen und<br />

Ausgaben des Vereins betrug der Kassenbestand am 31.12.1990 DM 36586. Hiervon muß<br />

allerdings noch das <strong>Braunschweig</strong>ische Jahrbuch 7111990 bezahlt werden, das im Frühjahr<br />

erscheinen soll. Von der Korrektheit der Rechnungsführung hatten sich die beiden Kassenprüfer<br />

Dr. E tzold (Wolfenbüttel) und Dr. Ludewig (Sehöppenstedt) überzeugt, so daß<br />

die Mitgliederversammlung auf Antrag von Dr. Gi e sau dem gesamten Vorstand Entlastung<br />

erteilte. Dr. Scheel dankte allen Mitarbeitern des Stadtarchivs und des Städtischen<br />

Museums in Braunsehweig sowie des Staatsarchivs in Wolfenbüttcl, die ehrenamtlich im<br />

Rahmen der Geschäftsführung des Vereins tätig waren.<br />

Beim Tagesordnungspunkt "Vorstandswahlen" regte Dr. Scheel im Namen des<br />

amtierenden Vorstandes an, den gesamten neuen Vorstand en blac zu wählen. Diesem<br />

Verfahren wurde zugestimmt und unter Leitung des Vereinsmitgliedes Pastor Wolfgang<br />

A. Jünke (<strong>Braunschweig</strong>) der Wahlvorschlag des Vorstandes von der Mitgliederversammlung<br />

einstimmig angenommen. Für die dreijährige Amtszeit von 1991-1994 besteht<br />

der Vorstand aus folgenden Personen:<br />

Vorsitzender: Dr. Günter Scheel, LId. Archivdirektor a. D., Wolfenbüttel;<br />

Stv. Vorsitzender:Dr. Horst-Rüdiger Ja rc k, LId. Archivdirektor, Wolfenbüttel;<br />

Schatzmeister: Dr. Gerd S pie s, Ltd. Museumsdirektor , <strong>Braunschweig</strong>;<br />

Geschäftsführer: Dr. Manfred Ga rz man n , Archivdirektor , <strong>Braunschweig</strong>.<br />

Beisitzer:<br />

Leiterin der Studienfahrten: Dr. Mechthild Wiswe, Oberkustodin, <strong>Braunschweig</strong>;<br />

Dr. Joachim Eh I e rs, Professor, <strong>Braunschweig</strong>lBerlin;<br />

Dr. Joseph König, Archivdirektor a. D., Wolfenbüttel;<br />

Dr. Dieter Le n t, Archivoberrat, Wolfenbüttel;<br />

220<br />

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Dr. Wolfgang Milde, Professor, <strong>Bibliothek</strong>soberrat, Wolfcnbüttel;<br />

Hartmut Rötting, M.A., Archäologieoberrat, <strong>Braunschweig</strong>;<br />

Hans-Peter Run te, Bankabteilungsdirektor a. D., <strong>Braunschweig</strong>;<br />

Dr. Gerhardt Sc h i I d t, Professor, <strong>Braunschweig</strong>;<br />

Dr. Bernd Schneidmü lIer, Professor, <strong>Braunschweig</strong>;<br />

Dr. Harmen Thies, Professor, <strong>Braunschweig</strong>.<br />

Im Anschluß an die Wahlen gab die Leiterin der Studienfahrten, Frau Dr. Wiswe,<br />

die für den Sommer 1991 beabsichtigten Studienfahrten bekannt, die inzwischen wie<br />

geplant durchgeführt worden sind.<br />

Die erste halbtätige Exkursion (Dr. Wiswe, Dr. Scheel) am 25. 5. 1991 führte zu<br />

"Dorfkirchen und Dorfbilder im Raum Peine". Erste Station war der einstige Diakonatssitz<br />

Schmedenstedt mit seiner älteren Wüstungskirche und der Fachwerkkirche, deren farbiges<br />

Innere sich weitgehend an den Malstil der Renaissance anlehnt. Im Gegensatz dazu<br />

stand die einschiffige Bruchsteinkirche in Edemissen mit ihrer barocken Ausstattung. Beeindruckend<br />

war auch die Besichtigung der kleinen bäuerlichen Fachwerkkirche in Dedenhausen,<br />

die im Innern im barocken Knorpelstil gestaltet war. Zum Abschluß wurde die<br />

Martinskirche in Sicvershausen aufgesucht, die schon um 1000 Taufkirche und Mittelpunkt<br />

eines Archidiakonatsbezirks gewesen ist. Ein großes Gemälde im Turmraum erinnert an<br />

eine blutige Schlacht im Reformationszeitalter im Jahre 1553, die auch für die braunschweigische<br />

Geschichte von eminenter Bedeutung gewesen ist, weil hier die beiden älteren<br />

Söhne Herzog Heinrichs des Jüngeren, Philipp Magnus und Kar! Victor, ihr Leben lassen<br />

mußten. Auf der Gegenseite fiel Kurfürst Moritz von Sachsen, an dessen Tod ein Denkmal<br />

auf dem Dorffriedhof erinnert. Von dort aus konnte man gut das Schlachtfeld überblicken.<br />

Schließlich bestand die Möglichkeit, die "Dokumentationsstätte zu Kriegsgeschehen und<br />

über Friedensarbeit" zu besichtigen, die Pfarrer Rauterberg anläßlich der 425-Jahrfeier<br />

der Schlacht von Sievershausen im Jahre 1958 eingerichtet hat.<br />

Oranienbaum und Wörlitz waren die Zielpunkte der zweiten ganztägigen Studienfahrt<br />

am 29. Juni zu Schlössern und Gärten in Anhalt (Dr. Wiswe, Dr. Scheel). Die Befürchtung,<br />

daß ein längerer Stau sowohl auf der Autobahn hinter Helmstedt als auch auf der dann<br />

benutzten Ausweichstrecke zu einer Kürzung des Programms führen würde, bewahrheitete<br />

sich glücklicherweise nicht, da die Referate über die naturräumliche Gliederung und<br />

die Geschichte Anhalts und der Askanier im Bus gehalten wurden und durch die straffe<br />

Führung von Frau Ross (Oranienbaum) und Dr. Ross (Wörlitz) die verlorene Zeit wettgemacht<br />

werden konnte. Zunächst führten beide durch die kunsthistorisch bedeutendsten<br />

Räume des barocken Schlosses Oranienbaum: den Festsaal und den mit Delfter Kacheln<br />

ausgestatteten Sommerspeisesaal. Anläßlich eines Spazierganges wurde dann die Aufmerksamkeit<br />

auf die verschiedenen Stilcpochen des ursprünglich nach holländischen Vorbildern<br />

angelegten Barockgarten gelenkt, von dem im 18. Jhdt. Partien im englischen<br />

Landschaftsgartenstil mit chinesischem Teehaus und Glockenhaus umgewandelt worden<br />

sind. Höhepunkt war dann in Wörlitz die Besichtigung des von Fürst Leopold III. Friedrich<br />

Fra n z von Anhalt -Dessau (1740-1817) initiierten ältesten deutschen Landschaftsgartens.<br />

Er wurde unter Leitung von Dr. Ross und Dr. Alex erwandert und anläßlich einer Boots-<br />

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221


fahrt auf dem ausgedehnten Kanalsystem durchquert, wobei die genial erdachten Sichtachsen<br />

und der exotische Baumbestand bt:t:indruckten. Recht lohnend erwies sich auch die<br />

Besichtigung des im klassizistischen Stil erbauten Schlosses, dessen wiederhergerichtete<br />

Räume mit zeitgenössischem Mobiliar des 18. Jhdts. ausgestattet worden sind. Wegen der<br />

großen Zahl der Anmeldungen zu dieser Exkursion wurde sieam 13. Juli wiederholt, wobei<br />

zwei jüngere Mitarbeiter aus dem Wörlitz-Team, die Herren Pfeiffer und Quilitzsch sachkundige<br />

und engagierte Führer waren.<br />

Mit Süpplingenburg, Mariental und Walbeek wurden auf der dritten halbtägigen Studienfahrt<br />

am 31. 8. (Dr. Wiswe, Dr. Scheel) "Mittelalterliche Kirchenbauten beiderseits<br />

des Lappwaldes" aufgesucht, die ihre Gründungen auf drei bedeutende hochmittelalterliche<br />

Adelsgeschlechter zurückführen können. Die wechselvollsten Schicksale hat die zuerst<br />

besichtigte romanische Kirche in Süpplingenburg gehabt. Das von Kaiser Lothar auf seiner<br />

Stammburg errichtete Kanonissenstift, das von Heinrich dem Löwen dem Templerorden<br />

übergeben worden ist, wurde nach dessen Aufhebung Mitte des 14. Jhdts. schließlich eine<br />

Kommende des Johanniterordens. Die ehemalige Ordenskirche, eine gewölbte PfeilerbasiIika<br />

mit rechteckigem apsislosen Chor, von deren ersten um die Mitte des 12. Jhdts. errichteten<br />

Bau sich Teile erhalten haben, wird gegenwärtig als evangelische Pfarrkirche genutzt.<br />

Die danach besichtigte Klosteranlage des Zisterzienserordens in Mariental ist 1136<br />

von Graf Friedrich 11. von Sommerschenburg als Hauskloster und Grablege gegründet<br />

worden. Das Geschlecht der Grafen von Sommerschenburg, das im 11. Jhdt. die sächsische<br />

Pfalzgrafenwürde besaß und als Hauptgegner Kaiser Heinrichs IV. und später Heinrichs<br />

des Löwen überregionale Bedeutung gewann, ist bereits im lezten Drittel des 12. Jhdts.<br />

ausgestorben, so daß nur der Klostergründer hier seine heute nicht mehr bekannte Ruhestätte<br />

fand. Die kenntnisreichen bau- und kunstgeschichtlichen Erläuterungen gab hier wie<br />

bereits in Süpplingenburg Dr. Wedemeyer. Zum Abschluß der Studienfahrt wurde der Ort<br />

Walbeck (Kreis Gardelegen/Haldensleben) besucht, der bisher für Bundesbürger unzugänglich<br />

war, da er im DDR-Grenzgebiet lag. Er war im Hochmittelalter Stammsitz der<br />

Grafen von Walbeck, die hier auf ihrer Burg im lahre 997 ein Chorherrenstift errichteten.<br />

Nach der Besichtigung der imponierenden Kirchenruine konnte auch der Gipssarkophag<br />

des Stiftsgründers, Graf Lothar 11., in der Dorfkirche betrachtet werden. Mit einer gelungenen<br />

Kaffeetafel, für die die Bürgermeisterin mangels anderer Lokalitäten den Speiseraum<br />

des Schulzt:ntrums organisiert hatte, endete die Studienfahrt.<br />

Schließlich fand am 28.9. noch eine ganztägige Studienfahrt in die nordwestliche Altmark<br />

mit ihrem Zentrum Salzwedel statt (Dr. Wiswe, Dr. Scheel). Vorab wurde die kleine<br />

Dorfkirche in Osterwohle besichtigt, für die es wegen ihrer hervorragenden maniristischen<br />

Ausstattung mit Holzschnitzwerk kein vergleichbares Beispiel ähnlicher Bedeutung gibt.<br />

In Salzwedcl, das in askanischer Zeit bisweilen Hauptstadt der Altmark war, beeindruckten<br />

auf einem Rundgang durch die im Zweiten Weltkrieg unzerstörte Stadt typisch frühneuzeitliche<br />

Bürgerhäuser und Reste der askanischen Burganlage. Eingehend besichtigt<br />

wurden auch die Kirchen St. Marien und St. Katharinen, beides bedeutende Zeugnisse der<br />

Backsteingotik. Als Beispiel für die in der nördlichen Altmark zahlreich vorhandenen<br />

Großsteingräber wurde anschließend ein Hünengrab in Stöckheim aufgesucht. Die Stu-<br />

222<br />

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dienfahrt endete in Diesdorf. Zunächst wurde die ehemalige Klosterkirche in Diesdorf<br />

besichtigt und ihre Baugestalt sowie ihre Funktion in der regionalen Kirchengeschichte von<br />

Herrn Peter Steckhan sachkundig beschrieben. Sehr lohnend erwies sich auch der Besuch<br />

des "Altmärkischen Freilichtmuseums". Besonderes Interesse fanden hier ein traditioneller<br />

altmärkischer Küchengarten mit zahlreichen heute fast nicht mehr bekannten Nutzpflanzen<br />

und Kräutern sowie Demonstrationen handwerklicher Tätigkeiten in mehreren<br />

Gebäuden des Museumdsdorfes. Die Mitarbeiterin des Museums Frau I. Fischer führte<br />

engagiert und gekonnt.<br />

Nach der Mitteilung des Exkursionsprogramms nannte und erläuterte Dr. Ga rzmann<br />

die für das Winterhalbjahr 1991/92 vorgesehenen Vorträge.<br />

Die Mitgliederversammlung endete mit dem Hinweis des Vorsitzenden auf folgende<br />

wissenschaftliche Veranstaltungen, zu denen auch die Mitglieder unseres Vereins als Gäste<br />

willkommen sind: Tagung der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen<br />

. vom 9.-11. 5. 1991 in Hitzacker mit dem Thema "Niedersaehsen in seinen Beziehungen<br />

zum Alten Reich" und 18. Tag der Landesgeschichte am 8. 10. 1991 in Aaehen mit dem<br />

Thema "Urbanisation während der Kaiserzeit im Ländervergleich".<br />

G.S.<br />

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VERSTORBENE MITGLIEDER<br />

Brüser, Adulf, Dr. ing., Krefcld<br />

Bruger, Werner, Rentner, <strong>Braunschweig</strong><br />

Kadziora, Heinz, Dr. med., Medizinaloberrat, <strong>Braunschweig</strong><br />

Koch, Elisabeth, Kunstmalerin, <strong>Braunschweig</strong><br />

Mohrmann, Dieter, Dr. phi\. , Archivdirektor , Osnabrück<br />

Schmidt, flans Werner, Dr., München<br />

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