Essay Alles nur luft Unsichtbar, unfassbar, unkontrollierbar – der Wind ist eine Zumutung für unser modernes Denken. Wie wir ihn trotzdem besser begreifen können. Von Angelika Ohland 42 <strong>LUX</strong> <strong>Spezial</strong> 2013
Essay Was ist der Wind? Eine gerichtete Luftbewegung, könnte man vereinfacht sagen. Er entsteht durch Unterschiede im Luftdruck. Je größer der Druckunterschied ist, desto windiger. apollo gegen den Windgott Boreas. Illustration aus dem 18. Jahrhundert Fotos: Karl Weatherly/Corbis, Bettmann/Corbis Was wäre Gisela Pulido ohne den Wind? Der Wind schnellt sie empor und wirbelt sie herum, er nimmt sie mit auf einen wilden Ritt durch die Luf und über die Wellen, ihm trotzt Pulido die unmöglichsten Sprünge ab – der Wind beschenkt sie dafür mit einer Extraportion Glück. Mit 13 wurde Pulido das erste Mal Weltmeisterin im Kitesurfen – das kleine schleswig-holsteinische Sankt Peter-Ording zeigte sich ihr von seiner besten, seiner windigen Seite. Inzwischen ist sie 19 und hat ihren achten WM-Titel geholt. Für Pulido ist ein Tag ohne Wind ein verlorener Tag. Der Wind ist ihr Element, sie gibt sich ihm hin, wenn auch keineswegs willenlos, und bleibt gerade dadurch Herrin ihres Drachens. Denn sie kennt – besser: erahnt oder erfühlt – seine Stärken und plötzlichen Abfälle, seinen Aufrieb und seine unberechenbaren Böen, die einen Kite schon mal recht unsanf vom Sturmhimmel holen können. Gisela Pulido macht der Nordseewind glücklich, die Energiekonzerne soll er in die nachatomare Zukunf führen. BARD Offshore, Nordsee Ost, Kaikas heißen die Windparks, die aus einer unsichtbaren Kraf das Gold des 21. Jahrhunderts, den Strom, gewinnen wollen. Ein ganzes Land setzt auf Luf, einen Stoff, den man nicht sehen, nicht greifen kann. Dabei werden auch die Technikriesen diesen Anarchisten unter den Elementen nie bezwingen – auch sie können nur mit dem Wind arbeiten, nie gegen ihn. Daran hat sich nichts geändert, seit Großsegler die Meere befuhren. Auch der Künstler Teo Jansen ist dem Wind verfallen. Seit 19 Jahren widmet er sein Leben den Strandbiestern, einer neuen Spezies an der Küste von Den Haag. „Animaris Ondula“, „Currens Ventosa“, „Animaris Umeris“ – paläontologische Windwesen, die sich auf dem festen Sand der niederländischen Nordseeküste treiben lassen und dabei, groß wie Saurier, eine geradezu windische Eleganz zeigen. Grazile Urzeitviecher, geboren aus einer Künstlerseele mit soliden physikalischen Kenntnissen. Die Strandbiester haben ihrem Erschaffer den seltsamen Beinamen „da Vinci der Nordseeküste“ eingebracht. Denn so wie der brillante Leonardo als Künstler die Anatomie des Menschen ergründete, so ergründet Jansen die Anatomie des Windes. Was ist der Wind? Eine gerichtete Lufbewegung, könnte man vereinfacht sagen. Wind entsteht durch Unterschiede im Lufdruck. Lufteile aus einem Gebiet mit höherem Lufdruck fließen so lange in Teile mit niedrigerem Lufdruck, bis Ausgleich herrscht. Je größer der Druckun- <strong>LUX</strong> <strong>Spezial</strong> 2013 43