29.01.2016 Aufrufe

"Vorhang Auf" Elternteil

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

„Der Winter“ · Daniela Drescher · © Waldow Verlag · www.waldowverlag.de<br />

g<br />

Vorhan<br />

auf!<br />

Eine Auswahl aus unseren Winterbildern<br />

Mehr unter www.WaldowVerlag.de<br />

Kunstdruck A3 „Der Winter“<br />

Daniela Drescher. 8,90 EUR<br />

Daniela Drescher:<br />

Christrose<br />

Daniela Drescher:<br />

Winterhimmel<br />

Postkarten<br />

Stück 1,00 EUR<br />

Wilfried Strüning: Weihnacht im Wald E-M. Ott-Heidmann: Schneemann Milena Mandel:<br />

Weihnachtsbaum<br />

Absender:<br />

Name<br />

Straße<br />

PLZ, Ort<br />

Tel:<br />

Zahlungsweise:<br />

o gegen Rechnung innerhalb 8 Tagen<br />

o per Bankeinzug bis auf Widerruf<br />

IBAN _________________________________<br />

BIC __________________________________<br />

Bankname ____________________________<br />

Bitte freimachen<br />

An<br />

Vertrieb VorhAng Auf<br />

Kirchgartenstr. 1<br />

D-60439 frankfurt<br />

Alle Bestellungen<br />

auch per<br />

Telefon:<br />

069-5700 2886<br />

ODER:<br />

WWW.WALDOWVERLAG.DE


“Von Verlierung der Zeit”. (Phlegmatiker, über die Vergänglichkeit nachsinnend). Petrarcameister 16. Jh.<br />

Einen Augenblick bitte,<br />

liebe leserinnen und leser! nur eine kurze Frage: sind sie im Jetzt?<br />

<strong>Elternteil</strong> Heft 105 „Zeit“<br />

INHALT<br />

WAS DIE WELT IM INNERSTEN ZUSAMMENHÄLT<br />

gedanken und atomphysik<br />

Von cornelia haendler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2<br />

ES IST AN DER ZEIT...<br />

... zu sich selbst zu erwachen<br />

Von cornelia haendler und sWami aatma . . . . . . 3<br />

WIE WELT IN DER ZEIT ERSCHEINT<br />

interview mit hans-christian Zehnter<br />

ronald richters kult.kiste i ................10<br />

LUCIAS ABENTEUER IN DER ZEIT<br />

eine buchempfehlung<br />

ronald richters kult.kiste ii . . . . . . . . . . . . . . . . 13<br />

VORHANG AUF IN EIGENER SACHE<br />

Verlagsauffrischung und erlebniswoche<br />

Von eckehard WaldoW . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15<br />

RHYTHMUS IST LEBEN<br />

märchen selber schreiben iii<br />

Von sebastian Jüngel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16<br />

NICHT VERGESSEN! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18<br />

UNSERE WINTERBILDER . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19<br />

natürlich sind wir einerseits immer im Jetzt, weil es ja nichts gibt<br />

außer dem Jetzt, denn „gerade eben“ (als sie die überschrift lasen)<br />

ist schon vorbei und „gleich“ (wenn sie den nächsten satz lesen<br />

werden) ist noch nicht da. - aber sind wir auch im Jetzt wirklich<br />

anwesend? mit unserem Wesen an der gegenwart?<br />

meist schwirren wir gedanklich irgendwo herum, in einer erinnerung<br />

an die Vergangenheit oder einer sorge um die Zukunft.<br />

machen sie doch mal die Probe:<br />

nur diesen augenblick wahrnehmen. sich selbst beobachten,<br />

wie sie diese Worte lesen. sich bewusst sein, in welchem raum<br />

sie lesen. sich ganz auf diesen augenblick konzentrieren. aufwachen<br />

aus dem alltagsschlaf, aus den gedankenschleifen heraustreten.<br />

sein...<br />

ich erlebe dieses „einsteigen“ ins Jetzt wie ein zweites aufwachen<br />

am tag. es dauert oft nur einen augenblick, dann bin ich<br />

schon wieder im normenbewusstsein untergetaucht. aber dann<br />

schau ich mir dabei zu - und trete wieder hervor...<br />

und so weiter... immer wieder. manchmal liegt eine stunde dazwischen,<br />

manchmal mehrere tage. aber wer einmal begonnen<br />

hat, diese klarheit und diesen Frieden des Jetzt zu spüren, hört<br />

nicht mehr damit auf und erlebt sie immer öfter, immer länger.<br />

Jedes Jetzt-erleben ist mir ein sieg über die unbewusstheit. das<br />

Ziel ist die dauernde Verbindung mit dem wachen beobachter<br />

des seins - dem ich oder selbst.<br />

das Jetzt ist ohne ausdehnung. die<br />

unendliche Folge ausdehnungsloser<br />

Jetzte heißt „ewigkeit“. mit dem einstieg<br />

ins Jetzt verlassen wir die lineare<br />

Zeit und betreten die ewigkeit. da ist<br />

Friede auf erden.<br />

Herzlich - Ihr Eckehard Waldow


cornelia haendler<br />

Was die Welt im<br />

Innersten zusammenhält<br />

Woraus besteht die Welt? Was ist es,<br />

„was die Welt im innersten zusammenhält“?<br />

diese urfrage menschlicher Wissenschaft<br />

ist nicht neu. seit Jahrhunderten<br />

vollführt sie eine konzentrierte suchbewegung,<br />

um immer tiefer in das geheimnis<br />

der kleinsten bestandteile der<br />

materie, des unteilbaren (=atomos) einzudringen.<br />

Was ist materie? Wäre ein<br />

atom so groß wie ein Fußballstadion,<br />

sein atomkern hätte die größe eines<br />

reiskorns! Versetzen wir uns in die mitte<br />

unseres Fußballstadions, ein reiskorn<br />

auf der handfläche und den blick in die<br />

Weite der Zuschauerränge gerichtet, wo<br />

für unser auge nicht wahrnehmbar elektronen<br />

einen energieraum bilden. Wer<br />

sich mit dem unschuldigen blick des<br />

kindes diese situation vor augen führt,<br />

kann nicht anders, als zu sagen: atome<br />

bestehen fast - das reiskorn nicht außer<br />

acht lassend – atome bestehen fast nur<br />

aus leerem raum.<br />

Materie ist leerer R aum!<br />

materie ist leerer raum! Was ist es aber,<br />

was den leeren raum erfült? Was ist es,<br />

was der materie stabilität verleiht? hier<br />

rühren wir an eines der größten geheimnisse<br />

gegenwärtiger Forschung, für das<br />

die menschheit mehr und mehr zu erwachen<br />

beginnt. der in der tiefe der materie<br />

forschende blick wird notwendig in<br />

einer umwendenden blickbewegung auf<br />

den umgebenden leeren raum gelenkt,<br />

wo den zwischen den teilchen wirkenden<br />

kräfteverhältnissen erhöhte aufmerksamkeit<br />

zukommt. es ist der von<br />

Wolfgang schad postulierte „periphere<br />

blick“¹, der uns dazu auffordert, vom fokussierenden<br />

zu einem umräumlichen<br />

Wahrnehmen uns aufzuschwingen.<br />

Materie ist Energie in Bewegung!<br />

materie ist energie in bewegung! es war<br />

der schweizer atomphysiker dr. carlo<br />

rubbia, der 1984 mit dem nobelpreis<br />

ausgezeichnet wurde, da er auf der suche<br />

nach der sogenannten Weltformel<br />

entdeckte, dass das Verhältnis der materie<br />

zu der sie manifestierenden energie<br />

etwa eins zu einer milliarde beträgt. eine<br />

milliarde energieeinheiten werden benötigt,<br />

um eine materieeinheit zu manifestieren!<br />

in welcher Welt der energien<br />

leben wir, in der die materielle, sinnlich<br />

wahrnehmbare Form nur einen milliardstel<br />

bruchteil darstellt!?²<br />

Die Welt ist Schwingung!<br />

diese energien im umraum stellen sich<br />

immer als ganz bestimmte schwingungsmuster<br />

dar und jedes schwingungsmuster<br />

ist träger einer bestimmten<br />

information. in-Formieren, in-Formbringen,<br />

das ist der Prozess, der sich<br />

vollzieht, wenn z.b. aus flü sigen lösungen<br />

sich kristalle auskristallisieren oder<br />

wenn ein höheres lebensbildeprinzip<br />

Pflanzen in der ihnen eigenen Form in<br />

erscheinung bringt. materie ist Form gewordene<br />

information. auch wir menschen<br />

informieren das uns umgebende<br />

medium atmosphäre mit jedem gedanken,<br />

jedem gefühl, jeder bewegung,… .<br />

die aufsehenerregenden Forschungsergebnisse<br />

des japanischen Wissenschaftlers<br />

masaru emoto, dem es 1994 gelang,<br />

eiskristalle zu fotografieren³, veranschaulichten,<br />

wie verschieden Wasser<br />

auskristallisiert, wenn es einerseits mit<br />

dem empfindungsbetonten Wort „danke“,<br />

andererseits mit dem aburteilenden<br />

Wort „dumm kopf“, je zwei verschiedenen<br />

schwingungsmustern besprochen<br />

wurde.<br />

alles ist schwingung und schwingt nach<br />

dem ihm eigenen informationsmuster.<br />

die atome des stuhls, auf dem ich sitze,<br />

schwingen anders als die des Wassers,<br />

das ich trinke, jeder gedanke, jedes<br />

Wort, jeder ton, jedes gefühl schwingt<br />

anders… ja, jedes mantra hat andere<br />

schwingungsenergien.<br />

Ich bin Mitschöpfer<br />

in Gedanke und Empfindung<br />

Was albert einstein offenbar vor bereits<br />

100 Jahren deklarierte: „es sieht immer<br />

mehr so aus, als ob das ganze universum<br />

nichts anderes ist als ein einziger grandioser<br />

gedanke“, das fasst einer der bedeutendsten<br />

Quantenphysiker der gegenwart,<br />

anton Zeilinger 4 , in die Worte: „der<br />

urstoff des universums ist information“.<br />

man fühlt sich erinnert an jenen urgedanken:<br />

„im urbeginne war das Wort“.<br />

hier offenbart sich auch, welch enorme<br />

Verantwortung uns menschen als mitschöpfer<br />

der erscheinungswelt in gedanken,<br />

gefühlen und taten zukommt.<br />

Wie komplex und vielschichtig die verschiedenen<br />

schwingungsebenen auch<br />

sein mögen, für die Welt ist es nicht<br />

gleichgültig, was ich denke und was ich<br />

fühle. hier lässt sich die Welt aus den<br />

angeln heben, denn – wie rudolf steiner<br />

einmal formuliert: „der einzige ort<br />

im universum, den wir ändern können,<br />

das sind wir selber.“<br />

ob die bindungsenergien zwischen den<br />

menschlichen „atomkernen“, von ich<br />

zu ich die information „dummkopf“<br />

oder die information „danke“ tragen,<br />

hat prägenden charakter für unser aller<br />

Zukunft.<br />

Herzlich danken möchte ich dem Physiker<br />

Helmut Berning, der mich in die<br />

Welt der Quantenphysik eingeführt hat<br />

und dem ich viele wertvolle Informationen<br />

und Hinweise verdanke.<br />

1 Wolfgang schad: der periphere blick, Verlag Freies geistesleben,<br />

stuttgart, 2014<br />

2 dargestellt in: dr. med. barbara hendel, Peter Ferreira:<br />

Wasser & salz, ina Verlags ag baar, 2004<br />

3 masaru emoto: Wasserkristalle, koha-Verlag, 2010<br />

4 anton Zeilinger: einsteins schleier, die neue Welt der<br />

Quantenphysik, Verlag c.h. beck, münchen, 2003<br />

<strong>Vorhang</strong> auF • elternteil • heft 105 • Zeit<br />

3


„dummkoPF!“<br />

„danke!“<br />

cornelia haendler<br />

Es ist an der Zeit …<br />

… zu sich selbst zu erwachen!<br />

Swami Aatma,<br />

geb. 1985 bei Bangalore/Südindien,<br />

spirituelle Schulung durch seinen<br />

Vater Meister Baba Fakruddin. Mit<br />

13 Jahren weitere Unterweisungen<br />

im Himalaya durch Meister Swami<br />

Khedari Nath und weitere Lehrer<br />

(u.a. dem legendären Babaji). Mit 19<br />

Jahren Erleuchtung. Lehrtätigkeit als<br />

spiritueller Meister zunächst in Indien<br />

und seit 2008 auch in Europa.<br />

Einen ungewöhnlich lichten und warmen<br />

Sommer und Herbst beschert uns<br />

dieses Jahr 2015. – Und es beschert uns<br />

einen ungewöhnlichen Menschen. Indien<br />

ist das Land seiner Herkunft, jenes<br />

Indien, das von jeher die Geburtsstätte<br />

außerordentlicher Individualitäten abgab.<br />

Namhafte Meister waren seine Lehrer<br />

im Himalaya, jenem mächtigsten Gebirge<br />

der Erde, wo der Mensch sich in eine<br />

Höhe zu erheben vermag, die - jenseits<br />

des lärmenden Getriebes, jenseits<br />

der wogenden Welt der Leidenschaften<br />

und der nervösen Hektik – ewige Ruhe<br />

und ewigen Frieden verspricht.<br />

Wenn Friedrich rittelmeyer davon redet,<br />

dass es menschen gibt, „in deren<br />

umkreis wir wie in einer höheren luft<br />

atmen, in einem höheren licht erwachen“<br />

1 , so mag dies die Persönlichkeit<br />

dieses inders treffend charakterisieren.<br />

die spürbar herzlich entgegenkommende<br />

Wärme, mit der so unverhofft auf<br />

meine interview-anfrage erwidert wird,<br />

vermehrt sich, als ich dem menschen<br />

persönlich begegne. die treppe herab<br />

kommt eine hohe gestalt, in der sich jugendliche<br />

kraft mit einer ungewöhnlichen<br />

menschlichen reife verbindet. das<br />

ebenmäßig schöne gesicht mit den klaren<br />

Zügen wird umrahmt von dem<br />

kunstvoll zum turban geschlungenen<br />

farbigen tuch. dunkle sonnen sind seine<br />

augen, sonnen mit einem goldenen<br />

glanz, in deren Fokus ein kosmos sich<br />

spiegelt. das lange indische gewand<br />

vervollständigt das bild menschlicher<br />

Würde. der mann geht barfuß – an jedem<br />

ort und zu jeder Jahreszeit, wie ich<br />

später erfahre.<br />

<strong>Vorhang</strong> auF • elternteil • heft 105 • Zeit<br />

4


„You don´t see things as they are, you<br />

see them as you are.<br />

If you learn to see things as they are,<br />

you will see yourself as you are.”<br />

„om namah shivaya!“ grüßt der charismatische<br />

inder, der sich, gerade einmal<br />

30 Jahre alt, als swami aatma vorstellt.<br />

er wirkt königlich unnahbar und zugleich<br />

seltsam vertraut. die Vitalität, die<br />

von ihm ausgeht, erfüllt sofort den<br />

raum, in dem wir an einem kleinen<br />

tisch Platz nehmen.<br />

Was ich im Vorhinein erfahren konnte,<br />

dass ein in östlicher spiritualität zu einer<br />

meisterschaft gelangter lehrer unterwegs<br />

sei, der es zu einer vollkommenen<br />

beherrschung seiner eigenen körperlichkeit<br />

gebracht hat, der seinen alterungsprozess<br />

und seine körpertemperatur<br />

regulieren kann, der menschen in einer<br />

ihnen gemäßen Weise über Vergangenes<br />

und Zukünftiges aufklären und<br />

heilungsprozesse einleiten kann, lässt<br />

mich nicht gerade unbefangen sein.<br />

Vielleicht ist er gar nicht 30 Jahre alt, frage<br />

ich innerlich – und als könne der<br />

swami meine gedanken lesen, ist sein<br />

erstes, dass er mit seiner klangvollen,<br />

kräftigen stimme versichert, er sei ein<br />

völlig normaler mensch, wie jeder andere<br />

auch. er spricht in schönem, klaren<br />

englisch mit dem ureigenen akzent der<br />

inder und ergänzt: Jeder könne innere<br />

Fähigkeiten entwickeln, wenn er sich<br />

nur ernsthaft auf den inneren Weg begebe.<br />

stattdessen erzeugten wir menschen<br />

gedanklich Probleme, die einen solchen<br />

druck verursachten, dass zuletzt der<br />

körper erkrankt.<br />

die selbstverständlichkeit, mit der er wie<br />

ein uralter Freund ein vertrautes gespräch<br />

beginnt, lässt die befangenheit<br />

weichen. seine Worte sind schlicht, gerade<br />

und klar. der eindruck des unergründlichen<br />

nimmt jedoch zu, denn dieser<br />

mensch ist weitaus mehr als er vermittelt.<br />

im spiegel seiner erscheinung<br />

meint man zu gewahren, dass die eigene<br />

Persönlichkeit nicht auf den kleinen engen<br />

lebensumkreis beschränkt ist, sondern<br />

in ein viel höheres, helleres lebensreich<br />

reicht. eine helle Freude beseelt<br />

mich, diesem menschen begegnet zu<br />

sein und an ihn Fragen richten zu dürfen.<br />

Woher kommst du?<br />

Woher er komme, frage ich und muss<br />

meine gedanken konzentrieren, die sich<br />

ausdehnen möchten über sehr viel weitere,<br />

größere Zeiträume hinaus. doch je<br />

größer einer ist, desto bescheidener und<br />

unauffälliger gibt er sich. „ich komme<br />

aus bangalore, südindien“, lautet die<br />

schlichte antwort, mit der er meine ausschweifenden<br />

gedanken konzentriert.<br />

als mit abstand jüngstes von vier kindern<br />

sei er in einer ländlich abgelegenen<br />

gegend in der geborgenheit seiner Familie<br />

aufgewachsen. bereits sein Vater,<br />

baba Fakruddin, war ein spiritueller<br />

meister, der zuhause die menschen um<br />

sich scharte und sein Wissen, seine<br />

Weisheit und sein können weitergab.<br />

diese Zusammenkünfte, sogenannte<br />

satsangs, nahm schon der kleine Junge<br />

mit der selbstverständlichen unbefangenheit<br />

der unschuldig offenen seele<br />

auf. hier tummelte er sich meist, denn<br />

der altersunterschied zu den älteren<br />

brüdern war zu groß, als dass er das<br />

spiel mit ihnen der väterlichen nähe<br />

hätte vorziehen wollen. so nahm er von<br />

klein auf die Weisheitslehren seines Vaters<br />

auf, die die bewusstseinserweckung<br />

des eigenen selbst zum gegenstand hatten.<br />

dass der kleine noor, wie sein bürgerlicher<br />

name lautete, kein gewöhnlicher<br />

Junge war, zeigte sich bald. nicht nur,<br />

dass schon früh die Prophezeiungen um<br />

dieses kind reden machten, nicht nur,<br />

dass auch die eltern gewahrten, dass<br />

dieses kind nicht allein in der materiellen<br />

Welt seine aufgabe finden werde,<br />

auch sein zukünftiger meister aus dem<br />

himalaya erkannte die berufung dieses<br />

Jungen, als er ihn im alter von sieben<br />

Jahren das erste mal erblickte.<br />

Wie es ihm selber damit ergangen sei,<br />

frage ich. die Wärme, die in diesem gespräch<br />

von ihm ausgeht und mit innerer<br />

Freude erfüllt, ist nicht leicht in Worte<br />

zu fassen, denn die Fröhlichkeit, mit der<br />

er erwidert, zunächst habe ihn das gar<br />

nicht interessiert, diese Fröhlichkeit ergreift<br />

auch mich. er habe nicht gewusst,<br />

warum er diese spirituellen dinge lernen<br />

und meditationen erüben solle. er wollte<br />

wie die anderen kinder spielen und essen,<br />

was andere kinder essen. und dennoch<br />

– es war sein Weg, und immer<br />

mehr begann er, dieses spirituelle leben<br />

zu lieben. Wer sein karma lieben lernt,<br />

ist auf dem besten Weg der selbsterkenntnis.<br />

selbsterkenntnis und karmaerkenntnis<br />

ist immer zugleich erkenntnis<br />

der eigenen lebensaufgaben. in unserem<br />

schicksal begegnen wir unseren<br />

selbstgestellten aufgaben. es ist absolut<br />

selbstgewollt und selbstverursacht.<br />

Wohin gehst du?<br />

13 Jahre war der heranwachsende noor<br />

alt, als sein meister ihn das erste mal im<br />

Jahre 2000 in die gewaltigen massive<br />

des himalaya mit sich führte. hier wurde<br />

er unterwiesen auf einem Wege spiritueller<br />

schulung. in einer Zeit, in der andere<br />

kinder schreiben und rechnen lernten,<br />

lernte noor meditieren, 12, 14, 16<br />

stunden täglich. manchmal war es wie<br />

in einem gefängnis, erläutert er mit sonorer<br />

stimme, aber es war ein gefängnis,<br />

das er liebte. und die liebe und die<br />

Wärme, die aus seinen dunklen augen<br />

strahlt, lässt keinen Zweifel an der echtheit<br />

seiner Worte. aber er liebte auch<br />

die mutter und wollte nicht zu lange auf<br />

distanz leben. so kam er wechselweise<br />

zu seiner Familie im elterlichen heim,<br />

wo er vorübergehend auch die dorfschule<br />

besuchte, und zu seinen meistern<br />

<strong>Vorhang</strong> auF • elternteil • heft 105 • Zeit<br />

5


in den bergen. er lernte die ebenen<br />

wechseln und stand auf diesem Wege<br />

sechs bis sieben Jahre lang in enger<br />

Verbindung zu seinen hohen lehrern,<br />

darunter auch der sagenumwobene,<br />

legendäre babaji. Was swami erläutert,<br />

unterstreicht er mit gesten seiner ungewöhnlich<br />

großen und schönen hände<br />

mit eigener aura. hinter ihm flutet sonnenlicht<br />

durch die scheibe und taucht<br />

den redenden in helles licht.<br />

das jahrelange meditative arbeiten ließ<br />

die Persönlichkeit immer durchlässiger<br />

werden. aus einem tiefen innenraum<br />

stetigen übens erwuchsen die kräfte, die<br />

im wahrsten sinne des Wortes magisch<br />

genannt werden können. doch darüber<br />

verliert er selber kein Wort.<br />

seine hohen Fähigkeiten erwirbt der<br />

mensch nicht, um sich selbst als fähiger<br />

zu erweisen, sondern um sich umso<br />

mehr in den dienst seiner mitmenschen<br />

zu stellen. er verfügt über die angemessene<br />

demut, sich nicht zu besserem berufen<br />

zu fühlen, sondern den menschen<br />

wahrzunehmen, der seiner hilfe bedarf.<br />

der wahre meister stellt seine Fähigkeiten<br />

niemals zur schau. der wahre meister<br />

beansprucht niemals einer zu sein.<br />

der wahre meister ist ein meister der<br />

menschlichkeit. er repräsentiert durch<br />

sein seltenes menschentum, wonach andere<br />

suchen und ringen.<br />

es ist das Jahr 2006 und eine Zeit, in der<br />

viele menschen von der empfindung eines<br />

gewaltigen Zeitenumschwungs ergriffen<br />

werden, als die schulung des 19-<br />

jährigen noor nicht mit dem abitur,<br />

nein, mit seiner erleuchtung ihre kulmination<br />

erfährt. auch darüber redet er<br />

nicht, denn wer diesen Prozess durchlaufen<br />

hat, hat zu schweigen gelernt.<br />

durch ein jahrelang konzentriert gerichtetes<br />

denken und Fühlen hat er die vollkommene<br />

kontrolle über denken und<br />

Fühlen, sowie über körperliche befindlichkeiten<br />

erlangt. sein ich ist herrscher<br />

geworden über körper, seele und geist.<br />

Wie swami aatma Physisch-materielles<br />

beherrscht, kann der erleben, der ihm<br />

persönlich begegnet.<br />

Das Leben – ein Wunder<br />

der jugendliche noor war somit im alter<br />

von nur 19 Jahren gereift zu swami<br />

aatma. mit der erleuchtung hatte sein<br />

meister seine arbeit vollendet und ging<br />

vollbewusst und vorbereitet über die<br />

schwelle: er starb.<br />

swami aatma, der die völlige selbstbeherrschung<br />

errungen hatte und sich im<br />

Vollbesitz seiner kräfte und energien befand,<br />

entwickelte nun den Wunsch, die<br />

erde zu bereisen, um sein Wissen und seine<br />

Fähigkeiten anzuwenden. so sprach er<br />

mit seinen eltern. Wie im rahmen einer<br />

Familie füreinander sorge getragen werde,<br />

dieses Verständnis sei in indien ein<br />

ganz anderes als bei uns, erklärt der swami<br />

mir. Wenn in indien kinder größer<br />

werden, übernehmen sie die sorge für die<br />

eltern. in deutschland hingegen verlassen<br />

die kinder ihre eltern, um ihr individuelles<br />

leben zu leben und die eltern gehen<br />

in altersheime. das sei völlig entgegen<br />

seiner kultur und gesinnung.<br />

als der Vater ihm mitteilte, dass die situation<br />

finanziell so nicht stimme, erwiderte<br />

er: gut, er werde hart arbeiten und seine<br />

Verantwortung tragen. also arbeitete er<br />

rund zwei Jahre lang sehr hart als taxifahrer<br />

und erwarb sich dadurch die möglichkeit,<br />

ein kleines geschäft für die reparatur<br />

elektronischer geräte zu eröffnen.<br />

nach 18 monaten suchte ihn ein<br />

großer bauunternehmer auf, der an eben<br />

jener stelle seines ladens ein großes bauvorhaben,<br />

ein shoppinghotel verwirklichen<br />

wollte und ihm eine geldsumme<br />

bot. nein, erwiderte swami, dieses geschäft<br />

sei wichtig für ihn, er könne es<br />

nicht abgeben. da bot der bauherr die<br />

zweifache und dreifache und als swami<br />

immer noch ablehnte, die fünffache summe.<br />

er wollte partout in den besitz dieses<br />

ladens gelangen, der sich an genau jener<br />

stelle befand, wo der große haupteingang<br />

des hotels liegen sollte. ohne den<br />

laden wäre das gewaltige bauvorhaben<br />

nicht zu verwirklichen gewesen. Was er<br />

denn verlange, wollte der baulöwe wissen<br />

und swami entgegnete, er wolle kein<br />

geld. stattdessen begann er ihm seine<br />

spirituelle sicht darzulegen, seine Vision<br />

und die situation seiner eltern. daraufhin<br />

erwiderte der bauherr, gut, er wolle zahlen,<br />

was die eltern benötigten und er,<br />

swami könne gehen, wohin er wolle -<br />

wenn er nur gehe. so erfüllte jeder des<br />

anderen Wünsche. es wurde möglich,<br />

den eltern ein haus zu erwerben und sie<br />

mit kapital zu versorgen.<br />

<strong>Vorhang</strong> auF • elternteil • heft 105 • Zeit<br />

6<br />

der Weg war geebnet. alles vollzog sich<br />

in seinem leben wie ein Wunder für ihn,<br />

erläutert der swami. er sei nicht wirklich<br />

ein guter geschäftsmann. aber was man<br />

aus tiefstem herzen wirklich will, mit innerer<br />

kraft und allem ernst, das komme<br />

auch – davon ist er überzeugt – zu den<br />

eigenen Füßen. es sei eine Frage des<br />

selbstlosen Willens.<br />

Das sich selbst<br />

zum Leuchten bringende Ich<br />

Welche selbstbeherrschung und charakterstärke<br />

diesen erleuchteten leiten,<br />

wird jeder gewahren können. Wer die<br />

meisterschaft über die materie gewonnen<br />

hat, muss jede spur von egoismus<br />

überwunden haben, muss gelernt haben,<br />

die konzentration zu einem brennglas<br />

selbstloser liebe und erkenntniskraft<br />

werden zu lassen. seine mission ist,<br />

bewusstsein zu wecken, klärungs- und<br />

reinigungsprozesse in gang zu bringen,<br />

Wachstum einzuleiten und heilung zu<br />

bewirken auf allen ebenen. aber wie ein<br />

katalysator in der chemie Prozesse in<br />

gang bringt und beschleunigt, ohne sich<br />

selber in Verbindung zu bringen, so<br />

bringt auch der meister in gang, was<br />

letztendlich nur aus der eigenen inneren<br />

substanz, aus dem eigenen ich gewonnen<br />

werden kann. Wer agiert, das ist das<br />

innere menschliche ich, das die eigene<br />

substanz ergreift, jenes stumpfe erz, das<br />

durch die arbeit am eigenen selbst immer<br />

leuchtender und kristalliner zur erscheinung<br />

kommt. Wie gewöhnlich sind<br />

die substanzen, sand, kalk und soda,<br />

aus welchen man durchsichtiges glas<br />

gewinnt. tatsächlich ist glas kein chemischer<br />

stoff, sondern ein energetischer


Zustand, der durch Zufuhr einer extrem hohen energie<br />

erreicht wird. auf dem schulungsweg kann nur ein jahrelanges<br />

stetiges üben die brennkraft entfachen, die die<br />

Voraussetzung ist für die Verwandlung der inneren substanz.<br />

Päckchen<br />

Märchenlotto | Erzählspiel:<br />

Koko und Dreinusshoch<br />

ist<br />

die<br />

Geschichte<br />

einer<br />

ungewöhnlichen<br />

Freundschaft<br />

zwischen einem Zwerg und<br />

einem Marienkäfer.<br />

DIN A5 Büchlein<br />

15 x Karten<br />

Erhältlich bei www.ml-viriot.de<br />

Frühling 2016<br />

VORHANG AUF - HEFT 106<br />

BÄUME<br />

Eiche, Birke, Esche, Tanne,<br />

Ahorn, Kirsche, Bonsai...<br />

Spagettibaum, Stammbaum,<br />

Schlagbaum, Purzelbaum...<br />

Baumhäuser, Baumtiere,<br />

Wald, Baumbewohner,<br />

Baumhoroskop, Baumbaum...<br />

Was ist deine Sendung?<br />

swami aatma begann zu reisen. die englische sprache<br />

erwarb er sich autodidaktisch durch sein interesse an anderen<br />

menschen, durch stetigen austausch und konversation.<br />

nach europa kam er das erste mal 2008.<br />

ich frage ihn, wie er die menschen in deutschland erlebe.<br />

„Verschlossen“, antwortet swami, „im geist sind die<br />

menschen oftmals sehr rege, im herzen aber vielfach<br />

verschlossen. sie nehmen sich nicht die Zeit für sich<br />

selbst. Viele menschen zieht es hierher in die ländlich-ruhigere<br />

bodensee-gegend, wo sie sich sagen: hier habe<br />

ich mein heim, mein geld, hier bin ich sicher. aber ich<br />

frage: Wo ist dein innerer raum, dein innerer reichtum,<br />

deine innere sicherheit? es gibt in Wahrheit keine äußere,<br />

es gibt nur eine innere sicherheit, einen inneren<br />

reichtum. es geht darum, innerlich ruhig zu werden und<br />

die nervosität abzulegen, sich selbst wirklich wahrzunehmen<br />

- sich selbst zu erkennen. die menschen schauen<br />

von klein auf mit ihren vorgefertigten meinungen hinaus<br />

in die Welt. ich zeige hingegen gerne, wie man nach<br />

innen schaut. ich unterrichte, wie gedanken kontrolliert<br />

werden können. und manche Fragen lassen sich nicht<br />

mit dem Verstand, sondern nur mit dem herzen beantworten.<br />

Viele emotionale muster sitzen sehr tief in den<br />

menschen: lust, ärger, stolz, eifersucht, missgunst,<br />

Wut,… . sie tauchen blitzschnell als automatismus auf –<br />

ohne die innere bewusste erlaubnis. sie zeigen ihre Wirkung<br />

im gesicht, im körper, im ganzen menschen und<br />

werden schließlich zur erkrankung im physischen leib.<br />

Wie schnell macht sich ärger auf dem schauplatz des bewusstseins<br />

ohne meine innere Führung breit. Wenn ich<br />

aber keine kontrolle gewinne, dann gewinnt er über meinen<br />

körper kontrolle. das leben in resonanz erzeugt die<br />

gemäße äußere Wirklichkeit: Solange ich mich noch ärgere,<br />

begegnen mir Menschen, die mich ärgern. Ich sage:<br />

Lebe in Kontrolle deiner Gedanken und Gefühle! Jeder ist<br />

sein eigener Erzieher!“<br />

da der gedanken- und gefühlskontrolle auch auf dem<br />

anthroposophischen schulungsweg ein großes gewicht<br />

zukommt, frage ich den swami, was er von rudolf steiner<br />

und der anthroposophie hält. „rudolf steiner ist eine<br />

überaus große seele“, erwidert er, „und an der anthroposophie<br />

gibt es überhaupt nichts auszusetzen“. und er<br />

wiederholt: „rudolf steiner is a special and a very good<br />

person!“ die überströmende kraft, die seinen Worten<br />

nachdruck verleiht, lässt uns für momente verstummen.<br />

als ich den swami nach seinem hauptanliegen frage, erwidert<br />

er: „ich möchte ein bewusstsein von spiritualität<br />

schaffen. spiritualität aber bedeutet bewusstwerdung! es<br />

ist an der Zeit, in der die menschen zu ihrer Freiheit und<br />

<strong>Vorhang</strong> auF • elternteil • heft 105 • Zeit<br />

7


unabhängigkeit, zu ihrer eigentlichen<br />

sendung erwachen können. es gibt heute<br />

unglaublich viele auffassungen von<br />

spiritualität. sie beziehen sich auf religion,<br />

Yoga, Pilgerschaften, kultische Zeremonien<br />

in gemeinschaften, usw. aber<br />

es ist wichtig zu wissen, dass die spiritualität<br />

(spirit, lat. = geist) alles durchzieht.<br />

die natur ist spirituell, in liebe<br />

verbunden zu sein, ist spirituell – nichts<br />

in dieser Welt, dem nicht ein geistiges<br />

zugrunde liegt. Zu dieser geistigkeit zu<br />

erwachen, dazu ist es heute an der Zeit -<br />

und diese Zeit ist kostbar“.<br />

„ich sage: nutze die Zeit! Wenn du geld<br />

verlierst, kannst du es wiedergewinnen,<br />

aber die Zeit, die du verlierst, ist nicht<br />

wiederzugewinnen. Was ein kind in einer<br />

bestimmten altersphase nicht gelernt<br />

hat, lernt es später nur schwer.<br />

Zeitverschwendung ist Lebensverschwendung.<br />

ich sage jedem: Verschwende<br />

keine Zeit! übe, gib deinem<br />

leben sinn, werde wesentlich, lebe präsent!<br />

dann gehst du auch erfüllt und<br />

glücklich zu bett und erlebst den nächsten<br />

tag als einen gesegneten, der dir<br />

wieder 24 stunden schenkt. Jeder<br />

mensch erhält täglich 24 stunden Zeit<br />

geschenkt, nicht mehr und nicht weniger.<br />

bei vielen menschen ist der körper<br />

gegenwärtig, aber die gedanken sind<br />

abwesend, sie leben einen 24-stündigen<br />

automatismus, werden wie roboter…<br />

aber ein roboter kann niemals zur<br />

selbsterkenntnis gelangen. hier innezuhalten,<br />

sich auf den wahren sinn des lebens<br />

zu besinnen, dazu rufe ich auf. ändere<br />

deinen sinn! renne nicht durch die<br />

Zeit, um ein äußeres Vermögen zu machen.<br />

besinne dich auf dein inneres<br />

Vermögen! die Zeit wartet nicht auf<br />

dich. und eines der größten lebensgeheimnisse<br />

lautet: Verlasse die Zeit! in einem<br />

reißenden Fluss kann man nicht<br />

schwimmen lernen. halte inne! der einwand,<br />

dass die äußeren lebensumstände<br />

den menschen bestimmen, kann hier<br />

nicht geltend gemacht werden, denn jeder<br />

lebensumstand ist vollständig vom<br />

menschen selber kreiert. und jeder lebensumstand<br />

kann jederzeit auch verwandelt<br />

werden. alles ist selbstgemacht<br />

– wenn nicht in diesem, dann in vergangenen<br />

leben. nichts kommt von ungefähr,<br />

selbst dieses interview nicht. die<br />

energien schwingen immer zurück -<br />

auch in dieser begegnung. Wir sind uns<br />

bereits begegnet, wir begegnen uns heute<br />

und wir werden uns wieder begegnen.<br />

aber wie auch immer begegnungen verlaufen<br />

– eines ist entscheidend: dass es<br />

in guter absicht geschieht - das ist das<br />

Wesentliche!“<br />

Der beste Weg ist der Schulungsweg<br />

um auch einen blick auf das gegenwärtige<br />

Zeitgeschehen zu werfen, frage ich<br />

swami, wie er die situation der zunehmenden<br />

Flüchtlingsströme sieht. er erklärt,<br />

wie die hauptagitatoren ihren egoismus<br />

in einem machtspiel ausspielen,<br />

das von großem übel für die Zukunft ist.<br />

„die Zerstörung der erde erfolgt nicht<br />

durch Vulkanausbrüche, Wirbelstürme<br />

oder tsunamis, sondern im gegenüber<br />

von mensch zu mensch. es können sich<br />

heute entsetzliche abgründe in der<br />

menschlichen seele auftun und die gefahr<br />

ist nicht fern. Wir leben in einer sehr<br />

gefährdeten situation, wenn wir nicht<br />

aufwachen und uns unserer spiritualität<br />

bewusst werden. hier gilt es auch, zum<br />

herzen zu finden, denn ein scharfsinniger<br />

intellekt, der dem egoismus dient,<br />

kann unglaubliches unheil anrichten.<br />

hinter den kulissen sind drahtzieher am<br />

Werk, die unendliches leid erzeugen.<br />

aber der egoismus der machthaber findet<br />

seine resonanz auch in den Flüchtlingen,<br />

die nicht für ihr eigenes land, für<br />

eine bessere gesellschaft bleiben und<br />

eintreten wollen, sondern in einem anderen<br />

land ein besseres leben und mehr<br />

Wohlstand für sich selber erhoffen. es ist<br />

kein hohes bewusstsein, das sich sagt:<br />

ach, in deutschland kann ich viel geld<br />

machen. es ist sogar töricht zu denken:<br />

hier bin ich reich. die tomaten, die in<br />

meinem land 10 cent kosten, kosten<br />

hier 1,50 euro. es ist immer einfach, den<br />

schnellen Weg einzuschlagen und<br />

schwierig, den guten, langsamen Weg zu<br />

erklimmen. gift wirkt im körper immer<br />

sehr schnell, die medizin wirkt nur langsam.<br />

schlechte gewohnheiten stellen<br />

sich rasch und von selber ein, gute gewohnheiten<br />

sind schwer zu erringen.“<br />

als ich swami frage, ob man dem nicht<br />

auch Positives abgewinnen könne, dass<br />

grenzen sich öffnen, erwidert er: „natürlich,<br />

alles hat seine guten seiten. aber<br />

die menschen sollten in einer richtigen<br />

Weise, auf richtigen Wegen zu uns gelangen.<br />

es gibt immer für alles eine lösung,<br />

einen Weg. der beste Weg ist der<br />

schulungsweg, der den menschen offenbart,<br />

wie sie zu einem bewussteren leben<br />

gelangen!“<br />

Appell an die Eltern<br />

da mich in unserem themenzusammenhang<br />

besonders die Fragen der eltern<br />

angehen, bitte ich swami seine botschaft<br />

an die eltern von kindern zu formulieren.<br />

Wie alle mitteilungen, die<br />

swami macht, ist auch die an die eltern<br />

kräftig und schlicht:<br />

„Wenn eltern ein kind bekommen, verändern<br />

sich die energien und Verantwortlichkeiten<br />

vollkommen. Vater und<br />

mutter sind von nun an vollständig für<br />

eine andere seele mitverantwortlich.<br />

diese Verantwortlichkeiten kann man<br />

auch nicht teilen. schon die werdende<br />

mutter benötigt die Verbindung zum<br />

ehemann, seinen schutz. dieser schutz<br />

besteht, wenn alle in Verbindung stehen.<br />

es genügt nicht, wenn der mann<br />

meint, die mutter sorge bereits und er<br />

gebe den finanziellen halt – der mann<br />

muss auch seine energien geben.<br />

eltern müssen begreifen, dass sie mit einem<br />

kind nicht in trennung gehen dürfen.<br />

eltern können als ehefrau und ehemann<br />

getrennt werden, aber niemals als<br />

mutter und Vater. Fehlt ein elternteil,<br />

geht es den kindern nicht gut. dann verändern<br />

sich die energetischen Verhältnisse<br />

im kind auf ganz ungesunde Weise.<br />

Wenn mutter und Vater nicht in liebe<br />

ihre kinder gemeinsam betreuen,<br />

<strong>Vorhang</strong> auF • elternteil • heft 105 • Zeit<br />

8


sind die schwierigkeiten vorprogrammiert.<br />

das ist auch der grund, warum<br />

kinder heute so verdreht sind. sie haben<br />

nicht die klarheit in ihrem leben und<br />

leiden unter geistigen und seelischen<br />

mankos. Wenn sie größer werden, machen<br />

sie die falschen schritte, suchen<br />

die falschen menschen, können gefühle<br />

nicht genießen und das leben wird<br />

schwierig. beide eltern sind voll verantwortlich<br />

und diese Verantwortlichkeit<br />

wiegt schwer. die mutter lebt mehr vor,<br />

wie wir zu liebenden menschen werden,<br />

der Vater mehr, wie wir Verantwortung<br />

in der äußeren Welt übernehmen.<br />

diese Qualitäten müssen ausbalanciert<br />

werden. kommst du von deiner beruflichen<br />

tätigkeit nach hause, so lass alles<br />

diesbezügliche an der haustüre zurück<br />

und sei eine gute mutter oder ein guter<br />

Vater. sprich und betätige dich mit den<br />

kindern – nicht mit handys, Fernseher,<br />

kino – sondern im direkten gegenüber.<br />

Frage die kinder nach ihrem befinden,<br />

fühle mit ihnen, verleihe sicherheit in<br />

herzensfragen, vermittle wahre Werte<br />

und sei darin in allem ein Vorbild!<br />

Wenn du deine eigenen Probleme löst,<br />

werden kinder lernen, schwierigkeiten<br />

gewachsen zu sein.<br />

streite niemals in gegenwart von kindern<br />

– das ist gegenwärtig das größte<br />

Problem, das sich mir zeigt! die eltern<br />

sind die gestalter der Zukunft ihrer kinder,<br />

streit und Zank im beisein der kinder<br />

muss zur unmöglichkeit werden.<br />

rede stattdessen mit deinen kindern,<br />

wie sie sich fühlen, warum sie sich so<br />

fühlen und wie sie sich ihre Zukunft erträumen.<br />

die herzensverbindung ist<br />

wichtig. und niemals verwöhne kinder<br />

mit teuren dingen und wertvollen geschenken.<br />

schenke vielmehr Zeit, liebe<br />

und Weisheit. schenke ein inneres, kein<br />

äußeres Vermögen!<br />

Wenn das kind sich zutiefst getragen<br />

und verstanden fühlt, wächst eine starke,<br />

gesunde seele heran. erziehe so, dass<br />

ein starkes ich sich entwickelt. und verliere<br />

dein kind nie aus den augen, wisse,<br />

wo es sich aufhält, mit wem es<br />

spricht und wohin es strebt! das ist deine<br />

elterliche Verantwortung!“<br />

Während der swami mit einem unnachahmlichen<br />

ausdruck innerer kraft seine<br />

Worte gerade heraus und unmissverständlich<br />

wählt, wirkt er selbst wie ein<br />

mächtiger Vater: kraftvoll, gütig und voller<br />

liebe. sicher, er selbst werde auch<br />

seine eigene Familie einst gründen, erzählt<br />

er freimütig mit hellem blick. dass<br />

seine Projekte mit Waisenkindern in indien<br />

ihn auch in weiterem sinne einen<br />

Vater sein lassen, ist unbestritten.<br />

eine solche kraft geht von ihm aus, dass<br />

der eindruck des unergründlichen sich<br />

stetig steigert. immer neue Fragen entstehen<br />

in mir und insgeheim tut es mir leid,<br />

diesen menschen nicht einfach nach<br />

hause einladen zu können, denn wer<br />

wollte einen „dalai lama“ beispielsweise<br />

zu sich an den küchentisch bitten…?<br />

„Jetzt notierst du dir deine Fragen in<br />

ruhe, und ich suche dich nochmals zuhause<br />

auf“, sind die abschließenden<br />

Worte, die mir zuletzt wirklich die sprache<br />

verschlagen.<br />

<strong>Vorhang</strong> auF • elternteil • heft 105 • Zeit<br />

9<br />

Spirituelle Zusammenkünfte = Satsangs<br />

um den inder auch im kreis der ihn aufsuchenden<br />

menschen wahrnehmen zu<br />

können, besuche ich die sogenannten<br />

satsangs, im rahmen derer swami Fragen<br />

beantwortet und seine spirituelle<br />

lehre vermittelt. auf dem Weg durch die<br />

abendsonne zu jenem privaten Quartier<br />

des meisters, beginnt es zu regnen. der<br />

in Folge sich wölbende regenbogen<br />

leuchtet so farbintensiv, dass die natur<br />

bereits auf geheimnisvolle Weise einzustimmen<br />

beginnt. noch ist wenig bekannt,<br />

dass ein indischer meister im lande<br />

weilt. doch die nachricht verbreitet<br />

sich schnell. am ersten abend versammeln<br />

sich sieben, am dritten abend<br />

zwölf und nach ablauf der Woche bereits<br />

fast vierzig Personen - im alter zwischen<br />

5 monaten und 80 Jahren. das<br />

weinerlich werdende kleine kind wird<br />

augenblicklich ruhig, als swami dieses<br />

zu sich nimmt. es ist ein bild für götter,<br />

den Vitalität ausstrahlenden inder mit<br />

dem kleinen kind auf dem schoß, in das<br />

augenblicklicher Friede einkehrt. ich<br />

entsinne mich, wie unsere beiden kleinen,<br />

unbändigen, völlig ungezügelten<br />

terrier auf den besuch swamis reagierten.<br />

niemals haben unsere hunde solchen<br />

anstand bewiesen, die sonst jeden<br />

besucher anspringen. dass sie einen<br />

großen bogen um swami drehten, als sei<br />

seine aura nicht zu durchdringen, war<br />

schon höchst ungewöhnlich. dass aber<br />

beide wie höchste achtung erweisend<br />

vor ihm zu boden gingen, die köpfchen<br />

zu ihm hochgewandt und wild<br />

schwanz wedelnd gebannt so verharrend,<br />

solange swami ihnen aufmerksamkeit<br />

schenkte – das war wie ein ausschnitt<br />

aus einem Franz von assisi-Film.<br />

es hat sich aber tatsächlich genauso ereignet.<br />

„irgendwelche Fragen?“ fragt der inder,<br />

dessen feine gestalt und aufrichtige<br />

Freundlichkeit allen gegenüber, die in<br />

seinen umkreis treten, die menschen<br />

auf eigentümliche Weise berührt. antworten<br />

erteilt er nur, wenn man ihn<br />

fragt. den freien Willen zu respektieren,<br />

hat höchste Priorität. und der meister erzählt<br />

nichts, was der Fragende nicht<br />

auch aufzunehmen und zu tragen bereit<br />

wäre. Fragen sind seine nahrung, erklärt<br />

er den hörern. und jeder gewahrt, wie<br />

selbstvergessen ein mensch sich zu geben<br />

imstande ist, der wenig mehr als<br />

Fragen zu sich nimmt und des Weiteren<br />

nur einer schlichten schlafstatt bedarf,<br />

wo auch immer er in erscheinung tritt.<br />

Wer sein inneres kraftwerk entzündet,<br />

für den ist es gleichgültig, an welchem<br />

ort er sein Wirken entfaltet. auch an der<br />

unscheinbarsten stelle vermag er in umfassend<br />

menschheitlichem sinne zu wirken.<br />

er ist unabhängig von heim, einkommen<br />

und persönlichem besitz und<br />

persönlich weder verletzbar, noch bestechlich<br />

oder verführbar. sein Wirken<br />

ist überpersönlich und seine strahlkraft<br />

schützt ihn auf allen ebenen – auch vor<br />

schädlichen einflüssen der atmosphäre<br />

oder der nahrung. die Willenskraft, die<br />

aus der überwindung der leidenschaf-


ten resultiert, die liebesfähigkeit, die im<br />

mitfühlen mit jedem ansuchenden einen<br />

je individuellen ausdruck findet<br />

und die schlichtheit und reinheit der<br />

gedanken führen vor augen, wohin ein<br />

mensch sich zu entwickeln imstande ist.<br />

Erkenne dich selbst!<br />

„erkenne dich selbst!“ lautet sein ruf. erwache<br />

zu dir selbst, erkenne, wer du<br />

wirklich bist – und das ist mehr als deine<br />

derzeitige Persönlichkeit, mehr als der<br />

winzige ausschnitt gegenwärtigen erlebens.<br />

Welche persönlichen Fragen auch<br />

gestellt werden, an jeden ergeht der appell,<br />

durch sich selbst Verwandlung herbeizuführen<br />

und den schlüssel des lebens<br />

zu ergreifen. die antwort auf<br />

schwierige schicksalsfragen ist übung,<br />

ist leben in einfachheit, schlichtheit, ist<br />

spirituelle Praxis aus Freiheit.<br />

die ganz persönlichen antworten sind<br />

dem geschützten raum vorbehalten,<br />

denn swami liest in den menschen wie<br />

in offenen büchern. Viele menschen<br />

kommen mit beziehungsproblemen, mit<br />

energieproblemen – auch krankheit ist<br />

ein mangel an energie -, die auf karmischen<br />

tatsachen beruhen. hier hilft er,<br />

die Probleme in Freiheit und unabhängigkeit<br />

selber angehen zu können. den<br />

idealen Partner kann man ebenso wenig<br />

erwarten wie man seine erleuchtung erwarten<br />

kann. man muss seine inneren<br />

kräfte entfachen, ein bewusstsein der eigenen<br />

energien entwickeln und die<br />

selbstkontrolle beherrschen, so dass<br />

lust, ärger, habsucht, neid, stolz und<br />

andere abhängigkeiten unmöglichkeit<br />

werden. Wer hoch schwingt, zieht hoch<br />

schwingende ereignisse an. einen idealen<br />

Partner kann man nicht passiv erwarten,<br />

ein idealer Partner kann man nur<br />

werden. Wir können heute nicht passiv<br />

erwarten, was von den himmeln herunterkommt,<br />

wir müssen unseren eigenen,<br />

inneren himmel erschaffen, ein kraftwerk<br />

an leben, licht und liebe in uns<br />

selber entfachen.<br />

Welche kraft darin liegt, allen menschen<br />

in guter absicht, interessiert und<br />

in positiver haltung, sprich lächelnd<br />

entgegenzutreten, nicht naiv – sondern<br />

wachbewusst und authentisch, das machen<br />

sich viele nicht wirklich bewusst,<br />

die mit dem scharfschneidenden<br />

schwert eines scharfsinnig geschmiedeten<br />

intellekts über andere ein vernichtendes<br />

urteil fällen. das richten in die<br />

lenkung des schicksals zu legen und die<br />

urteilsschärfe auf die eigene Wandlung<br />

zu richten, hieße am aufbau und nicht<br />

an der Vernichtung mitzuwirken.<br />

Viele Fragen entstehen zu bestimmten<br />

individuellen krankheitssituationen und<br />

jedem ratsuchenden vermittelt der inder<br />

das gefühl, für ihn ganz alleine präsent<br />

zu sein. er sieht, wie bei jedem konkret<br />

die Vitalkräfte ins gleichgewicht gebracht<br />

werden können durch spezielle,<br />

individuell verabreichte meditative Praxis,<br />

durch individualisiert angeschaute<br />

kontrolle der gefühle und gedanken<br />

und durch ratgebende Vorschläge zu ernährung<br />

und leben. als heiler greift er<br />

selber nur in jenen Fällen ein, in denen<br />

der Fragende selbst die kraft aufzubringen<br />

nicht imstande ist, vorausgesetzt,<br />

das karma lässt heilung zu. er verlangt<br />

nichts für seine dienste am menschen.<br />

die dankbarkeit und den Wunsch, etwas<br />

zurückzutragen, entwickelt der<br />

mensch auf je eigene, originäre Weise.<br />

Der Geistesmensch = Atma<br />

Wie müde, erschöpft und gestresst auch<br />

immer die menschen sich einfinden an<br />

diesem abend, die kraft, die Freude und<br />

harmonie, die der heilige mann verbreitet,<br />

ergreift jeden eigentümlich und<br />

stark, und sein humor tut sein übriges.<br />

eine teilnehmerin klagt, nachts nicht gut<br />

in den schlaf zu finden. „Wenn sie eine<br />

Frau sind und nicht schlafen können, so<br />

halten sie den mann zunächst auf abstand“,<br />

lautet die erheiternde antwort.<br />

„Wenn sie ein mann sind, und nicht<br />

schlafen können, so nehmen sie die Frau<br />

in die arme. befindet der mann sich<br />

wirklich im Frieden, so kommt er auch<br />

nicht auf falsche ideen.“ die tatsache,<br />

dass ja dann beide nicht schlaf finden<br />

können, lässt auch den letzten in lachen<br />

ausbrechen.<br />

Was swami jedoch tief in das reich<br />

energetischer Verhältnisse eintauchend<br />

erläutert, sind diffizilere kräfteverhältnisse,<br />

die im energetischen organismus<br />

des menschen urständen. er spricht über<br />

die chakren und energiekanäle, die sogenannten<br />

nadis, welche die chakren<br />

verbinden. nicht von ungefähr lautet der<br />

<strong>Vorhang</strong> auF • elternteil • heft 105 • Zeit<br />

10<br />

name des swami aatma. atma heißt<br />

auch der geistesmensch, der in den<br />

Vollbesitz seiner menschlichen energien<br />

gelangt ist und physiologische Prozesse<br />

unter kontrolle hat und zu regulieren<br />

vermag. atma ist jedoch zugleich auch<br />

der atem. mithilfe eines geregelten atmens<br />

in der meditation baut der mensch<br />

an seinem geistigen leib. die energie,<br />

die aus dem hauptkanal (=sushumna)<br />

entlang der inneren Wirbelsäule fließt,<br />

durch die chakren reflektiert wird und<br />

über den körper hinausstrahlt, bildet die<br />

menschliche aura.<br />

die menschliche aura lesen zu können,<br />

sei keine übermenschliche kraft, erläutert<br />

er. Wer zu den energien tieferen Zugang<br />

habe, könne über Persönlichkeit,<br />

charakter und entwicklungsmöglichkeiten<br />

ganz offen sprechen – wie ein arzt,<br />

nur eben auf energetischer ebene.<br />

Was des inders eigene aura, die achtungsatmosphäre<br />

so mächtig erscheinen<br />

lässt, ist seine eigene achtung menschlicher<br />

Würde, auch vor dem geringen,<br />

noch unvollkommenen und ungeläuterten.<br />

stets hat er die selbsterkenntnis<br />

und selbsterziehung im auge und dabei<br />

eine spürbar gewaltige toleranz, den<br />

mitmenschen ihre unzulänglichkeiten<br />

zuzugestehen, während er den Willen<br />

zu ihrer selbstverwandlung durch seine<br />

Worte und durch sein sosein so stärkt,<br />

dass jeder sich zutiefst verstanden und<br />

gekräftigt fühlt.<br />

göttlich mag man den menschen nennen,<br />

der durch seine große anteilnahme,<br />

seine überströmende herzlichkeit<br />

und Friedfertigkeit den höheren menschen<br />

im gegenüber berührt – und göttlich<br />

mag man den tag nennen, der einem<br />

einen solchen menschen zum geschenk<br />

macht.<br />

swami atma, cornelia haendler<br />

1 rittelmeyer: „meditation“, urachhaus , 1989<br />

Fotos: thiele Wüster


Wie Welt in der Zeit zur erscheinung kommt<br />

Kult.Kiste I: Interview mit Hans-Christian Zehnter<br />

Die<br />

KULT.KISTE<br />

Kultur für Klein und Groß<br />

Hans-Christian Zehnter, geboren 1963<br />

in Bochum, Diplom-Biologe; von 1993<br />

bis 2000 Naturwissenschaftliches Studienjahr<br />

und wissenschaftlicher Mitarbeiter<br />

an der Naturwissenschaftlichen<br />

Sektion am Goetheanum in Dornach,<br />

Schweiz. 2005 bis 2010 Redakteur bei<br />

der Wochenschrift ‹Das Goetheanum›.<br />

Vor 2005 und seit 2010 Mitarbeit im<br />

Tagungsorganisations- und Empfangsbereich<br />

des Goetheanum. Vorträge,<br />

Seminare und Kurse mit dem Schwerpunkt<br />

anthroposophischer Naturanschauung,<br />

zahlreiche Artikel sowie<br />

Buchpublikationen.<br />

Webseite: sehenundschauen.ch<br />

Hans-Christian Zehnter, Sie erforschen,<br />

wie es Tag wird. Was passiert da?<br />

ich beobachte, wie Welt zur erscheinung<br />

kommt. dazu gehe ich gern mit einer<br />

gruppe immer wieder verschiedener menschen<br />

noch im nachtdunkel nach draußen<br />

und beobachte an einem ort über zirka<br />

zwei stunden, wie sich die sinnliche darstellung<br />

aus der nacht in den tag hinein<br />

verwandelt. dies im einzelnen und in seiner<br />

Phänomenfülle zu beschreiben, wäre<br />

ein eigenes Publikationsprojekt wert. ich<br />

will hier nur kurz ein paar wichtige etappen<br />

andeuten. in der nacht schauen wir gerne<br />

an den sternenhimmel, zum kosmos empor.<br />

hier fühlen wir uns beheimatet. „kosmos“<br />

kann mit „ordnung“, „schönheit“,<br />

„glanz“ übersetzt werden. dieser kosmos<br />

zeigt sich in seiner kleinstmöglichen erscheinungsweise:<br />

durch kleine lichtpunkte.<br />

ihre beziehungen, ihre ordnung zueinander<br />

sind bereits etwas übersinnliches.<br />

die irdische Welt indes macht uns unsicher.<br />

ein finsteres, farbloses grau-in-grau<br />

ohne räumliche tiefe umgibt uns. der andere<br />

mensch hat kein gesicht, nur eine<br />

stimme. sein leib besteht aus einer flimmernd-bewegten<br />

kontur und einer flimmernd-getupften<br />

grauschwarzen binnenfläche.<br />

alles hat noch etwas luft-, Wolkenartiges.<br />

schaut man am eigenen leib herab, so<br />

entdeckt man, dass die eigenen Füße nicht<br />

zu sehen sind. – Perfekter kann man gespenster<br />

nicht inszenieren.<br />

im lauf des morgens findet nun eine fundamentale<br />

Verwandlung statt. im blick<br />

nach oben entziehen sich die sterne zunehmend<br />

der sichtbarkeit. Zunächst am<br />

himmel, dann auch mehr und mehr im<br />

umkreis erscheinen erste Farben. Parallel<br />

dazu bauen im Frühjahr die singvögel mit<br />

ihrem gesang einen klangdom auf, eine<br />

art nachklang des sternenglitzerns. mehr<br />

und mehr stellen sich auch die Formen<br />

und körperlichkeiten der Welt ein. gesichter<br />

zeigen sich nach und nach, und in<br />

dem moment, in dem ich meine eigenen<br />

Füße sehe, hat auch die Welt ringsum eine<br />

sichtbare und begehbare tiefe. Jetzt<br />

herrscht um uns herum „ordnung“,<br />

„schönheit“, „glanz“. der kosmos ist auf<br />

die erde gekommen – in seiner fülligsten<br />

und üppigsten erscheinungsweise.<br />

dieses Wunder findet jeden morgen<br />

statt. ein erquickender nebeneffekt dabei<br />

ist, dass die sinne nach einer solch<br />

intensiven beobachtung wie geputzt<br />

sind und die Welt ringsum wie neu<br />

wirkt, taufrisch. oftmals sieht die kleidung<br />

dann wie neu gekauft aus, man<br />

selbst erlebt das sehen und hören der<br />

Welt ringsum noch einige stunden danach<br />

klarer, reiner, präsenter.<br />

<strong>Vorhang</strong> auF • elternteil • heft 105 • Zeit<br />

11


Fotos von unserem Jahreslaufkreis-ausblick … sie zeigen schön, wie unterschiedlich z.b. das städtische Wohngebiet erscheinen kann!<br />

Sie arbeiten mit zwei Gruppen am Goetheanum.<br />

Ja. die eine ist der sogenannte „Jahreslaufkreis“.<br />

Wir treffen uns seit gut zehn<br />

Jahren jeden montag, um den Jahreslauf<br />

der natur zu verfolgen. dazu beobachten<br />

wir immer denselben landschaftsausblick;<br />

zunächst ungefähr eine halbe stunde<br />

draußen vor ort. das wird uns überhaupt<br />

nicht langweilig - im gegenteil!<br />

anschließend werden diese beobachtungen<br />

mit hilfe des sogenannten seelenkalenders<br />

von rudolf steiner vertieft.<br />

Wir nehmen jedes mal ein Foto und<br />

schreiben ein Protokoll. das kann wöchentlich<br />

von der Webseite heruntergeladen<br />

werden.<br />

die zweite gruppe nennt sich „anblick<br />

– Zum sehen geboren, zum schauen bestellt“<br />

– siehe ebenfalls Webseite. diese<br />

gruppe hat zum anliegen, im sinne<br />

goethes und steiners ein schauendes<br />

Verhältnis zur natur zu entwickeln und<br />

zu vermitteln. stichworte sind hier: liebe<br />

zur Wahrnehmung; andacht; aufmerksamkeitsschulung;<br />

geistes-gegenwart<br />

im hier und Jetzt; Wirklichkeit als<br />

ort des ereignens; überwindung der<br />

subjekt-objekt-trennung; das übersinnliche<br />

im sinnlichen mitsehen lernen usw.<br />

Wie erleben Sie die Zeit bei Ihren Forschungen?<br />

bei der thematik „Zeit“ halte ich meist<br />

erst einmal den atem an. Wir haben dazu<br />

heute ein so ungeklärtes Verhältnis,<br />

dass es recht kompliziert ist, hier wieder<br />

zu einer sachgemäßen anschauung<br />

durchzudringen – das gilt auch für mich<br />

selbst.<br />

das Welken einer Pflanze setzt ihr<br />

Wachsen voraus. keine einzelne erscheinung<br />

einer Pflanze im Jahreslauf ist<br />

die ganze Pflanze. die ganze Pflanze<br />

findet sich nur in unserem inneren, als<br />

ein vorstellungsfreies, sich aber sinnlich<br />

offenbarendes, wirkendes Wesen. diesem<br />

Wesen ist es zu eigen, dass es sich –<br />

sobald es in erscheinung tritt – in Werden<br />

und Vergehen äußert, sonst wäre es<br />

keine Pflanze, kein lebewesen.<br />

ähnliches gilt auch für den ganzen Jahreslauf.<br />

seinem Wesen nach ist er wie<br />

ein dreigegliederter mensch zu denken:<br />

der Winter entspricht dem kopf-Pol, der<br />

sommer dem stoffwechsel-gliedmaßen-<br />

Pol, Frühling und herbst machen zusammen<br />

das rhythmische system aus.<br />

sobald dieses dreigegliederte Wesen in<br />

die erscheinung tritt, spielt es sich in der<br />

notwendigen Folge von Frühling, sommer,<br />

herbst und Winter ab.<br />

Zeit ist insofern leben, rhythmus zwischen<br />

„in-die erscheinung-treten“ und<br />

„Ver-Wesen-tlichen“. sie urständet keineswegs<br />

in einer materie an sich, sondern<br />

ergibt sich durch das in-erscheinung-treten<br />

von zuvor unsichtbarem.<br />

ich will versuchen, das an einem beispiel<br />

zu erläutern. alles, was im sonnenlicht<br />

steht, weist u.a. durch schatten auf<br />

sein in-bezug-stehen zur sonne hin. der<br />

bezug selbst ist übersinnlich und durch<br />

unser erlebendes denken erfassbar. er<br />

ist ganz ätherischer natur. der bezug<br />

zwischen sonne und gegenstand verläuft<br />

gleichzeitig. Jochen bockemühl<br />

prägte hierfür den begriff „erscheinungszusammenhang“,<br />

rudolf steiner nannte<br />

dies den lichtäther.<br />

auch die nacht kann als schatten der<br />

sonne aufgefasst werden. Vom standpunkt<br />

des menschen aus betrachtet ist<br />

dieser Zusammenhang nicht in der<br />

gleichzeitigkeit, sondern in der Folge<br />

von tag und nacht zu denken. die<br />

nacht folgt dem tag als schatten der<br />

sonne. Wir treten hiermit in einen Zusammenhang<br />

ein, der die sich verwandelnden<br />

erscheinungen in einem lebendigen<br />

Zusammenhang erhält; hierfür<br />

prägte Jochen bockemühl den begriff<br />

des Verwandlungszusammenhanges.<br />

rudolf steiner nannte es den chemischen<br />

äther.<br />

in dieser art verstehe ich die arbeit der<br />

Zeitenwesen: den bezug von aufeinander<br />

folgenden erscheinungen lebendig<br />

zu erhalten, indem sie das Frühere im<br />

späteren bewahren.<br />

Hat sich an der Zeitwahrnehmung etwas<br />

geändert im Laufe Ihrer Arbeit?<br />

Ja! Wir führen – wie schon erwähnt –<br />

seit mehr als zehn Jahren wöchentlich<br />

unsere Jahreslaufbeobachtungen durch.<br />

ich fühle mich mehr und mehr von dem<br />

strom getragen, der sich durch die 52<br />

Wochen zieht. ich erlebe nicht mehr eine<br />

lose Folge von ereignissen, sondern<br />

ein bezug herstellendes strömen zwischen<br />

den einzelnen beobachtungseinheiten,<br />

Woche für Woche.<br />

Wie erleben Sie Ewigkeit - im Sinne von<br />

alles ist immer da?<br />

dieses anfängliche erlebnis hat etwas<br />

überschau-, etwas Panoramaartiges. insofern<br />

bewegt man sich in einem ewigen.<br />

dieses ewige wird in jedem moment gewollt<br />

und kreativ hervorgebracht; es<br />

schaut voraus und zugleich zurück. daher<br />

die doppeldeutigkeit des Wortes<br />

„einstmals“ als „war“ und „wird sein“.<br />

andererseits ist jedes Jahr in seinem irdischen<br />

erscheinen wieder ein ganz eigenes,<br />

vorher nie da gewesenes ereignis –<br />

allein schon dadurch bedingt, dass wir<br />

menschen aus diesem göttlichen Panoramazusammenhang<br />

herausgefallen<br />

sind und wir ja unfraglich den ganzen<br />

naturkreislauf global überprägen.<br />

<strong>Vorhang</strong> auF • elternteil • heft 105 • Zeit<br />

12


Erleben Sie auch rückwärts laufende Zeit<br />

– oder gibt es manchmal Ahnungen davon?<br />

ich möchte mich auch da auf Forschungen<br />

von Jochen bockemühl beziehen.<br />

im Wachsen einer Pflanze durchschreitet<br />

ihre blattreihe folgende bildemotive:<br />

stielen, spreiten, gliedern, spitzen –<br />

und zwar in der genannten reihenfolge.<br />

das einzelne blatt aber durchläuft genau<br />

die gegenläufige richtung: spitzen,<br />

gliedern, spreiten und stielen. diese<br />

gegenläufigkeit im Wachstum einer<br />

Pflanze hat bockemühl in dem folgenden<br />

diagramm zusammengefasst:<br />

man sieht dadurch sehr schön, wie die<br />

Pflanze ihrem ausgangspunkt wieder<br />

zuströmt.<br />

in bezug auf unsere Jahreslaufarbeit<br />

drängt es sich geradezu auf, dass wir unsere<br />

nun über zehnjährigen aufzeichnungen<br />

mit der Frage auswerten, ob es<br />

da auch solche bildemotive gibt, wie in<br />

der blattreihe und ob sich da vielleicht<br />

auch ein dem gegenläufiger Prozess entdecken<br />

lässt – aber dafür bräuchte es<br />

einfach eine gediegene finanzielle Forschungsfreistellung.<br />

Was sind Ihre Forschungsziele?<br />

in bezug auf den Jahreslaufkreis geht es<br />

uns vor allem um zweierlei: darum, den<br />

bezug zum Jahreslauf der natur nicht zu<br />

verlieren und den Jahreslauf in seiner<br />

seelisch-geistigen dimension miterfassen<br />

zu lernen.<br />

in bezug auf „anblick“: Wir<br />

betätigen/beteiligen uns in recht vielen<br />

Feldern: u.a. in landschaftswahrnehmung,<br />

sinnesanschauung, tierwelt, ornithologie,<br />

biologisch-dynamischem<br />

Weinbau, aber auch kunst und geldwirtschaft.<br />

Jedes dieser Felder hat seine<br />

je eigenen Forschungsziele. – ganz allgemein<br />

gilt: es geht uns darum, eine<br />

wirklichkeits- und geistgemäße anschauung<br />

von natur und kultur zu erarbeiten<br />

und zu erüben, in der die klassische<br />

kantsche subjekt-objekt-spaltung<br />

und der materialismus überwunden<br />

werden können.<br />

man mache sich die Folgen eine solches<br />

lebensgefühls des „abgekoppelt-seins“<br />

für die menschliche kultur deutlich: ich<br />

kann als mensch eigentlich nur eine<br />

konsternierte haltung einnehmen, ich<br />

kann keine Verantwortung übernehmen,<br />

ich kann nur noch meine – sinnlose –<br />

existenz hinnehmen ... und mich in das<br />

(un-)Vergnügen des konsums stürzen.<br />

genau da sind wir heute angelangt.<br />

Was ist die Methode?<br />

Will man schlagworte dafür geben,<br />

dann handelt es sich um goetheanismus,<br />

um Phänomenologie, um ästhetik<br />

als sinnliche erkenntnis oder auch um<br />

eine spirituelle naturanschauung in den<br />

stufen imagination, inspiration und intuition,<br />

so wie es steiner als wissenschaftliche<br />

methode ausgearbeitet hat.<br />

Zentral scheint mir, dass man sich als<br />

ausgangspunkt die konstitution unserer<br />

Wirklichkeit bewusst macht: es ist ja<br />

sinnlos, von einer Wirklichkeit zu sprechen,<br />

die ohne den wahrnehmenden<br />

menschen gegeben ist. Wie sollte die<br />

denn aussehen? es würde sie ja keiner<br />

sehen, oder besser: wahrnehmen!<br />

der Wahrnehmungsseite ist dabei keine<br />

materie unterlegt, das sinneserlebnis<br />

selbst macht die stoffseite der Wirklichkeit<br />

aus. und das, was der mensch in<br />

seinem innern angesichts einer sich ergebenden<br />

Wirklichkeit erlebt, das macht<br />

die natur der sache aus, ist also durchaus<br />

objektiv.<br />

sich dieser konstitution der Wirklichkeit<br />

in einer aktuellen situation inne zu werden,<br />

diese situation auch in diesem sinne<br />

erleben und verstehen zu lernen, das<br />

ist zugleich methode und Ziel.<br />

Das ausführliche Gespräch wird in dem Interview-<br />

Buchprojekt von Stefanie Benke und Ronald Richter<br />

„Vom Auffinden des Fadens“ (Arbeitstitel) über eine<br />

neue erkenntnisgetragene Empfindung zwischen Ich<br />

und Welt erscheinen; mit freundlicher Unterstützung<br />

der Förderstiftung der AGid.<br />

I -Hierfür bedürfte es aber entsprechender Fördergelder,<br />

mit denen wir für eine solche Publikation<br />

freigestellt werden könnten. Gleiches gilt für die Beschäftigung<br />

mit der Frage, warum die Vögel singen<br />

und v.a.m.<br />

II - s. R.Steiner: Der Jahreslauf als Atmungsvorgang<br />

(GA 223), Vortrag vom 2. April 1923.<br />

III - S. J. Bockemühl (Hrsg.): Erscheinungsformen des<br />

Ätherischen, Stuttgart 1985.<br />

IV - Aus J. Bockemühl: Bildebewegungen im Laubblattbereich<br />

höherer Pflanzen, in: W. Schad (Hrsg.):<br />

Goeth. Naturwissenschaft, Band 2, Botanik, Stuttgart<br />

1982. V - ebd.<br />

VI - S. auch H.-C. Zehnter: Zeitzeichen – Essays zum<br />

Erscheinen der Welt, Dornach 2011.<br />

Fotos: hans-christian Zehnter<br />

<strong>Vorhang</strong> auF • elternteil • heft 105 • Zeit<br />

13


Kult.Kiste II<br />

luzias neue abenteuer in der Zeit<br />

das engelkind luzia hat sehnsucht.<br />

sehnsucht nach der erde. ihre abenteuer<br />

im ersten buch (wir berichteten darüber)<br />

konnten sie wenig abschrecken. luzia<br />

meint: auf der erde lässt sich was lernen,<br />

viel mehr als im himmel, wo die erzengel<br />

für ordnung sorgen.<br />

Wie uns die bewegten, farbigen abbildungen<br />

zeigen, ist luzia bereits gewachsen.<br />

Zeit ist ja seit ihren letzten abenteuern<br />

auf der erde ins land gegangen. allerdings:<br />

engelkinder sind ungeboren,<br />

sie sind vor der Zeit, auch wenn es paradox<br />

erscheint, dass luzia dann noch ein<br />

kind und sogar gewachsen ist. „das ungeborene<br />

ist dem menschen ebenso wesenhaft<br />

wie die unsterblichkeit“, sagt<br />

rudolf steiner und fährt fort, dass das<br />

ewige zwei seiten hat, „die unsterblichkeit<br />

und die ungeborenheit", durch die<br />

wir erst „das dauernde … das wahrhaft<br />

ewige im menschen“ begreifen.<br />

das zeitlos ewige scheint von der Zeit<br />

geheimnisvoll durchwirkt und umgekehrt.<br />

haben wir nicht alle schon beglückende<br />

Zeitlosigkeit erfahren - wenn<br />

vielleicht auch immer seltener? Zum<br />

beispiel beim lesen der luzia-geschichten?<br />

ähnlich wird es sich mit der Zeit im Zeitlosen<br />

verhalten. sonst könnten wir keine<br />

beziehung zum ewigen, zum geistigen<br />

aufnehmen, denn alles spiegelt sich in<br />

sympathie und antipathie. und die luzia-geschichten<br />

könnte es auch nicht<br />

geben. Wir würden sie nicht verstehen.<br />

die ewige ordnung der Zeitlosigkeit<br />

verlangt, dass luzia einen auftrag<br />

braucht, um wieder zur erde zu dürfen.<br />

den erhält sie von den erzengeln. aber<br />

die haben viel zu viel zu tun, als sich um<br />

solche aufträge zu kümmern.<br />

also geht luzia zum erzengel Wegbereiter.<br />

der ist allem anschein nach nicht<br />

gar so streng. Zuerst muss luzia allerdings<br />

ihr kleid selbst weben, das ihr die<br />

passende zeitliche gestalt verleiht, und<br />

damit hofft sie, endlich den verflixten<br />

auftrag zu ergattern.<br />

tatsächlich: erzengel Wegbereiter<br />

macht es möglich. Wir kennen ihren<br />

auftrag nicht, wissen aber, dass er dazu<br />

dient, etwas zu lernen vom menschen,<br />

der ja auf der erde ist, Fähigkeiten zu<br />

entwickeln, die auch für den himmel<br />

neu und notwendig sind.<br />

schwupp! findet luzia sich auf einer<br />

Verkehrsinsel wieder. ihr Ziel ist das<br />

kaufhaus, wo sie im ersten buch das<br />

kaufen lernt. sie setzt sich die sonnenbrille<br />

auf, denn erfahrungsgemäß ist es<br />

darin ganz schön mollig und vor allem<br />

sehr hell. doch Pustekuchen! das kaufhaus<br />

zu dieser frühmorgendlichen stunde<br />

ist zappenduster.<br />

luzia ist ratlos und wendet einen alten<br />

himmelstrick an, von dem auch wir was<br />

lernen können: Wenn man nicht mehr<br />

weiter weiß, einfach vom gedanken loslassen,<br />

um so einen leerraum zu schaffen<br />

für neues …<br />

klar, so einfach, wie es klingt, geht das<br />

auch für luzia nicht. Plötzlich stehen<br />

statt eines neuen gedankens zwei männer<br />

mit sonnenbrillen vor ihr, aktenkoffer<br />

in der einen und silberne armbanduhr<br />

in der anderen hand - die sonnenbrillenmänner,<br />

von denen es noch viel,<br />

viel mehr gibt. alle sehen sich sehr ähnlich<br />

und legen ein ziemliches tempo<br />

vor. so sind wir mitten drin im abenteuer,<br />

in dem es um nicht weniger geht als<br />

bei momo oder dem Film matrix.<br />

ist es nicht die heldengeschichte, die<br />

wir alle, jeder auf seine Weise, bestehen<br />

müssen? es geht um die konfrontation<br />

von Wirklichkeit und geistigem, das<br />

sich oft genug nur noch in den Widersacherkräften<br />

manifestiert. damit aber die<br />

„geistige berührung“ wieder einem<br />

„Zauberstab gleicht“, wie es novalis<br />

verspricht, darf dem kampf nicht ausgewichen<br />

werden. und luzia lernt, wie es<br />

der titel schon verspricht, buchstäblich<br />

zu kämpfen. alles spielt sich in der aristotelischen<br />

einheit von raum und Zeit<br />

ab, in verdichteter Zeit: so erlernt luzia<br />

den kampfsport Judo an einem einzigen<br />

tag!<br />

spiegelt luzias sehnsucht und tatendrang<br />

sich nicht in den Worten rudolf<br />

steiners über den menschen wider, der<br />

in sich das ewige erwecke, „um den daseinswert<br />

der Welt zu erhöhen“? Was in<br />

ihm geistig aufblitze, sei „ein göttliches,<br />

das vorher verzaubert war, und das ohne<br />

seine erkenntnis brach liegen bliebe.“<br />

davon erzählt uns dieses wunderschöne<br />

buch, das weder die kenntnis philosophischer<br />

gedanken noch die des ersten<br />

buchs verlangt. der autor sebastian Jüngel<br />

und die illustratorin Johanna schneider<br />

schaffen es, uns in spannungsgeladene<br />

szenen und Farbräume immer tiefer<br />

hineinzuziehen, so dass jeder, kind und<br />

erwachsener, davon gepackt sein wird.<br />

Sebastian Jüngel: Luzia lernt kämpfen<br />

Bebildert von Johanna Schneider<br />

Verlag Ch. Mölmann, 48 Seiten, 16 Euro<br />

Übrigens: Man kann die Kult.Kiste auch im<br />

Märchen.Radio hören - ein Programm für<br />

Klein und Groß auf www.kultradio.eu oder<br />

www.maerchen-radio.de bitte den grünen<br />

Player-Button drücken.<br />

<strong>Vorhang</strong> auF • elternteil • heft 105 • Zeit<br />

14


KINDERMUND<br />

UND ELTERNKOPF<br />

Zuschriften und Kinderfotos erwünscht!<br />

„mama, ich weiß jetzt warum das rechtschreibung heißt:<br />

stimmt’s? Weil man links anfängt und dann nach rechts schreibt!“<br />

kind: „mama, es sind nur noch zwei kleine Pizzen da, wir sind<br />

aber drei, dann geht es nicht auf! könnte ich die dann vielleicht<br />

haben?“ mutter: „Warum?“ kind: „na, weil ich auch schon mehr<br />

nudeln hatte!“<br />

Ferdi (6): „also mama, stimmt’s? den osterhasen gibts doch gar<br />

nicht. ich weiß nämlich, dass ihr die ostereier versteckt!... denn<br />

wie soll er schließlich in unser haus reinkommen?“... grübelnd...<br />

„höchstens, wenn man ein Fenster offen lässt - aber unten. oben<br />

ist es ja zu hoch für ihn...“<br />

Wir haben ein süßigkeitenkorb oben auf dem regal stehen.<br />

Valentin (4): „mama? Wenn ich 20 bin, dann komm ich bestimmt<br />

schon ganz allein oben an die süßigkeiten! dann kann ich mir<br />

ganz allein die gummibärchen nehmen!“<br />

„Liebes <strong>Vorhang</strong> Auf team, das hier bin ich Adrian mit meiner Schwester Jana<br />

und in der Mitte ist der Waldgeist vom Loßburger Zauberwald im Schwarzwald.<br />

Wir sind begeisterte <strong>Vorhang</strong> Auf - Leser und Rätsel-Löser und freuen uns schon<br />

auf das nächste Heft. Liebe Grüße an Euch alle von Adrian und Jana“<br />

„Wie hat gott das eigentlich gemacht - eva aus der rippe? und<br />

wie hat er dann adam gemacht?“<br />

im kindergarten: Jonathan möchte gern mitspielen, weiß aber<br />

nicht so recht wie... die kindergärtnerin schlägt vor, er könne<br />

doch fragen, ob er das baby sein darf. darauf Jonathan: „ nee, lieber<br />

ein normales kind!“<br />

karen Johanna heidecker, 4fache Jungsmutter, kössern.<br />

Hier gibt es „<strong>Vorhang</strong> Auf“ und noch viel mehr!<br />

ZEITSCHRIFTEN,<br />

BÜCHER, MINERALIEN...<br />

KUNSTDRUCKE,<br />

POSTKARTEN, NATURFARBEN...<br />

NATURKOST, TEXTILIEN<br />

SPIELWAREN,SPEISEN...<br />

20148 HAMBURG R.-STEINER-BUCHHANDLUNG<br />

Rothenbaumchaussee 103, Tel. 040/442411<br />

• Kinder- und Jugendbuch, Anthroposophie,<br />

Spielzeug, Kunstkarten, Kaffee<br />

44892 BOCHUM, Buchhandlung LESEZEICHEN<br />

Hauptstr. 220, Tel. 0234/9270873, Fax 9270875<br />

• Kinder-, Jugendbücher, Anthroposophie<br />

75433 MAULBRONN, LUCIA-LADEN<br />

Bahnhofstr. 1a, Tel. 07043/2996<br />

• Spielsachen, Bücher, Wolle, Westfalenstoffe<br />

Materialien zum Puppen- u. Bärenbasteln<br />

22926 AHRENSBURG OLLEFANT<br />

Rathausplatz 37/38, Tel. 04102/56362<br />

• Rund ums Kind, Schulranzen, Spielzeug<br />

45257 ESSEN, KINDERKRAM<br />

Kupferdreherstr. 182, Tel 0201/485442<br />

Fax 0201/482375 • Schöne Sachen<br />

zum Spielen, Schenken und Sammeln.<br />

92318 NEUMARKT/PÖLLING<br />

• DER KINDERSPIELZEUGLADEN – S’SCHREINER-ECK<br />

Glückstr.2, Tel.09181/31814 Fax 45912<br />

22926 AHRENSBURG AUF DER ALLMENDE<br />

Bornkampsweg 36 i, Tel. 04102/8035680<br />

• Alle Produkte des Waldow Verlages!<br />

Öffnungszeiten nach tel. Vereinbarung<br />

25337 ELMSHORN BÜCHERSTUBE M.CHR. RÖBKE<br />

Hainholz 40, Tel. 04121-5785049<br />

• www.buecher-stube.de<br />

66450 BEXBACH, NATURZWEIG<br />

•Tel./Fax 06826/50288<br />

68199 MANNHEIM, BITTERSÜSS<br />

Friedrichstr. 10, Tel. 0621/84309809 Fax 84309949<br />

• Naturkost + Café<br />

94032 PASSAU, KOLIBRI<br />

Theresienstr. 11 Tel/Fax 0851/36905<br />

• Spiel und Kunst, Naturtextilien, Kinder- Fachbücher<br />

94032 PASSAU, MARTINAS WOHLFÜHLOASE<br />

Theresienstr. 34 Tel. 0851/9884525<br />

• Die etwas andere Buchhandlung,<br />

WOHLFÜHLGESCHENKE & MEHR<br />

28870 OTTERSBERG AMTSHOF-BUCHHANDLUNG<br />

Am Vie 1, Tel. 04205-1244<br />

• Anthroposophie, Pädagogik, Kinderbücher<br />

70188 STUTTGART, HEIDEHOF-BUCHHANDLUNG<br />

W. Militz u. Co., Gerokstraße 10<br />

• Bücher, Spiele, Drucke, Schreibwaren<br />

CH-4143 DORNACH, LITERA<br />

Goetheanumstr. 9 Tel. 061/7014923 Fax 7015534<br />

• Anthroposophisches Antiquariat & Kunsthandwerk<br />

EINE AUSWAHL UNSERER<br />

VORHANG AUF - HÄNDLER<br />

Ihr Händler führt <strong>Vorhang</strong> Auf<br />

noch nicht?<br />

Bitte empfehlen Sie uns!<br />

Sie sind Händler und möchten<br />

<strong>Vorhang</strong> Auf anbieten?<br />

Bitte rufen Sie uns jetzt an!<br />

<strong>Vorhang</strong> auF • elternteil • heft 105 • Zeit<br />

15


g<br />

Vorhan<br />

auf!<br />

Liebe Freunde von „<strong>Vorhang</strong> Auf“!<br />

inzwischen haben wir im Zuge unserer<br />

umstrukturierung und Verlagsauffrischung<br />

wichtige schritte vollzogen und<br />

viele weitere sind in Vorbereitung:<br />

Info3<br />

unsere infrastruktur, das heißt, der Vertrieb,<br />

die rechnungsstellung und der<br />

kundenservice wird seit 1. oktober<br />

durch unsere Freunde von info3 und<br />

amselhof-kunstdrucke in Frankfurt<br />

durchgeführt. es handelt sich weder um<br />

eine Fusion noch um eine „freundschaftliche<br />

übernahme“ - wie mancherorts<br />

gemunkelt wurde - sondern rein um eine<br />

dienstleistung, um eine Zusammenführung<br />

der Frankfurter kapazitäten mit unseren<br />

Vertriebsbedürfnissen. Wir freuen<br />

uns sehr über diese Zusammenarbeit<br />

und erwarten eine gegenseitige belebung<br />

unserer aktivitäten. - es gab ein<br />

paar unregelmäßigkeiten in der überleitung,<br />

wovon die meisten durch Probleme<br />

einer bestimmten telefongesellschaft<br />

hervorgerufen wurden, die unsere<br />

bisherigen nummern nicht weiterleiten<br />

konnte. Wir bitten nachträglich um Verständnis<br />

- bei erscheinen dieser ausgabe<br />

von „<strong>Vorhang</strong> auf“ sollte alles gut in seinen<br />

neuen bahnen laufen.<br />

Erziehungskunst<br />

durch die unterstützung in der Verwaltung<br />

können wir uns in der redaktion<br />

ganz den inhalten von „<strong>Vorhang</strong> auf“<br />

widmen und endlich mehr darum kümmern,<br />

unsere Zeitschrift in angemessenem<br />

umfang bekannt zu machen.<br />

in der dezemberausgabe der Zeitschrift<br />

„erziehungskunst“, die an allen Waldorfschulen<br />

verteilt wird, haben wir das<br />

erste mal vier seiten für kinder gestaltet,<br />

die Januarausgabe ist bereits vorbereitet.<br />

auch diese freundschaftliche Zusammenarbeit<br />

ist ein glücksfall für beide<br />

seiten.<br />

Garten der Phantasie<br />

durch zwei neue engagierte mitarbeiterinnen<br />

im bereich marketing, die wir<br />

beim nächsten mal vorstellen, entstehen<br />

Umstrukturierung,<br />

Verlagsauffrischung<br />

gerade mehrere interaktive Plattformen<br />

von „<strong>Vorhang</strong> auf“ im internet. das<br />

kernstück wird ein blog sein, also ein<br />

digitales Journal, auf dem wir wichtige<br />

pädagogische artikel und anregungen<br />

zur Phantasiepflege kostenlos veröffentlichen<br />

und sie die möglichkeit haben,<br />

mit interessierten leserinnen und lesern<br />

direkt zu kommunizieren. der blog wird<br />

voraussichtlich im laufe des Januar bereitstehen<br />

und trägt den namen „garten<br />

der Phantasie“.<br />

www.garten-der-Phantasie.de<br />

doch das ist nicht alles. die erneuernde<br />

energie bei „<strong>Vorhang</strong> auf“ umfasst weitere<br />

spannende bereiche, von denen wir<br />

im Frühling berichten.<br />

Wenn sie sich zwischenzeitlich informieren<br />

wollen, abonnieren sie bitte unseren<br />

kostenlosen newsletter auf<br />

www.WaldowVerlag.de<br />

herzlich - ihr eckehard Waldow<br />

Willkommen im Garten der Phantasie!<br />

Für unsere erste <strong>Vorhang</strong> auf erlebniswoche<br />

der neuen generation haben wir<br />

einen ganz besonderen ort ausgewählt:<br />

Weite Wiesen, Felder und Wälder.<br />

Vogelgezwitscher in den bäumen, der<br />

geruch nach „echten kühen“ und wunderschöne<br />

Vulkanseen, die man hier<br />

maare nennt. in jedem Örtchen trifft<br />

man auf Wanderer, welche die atemberaubende<br />

gegend zum aktiven erholen<br />

und ausspannen nutzen. Für die arbeit<br />

immer auf dem handy erreichbar zu<br />

sein, muss man gar nicht erst versuchen:<br />

handynetze gibt es hier nicht.<br />

die Vulkaneifel bietet uns viel raum,<br />

dem natürlichen Forschungsdrang der<br />

kinder nachzugehen und alles das, was<br />

wir sonst in <strong>Vorhang</strong> auf lesen, hautnah<br />

mitzuerleben.<br />

hier können wir uns nach lust und laune<br />

in der freien natur bewegen; den römern<br />

in trier, den rittern auf den manderscheider<br />

burgen und den Vulkanausbrüchen<br />

vor millionen von Jahren nachspüren.<br />

betreut wird die Freizeit von erfahrenen<br />

erlebnis-, kunst- und Waldorfpädagogen.<br />

unter anderem begleitet uns der<br />

herausgeber der Zeitschrift eckehard<br />

Waldow.<br />

Wir wohnen in einem naturpädagogisch<br />

orientierten hüttendorf, welches über<br />

ein weitläufiges gelände mit spiel- und<br />

sportplätzen, Feuerstellen, grillplätzen<br />

und ein riesen-tipi verfügt.<br />

selbstverständlich legen wir wert auf eine<br />

hochwertige, reichhaltige und kindgerechte<br />

Verpflegung.<br />

Wir werden uns selber neu kennen lernen,<br />

uns mit unglaublichen dingen beschäftigen<br />

und einfach nur sein.<br />

Wir freuen uns auf eine unvergessliche<br />

(Frei-) Zeit. - hanna Waldow, clelia<br />

kügler, raffael Waldow, Jan kügler,<br />

eckehard Waldow.<br />

anmeldung und weitere informationen<br />

auf www.ahoicamps.de oder telefonisch<br />

unter 040 84892377.<br />

<strong>Vorhang</strong> auF • elternteil • heft 105 • Zeit<br />

16


Sebastian Jüngel<br />

„Rhythmus ist Leben“<br />

Märchen selber schreiben III<br />

In einer Serie von 4 Artikeln zeigt der<br />

Schriftsteller Sebastian Jüngel in anregender<br />

Weise die Schritte auf, die es Jedem<br />

möglich machen, selber Märchen zu (er-<br />

)finden und zu schreiben. Ob am Schluss<br />

eine Auswahl selbstgeschriebener Märchen<br />

unserer LeserInnen in <strong>Vorhang</strong> Auf<br />

erscheint? Alles ist möglich...<br />

eine der grundlegenden erfahrungen in<br />

unserem leben ist die Wiederholung: es<br />

wird am morgen hell, wir wachen<br />

auf; es wird am abend dunkel,<br />

wir schlafen ein. Wir stehen<br />

auf, waschen uns, ziehen uns an,<br />

essen etwas. als baby und kleinkind<br />

geschieht das alles mit einem,<br />

später ergreift man die sich<br />

wiederholenden Pflegeschritte<br />

selbst. denn was nicht gepflegt<br />

wird, verkommt oder geht ein<br />

wie eine Zimmerpflanze ohne<br />

Wasser.<br />

Wiederholung kann aber noch<br />

mehr sein als erhalt des bestehenden:<br />

nach dem Prinzip „Versuch und<br />

irrtum“, dem üben, erlernen wir<br />

etwas neues. Wir lernen, uns<br />

aufzurichten und zu gehen. Wir<br />

lernen, die schuhe zu binden,<br />

mit einer schere zu schneiden,<br />

auf dem Fahrrad zu fahren. Wir<br />

lernen ein musikinstrument spielen.<br />

oder wir lernen tanzen, bis<br />

aus dem erinnern einer abfolge<br />

von stellungen eine leichte, spielerische<br />

bewegung wird. dazu gibt es traditionellerweise<br />

den dreischritt lehrling,<br />

geselle und meister und den sieben-Jahres-rhythmus,<br />

der idealisiert auf entwicklungsschritte<br />

wie Zahnwechsel, Pubertät<br />

und mündigkeit bezug nimmt. hier führt<br />

Wiederholung zu einer schrittweisen<br />

steigerung von Fähigkeiten oder existenziellen<br />

erlebnissen.<br />

im märchen ist es nicht anders: aus dem<br />

kreis des gewohnten will der held, die<br />

heldin ausbrechen (oder wird von außen<br />

dazu angestoßen), denn sie möchten etwas<br />

neues lernen. sie verlassen den kreis<br />

und ergreifen eine Folge von (neuen)<br />

schritten.<br />

Widerstand macht es interessant<br />

dass aus einer Wiederholung etwas neues<br />

entstehen kann, ist doch überraschend,<br />

oder? denn Wiederholung führt<br />

ja durch Pflege nicht nur zum erhalt des<br />

bestehenden; Wiederholung führt auch<br />

zur abnutzung: ein brett in der küche<br />

wird dünner, ein messer wird stumpf,<br />

kleidung wird abgewetzt. damit Wiederholung<br />

zum erwerb einer Fähigkeit wird,<br />

braucht es etwas, was einen hindert, einfach<br />

so wie bisher weiterzumachen. Widerstand<br />

schafft zugleich spannung im<br />

erzählen. Wenn ich ihnen erzähle: „ich<br />

war gestern einkaufen“, werden sie möglicherweise<br />

sagen: „aha“, vielleicht<br />

noch: „Wie schön.“ damit wäre das gespräch<br />

beendet. denn was sollen sie mit<br />

dieser information anfangen?<br />

in der regel wecken wir interesse nicht<br />

durch das alltäglich-immergleiche, sondern<br />

durch das besondere.<br />

also ich ging natürlich nicht einfach einkaufen,<br />

sondern „mitten auf dem Weg<br />

zum supermarkt, da geschah es, dass…“<br />

und schon bin ich mitten in (m)einer geschichte.<br />

sie kennen vermutlich auch tage,<br />

an denen einfach nichts so recht gelingen<br />

will: „als ich zum einkaufen<br />

gehen wollte, klingelte<br />

das telefon und es meldete<br />

sich mein Freund, der einfach<br />

nicht aufhören kann zu<br />

schwätzen. dummerweise war<br />

ich ans telefon gegangen,<br />

denn nun saß ich nicht nur in<br />

der tinte, sondern auch auf<br />

brennenden kohlen, würde<br />

doch der supermarkt in 15 minuten<br />

schließen. als mein<br />

Freund endlich aufgelegt hatte,<br />

zog ich mir schnell die schuhe<br />

an, aber der schnürsenkel riss!<br />

o.k., ich schlüpfte in die turnschuhe<br />

(merkwürdig, dass bei<br />

ihnen noch nie die senkel gerissen<br />

sind). Jetzt aber schnell,<br />

sagte ich mir, öffnete die Wohnungstür<br />

– und stand vor der<br />

hauswartin. sie hatte den Fußboden<br />

feucht aufgewischt, da<br />

konnte ich nicht mal so eben<br />

rüber. endlich war das Wasser<br />

getrocknet! noch fünf minuten.<br />

beim supermarkt stellte ich fest, dass<br />

ich nicht genug geld dabei hatte…“<br />

Stauen und lösen – innehalten und<br />

weiterführen<br />

bei dieser art des erzählens staut sich immer<br />

wieder aufs neue der erzählfluss.<br />

das kann man beliebig weiter führen:<br />

„die turnschuhe erinnerten mich daran,<br />

wie ich mit meiner Freundin bei Wind<br />

und Wetter draußen war. nun ja, eigent-<br />

<strong>Vorhang</strong> auF • elternteil • heft 105 • Zeit<br />

17


lich ja meine ex. die schuhe sind ja<br />

nichts mehr wert, löchrig und ausgetreten<br />

wie sie sind, aber ich vermochte nicht,<br />

sie wegzuwerfen, erinnern sie mich doch<br />

an eine schöne Zeit.“ hier staut sich ein<br />

Vorgang, denn mit dem erzählten habe<br />

ich noch keinen einzigen schritt richtung<br />

supermarkt gemacht, ja nicht einmal<br />

die schuhe angezogen.<br />

mit dem stauen des erzählflusses halten<br />

sie inne. sie beschreiben einen sachverhalt<br />

detaillierter (die schuhe als löchrig<br />

und ausgetreten) oder sie führen, auf der<br />

stelle tretend, neues ein (die ehemalige<br />

Freundin) – und verzögern damit den<br />

weiteren Verlauf der geschichte, um<br />

spannung zu erzeugen. auf die spitze getrieben<br />

hat dieses Prinzip laurence stern<br />

(1713–1768) in seinem roman „tristram<br />

shandy“.<br />

ein typischer stau im märchen sind hindernisse,<br />

bewährungen und das abarbeiten<br />

von Proben, die von mal zu mal anspruchsvoller<br />

werden. auch gibt es situationen<br />

des innehaltens, etwa wenn einfach<br />

mal sieben Jahre – oder gar 100 Jahre<br />

wie bei „dornröschen“ – scheinbar<br />

nichts geschieht, nichts jedenfalls, was<br />

groß berichtet wird. ansonsten geht es in<br />

einem märchen vor allem vorwärts,<br />

rückblicke sind selten, ausschmückungen<br />

kommen nicht vor. es geht um eine<br />

tür oder ein tor, nicht um eine alte oder<br />

eine holztür, auch nicht um ein steintor.<br />

es ist einfach eine tür, ein tor. und eine<br />

tür knarrt auch nicht wie im krimi, sondern<br />

man geht einfach hindurch. Fertig.<br />

und weil es um etwas allgemeinmenschliches<br />

geht, tragen märchengestalten<br />

selten einen namen und falls<br />

doch, dann einen allgemeinen wie hänsel<br />

und gretel, vergleichbar mit hinz und<br />

kunz. oder sie werden mit einem symbolischen<br />

amt bezeichnet wie könig, koch,<br />

Jäger. es gibt keine lene, keine Jana, es<br />

gibt auch keinen tobias oder stefan.<br />

denn alles, was zu sehr ins detail geht,<br />

lenkt ab. und ein märchen ist eine stark<br />

optimierte geschichte.<br />

der hirnforscher gerald hüther führte<br />

zum umgang mit stress in seinem buch<br />

„biologie der angst“ (2012) aufschlussreich<br />

aus: ist eine störung beherrschbar,<br />

festigt sie bestehende handlungsabläufe.<br />

sie werden effizienter und ausdifferenzierter,<br />

spezialisierter. Führt die störung<br />

zu einer krise, die nicht beherrscht wird,<br />

werden bisherige neuronale Verschaltungen<br />

gelöscht und damit die grundlagen<br />

für neues Verhalten geschaffen. (allerdings<br />

kann eine zu starke überforderung<br />

dazu führen, dass man auf alte Verhaltensweisen,<br />

die in tieferen hirnbereichen<br />

„für den notfall“ abgelegt sind, zurückgreift.)<br />

Gleichzeitigkeit verschiedener Entwicklungsstadien<br />

entwicklungen vollziehen sich dabei<br />

nicht einfach nur „glatt“. bei einem Fossil<br />

des urvogels archaeopterix lassen sich<br />

merkmale finden, die typisch für ein reptil<br />

sind, andere, die typisch für einen Vogel<br />

sind, und drittens übergangsformen.<br />

der biologe Wolfgang schad erkennt<br />

auch im geborenen menschen verschiedene<br />

entwicklungsstadien („heterochromie“):<br />

eine spätgeburt sei der mensch<br />

hinsichtlich der „kopfinnenorgane“ und<br />

des „nervensinnessystems“, was ein<br />

übe rleben bei geburt mit sieben monaten<br />

möglich macht. eine „normalgeburt“<br />

ist der mensch hinsichtlich des schließens<br />

des „noch offenen Fensters in der<br />

herzscheidewand“ mit beginn der lungenatmung,<br />

„wodurch der arterielle und<br />

der venöse teil des kreislaufs endgültig<br />

getrennt werden“. auf eine Frühgeburt<br />

weisen das Verdauungssystem und die<br />

gliedmaßen, die erst relativ spät ein sichaufrichten<br />

erlauben. (Zeitschrift „seelenpflege“<br />

nr. 3/2015)<br />

Kausalität, Verwandlung, Umstülpung<br />

die von Wolfgang schad angesprochene<br />

„Verschiedenzeitlichkeit“ führt uns zu<br />

verschiedenen darstellungsformen. rudolf<br />

steiner charakterisierte einmal in einem<br />

Vortrag zum themenbereich „die<br />

Wirklichkeit der höheren Welten“ (26.<br />

november 1921) verschiedene Formen<br />

des denkens. das gewöhnliche denken<br />

sei ein kombinieren von „auseinanderliegenden<br />

gebilden“, die sich in räumlichen<br />

Verhältnissen abspielen. Wenn man<br />

es zusätzlich versteht als ein denken in<br />

kausalen Zusammenhängen, also in ursache-Wirkung-beziehungen,<br />

wird der<br />

bezug zum märchen deutlich: eine situation<br />

ist nicht mehr befriedigend, also geht<br />

das tapfere schneiderlein einen neuen<br />

Weg. die schwiegermutter möchte die<br />

schönste im land sein, also versucht sie,<br />

das schöne schneewittchen aus dem<br />

Weg zu räumen. all diese motive wurzeln<br />

in der Vergangenheit und rufen eine<br />

neue handlung hervor.<br />

beim morphologischen denken geht es<br />

um die Verwandlung einer Form in die<br />

nächste, um jeweils gegenwärtige gestaltungen,<br />

vergleichbar mit dem bearbeiten<br />

von einem stück ton: aus einem klumpen<br />

wird eine scheibe wird ein teller.<br />

der held, die heldin verändert sich auf<br />

dem Weg. hier zeigen sich übergangsphänomene<br />

(nicht mehr lehrling, noch<br />

nicht meister).<br />

beim Prinzip der umstülpung schlägt etwas<br />

in eine gänzlich andere eigenschaft<br />

um: im märchen wird aus einem bär „eines<br />

königs sohn“, aus dem Prinz ein könig<br />

– hier wird auf die reife, ein Ziel, die<br />

Zukunft gewiesen. aus dem nichtsnutz<br />

ist ein meister, ein könig, ein Weiser geworden.<br />

es gibt also die Wiederholung, die zyklisch<br />

verläuft und als Pflege auf den erhalt<br />

von etwas zielt, und eine weitere, die<br />

durch den Widerstand zu einer steigerung<br />

bisheriger oder zu gänzlich neuen<br />

Fähigkeiten führt. dieser ablauf kann gestaut<br />

oder weitergeführt werden. Formal<br />

gesprochen: tendenziell sorgen adjektive<br />

und nebensätze für ein innehalten,<br />

hauptsatzreihungen fürs Vorantreiben<br />

(und dann… und dann… und dann…).<br />

Fortsetzung folgt.<br />

margret von borstel: „hänsel und gretel“.<br />

links: „dornröschen i“. als Postkarten erhältlich.<br />

<strong>Vorhang</strong> auF • elternteil • heft 105 • Zeit<br />

18


NORDSEEINSEL JUIST<br />

Zwischen Ihrem Alltag und<br />

unserer Insel liegt nur das Meer!<br />

Nehmen Sie sich die Zeit und<br />

reisen einmal in Gedanken zu uns.<br />

So fängt jeder Urlaub an.<br />

W ALDOW<br />

V ERLAG<br />

Das Nornen - Zeit - Poster<br />

NEU<br />

Hören Sie auf das Meer,<br />

genießen die frische Brise,<br />

spüren den Sand unter Ihren Füßen<br />

und strecken die Nase der Sonne entgegen.<br />

Der köstliche Duft kommt aus meiner Küche!<br />

BIO-HOTELS Haus AnNatur<br />

Vegetarische Vollwertkost mit dem<br />

„Zauberbrunnen“<br />

Naturkosmetik, Klangmassagen, Ayurvedische<br />

Massagen und viel mehr....<br />

Dellertstr. 14, 26571 Juist, Tel. 04935-91810<br />

www.annatur.de info@annatur.de<br />

Cornelia Haendler „Weltenesche Yggdrasil“<br />

Kunstdruck A3 € 8,90<br />

DER TEE IST FERTIG. HERZLICH WILLKOMMEN!<br />

VORHANG AUF - IMPRESSUM 12/2015<br />

Vertrieb, Abonnementverwaltung:<br />

<strong>Vorhang</strong> Auf/Waldow Verlag<br />

Kirchgartenstr. 1 - D-60439 Frankfurt<br />

Tel. 069-5700 2686 Fax 069-584616<br />

E-Mail: info@waldowverlag.de<br />

Geschäftsführung, Redaktion:Waldow Verlag<br />

Bornkampsweg 36i - 22926 Ahrensburg<br />

Tel. 04102-80 356 80 Fax 04102-80 356 81<br />

E-Mail: ewaldow@waldowverlag.de<br />

VORHANG AUF erscheint vierteljährlich<br />

(März/Juni/September/Dezember)<br />

Redaktion: Eckehard Waldow (V.i.S.d.P.),<br />

Britta Felsmann-Waldow, Simone Hoffmann,<br />

Katja Milkov-Anowski, Cornelia Haendler,<br />

Alexander Hoffmann-Kuhnt<br />

ISSN: 0936-9686<br />

Druck: Uhl-Media, 87730 Bad Grönenbach<br />

Suchen - Anbieten -Tauschen<br />

Marktplatz<br />

Private kleinanzeige: 5 €.<br />

gewerblich: 1 € pro Wort.<br />

MärchenerzählerIn - MärchenpuppenspielerIn<br />

als Beruf(ung). Seminar und Ausbildung. Information bei:<br />

Ausbildungsstätte Märchenzentrum Sterntaler<br />

Kiefernstr. 10. 76437 Rastatt.<br />

Bitte 1.45 EUR Rückporto beilegen.


Nicht vergessen!<br />

verschenken!<br />

Es gibt nämlich zu jedem Abo<br />

und Geschenk-Abo kostenlos dazu:<br />

1 Heft 65 „Weihnacht“<br />

und 4 Weihnachtspostkarten<br />

Gilt bis 6.Januar 2016<br />

Weitersagen an alle Freunde, Paten, Omas, Opas, Lehrer, Kindergärtner...<br />

ABO/<br />

Geschenk-Abo<br />

#<br />

Ich abonniere »VORHANG AUF«<br />

4 Hefte incl. Porto € 43,00 (Ausland: 47,00)<br />

o ab Nr. 105 Winter 2015 „Die Zeit“<br />

o ab Nr. 106 Frühling 2016 „Bäume“<br />

Alle Bestellungen<br />

auch per<br />

Telefon:<br />

069-5700 2886<br />

ODER:<br />

WWW.WALDOWVERLAG.DE<br />

Keine Kündigungsfrist!<br />

Datum, Unterschrift wie Absender<br />

Das kostenlose Weihnachtsheft<br />

Name des Beschenkten<br />

und die 4 kostenlosen Karten<br />

bei Bestellung bis 6.1.2016<br />

<strong>Vorhang</strong> auF • elternteil • heft 103 Straße/Hausnummer<br />

o an mich<br />

20<br />

o an Beschenkten<br />

PLZ/Ort<br />

Ich verschenke »VORHANG AUF«<br />

o ab Nr. 105<br />

o ab Nr. 106<br />

Winter 2015 „Die Zeit“<br />

Frühling 2016 „Bäume“<br />

o Für 1 Jahr o Bis auf Widerruf<br />

o 1. Lieferung an mich

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!