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02/2016

Fritz + Fränzi

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Fr. 7.50 2/Februar <strong>2016</strong><br />

Jesper Juul<br />

Mobbing beginnt nicht<br />

in den Köpfen der Kinder<br />

Anorexie<br />

Wenn der Hunger zur<br />

Sucht wird<br />

Kiffen<br />

Was Jugendliche reizt<br />

Was Eltern tun können


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inklusive<br />

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Jugendliche und Studierende.<br />

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Editorial<br />

Bild: Geri Born<br />

Nik Niethammer<br />

Chefredaktor<br />

Liebe Leserin, lieber Leser<br />

Nein, ich habe nie gekifft. Habe nicht einen einzigen Joint geraucht. Es hat<br />

mich nicht interessiert. Ich habe einen Höllenrespekt vor Rauschmitteln<br />

aller Art. Sich zudröhnen, betäuben, wegschiessen ist nicht mein Ding.<br />

Wenn ich einen Kick brauche, steige ich aufs Rad und quäle mich den Berg<br />

hoch. Bis die Beine schmerzen und die Gedanken fliegen.<br />

«Ich kiffe, weil es Spass macht», sagt Marco. Der KV-Lehrling zog mit<br />

14 Jahren zum ersten Mal an einem Joint. Heute habe er seinen Konsum<br />

im Griff, «manchmal rauche ich wochenlang nicht». Jetzt sei seine Mutter<br />

dahintergekommen, das stresse ihn total, «allein beim Gedanken an eine<br />

Familiensitzung zum Thema Kiffen ergreife ich die Flucht».<br />

Wie sollen Eltern reagieren, wenn sie merken: mein Kind kifft? Nicht in<br />

Panik verfallen, raten Experten, nichts überstürzen, das Kind nicht unter<br />

Druck setzen. Und keine schnellen Veränderungen erwarten. Kiffen ist<br />

ein Phänomen der Jugend, viele hören von selber wieder auf.<br />

«Kinder brauchen Führung<br />

durch Erwachsene.»<br />

Jesper Juul, dänischer Familientherapeut und<br />

neuer Kolumnist des Schweizer ElternMagazins<br />

Die gute Nachricht im Dossier «Vernebelt» meiner Kollegin Virginia<br />

Nolan: Es wird weniger Hasch geraucht als noch vor zehn<br />

Jahren. Die schlechte: Zwar hat nur eine Minderheit ein<br />

Suchtproblem. Aber die, die es betrifft, werden immer<br />

jünger. Und: Wer früh, also mit 12, 13 Jahren zu kiffen<br />

beginnt, läuft Gefahr, die Entwicklung seines Gehirns zu<br />

beeinträchtigen, seine kognitiven Fähigkeiten dauerhaft<br />

einzuschränken.<br />

Wenn es ums Thema Kiffen geht, wünschen sich Eltern vor allem eins:<br />

Antworten. Und Aufklärung. Wir liefern beides – ab Seite 10.<br />

***<br />

Meine zweite Leseempfehlung: der aufwühlende Bericht einer Mutter über<br />

das Leben ihrer magersüchtigen Tochter. Als Lea noch 30 Kilo wog, sagten<br />

die Ärzte: «Lassen Sie Ihre Tochter los. Sie muss selber entscheiden, ob sie<br />

leben oder sterben will.» Eine Geschichte zwischen Hoffnung und Verzweiflung,<br />

die zum Glück gut ausgeht – ab Seite 36.<br />

***<br />

Sein Markenzeichen ist sein «gelassener Optimismus», dass Eltern nicht<br />

perfekt sein müssen, um ihre Kinder dennoch gut zu erziehen, seine Botschaft:<br />

Jesper Juul ist einer der bedeutendsten Familientherapeuten Europas<br />

und Bestsellerautor. Ab heute schreibt er regelmässig für das Schweizer<br />

ElternMagazin.<br />

Das Thema seiner ersten Kolumne: Mobbing. Der wichtigste Satz: «Mobbing<br />

beginnt nicht in den Köpfen der Kinder.» Jesper Juul – ab Seite 42.<br />

Ich wünsche Ihnen viel Lesevergnügen und Glück an allen Tagen.<br />

Herzlichst, Ihr Nik Niethammer<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

Februar <strong>2016</strong>3


Inhalt<br />

Ausgabe 2 / Februar <strong>2016</strong><br />

Viele nützliche Informationen finden Sie auch auf<br />

fritzundfraenzi.ch und<br />

facebook.com/fritzundfraenzi.<br />

Augmented Reality<br />

Überall, wo Sie dieses Zeichen sehen, erhalten Sie digitalen<br />

Mehrwert im Heft. Hinter dem ar-Logo verbergen sich Videos<br />

und Zusatzinformationen zu den Artikeln.<br />

Psychologie & Gesellschaft<br />

35 Notrufnummer 147<br />

Die Anlaufstelle von Pro Juventute für<br />

Jugendliche in Not – vertraulich, kostenlos<br />

und rund um die Uhr.<br />

36 «Sie wog nur noch 30 Kilo»<br />

Leas Mutter musste zusehen, wie sich<br />

ihr Kind fast zu Tode gehungert hat.<br />

Eine Geschichte zwischen Hoffnung und<br />

Verzweiflung.<br />

Auch folgende Anzeige bietet Augmented Reality:<br />

BMW, Seite 76<br />

10<br />

Dossier: Kiffen<br />

Bild: Herbert Zimmermann / 13 Photo<br />

10 Vernebelt<br />

Experten sind sich uneins, wie schädlich der<br />

Cannabiskonsum ist. Für viele Jugendliche<br />

gehört er aber längst zum Alltag.<br />

Hier erzählen sie, warum.<br />

24 «Wer jung beginnt, hat ein Problem»<br />

Suchtexperte Oliver Berg im Interview.<br />

26 Mein Kind kifft – was nun?<br />

Gelassen bleiben, sagen Fachleute. Und<br />

keinen Druck ausüben.<br />

29 Zahlen und Fakten<br />

Kiffen heute mehr Jugendliche als früher?<br />

Cover<br />

«Ich kiffe, weil es Spass<br />

macht.» Für dieses Dossier<br />

haben wir uns mit<br />

Jugendlichen im<br />

Jugendzentrum<br />

Richterswil ZH getroffen.<br />

Bilder: Herbert Zimmermann / 13 Photo, Daniel Auf der Mauer / 13 Photo, Filipa Peixeiro / 13 Photo<br />

4


30<br />

36<br />

44<br />

Herr Roos, wie werden Familien in Zukunft<br />

leben?<br />

Lea hat sich fast zu Tode gehungert.<br />

Ihre Mutter erzählt.<br />

Wenn alles neu und fremd ist: Zu Besuch<br />

in einer Asylschule in Luzern.<br />

Erziehung & Schule<br />

44 Schule im Asylzentrum<br />

Wie Flüchtlinge innerhalb kürzester<br />

Zeit auf die Regelschule vorbereitet<br />

werden sollen – ein Besuch in der<br />

Asylschule.<br />

48 Über Geld spricht man doch ...<br />

denn Kinder brauchen Orientierung.<br />

Wie man Finanzen in der Familie<br />

thematisiert.<br />

50 Bildung kostet<br />

Wer an der Schule spart, wird<br />

Folgekosten zu tragen haben, sagt<br />

der Dachverband Lehrerinnen<br />

und Lehrer Schweiz.<br />

54 ADHS-Serie, Teil 5<br />

Oft haben ADHS-Kinder in der Schule<br />

einen schweren Stand: beim Lernen,<br />

mit den Lehrpersonen und den<br />

Kameraden. Wie sie unterstützt<br />

werden können.<br />

Ernährung & Gesundheit<br />

62 Das Kariesmonster<br />

Wir sind Weltmeister im Zähneputzen.<br />

Aber wir lieben eben auch Süssigkeiten.<br />

Digital & Medial<br />

64 «Online war ich ein anderer»<br />

Das Internet kann süchtig machen, wie<br />

das Beispiel von Simon zeigt. Wie Eltern<br />

einer Sucht vorbeugen.<br />

67 Mixed Media<br />

69 Jomo statt Fomo<br />

Warum es Spass machen kann, nicht<br />

immer erreichbar zu sein.<br />

Rubriken<br />

03 Editorial<br />

06 Entdecken<br />

30 Monatsinterview<br />

Zukunftsforscher Georges T. Roos<br />

weiss, wie sich Familienmodelle in den<br />

kommenden Jahren verändern werden.<br />

42 Jesper Juul<br />

Familientherapeut Jesper Juul erklärt,<br />

wie es zu Mobbing an Schulen kommt<br />

und was Lehrer und Eltern tun können.<br />

49 Michèle Binswanger<br />

«Eines spinnt immer.»<br />

52 Fabian Grolimund<br />

Wie Eltern mit ihren Kindern über<br />

Ängste sprechen.<br />

58 Stiftung Elternsein<br />

Ellen Ringier über Flüchtlinge und<br />

Parallelgesellschaften.<br />

60 Leserbriefe<br />

74 Eine Frage – drei Meinungen<br />

Darf ein Vater seinem Kind verbieten,<br />

zu rauchen, wenn er selber qualmt?<br />

Service<br />

59 Verlosung<br />

70 Unser Wochenende …<br />

… auf dem Schlitten.<br />

72 Impressum<br />

73 Buchtipps<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

Februar <strong>2016</strong>5


Entdecken<br />

«Nach einer verbreiteten Ansicht bedeutet erwachsen zu werden, dass man auf<br />

die eigenen Hoffnungen und Träume verzichtet und sich mit der Realität abfindet.<br />

Ich finde das nicht erwachsen, sondern trostlos.»<br />

Die US-amerikanische Philosophin Susan Neiman im Wirtschaftsmagazin «brand eins».<br />

Swing it Kids!, das sind 15 Kinder aus dem Bodenseegebiet<br />

zwischen 10 und 16 Jahren, die seit Jahren mit<br />

ihrem Bandleader, dem japanischen Trompeter Dai<br />

Kimoto, jeweils in den Schulferien rund um die Welt<br />

Big-Band- und Jazzmusikkonzerte geben. Kimotos<br />

Sohn Fabian hat die Band bei ihren Auftritten in<br />

Japan, Amerika und Argentinien begleitet und daraus<br />

einen Dokumentarfilm gedreht. Dieser feiert an den<br />

Solothurner Filmtagen Premiere und ist ab dem<br />

11. Februar auch in den Kinos zu sehen.<br />

Bilder: ZVG<br />

Nicht ohne meinen<br />

Schlüsselbund<br />

Weitere Infos und Trailer auf<br />

www.swingkidsfilm.ch<br />

Laden und<br />

starten Sie die<br />

Fritz+Fränzi-App,<br />

scannen Sie diese Seite<br />

und sehen Sie den<br />

Trailer zu<br />

«Swing it Kids!».<br />

«Zu Hause Gutes tun und sich für unser Land<br />

einsetzen», das wollen sechs Gymnasiasten aus<br />

Zürich mit ihrem Schlüsselband UTurn. Von jedem<br />

verkauften Band werden drei Franken an die<br />

Stiftung Kinder in der Schweiz gespendet. Hergestellt<br />

werden die Bänder von einer sozialen Institution in<br />

der Schweiz. Die Stoffe, die sie verwenden, sind<br />

rezyklierte Rest- und Abfallprodukte aus Stoffläden.<br />

So haben die pfiffigen Jungunternehmer bereits für<br />

die Brustkrebsorganisation Pink Ribbon Schweiz<br />

300 Schlüsselbänder genäht. In Planung ist<br />

eine Dance Edition aus alten Jeans des Startänzers<br />

Chris von DJ Bobo. Die Anhänger können individuell<br />

angefertigt und beschriftet werden.<br />

www.uturn-online.ch<br />

6 Februar <strong>2016</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


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Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

Februar <strong>2016</strong>7


Entdecken<br />

«Und? Wie wars in der Schule?» – «Gut.»<br />

«Jeden Tag entlocke ich meinem Sohn neue, aufregende Details.»<br />

Heiko Bielinski auf Twitter<br />

Der kleine Unterschied<br />

Das Tanzhaus Zürich beschäftigt sich im Februar mit dem Thema<br />

Geschlecht und Identität bei Kindern. Was heisst es, ein Junge oder ein<br />

Mädchen zu sein? Und warum ist auf Bäume klettern gerade für Jungs<br />

toll? Die Schweizer Tänzerin und Regisseurin Tabea Martin, 37, nennt ihre<br />

Inszenierung denn auch folgerichtig «Pink for Girls und Blue for Boys». Sie<br />

möchte vor allem die Kinder ermutigen, den Rollenstereotypen zu<br />

entfliehen – und das zu tun, was zur Persönlichkeit passt, und nicht das,<br />

was andere erwarten. Für alle Kinder ab 6 Jahren.<br />

www.tanzhaus-zuerich.ch<br />

3 FRAGEN<br />

an Charlotte Schweizer,<br />

Mediensprecherin Unicef Schweiz<br />

«Wie kinderfreundlich sind Schweizer<br />

Gemeinden?»<br />

Mit dem Label «Kinderfreundliche Gemeinde» zeichnet Unicef<br />

Gemeinden aus, die sich für die vollumfängliche Umsetzung der<br />

Kinderrechtskonvention auf kommunaler Ebene einsetzen.<br />

Kürzlich wurde die Gemeinde Wil SG damit ausgezeichnet.<br />

Interview: Claudia Landolt<br />

Bilder: ZVG<br />

Die Kunsthalle Zürich widmet sich im Februar mit der<br />

Ausstellung «The Playground Project» der Geschichte des<br />

Spielplatzes. Dabei wird mittels Fotos, Filmen und<br />

Modellen die rund 100-jährige Geschichte illustriert. Laut<br />

Kuratorin Gabriela Burkhalter gibt es aber auch<br />

Strukturen für das aktive, freie Spiel, wie etwa den<br />

Lozziwurm, Kletterseile und modulare Spielelemente für<br />

Kinder (und Erwachsene) jeden Alters.<br />

Ab 20. Februar <strong>2016</strong>, weitere Infos auf<br />

www. kunsthallezurich.ch/de/<br />

playground-project.<br />

Frau Schweizer, was wünschen sich Kinder von ihrer Gemeinde?<br />

Kinder wollen sich frei bewegen können, deshalb sind sichere<br />

Schulwege und Strassenübergänge wichtig. Viele schätzen auch<br />

den spontanen Zugang zum Wald, zur Badi, zu Fussball- und<br />

Spielplätzen. Es können aber auch kleine Dinge sein wie zum<br />

Beispiel Nistkästen für Vögel – oder Türglocken, die nicht zu hoch<br />

hängen.<br />

Augenhöhe 1,20 m als Massstab?<br />

Sich in diese Lage zu versetzen, ist sicher hilfreich, denn auf<br />

dieser Höhe sieht die Welt einfach anders aus. Im ebenfalls<br />

ausgezeichneten Basel zum Beispiel dekorierte eine Kindergärtnerin<br />

ihren Raum nicht selbst, sondern liess die Kinder ihn<br />

mitgestalten. Die Dinge hängen nun auf Höhe der Kinderaugen –<br />

und die Kinder findens prima.<br />

Was hat Wil, was andere Gemeinden oder Städte nicht haben?<br />

Wil ist bestrebt, Kinder und Jugendliche als gleichberechtigte<br />

Akteure in das gesellschaftliche und politische Leben der<br />

Gemeinde miteinzubeziehen. Unicef möchte sensibilisieren<br />

und Denkanstösse für ein kinderfreundliches Umfeld geben, in<br />

welchem Kinder ihr Potenzial optimal ausschöpfen können.<br />

Eine Stadt, die unsere Auszeichnung nicht vorweist, ist nicht<br />

per se eine kinderunfreundliche Stadt.<br />

Weitere Informationen über die Unicef-Initiative auf<br />

www.kinderfreundlichegemeinde.ch<br />

8 Februar <strong>2016</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Das Gordon-Training bewirkt, respektvolle Beziehungen<br />

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Dossier<br />

Vernebelt<br />

Wie schädlich ist Kiffen wirklich? Experten streiten sich darüber.<br />

Viele fordern ein Verbot, andere die Legalisierung von Cannabis<br />

– oft sogar im Namen des Jugendschutzes. Eltern wünschen sich<br />

vor allem eines: Antworten. Und Aufklärung.<br />

Text: Virginia Nolan Bilder: Herbert Zimmermann / 13 Photo<br />

10 Februar <strong>2016</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Dossier<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

Februar <strong>2016</strong>11


Dossier<br />

Für dieses Dossier hat sich unsere Autorin<br />

Virgina Nolan mit Jugendkoordinator<br />

Daniele Gasparini und Jugendlichen im<br />

Jugendzentrum Richterswil ZH getroffen, um<br />

mit ihnen über das Kiffen zu sprechen. Sie<br />

tun dies unter falschem Namen.<br />

Wer den Joint<br />

gebaut hat, darf<br />

als Erster daran<br />

ziehen. Wer das<br />

Gras besorgte,<br />

kommt als Zweiter dran. Das seien<br />

ungeschriebene Gesetze, sagt Marco,<br />

und anständige Kiffer hielten sich<br />

daran. «Kiffen ist etwas Kollegiales»,<br />

findet der 16-Jährige, «da macht<br />

man nicht auf Ego.» Heute mag<br />

Marco nicht mitrauchen. Er gibt den<br />

Joint an Leyla weiter, die damit ihr<br />

Wochenende einläutet. In ihrem<br />

Lehrberuf betreut sie Kinder, Kiffen<br />

an Werktagen, sagt sie, sei für sie<br />

darum tabu. Anna und Leyla haben<br />

neue Freunde, seitdem sie kiffen.<br />

«Die alten waren damals voll dagegen»,<br />

sagen sie, und Anna lacht:<br />

«Heute kiffen sie selber.»<br />

Cannabis ist in der Schweiz die<br />

am meisten konsumierte illegale<br />

Droge – und, wie Sucht Schweiz<br />

festhält, «ein Phänomen der Ju -<br />

gend». Medienberichte, wonach das<br />

Rauschmittel immer stärker und<br />

Kiffer immer jünger werden, verunsichern<br />

Eltern. Experten warnen vor<br />

Schäden: Cannabis führe zu Psychosen,<br />

mache dumm und ausserdem<br />

anfällig für härtere Drogen. Alles<br />

falsch, sagen Cannabisbefürworter,<br />

Kiffer seien mindestens so schlau<br />

wie abstinente Altersgenossen und<br />

die These zur Einstiegsdroge eine<br />

längst widerlegte Mär.<br />

Was stimmt denn nun?<br />

Dieses Dossier will informieren, aufklären,<br />

einordnen. Wir haben die<br />

neusten Zahlen zusammengetragen,<br />

mit Fachleuten gesprochen – und wir<br />

lassen Jugendliche zu Wort kommen.<br />

Wir haben sie im Jugendzentrum der<br />

Zürcher Seegemeinde Richterswil<br />

getroffen. Sie reden unter falschem<br />

Namen, wegen der Lehrstelle, aber<br />

auch wegen der Eltern, die nicht<br />

schwarz auf weiss lesen sollen, dass<br />

der Sohn oder die Tochter Cannabis<br />

raucht.<br />

Eine Stunde Weltfrieden<br />

Nico und seine Freunde bestellen<br />

Pizza, sie lachen, wegen des Klischees,<br />

das sie damit bedienen: Kiffer<br />

haben ständig Hunger. Dazu<br />

kommt Nico ein Witz in den Sinn:<br />

«Würde sich die ganze Welt einen<br />

Joint anzünden, hätten wir eine<br />

Stunde Weltfrieden – und danach<br />

akute Lebensmittelknappheit.» Alle<br />

lachen. >>><br />

Cannabis ist die am meisten<br />

konsumierte illegale Droge –<br />

und ein Phänomen der Jugend.<br />

12 Februar <strong>2016</strong>


Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Februar <strong>2016</strong>13


Dossier<br />

14 Februar <strong>2016</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Dossier<br />

Eine Minderheit der Kiffer hat ein<br />

Suchtproblem. Aber die, die es<br />

betrifft, werden immer jünger.<br />

>>> Warum kifft ihr? «Weil es<br />

chillig ist», sagt Fernando, «es entspannt.»<br />

«Es geht ums Zusammensein»,<br />

findet Leyla, «beim Kiffen<br />

haben wir tiefgründige Gespräche.»<br />

Es sind Experimentierfreude und<br />

Neugierde, die Jugendliche zum<br />

Joint greifen lassen, mitunter auch<br />

Gruppendruck und der Reiz des<br />

Illegalen, weiss Daniele Gasparini,<br />

seit 20 Jahren Jugendkoordinator in<br />

Richterswil. Der 63-Jährige hat viele<br />

Trends kommen und gehen sehen.<br />

Kiffen, sagt er, sei ein zeitloses Phänomen.<br />

Gasparini hat nicht den Eindruck,<br />

dass heute mehr Jugendliche<br />

kiffen als früher. Die Statistik gibt<br />

ihm recht: So gaben im Zuge der<br />

international durchgeführten<br />

Gesundheitsumfrage HSBC (Health<br />

Behaviour in School-aged Children)<br />

im Jahr 20<strong>02</strong> rund 37 Prozent aller<br />

15-jährigen Schülerinnen in der<br />

Schweiz an, mindestens einmal in<br />

ihrem Leben gekifft zu haben – 2014<br />

waren es noch 19 Prozent. Bei den<br />

gleichaltrigen Knaben ging die Zahl<br />

im selben Zeitraum von 46 Prozent<br />

sogar auf 30 Prozent zurück (vgl.<br />

Infografiken auf Seite 29).<br />

An den Konsummotiven, glaubt<br />

Gasparini, habe sich dagegen nicht<br />

viel geändert. Eine Schlüssel- >>><br />

Ich erzähle<br />

«Ich kiffe, weil es<br />

Spass macht»<br />

KV-Lehrling Marco, 16, ist<br />

Gelegenheitskiffer. Manchmal<br />

raucht er wochenlang nicht.<br />

«Zum ersten Mal gekifft habe ich<br />

mit 14 im Schullager. Ich spürte<br />

fast nichts. Beim zweiten Anlauf<br />

ein paar Monate später klappte es<br />

besser, es war sehr lustig.<br />

Ich bin Hip-Hop-Fan, und bei<br />

Rappern ist Marihuana ein Riesenthema.<br />

Das allein wäre für<br />

mich kein Grund zum Kiffen: Mitmachen,<br />

weil es dazugehört.<br />

Gruppendruck zieht bei mir nicht.<br />

Ich kiffe, weil es Spass macht.<br />

Letzthin waren wir an einer Hip-<br />

Hop-Party. Dann läuft diese geile<br />

Musik, deine Freunde sind da, alle<br />

sind ein bisschen high, jeder tanzt<br />

– da spürst du es einfach voll,<br />

wenn du weisst, was ich meine.<br />

Das ist unbeschreiblich.<br />

Eine Zeit lang hatte ich es übertrieben,<br />

mehrmals unter der<br />

Woche gekifft. Ich machte mir<br />

deswegen nicht wahnsinnig<br />

Gedanken. Aber da war nun doch<br />

häufiger der Drang, eins zu rauchen,<br />

das stresste mich. Zudem<br />

muss ich das Kiffen vor meinen<br />

Eltern verstecken. Das bereitete<br />

mir ein schlechtes Gewissen. Also<br />

reduzierte ich.<br />

Heute kiffe ich manchmal<br />

wochenlang nicht. Jetzt, da ich in<br />

der Lehre bin, könnte ich es mir<br />

anders auch nicht leisten. Ich<br />

glaube, meine Mutter ist mir auf<br />

die Schliche gekommen. Bis jetzt<br />

hat sie mich aber nicht aufs Kiffen<br />

angesprochen, ich hoffe, dass das<br />

so bleibt. Nur schon beim Gedanken<br />

an eine Familiensitzung zum<br />

Thema ergreife ich die Flucht. Ich<br />

gebe meinen Eltern auch keinen<br />

Anlass zur Sorge: Ich war ein<br />

guter Sekundarschüler, auch jetzt<br />

in der Lehre läuft es rund, und<br />

körperlich bin ich im Schuss.<br />

Das Klischee des antriebslosen<br />

Kiffers stört mich. Wenn mein<br />

Kumpel Flurin und ich kiffen, wollen<br />

wir auch was erleben. Wenn<br />

wir nicht in den Ausgang gehen,<br />

suchen wir draussen einen Platz<br />

fürs Zusammensitzen, statt mit<br />

dem Joint auf dem Sofa herumzuhängen.<br />

Das ist uns zu dumm.»<br />

15


Dossier<br />

>>> rolle spiele beispielsweise der<br />

Wunsch, irgendwo dazuzugehören:<br />

«Mit dem Kiffen unterstreichen<br />

Jugendliche ihre Zugehörigkeit zu<br />

einer bestimmten Gruppe.» So<br />

gehöre in gewissen Szenen wie der<br />

Hip-Hop- oder der Reggae-Kultur<br />

Cannabiskonsum zur Gruppenkultur,<br />

genauso wie bestimmte Redensarten<br />

oder der Kleidungsstil Ausdruck<br />

davon seien.<br />

Wo aber liegt die Grenze zwischen<br />

Jugendkultur und Sucht?<br />

«Wenn Leute allein kiffen, stimmt<br />

etwas nicht», finden Leyla und<br />

Anna. Und: Wer nur noch an den<br />

nächsten Joint denke, der habe ein<br />

Problem.<br />

Werte vermitteln statt Druck<br />

aufbauen<br />

So einer, sagt Caroline, sei ihr Sohn.<br />

Die 50-jährige Anwältin hat zu<br />

ihrem Teenager die Verbindung verloren:<br />

«Er schiesst sich jeden Tag mit<br />

einem Joint weg. Was dann im Zimmer<br />

hockt – teilnahmslos, lethargisch,<br />

mit einer Mir-ist-alles-egal-<br />

Haltung –, das ist nicht mehr mein<br />

Sohn.» Auch Flurin und seine Freunde<br />

kennen solche Fälle. «Wer so<br />

abstürzt», glaubt Flurin, «will mit<br />

dem Kiffen Probleme verdrängen,<br />

die er schon vorher hatte: die abgebrochene<br />

Lehre, Konflikte zu Hause,<br />

sowas.» Diese Tendenz bestätigt Gasparini.<br />

Der Jugendarbeiter betont aber,<br />

dass es zur Definition des «Problemkiffers»<br />

keine allgemeingültigen Kriterien<br />

gebe. «Oft reduzieren Eltern<br />

normale pubertäre Erscheinungen<br />

aufs Kiffen, zum Beispiel, wenn ein<br />

Jugendlicher viel schläft und oft<br />

Mit dem Kiffen unterstreichen<br />

Jugendliche ihren Wunsch, zu<br />

einer Gruppe dazuzugehören.<br />

müde ist.» Überhaupt beschränkten<br />

sich Erwachsene viel zu häufig darauf,<br />

von Jugendlichen Abstinenz zu<br />

fordern, statt sie nach ihrem Befinden<br />

zu fragen. Gasparini nennt das<br />

Symptombekämpfung, die vergesse,<br />

nach Ursachen zu forschen. «Wir<br />

sollten uns vielmehr dafür interessieren,<br />

wie es Jugendlichen geht»,<br />

fordert er, «und zwar nicht erst dann,<br />

wenn sie Probleme haben. Prävention<br />

heisst Beziehungsarbeit.»<br />

Christian Kalt ist Leiter der Klinik<br />

für Suchttherapie im aargauischen<br />

Neuenhof, die auch Minderjährige<br />

beim Entzug begleitet.<br />

«Unsere jugendlichen Patienten<br />

haben meist fürsorgliche Eltern»,<br />

sagt Kalt, «sie geben ihr Bestes, aber<br />

sie haben zu wenig Zeit.» Die Schuld<br />

dafür gibt Kalt weniger den Eltern<br />

als einer leistungsorientierten<br />

Gesellschaft, die den Takt vorgibt<br />

und diktiert, was als erstrebenswert<br />

gilt: Erfolg, und zwar sichtbarer.<br />

«Heute sind viele Mütter und Väter<br />

besessen von der Angst, das Kind<br />

könnte sich nicht optimal entwickeln.»<br />

Eltern forderten von ihrem Kind<br />

die Leistungsbereitschaft, die sie<br />

selbst an den Tag legten. Demzufolge<br />

seien die Ansprüche an den Nachwuchs<br />

immens, ebenso das Risiko,<br />

an diesen zu scheitern. «Und weil<br />

alle so beschäftigt sind, ist dann niemand<br />

da, um das Kind aufzufangen»,<br />

sagt Christian Kalt. «Kein<br />

Wunder, muss es als Jugendlicher<br />

irgendwann Dampf ablassen.» Im<br />

schlechtesten Fall seien Drogen das<br />

Ventil. Die beste Prävention sei darum<br />

Zeit, die Eltern ihren Kindern<br />

schenken könnten, und eine Erziehung,<br />

die Werte stärker gewichte als<br />

bare Leistung.<br />

Wenn der Schuss nach hinten<br />

losgeht<br />

«Ich würde Cannabis nicht als Einstiegsdroge<br />

bezeichnen», sagt Klinikleiter<br />

Kalt. Viele der Patienten, die<br />

wegen sogenannt harter Drogen zum<br />

Entzug vorstellig würden, hät- >>><br />

16 Februar <strong>2016</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Cannabis<br />

Formen und Fakten<br />

Hanf (lateinisch Cannabis) gehört zu<br />

den ältesten Nutzpflanzen der Welt. Aus<br />

ihr werden etwa Fasern oder Speiseöl<br />

gewonnen. Die Hanfpflanze hat über<br />

450 verschiedene Wirkstoffe, 70 davon<br />

sind sogenannte Cannabinoide, die auch<br />

in der Medizin zum Einsatz kommen.<br />

Das psychoaktive Tetrahydrocannabinol<br />

(THC) ist vor allem für seine berauschende<br />

Wirkung bekannt.<br />

Wegen ihres hohen THC-Gehalts<br />

werden für Drogenhanf weibliche Hanfpflanzen<br />

verwendet. Durch ausgefeilte<br />

Anbaumethoden in sogenannten Indoor-<br />

Plantagen ist der THC-Gehalt von Cannabisprodukten<br />

in den letzten Jahren stark<br />

gestiegen – Maximalwerte kommen auf<br />

fast 30 Prozent. Getrocknete Blüten und<br />

manchmal auch Blätter der weiblichen<br />

Hanfpflanze kommen als Marihuana,<br />

Gras, Weed oder Ganja in den Handel.<br />

Ihr Aussehen ähnelt dem von Tee oder<br />

getrockneten Kräutern. Marihuana wird<br />

meist – pur oder mit Tabak vermischt<br />

– in einem Joint geraucht. Es enthält<br />

durchschnittlich etwas über 10 Prozent<br />

THC.<br />

Das Harz der weiblichen Hanf-<br />

Blütenstände wird als Haschisch, Piece<br />

oder Dope bezeichnet. Haschisch hat<br />

eine dunkle Farbe, seine Konsistenz<br />

kann bröcklig oder fest sein. Für den<br />

Verkauf wird es zu Platten oder Klumpen<br />

gepresst. Haschisch enthält etwas mehr<br />

THC als Marihuana, üblicherweise etwa<br />

12 bis 13 Prozent. Meist wird es geraucht,<br />

kann aber – wie Marihuana – auch via<br />

Wasserpfeife (Bong) konsumiert werden.<br />

Cannabisöl ist in der Schweiz wenig<br />

verbreitet. Es wird durch ein aufwendiges<br />

Destillationsverfahren gewonnen und hat<br />

einen THC-Gehalt von über 50 Prozent.<br />

Es wird Tabak, Getränken oder Speisen<br />

beigemischt – die meisten Jugendlichen<br />

kennen Space Cakes, selbst gebackene<br />

Guetzli mit berauschender Wirkung.<br />

Cannabisöl bewirkt intensive Rauschzustände,<br />

die Dosis ist allerdings nur<br />

schwer kontrollierbar.<br />

Unter Bezeichnungen wie Spice oder<br />

Smoke sind synthetisch hergestellte<br />

Cannabinoide im Umlauf. Sie werden<br />

als Kräutermischungen verkauft, die<br />

angeblich als Raumduft wirken sollen. In<br />

der Tat werden diese Mischungen allerdings<br />

meist geraucht. Künstliche Cannabinoide<br />

sind gefährlich, weil sie stärker<br />

wirken als natürliches Cannabis und ihre<br />

Konzentration stark variieren kann.<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

Februar <strong>2016</strong>17


Dossier<br />

Je früher jemand mit Kiffen<br />

beginnt, desto häufiger sollte<br />

er konsumfreie Tage einlegen.<br />

>>> ten keine Erfahrung mit Kiffen.<br />

Auch betont er, dass die meisten<br />

Jugendlichen zwar irgendwann mit<br />

Cannabis experimentieren, aber die<br />

wenigsten von ihnen einen problematischen<br />

Konsum entwickeln.<br />

«Das ändert jedoch nichts an der<br />

Tatsache, dass die Gefahren des Kiffens<br />

unterschätzt werden.»<br />

Laut dem Suchtexperten sind es<br />

folgende:<br />

Ein überhöhter THC-Gehalt: Das<br />

Cannabis, welches heute im Umlauf<br />

ist, hat nichts mehr mit dem Kraut<br />

zu tun, das noch vor 20 Jahren<br />

geraucht wurde. Der Gehalt am<br />

Wirkstoff THC, der den Rausch<br />

bewirkt, ist bis zu fünfmal höher.<br />

Wer regelmässig eine solche Dosis<br />

konsumiert, kann den Alltag vermutlich<br />

irgendwann nicht mehr<br />

bewältigen. So ist es nicht erstaunlich,<br />

dass sich in der Suchtklinik<br />

Neuenhof die Anmeldungen von<br />

Jugendlichen häufen, die nicht<br />

Alkohol oder Kokain, sondern Cannabis<br />

aus der Bahn warf.<br />

Risiko für junge Konsumenten: Auf<br />

dem Spiel steht nicht nur ihr Platz in<br />

der Gesellschaft, sondern auch die<br />

Gesundheit der Jugendlichen. So<br />

sind Forscher zumindest einhellig<br />

der Meinung, dass sich Kiffen bei<br />

sehr jungen Konsumenten, die mit<br />

12 bis 13 Jahren anfangen, negativ<br />

auf die Gehirnentwicklung auswirken<br />

kann. Jugendliche mit psychischer<br />

Vorbelastung sind >>><br />

Ich erzähle<br />

«High macht frei»<br />

Valentin, 16, suchte im Gras<br />

seinen Seelenfrieden.<br />

Heute steht er vor einem<br />

Scherbenhaufen.<br />

«Das ist mein zweiter Anlauf in der<br />

Klinik, das erste Mal bin ich rausgeflogen.<br />

Die Behörden haben mich<br />

erneut zum Entzug gezwungen,<br />

mittlerweile würde ich die Sache<br />

aber auch freiwillig durchziehen.<br />

Zu Beginn meiner Lehre als<br />

Koch zog ich in ein Heim für betreutes<br />

Wohnen, weil ich mit meinen<br />

Eltern verkracht war. Dort lernte ich<br />

Joints zu bauen, und bald rauchte<br />

ich nicht mehr mit, um dazuzugehören,<br />

sondern weil sich mir eine<br />

neue Welt eröffnet hatte: High<br />

macht frei. Ich verstand nicht, warum<br />

die Gesellschaft etwas verurteilt,<br />

das mir den inneren Frieden<br />

verschaffte. Ich wiederum verurteilte<br />

jeden, der mir meinen Frieden<br />

wegnehmen wollte. Etwa meine<br />

Eltern. Sie machten anfangs einen<br />

Riesenaufstand wegen dem Kiffen,<br />

mit der Zeit gingen sie auf Distanz.<br />

Zunächst kiffte ich nur abends<br />

und am Wochenende. Mein Chef<br />

wusste davon, er akzeptierte es,<br />

weil ich bei der Arbeit zuverlässig<br />

war. Dann gab es Umstrukturierungen,<br />

ich musste meine Lehre<br />

anderswo fortsetzen. Dann ging es<br />

bergab. Ich begann auch am Morgen<br />

zu kiffen, kam in eine Art Dämmerzustand.<br />

Nur schon wenn einer<br />

zu laut «Guten Morgen» sagte, hätte<br />

ich ihm die Fresse polieren können.<br />

Logisch, dass man mich rauswarf.<br />

Auch im Wohnheim gab es<br />

Stress. Ich zog zu Kollegen, konnte<br />

mich zu nichts mehr aufraffen.<br />

Mittlerweile ging es mir nicht mehr<br />

darum, einen schönen Flash zu<br />

haben, ich wollte nur noch mein<br />

Hirn ausschalten, begann, Gras und<br />

Koks zu kombinieren. Geld konnte<br />

ich meist irgendwie beschaffen –<br />

wie, tut nichts zur Sache. Ich litt an<br />

Verfolgungswahn, war völlig kaputt<br />

und sah auch so aus. Kein Wunder,<br />

dass ich den Bullen ins Netz ging.<br />

Das Schlimmste an der Sucht<br />

ist, dass du dich gegen die wendest,<br />

die dir helfen wollen. Mein Entzug<br />

ist bald zu Ende. Mit dem Kiffen<br />

aufzuhören, ist keine grosse Sache,<br />

körperlich spürst du nicht viel. Für<br />

die Zukunft bin ich guter Dinge. Ich<br />

will meine Lehre fortsetzen. Alles<br />

andere lasse ich auf mich zukommen.<br />

Vielleicht ziehe ich irgendwann<br />

wieder mal an einem Gräschen.<br />

Wenn du ab und zu einen<br />

Joint geniesst und das Zeug am<br />

nächsten Tag wieder beiseitelegen<br />

kannst, hast du es wirklich ge ­<br />

schafft.»<br />

18 Februar <strong>2016</strong>


Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Februar <strong>2016</strong>19


Dossier<br />

20 Februar <strong>2016</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Dossier<br />

>>> ebenfalls gefährdet (vgl. In -<br />

ter view auf Seite 24).<br />

Verlockender Mischkonsum: Drogen<br />

sind heute nicht nur billiger,<br />

sondern auch einfach zu beschaffen.<br />

Auf der Strasse können Jugendliche<br />

fast alles haben. Zugenommen hat<br />

demzufolge vor allem der Mischkonsum<br />

von Alkohol mit Kokain<br />

und synthetischen Partydrogen,<br />

aber auch Marihuana.<br />

Auf die Frage, ob Kiffer tatsächlich<br />

immer jünger werden, hat die<br />

Statistik keine eindeutige Antwort.<br />

Die aktuellsten Zahlen des Schweizerischen<br />

Cannabismonitorings<br />

stammen aus dem Jahr 2010. Im<br />

Bericht wird das durchschnittliche<br />

Einstiegsalter mit 15,8 Jahren angegeben.<br />

Im Vergleich dazu waren<br />

Jugendliche 2004 bei ihrem ersten<br />

Joint etwas älter, nämlich 16,5 Jahre.<br />

Die HSBC-Studie aus dem Jahr 2015<br />

lässt die Frage zum Einstiegsalter<br />

unbeantwortet. Für Suchtexperte<br />

Kalt steht aber fest: «Zwar hat nur<br />

eine Minderheit der Kiffer ein<br />

Suchtproblem – aber die, die es<br />

betrifft, werden immer jünger.» Das<br />

gelte, sagt Kalt, jedoch für jegliche<br />

Arten von Substanzmissbrauch: von<br />

Alkohol über Cannabis bis hin zu<br />

härteren Drogen.<br />

Harte Drogen, sagt Marco, hätten<br />

er und seine Freunde noch nie probiert.<br />

Angeboten wurden sie jedoch<br />

allen schon. Besonders vor synthetischen<br />

Drogen, sagen die Jugendlichen,<br />

hätten sie Angst, sei deren<br />

Wirkung doch kaum abzuschätzen.<br />

Aber auch ein gewöhnlicher Joint<br />

kann schwere Folgen haben. >>><br />

Literaturtipp<br />

Die Broschüre Im Fokus –<br />

Cannabis kann bei Sucht Schweiz<br />

heruntergeladen werden:<br />

www.suchtschweiz.ch (im Suchfeld<br />

Artikelnummer 20.0034 eingeben).<br />

Oder kostenlos bestellt werden:<br />

info@suchtschweiz.ch.<br />

Ich erzähle<br />

«Jetzt<br />

übertreibst du»<br />

Leyla und Anna, beide 18, haben<br />

zusammen angefangen zu<br />

kiffen. Während Lehrtochter<br />

Leyla nur am Wochenende<br />

raucht, ist Gymnasiastin Anna<br />

nicht so streng mit sich.<br />

Leyla: «Ich kiffe jedes Wochenende.<br />

Unter der Woche geht es nicht,<br />

ich arbeite mit Kindern. Am meisten<br />

schätze ich dabei das Zusammensein<br />

mit Freunden. Wir führen<br />

oft tiefgründige Gespräche, kommen<br />

auf Themen, über die wir<br />

sonst vielleicht nicht reden würden.<br />

Ich würde niemals allein kiffen.<br />

Ich glaube, meine Eltern wissen<br />

Bescheid. Aber ich bin eine<br />

Meisterin der Ausreden. Letzthin<br />

kam ich von einer Party nach Hause<br />

und zwar ziemlich bekifft. Als ich<br />

im Bett lag, kam zuerst die Mutter<br />

ins Zimmer, dann der Vater. Sie<br />

haben mich nur stumm betrachtet,<br />

ich stellte mich schlafend. Dummerweise<br />

hatte ich mein Gras da<br />

hingeworfen, wo es die Mutter morgens<br />

vermutlich gesehen hat. Zu<br />

einer Aussprache ist es bisher<br />

nicht gekommen. Jüngst machte<br />

ich mir Sorgen um Anna. Sie kiffte<br />

einfach zu viel. Ich merkte, wie ihr<br />

plötzlich alles egal war. Sie hatte<br />

kaum mehr Lust, etwas zu unternehmen,<br />

wollte daheim herumhängen,<br />

statt in den Ausgang zu gehen.<br />

Da habe ich ihr gesagt: Anna, jetzt<br />

übertreibst du es. Ich glaube, das<br />

hat sie sich zu Herzen genommen.»<br />

Anna: «Eine Zeit lang habe ich<br />

wirklich zu viel gekifft, ich rauchte<br />

bis zu drei Joints am Tag. In der<br />

Schule lief es daraufhin ziemlich<br />

mies, meine Noten waren im Keller.<br />

Auch sonst fehlte mir jede Motivation,<br />

am Morgen mochte ich kaum<br />

aufstehen. Meine Mutter hatte<br />

schon gemerkt, dass etwas nicht<br />

stimmte, sie hatte in ihrer Jugend<br />

ja auch gekifft. Sie hat versucht,<br />

mit mir zu reden, aber ich konnte<br />

mich jedes Mal herauswinden.<br />

Auch wenn ich keine Lust hatte, mit<br />

ihr darüber zu sprechen – ihre Sorgen<br />

gingen nicht spurlos an mir<br />

vorbei. Es hat mir gutgetan, dass<br />

Leyla ehrlich zu mir war. Wenn dich<br />

jemand kritisiert, dem du vertraust,<br />

änderst du auch etwas. Reduzieren<br />

fiel mir nicht schwer. Ich konsumiere<br />

jetzt deutlich weniger, in der<br />

Schule geht es wieder bergauf.<br />

Unter der Woche ganz aufs Kiffen<br />

verzichten will ich nicht. Am Kiffen<br />

gefällt mir, dass es verbindet,<br />

selbst Fremde. Zum Beispiel im<br />

Ausgang: Wenn die anderen auch<br />

kiffen, hast du sofort einen Draht<br />

zu ihnen. Darum kiffe ich nie allein<br />

– das Gefühl von Gemeinschaft<br />

würde mir fehlen.»<br />

21


Dossier<br />

Viele junge Kiffer missachten<br />

das Gesundheitsrisiko, das von<br />

gestrecker Ware ausgeht.<br />

>>> Lorenzo, 16, hat nach ein<br />

paar schlimmen Erfahrungen mit<br />

dem Kiffen aufgehört. «Beim letzten<br />

Mal habe ich mich danach für drei<br />

Stunden ins Klo eingeschlossen und<br />

auf den Boden gestarrt», berichtet<br />

der Grafiklehrling. «Ich dachte, ich<br />

müsste sterben.» Auf die Panikattacke<br />

folgte ein Tief, das mehrere Tage<br />

lang andauerte. Panik und depressive<br />

Verstimmungen sind eine mögliche<br />

Folge von Cannabiskonsum, im<br />

schlimmsten Fall können sie psychotische<br />

Formen annehmen. Die<br />

Symptome klingen in der Regel ab,<br />

sobald der Körper die Substanz<br />

abgebaut hat.<br />

Viele junge Kiffer missachten das<br />

Gesundheitsrisiko, das von gestreckter<br />

Ware ausgeht, sagt Jugendarbeiter<br />

Daniele Gasparini. «Viele glauben,<br />

sie konsumierten ein Natur -<br />

produkt. Das ist Unsinn. Was die<br />

allermeisten rauchen, ist pure Chemie.»<br />

Wer sein Kraut nicht selbst<br />

anbaue, müsse davon ausgehen, dass<br />

er es mit einem gestreckten Produkt<br />

zu tun habe. Da würden nicht nur<br />

Zucker und Sand beigemischt, auch<br />

Kaliumdünger, flüssige Kunststoffe<br />

oder Blei.<br />

Gasparini schwebt darum ein<br />

Projekt vor, das er in Zusammenarbeit<br />

mit der Hochschule in Wädenswil<br />

umsetzen will: Jugendliche sollen<br />

ihr Gras auf Streckmittel testen<br />

lassen können. Ob das Projekt je<br />

umgesetzt und Marco es dereinst<br />

nutzen wird, ist ungewiss. Er kiffe<br />

heute ja ohnehin weniger als früher.<br />

Das hat auch mit seinem Kumpel<br />

Flurin zu tun, mit dem Marco eine<br />

Abmachung getroffen hat: Sie rauchen<br />

nur noch zu besonderen<br />

Anlässen. «Vor allem», sagt Flurin,<br />

«wollen wir dabei nicht das Stereotyp<br />

vom lustlosen Kiffer abgeben.<br />

Man kann auch kiffen, ohne dass<br />

man dabei jeglichen Antrieb verliert.»<br />

Flurin bezeichnet Cannabis<br />

als Genussmittel. «Aber ich habe<br />

Respekt vor dem Zeug. Oft höre ich<br />

nach zwei Zügen auf. Ich gönne mir<br />

das Kiffen ab und zu – aber ich brauche<br />

es nicht.»


Dossier<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

Februar <strong>2016</strong>23


Dossier<br />

«Wer jung mit Kiffen beginnt,<br />

hat ein Problem»<br />

Suchtexperte Oliver Berg über die Wirkung von Cannabis auf unseren Körper, was es mit dem Gehirn<br />

macht – und warum er die Legalisierung befürwortet. Interview: Virginia Nolan<br />

Herr Berg, Sie arbeiten mit Jugendlichen,<br />

die mit Kiffen aufhören oder<br />

ihren Konsum mässigen wollen. Was<br />

motiviert sie dazu?<br />

Viele kommen, weil die Eltern, Lehrer<br />

oder Arbeitgeber sie auffordern,<br />

ihren Konsum in den Griff zu kriegen.<br />

Immer mehr Jugendliche melden<br />

sich allerdings von sich aus, weil<br />

sie selbst merken, dass etwas schiefläuft.<br />

Eltern begegnen ihren Kindern<br />

weniger vorwurfsvoll als früher. Die<br />

meisten fordern von ihnen keine<br />

Abstinenz, sondern einen massvollen<br />

Umgang mit Cannabis.<br />

Was würden Sie als massvollen Konsum<br />

bezeichnen?<br />

Bei Alkohol wissen wir, welche Menge<br />

unbedenklich oder gesundheitsschädigend<br />

ist. Für Cannabis fehlen<br />

solche Richtwerte. Sicher scheint,<br />

dass im Alter vor 15 Jahren so wenig<br />

wie möglich konsumiert werden<br />

sollte. Wenn Personen in diesem<br />

Alter schon kiffen, ist es wichtig, dass<br />

sie drei bis vier konsumfreie Tage pro<br />

Woche einlegen. Heikel wird es,<br />

wenn Jugendliche auf Cannabis<br />

angewiesen sind, um ein positives<br />

Erlebnis zu haben, oder wenn sie<br />

kiffen, um mit den Anforderungen<br />

des Alltags zurechtzukommen. Die<br />

Anfälligkeit für ein Suchtverhalten<br />

hängt, vereinfacht gesagt, von unserer<br />

Biologie und dem sozialen Kontext<br />

ab, in dem wir leben. Gute psychische<br />

Gesundheit und ein solides<br />

Umfeld sind Schutzfaktoren.<br />

Wie schadet Kiffen der Gesundheit?<br />

Wird es geraucht, verursacht Cannabis<br />

ähnliche Krankheitsbilder wie<br />

Tabak: Es kann zu Herzkreislaufproblemen<br />

und hohem Blutdruck führen,<br />

beeinträchtigt die Spermienqualität<br />

und schädigt die Lunge.<br />

Mögliche Folgen davon sind Kurzatmigkeit,<br />

chronischer Husten, Bronchitis<br />

und Lungenkrebs. Egal jedoch,<br />

in welcher Form wir Cannabis konsumieren<br />

– die Forschung geht davon<br />

aus, dass es bei Jugendlichen, die<br />

früh, also mit 12, 13 Jahren mit dem<br />

Kiffen anfangen, einen negativen<br />

Einfluss auf die Gehirnentwicklung<br />

haben kann.<br />

Inwiefern?<br />

Unser Gehirn besitzt eine Reihe von<br />

Rezeptoren für körpereigene Cannabinoide,<br />

die vergleichbare Eigenschaften<br />

haben wie die gleichnamigen<br />

Wirkstoffe aus der Hanfpflanze.<br />

Diese Ähnlichkeit macht es möglich,<br />

dass Cannabinoide aus der Pflanze<br />

an unsere Rezeptoren andocken,<br />

wenn wir Cannabis konsumieren.<br />

Studien legen nahe, dass dies den<br />

Aufbau von Nervennetzwerken im<br />

Gehirn beeinträchtigen kann, sofern<br />

die Entwicklung des Gehirns noch<br />

nicht abgeschlossen ist – und diese<br />

dauert bis zum 21. Lebensjahr. Kiffen<br />

im frühen Jugendalter könnte die<br />

kognitiven Fähigkeiten darum dauerhaft<br />

einschränken.<br />

Dann hat es etwas auf sich mit dem<br />

Mythos, dass Kiffen dumm macht?<br />

In dieser Frage sind sich Studien<br />

uneinig, eine widerlegt die andere.<br />

Forscher gehen im Moment davon<br />

aus, dass kognitive Leistungseinbussen<br />

bei Erwachsenen reversibel sind,<br />

dass Kiffer allfällige Mängel also wie­<br />

der wettmachen können, wenn sie<br />

den Konsum einstellen. Es gibt Hinweise<br />

darauf, dass mit bleibenden<br />

Einschränkungen rechnen muss, wer<br />

vor dem 15. Lebensjahr mit regelmässigem<br />

Kiffen anfängt. Ob und in<br />

welchem Mass Cannabis diese Einschränkungen<br />

verursacht, ist jedoch<br />

nicht abschliessend geklärt.<br />

Cannabis soll auch die Psyche beeinträchtigen.<br />

Es kann Angst- und Panikattacken,<br />

Psychosen, Depressionen oder Konzentrationsstörungen<br />

auslösen. Das<br />

Cannabis, welches heute im Umlauf<br />

ist, hat einen viel höheren Anteil an<br />

psychoaktivem THC, das ist der<br />

Wirkstoff, der den Rausch auslöst.<br />

Manchmal sind es fast 25 Prozent.<br />

Der Wirkstoff Cannabidiol hingegen,<br />

der Psychosen entgegenwirkt,<br />

ist über die Jahre fast herausgezüchtet<br />

worden. Das kann die Gefahr für<br />

akute psychotische Symptome erhöhen,<br />

wenn jemand anfällig dafür ist.<br />

Was heisst anfällig in diesem Zusammenhang?<br />

Es muss eine sogenannte Vulnerabilität<br />

vorliegen, eine Verwundbarkeit.<br />

Gründe dafür können die genetische<br />

Veranlagung für eine psychische<br />

Erkrankung oder bereits aufgetretene<br />

psychische Probleme sein. Wir wissen<br />

etwa, dass Kiffen bei Schizophrenie-Patienten<br />

den Krankheitsverlauf<br />

verschlechtern und bei genetischer<br />

Veranlagung das Risiko, an einer<br />

Schizophrenie zu erkranken, erhöhen<br />

kann. Cannabis kann zudem, wie<br />

alle psychoaktiven Substanzen, zu<br />

einer Intoxikationpsychose führen.<br />

24 Februar <strong>2016</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Das ist ein Zustand, der Bewusstseins-<br />

und Verhaltensstörungen auslöst.<br />

Die Symptome klingen wieder<br />

ab, sobald der Körper die Substanz<br />

abgebaut hat. Cannabis kann die Psyche<br />

beeinträchtigen – aber bei Ju -<br />

gendlichen ist es schwierig, darüber<br />

zuverlässige Aussagen zu machen.<br />

Warum?<br />

In der Pubertät kommt vieles zusammen.<br />

Jugendliche müssen heute mit<br />

viel Druck umgehen können, dazu<br />

kommen alterstypische Probleme wie<br />

Liebeskummer und Stimmungsschwankungen.<br />

Manche leiden so<br />

stark, dass sich die Grenze zwischen<br />

einer pubertären Erscheinung und<br />

einer beginnenden psychiatrischen<br />

Erkrankung verwischt. Die Dinge<br />

sind nicht einfach voneinander abzugrenzen,<br />

vor allem für Eltern. Typischerweise<br />

neigen Jugendliche in<br />

Problemlagen auch eher dazu, auf<br />

eine Substanz zurückzugreifen, damit<br />

sie sich besser fühlen. Das gilt übrigens<br />

auch für Personen, die an der<br />

Aufmerksamkeits-Hyperaktivitätsstörung<br />

leiden.<br />

Das heisst, ADHS-Patienten sind<br />

suchtgefährdet?<br />

Studien zeigen deutliche Zusammenhänge,<br />

dass eine ADHS-Symptomatik<br />

Einfluss auf das Risiko<br />

einer Suchtentwicklung hat. Bei<br />

betroffenen Jugendlichen, die dann<br />

Cannabis konsumieren, wird das<br />

ADHS aber oft verkannt – weil Cannabis<br />

einen beruhigenden Effekt hat<br />

und die klassischen Symptome der<br />

Krankheit kaschiert.<br />

Cannabis gilt auch als Heilmittel.<br />

Die Hanfpflanze hat über 450 verschiedene<br />

Wirkstoffe. 70 davon sind<br />

sogenannte Cannabinoide. Bisher<br />

arbeitet die Medizin vor allem mit<br />

THC und dem nur schwach psychoaktiven<br />

CBD. Es kommt darauf<br />

an, in welcher Dosierung und Kombination<br />

die Wirkstoffe eingesetzt<br />

werden. Cannabis wird mittlerweile<br />

für die Behandlung einiger Erkrankungen<br />

verwendet, zum Beispiel als<br />

krampflösendes Medikament bei<br />

Multipler Sklerose, gegen chronische<br />

dukten gesetzlich limitiert werden.<br />

Die Regulierung durch den Staat<br />

hätte auch den Vorteil, dass die verkaufte<br />

Ware sauber wäre und nicht<br />

durch gesundheitsschädigende<br />

Streckmittel verunreinigt. Wir könnten<br />

dem Jugendschutz viel effektiver<br />

gerecht werden als heute, wo Konsumenten<br />

auf den illegalen Markt<br />

zurückgreifen.<br />

Oliver Berg<br />

Schmerzen oder bei erhöhtem<br />

Augen innendruck.<br />

Wie lange wirkt Cannabis im Körper?<br />

Wenn jemand täglich kifft und dann<br />

aufhört, ist der Konsum in gewissen<br />

Fällen bis zu drei Monate lang im<br />

Urin nachweisbar. Bei seltenem<br />

Gebrauch sollte der Körper die Substanz<br />

nach zwei bis drei Tagen abgebaut<br />

haben. Darauf kann man sich<br />

aber nicht verlassen. Cannabis ist<br />

fettlöslich und wird in den Fettzellen<br />

gelagert. Es kann auch nach längerer<br />

Zeit reaktiviert werden, zum Beispiel<br />

beim Sport. Dann kann es sogar sein,<br />

dass jemand, der drei Monate lang<br />

nichts konsumierte, positive Urinwerte<br />

hat – Pech, wenn er dann in<br />

eine Polizeikontrolle gerät.<br />

Wie bewerten Sie das Anliegen der<br />

Legalisierung von Cannabis?<br />

Ein staatlich kontrollierter Verkauf<br />

unter strengen Vorgaben böte aus<br />

fachlicher Sicht nur Vorteile. So<br />

könnte zum Beispiel – analog den<br />

Vorschriften für Alkohol oder Tabak<br />

– der THC-Gehalt von Cannabisproist<br />

Facharzt für Psychiatrie und<br />

Psychotherapie. Zu seinen Spezialgebieten<br />

gehört auch der Bereich Adoleszenz und<br />

Sucht. Berg ist ärztlicher Leiter im Arud-<br />

Zentrum für Suchtmedizin in Horgen ZH und<br />

präsidiert die Ärztegruppe Fachkommission<br />

für Heroingestützte Behandlung des<br />

Bundesamtes für Gesundheit.<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

Februar <strong>2016</strong>25


Dossier<br />

Mein Kind kifft.Was nun?<br />

Wie sollen Eltern darauf reagieren? Alarmiert oder gelassen?<br />

Mit Gesprächen oder Verboten? Text: Virginia Nolan<br />

Dunkle Augenringe,<br />

fehlender Antrieb,<br />

verschlafener Blick:<br />

Nichts von alledem,<br />

was den Kiffer laut<br />

Klischee entlarvt, kann Renate<br />

Büchi an ihrem Sohn beobachten.<br />

Der Gymnasiast ist sportlich, aufgeschlossen,<br />

ein guter Schüler. Erst die<br />

Küchenraffel lässt ihn auffliegen. Die<br />

Mutter will Früchte raffeln, doch das<br />

Gerät ist verschwunden. Sie findet<br />

es ein paar Tage später im Zimmer<br />

des Sohnes. Die Raffel ist verklebt,<br />

braun verfärbt. Renate Büchi denkt<br />

sich nichts dabei, reinigt das Gerät,<br />

stellt es in die Küche. Als sie Käse<br />

reiben will, fehlt die Raffel erneut.<br />

Die Mutter muss nicht lange suchen.<br />

«Isst du so viele Früchte?», fragt sie<br />

ihren Sohn beim Abendessen. Die<br />

vier Geschwister werfen sich verstohlene<br />

Blicke zu und grinsen.<br />

Wochen später liest Büchi in einem<br />

Magazin über Cannabis. Haschisch,<br />

steht da, werde vor Gebrauch zerkleinert<br />

– zum Beispiel mit einer<br />

Küchenreibe. Da macht es klick.<br />

Ich-Botschaften sind ratsam:<br />

«Ich habe gemerkt, dass du<br />

kiffst. Ich mache mir Sorgen.»<br />

Wie merke ich es?<br />

Wie konnten wir nichts bemerken?<br />

«Die Frage plagte mich», sagt Büchi.<br />

Heute, ein gutes Jahrzehnt später,<br />

begegnet sie vielen Eltern, denen es<br />

so ergeht wie ihr damals. Seit ein<br />

paar Jahren gehört die Psychiatriefachfrau<br />

zum Expertenteam der<br />

Jugendberatungs- und Suchtpräventionsstelle<br />

Samowar im zürcherischen<br />

Horgen, berät Jugendliche,<br />

Eltern und Schulen. Auf die Frage,<br />

wie sich Drogenkonsum bemerkbar<br />

mache, gebe es keine schlüssige Antwort,<br />

sagt sie. Beim Kiffen könne es<br />

der aufdringlich süsse Geruch von<br />

Gras sein, der Eltern auffalle, Teilnahmslosigkeit<br />

oder sozialer Rückzug,<br />

die vom Jugendlichen ausgingen.<br />

Nicht selten, weiss Büchi,<br />

bekommen die Eltern jedoch überhaupt<br />

nichts mit.<br />

Wie reagiere ich?<br />

Das Kind kifft also. Auf den Ärger<br />

darüber folgt die Sorge: Kiffen ist<br />

schädlich. Man will dem Sohn, der<br />

Tochter den Ernst der Lage klarmachen.<br />

Aber wie? «Oft schaffen es<br />

Eltern nicht, zum Kind durchzudringen»,<br />

weiss Felix Hanselmann von<br />

der Suchtpräventionsstelle Zürcher<br />

Oberland. «Aus Angst fangen sie an<br />

zu drohen, stellen unrealistische Forderungen:<br />

Wenn du nicht aufhörst<br />

zu kiffen, gehst du nicht mehr in den<br />

Ausgang! Eltern wissen selbst, dass<br />

sie das schwer durchziehen können.»<br />

Dieses Verhalten sei zwar nachvollziehbar,<br />

aber ein schlechtes Signal an<br />

den Jugendlichen, weil dieser merke,<br />

dass die Eltern genauso überfordert<br />

seien wie er selbst.<br />

Nicht aus dem Bauch heraus handeln,<br />

so lautet auch der Rat von Präventionsexpertin<br />

Büchi. Das heisst:<br />

Wut und Ärger etwas verebben lassen,<br />

ein Gespräch planen – und sich<br />

auf dieses auch vorbereiten. Eltern<br />

sollten sich im Vorfeld überlegen,<br />

welche Punkte sie ansprechen, was<br />

sie in Erfahrung bringen möchten,<br />

sich aber auch darüber im Klaren<br />

sein, welche Vorwürfe sie dem Kind<br />

keinesfalls an den Kopf werfen wollen.<br />

«Das erhöht die Chance, dass<br />

die Diskussion einen einigermassen<br />

guten Verlauf nimmt», weiss Büchi.<br />

Ein guter Zeitpunkt fürs Zusammensitzen<br />

sei abends, wenn danach<br />

keine Termine und Hausaufgaben<br />

mehr anstünden.<br />

«Ich habe gemerkt, dass du kiffst,<br />

das macht mir Sorgen.» Ich-Botschaften<br />

sind empfehlenswert, weil<br />

sie den Gesprächspartner nicht in<br />

die Ecke drängen. Wer sich von seinem<br />

Kind Offenheit erhofft, sollte<br />

zumindest versuchen, es nicht in die<br />

Defensive zu drängen. «Du hast hinter<br />

unserem Rücken gekifft!» Auf<br />

diese Variante, sagt Büchi, wäre es<br />

vermutlich hinausgelaufen, wenn sie<br />

ihren Sohn konfrontiert hätte, gleich<br />

nachdem sie ihm auf die Schliche<br />

gekommen war. Vorwürfe, weiss sie,<br />

lassen Jugendliche aber erst recht auf<br />

stur schalten. «Es lohnt sich, seine<br />

Botschaft vorzubereiten, dann geht<br />

sie am Kind nicht spurlos vorbei.»<br />

Gleichzeitig dürften Eltern nicht zu<br />

viel erwarten, sagt die Expertin:<br />

«Wenn der Sohn oder die Tochter<br />

Auskunft gibt, reicht das fürs Erste.<br />

Auf die Sorgen der Eltern wird das<br />

Kind vermutlich nicht eingehen.»<br />

Wer weiss Rat?<br />

Ihre eigene Unwissenheit zum Thema<br />

Cannabis, fand Büchi damals,<br />

war mit ein Grund zur Sorge. «Heute<br />

würde ich einer Mutter in der<br />

gleichen Situation empfehlen, sich<br />

mit ihren Fragen an eine Beratungsstelle<br />

zu wenden», sagt sie, >>><br />

26 Februar <strong>2016</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Dossier<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

Februar <strong>2016</strong>27


Dossier<br />

Eltern können ein Kind nicht<br />

zu einer Beratung zwingen –<br />

aber motivieren!<br />

>>> «und zwar nicht erst, wenn es<br />

brennt.» Die Hotline «Eltern info<br />

Cannabis» von Sucht Schweiz beispielsweise<br />

hilft zu Bürozeiten unter<br />

der Gratisnummer 0800 104 104<br />

weiter. Auch die Jugendberatungen,<br />

Suchtpräventions- und Drogenfachstellen<br />

der Kantone sind für Eltern<br />

da. Ihr Angebot ist meist kostenlos,<br />

umfasst Information und Beratung.<br />

Aufklärung lohnt sich auch dann,<br />

wenn Kiffen zu Hause kein Thema<br />

ist. Die Suchtpräven tionsstelle der<br />

Stadt Zürich etwa führt auf Anfrage<br />

den Elternabend «Über Cannabis<br />

reden» durch, nach dem gleichen<br />

Prinzip stellt die Stiftung Berner<br />

Gesundheit Eltern ihre Experten zur<br />

Verfügung.<br />

Wie geht es jetzt weiter?<br />

«Eltern erwarten zu schnell Veränderungen»,<br />

sagt Gesundheitssoziologe<br />

Hanselmann. «Gewohnheiten<br />

ändern sich aber nicht von heute auf<br />

morgen.» Er rät Eltern, nicht in<br />

Panik zu verfallen. Kiffen sei ein<br />

Jugendphänomen, dabei müsse nicht<br />

automatisch eine Suchtproblematik<br />

vorliegen.<br />

Wenn Eltern versuchten, Jugendliche<br />

für Absprachen zu gewinnen,<br />

sei das wirksamer als Schimpfen<br />

und Drohen: «Zum Beispiel kann<br />

man Konsumpausen vereinbaren,<br />

weil das für die Gesundheit wichtig<br />

ist.» Die eigenen Sorgen aussprechen<br />

und gleichzeitig Kompromissbereitschaft<br />

signalisieren könne helfen,<br />

die Verbindung zum Kind<br />

aufrechtzuerhalten. Wenn die Dinge<br />

aus dem Ruder laufen, helfe ein<br />

Blick von aussen: «Der Götti, eine<br />

Familienfreundin – sie können verhärtete<br />

Fronten aufbrechen.»<br />

Im Gespräch bleiben bedeutet aber<br />

nicht, ständig übers Kiffen zu reden.<br />

«Egal, wie schwierig eine Lebensphase<br />

ist», sagt Renate Büchi, «sie hat<br />

immer auch Schönes zu bieten.» Es<br />

lohne sich, den Blick auch darauf zu<br />

richten – besonders im Umgang mit<br />

dem Sohn, der Tochter. «Sicher gibt<br />

es andere Gesprächsinhalte: Musik,<br />

Sport, Themen, die uns verbinden.»<br />

Wann ist professionelle Hilfe nötig?<br />

Nichts überstürzen und doch wachsam<br />

bleiben ist für Eltern oft eine<br />

Gratwanderung. Etwa in der Frage,<br />

wann professionelle Hilfe nötig ist.<br />

«Wir dürfen nicht alle Kiffer in einen<br />

Topf werfen», mahnt Pierre-André<br />

Michaud, ehemaliger Leiter der multidisziplinären<br />

Abteilung für die<br />

Gesundheit von Jugendlichen in<br />

Lausanne. Behandlungs- oder zumindest<br />

Beratungsbedarf bestehe<br />

aus seiner Sicht allerdings, wenn<br />

Cannabiskonsum zu Komplikationen<br />

wie Kriminalität, Schulausschluss<br />

oder Unfällen führe, wenn<br />

Jugendliche Cannabis konsumierten,<br />

weil sie damit persönliche Probleme<br />

lösen wollten oder wenn<br />

Schulen und Arbeitgeber auf eine<br />

Behandlung drängten. Eltern könnten<br />

ihr Kind nicht zu einer Beratung<br />

zwingen – aber mit der Aussicht<br />

motivieren, dass es mit Fachpersonen<br />

auch allein sprechen dürfe.<br />

Was sagt das Gesetz?<br />

Hanfpflanzen mit einem THC-Gehalt<br />

von über 1 Prozent gelten als<br />

Drogenhanf, ihr Konsum, Handel<br />

und Anbau ist strafbar. Seit Oktober<br />

2013 wird Cannabiskonsum in der<br />

Schweiz mit einer Ordnungsbusse<br />

von 100 Franken bestraft, sofern<br />

nicht mehr als 10 Gramm der Substanz<br />

im Spiel sind. Das gilt jedoch<br />

nicht für Minderjährige. Werden sie<br />

beim Kiffen erwischt, benachrichtigt<br />

die Polizei in der Regel Eltern und<br />

Jugendanwaltschaft. Die Praxis ist<br />

von Kanton zu Kanton verschieden;<br />

je jünger die Konsumenten sind,<br />

desto mehr wird unternommen.<br />

Jugendliche über 15, die das erste<br />

Mal aufgegriffen werden, kommen<br />

meist mit einer Verwarnung davon.<br />

Gegen Jüngere und solche, die erneut<br />

ins Netz gehen, eröffnet die<br />

Jugendanwaltschaft eine Strafuntersuchung.<br />

Mögliche Strafen sind ein<br />

Verweis, gemeinnützige Arbeit oder<br />

eine Busse. «Wir wollen Jugendliche<br />

nicht kriminalisieren», sagt Patrik<br />

Killer von der Jugendanwaltschaft<br />

Zürich, «sondern versuchen, ihre<br />

Situation als Ganzes zu erfassen.»<br />

Stelle sich im Lauf der Abklärungen<br />

heraus, dass der Cannabiskonsum<br />

die weitere Entwicklung des<br />

Jugendlichen erheblich gefährde,<br />

könne die Jugendanwaltschaft auch<br />

Schutzmassnahmen wie eine therapeutische<br />

Behandlung anordnen.<br />

Immer, so Killer, stehe jedoch die<br />

Verhältnismässigkeit im Vordergrund.<br />

So gehört etwa der obligatorische<br />

Besuch eines Kurses, der die<br />

Risiken von Cannabis thematisiert,<br />

in deutschsprachigen Kantonen zu<br />

den gängigsten Sanktionen.<br />

Hört das wieder auf?<br />

Ob das Ganze irgendwann ein Ende<br />

habe, ist die dringlichste Frage, die<br />

sich besorgte Eltern stellen. «Wir<br />

wissen aus Langzeitstudien, dass der<br />

Cannabiskonsum bei den 15- bis<br />

24-Jährigen am höchsten ist, dass er<br />

bei den 25- bis 34-Jährigen bereits<br />

rückläufig ist und später mit jedem<br />

Altersjahr stark abnimmt», sagt<br />

Frank Zobel, Vizedirektor ad interim<br />

bei Sucht Schweiz. «Die meisten<br />

Jugendlichen, die Cannabis ausprobieren,<br />

kiffen nur gelegentlich und<br />

stellen den Konsum schnell wieder<br />

ein. Von der Minderheit derer, die<br />

regelmässig konsumieren, hören die<br />

meisten im Alter von 20 bis 30 auf<br />

– oft dann, wenn sie im Berufsleben<br />

angekommen sind oder eine Familie<br />

gründen.»<br />

Zu dieser Gruppe gehört der<br />

Sohn von Präventionsexpertin<br />

Büchi: Er liess das Kiffen bleiben, als<br />

das Leben durch Studium und Beruf<br />

anstrengender wurde.


Weniger Cannabiskonsumenten<br />

«Wer hat schon mindestens<br />

einmal Cannabis konsumiert?»<br />

Umfrage bei Schülerinnen und Schülern im Alter<br />

von 15 Jahren, Zeitvergleich 1986 bis 2014.<br />

50 %<br />

40 %<br />

30 %<br />

20 %<br />

10 %<br />

0<br />

13,9<br />

11,6<br />

9,1<br />

86<br />

Mädchen<br />

21<br />

94 98 <strong>02</strong> 06 10 14<br />

Mädchen<br />

23,2<br />

31,7<br />

36,9<br />

45,9<br />

26,9<br />

Jungen Jungen<br />

34,2 35,7<br />

24,8<br />

19,2<br />

Quelle: Marmet, Achimi et al., 2015: Substanzkonsum bei Schülerinnen und Schülern in der Schweiz<br />

im Jahr 2014 und Trend seit 1986. Forschungsbericht Nummer 75. Sucht Schweiz.<br />

30<br />

Jahr<br />

«Warum konsumierst du Cannabis?»<br />

Motive für den Cannabiskonsum 15-jähriger Schülerinnen und Schüler.<br />

... weil es einfach Spass machte.<br />

87 %<br />

... um «high» zu werden («stoned» zu sein).<br />

82 %<br />

86 %<br />

... weil es dann lustiger wurde, als ich mit anderen zusammen war.<br />

80 %<br />

81 %<br />

... weil dadurch Partys besser wurden.<br />

55 %<br />

57 %<br />

... um mich aufzumuntern, als ich in schlechter Stimmung war.<br />

53 %<br />

44 %<br />

... um Probleme zu vergessen.<br />

43 %<br />

28 %<br />

... um mich nicht ausgeschlossen zu fühlen.<br />

11 %<br />

10 %<br />

... weil ich gerne zu einer bestimmten Clique gehören wollte.<br />

6 %<br />

7 %<br />

Quelle: Windlin, Delgrade et al., 2010: Konsum psychoaktiver Substanzen Jugendlicher in<br />

der Schweiz – Zeitliche Entwicklungen und aktueller Stand, Lausanne: Sucht Info Schweiz.<br />

Im nächsten Heft:<br />

Inklusion<br />

Bild: alamy Stockphoto<br />

Menschen mit Behinderung sollen in der<br />

Schweiz wann immer möglich die<br />

Regelschule besuchen. Wie funktioniert<br />

Inklusion? Und warum gibt es in vielen<br />

Kantonen so viele Sonderschüler? Fakten,<br />

Meinungen und Beispiele im März-Dossier.<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

Februar <strong>2016</strong>29


«Jedes fünfte Kind wird nicht in<br />

eine traditionelle Ehe geboren»<br />

Regenbogenfamilien, Patchwork, Alleinerziehende und Grossfamilien: Schon heute sind<br />

die Familienformen vielfältiger denn je. Das soll in der Zukunft noch viel variantenreicher<br />

werden. Wie genau, weiss der Luzerner Zukunftsforscher Georges T. Roos.<br />

Text: Claudia Landolt Bilder: Herbert Zimmermann<br />

Wir treffen Georges T. Roos in<br />

seiner coolen Altbauwohnung. Dort<br />

wohnt er mit seinen beiden<br />

Teenagerkindern und arbeitet er<br />

auch. Das Gespräch findet am<br />

Esstisch statt, die Fotoaufnahmen<br />

entstehen im Wohnzimmer, wo<br />

zwischen Corbusier-Sesseln und<br />

vielen Büchern auch eine Playstation<br />

steht. Wir sehen: Der Forscher, der<br />

die Megatrends der Zukunft kennt,<br />

ist ein Mann, der das Jetzt durchaus<br />

geniessen kann.<br />

Herr Roos, stirbt die klassische Familie<br />

bald aus?<br />

Die Gesellschaftsform der Familie<br />

wird tatsächlich noch erheblich vielfältiger<br />

und differenzierter, als wir<br />

sie heute bereits kennen. Eine dänische<br />

Studie geht beispielsweise von<br />

37 verschiedenen Familienformen<br />

aus. Vielleicht etwas sehr detailliert,<br />

aber Tatsache bleibt, dass Familien<br />

immer seltener homogene Konstrukte<br />

sind.<br />

Welche Familienform ist Ihnen besonders<br />

aufgefallen?<br />

Die erwähnte dänische Studie besagt,<br />

dass rund 10 Prozent der Samenspenden<br />

von Anfang an gezielt von<br />

Single-Frauen geplant und durchgeführt<br />

werden. Darin sehe ich ein<br />

weiteres Indiz, dass die Rolle des<br />

Vaters ungeklärt ist. Frauen haben<br />

sich über die letzten Jahrzehnte<br />

emanzipiert. Für den Mann als Vater<br />

und Partner fehlen nach wie vor die<br />

zukünftigen Rollenvorbilder.<br />

Wie verändert sich die Rolle der Frau<br />

in den kommenden Jahren?<br />

Schon jetzt wissen wir, dass Frauen<br />

besser gebildet sind als gleichaltrige<br />

Männer. Vor allem gut ausgebildete<br />

Frauen sind immer mehr gefragt im<br />

Arbeitsleben. Das führt dazu, dass<br />

«Rollenvorbilder<br />

für den Mann<br />

als Vater und<br />

Partner fehlen.»<br />

Frauen immer mehr Erziehungsund<br />

Betreuungsarbeit an Schule,<br />

Fachpersonal und Einrichtungen<br />

delegieren. Streng genommen nähert<br />

sich damit die Frauen- oder Mutterrolle<br />

der ursprünglichen Rolle des<br />

Vaters an, der die Familienarbeit an<br />

die Mutter delegiert hatte. Mit der<br />

gewachsenen Unabhängigkeit der<br />

Frau werden solche Formen gesellschaftlich<br />

immer mehr akzeptiert.<br />

Stichwort Haushalt: Auch das ist eine<br />

zusätzliche Belastung für viele Mütter<br />

und Väter. Haben wir es da künftig<br />

etwas einfacher?<br />

Davon gehe ich aus. Die Automatisierung<br />

wird vor dem Haushalt nicht<br />

haltmachen. Es wird Roboter geben,<br />

welche viele Hausarbeiten übernehmen.<br />

Dienstleistungsroboter sind<br />

auf dem Vormarsch, zum Beispiel in<br />

der Pflege. Schon jetzt sind in Japan<br />

Roboter im Einsatz, die in Pflegeheimen<br />

den Bewohnern die Haare<br />

waschen. Es wird auch Roboter<br />

geben, die uns die Putzarbeit abnehmen.<br />

Dazu kommen der Onlinehandel<br />

und ausgebaute Dienstleistungen<br />

aufgrund der digitalen Vernetzung.<br />

In Zukunft werden wir nicht nur<br />

Lebensmittel online bestellen und<br />

sie nach Hause liefern lassen oder sie<br />

an einer Pick-up-Station auf dem<br />

Nachhauseweg vom Büro mitnehmen.<br />

Wir werden gleich das ganze<br />

Menü massgeschneidert erhalten<br />

können oder aber Küchengeräte<br />

haben, die weitgehend autonom eine<br />

Mahlzeit zubereiten können.<br />

Ist die Gesellschaftsform der Ehe<br />

künftig noch aktuell?<br />

Es wird sich weiter verändern, wie<br />

Familien organisiert sind. Heute<br />

kommen die meisten Kinder in einer<br />

Ehe zur Welt. Aber der Anteil nichtehelicher<br />

Kinder beträgt immerhin<br />

schon 20 Prozent, das heisst, jedes<br />

fünfte Kind wird nicht in eine >>><br />

30 Februar <strong>2016</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Monatsinterview<br />

Georges T. Roos<br />

spürt die Trends der<br />

Zukunft auf.<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

Februar <strong>2016</strong>31


traditionelle Partnerschaft<br />

hineingeboren. Auch das Alter der<br />

Erstgebärenden steigt weiterhin an.<br />

Frauen werden immer später Mutter,<br />

Männer später Väter. Viele Ehen werden<br />

geschieden, und Mann und Frau<br />

gehen neue Partnerschaften ein. Das<br />

und die Langlebigkeit haben zur Folge,<br />

dass Kinder immer mehr soziale<br />

Eltern haben, also von Personen<br />

umgeben sind, die eine emotionale<br />

Bindung an das Kind haben. Die<br />

Fruchtbarkeitsrate mit 1,5 Kind pro<br />

Frau ist unter der Reproduktionsquote<br />

– das heisst, nicht einmal Vater<br />

und Mutter werden «reproduziert».<br />

Um diese wenigen Kinder herum<br />

scharen sich immer mehr Erwachsene.<br />

Wie das Kraut, das sich um die<br />

Bohne rankt (lacht).<br />

Wie wirkt sich diese Rollendynamik<br />

auf den Mann aus?<br />

Die Rolle des Vaters im Sinne eines<br />

traditionellen Ernährers, der sich<br />

nur abends oder am Wochenende<br />

um den Nachwuchs kümmet, wird<br />

immer weniger attraktiv.<br />

Das bedingt, dass sich die Arbeitssituation<br />

für Männer ändert.<br />

Es ist nach wie vor nicht leicht, als<br />

Vater sein Arbeitspensum anzupassen<br />

oder zu reduzieren. Der eine<br />

oder andere Mann mag sich gehemmt<br />

fühlen, dies bei seinem Arbeitgeber<br />

einzufordern, möglicherweise aus<br />

Angst, auf Unverständnis zu stossen.<br />

Aber es bewegt sich zweifelsohne<br />

etwas. Unternehmungen tun gut daran,<br />

den Bedürfnissen der Mitarbeitenden<br />

in dieser spezifischen Lebensphase<br />

besser Rechnung zu tragen,<br />

um die guten Leute nicht zu verlieren.<br />

Denn je besser die Qualifikation<br />

ist, desto grösser ist das Risiko, dass<br />

man zu einem anderen, besseren<br />

Arbeitgeber wechselt.<br />

Sie sprechen von den grossen Unternehmen.<br />

Nun ist die Schweiz aber das<br />

32 Februar <strong>2016</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Monatsinterview<br />

Georges T. Roos<br />

skizziert die<br />

Szenarien, wie<br />

Familien künftig<br />

leben werden.<br />

Land der kleinen und mittleren Betriebe.<br />

Dort scheint die Vereinbarkeit von<br />

Beruf und Familie nicht zuoberst auf<br />

der Agenda zu stehen.<br />

Das stimmt. Für kleinere Betriebe<br />

ist Flexibilität schwieriger. Bei 20<br />

oder 25 Angestellten wird es kompliziert,<br />

wenn ein Drittel nur noch<br />

60 oder 80 Prozent arbeiten will.<br />

«Die Schule muss<br />

eine Art digitale<br />

Alphabetisierung<br />

bieten.»<br />

Dennoch sind Sie überzeugt, dass sich<br />

diese neuen Lebens- und Arbeitsformen<br />

in der Schweiz durchsetzen werden?<br />

Sie können Megatrends nicht aufhalten.<br />

Individualisierung, demografischer<br />

Wandel, Wertewandel<br />

und die eingangs erwähnte veränderte<br />

Frauenrolle drängen in diese<br />

Richtung. Und wollen wir eine<br />

Gesellschaft mit immer weniger<br />

Kindern? Man weiss mittlerweile,<br />

dass Frauen in Ländern, die ausreichende<br />

und gute Kinderbetreuung<br />

und familienergänzende Strukturen<br />

haben, mehr Kinder bekommen als<br />

Frauen in Ländern, die Familien rein<br />

mit finanziellen Anreizen unterstützen.<br />

Das bedeutet: Entscheidend ist<br />

die Möglichkeit, Beruf und Familie<br />

unter einen Hut zu bringen. Studien<br />

belegen zudem: Je besser die familienergänzenden<br />

Einrichtungen,<br />

desto höher die Fruchtbarkeitsrate.<br />

Und es hat sich ja auch schon einiges<br />

getan, auch wenn wir in der Schweiz<br />

noch weit von skandinavischen Verhältnissen<br />

entfernt sind.<br />

Bei den Krippen hat sich einiges<br />

getan, aber bei den schulergänzenden<br />

Einrichtungen ist das Angebot noch<br />

recht dürftig.<br />

Das ist richtig. Solche Lösungen sind<br />

zwingend. Verschiedene Treiber verstärken<br />

diese Tendenz noch. Zu nennen<br />

wäre erstens die gute Ausbildung<br />

der Frau, zweitens der Fachkräftemangel<br />

sowie drittens die ökonomische<br />

Notwendigkeit eines Zweiteinkommens.<br />

Es geht künftig nicht mehr ohne das<br />

Einkommen der Frau?<br />

Auf die künftige Erwerbsgenerationen<br />

kommen grosse Herausforderungen<br />

zu. Die demografische Situation<br />

sowie die höheren sozialen<br />

Abgaben plus die höheren Gesundheitskosten,<br />

die es zu bezahlen gilt,<br />

erlauben es Familien nicht mehr, mit<br />

nur einem Einkommen auszukommen.<br />

Diese Gesamtsituation macht<br />

deutlich, dass man nicht darum herumkommt,<br />

schulergänzende Angebote<br />

zu entwickeln.<br />

Wie sieht die Schule 2<strong>02</strong>5 aus?<br />

Die Schule wird nicht nur einen<br />

gros sen Anteil an Betreuungsfunktionen<br />

übernehmen, sie ist auch<br />

stark von der Kommunikationstechnologie<br />

geprägt. Diese prägt auch die<br />

Wissensvermittlung. Wie sinnvoll ist<br />

es beispielsweise zukünftig, auf einer<br />

Karte alle Schweizer Flüsse und Seen<br />

einzeichnen zu können, wenn uns<br />

das Google Maps auf dem Smart ­<br />

pho ne in Sekundenschnelle liefert?<br />

Wissen verändert sich. Die Schule<br />

muss demnach Kindern vermitteln,<br />

wie man mit diesem digitalen Wissen<br />

umgeht, eine Art interaktive<br />

Alphabetisierung. Es wird also weniger<br />

wichtig, irgendein Gewässer auf<br />

einer blinden Karte richtig einzuzeichnen,<br />

sondern es wird entscheidend<br />

sein, zu wissen, welches die<br />

grossen Gewässer sind und in welche<br />

Richtung sie fliessen. Kurz: Es<br />

braucht ein übergeordnetes Verständnis<br />

der Dinge, um trotz der<br />

vielen Bäume den Wald sehen zu<br />

können.<br />

Das Wissen um ein übergeordnetes<br />

Verständnis, eine Art Matrix. Werden<br />

klassische Bildungsideale wieder<br />

salonfähig?<br />

Ja, davon bin ich überzeugt. Informationsbeschaffung<br />

ist kein Thema<br />

mehr, matchentscheidend ist, zu<br />

wissen, was diese Informationen<br />

bedeuten und wie sie zu werten sind.<br />

Was wird sonst noch wichtig?<br />

Kreative, musische Bildung und vor<br />

allem Persönlichkeitsbildung. Das<br />

heisst nicht, dass unsere Kinder allesamt<br />

Künstler werden sollen. Aber<br />

die Arbeitswelt wird sich so verändern,<br />

dass erfolgreich ist, wer in der<br />

Lage ist, neue Wege zu finden und<br />

neue Lösungsansätze zu entwickeln.<br />

Auch soziale Kompetenz, also Menschen<br />

in Teams zu motivieren oder<br />

sich gut in diese einzubringen, wird<br />

wichtig. Und man muss sicherlich<br />

mehr können, als bloss eine Aufgabe<br />

repetitiv zu erfüllen. Denn das werden<br />

Maschinen übernehmen.<br />

Was ist mit der Selbstkompetenz?<br />

Wir leben ja heute schon in einer<br />

Multioptionsgesellschaft. Künftig<br />

kann man sich noch schneller in<br />

allen Angeboten verlieren, weil es<br />

noch mehr Optionen geben wird.<br />

Genau deshalb ist es wichtig, Nein<br />

sagen zu können und eine gewisse<br />

Selbstführung zu besitzen. Denn auf<br />

Dauer kann man nicht mit Optionen<br />

leben, sondern muss eine wählen,<br />

auch wenn man sich damit «schuldig»<br />

gegenüber all jenen Optionen<br />

macht, die man nicht wählt. Trotzdem<br />

gibt es keine Alternative zur<br />

Wahl.<br />

«Die eigenen Talente<br />

entwickeln wird<br />

für Kinder immer<br />

wichtiger.»<br />

Das bedeutet ja auch, dass die Ansprüche<br />

an die Persönlichkeitsentwicklung<br />

eines Kindes steigen?<br />

Ja. Die Entwicklung der Persönlichkeit<br />

und der eigenen Talente wird<br />

immer wichtiger.<br />

Übernimmt das die Schule?<br />

Wir beobachten eine zunehmende<br />

Pädagogisierung der Kind­ >>><br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

Februar <strong>2016</strong>33


Monatsinterview<br />

>>> heit. Die Vorstellung, dass das<br />

Kind im Wald herumspringen darf,<br />

sobald die Schule aus ist, ist schon<br />

jetzt pure Romantik. Die Kindheit<br />

wird zunehmend weiter pädagogisiert.<br />

Schon in der Vorschule wird<br />

der Erwerb von Fähigkeiten gezielt<br />

geplant.<br />

Und wer ist dafür zuständig? Die Lehrerschaft?<br />

Ich glaube an eine weitere Ausdifferenzierung<br />

von Fachleuten, die an<br />

Erziehung und Bildung beteiligt sein<br />

werden – eine logische, nicht ganz<br />

unproblematische Konsequenz. Problematisch<br />

daran ist: Es wird immer<br />

enger gerastert, was normal ist. Je<br />

enger der Raster, desto grösser die<br />

Wahrscheinlichkeit, dass man ausserhalb<br />

davon liegt.<br />

Haben es denn die Frauen künftig ein<br />

bisschen einfacher?<br />

Eine heikle Frage! Ich bin der Meinung,<br />

dass durch die veränderte<br />

gesellschaftliche Ausgangslage das<br />

Selbstvertrauen der Frauen steigen<br />

wird. Aber nicht jede Benachteiligung<br />

ist die Schuld der Strukturen.<br />

Auch Männer erfahren Widerstand<br />

und Hindernisse, wenn sie nach<br />

oben wollen. Wer Erfolg haben will,<br />

braucht Biss – das gilt für Männer<br />

und Frauen. Da können Vorbilder<br />

hilfreich sein.<br />

«Ein Vater verpasst<br />

etwas, wenn<br />

er seine Kinder nur<br />

schlafend sieht.»<br />

Zum Beispiel?<br />

Kürzlich habe ich in einer Zeitung<br />

ein Porträt über Nadja Capus gelesen.<br />

Ich war beeindruckt. Sie ist<br />

Strafrechtsprofessorin in Basel und<br />

hat mit dem Schriftsteller Alex<br />

Capus fünf Kinder.<br />

Und männliche Vorbilder?<br />

Dem modernen Mann fehlen weitgehend<br />

Vorbilder – und das schafft<br />

Rollenkonflikte. Ich kenne keinen<br />

einzigen Mann, der keine starke<br />

emotionale Beziehung zu seinen<br />

Kindern hat oder sie sich zumindest<br />

wünscht. In der letzten Konsequenz<br />

jedoch gibt es wenige, die sagen, in<br />

den kommenden drei Jahren, solange<br />

meine Kinder noch so klein sind,<br />

arbeite ich nur 60, 70 oder 80 Prozent.<br />

Es hilft vielleicht, wenn man<br />

sich verdeutlicht, dass es sich ja nur<br />

um einen Lebensabschnitt handelt.<br />

Ein Vater verpasst definitiv etwas,<br />

wenn er seine Kinder nur schlafend<br />

sieht. Es braucht also nicht nur praktikable<br />

Einrichtungen, sondern auch<br />

Männer, die etwas wagen.<br />

>>><br />

Georges T. Roos<br />

und Fritz+Fränzi-<br />

Redaktorin<br />

Claudia Landolt.<br />

Zur Person<br />

Georges T. Roos ist anerkannter<br />

Zukunfts forscher. Er studierte Pädagogik,<br />

Publizistik und Psychologie, arbeitete als<br />

Journalist und Redaktionsleiter sowie<br />

als Mitglied der Geschäftsleitung am<br />

Gottlieb-Duttweiler-Institut. Heute besitzt<br />

er sein eigenes Zukunftsinstitut in Luzern.<br />

www.kultinno.ch<br />

34 Februar <strong>2016</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Psychologie & Gesellschaft<br />

Ständig zugedröhnt<br />

Weil sie das Kiffen nicht mehr im Griff hat, wendet sich eine sechzehnjährige<br />

Schülerin an die Notrufnummer 147 von Pro Juventute. Hier helfen<br />

Fach leute Kindern und Jugendlichen – vertraulich, kostenlos und rund<br />

um die Uhr. Text: Susan Edthofer<br />

Die Stimme dringt nur langsam zu dem<br />

Teenager durch. «Antonia*, hast du meine<br />

Frage verstanden und hörst du mir<br />

überhaupt zu?» Benebelt schaut sich das<br />

Mädchen um und sieht ihre Lehrerin vor<br />

sich stehen. Krampfhaft versucht sie Haltung zu bewahren,<br />

doch heute hat sie zu viel intus und überspielen<br />

funktioniert nicht. Seit einiger Zeit wird in der Klasse<br />

bereits über ihre Drogenprobleme getuschelt. Dass das<br />

junge Mädchen seine Lage nicht mehr im Griff hat,<br />

scheint offensichtlich. Alles ist der Sechzehnjährigen<br />

irgendwie gleichgültig geworden.<br />

An einer Party hat Antonia das erste Mal gekifft. Es<br />

blieb nicht bei diesem einen Mal. Hin und wieder rauchte<br />

sie am Wochenende einen Joint, einfach um gut drauf<br />

zu sein. Der Umgang mit den Drogen war dosiert und<br />

kontrolliert. Doch plötzlich war der Drang zum Kiffen<br />

ständig da, auch während der Woche. Alles schien<br />

dumpf und öde, wenn sie nicht geraucht hatte. Um überhaupt<br />

in Schwung zu kommen, kiffte Antonia immer<br />

öfter bereits vor der Schule. Mehr und mehr zog sie sich<br />

zurück und die Spirale begann sich zu drehen.<br />

Als die Eltern hellhörig wurden und vermuteten, dass<br />

Antonia Drogen konsumiert, versuchten sie mit ihrer<br />

Tochter ins Gespräch zu kommen. Doch Antonia blockte<br />

ab, reagierte aggressiv und verstockt. Verzweifelt fragten<br />

die Eltern in der Schule nach. Auch den Lehrpersonen<br />

war aufgefallen, dass etwas nicht stimmt. Obwohl<br />

alle sahen, wie schlecht es Antonia ging, gelang es nicht<br />

einmal ihrer besten Freundin, Nähe aufzubauen.<br />

Vertraulich und rund um die Uhr Hilfe suchen<br />

Alarmiert schaut die Lehrerin ihre Schülerin an diesem<br />

Morgen an. Sie sieht, dass das Mädchen unter Drogen<br />

steht und Hilfe braucht. Wie erwartet, verläuft ein Austausch<br />

wiederum harzig. Antonia wirkt völlig weggetreten<br />

und ist kaum ansprechbar. Da die Lehrerin spürt,<br />

dass Antonia nicht mit jemandem aus ihrem Umfeld<br />

sprechen mag, macht sie ihre Schülerin auf die Notrufnummer<br />

147 von Pro Juventute aufmerksam. «Vielleicht<br />

möchtest du hier mal anrufen. Alles bleibt vertraulich,<br />

du musst nicht einmal deinen Namen nennen.<br />

Tag und Nacht kannst du dich melden<br />

und per Telefon, Mail, SMS erzählen, was<br />

dich bedrückt.»<br />

Sich an eine neutrale Stelle zu wenden,<br />

ist oft einfacher. Deshalb ist das vertrauliche<br />

Angebot der Beratung und Hilfe 147 so<br />

wichtig. Das Spektrum an Fragen ist riesig: «Ich habe<br />

Stress in der Schule.» «Wo erhalte ich die Pille danach?»<br />

«Was wird aus mir, wenn sich meine Eltern scheiden<br />

lassen?» Fachleute unterstützen Jugendliche, eigene<br />

Lösungen zu finden.<br />

Auch Antonia hat sich schliesslich bei der Notrufnummer<br />

147 von Pro Juventute gemeldet, weil sie mit<br />

dem Kiffen aufhören will.<br />

* Name geändert und Beispiel anonymisiert.<br />

«Jugendliche<br />

brauchen eine<br />

Vertrauensbasis,<br />

um empfänglich<br />

für Hilfe zu sein.<br />

Susan Edthofer ist Redaktorin<br />

im Bereich Kommunikation<br />

von Pro Juventute.<br />

Was Eltern tun können – vier Tipps<br />

Reagieren Sie, wenn Sie das Gefühl haben, dass Ihr Kind<br />

suchtgefährdet ist. Suchen Sie das Gespräch und versuchen Sie<br />

auszuloten, was los ist.<br />

Auch wenn sich Misstrauen breitmacht, respektieren Sie die<br />

Privatsphäre Ihres Kindes und suchen Sie nicht heimlich im Zimmer<br />

nach Drogen oder Hinweisen, die auf Drogenkonsum deuten.<br />

Damit Jugendliche für Hilfe empfänglich bleiben, braucht es eine<br />

Vertrauensbasis.<br />

Weisen Sie Ihr Kind auf neutrale Anlaufstellen hin, wie z. B. die<br />

Beratung + Hilfe 147. So zeigen Sie Verständnis, dass es manchmal<br />

einfacher ist, anonym zu bleiben.<br />

Notrufnummer 147 von Pro Juventute<br />

Das Beratungsangebot von Pro Juventute Beratung und Hilfe 147 unterstützt<br />

Kinder und Jugendliche bei Fragen zu Familienproblemen, Gewalt, Sucht,<br />

Schule, Beruf, Liebe, Freundschaft oder Sexualität. Per Telefon, SMS, E-Mail,<br />

Chat oder über die Informationsplattform www.147.ch können sich Kinder<br />

und Jugendliche an diese vertrauenswürdige Anlaufstelle wenden. Fachleute<br />

unterstützen an 365 Tagen, rund um die Uhr – schweizweit und kostenlos.<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

Februar <strong>2016</strong>35


«Als Mutter fühlte<br />

ich mich hilflos,<br />

auch schuldig,<br />

dass sich meine<br />

Tochter fast zu<br />

Tode hungerte.»<br />

36 Februar <strong>2016</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Psychologie & Gesellschaft<br />

«Leas Gesicht hat diesen leeren<br />

Ausdruck. Sie wiegt noch 30 Kilo»<br />

Lea* ist 14, als sie anfängt, ihr Gewicht zu kontrollieren. Mit 15 kann sie kaum<br />

noch essen, mit 16 fürchten die Eltern ihren Tod. Ihre Mutter erzählt von Leas Weg<br />

in die Magersucht, ihrem Kampf gegen die Krankheit und davon, was ihr letztlich<br />

in ein glückliches Leben zurückgeholfen hat.<br />

Text: Leas Mutter (möchte nicht namentlich genannt werden) Bilder: Daniel Auf der Mauer / 13 Photo<br />

Es ist Herbst 2009. Unsere<br />

Tochter Lea ist 14 Jahre<br />

alt. Wie andere Mädchen<br />

in diesem Alter hat<br />

sie in den letzten Monaten<br />

etwas zugenommen. Ihr Körper<br />

hat weibliche Formen und Rundungen<br />

bekommen, dick ist sie aber<br />

keineswegs. «Mama, ich möchte ein<br />

bisschen aufs Essen schauen», sagt<br />

sie. In der Biologie wird gerade die<br />

«Ernährungslehre» durchgenommen.<br />

Wir Eltern finden das gut –<br />

bewusst essen schadet nicht. Zuerst<br />

lässt Lea die Schokolade weg. Dann<br />

fängt sie an, Dinkelbrötchen für die<br />

Pause zu backen. Ganze Listen von<br />

Kalorientabellen finde ich später in<br />

ihrem Bett unter der Matratze.<br />

Lea hat Liebeskummer. Sie möchte<br />

aber nicht darüber sprechen.<br />

Schliesslich ist es normal, dass sich<br />

ein Kind in diesem Alter langsam<br />

von den Eltern zurückzieht, sich ins<br />

Zimmer verzieht, weg vom Familientisch.<br />

Eine enge Freundin hat<br />

Lea nicht mehr. Nach dem Übertritt<br />

in die Bezirksschule ist für sie vieles<br />

nicht mehr so wie in der Primarschule.<br />

Dort hatte sie zwei Freundinnen,<br />

die auch in der Nachbarschaft<br />

wohnten. Alles war überschaubar,<br />

nicht so in der Bezirksschule mit<br />

über 700 Schülern.<br />

«Die Portionen<br />

werden immer<br />

kleiner, die<br />

Mahlzeiten zur<br />

Qual.»<br />

Joghurt mit Früchten oder Suppe.<br />

«Lea, deine Portionen werden immer<br />

kleiner! Du musst essen, schliesslich<br />

bist du noch im Wachstum und<br />

brauchst eine Menge Energie.» Unsere<br />

Ermahnungen schlägt sie in den<br />

Wind. Sie esse ja! Ich koche viel<br />

Fisch, Reis, Gemüse. Das hat Lea<br />

gerne. So isst sie wenigstens etwas.<br />

«Es ist nur eine Phase, es geht vorbei»,<br />

sage ich mir. Dass ich mich so<br />

zur Komplizin meiner Tochter<br />

mache, sie in ihrem Wahn unterstütze,<br />

verdränge ich. Dass sie krank ist,<br />

dass das Hungern zur Sucht geworden<br />

ist, ist mir zu diesem Zeitpunkt<br />

noch nicht bewusst. Der Weg in die<br />

Essstörung ist ein schleichender Prozess.<br />

Frühling 2010<br />

schoben, die Portionen werden stetig<br />

kleiner, unser Familienleben wird<br />

immer mehr von den unschönen<br />

Auseinandersetzungen rund ums<br />

Essen belastet. Die gemeinsamen<br />

Mahlzeiten werden zur Qual. Auch<br />

unsere zwei Jahre jüngere Tochter<br />

Kathrin leidet. Lea bleibt stur. Sie isst<br />

kiloweise Äpfel, lernt verbissen in<br />

ihrem Zimmer und schottet sich<br />

immer mehr von ihrem sozialen<br />

Umfeld ab. Ihre Noten sind besser<br />

denn je und «rechtfertigen» ihr Verhalten.<br />

Sommer 2010<br />

Am Sporttag bricht Lea zusammen.<br />

Zu Hause erzählt sie nichts davon.<br />

Ihre Lehrerin ruft mich an, macht<br />

mich auf die Abmagerung unserer<br />

Tochter aufmerksam. Wie ich erst<br />

später erfahre, machen sich auch ihre<br />

Klassenkameraden Sorgen, versuchen<br />

mit Lea zu sprechen, auf sie<br />

einzuwirken. Kurz vor den Sommerferien<br />

nehmen wir mit dem Schulsozialarbeiter<br />

Kontakt auf. «Ich will<br />

mir Mühe geben», verspricht sie uns<br />

und packt zu meiner Beruhigung ein<br />

extragrosses Pausenbrot ein – essen<br />

tut sie es nicht.<br />

In den Sommerferien fährt sie<br />

zwei Wochen ins Blauringlager.<br />

Dort eskaliert die Situation. Lea isst<br />

nichts mehr, nimmt in dieser Zeit<br />

vier Kilo ab. Als ich auf der Lager-<br />

Nun ist es offensichtlich: Lea hat<br />

abgenommen, sieht aber noch<br />

immer gut aus, schön schlank! Sie<br />

Winter 2009/2010<br />

Lea ist immer strenger zu sich, zum<br />

Nachtessen gönnt sie sich nur noch<br />

bekommt Komplimente. Vermehrt<br />

haben wir Streit am Esstisch. Die<br />

Sauce wird auf den Tellerrand ge­<br />

Homepage meine Tochter abgebildet<br />

sehe – abgemagert, mit >>><br />

37


ihren dünnen Armen und hysterisch für meine Älteste, habe<br />

Beinen –, komme ich endlich zur<br />

Einsicht: Unsere Tochter ist krank.<br />

Magersüchtig.<br />

Nach ihrer Rückkehr vereinbare<br />

fünf Kochtöpfe gleichzeitig auf dem<br />

Herd stehen. Irgendwas muss sie<br />

doch essen! Manchmal zwingt Lea<br />

sich dazu.<br />

ich einen Termin bei der Gynäkologin.<br />

Die Ärztin spricht Klartext mit<br />

Lea. Sie weist sie auf die schweren<br />

Folgen einer Magersucht hin und<br />

warnt sie, dass sie sich die Zukunft<br />

verbaue, falls sie ihr Essverhalten<br />

nicht ändere. Es sieht so aus, als ob<br />

Lea verstanden hat. Wir sind erleichtert.<br />

Um unsere Tochter nicht nur<br />

körperlich, sondern auch psychologisch<br />

zu betreuen, erhalten wir beim<br />

Kinder- und Jugendpsychologischen<br />

Dienst (KJPD) einen Termin für ein<br />

Gespräch mit einer Psychologin.<br />

Auch das entlastet uns.<br />

Aber es dauert Wochen, bis das<br />

Gespräch stattfindet.<br />

Herbst 2010<br />

Endlich haben wir einen Termin bei<br />

der Psychologin. Lea muss auf die<br />

Waage. Sie wiegt knapp 38 Kilo, hat<br />

einen BMI von unter 17. Die Psychologin<br />

thematisiert einen Klinikeintritt.<br />

Natürlich möchte Lea nicht<br />

weg von zu Hause. Aber ich als Mutter<br />

kann die Verantwortung nicht<br />

mehr übernehmen. Ich habe Angst,<br />

dass mein Kind vor meinen Augen<br />

stirbt. Die Situation zu Hause ist<br />

auch für Kathrin zur Qual geworden.<br />

Alles dreht sich nur noch ums Essen<br />

und schlussendlich um die grosse<br />

Schwester. Dies belastet das Verhältnis<br />

der Mädchen sehr.<br />

Die Psychologin stellt uns eine<br />

Spital-Wohngruppe für junge Frauen<br />

mit Essstörungen vor. Doch<br />

«Endlich komme ich<br />

zur Einsicht: Unsere wenige Tage später wird Lea notfallmässig<br />

in dieses Spital eingeliefert.<br />

Tochter ist krank.<br />

Ihr körperlicher Zustand hat sich<br />

Magersüchtig.» noch einmal dramatisch verschlechtert.<br />

Sie möchte essen, aber kann<br />

nicht mehr. Sie wiegt 36 Kilo, wird<br />

In der Zwischenzeit wollen wir nach<br />

Griechenland fahren, Familienferien<br />

machen.<br />

«Geniesst die Zeit und versucht,<br />

das Thema Essen beiseitezulassen»,<br />

rät uns die Ärztin.<br />

Es wird der absolute Horror.<br />

Jeden Tag wird die Gestalt von Lea<br />

schmaler, ihr Gesicht ausdrucksloser.<br />

Ihr Anblick im Bikini versetzt<br />

uns einen Stich ins Herz. Am liebsten<br />

isst sie Gurken-Tomaten-Salat<br />

ohne Öl und Essig. Das Essen nicht<br />

zum Thema zu machen, ist fast<br />

unmöglich. Immer wieder gibt es<br />

Streit – die ganze Familie ist hilflos.<br />

Mitte August beginnt Leas letztes<br />

Schuljahr. Es geht ihr immer<br />

schlechter. Zusehends wird sie<br />

schwächer. Ihre Hände fühlen sich<br />

kalt an, die Haare fallen büschelweise<br />

aus. Ich bin verzweifelt, koche<br />

schwächer und schwächer. Unsere<br />

Tochter wird mit Geräten überwacht.<br />

Es folgen Gespräche mit Psychologen<br />

und einem erfahrenen<br />

Arzt. Endlich können wir mit einem<br />

Profi sprechen, der uns versteht. Er<br />

erklärt uns, dass es sich bei Anorexie<br />

(Magersucht) um eine sehr ernst zu<br />

nehmende Krankheit handle. Rund<br />

ein Drittel der Betroffenen sterbe<br />

daran, ein Drittel lebe mit der Essstörung<br />

und nur ein Drittel werde<br />

geheilt.<br />

Lea unterschreibt einen Vertrag,<br />

in welchem sie sich bereit erklärt,<br />

eine vorgeschriebene wöchentliche<br />

Gewichtszunahme anzustreben.<br />

Der abrupte Eintritt in die Klinik<br />

ist für uns als Familie sehr einschneidend.<br />

Ohne Vorbereitungszeit<br />

müssen wir unsere Tochter von<br />

heute auf morgen loslassen, Kathrin<br />

hat ebenfalls plötzlich ihre Schwester<br />

«verloren».<br />

Trotzdem sind wir froh, dass die<br />

Verantwortung nicht mehr in erster<br />

Linie bei uns liegt. Uns ist bewusst,<br />

dass wir unserer Tochter zu nahe<br />

stehen – ohne professionelle Hilfe<br />

geht es nicht mehr. Zu Hause kehrt<br />

etwas Ruhe ein. Endlich kann ich<br />

kochen, was ich will, und es gibt keine<br />

Diskussionen mehr.<br />

Lea kann in die Wohngruppe ziehen.<br />

«Lea, du musst essen, eine<br />

Magensonde ist sehr schlimm, ich<br />

weiss, wovon ich spreche», motiviert<br />

sie eine Bewohnerin gleich beim<br />

Eintritt. Der Kontakt zu den Schulkolleginnen<br />

bricht ab. Alle sind mit<br />

der Situation überfordert. Anstatt<br />

Schule hat Lea nun Psychotherapie<br />

und Gespräche innerhalb der Gruppe.<br />

Dazu kommen Physiotherapie<br />

und Werken. Auch wir Eltern und<br />

ihre Schwester nehmen regelmässig<br />

an einer Familientherapie teil. Lea<br />

versteht sich gut mit ihrer >>><br />

«Es dauert bis zu einem<br />

Jahr, bis eine Essstörung<br />

offensichtlich wird»<br />

Viele Eltern fragen sich, woran man eine<br />

beginnende Essstörung erkennt und<br />

wie sie ihrem Kind helfen können. «Das<br />

Thema so früh wie möglich ansprechen»,<br />

rät Chefärztin Bettina Isenschmid.<br />

Interview: Evelin Hartmann<br />

Frau Isenschmid, welches sind Anzeichen<br />

für eine beginnende Essstörung?<br />

Wenn sich Jugendliche zurückziehen, die<br />

Mahlzeiten nicht mehr mit der Familie<br />

einnehmen wollen, immer unzufriedener<br />

mit sich sind, zu Stimmungsschwankungen<br />

neigen.<br />

Beschreiben sie nicht gerade einen typischen<br />

Teenager?<br />

Stimmt, es kann sich bei solchem Verhalten<br />

um einen normalen Pubertätsverlauf<br />

«Lea ritzt sich,<br />

um sich zu<br />

spüren, wie sie<br />

sagt. Es gibt<br />

Momente, da<br />

kennen wir<br />

unsere Tochter<br />

nicht mehr.»<br />

38 Februar <strong>2016</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Psychologie & Gesellschaft<br />

handeln, doch wenn andere Themen<br />

zusätzlich immer mehr an Bedeutung<br />

gewinnen, wie das Gewicht, Kalorien<br />

zählen, Zucker und Fette vermeiden, sollten<br />

Eltern hellhörig werden. Der Weg in eine<br />

Essstörung ist ein schleichender Prozess,<br />

bis die Anzeichen offensichtlich werden,<br />

dauert es in der Regel ein halbes bis ein<br />

ganzes Jahr.<br />

Wie sollten Eltern reagieren?<br />

Das Thema früh ansprechen und der<br />

Tochter beziehungsweise dem Sohn seine<br />

Beobachtungen mitteilen. Dabei ist es<br />

wichtig, Ich- anstatt Du-Botschaften auszusprechen:<br />

«Ich habe dieses oder jenes<br />

beobachtet und mache mir Sorgen» anstatt<br />

«Du gehst nach dem Essen immer auf die<br />

Toilette brechen, du hast eine Essstörung».<br />

Letzteres führt höchstwahrscheinlich zu<br />

einer Abwehrhaltung.<br />

Und wenn das Kind trotzdem alles<br />

abstreitet?<br />

Nicht abwimmeln lassen, sondern das<br />

Thema immer wieder ansprechen. Eltern<br />

können sich auch ohne ihr betroffenes Kind<br />

an eine Beratungsstelle wenden und dem<br />

Kind später davon berichten. Meistens<br />

erklären sich die Betroffenen dann selbst<br />

bereit, mitzugehen.<br />

Inwieweit sind die Eltern in die Therapie<br />

miteinbezogen?<br />

Das hängt vom Alter des Kindes ab: Je<br />

jünger das Kind, desto grösser ist die<br />

Verantwortung der Eltern für das Thema<br />

Essen. Sie werden dann auch in eine<br />

Psychotherapie miteinbezogen. Sind die<br />

Teenager schon 15 oder 16, entscheiden<br />

sie in der Regel selbst, wer sie in diesem<br />

Prozess begleitet. Manche wollen beispielsweise<br />

lieber ihre beste Freundin dabeihaben.<br />

Dies sollten Eltern akzeptieren.<br />

Was raten Sie Eltern in solch einer<br />

Situa tion?<br />

Die gesunden Anteile ihres Kindes zu<br />

stärken versuchen, anstatt es immerzu<br />

als Kranken zu behandeln. Und ihm das<br />

Angebot machen, über seine Probleme zu<br />

sprechen, anstatt ständig nach dem Essen<br />

zu fragen. Das ist sicher nicht leicht, aber<br />

wichtig.<br />

Und bei Rückschlägen ...<br />

... eine Rückmeldung geben: «Es ging doch<br />

gut. Jetzt habe ich das Gefühl, dass es<br />

wieder schlimmer wird. Ich hoffe, du findest<br />

den Mut, mit deiner Therapeutin darüber<br />

zu sprechen.» Das ist besser, als hinter<br />

dem Rücken des Kindes die Therapeutin<br />

anzurufen.<br />

Bettina Isenschmid<br />

ist Fachärztin für Psychiatrie und<br />

Psychosomatik und leitet als Chefärztin das<br />

Kompetenzzentrum für Essstörungen (KEA)<br />

am Spital Zofingen, www.spitalzofingen.ch/kea<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

Februar <strong>2016</strong>39


Betreuerin. Sie basteln viel<br />

zusammen. So kann Lea ihre kreative<br />

Seite ausleben, was ihr viel bedeutet!<br />

Mit dem Gewicht geht es langsam<br />

bergauf. Wir besuchen sie unter<br />

der Woche, und am Wochenende<br />

darf sie nach Hause kommen – vollbepackt<br />

mit Menüplan, Rezepten<br />

und Kalorienaufstellungen.<br />

Winter 2010/11<br />

Winter 2011/12<br />

Auch hier hält sie sich nicht an die<br />

Abmachungen. Ihr Gewicht stagniert.<br />

Einmal entdecke ich in ihrem<br />

Schrank einen BH, gefüllt mit rund<br />

einem Kilo Schrauben und Muttern.<br />

Ihr Trick, um aus der geschlossenen<br />

Abteilung zu kommen.<br />

Deshalb muss sie nach einem halben<br />

Jahr die Klinik verlassen. «Die<br />

Magersucht ist nach wie vor voll<br />

präsent», sagt mir die Psychiaterin<br />

am Telefon. Ab Januar 2012 wohnt<br />

sie wieder bei uns und geht in die<br />

Schule. Erneut muss sie die Klasse<br />

wechseln, wird dort aber gut aufgenommen.<br />

Sie beginnt mit einer<br />

ambulanten Therapie im Kompegen<br />

und zur Untersuchung bei ihrer<br />

Frauenärztin meldet. Gleichzeitig<br />

geht sie in die Klinik zur Gesprächstherapie<br />

und fängt wieder mit der<br />

Schule an, eine Klasse tiefer, zu viel<br />

Stoff hat sie verpasst. Die Verantwortung<br />

rund ums Essen liegt nun wieder<br />

bei mir. Die Szenen am Tisch<br />

sind ähnlich wie vor Leas Klinikeintritt.<br />

Wieder kommen Gefühle der<br />

Ohnmacht, Wut, ja sogar Hass in mir<br />

hoch. «Sie müsste nur essen, dann<br />

wäre das Problem gelöst!» Davon bin<br />

ich überzeugt.<br />

Lea geht wöchentlich zum Wiegen.<br />

Sie trinkt vor dem Arztbesuch<br />

bis zu 4 Liter Wasser und zieht trotz<br />

wärmeren Temperaturen viele Klei­<br />

«Wir mussten<br />

Lea loslassen.<br />

Wir haben ihr<br />

gesagt, dass es<br />

nun an ihr liege,<br />

ob sie leben wolle<br />

oder nicht.»<br />

Lea will nicht mehr zunehmen. Ihre<br />

Betreuerin hat gekündigt und auch<br />

eine liebgewonnene Freundin wird<br />

aus der Klinik entlassen. Lea möchte<br />

ebenfalls nach Hause und weg vom<br />

Klinikalltag. Man einigt sich darauf,<br />

dass sie sich wöchentlich zum Wieder<br />

an, um ihren Gewichtsverlust<br />

wettzumachen. Wir Eltern und die<br />

Ärztin stellen Lea zur Rede. Sie verspricht<br />

und lügt uns im selben Satz<br />

an. Es gibt Momente, da kennen wir<br />

unsere Tochter nicht mehr. Nein, sie<br />

ist nicht mehr unsere Tochter – dieses<br />

Mädchen tickt so komplett<br />

anders, hat nicht mehr das sanfte<br />

Wesen, die geerdete Art.<br />

Lea ritzt sich, um sich zu spüren,<br />

wie sie sagt. Ihr Gesicht hat wieder<br />

diesen leeren Ausdruck. Nach vier<br />

Wochen zu Hause wiegt Lea knapp<br />

30 Kilo.<br />

Ein zweites Mal muss sie notfallmässig<br />

ins Spital eingeliefert werden.<br />

Lea ist moralisch und körperlich<br />

total am Ende. Sie hält sich nicht an<br />

die Vereinbarungen ihrer Wohngruppe,<br />

fliegt aus dem Therapieprogramm.<br />

Für uns Eltern ist dieser<br />

Rauswurf dramatisch. Wohin nun<br />

mit unserer Tochter? Glücklicherweise<br />

darf Lea noch im Spital bleiben,<br />

bis wir für sie einen geeigneten<br />

Platz gefunden haben. Nach zahlreichen<br />

Besprechungen mit Ärzten und<br />

Fachleuten finden wir für unsere<br />

Tochter einen Therapieplatz in einer<br />

psychiatrischen Klinik, etwa eine<br />

halbe Stunde von zu Hause entfernt.<br />

Einmal mehr heisst es Abschied<br />

nehmen. Zeitweise ist sie in der<br />

geschlossenen Abteilung.<br />

40 Februar <strong>2016</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Psychologie & Gesellschaft<br />

tenzzentrum für Essstörungen<br />

(KEA) in Zofingen.<br />

Dann, beim Skifahren, zieht sie<br />

sich einen Oberschenkelhalsbruch<br />

zu. Lea hat Angst, dass sie langsam<br />

«zerbricht», lässt ihre Knochendichte<br />

messen – der Punkt, an dem auch<br />

mein Mann und ich uns Hilfe<br />

suchen müssen, sonst wären wir<br />

ebenfalls krank geworden. Der Therapeut,<br />

ein Mediator, bittet uns,<br />

unsere Tochter «loszulassen». Für<br />

mich als Mutter ist dies wie ein<br />

Befreiungsschlag. Wir versprechen<br />

ihm, Lea nicht mehr «in den Teller<br />

zu schauen», sie essen zu lassen, was<br />

sie will, oder eben zuzulassen, dass<br />

sie nichts isst – dies alles ohne Kommentar.<br />

Wir sagen Lea, dass es nun an ihr<br />

liege, ob sie leben wolle oder nicht.<br />

Dass wir mit unseren Kräften am<br />

Ende seien und kaputt gehen würden,<br />

wenn wir uns nicht abgrenzten<br />

von ihr. Es ist knallhart, das alles<br />

umzusetzen. Es ist ein langer Weg.<br />

Heute weiss ich, dass es diesen Leidensweg<br />

brauchte. Wir Eltern mussten<br />

an unsere Grenzen kommen,<br />

sonst hätten wir Lea nicht loslassen<br />

können.<br />

Winter 2012/13<br />

Lea verliebt sich. Er heisst Matteo.<br />

Diese Liebe «therapiert» unsere<br />

Tochter innert Kürze. Wir können<br />

es kaum fassen. Matteo kocht und<br />

isst sehr gerne. Meistens wohnt sie<br />

nun bei ihrem Freund und seiner<br />

Familie. Langsam normalisiert sich<br />

Leas Essverhalten. Ein halbes Jahr<br />

später beginnt sie eine Lehre als<br />

Fachangestellte Gesundheit, in einer<br />

Wohngruppe mit leicht bis mitteldementen<br />

Bewohnern. Sie muss dort<br />

auch kochen und essen. Die Arbeit<br />

bereitet ihr grosse Freude – sie wird<br />

gebraucht und gleichzeitig geschätzt.<br />

Winter 2015/16<br />

Noch immer geht sie regelmässig zur<br />

Therapie im Kompetenzzentrum für<br />

Essstörungen. Doch heute dürfen<br />

wir sagen, dass Leas Essverhalten<br />

wieder normal ist. Das grenzt für<br />

mich an ein Wunder! Es gab eine<br />

Zeit, da haben wir nicht mehr daran<br />

geglaubt, dass sich Lea von ihrer<br />

Anorexie befreien kann – wir haben<br />

zeitweise mit ihrem Tod gerechnet.<br />

Das war für uns Eltern und ihre<br />

Schwester die reinste Hölle, all die<br />

Diskussionen, die Streitigkeiten rund<br />

ums Essen, um Kilos und Kalorien,<br />

all die Beschuldigungen, die Lügen.<br />

Rückblickend habe ich das<br />

Gefühl, dass viele verschiedene Faktoren<br />

zu Leas Magersucht geführt<br />

haben. Sie fühlte sich in ihrer Klasse<br />

nicht integriert. Sie hatte keine richtige<br />

Freundin. Sie «hungerte» regelrecht<br />

nach Aufmerksamkeit, wollte<br />

doch auch zu den Schönen und<br />

Schlanken gehören, bei den Jungs<br />

gut ankommen.<br />

«Die Liebe zu ihrem<br />

neuen Freund<br />

hat unsere<br />

Tochter gerettet.»<br />

Ihr fehlte es vor allem in der Oberstufe<br />

an einem gesunden und guten<br />

Selbstbewusstsein, Selbstwertgefühl<br />

und Selbstvertrauen. Die Angst vor<br />

der Zukunft machte sich breit, all die<br />

Fragen rund um die Berufswahl. Sie<br />

verglich sich auch ständig mit ihrer<br />

Schwester, die nach aussen alles viel<br />

lockerer nimmt und nicht so introvertiert<br />

ist wie Lea.<br />

Es gab eine Zeit, in der ich mich<br />

als Mutter schuldig fühlte und mir<br />

Vorwürfe machte, dass es zu dieser<br />

schlimmen Krankheit kam und sich<br />

meine Tochter sozusagen fast zu<br />

Tode hungerte. Insbesondere fühlte<br />

ich mich schuldig, weil es seine Zeit<br />

dauerte, bis ich es wahrhaben wollte,<br />

dass meine Tochter magersüchtig ist.<br />

Fachpersonen sind sich einig und<br />

Studien belegen: Je früher man eine<br />

Magersucht behandelt, desto grösser<br />

sind die Heilungschancen. Rückblickend<br />

ist es einfacher, gewisse Feststellungen<br />

zu machen: Heute würde<br />

ich früher mit meiner Tochter den<br />

Arzt aufsuchen und die Essstörung<br />

thematisieren. Ich würde mir auch<br />

früher Hilfe bei einer Fachstelle<br />

holen.<br />

Dass Lea es letztendlich geschafft<br />

hat, liegt auch an mehreren Faktoren:<br />

Der Oberschenkelhalsbruch<br />

löste in ihr eine riesengrosse Angst<br />

aus, dass sie nun auch innerlich<br />

«zerbricht». In all den Therapien<br />

wurde Osteoporose thematisiert –<br />

immer vergebens. Bei diesem Unfall<br />

hat sie es am eigenen Leibe erfahren.<br />

Sie hat die Kontrolle über ihren Körper<br />

verloren.<br />

Ein wesentlicher Faktor, welcher<br />

zur Genesung unserer Tochter führte,<br />

war sicher auch die Liebe zu<br />

ihrem Freund. Er akzeptierte und<br />

liebte Lea so, wie sie ist. Auch die<br />

Belastung bezüglich Berufswahl<br />

konnte mit der erhaltenen Lehrstelle<br />

geklärt werden. Endlich hat Lea<br />

wieder ein Ziel vor Augen.<br />

Wer mir in dieser schweren Zeit<br />

die grösste Stütze war? Mein Mann.<br />

Hand in Hand sind wir diesen Weg<br />

gegangen und haben uns gegenseitig<br />

unterstützt. Wenn es mir schlecht<br />

ging, hat er mich wieder aufgebaut.<br />

Wir durften auch auf liebe Menschen<br />

im Familien- und Freundeskreis<br />

zählen, die uns mit guten<br />

Gesprächen und viel Einfühlungsvermögen<br />

begleiteten, die ein offenes<br />

Ohr hatten und einfach da<br />

waren. Geblieben ist mir nach dieser<br />

Zeit eine grosse Dankbarkeit, dass<br />

Lea in ein normales Leben zurückgefunden<br />

hat und mit Freude den<br />

Alltag meistern kann.


Kolumne<br />

Mobbing beginnt nicht in den<br />

Köpfen der Kinder<br />

Wenn in einer Schule überdurchschnittlich häufig gemobbt wird, ist der Grund oft ein<br />

Führungsproblem. Jesper Juul über fehlendes Selbstwertgefühl von Jugendlichen<br />

und die Herausforderung an Lehrkräfte, mit ihrem Verhalten Mobbing zu verhindern.<br />

Jesper Juul<br />

ist Familientherapeut und Autor<br />

zahlreicher internationaler Bestseller<br />

zum Thema Erziehung und Familien.<br />

1948 in Dänemark geboren, fuhr er<br />

nach dem Schulabschluss zur See, war<br />

später Betonarbeiter, Tellerwäscher<br />

und Barkeeper. Nach der<br />

Lehrerausbildung arbeitete er als<br />

Heimerzieher und Sozialarbeiter<br />

und bildete sich in den Niederlanden<br />

und den USA bei Walter Kempler zum<br />

Familientherapeuten weiter. Seit 2012<br />

leidet Juul an einer Entzündung der<br />

Rückenmarksflüssigkeit und sitzt im<br />

Rollstuhl.<br />

Jesper Juul hat einen erwachsenen<br />

Sohn aus erster Ehe und ist in zweiter<br />

Ehe geschieden.<br />

Dem Thema Mobbing<br />

in Schulen und auf<br />

sozialen Netzwerken<br />

wurde in den letzten<br />

zehn Jahren in ganz<br />

Europa viel Beachtung geschenkt.<br />

Dieser Artikel konzentriert sich auf<br />

Mobbing in Schulen. Von diversen<br />

Seiten der Gesellschaft wurden bisher<br />

verschiedenste Methoden und<br />

Programme entwickelt, aber gemäss<br />

unserem heutigen Stand (Schweden<br />

hat fundierte Nachforschungen<br />

betrieben) haben diese bisher weder<br />

eine präventive Wirkung gezeigt<br />

noch das Mobbingproblem gelöst.<br />

Im Gegenteil: Man hat festgestellt,<br />

dass die Mobbingraten in den ersten<br />

ein bis zwei Jahren zwar zunächst<br />

sanken, danach stiegen diese jedoch<br />

auf ein noch höheres Niveau als vor<br />

dem Start der Programme und<br />

Kampa gnen. Millionen wurden verschwendet,<br />

und die Kinder wurden<br />

einmal mehr alleingelassen.<br />

Entscheidend dafür, ob es zu<br />

Mobbing kommt oder nicht,<br />

ist die Führung der Kinder<br />

durch die Erwachsenen.<br />

Mobbingopfer erhalten ausser moralischer<br />

Unterstützung meistens keine<br />

weitere Hilfe, und viele Eltern<br />

entscheiden sich, neue Schulen für<br />

ihre Kinder zu finden. Kinder, die<br />

mobben, werden auf verschiedene<br />

Weisen bestraft. Dies führt tendenziell<br />

dazu, dass sich das Verhalten<br />

dieser Kinder sogar noch verschlimmert.<br />

Beide Gruppen erhalten keine<br />

Alternativen, um mit sich selbst und<br />

anderen umzugehen.<br />

Wie die Lehrer, so die Schüler<br />

Das grundlegende Missverständnis<br />

hinter den meisten Kampagnen ist<br />

die Annahme, dass Mobbing in den<br />

Köpfen der Kinder beginnt, was aber<br />

nicht der Fall ist. Es ist korrekt, dass<br />

Kinder die Fähigkeit haben, gemein<br />

und scheusslich zueinander zu sein.<br />

Entscheidend dafür, ob dies geschieht<br />

oder nicht geschieht, ist jedoch einzig<br />

und alleine die Führung durch<br />

die Erwachsenen.<br />

Im gleichen Masse widerspiegelt<br />

Mobbing am Arbeitsplatz die Qualität<br />

der Führung in einem Betrieb.<br />

Aus unseren klinischen Erfahrungen<br />

wissen wir, dass in Schulen, in<br />

welchen häufiges Mobbing zwischen<br />

Kindern betrieben wird, auch Mobbing<br />

unter Lehrpersonen stattfindet.<br />

Der einzige Unterschied besteht<br />

darin, dass intelligente Erwachsene<br />

sehr subtile Wege verwenden, um<br />

Illustration: Petra Dufkova/Die Illustratoren<br />

42 Februar <strong>2016</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


andere schlechtzumachen; Wege,<br />

die nicht so leicht bewiesen werden<br />

können. Mobbing ist eine Reaktion<br />

auf ein dysfunktionales soziales System<br />

in Institutionen und Organisationen.<br />

Die wichtigste Führungskraft in<br />

Schulen ist die Schulleiterin oder<br />

der Schulleiter. Ihr/sein Führungsstil,<br />

ihre/seine Werte und Prinzipien<br />

spiegeln sich im Verhalten der meisten<br />

Lehrpersonen wider. Auch die<br />

Eltern tragen einen wichtigen Teil<br />

zum Ganzen bei: die Art und Weise,<br />

wie sie ihre Kinder erziehen, und die<br />

Art und Weise, wie sie eingeladen<br />

werden, eine konstruktive Rolle in<br />

der Schule zu spielen – und nicht<br />

nur kontaktiert zu werden, um sich<br />

Beschuldigungen über die eigenen<br />

Kinder anzuhören.<br />

Wenn in einer Institution überdurchschnittlich<br />

häufig gemobbt<br />

wird, liegt dem ein Führungsproblem<br />

zugrunde, was eine grosse<br />

Herausforderung darstellt. Um diesen<br />

Aspekt der Kultur in spezifischen<br />

Schulen umzuwandeln, muss<br />

mit der Herstellung eines konstruktiven<br />

Denkrahmens unter Lehrpersonen<br />

begonnen werden. Meistens<br />

benötigen diese eine Auffrischung<br />

in Entwicklungs- und Sozialpsychologie<br />

(Beziehungskompetenz) sowie<br />

ein adäquates Führungstraining.<br />

Keines von beidem ist meines Wissens<br />

in der Lehrerausbildung enthalten.<br />

«Was ist ein guter Freund?»<br />

Der zweite Schritt beinhaltet eine<br />

philosophische Übung, welche sich<br />

sehr von einer moralischen Lektüre<br />

unterscheidet. Dies muss im ersten<br />

Monat des ersten Schuljahres passieren<br />

und wird etwa 50 Minuten in<br />

Anspruch nehmen. Die Lehrperson<br />

fragt jedes Kind: «Was ist ein guter<br />

Freund?» – Sie hört sich die Antworten<br />

an, ohne diese zu kommentieren<br />

oder zu bewerten, und lässt die Kinder<br />

in kleinen Gruppen untereinander<br />

sprechen (es ist wichtig, Mädchen<br />

und Jungen zu mischen). Am<br />

Wo überdurchschnittlich häufig<br />

gemobbt wird, liegt<br />

ein Führungsproblem vor.<br />

Ende kann die Lehrperson eine<br />

Zusammenfassung auf die Wandtafel<br />

schreiben und sicherstellen, dass<br />

alle Kollegen und Eltern informiert<br />

und dazu ermutigt werden, die Sache<br />

weiterzuverfolgen.<br />

Diese Übung sollte mindestens<br />

einmal pro Jahr wiederholt werden.<br />

Hierzu sollten jeweils zusätzliche<br />

Fragen gestellt werden: «Hat jemand<br />

von euch eine schlechte Erfahrung<br />

mit einem anderen Kind gemacht?<br />

Was ist passiert und wie hast du dich<br />

dabei gefühlt?» Kinder werden diese<br />

Fragen angstfrei beantworten, so -<br />

bald sie erfahren haben, dass ihre<br />

Lehrperson mit solchen Situationen<br />

umgehen kann, ohne zu moralischen<br />

Beschuldigungen oder Strafen<br />

zu greifen.<br />

Generell ist es wichtig, dass sich<br />

Kinder immer sicher und geschätzt<br />

fühlen, wenn sie etwas sagen möchten,<br />

das vielleicht nicht direkt mit<br />

dem Lehrplan zu tun hat. Alternative<br />

Schulen, die anstreben, eine auf<br />

Dialog basierende Kultur zu schaffen,<br />

sind diesbezüglich erfolgreicher.<br />

Das folgende Beispiel kann als<br />

aussergewöhnlicher, mutiger Akt<br />

eines aussergewöhnlichen Mädchens<br />

angesehen werden, aber die<br />

Realität ist, dass seine Initiative ohne<br />

engagierten Beitrag aller Erwachsenen<br />

nicht möglich gewesen wäre.<br />

Der Gedanke wäre in seinem Kopf<br />

gewesen, aber nie ausgesprochen<br />

worden. Es ist auf fruchtbaren Bo -<br />

den gestossen.<br />

Ein achtjähriges dänisches Mädchen<br />

fragte seinen Lehrer um<br />

Erlaubnis, vor ihre Klasse zu treten<br />

und eine persönliche Nachricht zu<br />

übermitteln. Der Lehrer schlug vor,<br />

dass es an ihrem Tisch aufsteht, aber<br />

das Mädchen bestand darauf, alle Klassenkameraden<br />

anzuschauen.<br />

«Ich möchte euch etwas Wichtiges<br />

sagen. Einer der Jungs in dieser Klasse<br />

hat Lernschwierigkeiten, und ein paar<br />

von euch hänseln und mobben ihn deswegen.<br />

Das macht ihn sehr unglücklich,<br />

und ich denke, dass es falsch ist<br />

und dass diejenigen damit aufhören<br />

sollten.»<br />

Ihre Klassenkameraden applaudierten,<br />

und am gleichen Abend rief der<br />

Lehrer ihre Mutter an und erzählte ihr,<br />

was ihre Tochter getan hatte, und sagte<br />

ihr, dass sie stolz auf sie sein könne. Die<br />

Mutter veröffentlichte die Geschichte<br />

auf Facebook und erhielt während der<br />

Nacht Hunderte von Likes. Am nächsten<br />

Tag gingen Mutter und Tochter<br />

zum Frühstücksfernsehen, und für ein<br />

paar Wochen war das Ereignis in der<br />

Öffentlichkeit und wurde in Hunderten<br />

von Schulzimmern und Tausenden<br />

Familien diskutiert.<br />

Die Kolumnen von Jesper Juul entstehen<br />

in Zusammenarbeit mit<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

Februar <strong>2016</strong>43


44 Februar <strong>2016</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Erziehung & Schule<br />

«Ich küsse, du küsst,<br />

er küsst …»<br />

Sie kennen oft noch nicht einmal unser Alphabet, wissen nicht, wie lange sie in der<br />

Schweiz leben werden – sollen aber in wenigen Wochen fit gemacht werden für den<br />

Unterricht in der Regelschule. Wie geht das? Zu Besuch in einer Asylschule.<br />

Text: Bianca Fritz Bilder: Filipa Peixeiro / 13 Photo<br />

Während die<br />

kleinen Schüler<br />

Silben klatschen<br />

(unten),<br />

konjugieren die<br />

Teenager Verben.<br />

Morgens kurvt ein<br />

kleiner Bus das<br />

steile Strässchen<br />

herauf, durch das<br />

Gelände des Kantonsspitals.<br />

Vor dem letzten Gebäude<br />

am Waldrand bleibt er stehen<br />

und spuckt eine Gruppe Schülerinnen<br />

und Schüler mit bunten Rucksäcken<br />

aus. Sie eilen vorbei am Empfang<br />

des Asylzentrums und am<br />

Büro, vor dem Asylbewerber sitzen,<br />

warten, laut diskutieren. Die Kinder<br />

sind spät dran an diesem Morgen,<br />

weil ihr Schulbus im Stau stand.<br />

Hektisch ziehen sie ihre Jacken aus,<br />

verteilen sie auf die Haken an der<br />

Wand und huschen ins Klassenzimmer.<br />

Dort sitzen ihre Mitschüler<br />

bereits über ihren Aufgaben gebeugt.<br />

Sie hatten einen kürzeren Schulweg:<br />

von den oberen Stockwerken des<br />

Asylzentrums ins Erdgeschoss. Die<br />

Lehrerinnen nehmen die verspätete<br />

Ankunft der Schulbuskinder aus<br />

den anderen Asylzentren gelassen<br />

hin. Die Ausnahmesituation ist hier<br />

der Normalfall.<br />

In der Schule im Asylzentrum<br />

Hirschpark in Luzern ist alle zwei<br />

Wochen Einschulung. Fast genauso<br />

häufig werden Schülerinnen und<br />

Schüler verabschiedet. Zum Zeitpunkt<br />

unseres Besuches büffeln 48<br />

Kinder und Jugendliche in sechs<br />

Klassen, aber die Zahl ändert sich<br />

ständig – meist wächst sie. Schul-<br />

pflichtig sind in der Schweiz alle<br />

Kinder – unabhängig von ihrem<br />

Aufenthaltsstatus. Mit dem wachsenden<br />

Zustrom an Flüchtlingen<br />

gibt es also auch immer mehr Kinder,<br />

die in den kantonalen Durchgangszentren<br />

darauf warten, dass ihr<br />

Asylantrag bearbeitet wird.<br />

Schon in dieser Zeit ist Bildung<br />

für sie Recht und Pflicht zugleich.<br />

Dabei fahren die Kantone unterschiedlichste<br />

Modelle. Von der<br />

sofortigen Eingliederung in die<br />

Regelschule mit zusätzlichem<br />

Deutschunterricht über spezielle<br />

Kleinklassen bis hin zu Schulklassen<br />

direkt in den Asylzentren, wie sie<br />

eben in Luzern geführt werden.<br />

Wenn der Asylstatus geklärt ist, geht<br />

es für die Bewerber entweder in die<br />

Gemeinden – und damit auf die<br />

Regelschulen – oder ins Heimatland<br />

zurück.<br />

Im Durchschnitt bleiben die Kinder<br />

in Luzern zwei bis drei Monate<br />

in den Durchgangszentren. Es gibt<br />

aber auch immer solche, die schon<br />

nach wenigen Wochen weiterziehen.<br />

Und es gibt jene, deren Status bis zu<br />

einem Jahr oder länger unklar bleibt.<br />

Sie sehen ihre Mitschüler ständig<br />

kommen und gehen.<br />

Das Gefälle ist riesig<br />

Bevor die Kinder in die Klassen eingeteilt<br />

werden, stellen sie sich bei der<br />

Schulleiterin Silvia Rüttimann vor.<br />

Sie versucht herauszufinden, ob die<br />

Kinder bereits die Schule besucht<br />

haben, ob sie lesen und schreiben<br />

können, ob sie auch lateinische oder<br />

hauptsächlich arabische Schriftzeichen<br />

gelernt haben. «Das Gefälle ist<br />

riesig», sagt sie. Die schwierigste<br />

Aufgabe sei es, die Kinder zwar nach<br />

Niveau einzuteilen, ihnen aber trotzdem<br />

die Chance zu geben, mit<br />

Gleichaltrigen zu lernen. «Wir können<br />

den 16-jährigen Analphabeten<br />

nicht zu den Primarschülern und<br />

Kindergartenkindern stecken», sagt<br />

sie. Für die acht Volksschullehrerinnen,<br />

die mit einem festen Pensum<br />

an der Schule im Asylzentrum arbeiten,<br />

heisst das vor allem eines: Sie<br />

müssen jeden Schüler einzeln >>><br />

«Wir können den 16-jährigen<br />

Analphabeten nicht zusammen<br />

mit Kindergartenkindern und<br />

Primarschülern unterrichten.»<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

Februar <strong>2016</strong>45


«Die Kinder saugen alles auf,<br />

wollen alles wissen,<br />

ganz ohne Vorbehalte.»<br />

>>> betreuen. Jedem Aufgaben auf<br />

seinem Niveau zuteilen, seinen Fortschritt<br />

gewähren und trotzdem die<br />

Gruppe zusammenhalten. Ein ständiger<br />

Spagat. Deshalb sitzen in den<br />

Klassenzimmern auch im Normalfall<br />

nicht mehr als zehn Schüler. Der<br />

Spracherwerb steht im Vordergrund,<br />

alle Lehrpersonen habe eine Zusatzausbildung<br />

im Bereich «Deutsch als<br />

Fremdsprache». Vormittags hat jeder<br />

Schüler zehn Lektionen Deutsch pro<br />

Woche. Nachmittags stehen je zwei<br />

Lektionen Rechnen, Gestalten oder<br />

Sport auf dem Stundenplan. Und<br />

dann sind da noch Dinge, die mitgelernt<br />

werden, ohne dass sie direkt<br />

benannt werden: dem Tag Struktur<br />

geben, schulfähig werden.<br />

Hohes Aggressionspotenzial<br />

Gerade bei den Jüngsten, den angehenden<br />

Primarschülern, ist das ein<br />

Thema. Sie sitzen im ersten Stock an<br />

kleinen Tischen und kleben bunte<br />

Punkte hinter Bilder und Worte.<br />

Jeder Punkt steht für eine Silbe. Wer<br />

unsicher ist, klatscht zusammen mit<br />

Lehrerin Pia Schnyder Perrollaz und<br />

Praktikant Anis Ayachi in die Hände<br />

und zählt nach. «Re-gen-schirm.»<br />

«Sturm-wind.» Die Worte haben die<br />

Kinder gerade erst gelernt – sie stammen<br />

aus einer Geschichte vom Igel<br />

im Winterschlaf.<br />

Manche Schüler knobeln und<br />

grübeln so fest, dass man fast meint,<br />

Dampf aus den kleinen Köpfen aufsteigen<br />

zu sehen. Sie reiben sich die<br />

Nase, ziehen die Münder zusammen<br />

und versuchen es: «Zwei?» «Nein,<br />

hör noch einmal hin!» Andere seufzen<br />

und ruckeln ungeduldig auf<br />

ihren Stühlen herum.<br />

Die Kinder an Schulstrukturen zu<br />

gewöhnen, ist alles andere als einfach,<br />

berichtet die Lehrerin: «Viele<br />

haben zuvor noch nie in einem Kreis<br />

gesessen, manche noch nie gespielt.»<br />

Dazu kommt, dass einige Kinder ein<br />

hohes Aggressionspotenzial mitbringen<br />

– es aus ihrer Familie nicht<br />

anders kennen. «Wer das Spielzeug<br />

in der Hand hat, glaubt, dass es nun<br />

ihm gehört, und andere werden mit<br />

Schlagen und Kratzen abgewehrt»,<br />

erzählt Pia Schnyder Perrollaz. In<br />

diesen Mo menten ist sie als Lehrerin<br />

und Mensch besonders gefordert.<br />

Sie muss erklären, warum man im<br />

Schulzimmer nicht schlagen darf.<br />

Und das oft nur mit Gesten und<br />

Mimik, weil die richtigen Worte<br />

noch fehlen.<br />

Aber es gibt auch die andere Seite<br />

der Arbeit im Asylzentrum. Die<br />

beispiellose Begeisterungsfähigkeit<br />

der Kinder. Wann immer Pia Schnyder<br />

Perrollaz eine Frage stellt,<br />

schnellen alle Finger gierig in die<br />

Höhe und die Kinder rufen «Ich, ich,<br />

ich …». «Sie saugen alles auf, wollen<br />

alles wissen, ganz ohne Vorbehalte»,<br />

erzählt die Lehrerin.<br />

Zugleich su chen sie Nähe. Praktikant<br />

Anis, 22, hat es ihnen besonders<br />

angetan. Vielleicht, weil er als<br />

Halbtunesier auch Arabisch spricht.<br />

Vielleicht auch, weil er, wie er selbst<br />

sagt, «nicht so sehr Autorität ausstrahlen<br />

muss und manchmal auch<br />

nur dabeisitzen darf». Immer wieder<br />

kommt eines der Kinder zu ihm und<br />

schmiegt sich an seinen Arm. Auch,<br />

als sie am Ende der Stunde gemeinsam<br />

das Lied vom Igel im Winterschlaf<br />

singen, laut, falsch und mit<br />

ganz viel Körpereinsatz.<br />

Dass die meisten Kinder sehr gerne<br />

zur Schule gehen und es auch<br />

keine Überzeugungsarbeit bei den<br />

Eltern braucht, weiss auch Schulleiterin<br />

Silvia Rüttimann aus Erfahrung.<br />

«Allen ist Schule enorm wich­<br />

tig.» Und das nicht nur wegen des<br />

Schulstoffs. Es geht auch darum,<br />

dass die Kinder einmal rauskommen<br />

aus den beengten Wohnverhältnissen<br />

im Asylzentrum.<br />

Bei Familie Rashid kann man das<br />

gut sehen. Seit sie vor drei Monaten<br />

aus Syrien über die Türkei und<br />

Deutschland in die Schweiz gekommen<br />

ist, wohnt sie zwei Stockwerke<br />

über der Schule in einem kleinen<br />

und blitzblank ge putzten Zimmer.<br />

Darin stehen zwei Stockbetten und<br />

ein Gitterbettchen mit einem Neugeborenen.<br />

Dazu ein Waschbecken,<br />

eine Mikrowelle, ein Kühlschrank,<br />

ein kleiner Tisch – das wars.<br />

Hier lebt die sechsköpfige Familie.<br />

Und alle versuchen still zu sein,<br />

wenn die drei schulpflichtigen Kinder<br />

ihre Hausaufgaben machen. Das<br />

versichert Vater Muhammed, der<br />

selbst oft mit dem Wörterbuch anzutreffen<br />

ist. «Bildung ist wichtig», sagt<br />

er mit einem ernsten Gesicht. Er<br />

steht vor einer Wand, an der die<br />

Stundenpläne der Kinder hängen,<br />

zusammen mit Porträtfotos. Darunter<br />

sind Schultheke und Schuhe aufgereiht.<br />

Bis vor ein paar Monaten<br />

gab es im Asylzentrum noch einen<br />

Raum, in dem die Kinder in Ruhe<br />

Hausaufgaben machen konnten.<br />

Doch dieser wird jetzt als zusätzlicher<br />

Schlafraum gebraucht.<br />

Über die Lehrerin tuscheln<br />

Einzig unter den Teenagern gibt es<br />

einige, die manchmal nicht ganz so<br />

begeistert wirken von den Schulstunden.<br />

Für sie ist die Lehrerin auch mal<br />

Anlass, in der Muttersprache zu<br />

tuscheln. Und es gibt Jungen, die<br />

man dreimal ermahnen muss, bis sie<br />

ihr Handy ausschalten. Das mag an<br />

der Pubertät liegen. Vielleicht auch<br />

daran, dass sie den schwierigsten<br />

Weg zu gehen haben. Die Jugendlichen<br />

sollen in wenigen Wochen oder<br />

Monaten so gut Deutsch lernen und<br />

erste Schulinhalte so gut vermittelt<br />

be kommen, dass sie bald «die tiefste<br />

Regelschulklasse, die für ihr Alter<br />

noch vertretbar ist», besuchen kön­<br />

46 Februar <strong>2016</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Erziehung & Schule<br />

«Ich, ich, ich!»<br />

Alle Kinder<br />

wollen unbedingt<br />

zeigen, wie der<br />

Sturmwind tönt.<br />

nen. So drückt es Schulleiterin Silvia<br />

Rüttimann aus. Deshalb geht es in<br />

diesen Klassen auch viel weniger<br />

spielerisch zu als bei den Jüngeren.<br />

Gerade werden kräftig Verben konjugiert.<br />

«Ich küsse, du küsst …»<br />

«Weisst du denn, was küssen heisst?»,<br />

wirft die Lehrerin ein, und das Mädchen<br />

aus Afghanistan formt scheu<br />

einen Kussmund unter ihrem Kopftuch.<br />

«Ja, genau!» Dann lobt sie eine<br />

Eritreerin dafür, dass sie das Verb<br />

«rennen» richtig durchkonjugiert<br />

hat – ohne abzulesen, denn lesen<br />

kann sie noch nicht.<br />

Ein Klassenzimmer weiter wirft<br />

Lehrerin Heidy Müller auch immer<br />

wieder ein Wort in Farsi oder Arabisch<br />

in die Runde, wenn die Verständigung<br />

hakt. Das meiste aber,<br />

gibt sie selbstkritisch zu, vergisst sie<br />

schon bald, nachdem es ihr die<br />

Schüler beigebracht haben. «Umso<br />

bewundernswerter finde ich es, was<br />

die Kinder hier leisten.»<br />

Die meisten sprechen Deutsch in<br />

kurzen Sätzen. «Ich komme aus<br />

Syrien.» «Ich bin 14 Jahre alt.» Das<br />

geht schon. Auch: «Ich habe zwei<br />

Schwestern.» Warum diese aber bei<br />

den Eltern in Syrien geblieben sind,<br />

warum der Junge, der das berichtet,<br />

ganz alleine in die Schweiz gekommen<br />

ist, dafür fehlen die deutschen<br />

Worte noch. Stattdessen lächelt er<br />

und zuckt mit der Schultern.<br />

Klar ist: Er ist nicht der Einzige,<br />

der ohne Familie hier ist. Im Kanton<br />

Luzern wurde extra ein Zentrum für<br />

rund 70 sogenannte UMAs – also<br />

«unbegleitete minderjährige Asylsuchende»<br />

– errichtet. Eine besondere<br />

Herausforderung für die Lehrpersonen?<br />

Silvia Rüttimann: «Traumata<br />

spüren wir selten. Nur punktuell<br />

erzählt mal ein Elternteil etwas,<br />

wenn es darum geht, das Verhalten<br />

der Kinder zu erklären.» Im Unterricht<br />

ist das, was die Kinder erlebt<br />

haben, im Normalfall aber kein Thema.<br />

Lehrerin Pia Schnyder Perrollaz<br />

ist überzeugt: «Die Kinder sind erst<br />

einmal damit beschäftigt, anzukommen<br />

– was sie zu verarbeiten haben,<br />

zeigt sich erst viel später, wenn sie<br />

zur Ruhe gekommen sind.»


Erziehung & Schule<br />

Tabuthema Geld?<br />

«Papa, können wir nach Australien in die Ferien? Da kann man mit Delfinen schnorcheln, und die Koalas<br />

sind so süss!» Der Vater denkt an den fünfstelligen Betrag, den die Reise kostet. Verlegen ringt er nach<br />

einer Antwort an seine Teenagertochter, die anders lautet als «Nein, das ist zu teuer!» Text: Andreas Hieber<br />

MoneyFit-Tipp<br />

Fachleute empfehlen, das Thema Geld in Erziehung<br />

und Bildung auf keinen Fall zu tabuisieren,<br />

sondern spätestens ab dem Teenageralter aktiv zu<br />

besprechen. Konkret:<br />

Das Familienbudget inkl. das Einkommen<br />

der Eltern offenlegen<br />

Finanzielle Verantwortung für persönliche<br />

Auslagen übergeben<br />

Wichtige Anschaffungen gemeinsam<br />

besprechen und Entscheidungen<br />

treffen<br />

Das Beispiel macht deutlich:<br />

Mit den eigenen Kindern<br />

über Geld reden ist nicht<br />

einfach! Dies obwohl Geld<br />

in unserer Gesellschaft allgegenwärtig<br />

ist. Es durchdringt fast jeden<br />

Lebensbereich. Geld ist nicht nur<br />

Zahlungsmittel, sondern steht für<br />

Anerkennung, Sicherheit, Macht,<br />

Lebensqualität.<br />

Ab wann und wie sollen Kinder und<br />

Jugendliche mit der Realität materieller<br />

Werte in Berührung kommen?<br />

Wenn es schon schwerfällt, unter<br />

Erwachsenen über die persönlichen<br />

Finanzen zu sprechen, wie geht das<br />

dann mit den eigenen Kindern?<br />

Ein Blick in die Fachliteratur und<br />

der Austausch mit Experten von<br />

Budget- und Schuldenberatungsstellen<br />

machen klar: Damit Kinder<br />

später verantwortungsvoll mit Geld<br />

umgehen können, müssen sie an<br />

das Thema herangeführt werden.<br />

Und genau deshalb ist es zentral, mit<br />

Kindern und Jugendlichen offen über<br />

Geld zu reden – auch wenn es nicht<br />

immer leichtfällt.<br />

«Es ist für Eltern eine besondere<br />

Herausforderung, heranwachsenden<br />

Kindern und Jugendlichen<br />

eine realistische Einschäzung der<br />

Lebenskosten zu vermitteln», sagt<br />

Andrea Fuchs, Präventionsfachfrau<br />

der Schuldenberatungsstelle Aargau<br />

und Solothurn. Jugendliche wüssten<br />

in der Regel zwar gut Bescheid<br />

über jene Kosten, mit denen sie<br />

direkt in Berührung kommen – von<br />

Kioskauslagen und Mobilitäts- und<br />

Handykosten bis zu Kosten für<br />

Ausgang und Reisen. «Die meisten<br />

Teenager», so Andrea Fuchs weiter,<br />

«haben aber kaum Vorstellungen<br />

von jenen Lebenskosten, die weniger<br />

offensichtlich sind: Steuern, Versicherungen,<br />

Krankenkasse, Wohnungsmiete,<br />

Rückstellungen.»<br />

Gerade um einer späteren Verschuldung<br />

vorzubeugen, ist es im<br />

Interesse der Eltern, hier Abhilfe zu<br />

schaffen. Möglichkeiten dazu bietet<br />

der Familienalltag viele, hier einige<br />

Ideen:<br />

• Sprechen Sie mit Ihren Kindern ab<br />

dem Schuleintritt beim Einkaufen,<br />

beim Kleiderkauf usw. durchaus<br />

auch die Kosten an; zeigen Sie auf,<br />

was wie viel kostet, und stellen Sie<br />

Vergleiche an.<br />

• Übertragen Sie Ihren Kindern<br />

etwa ab dem 13. Lebensjahr konkrete<br />

finanzielle Verantwortung,<br />

z. B. indem sie monatlich einen<br />

Betrag erhalten für Kleider, Schuhe,<br />

Handykosten.<br />

• Thematisieren Sie – spätestens<br />

wenn es um die Berufswahl geht<br />

– den Zusammenhang zwischen<br />

Arbeit und Einkommen. Zeigen Sie<br />

auf, wie viel Sie selbst in welchem<br />

Alter verdient haben.<br />

• Diskutieren Sie offen das Familienbudget<br />

und legen Sie dar, welche<br />

Bereiche wie viel kosten und welche<br />

Spielräume Sie bei der Ausgabengestaltung<br />

tatsächlich haben.<br />

Adreas Hieber<br />

ist ausgebildeter Gymnasiallehrer und<br />

Co-Leiter des Projektteams MoneyFit<br />

(LerNetz AG).<br />

In dieser Kolumne werden zum<br />

Thema «Geld und Jugendliche»<br />

Hintergrundwissen und konkrete<br />

Tipps vermittelt. Seit über zehn<br />

Jahren setzt sich PostFinance mit<br />

kostenlosen Angeboten für die<br />

Steigerung der Finanzkompetenz<br />

der Jugend ein.<br />

moneyfit.postfinance.ch<br />

postfinance.ch<br />

48 Februar <strong>2016</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Kolumne<br />

Eines spinnt immer<br />

Michèle Binswanger<br />

Die studierte Philosophin<br />

ist Journalistin und Buchautorin.<br />

Sie schreibt zu Gesellschaftsthemen,<br />

ist Mutter zweier Kinder<br />

und lebt in Basel.<br />

Es lohnt sich, Grossmüttern zuzuhören, auch wenn sie manchmal<br />

etwas viel erzählen. Es lohnt sich, weil sie so viel mehr<br />

erlebt und deshalb eine andere Perspektive haben. Die mir in<br />

dieser Hinsicht liebste Grossmutter war die in Glarus. Wenn<br />

wir bei ihr am Esstisch sassen, ihre Spätzli und ihren Braten<br />

assen, und später noch zum Kaffee, standen irgendwann alle auf und gingen<br />

ihren Beschäftigungen nach. Ich blieb sitzen und hörte ihr zu. Ihr<br />

Leben war nach heutigen Massstäben unkompliziert verlaufen: in Luzern<br />

aufgewachsen, Ausbildung in Genf, einen Glarner geheiratet, in den Zwischenkriegsjahren<br />

zu ihm gezogen, sechs Kinder grossgezogen. Damals<br />

war man ihr als Katholikin im protestantischen Städtchen mit grossem<br />

Misstrauen begegnet. Eine Zugezogene, konnte die tüchtig genug sein,<br />

passte so eine überhaupt in den Bergkanton? Sie passte und sass mit<br />

neunzig immer noch in ihrem Haus am Rathausplatz, inzwischen eine<br />

Glarnerin ganz und gar, und erzählte mir, der Mutter ihrer Urenkel, von<br />

früher. Und ich dachte daran, wie anders wir heute leben, wie viel sich<br />

seither verändert hat.<br />

Nun, nicht alles hat sich verändert. Die Grossmutter in Glarus mag<br />

nicht auf der ganzen Welt herumgereist sein, wie man das heute tut,<br />

Selbstverwirklichung war keine Option, aus dem ihr zugedachten Leben<br />

auszubrechen auch nicht. Und trotzdem hatte sie ihre an Aufregungen<br />

nicht zu knappe Reise gemacht und daraus eine Lebensweisheit destilliert,<br />

die sie mir mitgab und die mich noch heute begleitet. «Eines spinnt<br />

immer», sagte sie manchmal, wenn sie von ihren Kindern und deren<br />

Geschicken erzählte. «Eines spinnt immer.»<br />

Damals war ich latent am Anschlag, die zwei kleinen Kinder, das Jonglieren<br />

mit Beruf, Beziehung und allem anderen, und so hätte ich natürlich<br />

lieber gehört, dass sich das bald geben, das Leben wie ein ruhiger<br />

Fluss sein Bett finden und ruhig dahinfliessen würde. Aber ich ahnte,<br />

dass in ihren Worten eine grosse Wahrheit stecken musste. Und heute<br />

glaube ich, dass sie mit ihren Worten nicht nur ihre eigene grosse, psychologisch<br />

komplizierte Familie meinte. Denn der Satz trifft eigentlich<br />

auf jede Familie zu: «Eines spinnt immer.»<br />

Manchmal sind es die Kinder, aus denen man nicht schlau wird,<br />

manchmal der Partner oder die eigenen Eltern oder Geschwister. Manchmal<br />

spinnt man selbst, und manchmal ist schwierig zu eruieren, wer<br />

denn nun genau spinnt. Aber ich fand ihre Einsicht tröstlich, sie, die<br />

schon so viel erlebt hatte, musste es wissen.<br />

Jeder möchte alles immer so gut wie möglich machen und richtig hinkriegen.<br />

Das gelingt manchmal, aber der Normalfall ist es nicht. Normal<br />

ist, dass es Probleme gibt. Eines spinnt immer. Und sollte das mal zufälligerweise<br />

nicht der Fall sein, sollte man nicht vergessen, dass dies eine<br />

Ausnahme ist.<br />

Illustration: Petra Dufkova/Die Illustratoren<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

Februar <strong>2016</strong>49


An der Bildung sparen –<br />

das kann teuer werden<br />

Durch den Sparkurs der Kantone sind dem Bildungswesen in jüngster Vergangenheit<br />

265 Millionen Franken entzogen worden. Bis 2018 sind mindestens weitere<br />

535 Millionen Franken Einsparungen geplant. Das kann nicht gut gehen und ist<br />

vermutlich auch gar nicht notwendig. Text: Franziska Peterhans<br />

«Weniger Geld heisst auch<br />

weniger Zeit für die Förderung<br />

jedes Einzelnen.»<br />

Franziska Peterhans ist Zentralsekretärin des<br />

Dachverbandes Lehrerinnen und Lehrer Schweiz<br />

LCH. Sie lebt in Baden und ist Mutter dreier<br />

erwachsener Kinder.<br />

E<br />

s gibt nur eines, was auf<br />

Dauer teurer ist als Bildung<br />

– keine Bildung.»<br />

Dieses Zitat von John<br />

F. Kennedy lässt sich<br />

durch verschiedene gesellschaftliche<br />

und volkswirtschaftliche Überlegungen<br />

erhärten. Die Schweiz hat<br />

sich zum Ziel gesetzt, 95 Prozent der<br />

Jugendlichen zu einem Abschluss<br />

der Sekundarstufe II zu führen. Gute<br />

Bildung für alle Kinder und Jugendlichen<br />

erhöht die Chancengerechtigkeit<br />

in einer Gesellschaft.<br />

Kinder, die von klein auf ihren<br />

Neigungen und Möglichkeiten entsprechend<br />

gefördert werden, sind<br />

zufriedener und in der Schule er ­<br />

folgreicher. Sie können ihre Kompetenzen<br />

und ihre Talente später bei<br />

ihrer beruflichen Tätigkeit oder im<br />

Studium einbringen und ihr Wissen<br />

und ihre Fähigkeiten im gesamten<br />

wirtschaftlichen und gesellschaftlichen<br />

Um feld gewinnbringend einsetzen.<br />

Eine gute öffentliche Schulbildung<br />

ist damit auch die beste<br />

Absicherung gegen Arbeitslosigkeit<br />

und soziale Abhängigkeit, die einer<br />

Schülerin oder einem Schüler mitgegeben<br />

werden kann.<br />

Sparen auf Kosten der Kinder<br />

Was aber zurzeit in der Schweiz passiert,<br />

läuft diesen Zielen entgegen.<br />

Sämtliche Kantone kürzen die Bildungsausgaben<br />

massiv. Andere wollen<br />

die Eltern zur Kasse bitten, indem<br />

sie Gebühren und Kosten für diverse<br />

Leistungen erheben. Dies ist gesetzeswidrig,<br />

da im Volksschulgesetz<br />

der kostenlose Besuch der Volksschule<br />

festgeschrieben ist.<br />

Drei konkrete Beispiele<br />

1. Der 13-jährige Silvan freut sich<br />

jeden Donnerstag auf das Fach<br />

Technisches Gestalten. Die Arbeit<br />

an der Hobelbank mit Feile und<br />

Säge motiviert ihn. Er kommt mit<br />

dem Bau seines Vogelhäuschens<br />

rasch vorwärts mit. Nun soll die<br />

Klasse mit 15 Schülerinnen und<br />

Schülern zusammengelegt werden,<br />

da nur noch Klassen mit<br />

mindestens 17 Jugendlichen in<br />

zwei Abteilungen unterrichtet<br />

werden dürfen. Im Werkraum<br />

stehen aber nur 10 Werkbänke<br />

und 10 Werkzeugsets zur Verfügung.<br />

Dass es zu Staus und Wartezeiten<br />

kommt, ist voraussehbar.<br />

Die Kinder langweilen sich, profitieren<br />

weniger, die Unfallgefahr<br />

steigt, der Lärmpegel ebenfalls.<br />

2. Die Kinder der 5. Klassen durften<br />

traditionell an einem Sommerlager<br />

teilnehmen. Dieses stand jeweils<br />

unter einem bestimmten Thema<br />

50 Februar <strong>2016</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Erziehung & Schule<br />

aus dem naturwissenschaftlichen<br />

oder dem kulturellen Bereich. Das<br />

Lager war bis anhin für Sie als<br />

Eltern beinahe kostenlos. Nun<br />

gibt es dafür kein oder zumindest<br />

viel weniger Geld von der Ge ­<br />

meinde und vom Kanton. Die<br />

Lehrerin Ihres Kindes teilt Ihnen<br />

mit, dass das Lager nicht mehr<br />

durchgeführt werden könne oder<br />

dass ein deutlich höherer Elternbeitrag<br />

geleistet werden müsse.<br />

Dies ist jedoch vielen Eltern nicht<br />

möglich. Den Kindern gehen mit<br />

dem Wegfall der Lager wertvolle<br />

so ziale Lernerlebnisse und<br />

wichtige Erfahrungen beispielsweise<br />

beim Organisieren eines<br />

solchen Lagers verloren.<br />

3. Familie Hamidi kam vor einem Jahr<br />

als Asylsuchende in den Kanton<br />

Thurgau. Die siebenjährige Aysha<br />

besuchte den Kindergarten und<br />

seit August die 1. Klasse. Sie erhält<br />

regelmässig Deutschzusatzunterricht<br />

DAZ. Noch kann sie aber dem<br />

Unterricht nur mit Mühe folgen.<br />

Nun wurde den Eltern eröffnet, sie<br />

hätten sich zu wenig bemüht, dass<br />

ihre Kinder die deutsche Sprache<br />

lernen. Deshalb müssten sie sich<br />

an den Kosten des Deutschzusatzunterrichts<br />

beteiligen.<br />

Schweiz LCH beläuft sich der bereits<br />

beschlossene Abbau von Bildungsressourcen<br />

in den Jahren 2013 bis<br />

2015 auf mindestens 265 Millionen<br />

Franken. Zwischen <strong>2016</strong> und 2018<br />

planen die Kantone weitere 535 Millionen<br />

Franken an der Bildung einzusparen.<br />

Zusammen mit den Massnahmen<br />

der Gemeinden ergibt das<br />

einen Abbau an der Bildung von<br />

rund einer Millliarde Franken. Die<br />

grössten Abstriche betreffen die<br />

Anstellungsbedingungen der Lehrpersonen.<br />

An zweiter Stelle folgen<br />

die Unterrichtsbedingungen.<br />

Der LCH warnt vor einem solchen<br />

Kahlschlag: Sparmassnahmen<br />

in der Bildung sind in Wirklichkeit<br />

Abbaumassnahmen zu Lasten der<br />

Lernenden und Lehrenden. Sie<br />

gefährden die Qualität des Schweizer<br />

Bildungswesens. Die Zeche<br />

bezahlen später die Sozial- und Justizdepartemente,<br />

also die Gesellschaft,<br />

was ganz einfach eine Verlagerung<br />

der Kosten bedeutet.<br />

Von den Kürzungen konkret<br />

betroffen sind auch Lehrerinnen<br />

und Lehrer und als Folge davon die<br />

Schülerinnen und Schüler. Klassengrössen<br />

und Pflichtpensen werden<br />

erhöht. Weiterbildung wird reduziert<br />

oder ganz gestrichen. Lehrpersonen<br />

müssen Lohnkürzungen in<br />

Kauf nehmen. Diese Verschlechterungen<br />

tragen zur Erhöhung der<br />

Belastungen einer bereits stark ge ­<br />

forderten Berufsgruppe bei. Und sie<br />

wirken sich negativ auf die Rekrutierung,<br />

Motivation und schliesslich<br />

auch auf die Gesundheit der Lehrpersonen<br />

aus.<br />

Notwendig oder ein Taktierspiel?<br />

Notwendig oder ein Taktierspiel?<br />

Sind diese Kürzungen der Kantone<br />

im Bildungsbereich überhaupt<br />

nötig? Der LCH bezweifelt dies,<br />

denn wie aus Ausführungen des<br />

Chefökonomen des Schweizerischen<br />

Gewerkschaftsbundes, Daniel Lampart,<br />

hervorgeht, schätzen viele Kantonsregierungen<br />

die finanzielle Lage<br />

systematisch schlechter ein, als sie<br />

tatsächlich ist. Sie stellen die Staatsschulden<br />

zu hoch und das Vermögen<br />

zu tief dar.<br />

Es ist schwer nachvollziehbar,<br />

dass die in den vergangenen Jahren<br />

erfolgten Steuersenkungen und<br />

-erleichterungen für Unternehmen<br />

und vermögende Privatpersonen<br />

nun mit Abbau in der Bildung aufgefangen<br />

werden sollen.<br />

Integration der Schwachen leidet<br />

Wenn Klassen zusammengelegt und<br />

Klassengrössen erhöht werden,<br />

wenn Halbklassenunterricht abgebaut<br />

wird, wenn Unterstützungsangebote<br />

gekürzt oder kostenpflichtig<br />

werden, wenn Freifächer abgebaut<br />

oder der Deutschzusatzunterricht<br />

für Fremdsprachige gestrichen wird,<br />

bleibt für die individuelle Förderung<br />

und die Integration von Kindern mit<br />

speziellen Bedürfnissen oder Migrationshintergrund<br />

weniger Zeit. Die<br />

Bildungschancen reduzieren sich,<br />

speziell für Kinder und Jugendliche<br />

aus sozial und wirtschaftlich benachteiligten<br />

Schichten.<br />

Nach Erhebungen des Dachverbandes<br />

Lehrerinnen und Lehrer<br />

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Februar <strong>2016</strong>51


Elterncoaching<br />

Mit Kindern über<br />

Ängste sprechen<br />

«Mensch, Nicole, man hat doch nicht jedes Mal Bauch- und Kopfweh, wenn<br />

man zu einer Geburtstagsparty eingeladen ist. Jetzt sag doch einfach,<br />

was mit dir los ist!»<br />

Fabian Grolimund<br />

ist Psychologe und Autor («Mit<br />

Kindern lernen»). In der Rubrik<br />

«Elterncoaching» beantwortet<br />

er Fragen aus dem Familienalltag.<br />

Der 36-Jährige ist verheiratet<br />

und Vater eines Sohnes, 3, und<br />

einer Tochter, 11 Monate. Er lebt<br />

mit seiner Familie in Freiburg.<br />

www.mit-kindern-lernen.ch<br />

www.biber-blog.com<br />

Widerstehen Sie dem Drang, die<br />

Ängste Ihres Kindes mit «guten<br />

Argumenten» zu widerlegen.<br />

Oft steht uns als Eltern<br />

der Wunsch im Weg,<br />

unserem Kind möglichst<br />

rasch Erleichterung<br />

zu verschaffen,<br />

indem wir Ratschläge geben<br />

oder mit Argumenten gegen die<br />

kindliche Angst angehen. Damit<br />

verunmöglichen wir es dem Kind<br />

jedoch, in sich hineinzuhorchen<br />

und uns zu sagen, was es wirklich<br />

beschäftigt:<br />

Mutter: «… jetzt sag doch einfach,<br />

was los ist!»<br />

Nicole: «Was mache ich, wenn<br />

auf der Party niemand mit mir spielen<br />

will?»<br />

Mutter: «Florian würde dich<br />

doch nicht einladen, wenn er dich<br />

nicht mag.»<br />

Nicole: «Die ganze Klasse ist eingeladen<br />

…»<br />

Mutter: «Dann sind Sabrina und<br />

Mahide auch dabei – und mit denen<br />

verstehst du dich doch gut. Wie<br />

willst du denn Freunde finden, wenn<br />

du dich in deinem Schneckenhaus<br />

verkriechst?»<br />

Es ist hilfreich, wenn wir uns in<br />

solchen Momenten als Forscher<br />

oder Entdecker sehen, die gemeinsam<br />

mit dem Kind seine Gefühlswelt<br />

auskundschaften. Dabei kann<br />

man an Orte geraten und Dinge<br />

sehen, die unangenehm sind. Gerade<br />

dann wird der Wunsch umso<br />

stärker, die Sache mit einem Tipp<br />

«zu regeln». Wenn wir diesem<br />

Drang widerstehen und weiter offen<br />

zuhören können, erfahren wir mehr.<br />

Nicole: «Was mache ich, wenn<br />

ich dort bin und niemand mit mir<br />

spielen will?»<br />

Mutter: «Hm … Warum meinst<br />

du denn, hat Florian dich eingeladen?»<br />

Nicole: «Alle sind eingeladen –<br />

seine Mutter hat sicher gesagt, er<br />

müsse die gesamte Klasse einladen.»<br />

Mutter: «Sabrina und Mahide<br />

kommen in diesem Fall auch?»<br />

Nicole: «Ja …»<br />

Mutter: «Du hast trotzdem Angst,<br />

dass du am Ende alleine dastehst?»<br />

Nicole: «Sabrina und Mahide<br />

haben den gleichen Schulweg wie<br />

ich – aber weisst du, wenn wir in der<br />

Schule sind, gehöre ich nicht wirklich<br />

dazu – dann sind sie mit Jessica<br />

und Svetlana zusammen.»<br />

Wir Eltern treffen ständig An ­<br />

nahmen über die Welt unserer Kinder<br />

und glauben meist, recht gut im<br />

Bild zu sein. So ging Nicoles Mutter<br />

davon aus, dass ihre Tochter in der<br />

Klasse gut integriert ist und Sabrina<br />

und Mahide verlässliche Freundinnen<br />

ihrer Tochter sind. Erst ein offenes<br />

Ohr und die Annahme, «mein<br />

Illustration: Petra Dufkova/Die Illustratoren<br />

52 Februar <strong>2016</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Kind würde keine Bauchschmerzen<br />

entwickeln, wenn es keinen triftigen<br />

Grund dazu gäbe», machten ihr<br />

bewusst, dass ihr Kind ziemlich isoliert<br />

war.<br />

Auch beim Finden einer Lösung<br />

sollten wir unser Kind genau beobachten<br />

und bei Zeichen von Anspannung<br />

genauer nachfragen:<br />

Mutter: «Hm … du musst da<br />

nicht hingehen. Aber vielleicht wird<br />

es schön und du lernst die anderen<br />

besser kennen. Was würde dir helfen<br />

hinzugehen? Du könntest doch Florians<br />

Mutter sagen, dass du nach<br />

Hause willst – dann hole ich dich<br />

sofort ab.»<br />

Nicole: «Ja …»<br />

Mutter: «Überzeugt dich nicht,<br />

gell?»<br />

Nicole: «Wenn die dann mit den<br />

anderen von der Klasse redet, wird<br />

es oberpeinlich.»<br />

Mutter: «Und wenn du Papas<br />

Handy mitnimmst? Dann schleichst<br />

du dich aufs Klo, schreibst mir eine<br />

SMS, und ich hole dich sofort ab?»<br />

Nicole: «Das fände ich gut.»<br />

Ängste sind nicht rational<br />

Manchmal erliegen wir auch dem<br />

Irrglauben, wir könnten Ängste bei<br />

anderen durch gut begründete Argumente<br />

wegdiskutieren. Damit erreichen<br />

wir jedoch nur, dass das Kind<br />

nicht mehr über seine Ängste<br />

spricht. Viele Ängste sind irrational<br />

– aber deswegen nicht weniger real.<br />

Dem Spinnenphobiker können wir<br />

noch so viele Beweise liefern, dass<br />

Spinnen ungefährlich sind. Er wird<br />

das alles bejahen – und sich trotzdem<br />

fürchten.<br />

Es gibt daher eine Frage, die wir<br />

nicht stellen sollten: «Warum macht<br />

dir das Angst?» Kinder – und auch<br />

Erwachsene – kommen bei dieser<br />

Frage unnötig in Erklärungsnot.<br />

Eine bessere Frage ist: «Was könnte<br />

denn passieren?»<br />

Jonas, sieben Jahre alt, wurde von<br />

seinem Freund und dessen Eltern<br />

ins Alpamare eingeladen. Bereits<br />

zwei Wochen vor dem Besuch konn-<br />

te er nicht mehr schlafen. Seinem<br />

Vater gelang es, mit dieser Frage<br />

genauer zu erfassen, wovor sich sein<br />

Kind fürchtet:<br />

Vater: «Hey … das macht dir<br />

ganz schön Angst, dieser Alpamare-<br />

Besuch, hm?»<br />

Jonas: «…»<br />

Vater: «Wenn man etwas noch<br />

nicht kennt, kann einem das schon<br />

Schiss machen. Was meinst du, was<br />

könnte denn passieren?»<br />

Jonas: «Tanja hat gesagt, dass mal<br />

einer bei der Rutsche aus der Kurve<br />

gespickt ist …»<br />

Vater: «Da weiss ich jetzt nicht,<br />

ob die Geschichte stimmt. Aber klar,<br />

dass dich das beunruhigt. Was hast<br />

du denn noch vom Alpamare<br />

gehört?»<br />

Jonas: «Da gibt es ein Bad mit<br />

riesigen Wellen!»<br />

Vater: «Ja, das Wellenbad … das<br />

findest du unheimlich …»<br />

Jonas: «Ja, was, wenn mir die<br />

Wellen über den Kopf gehen und es<br />

mich untertaucht?»<br />

Vater: «Weisst du was? Wir gehen<br />

dieses Wochenende einfach zu zweit<br />

hin und schauen uns das Ganze mal<br />

in Ruhe an. Wenn es dir Angst<br />

macht, gehen wir wieder und finden<br />

eine Ausrede, damit du nicht mitmusst.<br />

Einverstanden?»<br />

Jonas war unter dieser Voraussetzung<br />

bereit, das Erlebnisbad auszukundschaften.<br />

Sein Vater setzte sich<br />

mit ihm an den Rand des Wellenbads,<br />

dort erkannte Jonas bald, dass<br />

«die Köpfe über den Wellen schwimmen».<br />

Die Rutschen wollte er benutzen,<br />

als er gesehen hatte, dass auch<br />

kleinere Kinder Spass daran haben.<br />

Sein Vater konnte ihm zusätzlich<br />

Angst nehmen, indem er beim<br />

Beobachten feststellte: «Aha, wenn<br />

man will, dass man nur langsam<br />

runterrutscht, muss man gerade sitzen<br />

– und wenn man will, dass es<br />

richtig schnell flutscht, kann man<br />

sich auf den Rücken legen.» Jonas<br />

entschied sich zuerst für die sichere<br />

Methode und wurde mit jeder Partie<br />

mutiger.<br />

Das gute Gespräch über die Angst<br />

Fragen Sie bei Ängsten nicht nach dem<br />

«Warum». Kinder fühlen sich dadurch unter<br />

Druck gesetzt, ihre Ängste erklären oder rechtfertigen<br />

zu müssen.<br />

Die Frage «Was könnte da passieren?» und ein<br />

offenes Ohr helfen Kindern dabei, ihre Ängste<br />

genauer zu beschreiben.<br />

Die Frage «Was würde dir helfen?» ist eine Ermutigung,<br />

sich mit der Situation auseinanderzusetzen.<br />

Das Angebot, das Kind zu begleiten und<br />

zu unterstützen, wirkt mehr als gute Argumente.<br />

Fragen Sie «Was könnte denn<br />

passieren?» statt «Warum<br />

macht dir das Angst?».<br />

In der nächsten Ausgabe:<br />

Wie Sie Ihr Kind dabei unterstützen können, sich seinen<br />

Ängsten zu stellen.<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

Februar <strong>2016</strong>53


Fast immer tun sich Kinder mit AD(H)S in der Schule schwer.<br />

Zudem werden sie von den Lehrerpersonen als besonders<br />

schwierig und anstrengend empfunden. Wie können Eltern<br />

und Lehrpersonen diese Kinder unterstützen? Text: Annette Cina<br />

54 Februar <strong>2016</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Serie<br />

AD(H)S führt je nach<br />

Stärke des Syndroms<br />

bei vielen Kindern zu<br />

Lernproblemen –<br />

unabhängig von der<br />

Intelligenz. Die Betroffenen weisen<br />

Schwierigkeiten in Bereichen auf,<br />

die für die Kinder im Schulalltag<br />

notwendig sind (Konzentrationsfähigkeit,<br />

Ausdauer). Aber auch in<br />

Bereichen, die ihnen den Schulalltag<br />

erschweren (Impulsivität,<br />

Hyperaktivität), weil sie nicht selten<br />

zu Problemen mit Klassenkameraden<br />

und Lehrpersonen führen.<br />

Die Konzentration spielt eine<br />

bedeutsame Rolle beim Lernen<br />

und Verarbeiten von Lernstoffen.<br />

Sich konzentrieren heisst, seine<br />

Aufmerksamkeit willentlich über<br />

eine längere Zeit auf eine bestimmte<br />

Aufgabe zu richten und dabei<br />

das Ziel der Aufgabe nicht aus den<br />

Augen zu verlieren. Dazu muss<br />

idealerweise all das, was ablenkt<br />

und nicht wichtig ist, ausgeblendet<br />

werden können.<br />

Dies ist eine Hauptschwierigkeit<br />

bei von AD(H)S betroffenen Kindern:<br />

Ihre Wahrnehmung und<br />

Informationsverarbeitung ist überfordert.<br />

Sie haben zu viele Informationen,<br />

die sie nicht verbinden,<br />

verarbeiten und sortieren können.<br />

Daher leben AD(H)S-Kinder stark<br />

im Hier und Jetzt. Vorausschauen,<br />

planen, sich konzentrieren und die<br />

Energie darauf verwenden, ein Ziel<br />

zu erreichen, ist für sie extrem<br />

schwierig und kräfteraubend.<br />

Schwierigkeiten, die Aufmerksamkeit<br />

über längerer Zeit zu<br />

fokussieren, äussern sich darin,<br />

dass die Kinder dem Unterricht<br />

nicht aufmerksam folgen können.<br />

Sie werden von vielem abgelenkt:<br />

von dem, was draussen vor dem<br />

Fenster läuft, von einem Geräusch<br />

im Gang, von Klassenkameraden,<br />

die miteinander sprechen. Viel von<br />

dem, was die Lehrpersonen erzählen,<br />

geht im Strudel unter oder<br />

wird überhört. Die Kinder vergessen,<br />

was sie tun sollen, beenden die<br />

Aufgaben nicht oder verlieren<br />

Sachen, die sie benötigen. Gruppenarbeiten<br />

sind schwierig. Wegen<br />

der geringen Aufmerksamkeitsspanne<br />

haben die Kinder aber<br />

nicht nur im Unterricht Mühe,<br />

sondern auch zu Hause bei den<br />

Hausaufgaben und während Tests.<br />

Impulsivität und Hyperaktivität<br />

bezeichnen ein Verhalten, bei dem<br />

spontan auf etwas reagiert wird –<br />

ohne zu überlegen, was in der<br />

Si tuation eine gute Reaktion sein<br />

könnte. ADHS-Kinder müssen<br />

einfach reagieren, und zwar sofort.<br />

Sie sehen oder hören etwas, und<br />

schon handeln sie, ohne die Konsequenzen<br />

zu bedenken.<br />

Manchmal zeigen diese Kinder<br />

auch riskantes Verhalten, weil sie<br />

die Gefahren nicht vorherbedenken.<br />

Das Zappeln und Sichbewegen<br />

können auch Zeichen einer<br />

inneren Anspannung sein, die<br />

abgebaut werden muss. Im Schulalltag<br />

zeigt sich das so: Sie rufen<br />

die Antwort in den Klassenraum,<br />

ohne den Finger aufzustrecken, sie<br />

unterbrechen andere, können nicht<br />

warten und drängeln vor oder nehmen<br />

anderen etwas weg, ohne zu<br />

fragen. Kurz: Dem Kind fällt es<br />

schwer, das, was es spürt, fühlt und<br />

denkt, zurückzuhalten und zu kontrollieren.<br />

Auf das Umfeld wirken<br />

impulsive Personen unkontrolliert,<br />

oft übertrieben und unbedacht.<br />

Aufgrund dieser unterschiedlich<br />

stark ausgeprägten Schwierigkeiten<br />

erstaunt es nicht, dass von AD(H)S<br />

betroffene Kinder besonders in der<br />

Schule viele Rückschläge<br />


erfahren und das Gefühl entwickeln<br />

können, ungenügend zu<br />

sein. Denn von einem Kind wird<br />

erwartet, dass es eine gewisse Zeit<br />

stillsitzen und zuhören, Aufgaben<br />

konzentriert erledigen und Regeln<br />

im gemeinsamen Umgang miteinander<br />

einhalten kann. Doch für<br />

AD(H)S-Kinder ist das unglaublich<br />

schwierig.<br />

Anstrengend für alle Seiten<br />

Für Lehrpersonen ist ein Kind mit<br />

ADHS in der Schulklasse meist<br />

sehr anstrengend. Es erfordert viel<br />

mehr Aufmerksamkeit und Kontrolle<br />

als die anderen Kinder.<br />

Manchmal ist ein geordneter<br />

Unterricht wegen eines einzigen<br />

Kindes, das nicht stillsitzen kann<br />

und immer dreinredet, sehr<br />

schwierig. Ständiges Ermahnen,<br />

An wei sen und Kontrollieren kann<br />

Lehrpersonen ermüden und frustrieren,<br />

gar überfordern und hilflos<br />

werden lassen. Besonders dann,<br />

wenn keine Strategie mehr zu helfen<br />

scheint. Die Beziehung zwischen<br />

Kind und Lehrperson leidet<br />

unter solchen Umständen sehr.<br />

Für Eltern von ADHS-Kindern<br />

besteht die Herausforderung darin,<br />

mit den Schwierigkeiten des Kindes<br />

aus dem Schulalltag ruhig und<br />

unterstützend umzugehen. Sie<br />

müssen das Kind ermahnen, die<br />

Hausaufgaben zu erledigen, es<br />

erinnern, die richtigen Sachen in<br />

die Schule mitzunehmen. In<br />

Elterngesprächen bekommen sie<br />

immer wieder zu hören, dass ihr<br />

Kind schwierig ist. Sie machen sich<br />

Sorgen und fühlen sich oft auch<br />

hilflos den Beurteilungen der<br />

Lehrpersonen ausgeliefert.<br />

Kinder mit AD(H)S nehmen im<br />

Vorschulalter die Kernprobleme<br />

selber oft nicht wahr. Im Schulalter<br />

aber wissen sie, dass sie an ders<br />

sind, viele können ihre Probleme<br />

gut beschreiben. Vor allem spüren<br />

sie, dass sie es schwerer haben als<br />

andere Kinder. Denn sie merken,<br />

dass sie immer wieder Störenfriede<br />

sind, Ärger mit den Eltern und<br />

Lehrpersonen haben und auch<br />

ausgegrenzt werden. So fühlen sich<br />

diese Kinder nicht selten von ihren<br />

Mitmenschen ungerecht behandelt.<br />

Die Lernstörungen und negativen<br />

Reaktionen des Umfelds auf<br />

ihr Verhalten lösen Selbstzweifel<br />

aus, da die Kinder ihr Potenzial<br />

nicht auszuschöpfen vermögen.<br />

Bis zu 45 Prozent der Kinder mit<br />

AD(H)S leiden an weiteren Verhaltens-<br />

oder emotionalen Störungen<br />

wie Angst, Depressivität, geringem<br />

Selbstwertgefühl, aggressivem Verhalten<br />

oft als Folge der schwierigen<br />

Erfahrungen, auch im Schulalltag.<br />

Das kann hilfreich sein<br />

Man muss genau beobachten, was<br />

für das Kind besonders schwierig<br />

ist. Das hilft, Strategien zu finden,<br />

damit es in den entscheidenden<br />

Momenten aufmerksam sein kann.<br />

Da es sich um grundsätzliche<br />

Schwierigkeiten des Kindes handelt,<br />

ist es wichtig, dass Lehrpersonen<br />

und Eltern am gleichen Strick<br />

ziehen. Das bedeutet, dass sie über<br />

ein gemeinsames und gut begründetes<br />

Wissen darüber verfügen,<br />

was die typischen Verhaltensweisen<br />

von AD(H)S-Kindern sind,<br />

warum es so ist, wie sie das Kind<br />

unterstützen können. Ab sprachen<br />

und klare Vereinbarungen helfen,<br />

dass Schule und Elternhaus koordiniert<br />

zusammenarbeiten. Auch<br />

da gilt: Jedes Kind ist anders!<br />

• Positive Entwicklungsschritte<br />

erkennen. Sieht man ständig die<br />

Schwierigkeiten und Probleme,<br />

besteht die Gefahr, die Bemühungen<br />

des Kindes, seine Stärken<br />

und positiven Seiten nicht<br />

mehr zu bemerken. Damit erhält<br />

das Kind auch kaum mehr Lob,<br />

und aus seiner Sicht lohnt sich<br />

sein Engagement nicht mehr. So<br />

wird es immer schwieriger, das<br />

Kind dazu zu motivieren, mitzuarbeiten<br />

und sich zu bemühen.<br />

Es ist hilfreich, bewusst auf<br />

Situa tionen zu achten, in denen<br />

dem Kind etwas gelingt. Das<br />

ermöglicht einem, die eigene<br />

Frustration zu überwinden und<br />

dem Kind Anerkennung zu<br />

schenken – etwa wenn es ihm<br />

gelingt, sich wirklich alle Hausaufgaben<br />

aufzuschreiben, ruhig<br />

zuzuhören, den Finger aufzustrecken.<br />

• Ablenkung minimieren. Für Kinder<br />

mit ADS/AD(H)S ist es<br />

schwierig, etwas Interessantes,<br />

das aber nicht wesentlich ist,<br />

auszublenden. Daher ist ein<br />

ruhiger Arbeitsplatz wichtig. Der<br />

ist vorne bei der Lehrperson, die<br />

Störungen oder Unaufmerksamkeiten<br />

in wichtigen Situationen<br />

rasch erfassen und auch ruhig<br />

darauf reagieren kann. Möglicherweise<br />

ist es auch sinnvoll,<br />

einen Einzeltisch einzurichten,<br />

vor allem wenn die Mitschüler<br />

stark gestört werden. Wichtig ist,<br />

dem Kind zu erklären, warum es<br />

einen Einzeltisch erhält. Das Ziel<br />

sollte positiv formuliert sein,<br />

etwa im dem Sinne, dass es sich<br />

besser konzentrieren könne, und<br />

nicht im Sinn, dass es weniger<br />

störe.<br />

• Klare Signale für wichtige Informationen.<br />

Für Kinder mit AD(H)S<br />

müssen Informationen, die<br />

wichtig sind, deutlich signalisiert<br />

werden. Sie bekommen zum Beispiel<br />

oft einfach nicht mit, wenn<br />

die Lehrperson die Hausaufgaben<br />

gibt. Klare Routinen, genügend<br />

Ruhe und Zeit für wichtige<br />

Informationen erhöhen die<br />

Chance, dass alle Kinder diese<br />

56 Februar <strong>2016</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Serie<br />

Infos aufnehmen. So kann ein<br />

Gong signalisieren: «Jetzt kommen<br />

die Hausaufgaben. Jeder<br />

nimmt sein Hausaufgabenheft.»<br />

• Rückmeldungen geben. AD(H)S-<br />

Kinder brauchen häufiger positive<br />

Rückmeldungen oder auch<br />

Anweisungen, sich wieder auf<br />

das Wesentliche zurückzubesinnen.<br />

Häufiger Blickkontakt zum<br />

Kind signalisiert ihm: «Ich bin<br />

bei dir und bemerke, dass du es<br />

gut machst» oder «Ich bemerke<br />

auch, dass du nun nicht mehr bei<br />

uns bist». «Geheime» Zeichen<br />

können ohne viele Worte helfen,<br />

das Kind am Ball zu halten.<br />

• Auszeiten gewähren. Wenn ein<br />

Kind wirklich nicht mehr ruhig<br />

bleiben kann, helfen kleine Auszeiten.<br />

Hierbei kann dem Kind<br />

eine Aufgabe gegeben werden,<br />

die mit Bewegung verbunden ist,<br />

sodass es mit Erlaubnis aufstehen<br />

und sich bewegen darf.<br />

• Grundsätzlich gilt: Kinder mit<br />

AD(H)S benötigen mehr Training,<br />

Wiederholungen und Routinen<br />

als andere Kinder. Es geht<br />

nicht darum, dass diese Kinder<br />

nicht wollen, sondern darum,<br />

dass es ihnen nicht gelingt. Die<br />

Kinder brauchen daher Hilfestellungen,<br />

um die Fähigkeiten<br />

entwickeln zu können, die sie<br />

haben.<br />

>>><br />

TIPP<br />

Hilfreiche Informationen und konkrete<br />

Verhaltenstipps für Lehrpersonen und<br />

Eltern: www.mit-kindern-lernen.ch von<br />

Fabian Grolimund, Nora Völker und<br />

Stefanie Rietzler.<br />

Annette Cina<br />

Dr. phil., Fachpsychologin für Psychotherapie<br />

FSP. Sie arbeitet als Oberassistentin am Institut<br />

für Familienforschung und -beratung und ist<br />

Leiterin des Zentrums für Psychotherapie an der<br />

Universität Freiburg.<br />

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Februar <strong>2016</strong>57


Stiftung Elternsein<br />

Ohne Mitgefühl und Gemeinschaft entstehen<br />

gefürchtete Parallelwelten<br />

Ellen Ringier über die Integration von Ausländern und Flüchtlingen<br />

Bild: Vera Hartmann / 13 Photo<br />

Dr. Ellen Ringier präsidiert<br />

die Stiftung Elternsein.<br />

Sie ist Mutter zweier Töchter.<br />

In den 90er-Jahren hatte ich das Vergnügen,<br />

eine Rede des kürzlich verstorbenen<br />

Altbundeskanzlers Helmut<br />

Schmidt zu hören. Er sprach in Bern.<br />

Das Haus war voller Parlamentarier,<br />

Bundesräte und Parteichefs. Helmut<br />

Schmidt stellte dem Publikum die rhetorische<br />

Frage, wie lange wohl ein an<br />

Hunger leidender Mensch aus der<br />

Sahara brauche, um nach Sizi lien überzusetzen.<br />

Die Antwort gab er selber:<br />

einen Tag. Und wie lange wohl ein an Hunger leidender<br />

Mann aus Moskau brauche, um nach Berlin zu<br />

reisen: ebenfalls einen Tag!<br />

Und nun ist sie da, die Flüchtlingswelle, unmittelbar<br />

vor den Toren der Schweiz. Menschen aus einer<br />

fremden Zivilisation auf der Flucht vor Krieg, ökologischer<br />

Bedrohung und ökonomischer Not. Sie<br />

suchen, was bei uns selbstverständlich ist: eine lebenswerte<br />

Zukunft. Und nun? Unsere Politiker haben es<br />

sträflich versäumt, Antworten zu finden.<br />

Wir alle waren die vergangenen 20 Jahre so sehr<br />

damit beschäftigt, unseren Wohlstand zu mehren, und<br />

haben gleichzeitig die Empathie gegenüber unseren<br />

bereits im Lande befindlichen Ausländern verloren.<br />

Wir haben die schon bestehenden Parallelwelten<br />

geduldet und sich selber überlassen. Und heute stehen<br />

wir der humanitären Katastrophe völlig unvorbereitet<br />

gegenüber. Wir haben 20 Jahre verstreichen lassen,<br />

ohne eine Bewältigungsstrategie zu entwickeln.<br />

Ich bin der Meinung, dass nicht die Fluchtgründe<br />

über die Zukunft der Flüchtlinge entscheiden sollen,<br />

sondern die realen Chancen der Integration. Doch die<br />

geschieht nicht einfach von selber! Ohne echte, flächendeckende<br />

integrative Massnahmen irren Flüchtlinge<br />

herum, und sie werden sich notgedrungen sozial<br />

und religiös motivierten Parallelwelten anschliessen.<br />

Bereits heute haben wir eine wachsende Zahl von<br />

Jugendlichen mitten in unserer Gesellschaft, die zwar<br />

unsere Schulen besuchen, nicht aber unseren Wertekodex<br />

verinnerlicht haben.<br />

Der Dalai-Lama sagt, die Grundlage des Weltfriedens<br />

sei das Mitgefühl. Stimmt das, so haben wir den Frieden<br />

verspielt.<br />

Vor einigen Jahren brachte meine damals 16-jährige<br />

Tochter ein gleichaltriges Mädchen aus Basel mit<br />

nach Hause, das uns schilderte, wie der muslimische<br />

Vater seine Tochter in einer Diskothek vor den Augen<br />

aller schlimm verprügelt habe. Alle Anwesenden hätten<br />

zugesehen, keiner habe sich schützend vor das<br />

Opfer gestellt. Das Mädchen konnte Vater und Bruder<br />

entfliehen. Die Vorgängerbehörde der KESB (Kinderund<br />

Erwachsenenschutzbehörde) hat die junge Frau<br />

nach Zürich in ein Heim eingewiesen und damit dem<br />

Zugriff der Familie entzogen – zum Glück!<br />

Unsere Gesellschaft zerfällt auch ohne Flüchtlingsproblem<br />

bereits in zwei Welten: in die des Erfolgs, des<br />

Wohlstands, der Freiheit, sich verwirklichen zu können,<br />

und in die, in der um jeden Rappen gerungen<br />

wird und sich zu Armut Überforderung bis hin zu<br />

Krankheit gesellt. Die Armen werden aus der Gesellschaft<br />

ausgegliedert, ausgegrenzt und – bildlich<br />

gesprochen – unsichtbar. Sie fühlen sich überflüssig<br />

und minderwertig.<br />

Parallelwelten entstehen in dem Masse, in dem sich<br />

eine Gesellschaft vom Prinzip der auf Empathie und<br />

Mitgefühl beruhenden Gemeinschaftlichkeit verabschiedet.<br />

Weil ein Bewältigungskonzept fehlt, macht<br />

sich Angst vor den Flüchtlingen breit, und diese<br />

Angst, so fürchte ich, wird das Humanitäre als Angelpunkt<br />

unserer Zivilisation gnadenlos ersticken. Was<br />

für eine erschreckende Ausgangslage zur Bewältigung<br />

der unaufhaltsam heranrollenden Flüchtlingswelle!<br />

STIFTUNG ELTERNSEIN<br />

«Eltern werden ist nicht schwer,<br />

Eltern sein dagegen sehr.» Frei nach Wilhelm Busch<br />

Oft fühlen sich Eltern alleingelassen in ihren Unsicherheiten,<br />

Fragen, Sorgen. Hier setzt die Stiftung Elternsein an. Sie<br />

richtet sich an Eltern von schulpflichtigen Kindern und<br />

Jugendlichen. Sie fördert den Dialog zwischen Eltern,<br />

Kindern, Lehrern und die Vernetzung der eltern- und<br />

erziehungsrelevanten Organisationen in der deutschsprachigen<br />

Schweiz. Die Stiftung Elternsein gibt das Schweizer<br />

ElternMagazin Fritz+Fränzi heraus. www.elternsein.ch<br />

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Do sier<br />

In den drei<br />

Wohngruppen<br />

leben Kinder im<br />

Alter von<br />

wenigen Tagen<br />

bis etwa<br />

16 Jahren.<br />

ie Zinnsoldaten<br />

stehen die Star-<br />

Wars-Figuren<br />

auf dem Buffet<br />

aufgereiht. Der<br />

Nachbarschaft für den Heimstandort<br />

bewu st gewählt.<br />

ungewi s.<br />

Do sier<br />

>>><br />

Text: Michael In Albon<br />

as Arbeitsleben hat<br />

sich in den vergangenen<br />

Jahren stark verändert.<br />

Angeste lte<br />

haben heute immer<br />

häufiger funktioniert.<br />

zeigen.<br />

Michael In Albon<br />

Leserbriefe<br />

Die schönste Zeit<br />

meiner Kindheit<br />

Gut, dass es Heime gibt<br />

(«Im Heim zu Hause», Heft 9/2015)<br />

Liebe Macherinnen und Macher von Fritz+Fränzi<br />

und liebe Eltern<br />

Im Heim zu Hause<br />

Im Kinderheim Sonnhalde in Münsingen BE so len Kinder und Jugendliche<br />

ein sicheres Zuhause finden, wenn ihre Eltern ihnen keines mehr bieten können.<br />

Viele so len nur Monate oder wenige Jahre bleiben, nicht wenige bleiben<br />

ihre ganze Kindheit. Ein Hausbesuch. Text: Evelin Hartmann Fotos: Ruben Ho linger / 13 Photo<br />

W<br />

Schreibtisch ist aufgeräumt.Schulhefte<br />

liegen oben auf, an der Wand<br />

Fabio*, 1, sitzt in seinem Zimmer.<br />

hängt ein Poster mit einer Weltkarte.<br />

In der Welt, di er sich mit seinem<br />

Polizei eines Nachmi tags geklingelt<br />

hat. «Wir waren gerade am Spielen<br />

und mu sten sofort mitgehen», erinnert<br />

er sich. Er wei s, da s sich seine<br />

dem wird vor Gericht um das Sor-<br />

der bei sich haben wo len. Zu Hause<br />

sind die Brüder nur an den Wochen-<br />

Einfamilienhäuser, Vater, Mu ter,<br />

Eltern damals getrennt haben. Seitgerecht<br />

gestritten, da beide die Kinenden<br />

und in den Ferien.<br />

ein, zwei, manchmal auch drei Kinder.<br />

Sie to len durch liebevo l ange-<br />

mit Trampolin, Sandkasten, Wi pe.<br />

Riesige Schlafsäle, mieses E sen,<br />

dazu Schikane, Mi sbrauch, Gewalt<br />

legte Gärten, springen auf ihren<br />

Trampolinen, spielen Fu sba l. So<br />

zeigt sich einem die Gemeinde<br />

Münsingen, 15 Kilometer südöstlich<br />

von Bern gelegen. Ausgerechnet hier<br />

fügt sich ein weiteres Gebäude in die<br />

nert das Leben hier an einen Fami-<br />

nur aus vergangenen Tagen kennen<br />

– zum Teil noch nie gekannt haben: das Kinderheim eines der ersten in<br />

das Kinderheim Sonnhalde.<br />

nannten Familiensystem konzipiert<br />

derheim noch immer in vielen<br />

liena ltag XL. «1967 eröffnet, war<br />

der Schweiz, das nach dem soge-<br />

«Nicht bei sich zu Hause, aber<br />

Nicht a le Eheschutzverfahren<br />

daheim … », auf der gro sen Tafel<br />

Nachbarschaft, deren Bewohner so<br />

Köpfen aufblitzen. Vielmehr erin-<br />

etwas wie ein intaktes Familienleben<br />

Erziehung & Schule<br />

prangt neben dem Wappen der<br />

Heilsarm e, dem Träger der Ein-<br />

Bei vo ler Belegung sind hier 24<br />

sich, sind altersdurchmischt und<br />

um den E stisch in der Küche. Es<br />

13-jährigen Bruder teilt, seit die einen Basketba lplatz, einen Fu s- gibt ein Wohnzimmer mit einem<br />

richtung, der Leitspruch des Hauses.<br />

Buben und Mädchen im Alter von<br />

wenigen Tagen bis zum Ende ihrer<br />

Ausbildung in drei Wohngru pen<br />

untergebracht. Für Jugendliche ab<br />

16 Jahren stehen fünf Jugendzimmer<br />

im Haupthaus bereit. Dazu gibt es<br />

Familienalltag XL<br />

statt riesige<br />

Schlafsäle, mieses<br />

Essen, Schikane<br />

oder Gewalt.<br />

ba lplatz, einen P ol, einen Garten<br />

– im Kinderheim Sonnhalde entstehen<br />

keine düsteren Bilder vergangener<br />

Tage, die beim Stichwort Kin-<br />

4 NOVEMBER 2015 NOVEMBER 2015 45<br />

worden ist», sagt Institutionsleiter<br />

Pascal Jermann. Demnach war diese<br />

Auch sonst gleicht vieles «normalen»<br />

Familienstrukturen. Die Wohngru<br />

pen, auf drei Wohnungen verteilt,<br />

bleiben im Tagesablauf unter<br />

versammeln sich zu jeder Mahlzeit<br />

Regal und jeder Menge Bre tspielen<br />

und einem Fernseher, der nur zu<br />

bestimmten Zeiten eingeschaltet<br />

wird. Familienregeln eben. Geschlafen<br />

wird in der oberen Etage, in Ein-<br />

oder Zweibe tzimmern. Pascal Jermann:<br />

«Kommen drei Geschwister<br />

zusammen zu uns, kann auch ein<br />

Be t dazugeschoben werden.»<br />

«Ich schlafe oben», sagt Fabio<br />

und zeigt auf das Hochbe t, darunter<br />

steht sein Schreibtisch. Ob es ihm<br />

hier gefa le? Der Bub zuckt mit den<br />

Schultern. Wo wi l er lieber leben?<br />

Da mu s er nicht lange überlegen:<br />

«Bei Mama.» Traurig ist er oft. Und<br />

auch seinem gro sen Bruder geht es<br />

nicht anders. «Reto* kann nachts oft<br />

nicht schlafen, dann kommt er zu<br />

mir ins Be t», sagt Fabio. Zu zweit ist<br />

man weniger a lein. «Aber froh werde<br />

ich erst wieder sein, wenn wir bei<br />

Mama sind.» Wann das sein wird, ist<br />

verliefen in dieser Dimension,<br />

Kinder auf die Realität<br />

vorbereiten<br />

(«Lernen, wann, wo, wie und mit<br />

wem es mir gefällt?», Heft 10/<strong>2016</strong>)<br />

Lernen, wann, wo, wie und<br />

mit wem es mir gefällt?<br />

Das Konzept der erweiterten Lernwelten zeigt<br />

Ideen, wie die Schule Schülerinnen und Schüler<br />

auf die digitale Arbeitswelt vorbereiten kann.<br />

D<br />

schen Homeoffice oder physischer<br />

Präsenz im Unternehmen, die Wahl<br />

zwischen Gro sraumbüro, Einzelbüro<br />

und Rückzugsraum – je nach Lust<br />

und Laune. Man könnte von «lau-<br />

le, die unsere Kinder auf die Arbeitswelt<br />

von morgen vorbereitet? Wie<br />

ich auf das Konzept der «erweiterten<br />

Lernwelten». Dieses pädagogische<br />

virtue les Lernen. Seine Grundid e<br />

geschlo senen Lerna ltag und weitet<br />

räumlich. Ist die Schule der Zukunft<br />

Schüler, die an einem bestimmten<br />

Projekt intere siert sind?<br />

Individue le Lernwege, Lernorte und<br />

Lernzeiten<br />

So könnte Lernen 2<strong>02</strong>5 au sehen: Es<br />

findet in einer Cloud sta t, wo die<br />

Schüler gespeichert sind – Prüfungsergebni<br />

se etwa und e reichte Kom-<br />

betri t, sich mit der Lehrperson<br />

für den Tag, die Woche oder den<br />

Konzept verknüpft analoges und<br />

Schulungsräumen oder in einem<br />

lautet: Lernen mit Unterstützung<br />

tausch in der Gru pe zusammen-<br />

ihn aus – inhaltlich, sozial und<br />

also nur noch ein gelegentlicher<br />

Treffpunkt für Schülerinnen und<br />

den. Das verlangt von Schulen und<br />

Cloud. Der Lehrer erste lt zu einzelnen<br />

Themen Aufgaben und gliedert<br />

sie nach Kompetenzen. Die Schüler<br />

pa st. Vie leicht brauchen sie – ein-<br />

Was bedeutet das nun für die Schudue<br />

le Aufgaben zu.<br />

Ein typischer Tag könnte so aus-<br />

kann «launebasiertes Lernen» sta t-<br />

finden?<br />

Bei der Suche einer Antwor traf<br />

Monat festlegt und sich «auf seinen Eines ist aber sicher: Digitale Gerä-<br />

des Internets öffnet den kla sischen Schülern zu einem intensiven Ausführen,<br />

so da s soziales Lernen weiterhin<br />

ein Bestandteil bleibt.<br />

Sein Weg kann ihn aber auch in<br />

eine Vorlesung, in ein persönliches<br />

schulische und persönliche Entwick-<br />

erarbeiten die Aufgaben selbständig,<br />

und weist den Schülern neue indivi-<br />

sehen, da s der Schüler die Schule<br />

berät, seinen individue len Lernweg<br />

Lernweg» macht. Dieser kann ihn in<br />

Café mit anderen Schülerinnen und<br />

Ge spräch, in ein Lernspiel oder digital<br />

zu Video-Tutorials, Skype-Be-<br />

in eine sti le Arbeit am eigenen<br />

Zimmer zu Haus etwa oder im<br />

Daten über die Schülerinnen und Wohnzimmer der Gro seltern.<br />

sprechungen oder Online-Lernspielen<br />

führen. Der Lernweg kann auch<br />

Arbeitsplatz münden – im eigenen<br />

Unterstützt durch mobile Endgeräte,<br />

ermöglichen, werden neue Orte zu<br />

Lernorten. Das Lernen wird durch<br />

das Konzept der erweiterten Lern-<br />

auch Eltern eine gro se Offenheit,<br />

die übera l Zugang zu Wi sen<br />

petenzen. Wie die Daten in die<br />

Cloud wandern? Einerseits dokumentieren<br />

die Schüler selber ihre<br />

welten zudem weniger zeitgebun-<br />

häufiger die Wahl: die Wahl zwilung,<br />

andererseits arbeiten auch<br />

Lehrpersonen und Eltern in der<br />

denn Schülerinnen und Schüler<br />

können ihren Unte richt weitgemen<br />

und gehen, wann es ihnen<br />

nebasiertem Arbeiten» sprechen. der Lehrer bewertet diese Inhalte<br />

hend selber organisieren. Sie kom-<br />

zeln oder in Gru pen – Unterstützung<br />

und Begleitung. Genau so, wie<br />

es heute in der Arbeitswelt immer<br />

Wohin Schulen steuern, wi sen<br />

wir nicht. Und der Schula ltag verändert<br />

sich auch nicht über Nacht.<br />

te haben längst Einzug in den Schula<br />

lta gehalten. Wie schne l und<br />

stark sie ihn verändern, wird sich<br />

ist Jugendmedienschutz-Beauftragter<br />

von Swi scom.<br />

Auf Medienstark finden Sie Tipps und interaktive<br />

Lernmodule für den kompetenten Umgang<br />

mit digitalen Medien im Familiena ltag.<br />

swi scom.ch/medienstark<br />

70 Dezember 2015 / Januar <strong>2016</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

Wie weit wollen wir unsere Kinder abhängig machen von Internet,<br />

Natel, Clouds? Es ist ein Element im Unterricht, aber es sollte<br />

nicht überbewertet werden. Nicht alle Kinder sind vom gleichen<br />

Lerntyp, nicht alle sind lernfähig über das Sehen am Bildschirm.<br />

Das Arbeiten auf der Tastatur löst nicht dieselben Reaktionen<br />

im Gehirn aus wie das Schreiben von Hand. Ausserdem werden<br />

wir dauernd beschallt per Handy, und die elektronische Strahlung<br />

wird auch nicht weniger. Es ist noch nicht bewiesen, was das<br />

bewirkt. Als Mutter von vier Kindern zwischen 15 und 28<br />

bin ich täglich online, doch diese Abhängigkeit ist nicht gut<br />

und regt nicht zum Lernen an. Die Sinne anregen und die Neugier<br />

wecken ist viel wichtiger.<br />

Der Beitrag über dieses Kinderheim war sehr erinnerungsweckend.<br />

Ich habe selber fast zehn Jahre in einem Kinder- und<br />

Jugendheim gelebt. Ich möchte hiermit allen Mut machen, die<br />

einer solchen Einrichtung etwas kritisch gegenüberstehen. Es<br />

war und bleibt die schönste Zeit meiner Kindheit. Ich finde es<br />

sehr gut, dass es so etwas gibt, und wünsche, dass auch<br />

andere Kinder so viele schöne Erinnerungen haben dürfen wie<br />

ich.<br />

Yvonne Caluori (per Mail)<br />

26 Jahre alt, 2001 bis 2010 im Heim<br />

Mehr positive<br />

Gedanken, bitte!<br />

(«Willkommen, Chaos!»,<br />

Heft 9/2015)<br />

… denn sie wissen<br />

nicht, was sie tun<br />

Die Pubertät ist wie ein Sturm, der über Familien<br />

hinwegfegt. Eine Tortur für Eltern und Kinder.<br />

Im Unterschied zu Mama und Papa können<br />

die Jugendlichen jedoch meist nicht anders.<br />

Text: Claudia Landolt Bilder: Ruth Erdt<br />

10 NOVEMBER 2015<br />

Dazu kommt, dass es in der Lehrstelle nicht so läuft, dass man<br />

machen kann, wozu man gerade Lust hat. Die Realität im Leben<br />

ist, dass der Lehrmeister Anforderungen stellt. Zum Beispiel am<br />

Anfang der Lehre einen Monat im Lager zu arbeiten, und das im<br />

Untergeschoss. Wir müssen unsere Kinder auf die Realität des<br />

Lebens vorbereiten.<br />

Als Lehrerin muss ich den Kindern Grundlagen vermitteln:<br />

miteinander umgehen lernen, einander helfen, miteinander in<br />

einem guten Lernklima lernen. Den Stoff vernetzen, wiederholen<br />

und abspeichern und nicht immer mehr und Neues dazunehmen.<br />

Die Kinder sollen ihre fünf Sinne zum Lernen nutzen. Dabei spielt<br />

der Computer auch eine Rolle, doch nur eine kleine, da die<br />

Verarbeitung im Gehirn durch alle Sinne läuft und der Computer<br />

nicht das Denken abnehmen soll. Unser Gehirn will Stoff zum<br />

Verarbeiten, sonst werden die Funktionen immer weniger genutzt,<br />

und die Speicherfähigkeit nimmt immer mehr ab. Es kann auch<br />

Krankheiten auslösen, wenn man die eigenen Hirnfunktionen<br />

nicht mehr einsetzt.<br />

NOVEMBER 2015 1<br />

Ich lese euer Magazin sehr gerne. Es ist informativ und unterhaltsam.<br />

Beim Betrachten der Frontseite der November-Ausgabe<br />

ist mir jedoch aufgefallen, dass ihr gleich drei Themen anschneidet,<br />

die mir die Lust und den Spass am Elternsein verderben könnten.<br />

Wie soll ich bloss mit meinen Kindern durch die Schule, durch<br />

die Pubertät und generell durch die Erziehung kommen, wenn<br />

schon ein Elternmagazin diese Themen in den Vordergrund stellt?<br />

Elternsein soll stolz machen. Etwas mehr positive Gedanken,<br />

Verbundenheit und Unterstützung würden wohl nicht nur mir<br />

guttun.<br />

Deshalb bin ich gegen einen übertriebenen Einsatz des Computers<br />

in der Schule. Es ist unser Ziel als Eltern und Lehrer, unsere<br />

Kinder auf das Leben vorzubereiten, auf die Realität nach der<br />

Schule. Das Leben zu bewältigen, es auszuhalten, wenn es mal<br />

schwierig ist, und zur Welt Sorge zu tragen. Das ist Alltag, und das<br />

ist für alle Menschen die Realität.<br />

Hanni Klopfenstein (per Mail)<br />

Martina Eiholzer (per Mail)<br />

60 Februar <strong>2016</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


ir war schon<br />

während der<br />

Schwangerschaft<br />

klar, wa sich<br />

nach der Geburt<br />


Zahnkiller Karies<br />

Schweizer Kinder und Jugendliche sind Weltmeister im Zähneputzen: Nirgends wird<br />

täglich ähnlich häufig geputzt. Doch es heisst dranbleiben: Ohne regelmässiges<br />

Putzen droht Karies – mit schuld daran ist unsere Lust auf Süsses. Text: Petra Seeburger<br />

Als Patentante eines Zahnarztkindes wird<br />

man bald einmal vor kariesauslösenden<br />

Geschenken gewarnt. Spätestens wenn<br />

der erste Zahn durchbricht. Und so war<br />

denn das 1-Kilo-Glas Nutella das erste<br />

und das letzte – auch wenn es den Kleinen noch so<br />

beglückte. Denn Zucker schadet den Zähnen.<br />

«Bakterien bilden aus bestimmten Kohlenhydraten<br />

eine Säure, die den Zahnschmelz angreift», sagt Florian<br />

Wegehaupt, Leiter der Kariologie am Zürcher Zentrum<br />

für Zahnmedizin. Kommen die vier Faktoren Zähne,<br />

Zucker, Zeit und Bakterien (vor allem Streptokokken<br />

und Laktobazillen, die zur normalen Mundflora gehören)<br />

zusammen, entsteht Karies, die auch Zahnfäule<br />

genannt wird.<br />

Für den Leiter des schulzahnärztlichen Dienstes der<br />

Stadt Zürich, Hubertus van Waes, sind verschiedene<br />

Altersgruppen kariesgefährdet: An erster Stelle stehen<br />

Kindergärtler und Erstklässler, weil in diesem Alter die<br />

ersten bleibenden Mahlzähne durchbrechen. «Ihre<br />

Form und Position im Gebiss macht es schwer, sie richtig<br />

zu putzen», sagt er. Risiken haben aber auch Kleinkinder<br />

unter vier Jahren, weil zahnprophylaktische<br />

Programme erst mit dem Kindergarten starten. Weitere<br />

Risikogruppen sind Pubertierende, die manchmal die<br />

Körperpflege vernachlässigen, und auch junge Erwachsene,<br />

die nach der Schulentlassung plötzlich für sich<br />

selbst verantwortlich sind und aufgrund von Lehre,<br />

Studium oder ihrem Sozialleben andere Prioritäten<br />

haben.<br />

Die Schweiz gilt als Pionier der Zahnprophylaxe. Hier<br />

wurden in den sechziger Jahren die ersten Vorsorgeprogramme<br />

lanciert. Und sie hatten grossen Erfolg: Fand<br />

man 1964 bei Erhebungen bei Zwölfjährigen in Zürich<br />

durchschnittlich acht kariöse Zähne, war 2009 nur noch<br />

knapp ein Zahn pro Kind betroffen. Laut Giorgio<br />

Menghini, Experte für orale Epidemiologie am Zentrum<br />

für Zahnmedizin der Universität Zürich, sind heute<br />

rund 60 Prozent der 12-Jährigen kariesfrei.<br />

Generell kann man sagen: Je höher das Bildungsniveau<br />

der Familien ist, desto weniger haben Kinder<br />

Karies. Das sei weltweit in allen Ländern zu beobachten,<br />

bestätigen Wegehaupt und van Waes, dem alle Zürcher<br />

Schulzahnkliniken unterstellt sind. Während in vielen<br />

Ländern die Präventionsmassnahmen in Sachen Mundhygiene<br />

Wirkung zeigten, seien in der heutigen Zeit<br />

Süssgetränke ein grosses Problem, sagt Wegehaupt.<br />

Häufig erkranken bereits Kleinkinder an Milchzahnkaries,<br />

weil sie mit der Schoppenflasche rund um die<br />

Uhr gesüsste Tees, Fruchtsäfte oder andere Softdrinks<br />

trinken. Im schlimmsten Fall zerstört Karies bereits die<br />

Milchzähne.<br />

Löcher behandeln<br />

In einfachen Kariesfällen wird ein Fluoridlack aufgetragen.<br />

Bei Löchern, die Schmerzen verursachen, bohrt<br />

der Zahnarzt und setzt Füllungen ein. Im schlimmsten<br />

Fall muss ein kariöser Zahn gezogen werden. Bleibt eine<br />

Karies unbehandelt, nehmen die Problemkeime zu, was<br />

die Zahnfäule noch fördert. Deshalb werden auch Milchzähne<br />

behandelt.<br />

Zum Zahnarzt sollten Kinder bereits nach dem<br />

Durchbruch des ersten Zahns, sagt Florian Wegehaupt.<br />

«Die Eltern können die Kleinkinder zu ihrem Zahnarzttermin<br />

einfach einmal mitbringen.» Und auch das Zähneputzen<br />

nach jeder Mahlzeit beginne dann. Wegehaupt<br />

verweist auf die Richtlinien der Schweizer Zahnärztegesellschaft<br />

(SSO) und empfiehlt spezielle Kinderzahn-<br />

62 Februar <strong>2016</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Ernährung & Gesundheit<br />

pasta, die dem Alter entsprechend Fluoride enthalte.<br />

Das schütze den Zahnschmelz. Sobald dann der erste<br />

bleibende Zahn draussen sei, könne normale Zahnpasta<br />

verwendet werden. Ab dem 6. Altersjahr wird –<br />

besonders bei Kindern mit erhöhtem Kariesrisiko –<br />

empfohlen, einmal wöchentlich ein Fluoridgelee<br />

anzuwenden oder täglich den Mund mit einer Fluoridlösung<br />

zu spülen. Ratsam ist auch der tägliche Gebrauch<br />

von fluo ridiertem Speisesalz.<br />

Laut Wegehaupt wird in der Kariesbehandlung auf<br />

mehreren Ebenen geforscht: zur Langlebigkeit der Füllungen,<br />

zu einer möglichen Impfung gegen Karies,<br />

Behandlungsansätzen ohne Bohren oder im Bereich der<br />

Zahnschmelzschädigung durch Säuren, die nicht durch<br />

Bakterien produziert werden und in Lebensmitteln vorkommen.<br />

Die neuen Ansätze seien vielversprechend,<br />

steckten aber noch in den Kinderschuhen.<br />

Zähne putzen und schützen<br />

«Das A und O ist und bleibt die Prävention – also Zähneputzen<br />

und Fluoride», sagt Dr. van Waes. «Die Schulzahnkliniken<br />

bieten Präventionsprogramme bereits für<br />

Kleinkinder an, bei denen vor allem die Eltern aufgeklärt<br />

werden.» Ab dem Kindergarten kommen Schulzahnpflegeinstruktorinnen<br />

zum Einsatz, die alle Klassen<br />

mehrmals jährlich besuchen. In den Schweizer Schulzahnkliniken<br />

werden Kinder einmal jährlich untersucht,<br />

wobei auch die richtige Zahnputztechnik nochmals<br />

geübt wird.<br />

«In Zürich arbeiten Schulzahnärzte und Schulärzte<br />

zusammen und haben gemeinsame Empfehlungen für<br />

gesunde Ernährung veröffentlicht», ergänzt van Waes.<br />

Hier gehe es vor allem um die allgegenwärtigen Süssgetränke,<br />

die auch wegen ihres Säuregehaltes für die Zähne<br />

schädlich seien. Zuckerfreie Alternativen seien zwar<br />

für die Zähne besser, aber noch lange nicht gesund.<br />

Zurzeit hätten Schweizer Kinder wenig Karies. Das bleibe<br />

aber nur so, wenn man bei der Prophylaxe nicht<br />

nachlasse, sagt van Waes und warnt: «Karies wird einfach<br />

auch unterschätzt.» Deshalb gilt nach wie vor: putzen,<br />

Fluorid anwenden und zuckerarm essen. Sonst<br />

schlägt der Zahnkiller Karies wieder zu.<br />

Wie entsteht Karies?<br />

Werden Zähne nicht genügend geputzt, bildet sich ein Belag aus<br />

Bakterien, die sich unter anderem von Zucker ernähren. Die Bakterien<br />

vergären die niedermolekularen Kohlenhydrate zu Säuren. Diese<br />

dringen in den Zahnschmelz ein und entkalken ihn. Die Stellen werden<br />

brüchig und kreidig weiss. Bricht nun die Oberfläche ein, spricht man<br />

von einem kariösen «Loch». Karies beginnt an den Kontaktpunkten<br />

zweier Nachbarzähne oder in den Grübchen der Kauflächen.<br />

3 Tipps für kariesfreie Zähne<br />

Zähne nach jeder Mahlzeit putzen, um Zahnbelag zu verhindern<br />

– Gründliche, aber schonende Zahn- und Zahnzwischenraumreinigung,<br />

so dass das Zahnfleisch nicht leidet<br />

– fluoridiertes Speisesalz, altersgerechte Fluoridanwendung<br />

Gesunde Ernährung mit wenig Süssgetränken<br />

– Zähne nicht dauernd Säuren und Zucker aussetzen<br />

Regelmässige Kontrolle beim Zahnarzt<br />

– Karies beginnt meist an nicht sichtbaren Stellen, deshalb<br />

braucht es für die Diagnosestellung oft ein Röntgenbild.<br />

Weiterführende Informationen und Quellen<br />

www.schulzahnpflege.ch<br />

www.sso.ch > Patienten > Prophylaxe<br />

www.generation-kariesfrei.ch – Broschüre «Zahnschäden sind<br />

vermeidbar»<br />

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3000 Therapeutinnen<br />

und Naturheilpraktiker<br />

wissen Bescheid.<br />

Petra Seeburger<br />

ist Intensivpflegefachfrau, Journalistin und<br />

Kommunikationsspezialistin. Sie arbeitet<br />

seit 30 Jahren im Gesundheitswesen.<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

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Naturärzte Vereinigung Schweiz<br />

Februar <strong>2016</strong>63


«Online war ich ein anderer»<br />

Ein Leben ohne Internet ist heute für die meisten Teenager nicht mehr denkbar. Süchtig sind sie<br />

deshalb noch lange nicht. Was eine Internetsucht ausmacht und wohin sie führen kann, zeigt<br />

das Beispiel von Simon. Text: Bianca Fritz<br />

In seiner schlimmsten Zeit hat<br />

Simon R. den PC niemals<br />

ausgeschaltet. Die Storen in<br />

seinem Zimmer waren Tag<br />

und Nacht unten, und er verliess<br />

seine Höhle nur noch, um<br />

Essen einzukaufen. «Aber nur wenn<br />

es unbedingt sein musste.» Wie oft<br />

das mit dem Essen «sein muss»,<br />

unterschätzte der damals knapp<br />

20-Jährige allerdings gewaltig: Eines<br />

Tages kippte er um und kam schwer<br />

unterernährt in die Klinik.<br />

Was bringt einen Menschen<br />

dazu, sein Leben komplett ins Internet<br />

zu verlegen, alle Offlinekontakte<br />

abzubrechen und sich selbst so zu<br />

vernachlässigen? Psychologen sprechen<br />

von einer neuen Verhaltenssucht,<br />

der Onlinesucht. Im Internet<br />

gibt es vieles, was süchtig machen<br />

kann: soziale Netzwerke, Shopping<br />

und Pornografie zum Beispiel. Oder<br />

eben Games. Renanto Poespodihardjo,<br />

Leiter der Ambulanz für<br />

Verhaltenssüchte der Universitären<br />

Psychiatrischen Kliniken Basel,<br />

schätzt, dass gar 99 Prozent aller<br />

Patienten, die wegen einer Online-<br />

Onlinegames nutzen gezielt<br />

Mechanismen, die süchtig<br />

machen. Aber längst nicht alle<br />

User werden süchtig.<br />

sucht zu ihm kommen, Gamer sind,<br />

fast alle männlich. Bei den Teenagern<br />

seien es häufig die Eltern, die<br />

aktiv werden, wenn die Kinder<br />

Schule und Freunde vernachlässigen,<br />

um im Netz zu sein. Die weit<br />

grössere Gruppe seiner Patienten<br />

aber seien junge Erwachsene, die es<br />

nach der Schule nicht schaffen, ein<br />

eigenes Leben aufzubauen, eine<br />

Ausbildung zu finden oder durchzuhalten<br />

und die Miete zu bezahlen.<br />

Erfolgserlebnisse für Erfolglose<br />

«Onlinegames nutzen gezielt Mechanismen,<br />

die auf eine Abhängigkeit<br />

vom Produkt zielen», sagt Poespodihardjo.<br />

Zu Beginn habe man zum<br />

Beispiel schnell Erfolgs erlebnisse.<br />

«Das tut besonders denen gut, die<br />

offline wenig erfolgreich sind: den<br />

Unsportlichen, denen mit der krummen<br />

Nase, den Schüchternen. Ihre<br />

scheinbaren Makel sind in einem<br />

Spiel keine – sie können einfach von<br />

vorne anfangen mit einem selbstgestalteten<br />

Ich», erklärt der Psychologe.<br />

Das reize natürlich viele unsichere<br />

Pubertierende. Daher seien<br />

ex zessive Spielphasen bei Jugendlichen<br />

noch kein Grund zur Beunruhigung<br />

der Eltern. «Anders als bei<br />

Heroin sind Onlinegames etwas, was<br />

viele Menschen nutzen – aber die<br />

wenigsten werden wirklich abhängig.»<br />

Risikofaktoren, die eine Sucht<br />

begünstigen, sind unter anderem<br />

nicht verarbeitete Traumata oder<br />

Verlustsituationen (Wohnortswechsel,<br />

Scheidung), Aussenseiterpositionen,<br />

eine fehlende oder falsche<br />

Medienerziehung (siehe Tipps zur<br />

Vorbeugung auf Seite 66) und körperliche<br />

Einschränkungen. Je nachdem,<br />

welche Studie man betrachtet,<br />

kann man heute davon ausgehen,<br />

dass 4 bis 7 Prozent der Jugendlichen<br />

eine Onlinesucht entwickeln<br />

– schweizweit wird von etwa 70 000<br />

Menschen ausgegangen.<br />

Bei Simon kamen gleich mehrere<br />

Faktoren zusammen: Die Trennung<br />

der Eltern und die Alkoholsucht der<br />

Mutter führten dazu, dass er als<br />

12-Jähriger von zu Hause wegrannte,<br />

die falschen Freunde fand, zuerst<br />

in die rechte Szene einstieg, später<br />

in die Drogenszene abrutschte. Nach<br />

einem Entzug und der Rückkehr zur<br />

Mutter verkroch er sich in seinem<br />

Zimmer und begann zu spielen.<br />

Simon sagt von sich: «Ich bin in diese<br />

Welt geflüchtet, weil ich in der<br />

anderen Welt gar nichts mehr zu<br />

verlieren hatte.»<br />

Gespielt hatte er schon immer<br />

gerne, aber erst das Online-Rollenspiel<br />

Guild Wars fesselte ihn bis hin<br />

zur Sucht. Das Spiel wird von Tausenden<br />

von Menschen gleichzeitig<br />

gespielt. Auf der ganzen Welt und zu<br />

jeder Tages- und Nachtzeit. Simon<br />

wählte die Figur des Heilers und<br />

stieg schnell auf, weil er viel Zeit<br />

investierte. Er wurde zum Chef einer<br />

Guild – «und zwar nicht gerade<br />

einer kleinen», wie er heute noch<br />

64 Februar <strong>2016</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Digital & Medial<br />

Wenn der Platz<br />

vor dem PC der<br />

einzige ist, an<br />

dem man sich<br />

wohlfühlt, wird<br />

es kritisch.<br />

Bild: iStockphoto<br />

stolz erwähnt. Als solcher hatte er<br />

Verantwortung für andere Spieler zu<br />

tragen – der Druck, dauerhaft online<br />

zu sein, wurde immer grösser.<br />

Gamen ohne Ende – ohne Schlaf<br />

Zu Beginn traf er die Menschen, die<br />

er online kennenlernte, auch im realen<br />

Leben. Aber dann wurde es<br />

immer wichtiger, den Bildschirm<br />

nicht mehr zu verlassen. Nicht einmal<br />

zum Schlafen: Simon war fast<br />

20 Stunden pro Tag wach. Selbst als<br />

er schliesslich zusammenklappte<br />

und seine Sucht diagnostiziert wurde,<br />

spielte er noch einige Jahre weiter.<br />

Erst als die Wohnung von Simons<br />

Mutter zwangsgeräumt wurde und<br />

Mädchen gelingt es oft besser,<br />

trotz exzessiver Nutzung<br />

noch Freunde zu treffen und<br />

gute Noten zu schreiben.<br />

er an schweren Depressionen litt,<br />

entschied er sich, sich selbst einzuweisen.<br />

Das war vor zwei Jahren.<br />

Seither ist Simon in Behandlung.<br />

Neben dem Gamen können auch<br />

WhatsApp und soziale Netzwerke<br />

zu suchtähnlichem Verhalten führen<br />

– hier sind eher die Mädchen die<br />

exzessiven Nutzer. Poespodihardjo<br />

sagt allerdings, dass diese Sucht selten<br />

einen grossen Einfluss auf die<br />

physische und psychische Gesundheit<br />

hat wie das Gamen. «Ich kann<br />

nur mutmassen, woran es liegt. Vielleicht<br />

daran, dass hier immer noch<br />

eine reale Kommunikation mit<br />

Freunden stattfindet, oder daran,<br />

dass es gerade den Mädchen oft besser<br />

gelingt, nebenbei noch Freundschaften<br />

zu pflegen und in der Schule<br />

am Ball zu bleiben.»<br />

Eine weitere Verhaltensstörung<br />

in Sachen Internetnutzung ist das<br />

krankhafte Suchen und Sammeln<br />

von Daten «in einer Menge, die kein<br />

Mensch mehr überblicken, ge ­<br />

schweige denn nutzen kann», >>><br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

Februar <strong>2016</strong>65


so Poespodihardjo. Der<br />

exzessive Internet-Pornokonsum,<br />

Glücksspiele und uferloses Onlineshopping<br />

werden nicht zu den<br />

Onlinesüchten gezählt, sondern wie<br />

die entsprechenden Verhaltenssüchte<br />

im Offlineleben behandelt.<br />

Ob ein Mensch süchtig ist, lässt<br />

sich schwer an einer Stundenzahl<br />

festmachen, die er im Internet verbringt.<br />

Von einer Sucht spricht man,<br />

wenn Schule, Arbeit, Freundschaften<br />

und Hobbys unter den Tisch<br />

fallen. Auch ein auffällig aggressives<br />

Verhalten, wenn das Internet mal<br />

ausfällt, kann ein Indikator sein.<br />

Ist die Sucht diagnostiziert, ge -<br />

hört neben der Suche nach den<br />

Ursachen auch ein Entzug zur<br />

Behandlung. Da ein Leben ganz<br />

ohne Computer und Internet heute<br />

aber kaum noch denkbar ist, müssen<br />

Süchtige häufig nur auf das verzichten,<br />

was ihre Sucht ausgelöst hat.<br />

Also zum Beispiel ein bestimmtes<br />

Onlinespiel. Es ist auch sinnvoll,<br />

ähnliche Anwendungen zunächst zu<br />

meiden oder zumindest den Konsum<br />

genau zu beobachten.<br />

Simon wurde nach seiner Zeit in<br />

den Universitären Psychiatrischen<br />

Kliniken Basel ins Zentrum Bernhardsberg<br />

gebracht, wo junge Menschen<br />

mit psychischen Problemen<br />

wieder einen geregelten Tagesrhythmus<br />

erlernen, Therapien besuchen<br />

und ins Arbeitsleben integriert werden<br />

sollen. Dort hat der inzwischen<br />

27-Jährige eine Ausbildung zum<br />

Fachmann Betriebsunterhalt begonnen.<br />

Seit Kurzem wohnt er in einer<br />

betreuten WG. Rollenspiele im<br />

Internet sind für ihn noch immer<br />

tabu. An Guild Wars denkt er zwar<br />

immer wieder und ist fasziniert<br />

davon, wie sich das Spiel entwickelt.<br />

Das verfolgt er hin und wieder auf<br />

Youtube. Aber ins Spiel selbst einloggen<br />

wird er sich nicht mehr. «Ich<br />

weiss jetzt einfach, was für mich auf<br />

dem Spiel steht.»<br />

>>><br />

Bianca Fritz<br />

ist schon von Berufs wegen eigentlich immer<br />

online. Seit einigen Monaten aber gönnt sie<br />

sich bewusste Auszeiten – und schaltet das<br />

Smartphone auch einfach mal aus.<br />

Buchtipp<br />

Holger Feindel: Onlinesüchtig?<br />

Ein Ratgeber für Betroffene und<br />

Angehörige. Patmos, 2015.<br />

144 Seiten, Fr. 23.90 (oder<br />

Fr. 12.90 als E-Book). Verständlich<br />

geschrieben, viele eindrückliche<br />

Fallbeispiele, Testbögen<br />

und Arbeitsblätter zur<br />

Selbsteinschätzung im Anhang.<br />

Tipps für Eltern zur Vorbeugung einer Onlinesucht<br />

bei Jugendlichen<br />

Informieren Sie sich, was Ihre Kinder tun.<br />

Gerade Spiele werden von Eltern oft zu Unrecht<br />

als primitiv angesehen. Solange Sie aber die<br />

Faszination nicht verstehen, können Sie auch<br />

nicht mit Regeln zu Ihrem Kind vordringen.<br />

Führen Sie Ihre Kinder langsam an die<br />

Mediennutzung heran. Erklären Sie ihnen,<br />

welche Mechanismen die Medien nutzen.<br />

Setzen Sie Grenzen im Mediengebrauch und<br />

setzen Sie diese auch durch. Dafür müssen Sie<br />

wissen, was Ihr Kind tut und welche Regeln<br />

sinnvoll sind. Zum Beispiel gibt es bei<br />

Onlinespielen Runden mit fester Dauer – da<br />

kann es mitunter schwierig werden, pünktlich<br />

zum Abendessen zu kommen.<br />

Auch wenn Ihr Teenager vielleicht etwas<br />

anderes behauptet: Sie sind ein Vorbild! Also<br />

beobachten Sie Ihr eigenes Konsumverhalten.<br />

Nehmen Sie Ihr Smartphone mit auf die Toilette?<br />

Halten Sie medienfreie Zeiten ein?<br />

66 Februar <strong>2016</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Digital & Medial<br />

Smombie<br />

Das ist das Jugendwort des Jahres 2015. Es bezeichnet die vollkommene Verschmelzung eines Menschen mit seinem Smartphone.<br />

Ein Smombie ist ein Smartphone-Zombie: Von seiner Umwelt bekommt er nichts mehr mit.<br />

Bilder: ZVG, iStockphoto<br />

Buchtipp<br />

Mein Opa,<br />

der Teenie<br />

Ellies Goldfisch hatte ein sonderbar<br />

langes Leben. Aber nicht nur deshalb<br />

macht sich die 11-Jährige plötzlich sehr<br />

viele Gedanken über das Altern. Denn<br />

der schlaksige Junge in altbackenen<br />

Klamotten, der plötzlich vor ihrer Tür<br />

steht, behauptet, ihr Grossvater Melvin<br />

zu sein. Er habe ein Mittel für die ewige<br />

Jugend entdeckt. So kommt es, dass<br />

Ellie zur Hilfswissenschaftlerin ihres<br />

Grossvaters wird und in eine spannende<br />

Welt eintaucht, in der Menschen sich<br />

trauen, an das Unmögliche zu glauben,<br />

um Neues möglich zu machen. Ein Buch<br />

voller Liebe, wundersamer Ereignisse<br />

und Humor. Für Neugierige und solche,<br />

die es werden sollen.<br />

Jennifer Holm: Der vierzehnte<br />

Goldfisch. Glaub an das (Un)mögliche.<br />

Roman, ab 11 Jahren. Heyne fliegt,<br />

2015. 176 Seiten, Fr. 18.90<br />

Hörbuch-Tipp<br />

Die Welt retten kann<br />

doch jeder<br />

Eigentlich ist die Geschichte ganz schön tragisch: Die<br />

zehnjährige Jamie-Lee wird mit ihrem kiffenden und<br />

saufenden Bruder allein zu Hause gelassen, weil ihre<br />

Mutter in eine Entzugsklinik kommt und die Grossmutter<br />

lieber ihre neue Flamme in Polen besucht, als sich<br />

um das Mädchen zu kümmern. Aber statt eines Dramas<br />

hat Kirsten Boie eine sehr witzige Geschichte mit Tiefgang<br />

geschrieben, die von der frechen Stimme Katinka<br />

Kultschers sehr kurzweilig vorgelesen wird. Denn Jamie-<br />

Lee macht sich nicht viel aus ihrer Situation. Sie möchte<br />

viel lieber die Welt retten. Wären da nicht ein reiches<br />

Mädchen und ein Jagdleopard, die zuerst ihre Hilfe brauchen.<br />

Bei so viel Action bleibt wenig Zeit, um an der<br />

eigenen Situation zu verzweifeln – stattdessen gibt<br />

es jede Menge Gelegenheit, das Leben selbst in die Hand<br />

zu nehmen. Denn, so die Moral der Geschichte: Keiner<br />

ist zu gering, um Grosses zu vollbringen.<br />

Kirsten Boie: Entführung mit Jagdleopard. Hörbuch, ab 10<br />

Jahren. Jumbo-Verlag, 2015. 360 Minuten auf 4 CDs. Fr. 23.90<br />

Facebook wird<br />

vererbt<br />

Eltern können den Facebook-<br />

Account ihres Kindes erben –<br />

sie haben Anspruch auf den<br />

Zugang, wenn das Kind stirbt.<br />

Das wurde im Januar erstmals<br />

vor einem Gericht in Deutschland<br />

geurteilt. Die Richter des<br />

Landesgerichts Berlin<br />

behandeln den digitalen<br />

Nachlass eines Kindes damit<br />

ähnlich wie dessen Briefe oder<br />

Tagebücher. Geklagt hatte<br />

eine Mutter, die hoffte, über<br />

das Facebook-Konto ihrer<br />

Tochter mehr über ihren noch<br />

ungeklärten Tod zu erfahren<br />

– etwa Hinweise auf einen<br />

möglichen Suizid zu finden.<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

Februar <strong>2016</strong>67


«Manche sehen das Glas halb leer. Manche sehen das Glas halb voll.<br />

Als Mutter siehst du das Glas eigentlich immer nur umfallen.»<br />

Tweet von @Rabentweets<br />

«Es muss nicht immer<br />

Google sein»<br />

Über 90 Prozent aller Suchanfragen im Netz<br />

laufen über Google. Wer hier sucht, wird zwar<br />

meistens fündig, bezahlt aber mit Daten und<br />

persönlichen Informationen. Doch es gibt<br />

eine Handvoll alternative Konkurrenten, sagt<br />

Medienpädagoge Philipp Wampfler.<br />

Interview: Claudia Landolt<br />

Herr Wampfler, welche «schnüffelfreien»<br />

Suchmaschinen gibt es?<br />

Die wichtigsten drei Suchmaschinen<br />

sind Qwant aus Frankreich, Ixquick<br />

aus den Niederlanden und Duck-<br />

DuckGo aus den USA. Alle drei vermeiden<br />

es weitgehend, persönliche<br />

Informationen der User zu speichern,<br />

und sind auch bei der Verschlüsselung<br />

und der Datenweitergabe an andere<br />

Seiten fortschrittlich.<br />

Warum macht es Sinn, auch diese zu<br />

benutzen?<br />

Aus idealistischen Gründen: Es ist<br />

gefährlich, sich bei der Suche nach<br />

Informationen von einem Unternehmen<br />

abhängig zu machen. Der Datenschutzaspekt<br />

hat für mich nur eine<br />

psychologische Bedeutung: Viele<br />

Menschen finden es unheimlich,<br />

wenn Google ihre Suchgeschichte zu<br />

präzise auswertet. Laien können gravierende<br />

Datenschutzprobleme aber<br />

nicht auf eigene Faust lösen, dazu<br />

braucht es Gesetze.<br />

Finden diese Suchmaschinen genauso<br />

viel wie Google?<br />

Google ist weiterhin die leistungsfähigste<br />

Suchmaschine. Im Alltag spielt<br />

die Differenz zu Alternativen aber<br />

meist keine Rolle: Die drei oben<br />

genannten liefern für die meisten<br />

Menschen gleichwertige Ergebnisse.<br />

Was halten Sie von Suchmaschinen wie<br />

«Frag Finn» oder «Blinde Kuh», die nur<br />

von Fachleuten freigegebene Inhalte für<br />

Kinder finden?<br />

Nichts. Es handelt sich dabei fast<br />

immer um unbrauchbare Seiten, die<br />

nicht genügend aktualisiert werden<br />

und weder für Eltern noch für Kinder<br />

befriedigend oder ansprechend sind.<br />

Sollen Kinder vor Inhalten geschützt<br />

werden, sollten bei Google und Co.<br />

entsprechende Filter eingerichtet werden.<br />

Das funktioniert besser.<br />

Wofür ich<br />

dankbar bin ...<br />

Wie können Kinder lernen, die positiven Seiten<br />

des Lebens stärker wahrzunehmen? Im letzten<br />

Film der Serie «Was Kinder stark macht» stellen<br />

die Psychologen Fabian Grolimund, Stefanie<br />

Rietzler und Nora Völker zwei einfache Strategien<br />

vor, um das Selbstvertrauen und das Selbstwertgefühl<br />

von Kindern zu stärken und eine optimistische<br />

Grundhaltung zu fördern. Sie lernen dabei<br />

eine einfache Übung aus der positiven Psychologie<br />

kennen, die nicht nur leicht anzuwenden ist<br />

und Spass macht, sondern nachweislich positive<br />

Effekte auf das Wohlbefinden hat. Und natürlich<br />

ist der Biber auch wieder mit von der Partie.<br />

Laden und<br />

starten Sie die<br />

Fritz+Fränzi-App,<br />

scannen Sie diese Seite und<br />

sehen Sie den neuen<br />

Film mit dem<br />

Biber.<br />

Bilder: ZVG<br />

68 Februar <strong>2016</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Digital & Medial<br />

Fomo, Yolo, Momo?<br />

Jomo!<br />

Zahlreiche Jugendliche sind scheinbar von Fomo<br />

befallen: der Angst, etwas zu verpassen. Ist<br />

daran das spassige Yolo schuld? Aber keine<br />

Sorge: Mit Jomo, dem bewussten Verpassen,<br />

bekommt man das in den Griff. Text: Michael In Albon<br />

Yolo und Fomo sind<br />

ständige Begleiter unserer<br />

Kinder – es sind<br />

wortgewordene Zeichen<br />

dafür, dass sie ihr<br />

Leben online bunter und interessanter<br />

darstellen können, als es ist. Yolo<br />

ist ein Akronym für «You only live<br />

once», auf Deutsch also: «Du lebst<br />

nur einmal». Online ist Yolo der<br />

amüsante Selbstdarsteller, Fomo<br />

hingegen der zaudernde Streber, der<br />

punkto Freizeit alles richtig machen<br />

will. Denn Fomo steht für «Fear of<br />

missing out», die Angst, etwas zu<br />

verpassen.<br />

Wie können Eltern ihren Kindern<br />

da bloss helfen? Den Umgang<br />

mit Freunden verbieten, die das<br />

coolste Leben zelebrieren, ist sicher<br />

falsch. Denn gar nicht zu wissen,<br />

was passiert, ist noch schlimmer –<br />

dafür gibt’s natürlich auch bereits<br />

eine Abkürzung: Momo, «Mystery<br />

of missing out». Momo ist die Sorge,<br />

etwas zu verpassen, weil die anderen<br />

nichts mehr teilen.<br />

Eine bessere Idee ist es, demonstrativ<br />

der Jomo zu fröhnen, der «Joy<br />

of missing out». Das ist das bewusste<br />

Verpassen. Es einfach mal geniessen,<br />

sich rauszuhalten. Und wenn<br />

man dabei online bleibt, kann man<br />

auch wunderbar posten, wie entspannt<br />

das eigene Leben ist.<br />

Hier folgen sogleich noch ein<br />

paar Tipps, wie man es schafft, sich<br />

herauszuhalten. Diese gelten übrigens<br />

auch für Erwachsene. Denn die<br />

beschriebenen Phänomene befallen<br />

die Eltern mitunter ebenso. Über die<br />

gemachten Erfahrungen kann man<br />

sich dann in der Familie austauschen<br />

– egal ob online oder offline.<br />

1. Meine Zeit schlägt analog<br />

Sie kennen das sicher auch: Eigentlich<br />

wollen Sie nur schnell die Uhrzeit<br />

checken, bleiben aber an den<br />

Nachrichten hängen, die auf dem<br />

Display aufleuchteten. Die Lösung<br />

ist einfach: Tragen Sie eine Armbanduhr!<br />

2. Meine Gedanken sind wertvoll<br />

Hängen Sie in Wartezeiten Ihren<br />

eigenen Gedanken nach, statt sich<br />

von Nachrichten und Erlebnissen<br />

anderer inspirieren zu lassen. Denn<br />

der Blick ins Leere fördert die Kreativität,<br />

fördert Ideen fürs Leben.<br />

3. So wenige Benachrichtigungen<br />

wie möglich<br />

Müssen alle Neuigkeiten sofort auf<br />

Ihrem Sperrbildschirm erscheinen?<br />

Gehen Sie regelmässig Ihre Apps und<br />

Online-Profile durch und überlegen<br />

Sie aufrichtig: Worüber müssen Sie<br />

permanent informiert werden?<br />

4. Mehr als einen Griff entfernt<br />

Tragen Sie Ihr Handy nicht immer<br />

auf sich. Stecken Sie es in eine Handtasche,<br />

einen Rucksack, eine Schublade<br />

oder an einen anderen Ort,<br />

damit Sie nicht beim ersten Summen<br />

oder Aufleuchten danach greifen.<br />

5. Ich entscheide, wann ich<br />

antworte<br />

Managen Sie die Erwartungen der<br />

anderen. Antworten Sie nicht immer<br />

postwendend. Welche Nachricht<br />

muss schon innert Minuten beantwortet<br />

oder kommentiert werden?<br />

Richten Sie sich feste Zeiten ein:<br />

Vier- bis fünfmal am Tag reicht für<br />

alle wichtigen Konversationen aus.<br />

6. Mach mal stumm!<br />

Aus den Ohren, aus dem Sinn. Schalten<br />

Sie Ihr Smartphone doch auf<br />

stumm – kein Klingeln, kein Summen,<br />

nichts. So werden Sie nicht von<br />

jeder noch so unwichtigen Meldung<br />

abgelenkt.<br />

Michael In Albon<br />

ist Jugendmedienschutz-Beauftragter<br />

von Swisscom.<br />

Auf Medienstark finden Sie Tipps und interaktive<br />

Lernmodule für den kompetenten Umgang<br />

mit digitalen Medien im Familienalltag.<br />

swisscom.ch/medienstark<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

Februar <strong>2016</strong>69


Unser Wochenende …<br />

auf dem Schlitten<br />

Text: Leo Truniger<br />

Genüsslich …<br />

… Gleich mehrfach auf die Rechnung kommt Ihre Familie am<br />

Albulapass. Auf einer Zahnradstrecke führt Sie die Rhätische<br />

Bahn in einer Viertelstunde über Kehrtunnels und Viadukte<br />

mit fantastischen Ausblicken von Bergün auf 1789 m ü. M.<br />

hinauf nach Preda. Dann geht’s los: Die Schlittelbahn auf der<br />

gesicherten Passstrasse ist bespickt mit gemächlichen und<br />

rasanteren Passagen, zahlreichen Kehren und Haarnadelkurven.<br />

Nach 6 Kilometern erreichen Sie Bergün (1367). Lust<br />

auf mehr? Alle 30 Minuten fährt die Bahn hinauf nach Preda.<br />

Schlittenmiete vor Ort möglich<br />

Für Anfänger und Familien<br />

Sehr sicher<br />

www.berguen-filisur.ch > Schlittelwelt<br />

… Eine familien- und kinderfreundliche Schlittelbahn findet<br />

sich im freiburgischen Jaun. Richtig liegen Sie hier, wenn bei<br />

Ihnen der Schneespass im Vordergrund steht und Sie den<br />

Schlitten auch mal ziehen mögen, bis Sie wieder Fahrt aufnehmen<br />

können. Eine Vierersesselbahn bringt Sie zur Bergstation<br />

Gastlosen auf 1580 m ü. M. Nach einem halben Kilometer<br />

Marsch stehen Sie am Schlittelstart. Die 6 Kilometer lange<br />

Abfahrt ins 550 m tiefer gelegene Dorf Jaun hat manche Waldpassagen,<br />

bietet sonst aber eine herrliche Berglandschaft.<br />

Schlittenmiete vor Ort möglich<br />

Für Anfänger und Familien<br />

Sicher<br />

www.alpesfribourg.ch/de/schlitteln<br />

Sportlich …<br />

… Haben Sie und Ihre Kinder den Schlitten schon gut unter<br />

Kontrolle und lassen es gerne auch mal sausen? Dann lassen<br />

Sie sich in Elm von der Gondelbahn zur Bergstation<br />

Ämpächli auf 1480 m ü. M. bringen. Die 4 Kilometer lange<br />

Schlittelfahrt beginnt mit anspruchsvollen Kurven, hat kaum<br />

Flachpassagen, so dass man die 460 m Höhendifferenz bei<br />

ordentlichem Tempo hinter sich bringt. Zweimal muss eine<br />

selten und nur mit Spezialbewilligung zu befahrene Strasse<br />

gequert werden.<br />

Schlittenmiete vor Ort möglich<br />

Für erfahrenere Familien<br />

Sehr sicher<br />

www.sportbahnenelm.ch > Aktivitäten > Schlitteln<br />

… Sportlich genussschlitteln lässt sich auch oberhalb von<br />

Beatenberg auf dem Panoramaschlittelweg vom Niederhorn<br />

auf 1963 m ü. M. nach Vorsass (1581). Die 3 Kilometer lange<br />

Fahrt dauert etwa eine halbe Stunde, bietet Aussicht über den<br />

Thunersee und die Gipfel des Berner Oberlands. Bei optimalen<br />

Verhältnissen lässt sich die Fahrt bis hinunter nach Beatenberg<br />

über eher flaches Gelände verlängern.<br />

Schlittenmiete vor Ort möglich<br />

Für erfahrenere Familien<br />

Sehr sicher<br />

www.niederhorn.ch/de/winter/erleben/aktiv-geniessen<br />

70 Februar <strong>2016</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Service<br />

Lang …<br />

… Wem der Ritt über die Schneepiste nicht lange genug gehen<br />

kann, der lässt sich mit der Gondelbahn von Saas-Grund auf<br />

den Kreuzboden (2400 m ü. M.) befördern. Während gut einer<br />

halben Stunde geht’s dann 11 Kilometer und 840 Meter talwärts.<br />

Die Schlittelbahn ist selten steil, auf einigen Abschnitten<br />

muss man den Schlitten sogar ziehen und kann dafür das<br />

eindrückliche 4000er-Panorama geniessen. Im Schlussteil auf<br />

der Skipiste ist dann wieder volle Aufmerksamkeit empfohlen.<br />

Schlittenmiete vor Ort möglich<br />

Für erfahrenere Familien<br />

Sehr sicher<br />

www.hohsaas.info/index.php/aktiv-winter<br />

… Oder die Fiescheralp. Die Luftseilbahn bringt Sie auf<br />

2222 m ü. M., und nach ein paar Minuten Fussmarsch beginnt<br />

die 13 Kilometer lange Schlittelfahrt hinab ins 1200 Meter<br />

tiefer gelegene Lax – nach Belieben auch mit einem typischen<br />

Walliser Ghosky-Schlitten. Rassig, aber ungefährlich geht<br />

es los – danach wird es etwas gemächlicher.<br />

Schlittenmiete vor Ort möglich<br />

Für Anfänger und Familien<br />

Sehr sicher<br />

www.aletscharena.ch > Winter > Sport<br />

Und …<br />

… Etwas für Rundumgeniesser: Nach der Gondelbahnfahrt von<br />

Grindelwald auf den First (2166 m ü. M.) wandern Sie in zweieinhalb<br />

Stunden auf das Faulhorn (2680). Von dort geht es<br />

mit einem eigenen Schlitten abwechslungsreich 15 Schlittelkilometer<br />

hinunter nach Grindelwald (1034). Ab der Bussalp<br />

gilt es jedoch den Postauto-Gegenverkehr zu beachten:<br />

Sobald Sie das Posthorn hören, müssen Sie die Piste sofort<br />

verlassen.<br />

Für erfahrene und sportliche Familien<br />

Relativ sicher<br />

www.grindelwaldbus.ch > Schlitteln<br />

www.bussalp.ch<br />

Sicherheitstipps …<br />

… Nur sitzend schlitteln, nicht bäuchlings.<br />

… Warme Kleidung und gutes Schuhwerk tragen.<br />

… Kinder und Erwachsene schützen sich mit einem Helm.<br />

… Kleinkinder schlitteln nur in Begleitung von Erwachsenen.<br />

… Schlitten nicht zusammenhängen.<br />

… Keine Hunde mitnehmen.<br />

… Nicht hinauflaufen.<br />

… Tempo anpassen.<br />

… Bei einem Unfall: die Unfallstelle absichern, erste Hilfe<br />

leisten, Hilfe anfordern.<br />

Bild: ZVG<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

Februar <strong>2016</strong>71


Service<br />

Vielen Dank<br />

Finanzpartner Hauptsponsoren Heftsponsor<br />

an die Partner und Sponsoren der Stiftung Elternsein:<br />

Dr. iur. Ellen Ringier<br />

Walter Haefner Stiftung<br />

Credit Suisse AG<br />

Rozalia Stiftung<br />

UBS AG<br />

Mirjam und Martin Bisang<br />

UBS AG<br />

Impressum<br />

Inhaltspartner<br />

16. Jahrgang. Erscheint 10-mal jährlich<br />

Herausgeber<br />

Stiftung Elternsein,<br />

Seehofstrasse 6, 8008 Zürich<br />

www.elternsein.ch<br />

Präsidentin des Stiftungsrates:<br />

Dr. Ellen Ringier, ellen@ringier.ch,<br />

Tel. 044 400 33 11<br />

(Stiftung Elternsein)<br />

Geschäftsführer: Thomas Schlickenrieder,<br />

ts@fritzundfraenzi.ch, Tel. 044 261 01 01<br />

Redaktion<br />

redaktion@fritzundfraenzi.ch<br />

Chefredaktor: Nik Niethammer,<br />

n.niethammer@fritzundfraenzi.ch<br />

Verlag<br />

Fritz+Fränzi,<br />

Dufourstrasse 97, 8008 Zürich,<br />

Tel. 044 277 72 62,<br />

info@fritzundfraenzi.ch,<br />

verlag@fritzundfraenzi.ch,<br />

www.fritzundfraenzi.ch<br />

Business Development & Marketing<br />

Leiter: Tobias Winterberg,<br />

t.winterberg@fritzundfraenzi.ch<br />

Anzeigen<br />

Administration: Dominique Binder,<br />

d.binder@fritzundfraenzi.ch,<br />

Tel. 044 277 72 62<br />

Art Direction/Produktion<br />

Partner & Partner, Winterthur<br />

Bildredaktion<br />

13 Photo AG, Zürich<br />

Korrektorat<br />

Brunner AG, Kriens<br />

Druck<br />

Konradin Heckel, Nürnberg<br />

Auflage<br />

(WEMF/SW-beglaubigt 2013)<br />

total verbreitet 103 381<br />

davon verkauft 17 206<br />

Preis<br />

Jahresabonnement Fr. 68.–<br />

Einzelausgabe Fr. 7.50<br />

iPad pro Ausgabe Fr. 3.–<br />

Abo-Service<br />

Galledia Verlag AG Berneck<br />

Tel. 0800 814 813, Fax 058 344 92 54<br />

abo.fritzundfraenzi@galledia.ch<br />

Für Spenden<br />

Stiftung Elternsein, 8008 Zürich<br />

Postkonto 87-447004-3<br />

IBAN: CH40 0900 0000 8744 7004 3<br />

Institut für Familienforschung und -beratung<br />

der Universität Freiburg / Dachverband Lehrerinnen<br />

und Lehrer Schweiz / Verband Schulleiterinnen und<br />

Schulleiter Schweiz / Jacobs Foundation / Forum<br />

Bildung / Elternnotruf / Pro Juventute /<br />

Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik<br />

Zürich / Schweizerisches Institut für Kinderund<br />

Jugendmedien<br />

Stiftungspartner<br />

Schweizerische Vereinigung der Elternorganisationen<br />

/ Marie-Meierhofer-Institut für das Kind /<br />

Schule und Elternhaus Schweiz / Pädagogische<br />

Hochschule Zürich / Schweizerischer Verband<br />

alleinerziehender Mütter und Väter SVAMV /<br />

Pro Familia Schweiz / Kinderlobby Schweiz<br />

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juniors – bringen sie<br />

ihr kind weiter und<br />

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Buchtipps<br />

Bild: Schweizerische Institut für Kinder- und Jugendmedien SIKJM / Béatrice Devènes<br />

Für ihr farbenfrohes Tierlexikon wurde<br />

Adrienne Barman mit dem Schweizer Kinderund<br />

Jugendmedienpreis ausgezeichnet – ein Beispiel<br />

für die Vielfalt und Farbigkeit der aktuellen<br />

Schweizer Kinderliteratur.<br />

Ausgezeichnetes<br />

Sammelsurium<br />

Adrienne Barman lässt<br />

sich nicht so leicht in<br />

bestehende Kategorien<br />

fassen. Und darum<br />

krempelt die junge<br />

Genfer Illustratorin mit Tessiner<br />

Wurzeln gleich die ganze biologische<br />

Klassifizierung um und gruppiert<br />

in «Walross, Spatz und Beutelteufel»,<br />

einem «Sammelsu rium der<br />

Tiere», zusammen, was in ihren<br />

Augen zusammengehört: schwarze<br />

Wegameise und Alpen salamander<br />

zu den Pechschwarzen, Okapi,<br />

Ameisenbär und Rubinkehlkolibri<br />

zu den Langzungen und Singschwäne<br />

und Seepferdchen zu den Treuen.<br />

Im dicken Buch, in dem sich<br />

immer wieder Entdeckungen<br />

machen lassen, zeichnet sie die Tiere<br />

in einem unverwechselbaren Stil<br />

Adrienne<br />

Barman an der<br />

Preisverleihung<br />

Ende 2015.<br />

comicartig reduziert, doch klar<br />

erkennbar, farbenfroh und mit starker<br />

Mimik. Ihre neuen Kategorisierungen,<br />

die sich wenig um übliche<br />

biologische Raster kümmern, laden<br />

dazu ein, auch andere gedankliche<br />

Schubladen neu zu ordnen – das<br />

ermöglicht eine frische Sicht auf<br />

Altbekanntes.<br />

Für diese originelle Enzyklopädie,<br />

die ursprünglich beim Genfer<br />

Verlag La Joie de Lire auf Französisch<br />

erschienen ist, erhielt Barman<br />

im November 2015 den mit 10 000<br />

Schweizer Franken dotierten<br />

Schweizer Kinder- und Jugendmedienpreis.<br />

Damit wird alle zwei Jahre<br />

aus einer Shortlist von sechs<br />

Büchern ein Werk eines oder einer<br />

Schweizer Schaffenden ausgezeichnet.<br />

Adrienne Barman:<br />

Walross, Spatz<br />

und Beutelteufel.<br />

Aladin, 2015,<br />

Fr. 38.90,<br />

ab 6 Jahren<br />

Ich ging in<br />

Schuhen aus<br />

Gras<br />

Das von Hannes<br />

Binder eindrücklich<br />

illustrierte<br />

Gedicht<br />

von Heinz Janisch wurde 2013 mit<br />

dem Schweizer Kinder- und Jugendmedienpreis<br />

ausgezeichnet.<br />

Atlantis, 2013, Fr. 24.90,<br />

ab 5 Jahren<br />

2½ Gespenster<br />

Lebensnah und<br />

sprachlich stark<br />

erzählt die in Biel<br />

wohnhafte Autorin<br />

Regina Dürig aus<br />

Sicht des Teenagers<br />

Jonna von<br />

der Verwirrung, die ein plötzlich<br />

auftauchender Unbekannter auslöst.<br />

Beltz & Gelberg, 2015, Fr. 17.90,<br />

ab 14 Jahren<br />

Pass auf mich<br />

auf!<br />

Wenn Herr<br />

Schnippel auf<br />

den Jungen Juri<br />

aufpassen soll,<br />

verschwimmen<br />

in diesem<br />

Bilder buch von Lorenz Pauli und<br />

Miriam Zedelius nicht nur die<br />

Grenzen zwischen Kind und Erwachsenen,<br />

sondern auch jene zwischen<br />

Buch und Betrachter.<br />

Atlantis, 2015, Fr. 24.90,<br />

ab 4 Jahren<br />

Verfasst von Elisabeth Eggenberger,<br />

Mitarbeiterin des Schweizerischen<br />

Instituts für Kinder- und Jugendmedien<br />

SIKJM. Auf www.sikjm.ch<br />

sind weitere Buchempfehlungen zu<br />

finden.<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

Februar <strong>2016</strong>73


Eine Frage – drei Meinungen<br />

Ich rauche hin und wieder eine Zigarre, rein zum Genuss. Meine Frau<br />

ist Nichtraucherin. Nun haben wir bemerkt, dass unser Sohn, 15,<br />

heimlich Zigaretten raucht. Wenn ich ihn darauf anspreche, sagt er<br />

bloss: «Du paffst ja selber.» Haben Sie mir einen Rat? Dominik, 46, Bülach ZH<br />

Nicole Althaus<br />

Tja – das Schwierige am<br />

Vorbildsein ist, dass man<br />

auch ein Vorbild ist, wenn<br />

man gerade keins ist. 1:0 für<br />

Sohnemann. Jetzt bleibt<br />

Ihnen nur noch der Elternjoker:<br />

Nicht alles, was die<br />

Grossen dürfen, dürfen auch<br />

die Kleinen. Zigaretten,<br />

Abstimmen und Autofahren sind bis 18 tabu. Danach<br />

kann er tun, was er nicht lassen kann. Aber bis dahin<br />

gilt: Wenn Sie davon Wind kriegen, dass er wieder<br />

geraucht hat, zahlen sie keinen Rappen an den Führerschein.<br />

Bei mir hats gewirkt.<br />

Tonia von Gunten<br />

Auf dem Weg zum Erwachsenwerden<br />

probieren<br />

Jugendliche viel aus. Sie hinterfragen<br />

Werte, die wir<br />

ihnen mit auf den Weg<br />

gegeben haben, das gehört<br />

dazu. Trotzdem – wir Eltern<br />

hinterlassen bei unseren<br />

Kindern einen bleibenden<br />

Eindruck. Sie rauchen selber. Was jedoch nicht heisst,<br />

dass Sie es gut finden müssen, wenn Ihr Sohn mit 15<br />

ebenfalls raucht. Sagen Sie ihm das. Es ist wichtig,<br />

dass er Ihre persönliche Einstellung kennt. Aber spielen<br />

Sie nicht den Polizisten – werden Sie zum Trainingskollegen<br />

Ihres Sohnes. Wer von euch schafft es<br />

eher, mit dem Rauchen aufzuhören?<br />

Bilder: Anne Gabriel-Jürgens / 13 Photo, Lea Meienberg / 13 Photo, ZVG<br />

Peter Schneider<br />

Sagen Sie ihm, dass Sie<br />

nicht die Miss Schweiz<br />

sind, die ein Vorbild sein<br />

muss, sondern sein Vater,<br />

der es ihm verbietet, weil<br />

es ungesund ist.<br />

Nicole Althaus, 47, ist Kolumnistin, Autorin und<br />

Mitglied der Chefredaktion der NZZ am Sonntag.<br />

Zuvor war sie Chefredaktorin von «wir eltern» und<br />

hat den Mamablog auf «Tagesanzeiger.ch» initiiert<br />

und geleitet. Nicole Althaus ist Mutter von zwei<br />

Kindern, 15 und 11.<br />

Tonia von Gunten, 42, ist Elterncoach, Pädagogin<br />

und Buchautorin. Sie leitet elternpower.ch, ein<br />

Programm, das frische Energie in die Familien<br />

bringen und Eltern in ihrer Beziehungskompetenz<br />

stärken möchte. Tonia von Gunten ist verheiratet<br />

und Mutter von zwei Kindern, 9 und 6.<br />

Peter Schneider, 58, ist praktizierender<br />

Psychoanalytiker, Autor und SRF-Satiriker («Die<br />

andere Presseschau»). Er lehrt als Privatdozent<br />

für klinische Psychologie an der Uni Zürich und<br />

ist Professor für Entwicklungspsychologie an<br />

der Uni Bremen. Peter Schneider ist Vater eines<br />

erwachsenen Sohnes.<br />

Haben Sie auch eine Frage?<br />

Schreiben Sie eine E-Mail an:<br />

redaktion@fritzundfraenzi.ch<br />

74 Februar <strong>2016</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Die Herausforderungen an Sie als Eltern<br />

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76 Februar <strong>2016</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi

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