Psyche und Soma Psyche und Soma - Medical Tribune
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18<br />
PSYCHIATRIE<br />
Schizophrenie<br />
Die Krankheitseinsicht fällt schwer<br />
Die mangelnde Krankheitseinsicht ist ein zentrales<br />
Problem der Therapie von Schizophreniekranken.<br />
Warum sich der eine Patient der Realität stellt<br />
<strong>und</strong> der andere nicht, das hängt vermutlich in<br />
erster Linie von individuellen Faktoren wie<br />
Krankheitswertung, von prämorbid erworbenen<br />
Kenntnissen <strong>und</strong> Erfahrungen ab, <strong>und</strong> nicht so<br />
sehr vom Schweregrad der Symptomatik.<br />
Mehr als die Hälfte aller Schizophrenen<br />
sind überzeugt, dass sie<br />
nicht psychisch krank sind <strong>und</strong><br />
nehmen ihre Medikamente, wenn<br />
überhaupt, nur widerwillig ein.<br />
Die mangelnde Krankheitseinsicht<br />
kann den Therapieerfolg, die Prognose<br />
<strong>und</strong> die Aussichten auf eine<br />
soziale <strong>und</strong> berufliche Integration<br />
beeinträchtigen.<br />
Gängige Definition<br />
Die gängige Definition des Begriffes<br />
»Krankheitseinsicht« folgt<br />
einem multidimensionalen Konzept.<br />
Als einsichtig bezeichnet man<br />
demnach einen Patienten,<br />
• dem bewusst ist, dass er an einer<br />
geistig-seelischen Erkrankung leidet,<br />
• der die sozialen Folgen <strong>und</strong> die<br />
Notwendigkeit einer Therapie erkennt,<br />
• der um die spezifischen Krankheitszeichen<br />
weiss <strong>und</strong> sie richtig<br />
interpretiert,<br />
Es gibt bereits eine Vielzahl<br />
von Untersuchungen über den Zusammenhang<br />
zwischen psychopathologischen<br />
Bef<strong>und</strong>en <strong>und</strong><br />
Krankheitseinsicht. A. R. Mintz<br />
<strong>und</strong> Kollegen kommt nun das Verdienst<br />
zu, die Arbeiten erstmals<br />
systematisch in einer Metaanalyse<br />
zusammengeführt <strong>und</strong> unter<br />
quantitativen Gesichtspunkten<br />
ausgewertet zu haben.<br />
Die Autoren recherchierten aus<br />
der MEDLINE- <strong>und</strong> PSYCHINFO-<br />
Datenbank 40 Studien zum Thema,<br />
die insgesamt knapp 3000<br />
Schizophreniepatienten<br />
umfassten.<br />
19 Studien mit insgesamt<br />
1400 Schizophrenen<br />
befassten sich mit dem Zusammenhang<br />
zwischen<br />
dem allgemeinen Schweregrad<br />
der Symptome <strong>und</strong> der Krankheitseinsicht.<br />
Die Analyse ergab<br />
eine leichte, aber signifikant negative<br />
Korrelation zwischen den beiden<br />
Parametern (Korrelationskoeffizient<br />
- 0,27). Anders ausgedrückt: Je<br />
ausgeprägter die psychischen Symptome<br />
waren, desto schwerer taten<br />
sich die Patienten, ihre Situation in<br />
allen ihren Dimensionen realitätsgerecht<br />
einzuschätzen. Betrachtete<br />
man ausschliesslich die Plus- oder<br />
Minussymptome (n = 1616 bzw. n<br />
= 1487), so errechnete sich<br />
ebenfalls eine schwach negative<br />
Korrelation. Gleichsinnig verknüpft<br />
hingegen war der Grad der<br />
Depressivität mit dem Ausmass der<br />
Krankheitseinsicht (Korrelationskoeffizient<br />
0,18).<br />
Der Einfluss der Psychopathologie<br />
auf die Krankheitseinsicht<br />
nahm sich quantitativ bewertet<br />
sehr bescheiden aus: Nur maximal<br />
7 % der Streubreite dieses Parameters<br />
war durch die Krankheitszeichen<br />
zu erklären. Bei Patienten im<br />
Akutstadium bzw. solchen mit<br />
spätem Krankheitsausbruch schien<br />
der Schweregrad der Plus- bzw.<br />
Minussymptome allerdings eine<br />
grössere Rolle zu spielen.<br />
Die Ergebnisse widersprechen<br />
der Hypothese, dass die Krankheitszeichen<br />
an sich das wichtigste<br />
Hindernis einer realitätsgerechten<br />
Selbstreflexion darstellen, <strong>und</strong> unterstreichen<br />
die Bedeutung individueller<br />
Faktoren. Möglicherweise<br />
trübt eine unbewusste Abwehrstrategie<br />
gegen eine stigmatisierende<br />
Krankheit voller unbekannter Bedrohungen<br />
den Blick für die Wirklichkeit.<br />
Persönliche Vorurteile <strong>und</strong><br />
eine negative Krankheitswertung<br />
mögen zusätzlich eine Rolle spielen,<br />
ebenso frühere Erfahrungen<br />
mit dem psychiatrischen Medizinbetrieb.<br />
Schliesslich könnte es auch<br />
sein, dass die mit den Symptomen<br />
verb<strong>und</strong>ene Stressbelastung einer<br />
Krankheitseinsicht im Wege steht.<br />
Stehen Minussymptome im Vordergr<strong>und</strong>,<br />
so ist leicht vorstellbar,<br />
dass eine allgemeine Apathie, Passivität<br />
<strong>und</strong> Isolationstendenz das Bewusstsein<br />
für die negativen sozialen<br />
Konsequenzen der Erkrankung<br />
schwinden lässt. mk<br />
Quelle: Mintz, A.R. et al.: Insight in<br />
schizophrenia: a meta-analysis.<br />
Schizophr. Res. 61, 75 – 88, 2003<br />
Heft 1 / 2004 Sexualmedizin