„Auf dem Land daheim“ - Kirche im Aufbruch - Evangelische Kirche ...
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<strong>Kirche</strong> in ländlichen Regionen –<br />
<strong>Kirche</strong>ngeschichtliche Impulse für ein aktuelles Thema<br />
Von Dr. Tobias Sarx<br />
Der Historiker Thomas Nipperdey hat einmal<br />
formuliert, dass wir, in<strong>dem</strong> wir uns der Vergangenheit<br />
zuwenden, viele neue Möglichkeiten in<br />
den Blick bekommen, die Gegenwart gestalten zu<br />
können. 1<br />
Der Blick in die Geschichte hat zwar<br />
nicht <strong>im</strong>mer automatisch den Zweck, Lehren für<br />
die heutige Zeit zu ziehen – der unreflektierte<br />
Versuch kann sogar negative Folgen haben –,<br />
dennoch ist es nützlich, sich von vergangenen<br />
Konzepten inspirieren zu lassen und zu überlegen,<br />
warum sie mehr oder weniger Erfolg hatten.<br />
epd-Dokumentation 37/2011 19<br />
Im folgenden Beitrag kann es nicht darum gehen,<br />
aus historischen Ereignissen normative Schlüsse<br />
für die Gegenwart zu ziehen. Auch kann kein<br />
umfassender Überblick über 2000 Jahre <strong>Kirche</strong>ngeschichte<br />
in ländlichen Regionen geleistet werden.<br />
Dafür ist der Umfang zu begrenzt. Dennoch<br />
erscheint es mir lohnenswert, mit Hilfe ausgewählter<br />
Schwerpunktsetzungen die gegenwärtige<br />
Debatte um Gestaltung von <strong>Kirche</strong> in der Fläche<br />
zu bereichern.<br />
1. Hausgemeinden als Ke<strong>im</strong>zelle für die Ausbreitung<br />
des christlichen Glaubens in der Antike<br />
In ihren Anfängen konnte die christliche Gemeinde<br />
in der Regel nicht auf fertige religiöse Kultstätten<br />
zurückgreifen. Teilweise organisierten sich<br />
die ersten Christen zwar aufgrund ihrer jüdischen<br />
Abstammung in der örtlichen Synagogengemeinde,<br />
meist führte dies jedoch rasch zu Spannungen.<br />
Häufig war der Anschluss an die Synagoge<br />
von vornherein unmöglich, da die Heidenchristen<br />
bereits früh einen beträchtlichen Teil der <strong>Kirche</strong><br />
ausmachten. Ob in Städten oder in ländlichen<br />
Regionen: Wenn sich Christinnen und Christen in<br />
Gemeinden konstituierten, taten sie dies zunächst<br />
meist in Privathäusern. 2<br />
Immer wieder berichten<br />
die Quellen von <strong>dem</strong> Bestreben einzelner Gemeinden,<br />
rasch eigene Gotteshäuser zu errichten.<br />
Aus diesem Grund wäre es unhistorisch, einen<br />
Gegensatz zwischen Hausgemeinden einerseits<br />
und <strong>Kirche</strong>nbauten andererseits zu konstruieren.<br />
Es ist jedoch festzustellen, dass die Frage nach<br />
den Gebäuden zweitrangig war, denn es kam auf<br />
die Gemeinschaft an und nicht auf den Ort der<br />
Versammlung. Als der frühchristliche Apologet<br />
Justin kurz vor seiner Hinrichtung gefragt wurde,<br />
wo sich die Gemeinde denn versammle, antwortete<br />
er: »Dort, wo ein jeder will und kann.« Er<br />
selbst traf sich mit seiner Gemeinde in der eigenen<br />
Privatwohnung. Und Hippolyt schärfte noch<br />
um 200 ein: »Denn nicht ein Ort wird die <strong>Kirche</strong><br />
genannt, auch nicht ein Haus von Stein noch<br />
Lehm erbaut […] was ist nun die <strong>Kirche</strong>? Die<br />
heilige Versammlung der in Gerechtigkeit Lebenden<br />
[…] dies ist die <strong>Kirche</strong>, das geistliche Haus<br />
Gottes.« 3<br />
Ke<strong>im</strong>zelle für die Ausbreitung des Christentums<br />
waren nicht <strong>Kirche</strong>ngebäude – auch wenn diese<br />
freilich bei vorhandenen Ressourcen gern errichtet<br />
wurden –, sondern die Gemeinschaft der<br />
Gläubigen, die sich regelmäßig trafen und deren<br />
Zusammenkunft scheinbar eine hohe Faszinationskraft<br />
innewohnte, so dass sich <strong>im</strong>mer mehr<br />
Menschen zum Glauben an Jesus Christus bekehrten.<br />
Leiter der Gemeinden waren nicht <strong>im</strong>mer hauptamtliche<br />
Geistliche, sondern unter gegebenen<br />
Umständen die jeweiligen Hausväter oder Hausmütter.<br />
Auch wenn Frauen in der Alten <strong>Kirche</strong><br />
rasch aus leitenden Ämtern hinausgedrängt wurden,<br />
finden sich doch mehrere Beispiele, dass die<br />
Initiative von Gemeindeversammlungen auch von<br />
Frauen ausging. Im neutestamentlichen Kontext<br />
sei an Lydia und Priscilla erinnert, deren Engagement<br />
nicht unterschätzt werden darf.<br />
Geistliche Gemeinschaft, theologische Laien als<br />
Leiter – noch ein dritter Umstand ist wichtig, um<br />
die Dynamik der Hausgemeinden zu verstehen:<br />
Wenn Apostel, Bischöfe oder andere kirchenleitende<br />
Persönlichkeiten auf Durchreise waren, war<br />
dies ein besonderer Höhepunkt für die gesamte<br />
Gemeinde. Apostolische Besuche wurden nicht<br />
als Kontrolle oder Bevormundung verstanden,<br />
sondern als eine Ehre, die Männer Gottes beherbergen<br />
und von ihnen lernen zu dürfen. Gleichwohl<br />
bewirkte die damit verbundene Unterweisung<br />
in der christlichen Lehre eine überregionale<br />
Vereinheitlichung der christlichen Religionsaus-