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UH03-04-05-2016

Unser Herzogtum, Ausgabe 3

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Gelebte Tradition Die Pfingstheesch in ritzerau<br />

Doch wie lief eine Pfingstheesch ab? Alle jungen, unverheirateten<br />

Männer des Dorfes, die sogenannten Pfingstknechte,<br />

waren am gesamten Ablauf der Feier beteiligt. Zunächst<br />

wählten sie zwei Wochen vor dem Fest zwei Bauervogte,<br />

oder kurz »Buva« [Abkürzung des plattdeutschen Buurvaag].<br />

Den Befehlen der Buvas hatte sich während der Festlichkeiten<br />

jeder Teilnehmer zu fügen. Am Freitagabend vor<br />

Pfingsten zogen die Pfingstknechte aus, um Geäst und<br />

Bäume zu schlagen, aus denen dann am Pfingstsonnabend<br />

die Pfingsthütte errichtet wurde.<br />

»Am Pfingstsonntag wurde die Schänke bestückt. Wagen,<br />

die zum Gottesdienst in die Kirche fuhren, wurden angehalten.<br />

Jeder Insasse musste sich mit einem Glas Bier den<br />

Durchlass »erkaufen«. Dabei erheischten sie sich auch hier<br />

und da einen kleinen Obolus zur Finanzierung des Bieres<br />

der Pfingstheesch.<br />

Am Montag versammelte sich am frühen Nachmittag die<br />

Dorfjugend in der Gastwirtschaft, die den Heesch »hielt«,<br />

das heißt belieferte. Von dort marschierten sie unter Vorantritt<br />

einer schmissigen Musikkapelle blumengeschmückt<br />

durch den Ort zur Pfingsthütte. Wenn das Wetter keinen<br />

Strich durch die Rechnung machte, begann alsbald fröhliches<br />

Tanzen und Feiern – die ganze Nacht hindurch bis zum<br />

Morgen.<br />

[…] Am Dienstag nach Pfingsten, wenn in den umliegenden<br />

lauenburgischen Dörfern wieder voll gearbeitet wurde, ging<br />

es in den lübschen Dörfern erst richtig los mit der Pfingstheesch.<br />

Und zwar von ein Uhr mittags an. Den Nachmittag,<br />

den Abend und noch einmal die Nacht hindurch zog sich<br />

das Fest hin.<br />

Am Mittwoch in der Frühe wurde einst die Hütte versteigert.<br />

Und danach erst einmal tüchtig ausgeschlafen. Nachmittags<br />

wurde von den Akteuren das übrig gebliebene Bier<br />

ausgetrunken. Der Erlös, die sogenannte Dividende, gelangte<br />

untereinander zur Verteilung. Erst am Donnerstag nach<br />

Pfingsten begann die gewohnte Alltagsarbeit wieder.«<br />

[Quelle: ritzerau.de]<br />

In manch älteren literarischen Quellen wird die Pfingstheesch<br />

wenig schmeichelhaft mit »Sauf- und Fressfest« umschrieben.<br />

Der Obrigkeit war die Pfingstheesch stets eher<br />

ein Dorn im Auge. Die »Gelage« mündeten wohl desöfteren<br />

in Schlägereien und Vandalismus. In der Konsequenz wurde<br />

die Pfingstheesch per Gesetz im Laufe der Jahrhunderte<br />

immer mal wieder verboten. Doch wirklich durchsetzen<br />

konnte sich dieses Verbot nicht. Es wurde trotz Androhung<br />

von Strafe und Geldbuße weiter gefeiert. Kein Wunder!<br />

Denn für die junge Landbevölkerung, vornehmlich die<br />

Mägde und Knechte, war die Pfingstheesch lange vor Diskotheken<br />

oder gar Datingportalen im Internet die Gelegenheit<br />

schlechthin, sich abseits des Arbeitsalltags zu treffen<br />

und kennenzulernen – also eine Art Heiratsmarkt.<br />

Im Lauenburgischen ist die Pfingstheesch laut Karl-Sigismund<br />

Kramers »Volksleben in Holstein« mehrfach belegt:<br />

»Dort ist auch ein Verbot lokalisiert, dass 1696 erlassen<br />

wurde: ›Als wir vernehmen, daß die Bauersleute auf dem<br />

Lande von Ostern bis Pfingsten gewisse Stücke Feldes auf<br />

der gemeinen Weide mit Sträuchern bestecken und hegen<br />

[…], und dem Gesöffe und anderem bösen Leben desto besser<br />

obliegen, in dem sie in einer dem Felde aufgebaueten<br />

Laube etliche Tonnen Bier auflegen, Spielleute darzu nehmen,<br />

dabey alte und junge Leute mit Saufen, Tanzen, Spielen<br />

und dergleichen, vom ersten bis zum letzten Pfingsttage anhalten,<br />

wobey nicht allein viel Böses vorgehet, sondern auch<br />

das heilige Pfingstfest entheiligt wird, und Wir dergleichen<br />

böses Vernehmen gleichfalls nicht gestattet wissen wollen;<br />

so befehlen nomine Serenissimorum, unsere gnädigsten<br />

Herren euch hiermit, die Anstalt zu verfügen, damit solches<br />

heidnische Wesen gleichergestalt eingestellet, und Widerspänstigen<br />

entweder mit Gefängniß oder Geldstrafe beleget<br />

werden mögen‹ [Lauenburg. Verordungen I 169]«<br />

Doch die Bürger im Lauenburgischen ließen sich das Feiern<br />

und ihre Tradition nicht verbieten. Das Verbot hatte demnach<br />

wenig Wirkung. Gegen ganze Gruppen seien in der<br />

Folge Geldstrafen verhängt worden. Kramer schreibt weiter,<br />

dass Breitenfelder Knechte im Jahr 1751 gegen die Witwe<br />

Moldenhauer klagten. Die Knechte wurden wohl beim Feiern<br />

erwischt und sollten nun zahlen. Diese beschwerten sich<br />

aber, dass besagte Witwe die Knechte zur Pfingstheesch<br />

überredet und versprochen hätte, im Fall des Falles eine<br />

Geldstrafe zu übernehmen. Auch den Knechten in Alt-<br />

Mölln wurde im gleichen Jahr eine Strafe von zehn Reichstalern<br />

auferlegt. Auch sie bezichtigten einen dritten, der<br />

sie angestiftet haben sollte. Nach Kramer sind immer wieder<br />

Leute im Hintergrund, die für die zu erwartenden<br />

Strafen geradestanden. So sei die Witwe Moldenhauer Krügerin<br />

[Gastwirtin] gewesen, »in Schmielau waren es Bauernvogt<br />

und einige Bauern, in Lankau die ganze Dorfschaft,<br />

die Strafe zahlen musste«.<br />

Im Laufe der Zeit änderte sich das eine oder andere Detail<br />

der Feierlichkeiten. So wurde beispielsweise bis 1970 bei<br />

der Pfingstheesch in Nusse und Ritzerau in der Pfingsthütte<br />

ein Kindertanz aufgeführt und das restliche Grün im Dorf<br />

verteilt, mit dem jeder Hausbesitzer sein Heim schmückte.<br />

Wer in der Nacht des zweiten Pfingsttages zu tief ins Glas<br />

geschaut hatte, lief Gefahr, dass er am nächsten Morgen im<br />

Gesicht und an Händen schwarz angemalt und per Schubkarre<br />

durch das Dorf geschoben wurde.<br />

»In Ritzerau begann das Fest bereits am Nachmittag vor<br />

beziehungsweise im Saal der Gaststätte von Anneliese und<br />

Fritz Scheel. Jahrelang war es eine familiäre Heesch mit<br />

Freude, Herzblut und viel Leidenschaft. Ritzerauer Pfingsten<br />

wurde auf dem schönen Saal mit Lüftelmalerei gefeiert;<br />

ringsum standen Bänke und in der Mitte war die Tanzfläche<br />

für jung und alt. Die Tanzmusik kam vom Ritzerauer<br />

14 Unser Herzogtum FRÜHJAHR <strong>2016</strong><br />

Unser Herzogtum FRÜHJAHR <strong>2016</strong><br />

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