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2 /20<strong>16</strong> —— 14. Jahrgang<br />
Einzelverkaufspreis: [D] 7,50 € — [A] 8,50 € — [CH] 10,50 sFr
Bars & Menschen<br />
MIXOLOGY INTERN<br />
Die Redaktion und ihre spanischen Bar-Amigos<br />
.............................................................................. <strong>16</strong><br />
ZEHN<br />
Zehn Biere abseits des Reinheitsgebots<br />
.............................................................................. 20<br />
STADTGESCHICHTEN<br />
Dresden – Altes Denken in neuen Bars<br />
.............................................................................. 24<br />
STARS IN BARS<br />
Der Schweizer Dirk Hany – Zurück in die Zukunft<br />
.............................................................................. 36<br />
NEUE BARS<br />
Mo Kaba – Cocktails <strong>für</strong> Karlsruhe<br />
.............................................................................. 38<br />
NEUE BARS<br />
Das Provocateur in Berlin – Sexy Opulenz<br />
.............................................................................. 40<br />
INTERVIEW<br />
Masterplan <strong>für</strong> Rutte Gin – Mark de Witte<br />
im Gespräch<br />
.............................................................................. 94<br />
INTERVIEW<br />
Nur nicht langweilen – Brew Dogs Kerry Allison<br />
............................................................................ 104<br />
Flüssiges<br />
54 MIXOLOGY TASTE FORUM<br />
Roter Wermut und goldenes Lager im Test. Eine Bestandsaufnahme<br />
zwischen internationalen Größen und lokalen Newcomern.<br />
MIXTUR<br />
Neue Produkte aus dem Baruniversum<br />
................................................................................ 8<br />
MEINUNG<br />
Bartenderinnen und ihre Lieblingsliköre<br />
.............................................................................. 18<br />
MADE IN GSA<br />
Produkte aus dem heimischen Barkosmos<br />
.............................................................................. 22<br />
NACHTRAUSCHEN<br />
Ibiza und ein bisschen mehr Frieden<br />
.............................................................................. 42<br />
FOOD & DRINK<br />
Tapas nach neuer Schule<br />
.............................................................................. 44<br />
TRINKWELT<br />
Flüssiges Spanien – Ursprung und Folgen<br />
.............................................................................. 46<br />
FOUR OF A KIND<br />
Spanischer Brandy im Redaktionstest<br />
.............................................................................. 53<br />
MIXOLOGY TASTE FORUM<br />
Verkostungsrunde mit Lager-Bier und rotem Wermut<br />
.............................................................................. 54<br />
MARKENPORTRÄT<br />
Destilleria Caffo – Kalabrische Alchemie<br />
.............................................................................. 64<br />
BACK TO BASICS<br />
Süß – Dem Grundgeschmack auf den Grund gehen<br />
.............................................................................. 68<br />
TITEL<br />
Cocktailroboter – Kurzschluss oder Zukunftsmodell<br />
.............................................................................. 72<br />
BIER 100<br />
Fünfhundert Jahre Reinheitsgebot.<br />
Wie steht es in der frischen Szene um<br />
den eingestaubten Inbegriff deutscher<br />
Bierqualität? Ein Plädoyer.<br />
NACHTRAUSCHEN<br />
»KEINE BAR WELTWEIT WAR ERFOLGREICHER,<br />
DENN SIE STAND IN DER ZEIT UND FÜR DIE ZEIT.<br />
UND DAS TUT SIE IMMER NOCH.<br />
MANFRED KLIMEK ÜBER DAS CAFÉ DEL MAR AUF IBIZA AUF SEITE 42<br />
6
111 GLOBAL PLAYER<br />
Singapur auf dem Weg in den<br />
Bar-Olymp. Erfolgsfaktoren,<br />
Zahlkraft und kreative Strahlkraft.<br />
Wir zeichnen den Höhenflug nach.<br />
ALCHEMIST<br />
Mensch und Maschine – Die Symbiose<br />
als Halbgefrorenes<br />
.............................................................................. 80<br />
COCKTAIL<br />
Der Cobbler – Zweiter Frühling<br />
.............................................................................. 86<br />
HOW TO COCKTAIL<br />
Sangria Deluxe<br />
.............................................................................. 90<br />
WHISK(E)Y NEWS<br />
Die wichtigsten Neuheiten der Whiskywelt<br />
.............................................................................. 92<br />
KAFFEENOTIZEN<br />
Timon Kaufmann und das Koffein<br />
.............................................................................. 97<br />
BIERNOTIZEN<br />
Die wichtigsten Hopfenneuheiten<br />
.............................................................................. 98<br />
BIER<br />
Happy Birthday Reinheitsgebot – Ein Für und Wider<br />
............................................................................100<br />
KLIMEKS KAUFBEFEHL<br />
Die Natur macht’s möglich<br />
............................................................................106<br />
DIE FLASCHE IN ZAHLEN<br />
Summa summarum – D.O.M. Bénédictine<br />
............................................................................107<br />
MIXOLOGY ON THE ROAD<br />
Rausch in Madrid – Risse im Gebälk<br />
............................................................................114<br />
Wirtschaft & Kultur<br />
E-SHAKE<br />
72 TITEL<br />
Schaltkreise, Shaker und Science-Fiction.<br />
Ist der Tresen bald in Roboterhand?<br />
ALCHEMIST 80<br />
Eine zu Unrecht frostige Beziehung: Slushees,<br />
Coladas und Frozen Drinks. Wir stellen<br />
Halbgefrorenes als kreative Spielvariante vor.<br />
BUSINESS<br />
Alkoholfälschungen – Wein ohne Wahrheit<br />
............................................................................108<br />
GLOBAL PLAYER<br />
Singapurs Aufstieg zum Bar-Boom-Ballungsgebiet<br />
............................................................................111<br />
ESSENTIAL CULTURE<br />
Neue Schätze <strong>für</strong> Augen und Ohren<br />
............................................................................117<br />
TIEFENRAUSCH<br />
Willkommen in der Wimmer-Welt<br />
............................................................................118<br />
MUSIK<br />
Rihanna – So intensiv wie nie<br />
............................................................................120<br />
HOMEBAR<br />
Freund im Taschenformat – Der Flachmann<br />
............................................................................122<br />
Neues & Notizen<br />
86 COCKTAIL<br />
Das Chamäleon Cobbler. Der Cocktail<br />
als Stern einer lauen Aperitifkultur<br />
und sommer licher Frontalangriff auf<br />
Hugo und Spritz.<br />
VERANSTALTUNGEN & WETTBEWERBE<br />
Alle wichtigen Termine der vergangenen und<br />
kommenden Wochen<br />
............................................................................124<br />
IMPRESSUM<br />
............................................................................128<br />
7
ZEHN<br />
ES LEBE DIE FREIHEIT<br />
Von wegen Reinheitsgebot: Wer immer nur aus Hopfen, Malz und Wasser braut,<br />
der braut nicht rein, sondern einfältig. Damit in Kessel, Fass und Glas keine Ein tönigkeit<br />
aufkommt, versammeln wir zehn Sude, die auch jenseits der heiligen bayerischen<br />
Zutaten Bier sein wollen – und können!<br />
Text Peter Eichhorn<br />
Das Geburtstagsthema »500 Jahre Reinheitsgebot« bestimmt das Jahr<br />
20<strong>16</strong> in der Brauszene. Feierlichkeiten, eine Sonderbriefmarke und<br />
weihevoll angeschlagene Bierfässer gehören zum Ritual des Rückblicks<br />
auf den 23. April 15<strong>16</strong>. Für die Craft-Beer-Szene geht der Blick hingegen<br />
nach vorne: Forderungen nach einem Natürlichkeitsgebot werden<br />
begleitet von aufregenden Experimentalsuden, die gerne mit weiteren<br />
Zutaten spielen als nur Malz, Wasser, Hopfen und Hefe. Schokolade,<br />
Orangenschalen, Koriander, Kaffee, Tee, Minze, Pfeffer und viele<br />
weitere Kräuter oder Früchte spornen die moderne Generation der<br />
Kreativbrauer an, aromatische Experimente zu wagen oder historische<br />
Rezepturen neu zu erwecken. Per Brauer-Ehre sind künstliche Aromen<br />
als Geschmacksverstärker selbstverständlich verpönt. Ein natürlicher<br />
Prozess <strong>für</strong> ein natürliches Produkt – so möge das Credo lauten.<br />
Außerhalb von Bayern und Baden-Württemberg erteilen die Bundesländer<br />
mittlerweile mehr oder weniger unkompliziert eine Genehmigung,<br />
die Brauspezialitäten als »Besonderes Bier« zu deklarieren.<br />
Innerhalb des Reinheitsgebots ist bereits eine aufregende aromatische<br />
Vielfalt möglich. Darüber hinaus jedoch kann eine Stimulation und<br />
auch Herausforderung des Gaumens erzeugt werden, die nicht nur<br />
einen Probeschluck lohnt.<br />
2 Pax Bräu<br />
Der hochkreative Ein-Mann-Betrieb beschert dem anspruchsvollen Biergaumen seit 2007 prächtige<br />
Aromenfeuerwerke. In der unterfränkischen Rhön, mitten im Biosphären-Reservat zwischen Fulda und<br />
Coburg, ruft Andreas Seufert sein Motto aus: »Schwerter zu Zapfhähnen!« Über das Jahr hinweg fertigt<br />
Seufert seine Spezialitäten wie das Lakritz Oatmeal Stout, das Vanille-Haselnuss-Porter oder das faszinierende<br />
»From Asia with Love« mit Emmermalz, Orange, Zitronengras, Habanero-Chilis und Szechuanpfeffer.<br />
Zur Sicherheit tragen einige der Biere den Warnhinweis »Kein Bier«.<br />
— pax-braeu.de<br />
3 Brewcifer<br />
Gipsy-Brewer Jochen Mader ist es zwar leider noch nicht gelungen, die Finanzierung <strong>für</strong> eine eigene<br />
Brauerei zu realisieren, da<strong>für</strong> gelingen ihm außerordentlich spannende Brau kreationen, die er derweil in<br />
den Sudkesseln der Buddelship Brauerei in Hamburg umsetzen darf. Das »Hops & Needles« beeindruckt<br />
nicht nur durch eine balancierte Hopfung mit Simcoe, Amarillo und Citra, sondern zudem mit Jungtrieben<br />
der Fichte. Subtile Waldaromen im Pale Ale. Herrlich!<br />
— brewcifer.de<br />
1 The Monarchy / Freigeist<br />
Sebastian Sauer ist einer der radikalsten Brauer Deutschlands. Und zugleich ein Vorbild: Schon lange,<br />
bevor die Craft-Welle nach Deutschland schwappte, setzte er sich mit jenen Facetten von Bier auseinander,<br />
die hierzulande fehlten. Dazu gehört <strong>für</strong> ihn bis heute die Wieder- und Neuentdeckung vergessener,<br />
historischer Bierstile wie etwa Dortmunder Adambier oder Lichtenhainer. Als einer von wenigen bewahrt<br />
der Kölner nicht nur die Erinnerung an diese Sorten, sondern braut sie nach. Beispielsweise die »Preußen<br />
Weisse« nach einem Rezept von 1831 mit Ingwer, Wacholder und Rübenzucker.<br />
— themonarchybeer.de<br />
4 Klosterbrauerei Neuzelle<br />
Mit den langwierigen Gerichtsprozessen um die Zulassung des »Schwarzer Abt« schrieb die brandenburgische<br />
Brauerei Biergeschichte. Als »Brandenburger Bierkrieg« gingen die Verfahren ab 1993 in<br />
die Bierhistorie ein, die 2005 endlich mit dem Urteil endeten, dass ein Bier mit Zuckeranteil nach<br />
historischer Rezeptur sehr wohl als solches deklariert werden darf. Der Gattungsbegriff »Besonderes<br />
Bier« wird seither von immer mehr Bundes ländern genehmigt. Wie auch das »Kartoffel-Bier«, ein<br />
Pils mit Kartoffelsole, das als herrlicher Speisenbegleiter fasziniert.<br />
— klosterbrauerei.com<br />
20
5 Camba Bavaria<br />
Mit den bayerischen Behörden ist nicht gut Kirschen brauen. Das durfte<br />
insbesondere die Camba-Bavaria-Brauerei aus Truchtlaching nördlich<br />
vom Chiemsee erfahren. Für ihr Milk Stout – einen anerkannten<br />
internationalen Bierstil mit Milchzucker – gab es keine Gnade.<br />
Eine neue Deklaration als »vergorenes, alkoholhaltiges Getränk«<br />
oder »anderes gegorenes Getränk, schäumend« wurde nicht<br />
genehmigt. Die Umbenennung in »Klim Tuots« abgelehnt, die<br />
Vernichtung des gesamten Bestands angeordnet. Deswegen:<br />
Schnell noch das Christopher Ale, Coffee Porter und<br />
Oak Aged Amber Ale-Rum probieren, denn auch diese<br />
Biere nehmen die amtlichen Prüfer derzeit unter ihre<br />
angestaubten Lupen.<br />
— camba-bavaria.de<br />
Zitrusfrüchte<br />
Fichtentriebe<br />
Ingwer<br />
Kartoffel<br />
6 Köstritzer<br />
Immer mehr größere Bierproduzenten fühlen sich durch die neue Kreativbierwelt<br />
inspiriert und ermutigen ihre Brauer, nicht nur die Qualitätssicherung zu gewährleisten,<br />
sondern ebenfalls mit neuem Elan und Mut zum Geschmack an die Braukessel<br />
zu gehen. Die bekannte Schwarzbierbrauerei, die zur Bitburger-Gruppe gehört, bietet<br />
in ihrer Meisterwerke-Serie ein Witbier an, jenen belgischen Traditions-Bierstil, der mit<br />
Orangenschalen und Koriander eingebraut wird. Die Behörden in Thüringen erteilten die<br />
Ausnahmegenehmigung gerne, und so darf das Köstritzer Wit die Bezeichnung »Bier«<br />
tragen.<br />
— koestritzer.de<br />
7 Mashsee<br />
Mit einem braven Lagerbier begann das Brauprojekt aus Hannover. Nach dem Erfolg des<br />
»Trainingslager« wurden die Macher mutiger und wilder. Und so kommen Orangen- und<br />
Zitronenschalen in den »Very White Pornstar«, eine Kollaboration mit Hanscraft. Oder Schokolade:<br />
Diese prägt das komplexe und doch süffige »Xoco IPA«, das Kolja Gigla und Alexander<br />
Herold dem Begriff <strong>für</strong> Schokolade in der Kultur der Mayas, Xocolatl, widmen. Als Nächstes darf<br />
man auf eine Kreation mit Blaubeeren gespannt sein.<br />
— mashsee.de<br />
8 Kuehn Kunz Rosen<br />
Schokolade<br />
Wacholder<br />
Neckisch greift der Name einen historischen Pfiffikus auf: Kunz von der Rosen (1470 – 1519) trieb als<br />
kühner Hofnarr von Kaiser Maximilian I. sein Unwesen und durfte dem Herrscher – als Einziger – die Wahrheit<br />
sagen. Das engagierte Brauprojekt aus Mainz mag einen ähnlich augenzwinkernden Schwung in seine Biere<br />
bringen. Das »Kuehne Blonde« interpretiert zugleich erfrischend und köstlich den Witbier-Stil aus Belgien.<br />
In dem Weizenbier werden Koriander, Orangenschale, Haferflocken und Paradieskörner verbraut.<br />
— kuehnkunzrosen.de<br />
9 Onkel Bier<br />
Koriander<br />
Habanero<br />
»Gebraut nach dem Freiheitsgebot von 2014!«, lautet der Wahlspruch auf den Etiketten der Onkel-Biere. Phillip Roberts<br />
begann als engagierter Heimbrauer, der sich bald zu einem echten Bier-Unternehmer weiterentwickelte. Seine Kreativität wurde<br />
durch den Kampf gegen die Windmühlen der bundesdeutschen Bierbürokratie schier zur Verzweiflung getrieben, und so entschloss<br />
sich der Jungunternehmer, seine hefebetonten Biere in der gastfreundlichen belgischen De Proefbrouwerij zu brauen, in der auch<br />
einige der legendären Mikkeller-Biere entstehen. »Onkel Herbert« heißt sein köstliches Sauerbier im Stile einer Berliner Weisse, das<br />
zusätzlich mit Rhabarber eingebraut wird.<br />
— mein-onkel.de<br />
Kaffee<br />
10 Gruthaus<br />
Rhabarber<br />
Allein die Namen der Biere wie Pumpernickel-Porter oder Bockwurst-Bock verweisen auf ein ungewöhnliches Braukonzept, das<br />
in Münster seine Heimat hat. Historisch wurden zahlreiche Biere, insbesondere im norddeutschen Raum, mit sogenannter »Grut«<br />
eingebraut. So hieß eine Kräutermischung, die in jeder Stadt anders zusammengesetzt war und mit der das ortsansässige Bier<br />
geschmacklich geprägt wurde, bevor ab dem 13. Jahrhundert der Hopfen mehr und mehr diese Aufgabe übernahm. Philipp Overberg<br />
verantwortet das Brauprojekt, nimmt die Tradition wieder auf und gibt mutig Wacholder, Gagel und Kümmel in sein »Myrica Gale 1480«.<br />
Entsprechend lautet der Slogan: »Nicht nach, sondern vor dem Reinheitsgebot.«<br />
— gruthaus.de<br />
21
STADTGESCHICHTEN<br />
RAUS AUS DEM<br />
ZWINGER?!<br />
Text Nils Wrage<br />
Foto: Waageberlin – König Johanns von Johannes Schilling geschaffenes Reiterstandbild auf dem Theaterplatz in Dresden, Juni 1977<br />
Dresden hatte schon immer eine Handvoll klassischer<br />
Bars zu bieten, doch was ist seither passiert?<br />
Bewegen sich auch die Jungen endlich weg von der<br />
Fessel des Flaschenbiers und machen die Neustadt<br />
zum neuen Bar-Eldorado? Ein Besuch<br />
bei alt bekannten Könnern in der Altstadt und einem<br />
Viertel, das trotz seiner Vitalität noch nicht genau<br />
weiß, was es will.<br />
25
Wussten Sie übrigens, dass der Name »Elbflorenz« – der sogar einen eigenen<br />
Wikipedia-Eintrag hat – sich nicht einfach nur auf die pompösen<br />
Bauten bezieht, die von Dresdner Fürsten irgendwann einmal ans Ufer<br />
der Elbe gesetzt wurden, sondern ebenso auf die angeblich unglaublichen<br />
Schätze und Kunstwerke, die in den Kammern der sächsischen<br />
Herrscher lagerten? Denn was Florenz die Familie Medici war, das hatte<br />
das leuchtende Dresden mit seinen Fürsten, als kulturelles<br />
Zentrum, wichtige Kirchenstadt und allemal<br />
auch zu bieten. Und da es den Teutonen ja irgendwie<br />
immer Richtung Italien zieht, dieses warme Land<br />
mit dem lebensphilosophischen Gegenentwurf zum<br />
Preußentum, kam der prestigeträchtige Kosename<br />
zustande (die Unesco sieht das übrigens ganz unerbittlich<br />
anders: Während der Stadtkern von Florenz<br />
zum Weltkulturerbe gehört, wurde dieses Vorrecht<br />
dem Dresdener Zentrum verweigert).<br />
Seit der Wende schickt sich<br />
Dresden an, seinen alten Glanz<br />
zurück zu erobern.<br />
Besonders mit Blick auf die jüngere Vergangenheit<br />
war es das dann aber auch schon mit den Gemeinsamkeiten:<br />
Das 20. Jahrhundert hat es nicht gut<br />
gemeint mit Dresden. Was der Zweite Weltkrieg und<br />
die DDR mit dem einstigen wunderschönen und<br />
schwerreichen Juwel angestellt haben, ist hinlänglich<br />
bekannt. Es ist gar ein Wunder, wie viele der alten<br />
Prachtbauten das »progressive« SED-Regime dann<br />
doch wieder hat aufbauen lassen, anstatt auch die<br />
Trümmer von Sophienkirche, Zwinger oder Semperoper<br />
durch weitere Betonkästen zu ersetzen, wie sie<br />
heute den Weg vom Hauptbahnhof in die Altstadt<br />
säumen. Seit der Wende schickt sich Dresden an,<br />
seinen alten Glanz zurückzuerobern, bisweilen ein<br />
wenig in den Schatten gestellt vom etwas zentraler<br />
gelegenen, mittlerweile auch stärker bevölkerten<br />
Leipzig, <strong>für</strong> das einige hippe Menschen bereits sogar<br />
Berlin verlassen haben. Dennoch mehren sich seit<br />
ein paar Jahren die Stimmen, die in Dresden auch<br />
eine gastronomische Boomtown sehen wollen, und<br />
damit auch ein Erstarken der <strong>Barkultur</strong>. Gerade<br />
die nördlich der Elbe gelegene Neustadt mit ihrem<br />
Ausgeh-Kiez rund um Louisenstraße und Görlitzer<br />
Straße steht <strong>für</strong> das hippe, neue Dresden und das fulminante,<br />
junge Erblühen gastronomischer Konzepte.<br />
Zeit <strong>für</strong> <strong>Mixology</strong>, der Stadt wieder einen Besuch<br />
abzustatten und zu schauen: Was machen die alten,<br />
wohlbeleumundeten Adressen und wie steht es um<br />
Innovationen?<br />
Ein Dresdner Klassiker mit Blick <strong>für</strong> die Klassiker: Die SonderBar<br />
26<br />
Stadtgeschichten — Dresden
TRINKWELT<br />
Spanien<br />
DIE KRISE AUS DEN<br />
KÖPFEN TRINKEN<br />
Text Michael Brückner<br />
Gin & Tonic ist der Dauerbrenner, Wermut der Newcomer. Und auch<br />
in der Brauerszene tut sich etwas: Die jahrelange Finanzkrise hat<br />
in Spanien tiefe Spuren hinterlassen. Doch jetzt trinken die Menschen<br />
die Krise aus ihren Köpfen. Was ihnen dabei hilft, welche neuen<br />
Trends in den Bars der Städte die Zeit nach der Krise begleiten, lesen<br />
Sie im folgenden Beitrag.<br />
46<br />
Illustrationen: studio grau
47
Saufen gegen die Krise?<br />
In Spanien Fluch und<br />
Segen zugleich.<br />
Die Folgen einer Wirtschaftskrise sind in der<br />
Regel ausgesprochen facettenreich. Als Spanien<br />
in den Strudel des Euro-Debakels gerissen<br />
wurde und die Arbeitslosenzahlen dramatisch<br />
in die Höhe schnellten, soffen sich manche die<br />
Realität schön. Vor allem Jugendliche – aufgrund<br />
der düsteren Konjunkturaussichten oft<br />
jedweder Zukunftsperspektive beraubt – trafen<br />
sich abends auf den Straßen und Plätzen der<br />
Großstädte zum öffentlichen Rudel-Trinken.<br />
Weil das Geld nicht mehr ausreichte, um sich<br />
in einer Bar einen Drink zu gönnen, berauschten<br />
sich die Jugendlichen mit Bier, billigem<br />
Wein und hochprozentigem Fusel, den sie mit<br />
Cola oder Limo halbwegs genießbar machten.<br />
Egal, ob an heißen Sommertagen oder im<br />
Winter, wenn auch schon mal der Frost durch<br />
die nordspanischen Städte zieht: Immer mehr<br />
Jugendliche trafen sich zu den »Botellon«-<br />
Festen. Dass dabei der Alkohol nicht eben in<br />
homöopathischen Dosen floss, lässt schon das<br />
Wort »Botellon« erahnen. Übersetzt bedeutet<br />
es etwa »große Pulle«.<br />
Und obgleich die Spanier ansonsten durchaus<br />
Freunde der Nacht sind, war vielen Anwohnern<br />
die jugendliche Sauferei und das stundenlange<br />
Gegröle zu viel. Die Bürgermeister<br />
zogen die Notbremse, ließen auf öffentlichen<br />
Plätzen die Sitzgelegenheiten entfernen und<br />
verboten – wie in Madrid – Alkoholkonsum in<br />
der Öffentlichkeit. Bier, Wein und Spirituosen<br />
dürfen in vielen Städten und Regionen nur<br />
noch bis 22 Uhr verkauft werden.<br />
»Spanien ist ein schwieriges Pflaster«<br />
Die spanische (Finanz-)Grippe ist zwar längst<br />
noch nicht überwunden, doch mehren sich<br />
seit ein paar Wochen die Indizien, dass sich<br />
der Patient im Süden Europas im Rekonvaleszenz-Stadium<br />
befindet. Das scheint sich auch<br />
in den alkoholischen Präferenzen bemerkbar<br />
zu machen. Wohl nicht zuletzt wegen der wirtschaftlichen<br />
Erholung orientierten sich die<br />
Spanier in allen Bereichen wieder an »besseren<br />
Qualitäten«, weiß der Autor und Bartender<br />
Reinhard Pohorec, der als jüngster staatlich<br />
zertifizierter »Sherry-Educator« der Welt die<br />
Gepflogenheiten auf der iberischen Halbinsel<br />
sehr gut kennt – und gerade deshalb feststellt:<br />
»Spanien ist ein schwieriges Pflaster.«<br />
Wieso schwierig? Vielleicht, weil die Trinkkultur<br />
der Spanier ein wenig volatil erscheint,<br />
wie sich Finanzanalysten auszudrücken belieben.<br />
Sprich: Der Alkoholkonsum der Spanier<br />
weist beträchtliche Schwankungen auf. »In<br />
diesem Land wurde bis vor ein paar Jahren<br />
statistisch gesehen noch doppelt so viel Alkohol<br />
getrunken wie heute«, berichtet Pohorec.<br />
Recht großzügig fielen in der Vergangenheit<br />
in einigen Regionen des Landes denn auch die<br />
behördlichen Grenzwerte <strong>für</strong> den Alkoholkonsum<br />
aus. Während der durchschnittliche deutsche<br />
Mann pro Tag nicht mehr als etwa zwei<br />
große Bier oder vier 0,2-Gläser Tequila trinken<br />
sollte, um seine Gesundheit nicht zu gefährden,<br />
wird den Spaniern ein alkoholisches<br />
Limit von vier Flaschen Bier und ein zusätzliches<br />
0,1- Liter-Glas Wein gegönnt.<br />
Doch unabhängig von solchen Empfehlungen<br />
haben die Spanier – sieht man von den<br />
Open-Air-Besäufnissen der Jugendlichen<br />
einmal ab – ihren Alkoholkonsum etwas eingeschränkt.<br />
»›Runter vom Gas‹ lautet die<br />
Maxime«, sagt Pohorec. Davon profitierten<br />
Bier und Wein. Immerhin: In der spanischen<br />
Bier-Szene tut sich was. Endlich, mag da mancher<br />
Bierfreund denken.<br />
Mit einem Pro-Kopf-Verbrauch von rund 70<br />
Litern Bier pro Jahr liegen die Spanier zwar<br />
deutlich hinter den Deutschen zurück (knapp<br />
107 Liter), dennoch reift in Spanien eine innovative<br />
Bierkultur – nicht zuletzt dank der<br />
zunehmenden Zahl von Kleinbrauereien, die<br />
neue Spezialbiersorten auf den Markt bringen.<br />
Zunehmend gefragt sind Manufaktur-Bierarten<br />
aus biologischen Zutaten, wie man sie schon<br />
aus Deutschland und anderen europäischen<br />
Ländern kennt. In der Gastronomie freilich<br />
spielen diese Bier-Spezialitäten bislang noch<br />
keine große Rolle. Der Markt wird nach wie<br />
vor dominiert von den Marken San Miguel aus<br />
dem Westen von Katalonien und der auf einen<br />
deutschen Gründer zurückgehenden Brauerei<br />
Estrella Damm in Barcelona. Die bekannteste<br />
spanische Marke Mahou gilt in der Hauptstadt<br />
Madrid fast schon als Kult-Bier.<br />
Schaumkrone?<br />
Platzverschwendung im Glas!<br />
Vor allem im Sommer schätzen die Spanier<br />
das süffige und im Vergleich mit den norddeutschen<br />
Marken etwas alkoholärmere Bier<br />
ihres Landes als willkommene Alternative<br />
zum Wein. Vielerorts wird das Bier aus kleinen<br />
0,2-Liter-Gläsern getrunken, wobei viele<br />
Spanier noch immer nicht die Schaumkrone<br />
goutieren – <strong>für</strong> sie ist das nichts anderes als<br />
Platzverschwendung im Glas.<br />
Fällt den meisten Deutschen, die häufiger ihre<br />
Ferien in Spanien verbringen, bei Bier in der<br />
Regel die Marke San Miguel ein, so assoziieren<br />
sie mit spanischem Wein in erster Linie<br />
den roten Rioja. Kein Wunder, denn dieser<br />
war lange Jahre der einzige Spanier mit einigermaßen<br />
konstanter Qualität, der auch auf<br />
dem deutschen Markt verkauft wurde. Dabei<br />
hat Spanien – gemessen an der Rebfläche das<br />
größte Weinland der Erde – weitaus mehr zu<br />
bieten. Vieles blieb bis jetzt außerhalb Spaniens<br />
unentdeckt. So gehen zum Beispiel die<br />
Gewächse aus der Region Ribera del Duero<br />
nur zu etwa fünf Prozent in den Export. Den<br />
großen Rest trinken die Spanier selbst. Etwa<br />
21.000 Hektar sind in Ribera del Duero mit<br />
Rebstöcken bepflanzt. Über 8000 Winzer produzieren<br />
dort in fast 250 Bodegas jährlich über<br />
57 Millionen Liter Wein. Die Region erstreckt<br />
sich über die Provinzen Burgos, Valladolid,<br />
Segovia und Soria. Connaisseurs schätzen zum<br />
Beispiel die Weine der Dominio de Atauta. Der<br />
Vega Sicilia bleibt derweil ein Mythos schlechthin.<br />
Diese Marke ist auf der ganzen Welt<br />
bekannt. Seit einigen Jahren macht aber ausgerechnet<br />
ein Konkurrent aus Ribera del Duero<br />
dem Vega Sicilia seinen Rang als teuerster<br />
Wein streitig. Es handelt sich um »Pingus«,<br />
48<br />
Trinkwelt — Spanien
Spaniens flüssige Versuchungen gehen weit hinaus über den<br />
Ballermann und Rioja. Der Zauber der iberischen Halbinsel<br />
macht auch vor dem <strong>Mixology</strong>-Team nicht halt. Fünf Angehörige<br />
der Redaktion offenbaren ihren ganz persönlichen Favoriten.<br />
Und: Es kommt tatsächlich kein Gin & Tonic darin vor!<br />
Stier in<br />
Frankreich<br />
Spanien, hm? Also das Land, aus<br />
dem specknackige Engländer immer<br />
mit Sonnenbrand zurückkommen,<br />
Menschen auf staubigen Wegen<br />
zu sich selbst finden und großartige<br />
Oliven (ich rede von den grünen<br />
Manzanilla-Oliven mit Stein von<br />
Karina) ihren Ursprung haben. Gut!<br />
Genug mit meinen klischeehaften<br />
Top-drei-Spanien-Assoziationen.<br />
Denn die ernsthaften Gedanken zum<br />
liquiden Liebling drehen sich weit.<br />
Um tollen Wermut, köstlichen Cava<br />
und schöne Erinnerungen an wirklich<br />
gute, erfrischende Sangria (!) unter<br />
spanischer Sonne. Die Wahl eines<br />
Favoriten fällt also schwer, <strong>für</strong> mich<br />
aber dennoch auf den Brandy Conde<br />
de Osborne Gran Reserva.<br />
Ordentlich voluminös, gehaltvoll<br />
und kräftig kommt der zehn Jahre<br />
gereifte, mahagonibraune Amigo<br />
daher. Zugleich elegant mit Pflaume<br />
und Rosinen, Vanille und Sherry. Im<br />
Alleingang so weit ganz gut, wirklich<br />
großartig aber erst in Liaison mit<br />
D.O.M. Bénédictine als B&B. Zwei<br />
Teile Spanien, ein Teil Frankreich<br />
auf großem Eis bitte. Dazu einen<br />
Trog Oliven (Ich rede schon wieder<br />
von den grünen Manzanilla-Oliven<br />
mit Stein von Karina) und ich bin<br />
glücklich.<br />
Weiße<br />
Versöhnung!<br />
Als Sangria und ich uns das erste<br />
Mal begegneten, wurden wir keine<br />
schnellen Freunde. Im Gegenteil –<br />
ich versprach mir, den Teufelstrunk<br />
nie wieder anzufassen. Man muss<br />
dazu sagen, dass die besagte erste<br />
Sangria direkt aus dem Tetra-Pak in<br />
den Eimer gegossen wurde. Nachdem<br />
ich mich tatsächlich zehn Jahre<br />
lang ferngehalten habe und mir allein<br />
schon vom Geruch schlecht wurde,<br />
nippte ich im Frühling letzten Jahres<br />
vorsichtig an einem weißen Sangria.<br />
Frische Zitrusfrüchte, Nektarinen und<br />
Erdbeeren mischten sich ganz angenehm<br />
und natürlich mit dem leichten<br />
Weißwein. Ein Schuss Soda Water<br />
gab dem Ganzen ein prickelndes<br />
Mundgefühl, das die Sonne gleich<br />
viel heller scheinen ließ. So schön<br />
kann Versöhnen sein!<br />
Liv Fleischhacker<br />
MIXOLOGY-Autorin<br />
Frostiger<br />
Sommer<br />
Das folgende Bekenntnis dürfte den<br />
sofortigen Ausschluss aus allen<br />
Craft-Beer-Zirkeln nach sich ziehen<br />
– allein, ich kann nicht anders. Denke<br />
ich an Spanien, so denke ich an<br />
Barcelona, diese vielleicht wunderbarste<br />
Stadt in Europa. Und Barcelona<br />
im Sommer, das heißt <strong>für</strong> mich<br />
vor allem: irgendwo im Born-Viertel<br />
in der Abendsonne sitzen, Oliven<br />
naschen und beim Kellner ein eiskaltes,<br />
wirklich eiskaltes Estrella ordern.<br />
Ja, ganz recht, Estrella, dieses<br />
Industriebier, das ganz Katalonien in<br />
seiner eisern-eisigen Faust hält. Ja,<br />
aus einem Zapfhahn, der so kalt ist,<br />
dass er abends von einer dicken Eisschicht<br />
ummantelt ist.<br />
Viel zu wenig Aroma, und dann auch<br />
noch viel zu kalt! Stimmt. Das alles<br />
hat mit Bierkultur im eigentlichen<br />
Sinne nicht viel zu tun, oder? Stimmt.<br />
Aber, sehen Sie: auch die Ernsthaftigkeit<br />
muss im Urlaub nicht immer<br />
mit dabei sein. Schon gar nicht,<br />
wenn das Bier so dermaßen gut<br />
schmeckt.<br />
Nils Wrage<br />
MIXOLOGY-Chefredakteur<br />
Mas Cava!<br />
Neben »Bésame mucho«, Pablo<br />
Picasso und Datteln im Speckmantel<br />
gibt es <strong>für</strong> mich ein weiteres Beispiel<br />
<strong>für</strong> »spanische« Perfektion – auch<br />
auf die Gefahr hin, mit lebenslangem<br />
Einreiseverbot nach Katalonien<br />
gestraft zu werden, denn da kommt<br />
er eigentlich her: Cava! In meiner<br />
liebsten Tapasbar bestelle ich jedes<br />
Mal den Cava Brut Reserva vom<br />
familiengeführten Weingut Castillo<br />
Perelada, einer beeindruckenden,<br />
efeubewachsenen Burg mit großzügigen<br />
Weinbergen etwas außerhalb<br />
von Barcelona. Der vergleichsweise<br />
günstige Brut Reserva wird nach<br />
dem traditionellen Flaschengärungsverfahren<br />
aus den regionalen weißen<br />
Rebsorten Macabeo, Parellada und<br />
Xarel.lo hergestellt, perlt herrlich fein<br />
und zaubert florale Aromen und zarte<br />
Vanille an den Gaumen. Im Abgang<br />
spanische Abendsonne. Salud!<br />
Marianne J. Strauss<br />
MIXOLOGY-Autorin & Übersetzerin<br />
Andalusische<br />
Perfektion<br />
Es ist kurz nach 22 Uhr, die leise Brise<br />
weht andalusische Emotion, eine<br />
kühlende Prise Lebensgefühl und<br />
das ein oder andere Sandkorn in die<br />
noch immer warme Abendstimmung.<br />
Bunte Farben der Nacht Südspaniens<br />
schweben durch Gassen und über<br />
lauschige Plätze, gesäumt von Gelächter<br />
und angeregtem Geplauder<br />
der Menschen. Das Weinglas duftet<br />
verführerisch, packende Frische in<br />
perfekter Harmonie mit der Reife<br />
vieler Jahrzehnte, tiefschwere Aromen<br />
von getrockneten Feigen und<br />
Datteln, umspielt von tänzelnder<br />
Leichtigkeit und kristallklarer Konzentration.<br />
Floral duftig, sämig und vollmundig,<br />
eine würdige Erscheinung,<br />
ein Mysterium – Palo Cortado.<br />
Equipo Navazos ist das wohl außergewöhnlichste<br />
und innovativste<br />
Sherry-Projekt, egal welcher Stilistik<br />
man sein Herz schenkt. Stets der<br />
allerhöchsten Qualität verpflichtet<br />
– sei es nun Fino, Amontillado, PX<br />
oder gar Stillwein und Brandy –, jede<br />
Flasche ist eine Reise wert!<br />
Reinhard Pohorec<br />
MIXOLOGY-Autor<br />
Christian Kopp<br />
MIXOLOGY-Autor<br />
<strong>16</strong><br />
<strong>Mixology</strong> Intern
BACK TO BASIC<br />
ACH,<br />
WIE SÜSS!<br />
Text Gabriel Daun<br />
Nachdem wir uns in der letzten Ausgabe mit der Basis eines Drinks<br />
auseinandergesetzt haben, wollen wir uns heute der ersten von fünf<br />
elementaren Geschmacksqualitäten widmen. Es wird süß!<br />
Schauen wir zunächst auf die gustatorische<br />
Wahrnehmung, wenn man so will auf »die<br />
Biologie des Geschmacks«: Wie schmecken<br />
wir? Und was schmecken wir wo? Die <strong>für</strong> das<br />
Schmecken zuständigen Rezeptorzellen sind in<br />
Geschmacksknospen angeordnet. Diese befinden<br />
sich auf der Zunge in den Geschmackspapillen,<br />
aber auch in den Schleimhäuten von<br />
Mundhöhle, Rachen und Schlund. Dabei sind<br />
ungefähr 25 % der Geschmacksknospen auf<br />
den vorderen zwei Dritteln der Zunge angeordnet<br />
sowie etwa 50 % auf dem hinteren Drittel.<br />
Die übrigen verteilen sich auf Gaumensegel,<br />
Nasenrachen, Kehlkopf und die obere Speiseröhre.<br />
Entgegen der immer wieder geäußerten<br />
Theorie, die Zunge sei in Regionen aufgeteilt,<br />
in denen jeweils nur bestimmte Geschmacksqualitäten<br />
erschmeckt werden können, gilt<br />
es heute als gesichert, dass alle elementaren<br />
Geschmacksempfindungen an allen Punkten<br />
der Geschmackszone empfunden werden können.<br />
Allerdings – und daher rührt das Missverständnis<br />
der geschmacklichen Spezialisierung<br />
der Zungenpartien – in unterschiedlicher<br />
Intensität, d. h. die absoluten Reizschwellen<br />
<strong>für</strong> die Empfindung der Grundgeschmäcker<br />
sind je nach Region unterschiedlich hoch.<br />
Dennoch kann »süß« somit nicht nur mit der<br />
Zungenspitze, sondern überall im Mundraum<br />
geschmeckt werden.<br />
Das soll uns an dieser Stelle, was die Physiologie<br />
des Schmeckens anbetrifft, schon genügen.<br />
Betrachten wir nun einmal genauer,<br />
welche Rolle die Geschmacksqualität »süß«<br />
generell und an der Bar insbesondere spielt.<br />
Zucker überall!<br />
Egal, ob Old Fashioned oder Daiquiri, ob<br />
Champagner Cocktail, Bee’s Knees, Last Word,<br />
Tommy’s Margarita oder Gin Tonic: Eine<br />
Zutat – manchmal ganz offensichtlich, hin und<br />
wieder in versteckter Form – haben all diese<br />
Drinks gemein, nämlich Zucker in irgendeiner<br />
Form oder allgemeiner: Süße. Egal, ob Zuckerwürfel<br />
oder -sirup, Honig, Agavendicksaft,<br />
Demerarazucker, Rohrzucker, Ahornsirup,<br />
Palmzucker, Liköre oder Crèmes, Süßweine<br />
oder sogar frisch gepresster Zuckerrohrsaft<br />
(um nur einige Quellen zu nennen): Süße Zutaten,<br />
die den Drink gefälliger machen, finden<br />
sich mannigfaltig hinter allen Tresen überall<br />
auf der Welt.<br />
Zucker an der Bar ist en vogue – und war niemals<br />
out. Schon die alte Punch-Formel »One of<br />
sour, Two of Sweet, Three of Strong and Four<br />
of Weak. A Dash of Bitter and a Sprinkle of<br />
Spice served well chilled with plenty of ice«<br />
fordert die Verwendung von Süßem. Generell<br />
ist ein süßer Geschmack <strong>für</strong> uns vor allem mit<br />
positiven Konnotationen verknüpft. Süßes galt<br />
im Gegensatz zu Bitterem oder Saurem bereits<br />
unseren Ahnen in grauer Vorzeit als Indikator<br />
da<strong>für</strong>, dass ein vorgefundenes Nahrungsmittel<br />
gegessen werden konnte. Wahrnehmungsphysiologisch<br />
gesehen sind wir Süßem und umami<br />
gegenüber sehr aufgeschlossen, da diese<br />
Geschmäcker seit jeher als nahrhaft interpretiert<br />
werden.<br />
Schmutzige Tricks<br />
Seit geraumer Zeit macht sich die Lebensmittelindustrie<br />
diesen evolutionsgeschichtlichen<br />
Aspekt schamlos zunutze. Da unser<br />
neuronales System die Aufnahme von Zucker<br />
positiv interpretiert, werden nahezu alle weiterverarbeiteten<br />
und zum Kauf angebotenen<br />
Lebensmittel gesüßt.<br />
Laut Schätzungen konsumieren Menschen<br />
in westlichen Gesellschaften bis zu 40 kg Zucker<br />
pro Jahr. Dabei spielt vor allem eben der<br />
viele versteckte Zucker eine Rolle. Denn nicht<br />
nur Kuchen und Kekse, süße Brotaufstriche,<br />
Süßwaren als Naschereien, Zucker in Kaffee<br />
oder Tee und andere gesüßte Getränke schlagen<br />
hier zu Buche. Vor allem die versteckten<br />
Zuckermengen in Fertiggerichten, Saucen,<br />
68<br />
Illustration: studio grau
Sweet<br />
AgavenDicksaft<br />
Honig<br />
Zuckerhut<br />
AhornSirup<br />
ZuckerwürfeL
TITEL<br />
I COCKTAILROBOT<br />
Text Stefan Adrian<br />
Sind Cocktailroboter Alternativen an der Bar oder<br />
rational istisches Sci-Fi-Material <strong>für</strong> den Schrottplatz?<br />
Ein Blick auf die Frage, ob die Maschinen den<br />
Shaker übernehmen können, oder ob sie letztlich nur ein<br />
Parallel universum bevölkern werden.<br />
Ich war ein fauler Teenager mit eher reduzierten schulischen Ambitionen. Lieber habe ich meine Abende<br />
beim Kartenspielen im Heurigen (ich war ein fauler österreichischer Teenager) und meine Nachmittage vor<br />
dem Fernsehgerät verbracht. Das war Anfang der 1990er-Jahre. Als Lektüre gab es Philip K. Dick oder William<br />
Gibsons »Neuromancer«, im TV liefen Serien wie Baywatch oder – natürlich! – Star Trek. Und wenn ein auf dem<br />
Sofa lümmelnder Teenager sieht, wie sich rauchende Drinks vor Captain Jean-Luc Picard in einem Replikator<br />
materialisieren, denkt er: »Das wäre ein Ding!«<br />
Fast forward 25 Jahre: Der Replikator ist immer noch Wunschdenken. Subatomare Partikel aus dem Kosmos werden<br />
nicht zu Molekülen verarbeitet, aus denen Wasser entsteht, geschweige denn ein Old Fashioned. Ich habe von<br />
Letzterem in meinem Leben nicht wenige gemacht. Zuerst in einer Variante mit zerstoßener Orangen- und Zitronenscheibe<br />
und einem Schuss Soda obendrauf, wie es im Schumann’s stand. Später ohne Früchte und in zwei Stufen<br />
gerührt. Mit wieder verfügbarem Rye Whiskey.<br />
Was ich damit sagen will: Ich bin ein Science-Fiction-Freund. Ich hatte selbst gemachte T-Shirts mit dem Aufdruck<br />
»Yes, we do dream of electric sheep.« Ich habe kein Problem mit Robotern, denn: Das Problem ist immer der<br />
Mensch. Ich weiß aber auch um die vielen Nuancen, die zusammenspielen, um einen guten Drink zu machen. Und<br />
ich kann mir nicht vorstellen, dass diese Nuancen ohne Menschenhand entstehen können.<br />
Das ist die Ausgangslage, um der Frage nachzugehen: Was tut sich auf dem Feld der Cocktailroboter? Darf man<br />
das Thema in einem <strong>Magazin</strong> <strong>für</strong> <strong>Barkultur</strong> überhaupt angehen? Oder passt die Frage gerade ins Jahr 20<strong>16</strong>, <strong>für</strong> das<br />
US-Bartender Jeffrey Morgenthaler prophezeit, Bars, die so tun, als wäre es 1922, seien endgültig ein alter Hut?<br />
72<br />
Illustrationen: studio grau
E-SHAKE<br />
12VOLT<br />
73
Form follows function follows kickstarter<br />
Wer denkt, er würde beim Eintauchen in die Cocktailrobotik sofort bei menschenähnlichen Androiden oder bei<br />
Hondas Roboter »Asimo« landen, täuscht sich jedenfalls gewaltig. Man landet vielmehr auf Fachmessen <strong>für</strong> Elektrogeräte<br />
wie der Consumer Electronics Show in Las Vegas. Dort wurde 20<strong>16</strong> ein Gerät als bestes Heimgerät ausgezeichnet,<br />
das per Kickstarter ins Leben gerufen wurde, um die Home-Margarita auf Augenhöhe mit dem Heim-Cappuccino<br />
zu bringen: der »Somabar«.<br />
Das Gerät des US-Amerikaners Dylan Purcell-Lowe ist einer Kaffeemaschine nicht unähnlich. Stünde George<br />
Clooney daneben, würde man es zweifelsohne <strong>für</strong> eine Nespresso-Maschine halten. Der Somabar bezieht Flüssigkeiten<br />
aus sechs leicht abnehmbaren, spülmaschinentauglichen Glaszylindern – drei an jeder Seite der Maschine<br />
– und mischt diese per App-Befehl zusammen. Das Trinkglas stellt man unter einen Ausgießer, darüber befindet<br />
sich ein Knopf <strong>für</strong> die Zugabe eines Bitters. Nach jedem Cocktail reinigt sich das Gerät aus einem Tank, der 1,5 Liter<br />
Wasser fasst, von selbst.<br />
»Er kann über 300 Cocktails abrufen, und jedes Rezept kann auf persönliche Vorlieben adaptiert werden«, so<br />
Purcell-Lowe, der ursprünglich im Business Development der Stammzellenindustrie tätig war, »man kann seine<br />
eigenen Rezepturen kreieren. Und jemand auf einem anderen Kontinent kann sie sogar auf sein Somabar-Gerät<br />
uploaden.« Den Somabar gibt es in diversen Farben und auf Vorbestellung <strong>für</strong> 429 US-Dollar, laut Purcell-Lowe sind<br />
bereits Aufträge im Wert von einer Million US-Dollar eingegangen. Demnächst soll Somabar in den USA auch im<br />
Handel erhältlich sein. Facebook-Likes zum Zeitpunkt der Drucklegung dieses Heftes: rund 21.500.<br />
»Zum Wohle!«<br />
App-Y hour!<br />
Ein weiterer Aspirant, als Pionier der Cocktailmaschinen in die Geschichte einzugehen, ist Pierre Michael. Der<br />
US-Amerikaner experimentierte erstmals 2008 mit einer automatischen Cocktailmaschine. »Ich ging davon aus, dass<br />
solche Geräte existieren. Taten sie aber nicht«, so der heute 32-Jährige, der dann selbst zur Tat schritt: »Mein erster<br />
Prototyp war 2009 auf dem Burning Man Festival ein ziemlicher Erfolg.«<br />
Als der Ingenieur der Elektrotechnik 2012 seinen Job verlor, holte er seinen alten Kumpanen wieder aus der Garage.<br />
Mit einer Breite von knapp einem Meter und einer Höhe von 60 Zentimetern ist der »Bartendro« nichts, was man<br />
sich einfach auf die Küchenplatte stellt. Er erinnert eher an eine Glücksspielmaschine, die aus einer Vielzahl an<br />
Schläuchen besteht, die dort, wo alle zusammenführen, etwas ausspuckt. In diesem Fall: einen von etwa 50 möglichen<br />
Drinks. Es gibt den Bartendro in den Versionen »15« und »7«, die Zahlen gleichbedeutend mit der Anzahl der Pumpen,<br />
aus denen <strong>für</strong> den Cocktail geschöpft werden kann. Durch die Messung der Motorumdrehungen wird die Menge<br />
der gepumpten Flüssigkeit bestimmt. Die Steuerung basiert auf dem Open-Hardware-Baukasten »Arduino«.<br />
Auf der Website von Bartendro finden sich denn auch keine Flaschen, Shaker oder Rührgläser. Sondern Kabel,<br />
Festplatten und Router Boards. Die große Version der Cocktailmelkmaschine kostet rund 3700 US-Dollar, die kleinere<br />
gibt es <strong>für</strong> 2500.<br />
74 Titel — I Cocktailrobot
ADVERTORIAL<br />
FRÜHJAHRSMIX<br />
Exklsuive Neuheiten aus dem Cocktailian Shop<br />
In Stein gemeisselt…<br />
Stein-Rührbecher<br />
Ein echter Hingucker an jedem Tresen sind diese steinernen Rührbecher<br />
aus einer kleinen Manufaktur in Vietnam. Jeder Becher wird<br />
von Hand aus einem Steinblock gearbeitet und ist somit ein absolutes<br />
Unikat, dessen Einzigartigkeit durch die edle Marmorierung und<br />
den typisch japanischen Yarai-Schliff nur noch unterstrichen wird.<br />
Durch die Steinstruktur ist das Rühren zu Anfang ein klein wenig<br />
»unrunder« als mit einem klassischen gläsernen Gefäß, ein Umstand,<br />
an den man sich jedoch rasch gewöhnt. Ein enormer Vorteil ist die<br />
beeidruckende Thermostatik des Gesteins: Einmal stark gekühlt,<br />
bleibt der Becher extrem lange kalt und kühlt klassische Shortdrinks<br />
fast im Alleingang. In den Farben Onyx, Rotbraun, Anthrazit und<br />
Marmorweiß erhältlich.<br />
Volumen: ca. 400 ml Preis: ab € 59,95<br />
Bitte beachten: Es handelt sich um ein Naturprodukt. Farben können<br />
ebenso leichten Schwankungen unterworfen sein wie Abmessung<br />
oder Volumen.<br />
Schwarz ist das<br />
neue Schwarz<br />
Kupferbecher geschwärzt<br />
Ein echtes Statement in Sachen Style an der Bar setzt die Serie<br />
geschwärzter Kupferbecher im Vintage-Look. Gleich in drei Ausführungen<br />
– als Julep-Cup, Moscow Mule-Becher und als Shot-<br />
Cup – kommen die eleganten Cups mit der schwarzen Patina auf<br />
den Tisch. Der Korpus aus Edelstahl sorgt dabei <strong>für</strong> eine kompakte<br />
Haptik und das richtige Gewichtsgefühl, während die Innenwände<br />
mit ihrer Versilberung den Look der Becher ideal und vornehm<br />
abrunden und ein unverfälschtes Geschmacksbild garantieren.<br />
Perfekt geeignet zum stilvollen Service von Shots, Moscow Mules<br />
und natürlich Juleps aller Art.<br />
Preis: ab € 20,95<br />
Starkes Stück<br />
Bonzer Muddler-Serie<br />
Ein völlig neues und vor allem entspanntes Arbeitserlebnis versprechen die neu<br />
konzipierten Muddler aus der Bonzer-Serie: Durch die Form liegen die Stößel<br />
hervorragend in der Hand, die Rillenstruktur verhindert ein Abrutschen und die<br />
Edelstahlkappe am oberen Ende verhindert ein Übermaß an Reibung auf der<br />
Innenfläche der Hand.<br />
Das Buchenholz <strong>für</strong> den Muddler wird in einem aufwendigen Prozess gedämpft und<br />
gekocht, um spätere Verformungen, Verfärbungen sowie die Resorption von Säften<br />
zu verhindern. Ein gut durchdachtes, gleichzeitig überaus elegantes Tool!<br />
Außerdem erhältlich in den Varianten Holz / Edelstahl,<br />
Edelstahl /Acetal sowie Edelstahl.<br />
Preis: ab € 33,95<br />
Wer? Jus?<br />
Koegler Verjus<br />
Verjus, der Saft aus noch unreif geernteten Wein beeren, ist<br />
ein seit Jahrhunderten verbreitetes natürliches Säuerungsmittel,<br />
das in Europa erst durch den Import von Zitrusfrüchten<br />
aus der Mode geriet. Umso schöner, dass viele<br />
Bartender den Verjus mit seiner raffinierten, feinen und<br />
fruchtigen Säurestruktur derzeit wiederentdecken und so<br />
ihren Cocktails eine völlig neue Dimension verleihen.<br />
Für den erlesenen Verjus vom Weingut Koegler aus<br />
dem Rheingau werden die Beeren im Spätsommer mit<br />
einem Zuckergehalt von rund 35° Oe gelesen, sodass<br />
der Saft zwar eine stabile Säure, aber auch bereits<br />
definierte Fruchtaromen liefert.<br />
Hervorragend geeignet zur Anwendung in abgewandelten<br />
Sours – vor allem im Pisco Sour – oder<br />
ähnlichen Drinks. Besonders gut harmoniert<br />
der Koegler-Verjus übrigens mit heimischen<br />
Obstbränden.<br />
Volumen: 0,75 l Preis: € 9,95<br />
Erhältlich bei cocktailian.de
86
COCKTAIL<br />
Cobbler ist der englische Ausdruck <strong>für</strong> Schuhflicker oder Flickschuster. Unter<br />
»Cobbler« verstehen die Amerikaner einen Nachtisch aus Früchten mit Teigkruste<br />
oder Streuseln. Auch die Namen Buckle, Crumble oder Brown Betty sind verbreitet.<br />
Der Cobbler ist aber auch der Drink, der vor fast 180 Jahren wesentliche Utensilien<br />
hinter den Tresen gebracht hat, ohne die heute keine Bar funktionieren würde.<br />
Für die Spirituosenwelt hat sich der Schuhflicker zum Kesselflicker gewandelt, der<br />
heute, in Zeiten der zu nehmenden Aperitifkultur, vor einer Renaissance steht.<br />
Text Markus Orschiedt<br />
Illustration: studio grau<br />
Der Frühling atmet sich heran. Bäume schlagen aus, Gräser, Sträucher<br />
und Früchte erblühen, und <strong>für</strong> den Bartender beginnt wieder eine ge<strong>für</strong>chtete<br />
Zeit. Die Orders an Spritz, Hugo, Bellini, Schorlen oder anderen<br />
Aperitif-Konsorten ringen ihm Schweiß, aber auch gähnende<br />
Langeweile ab. Es ist Zeit, die Zeit <strong>für</strong> eine Alternative, eine Wiederentdeckung.<br />
Vor über 150 Jahren war er einer der sensationierten Drinks in<br />
den Bars, vor allem den amerikanischen – der Cobbler. Das hatte – heute<br />
so selbstverständlich, wie ein Flug in den Weltraum – im Wesentlichen<br />
zwei Gründe, eigentlich zweieinhalb: Eis, Trinkhalm und Shaker.<br />
Charles Dickens und der Sherry Cobbler<br />
Eis war noch immer ein rares Naturgut und lagerte in Eiskellern, die<br />
Kühltechnik war gerade erst im Entstehen. Und wie trinkt man ein randvoll<br />
mit Eis gefülltes Glas, angereichert mit frischen Früchten, am elegantesten?<br />
Mit dem Trinkhalm, der damals so etwas wie ein »killer-tool«<br />
in Bars war. »Ein Strohhalm ist ein unheimlich nützlicher Artikel, vorausgesetzt,<br />
die eine Seite badet in einem Cobbler«, stellte die Grand<br />
Island Times 1873 fest. Zur Zubereitung fand der sogenannte »Cobbler<br />
Shaker« Verwendung: dreiteilig und aus Metall, so wie er heute weltweit<br />
millionenfach in kostengünstiger Form auch zahllose Heimbars<br />
schmückt. Das ist insofern relevant, da die hohe thermodynamische<br />
Leitfähigkeit von Metall gegenüber Glas weniger Schmelzwasser beim<br />
Schütteln bildet. Und das in den Deckel eingebaute Sieb tut sein übriges,<br />
wenn es darum geht, Fruchtstücke und Eis zurückzuhalten, ohne<br />
dass extra ein Hawthorne Strainer zum Einsatz kommen muss.<br />
Ein Cobbler ist schwer zu definieren. Es handelt sich eher um einen<br />
Überbegriff <strong>für</strong> eine Getränkegattung wie etwa Sours, bestehend aus<br />
fortifizierten (durch Hinzugabe von Alkohol verstärkten) Weinen wie<br />
Sherry, Port, Wermut sowie Champagner – aber auch Spirituosen! –,<br />
Zucker und frischen, saisonalen Früchten. Meist werden die Zutaten<br />
über gestoßenem Eis gemixt und dann mit Trinkhalm serviert. Ein<br />
wahres Chamäleon, da man die Früchte je nach Gusto variieren und<br />
den Zucker durch Sirup, Bitters oder Likör ersetzen kann. Der Cobbler<br />
ist ein Drink, der aufgrund seiner Leichtigkeit eher der warmen<br />
Jahreszeit zugeschrieben wird, es gibt aber auch Winterkreationen<br />
mit Whisky oder Gin und Cranberrys, den letzten Beeren vor der<br />
Winterstarre.<br />
Am populärsten sind allerdings die Mischungen mit Sherry, Port und<br />
Wermut, die ohnehin in der ambitionierten <strong>Barkultur</strong> Staub und Patina<br />
gegen Tand und Glitter einzutauschen sich anschicken. Unter diesem<br />
Trio der fortifizierten Weine hat der Sherry seine früheste Erwähnung<br />
im Cobbler. Der Cocktail-Historiker David Wondrich datiert ihn auf<br />
das Jahr 1838, als die Kanadierin Katherine Jane Ellice ihn in ihrem<br />
USA-Reisetagebuch erwähnt. Auch die Literatur hat wie immer ihre<br />
Finger im Spiel, wenn es um Alkohol geht. Charles Dickens lässt in<br />
seinem Schelmenroman »The Life and Adventures of Martin Chuzzlewit«<br />
(1843 / 44) seinen Protagonisten ekstatisch in einem Zuge einen<br />
Sherry Cobbler austrinken, um dann über die Qualität des Drinks und<br />
die Art der Konsumtion durch einen Halm zu philosophieren.<br />
Cobbler oder Fix?<br />
Der Cobbler ist prädestiniert <strong>für</strong> Bartender, die ihren Gästen etwas<br />
zeigen wollen, sie gerne über die zusammengeschusterten Aperitif-Welten<br />
hinausführen wollen. Er ist zwar der Spritz des 19. Jahrhunderts,<br />
aber doch weit mehr als ein Spritz. Seine Bedeutung <strong>für</strong> die Bar ist<br />
überragend: »Er hat das Eis, den Strohhalm und den Shaker in die Bar<br />
gebracht«, konstatiert der Wiener Bartender und anerkannte Spirituosenexperte<br />
Reinhard Pohorec. Der Cobbler folgt einer simplen Mechanik.<br />
Oliver Ebert, Betreiber der Berliner Bars Becketts Kopf und Lost<br />
in Grub Street, fasst es puristisch zusammen: »Der Drink funktioniert<br />
über Kälte und Wasser. Zucker ist da<strong>für</strong> da, ihm Körper zu geben, Zitrone<br />
hat darin eigentlich nichts zu suchen, sonst wäre es ein Fix. Er ist ein<br />
herrliches Erfrischungsgetränk <strong>für</strong> den Sommer, gepaart mit saisonalen<br />
87
100
BIER<br />
DIE REINE WAHRHEIT!<br />
Inbegriff deutscher Bierqualität oder veraltete Verbrauchertäuschung? Das Jahr 20<strong>16</strong> steht in<br />
Deutschland so sehr wie nie zuvor im Zeichen des Bieres, denn mit dem 500. Geburtstag<br />
des sogenannten Reinheitsgebotes <strong>für</strong> Bier geht ein inszenierter Jubel einher. Doch auch im angeblich<br />
reinen deutschen Gerstensaft ist lange nicht alles Gold, was glänzt. Peter Eichhorn mit einem<br />
Plädoyer <strong>für</strong> neue Offenheit und mehr Natürlichkeit im deutschen Bier.<br />
Text Peter Eichhorn<br />
Illustration: studio grau<br />
Stellt die Flaschen kalt, zieht die Girlanden auf<br />
und bügelt die Sonntags-Garderobe: Wir feiern<br />
das Jahr 15<strong>16</strong>. Heinrich der VIII., damals noch<br />
mit seiner ersten Frau Katharina von Aragon<br />
verheiratet, gründete den britischen Postdienst.<br />
Thomas Morus veröffentlichte mit<br />
»Utopia« seine Vision einer idealen Gesellschaft.<br />
Und Götz von Berlichingen pfefferte<br />
in Krautheim dem verhassten erzbischöflichen<br />
Amtmann aus Mainz, Marx<br />
Stumpf von Schweinberg, den »Schwäbischen<br />
Gruß« entgegen, er möge ihn doch<br />
am verlängerten Rückgrat konsultieren.<br />
Aber das bis zum heutigen Tage aktuellste<br />
Geschehnis jenes Jahres 15<strong>16</strong> war die berühmte<br />
Verordnung vom 23. April, welche die bayerischen<br />
Herzöge Wilhelm IV. und Ludwig X.<br />
in Ingolstadt verkündeten und die bis heute<br />
als Geburtsstunde des Reinheitsgebots herhält:<br />
»Ganz besonders wollen wir, dass forthin<br />
allenthalben in unseren Städten, Märkten und<br />
auf dem Lande zu keinem Bier mehr Stücke als<br />
allein Gersten, Hopfen und Wasser verwendet<br />
und gebraucht werden sollen.«<br />
Für alle gilt: Der 23. April 20<strong>16</strong> steht dick<br />
unterstrichen und rot umrandet im Kalender<br />
jedes Bierenthusiasten, ob Brauer oder<br />
Trinker. Den 500. Jahrestag der herzöglichen<br />
Verkündung von 15<strong>16</strong> gilt es zu zelebrieren,<br />
die gerne als älteste geltende Lebensmittelverordnung<br />
der Welt hervorgehoben und als<br />
Inbegriff und Grundlage deutschen Brauhandwerks<br />
betont wird.<br />
Wächter des Reinheitsgebots<br />
Die Brauer, die mit echtem Handwerk und<br />
erlesenen Zutaten geschmackvolle Bierspezialitäten<br />
fertigen, dürfen zu Recht mit Stolz auf<br />
ihre Tradition und ihr Handwerk blicken. So<br />
wie Maximilian Sailer, Bräu und Braumeister<br />
im Hofbräuhaus Traunstein, <strong>16</strong>12 vom Kur<strong>für</strong>sten<br />
Maximilian I. gegründet. Sailer erklärt:<br />
»Es macht mich und unsere Brauermannschaft<br />
stolz, dass wir seit über 400 Jahren streng nach<br />
dem Bayerischen Reinheitsgebot brauen. Und<br />
es macht uns auch stolz, dass nach wie vor die<br />
Rohstoffe, das Handwerk, die Zeit und die<br />
Leidenschaft zu unserem Bier entscheidend<br />
<strong>für</strong> den Geschmack sind.« Diese Haltung teilen<br />
zahlreiche bayerische Brauer und zeigen<br />
dies in einer Wanderausstellung mit dem<br />
etwas martialischen Namen »Die Wächter des<br />
Reinheitsgebotes« (initiiert vom Traunsteiner<br />
Senior Bernhard Sailer), in der 100 Brauwerker<br />
ihr Bekenntnis zum Reinheitsgebot auf<br />
Fotos zum Ausdruck bringen.<br />
Was ist es eigentlich genau, was dort mit<br />
Krügen, Trachten und finsteren Mienen<br />
bewacht werden muss? Gibt es einen Feind?<br />
Friedrich Düll, Inhaber der gleichnamigen<br />
Privatbrauerei im unterfränkischen<br />
Krautheim bei Volkach und Präsident des<br />
Bayerischen Brauerbundes e.V., sieht dunkle<br />
Wolken am Horizont: »Unser Bekenntnis zum<br />
Reinheitsgebot ist das Fundament, auf dem<br />
die Erfolgsgeschichte des bayerischen Bieres<br />
fußt. Das gekonnte Spiel mit Hopfen, mit<br />
verschiedenen Malzen und den zahlreichen<br />
verfügbaren Hefestämmen lässt einen noch<br />
lange nicht ausgereizten Variantenreichtum<br />
reinheitsgebotskonformer Biere zu. Gesetzgebung<br />
und Vollzug vor Ort müssen aber auch<br />
eine Antwort geben auf das An gebot ausländischer<br />
und mehr und mehr auch außerbayerischer<br />
deutscher Brauereien insbesondere der<br />
›Craft-Szene‹, die Nicht-Reinheitsgebots-Biere<br />
unter Verwendung anderer, natürlicher Zutaten<br />
herstellen und die mit diesen Produkten<br />
auch im bayerischen Markt Fuß zu fassen versuchen<br />
– auch wenn der ›Boom‹ dieser Biere<br />
bislang mehr herbeigeschrieben als tatsächlich<br />
herbeigetrunken wird.« Klare Worte.<br />
Wahrscheinlich kommt kein Camba Bavaria<br />
Milk Stout in die Krüge der Festveranstaltungen,<br />
schon eher ein Köstritzer Witbier. In<br />
einem einstimmigen Beschluss vom September<br />
2014 besteht der Beirat des Bayerischen<br />
Brauerbundes auf der Unzulässigkeit von<br />
»Besonderen Bieren« und giftet dabei nach<br />
Thüringen, wo <strong>für</strong> die Köstritzer Brauerei<br />
gerade ein Witbier genehmigt worden war. Erst<br />
2015 wurde die Camba Bavaria Brauerei im<br />
oberbayerischen Truchtlaching dazu gezwungen,<br />
ihre Bestände an Milk Stout komplett zu<br />
vernichten. Milk Stout ist ein traditioneller<br />
Bierstil, bei dem Milchzucker im Brauvorgang<br />
zum Einsatz kommt. Ein Sakrileg – zumindest,<br />
wenn es nach den strengen Hütern des Bayerischen<br />
Reinheitsgebotes geht.<br />
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