GIG Juli 2016
Stadtmagazin für Münster/Osnabrück/Lingen und die Region
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28<br />
MUSIK<br />
CDS VINYL & MP3<br />
ALBUM<br />
DES MONATS<br />
Jake Bugg<br />
On My One<br />
Es ist ein sonderbares<br />
Gewächs,<br />
dieses<br />
dritte Album<br />
des Jungspunds<br />
aus Nottingham,<br />
der mit<br />
seiner präpotenten Interpretation<br />
von Folk, Blues und Beat 2012<br />
durch die Decke ging. Ausgehend<br />
vom schlurfenden Entwurzelungslamento<br />
des Titelstücks kreuzt<br />
Jake Bugg immer wieder überraschende<br />
stilistische Fahrwasser.<br />
Das wollte er so, und da staunt<br />
man nicht schlecht - aber die<br />
Gründe sind durchaus ambivalent.<br />
Während Bugg sich bei „Gimme<br />
The Love“ noch respektabel in Gitarrenbreitseiten<br />
und Bigbeats<br />
wälzt, rollt man bei seinen in<br />
„Ain’t No Rhyme“ im Brustton der<br />
Überzeugung vorgetragenen, hanebüchenen<br />
Raps selbst auf dem<br />
Boden - vor Lachen. Stark ist der<br />
22-Jährige in zahlreichen anderen<br />
Momenten, etwa wenn er seine<br />
jungenhafte Quengelstimme an<br />
die traditionelle, ab und an gerade<br />
heraus scheppernde Form koppelt<br />
(„Put Out The Fire“). Seine<br />
Blue-Eyed-Soul-Balladen und fragilen<br />
Tränenzieher in barocken Arrangements,<br />
bei denen große Ambitionen<br />
durchscheinen, faszinieren<br />
und fesseln dagegen oft - aber<br />
ungewollt - durch etwas anderes:<br />
eine Schönheit im Scheitern.<br />
Wolfgang A. Müller<br />
Virgin EMI/Universal;<br />
www.jakebugg.com<br />
Bat For Lashes<br />
The Bride<br />
Sie holt wieder ihre ganze Intensität<br />
zusammen. Auf ihrem vierten<br />
Album spielt Natasha Khan mit sakraler<br />
und ergreifender Indie-Folk-<br />
Kraft das Szenario eines abrupt zu<br />
Ende gegangenen Traums von einer<br />
Ehe durch. Sie begrüßt den Hörer<br />
mit dem Klang der Akkordzither.<br />
„Joe‘s Dream“ mutet wie ein<br />
entfernter Cousin von „Running<br />
Up That Hill“ an, der von David<br />
Lynch bearbeitet wurde. „In God‘s<br />
House“ und das sehr tanzbare<br />
„Sunday Love“ sind Stücke, die<br />
von elektronischen Instrumenten<br />
getragen werden. Mit „Honeymooning<br />
Alone“ und „Never Forgive<br />
The Angels“ rückt sie mehr<br />
in die Nähe einer Siouxsie Sioux.<br />
Man ortet Natasha<br />
Khan ja<br />
schon länger in<br />
den hohen Etagen<br />
der weiblichen<br />
Performance,<br />
in der<br />
sowohl traditionelle Verbindungen<br />
als auch eine moderne Art des Vortrags<br />
zusammenlaufen. Man hat<br />
Björk, PJ Harvey und Fiona Apple<br />
(das Piano!) erwähnt. Jetzt hat<br />
Khan ihren Drang zu einer neuen<br />
Hochleistung getrieben.<br />
Thomas Weiland<br />
Parlophone/Warner;<br />
www.batforlashes.com<br />
The Kills<br />
Ash & Ice<br />
Ihr letztes Album „Blood Pressures“<br />
von 2011 hatte neben aller Garagenrauheit<br />
und Blues-Konzentration<br />
der - so nannte Jamie Hince<br />
das selbst - amerikanisch-britischen<br />
New Wave of Garage auch eine gehörige<br />
Portion verspielter Einsprengsel<br />
von Beatles, Anti-Folk,<br />
Dub und Brit-Pop an Bord. Die Kills<br />
erweiterten ihren Horizont für uns.<br />
Alison Mosshart und Hince haben<br />
uns stets gleichzeitig bestätigt und<br />
überrascht.<br />
Dazu kamen die<br />
vielen anderen<br />
Aktivitäten<br />
zwischen Musik<br />
(The Dead Weather<br />
u.a.), Kunst<br />
und Boulevard. Entscheidend bleibt<br />
das Reduzierte, beinahe Minimalistische<br />
des bluesigen Rock’n’Roll,<br />
ein Duo, Frau und Mann, Drum-<br />
Machine. Das ist es. Da schließen<br />
die Kills auf dem neuen Album auch<br />
wieder an. Beinahe etwas abgehangen<br />
in den ersten Songs grooven<br />
sich The Kills ab „Siberian Nights“<br />
besser ein. Was laut Presse-Info bei<br />
Hince leidige Handoperationen<br />
waren, bedeutete für Mosshart ein<br />
Trip mit der Transsibirischen Eisenbahn:<br />
raus sein, innehalten. Nun<br />
rumpeln sie sich wieder durch den<br />
bluesigen Post-Punk-Wave. Und lassen<br />
an jeder Ecke ihre Liebe zu Nick<br />
Cave & The Bad Seeds, PJ Harvey<br />
und vor allem den Cramps erkennen.<br />
Christoph Jacke<br />
Domino/Goodtogo; www.thekills.tv<br />
Swans The Glowing Man<br />
Es soll das letzte Album in der zweiten Lebensphase<br />
der Band seit 2010 sein, aber natürlich hat<br />
Michael Gira deshalb noch lange keine Zeit für<br />
Kompromisse. „Cloud Of Forgetting“ hört sich in<br />
den ersten Momenten zwar so an, aber plötzlich,<br />
im hinteren Drittel des Stückes, reißt Gira Band<br />
und Publikum in den Katarakt der Kakophonie, in<br />
ein heilloses Durcheinander der Keyboard- und<br />
Noise-Akkorde. Zu Beginn von „The World Looks Red“ ist die Ordnung<br />
wieder da, der Jazz eines Miles Davis bahnt sich sanft den Weg,<br />
bis er erst von strengen Schlägen gestört und dann von einer düsterfeierlichen<br />
Atmosphäre beeindruckend abgelöst wird. Mit „Finally<br />
Peace“ findet der Leader zu guter Letzt einen geeigneten Abschluss<br />
für diesen Unruheherd. Es ist ein Folk-Song mit einem optimistischen<br />
Unterbau, der den Hörer nach knapp zwei Stunden Musik begeistert<br />
zurücklässt. Seinen Weg mit den Swans hat Gira fürwahr<br />
perfekt abgeschlossen. Thomas Weiland<br />
Young God/Mute/Goodtogo; www.younggodrecords.com<br />
The Avalanches<br />
Wildflower<br />
16 Jahre nach<br />
Veröffentlichung<br />
ihres weltweit<br />
gefeierten Debüts<br />
„Since I Left<br />
You“ haben die<br />
Australier endlich<br />
den Stoff für ihren Fortsetzungsroman<br />
beisammen. In der Single<br />
„Frankie Sinatra“ machen sie<br />
dem größten Sänger aller Zeiten<br />
klar, dass er die perfekte Stimme<br />
für einen Calypso habe. Das Covermotiv<br />
ähnelt dagegen dem auf Sly<br />
Stone’s „There‘s A Riot Goin‘ On“,<br />
auch „Smile“ von den Beach Boys<br />
oder „Yellow Submarine“ von den<br />
Beatles darf man ins Spiel bringen.<br />
Das psychedelisch-weltflüchtige<br />
Ding ist als ein Grundelement nicht<br />
aus der Musik der Avalanches wegzudenken.<br />
Eine weitere Rolle spielt<br />
der Soul („Sunshine“) und HipHop<br />
mit zwei Beiträgen von Danny<br />
Brown und einem weiteren von der<br />
Old-School-Spaßlegende Biz Markie.<br />
Natürlich sorgt niemand dafür,<br />
dass die Band von ihrem Weg abkommt.<br />
Sie haben das fein gestückelte,<br />
aus der Schwebe kommende<br />
Album gemacht, das man zum<br />
Sommer hin einfach gerne hat.<br />
Thomas Weiland<br />
Modular/XL/Indigo;<br />
www.theavalanches.com<br />
Raime<br />
Tooth<br />
Funkelnde Trostlosigkeit und tiefste<br />
Abgründe. Irgendwie fühlt man<br />
sich sehr schnell in der dunklen Atmosphäre<br />
von frühmorgendlichen<br />
Schutthalden oder verlassenen Industriehallen,<br />
wenn man dem in<br />
London lebenden Duo Raime schon<br />
auf deren Debüt aus dem Jahr<br />
2012 zuhörte. Mit ihrem Zweitling<br />
haben Joe Andrews und Tom Halstead<br />
nachgelegt, es basst, blubbert,<br />
schwebt und wabert. Und<br />
wiegt schwer. Auch wenn ab und an<br />
eine Gitarre erklingt, letztlich spürt<br />
man in jedem Takt dieses düsteren<br />
instrumentalen Gerippes die<br />
gesamte verworrene Geschichte<br />
von Techno, Minimal über Grime<br />
bis zu Dubstep pulsieren. Das Erbe<br />
von großen dunklen Elektronikfuturisten<br />
wie Plastikman, Ernestus/<br />
von Oswald<br />
oder Burial und<br />
vielleicht auch<br />
schon wieder<br />
Demdike Stare<br />
ist angetreten.<br />
Wobei Raime<br />
noch deutlicher Referenzen zu Industrial<br />
à la Throbbing Gristle oder<br />
frühen Cabaret Voltaire sowie zum<br />
Wave der Früh-Achtziger anklingen<br />
lassen. Für mich sind Raime neben<br />
dem Japaner ENA die fulminanteste<br />
Weiterführung absoluter Dance-<br />
Tristesse. Der Soundtrack für unsichere<br />
Zeiten lässt einen noch ein<br />
bisschen hoffnungsloser und nervöser<br />
werden. Christoph Jacke<br />
Blackest Ever Black/Cargo;<br />
www.blackesteverblack.com<br />
Red Hot Chili Peppers<br />
The Getaway<br />
Keine Sorge, auch<br />
mit Danger Mouse<br />
als Produzenten,<br />
der Allzweckwaffe<br />
für hippes Klangdesign<br />
im gehobenen<br />
Mainstream,<br />
klingt der Rock-Sex-Funk der Kalifornier<br />
nicht wesentlich anders als mit dem legendären<br />
Rick Rubin, der der Band 25<br />
Jahre lang zu ihrem Trademarksound<br />
verhalf. Okay, hier eine flirrende Synthiezierleiste<br />
mehr, da ein kleines<br />
Keyboardarrangement oder ein Piano-<br />
Anbau und gelegentlich Neo-Disco-Fun-<br />
tragisch leicht daneben ganz ordentlich stark Meilenstein